28. Jahrgang | Nummer 10 | 26. Mai 2025

Bemerkungen

„Sechs. Setzen!“

Das AfD-Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sollte geheim bleiben, und jeder Nicht-Schlapphut, der einen Blick hineinwirft, wird sehr schnell verstehen, warum. Es handelt sich um ein akribisches, über 1000 Seiten starkes Konvolut von Jägern und Sammlern im ersten, höchstens zweiten Semester – mit schon gut entwickeltem Spürsinn, auch noch das letzte je publizierte oder anderweitig verschriftlichte Fitzelchen zum beauftragten Thema ausfindig zu machen und zu kopieren, doch zugleich mit nachgerade pathologischer Unfähigkeit, die Spreu vom Weizen zu scheiden oder gar dem Sammelsurium Fundamentales zu entringen, vorausgesetzt, solches wäre mit ins Netz gegangen.

Der Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber gelangte zu folgendem Verdikt: Da zwischen Analyse und Bewertung nicht unterschieden werde, handele es sich nicht um ein Gutachten, sondern lediglich um eine „Sammlung von Gerichtsurteilen und Zitaten mit einer anschließenden subjektiven Bewertung nach einem […] undurchschaubaren Bewertungssystem“. Mit anderen Worten: „Sechs. Setzen!“

Da die Sache mit der Geheimhaltung aber auch nicht geklappt hat und etliche Medien das Konvolut haben viral gehen lassen, kann nun tatsächlich jeder Nicht-Schlapphut nachsehen, ob Stefan Weber nicht vielleicht doch zu milde geurteilt hat. Zur „Sammlung von Gerichtsurteilen und Zitaten“ hier klicken.

hh

Neues zu den NATO-Osterweiterungen

Mit „Geheimnisse eines Kanzlers“ hat Klaus Wiegrefe seinen Beitrag im Spiegel 17/2025 betitelt.

Die Bundestagswahl 1998 stand ins Haus und Helmut Kohl als amtierender Kanzler ging zum sechsten Mal als Spitzenkandidat der Union ins Rennen. (Und verlor bekanntlich.) Da publizierte die Bundesregierung Hunderte geheime oder zumindest vertrauliche Dokumente aus dem Wendejahr 1989/90 – gegen die übliche Regel, dass derartige Papiere einer Jahrzehnte währenden Sperrfrist unterliegen. Dazu Wiegrefe: „Die Sonderedition ‚Deutsche Einheit‘ war eine Sensation. Die Gesprächsvermerke, Aufzeichnungen von Telefonaten, Briefe von 1989/90 erregten weltweit Aufmerksamkeit. […] Bis heute bestimmt die Edition die Geschichtsschreibung über die Einheit.“

Was seinerzeit im Hype über das „fesselndste Buch des Sommers“ (FAZ) kaum jemandem aufgefallen war: Immer wieder sind, so Wiegrefe, „Wörter, Sätze oder auch längere Passagen in den Papieren geheim blieben. Drei Punkte markierten jeweils die Auslassungen. In den zugehörigen Fußnoten stand dann ‚nicht freigegeben‘.“ Die Erklärung: „Der Kanzler, der die großen Fragen der Einheit richtig entschied, lag manchmal daneben – und wollte dazu offenkundig nicht stehen.“

Die Originalakten lagern im Bundesarchiv in Koblenz und seien vom Spiegel nun überprüft worden. Laut Wiegrefe: „Besonders interessant: die bislang unbekannten Passagen in den Kanzleramtsdokumenten zur Ausdehnung der NATO […].“

Bekanntlich hatte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in Anerkennung sowjetischer Sicherheitsinteressen und um Moskau einen Verbleib des vereinigten Deutschlands im Nordatlantikpakt schmackhaft zu machen in einer Rede in der Evangelischen Akademie Tutzing Ende Januar 1990 folgende „Sicherheitsgarantie“ in die Öffentlichkeit lanciert: „Sache der NATO ist es, eindeutig zu erklären: Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.“ (Zum Wortlaut der Rede hier klicken.) Bei einem anschließenden Moskau-Besuch trug Genscher diesen Plan auch im Kreml vor.

Mindestens die seit 1999 vollzogenen Inkorporationen der mittelost- und südosteuropäischen früheren Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes und der drei ehemaligen Sowjetrepubliken im Baltikum in die NATO hätte es demzufolge nicht geben dürfen. Doch Kanzler Kohl war von Anfang an dagegen!

Wirklich?

