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Wer will unter die Soldaten? von Bernhard Schindlbeck
Ein kleiner Harfenspieler sang / Er sang mit wahrem Gefühle / Und falscher Stimme, doch ward ich sehr / gerühret von seinem Spiele… Er sang das alte Entsagungslied, / Das Eiapopeia vom Himmel, / Womit man einlullt, wenn es greint, / Das Volk, den großen Lümmel.
Der lässt sich aber gerade nicht „einlullen“, sondern der erdreistet sich vielmehr, einen „Kriegsminister“ zu „lieben“, obwohl „der beliebte Pistorius (um den handelt es sich beim Kriegsminister – St. W.) nun die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen (will)“. Ja – da bleibt dem „kleinen Harfenspieler“ nur noch „mit wahrem Gefühle“ zu bedauern, dass „Es so wahr wie traurig (ist), dass Krieg (auch als bloße Möglichkeit) zu blinder Popularität führt“. (Zu) viele missverstehen den „Sänger“?
Was sind solche Sätze wie „Man ist nämlich einem Menschen der gleichen Nationalität nicht mehr schuldig als irgendeinem anderen Menschen auf der Welt. Wer das nicht einsehen will, disqualifiziert sich geistig selbst. Es gibt nur Menschen auf diesem Planeten, denen wir allen gleichermaßen verpflichtet sind. Die Nation ist kein Wert. Der Glaube an sie ist eine Form von Schwachsinn“ anderes als „Das Eiapopeia vom Himmel“?
„…das alte Entsagunglied“ wird hier zum „Verbotslied“: „Man muss jedem Menschen das Recht absprechen, freiwillig für eine Regierung Waffendienst zu leisten“. Woher nimmt sich der Autor das Recht – seine verqueren Logiken taugen nicht –, mündigen Staatsbürgern (die gibt es ja vielleicht auch nicht, sondern nur „planetare“ Menschen) „das Recht“ abzusprechen, Soldat zu werden? Oben geißelt der Autor noch die „paternalistische Einstellung von Regierenden“ gegenüber den Bürgern, um nun genau so zu verfahren…
Weiter: „Aber auch Patriotismus ist (zumal in diskursethischer Perspektive) eine niedere Gesinnung“. Um den Patriotismus-Begriff nicht zu verbieten, aber mindestens zu denunzieren, beruft sich der Autor auf die Habermassche Diskursethik, wonach – wenn man so will – Patriotismus als eine niedere Gesinnung gelten könnte, wenn, ja wenn man ihn bewusst auf eine exklusive Loyalität zu einer spezifischen Gemeinschaft oder Nation beschränkte und universale moralische Prinzipien vernachlässigte. Das muss man aber nicht! Man kann, ja sollte ihn fassen als Identifikation, innere Bindung an die kulturellen und geschichtlichen Werte und Leistungen des Volkes, in dem man lebt. Dieser Patriotismus ist im Kern inklusiv, respektvoll und basiert auf einem positiven Bezug zur eigenen Kultur, ohne andere herabzusetzen. Er anerkennt die Vielfalt innerhalb des Landes und den Respekt vor anderen Nationen. Er zeigt sich im Einsatz für die Gemeinschaft.
Der Autor zitiert Kant: „Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören“. Und schreibt weiter: „Nicht nur die Bundesregierung strebt das genaue Gegenteil an. Alle Regierungen verweigern sich Kants Vorschlag hartnäckig“. Warum strebt die Bundesregierung das Gegenteil an? Weil Krieg auch in Europa wieder zur Lösung geworden ist, was deutschen Regierungen – sieht man den Zustand der Bundeswehr an – wohl zu allerletzt vorzuwerfen ist.
Insgesamt ein überaus selbstverliebter sophistischer Text – rhetorisch geschickt, um zu beeindrucken, mit scheinbarer logischer Konsistenz; er argumentiert stark ad hominem. Alles in allem so in etwa: Natürlich sollte ich recht bekommen! Ich bin schließlich ein aufrichtiger Mensch mit besten Intensionen, und jeder, der mir nicht zustimmt, zeigt nur, dass er diese Wahrheiten nicht sehen will und „disqualifiziert sich geistig selbst“.
Der Polemiker Heine wird mir nachsehen, dass ich seine Verse abgewandelt verwendet habe.
Wohlan Kamerad Wohanka, Helm auf! Und ab zum Volkssturm, der jetzt Heimatschutz heißt!
Sehr geehrter Herr Stolte,
ich wollte Ihnen flapsig antworten – etwa so: Nur mit Ihnen, Seit an Seit schreitend…
Nun jedoch ausführlich, da mir das Thema zu wichtig erscheint, um es zu verballhornen.