Wiegrefe schreibt: „Landläufig gilt, dass Kohl nie bereit gewesen sei, dem Kreml eine Nichtausdehnung der NATO zuzusagen – doch das ist offenbar ein Mythos. Kurz nach Genschers Rückkehr aus Moskau sprach der Kanzler mit Mitterrand über die Genscher-Idee. Im vollständigen Vermerk des Treffens am 15. Februar 1990 steht: ‚Präsident Mitterrand ist der Auffassung, man müsse feierlich erklären, dass die NATO nicht nach Osten vorgeschoben werde.‘ Kohl entgegnete, er halte ‚dies für richtig‘.“

Allerdings – wenn das Napoleon zugeschriebene Wort – „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat.“ – tatsächlich zuträfe, dann wäre das jetzige Wiederaufwärmen der Sache durch den Spiegel auch nur vergebliche Liebesmüh‘.

Sarcasticus

Weißer Rauch im Vatikan

Zahlreiche Pressekommentare verurteilten diejenigen Abgeordneten der Koalitionsparteien, die bei der Wahl des Bundeskanzlers zunächst gegen den Kandidaten stimmten. Und da die Wahl geheim ist, konnte man die Abweichler nicht namhaft machen. – Aber was war geschehen? Der Bundestag konnte sich nicht auf Anhieb entschließen, den Wahlvorschlag des Bundespräsidenten mit der erforderlichen Mehrheit anzunehmen. Als aber nach einigem Hin und Her, das von profunder Unkenntnis der geltenden Verfahrensregeln zeugte, die Fraktionsspitzen der beteiligten Parteien dem Bundestag wiederum einen gleichlautenden Vorschlag machten, war dies ein Angebot, das er offenbar nicht mehr ablehnen konnte. Und andere Fraktionen waren nach der geltenden Geschäftsordnung zu solchen Vorschlägen nicht berechtigt.

Im Vatikan dagegen nimmt man das Prinzip der geheimen Wahl noch wirklich ernst. Bekannt ist lediglich, dass eine Wahl stattfindet; der Vorgang als solcher dagegen vollzieht sich unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit. Diese wird in der traditionellen Form von Rauchzeichen über das Ergebnis informiert.

Der Papst wird vom Konklave gewählt und niemand hat das Recht, den dort versammelten Bischöfen Vorschläge zu machen. Jeder Teilnehmer ist vielmehr verpflichtet, für denjenigen zu stimmen, den er für den Geeignetsten hält. Durch die anschließenden Auszählungen wird bald klar, welche Kandidaten realistische Chancen haben, tatsächlich gewählt zu werden. Da die aktuellen Sachfragen im Vorfeld öffentlich besprochen worden waren, erreichte diesmal bereits im vierten Wahlgang ein Teilnehmer das – im Vergleich zum Bundestag bedeutend strengere – Kriterium der Zweidrittelmehrheit.

Aus Sicht der Katholischen Kirche ist es sicher eine gute Wahl. Der neue Papst Leo XIV. (bürgerlich: Robert Francis Prevost) stammt aus Chicago, hat in Rom promoviert und wurde dann in Peru zum Bischof geweiht. Zum Kardinal ernannt wurde er erst vor zwei Jahren, und die zahlreichen Ämter, die ihm sein Vorgänger Franciscus I. übertrug, deuten darauf hin, dass er in ihm einen unentbehrlichen Helfer sah. Er gilt in Fragen der Geschlechtsrollenidentität eher als konservativ, was ihm im Blättchen wohl kaum jemand verübeln wird. Durch seinen Werdegang hingegen ist er als ausgesprochener Globalist ausgewiesen – also als natürlicher Verbündeter gegen den engstirnigen Nationalismus, der sich allerorts breit macht. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich sein Verhältnis zu Donald Trump entwickelt; der wiederum hat durch sein infantiles Selbstporträt als Papst dem neuen vermutlich wirksame Wahlhilfe geleistet.

Bernhard Mankwald

Der Beitrag wurde am 17.05.2025 abgeschlossen.

Helene Weigel

Lieber Herr Wengierek,

mit Vergnügen habe ich Ihren trefflichen Artikel über Helene Weigel gelesen. In der Tat, für alle, die ihr begegneten, ob auf dem Theater, auf Versammlungen und Diskussionen oder bei Demonstrationen, war sie unvergesslich. Ich möchte Ihren Bericht durch eine kleine Anekdote ergänzen. Es war im Sommer 1961. In Bad Saarow fand da alljährliche Studentenlager statt, und eines Tages war eine Diskussion mit Helene Weigel angekündigt. Nachdem sie ihren Bericht über die jüngsten Gastspielreisen des Berliner Ensembles in Westdeutschland und Paris vorgetragen hatte, meldete sich ein älterer Student zu Wort. „Genossin Weigel“, sagte er anbiederisch, „also, wenn Sie im Westen auftreten, ekelt es Sie dann nicht, wenn Sie vor dem Klassenfeind sprechen oder spielen müssen?“ Die kleine große Helene Weigel erhob sich langsam und ging nach vor bis an den Rand des Podiums. „Mein Kleiner“, sagte sie (der „Kleine“ war ein Zweimeter-Mann), „weißt du, überm Berg wohnen auch Leute.“ Tosender Beifall war das Echo.

Mit freundlichen Grüßen

Gerhard Müller

Flucht nach dem zweiten Akt

Siegfried Jacobsohn, 1905 Gründer der Schaubühne, die 1918 zur Weltbühne wurde, war ein exzellenter, scharfsinniger und streitbarer Theaterkritiker. Nachfolgend eine seiner pointierten Antworten.

Berliner Theaterdirektor. Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen. Dies aber spricht Ihr Brief zu mir: „Für den neuen Verband der Berliner Theaterkritiker weiß ich eine lohnende Aufgabe: er möge seinen Mitgliedern verbieten, Vorstellungen vor dem Schluß zu verlassen. Wenn ein Richter sich aus dem Saal entfernte, bevor die Parteien ihre Vorträge beendet haben, so würde man diesem Richter nicht nur seine schlechten Manieren vorhalten, sondern man würde auch seinen Spruch für ungültig erklären. Muß man nicht in Berufe die Lasten so gut tragen wie die Vorteile? Es gibt mittelmäßige Stücke, die einen ausgezeichneten dritten Akt haben, und brauchbare, deren Schlußakt so trostlos ist, daß der Kritiker seine unfreundliche oder seine freundliche Meinung ändern würde. Kann nicht plötzlich in einer Szene, in einer spät eingeführten Figur sich ein unerwartetes Talent zeigen? Schließlich ist kein Theaterabend so lang, daß man nicht von Einem, der dafür bezahlt wird, Geduld bis zum Schluß verlangen dürfte.“ Doch! viele Theaterabende sind so lang. Ich würde solch einen Antrag weder stellen noch befürworten. Es geht über die Hutschnur, was ihr im Lauf eines Kritikerdaseins euerm Erbfeind zumutet. Bisher gab es in besonders krassen Fällen eine Rettung: Flucht. Die liegt manchmal sogar im Interesse der Allgemeinheit. Ich erinnere mich einer Kriegsposse des vergangen Vierteljahrs, wo ich vor unüberwindlichem Ekel mitten im Parkett buchstäblich seekrank zu werden drohte, aber die zarte Rücksicht übte, mich nach dem zweiten Akt der frischen Abendluft anzuvertrauen. Ihr überschätzt euer Künstlertum erheblich, wenn ihr glaubt, daß in euern Häusern diese drastische Gefahr selten ist, von geringem garnicht zu reden. Nein, es wird keineswegs möglich sein, uns die freie Verfügung über unsern Magen zu nehmen. Die Kontrolle übe nicht der Verband, sondern unser Gewissen. Wer vorzeitig eine Aufführung verläßt, hat nichts weiter nötig, als in seiner Kritik zu sagen, bis zu welchem Punkt er geblieben ist; und die Mitteilung, daß er es nicht bis zu Ende ausgehalten hat, ist ja bereits eine Kritik. Wer aber vorzeitig eine Aufführung verläßt, die eine andre als die befürchtete Wendung nimmt, und darüber so lückenhaft oder schief berichtet, daß ihr euch geschädigt fühlen könnt: gegen Den habt ihr immer das Mittel, ihn wegen Pflichtvergessenheit bei seinem Verlag anzuzeigen. Ich würde das keine Denunziation nennen, sondern etwa mit der berechtigten Beschwerde vergleichen, die ihr manchmal über den Zensor beim Oberverwaltungsgericht einbringt. Aber so wenig, wie ihr euch von uns das Geschäft ruinieren lassen wollt, werden wir einen Beschluß fassen, der euch erlaubt, unsre Gesundheit zu ruinieren.

Schaubühne 1/1915.
Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.

GOLD

von F. Eisenlohr, L. Hahnon und L. Rubiner

FRED wird in einem braunen Tabakballen
Vom Hafen auf die Zollstation getragen.
Dort schläft er, bis die Schiffsuhr zwölf geschlagen.
Erwacht und schleicht sich in die Lagerhallen.

 

Am Gold-Depot, wo trunkne Wächter lallen,
Läßt er den kleinen Mörtelfresser nagen
Bis wie beim Kartenhaus die Mauern fallen.
Dann lädt er Gold in einen Grünkohlwagen.

 

Als Bauer fährt er sächselnd durch den Zoll.
Doch dort verraten ihn zwei blanke Barren.
Berittne jagen den Gemüsekarren.

 

Fred sinnt verwirrt, wie er sich retten soll.

Da sitzt DER FREUND in hoher Eberesche
Und schießt ihm pfeiferauchend eine Bresche.

 

Aus: F. Eisenlohr, L. Hahnon und L. Rubiner – Kriminal-Sonette.
Erstmals erschienen 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig. Die Schöpfer waren Jugendfreunde, die das Manuskript gemeinsam in Paris verfassten.

 

In einer Nachbemerkung anlässlich der Neu-Ausgabe im Eulenspiegel Verlag Berlin, 1985, sprach Joachim Schreck vom „Reiz“ der Diskrepanz zwischen strenger Sonett-Form und parodierter Trivialität. Und: „Auch wenn hier mit Entsetzen Scherz getrieben wird, der grausige Humor suggeriert doch keineswegs Amoral. Vielmehr reflektiert er unbändige Spottlust angesichts alltäglicher Monstrosität. Jedermann, der Leselust aus dem Kriminal-Sujet zu ziehen vermag, ist eingeladen, an dem mit leichter Hand zubereiteten exzellenten Literaturspaß teilzuhaben.

 

Film ab

Wer sich allein vom Trailer des Films „Der Pinguin meines Lebens“ ins Kino locken lässt, erwartet womöglich eine flotte Komödie, und die erwartet er dann vergeblich. Obwohl es dem Streifen durchaus an schrägem britischen Humor nicht mangelt. Der darf von einem Regisseur wie Peter Cattaneo („Ganz oder gar nicht“, 1997) durchaus erwartet werden, wenngleich Cattaneo auch schon Grenzwertiges abgeliefert hat; etwa „Mrs. Taylor‘s Singing Club“ (siehe Blättchen 22/2020).
Cattaneos neuester Film ist vor allem einer über den Terror der faschistischen Militärdiktatur in Argentinien (1976 bis 1983), während der etwa 30.000 Menschen, tatsächliche oder vorgebliche politische Gegner, vom Militär verschleppt wurden und weitgehend spurlos verschwanden, und über die Atmosphäre allgegenwärtiger Angst, mit der Diktaturen üblicherweise die Gesellschaft in Schach halten.
Dabei stellt der Film die Brutalität und Grausamkeit der Gewaltherrschaft nicht durch schockierende Bilder, etwa von Folterszenen und willkürlichen Ermordungen, an den Pranger, sondern transportiert seine Charakterisierung des Regimes vor allem unterschwellig und dafür umso wirkungsvoller. In dieser Hinsicht erinnert „Der Pinguin meines Lebens“ an Constantin Costa-Gavras‘ „Missing“ (1982) über die chilenische Militärdiktatur (1973 bis 1990). Und das darf ohne Abstriche als Referenz verstanden werden.

„Der Pinguin meines Lebens“, Regie: Peter Cattaneo; derzeit in den Kinos.

Clemens Fischer

Der Dichter*, was spricht er?

Hitler ist durch die Wahlurnen an die Macht gekommen:

Man sollte das vor jeder Wahl in Erinnerung rufen.

Tomi Ungerer

 

Langweilig zu sein, ist in der Literatur

nur den Klassikern erlaubt.

Erwin Strittmatter

 

Wer nicht mehr liebt und nicht mehr hasst,

kann überall und nirgends leben.

Christa Wolf

 

Eine stillstehende Uhr hat doch täglich zweimal richtig gezeigt

und darf nach Jahren auf eine lange Reihe von Erfolgen blicken.

Marie von Ebner-Eschenbach

 

Mensch, unterscheide dir –

von’s Tier!

Friedrich Holländer

 

Ich habe Leute gekannt, die haben heimlich getrunken

und sind öffentlich besoffen gewesen.

Georg Christoph Lichtenberg

 

Liebe allein macht nicht glücklich.

Man muß auch dürfen und können.

Roda Roda

 

Eine kluge Frau weiß, wann Kritik sich abnutzt

und zum Nörgeln wird, auch wenn sie berechtigt ist.

Ruth Werner

 

Nicht immer ist die Länge eines Mannes

seine Größe.

Wolfgang Kohlhase

 

Die Lautesten sind nicht immer die Lautersten.

Willi Bredel

 

Die Einsicht in das Mögliche und Unmögliche ist es,

die den Helden vom Abenteurer unterscheidet.

Theodor Mommsen

 

Es ist bemerkenswert, daß durch die patriotischen Leidenschaften

der Verstand leidet, aber das Geschäftsinteresse nie.

Romain Rolland

 

Viel Rettungsmittel bietest du! Was heißt’s?
Die beste Rettung, Gegenwart des Geist’s!

Johann Wolfgang Goethe

 

Der goldene Mittelweg ist der einzige,

der nie zum Ziele führt.

Arnold Schönberg

cf

* – „Der Dichter“ in dieser Rubrik ist durchaus wörtlich, doch zugleich nicht minder als Metapher zu verstehen, denn es können auch Maler, Komponisten und andere originell denkende Künstler zu Wort kommen …

 

Aus anderen Quellen

Holger Friedrich, der Verleger der Berliner Zeitung „wollte wissen, wie in Moskau über die Ukraine, über den Westen gedacht und gesprochen wird. Wie Sanktionen vor Ort wirken und welchen Eindruck Drohungen westlicher Politiker machen“. Um mit Leuten vor Ort ins Gespräch zu kommen, hatte er „ich Freunde gebeten, Termine im Privaten, in der Wirtschaft, in der Kunst, bei Religionsvertretern und auch in der Politik sowie bei Medien anzufragen. 20 Termine kamen für diese Woche zusammen“. Friedrichs Fazit: „Selten sind meine Erwartungen in den letzten Jahren so übertroffen worden, selten in meinem Leben waren Eindrücke so eindringlich gewesen. Denn ich traf niemanden, der dem Krieg in der Ukraine gegenüber positiv eingestellt war, gleichzeitig fand ich niemanden, der die Positionen des Westens guthieß.“

Holger Friedrich: Blick hinter die Fassade, Berliner Zeitung, 17./18.05.2025. Zum Volltext hier klicken.

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Zum aktuellen konventionellen Kräfteverhältnis zwischen NATO-Europa und Russland äußert Sicherheitsexperte Wolfgang Richter, Ex-Bundeswehroberst, langjährig Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und aktuell Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP): „Die Zahl der russischen Kampfflugzeuge stagniert bei etwa 1200, die sich über den ganzen russischen Raum zwischen der Grenze zur Nato in Europa, der Ukraine, dem Kaukasus, Zentralasien und dem Pazifik verteilen. Ihnen stehen allein in Europa circa 2000 hochmoderne Kampfflugzeuge der NATO gegenüber.“

Thomas Sabin: Putins Rüstungsanstrengungen „reichen nicht aus, um sich mit der NATO anzulegen“, focus.de, 27.04.2025. Zum Volltext hier klicken.

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Die Plattform german-foreign-policy informiert: „Der Plan, sämtliche NATO-Mitglieder auf Militärausgaben in Höhe von fünf Prozent ihres BIP zu verpflichten, wird Berichten zufolge von NATO-Generalsekretär Mark Rutte forciert, seit er Ende April von Gesprächen in Washington zurückgekehrt ist. Zuvor habe er einen Betrag in Höhe von 3,5 Prozent des BIP favorisiert, habe sich damit aber bei US-Präsident Donald Trump nicht durchsetzen können, heißt es unter Berufung auf Insider.“

Das Fünf-Prozent-Ziel der NATO, german-foreign-policy, 14.05.2025. Zum Volltext hier klicken.

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„Nahezu unmittelbar nach der Zustimmung des Bundesrates zur Aufhebung der Schuldengrenze für Rüstungsausgaben“, vermerkt Christoph Marischka, „wandte sich Scherf [Gundbert Scherf, Geschäftsführer des, laut WirtschaftsWoche, führenden Anbieters für KI in der Rüstung – die Redaktion] mit dem Vorschlag an die Presse, an der ‚NATO-Ostflanke‘ einen ‚Drohnenwall‘ aufzubauen, der aus ‚zehntausende[n] Kampfdrohnen‘ bestehen solle. Er gab sich dabei optimistisch: ‚Dieser Drohnenwall ließe sich innerhalb eines Jahres errichten. Man braucht dazu Aufklärungssysteme, Satelliten und wahrscheinlich Aufklärungsdrohnen‘.

Christoph Marischka: Beispiel „Drohnenwall“, imi-online.de, 11.04.2025. Zum Volltext hier klicken.

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„Wie nicht zuletzt die Kriege in Syrien und der Ukraine belegen“, so Jürgen Rose, „entziehen sich all die politischen, ökonomischen, demographischen und ökologischen Probleme und Konflikte a priori einer Lösung mit militärischen Mitteln. Deshalb gilt es besonderes Augenmerk auf die traditionellen Stärken der Europäischen Union zu richten, nämlich geduldige Diplomatie, multilaterale Konfliktlösung, Stärkung der Vereinten Nationen, kurzum: mühsame Friedensarbeit. Unabdingbar hierfür ist die schnellstmögliche Rückkehr zu den ‚Prinzipien‘ der Entspannungspolitik. Die Verhältnisse heute sind anders als in den 1970er~Jahren, aber an den Prinzipien hat sich nichts verändert. Prinzipien bedeuten, dass man immer auch die Interessen der anderen Seite sehen muss. Man muss sich bemühen, herauszufinden, ob es gemeinsame Interessen gibt, und wenn es diese gibt, nach ihnen handeln.“

Jürgen Rose: Friedensmacht Europa, Ossietzky, 8/2025. Zum Volltext hier klicken.

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Johann Chapoutot rekapituliert, wie 1933 die nationalkonservativen Kräfte um Franz von Papen der NSDAP zur Macht verhalfen: „Auf Länderebene war es schon 1930 zur ersten Koalition mit der NSDAP gekommen: In Thüringen wurde Wilhelm Frick Minister für Inneres und Volksbildung. In Anhalt wurde Alfred Freyberg im Mai 1932 mit Hilfe der DNVP zum ersten NSDAP-Ministerpräsidenten gewählt; in Mecklenburg-Schwerin erreichte die NSDAP im Juli 1932 sogar die absolute Mehrheit und konnte allein regieren. Auf Reichsebene berief Präsident Hindenburg am 4. Juni 1932 von Papen zum Chef einer Minderheitenregierung, die den Wünschen der NSDAP auf fatale Weise entgegenkam. Auf Betreiben des neuen Reichswehrministers, General Kurt von Schleicher, löste Hindenburg den Reichstag auf und ließ zugleich das Verbot von SA und SS aufheben. Beide Entscheidungen erwiesen sich als katastrophal. Bei den Neuwahlen am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP stärkste Partei mit 37,4 Prozent der Stimmen, doppelt so viel wie bei den Wahlen vom September 1930.“
Johann Chapoutot: Die Totengräber von Weimar, monde-diplomatique.de, 10.04.2025. Zum Volltext hier klicken.

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.

Letzte Meldung

Unser Bundeskanzler hat ja ein Ziel vor den Augen, damit er auf dem Weg sich nicht irrt: Die Bundeswehr, so verkündete er in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 14. Mai 2025, soll „konventionell zur stärksten Armee Europas“ werden.

Und wer sich schon seit der mit 100 Milliarden Euro Sonderschulden garnierten Zeitenwende-Rede von Merz‘ Vorgänger Scholz im Februar 2022 überhaupt nicht mehr einkriegt, das sind die hiesigen Rüstungskonzerne. „Von Rekord zu Rekord: Die Rüstungsindustrie erreicht eine Auftragsflut“ titelte dieser Tage die FAZ und listete auf: „Der aus dem deutschen Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann und dem französischen Waffenhersteller Nexter hervorgegangene Rüstungskonzern KNDS kam zuletzt auf einen Rekordwert in seinem Auftragsbestand von 23,5 Milliarden Euro. Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) […] hat mit mehr als 16 Milliarden Euro einen ebenfalls so hohen Auftragsbestand für ihre U-Boote wie nie zuvor. […] Rheinmetall, der größte deutsche Waffenhersteller, hat seinen Auftragsbestand, den sogenannten Backlog, innerhalb eines Jahres um 58 Prozent steigern können.“

Und das geht so weiter: „Rheinmetall zeichnet ein Potential von Auftragseingängen in Höhe von 55 Milliarden Euro für dieses Jahr […].“ Konzernchef Armin Papperger jubiliert: „Wir bauen zehn Fabriken, aber ich sage, warum nicht auch 15 neue bauen, die Nachfrage ist da.“

Also – geht doch! Von wegen schwächelnde deutsche Wirtschaft …

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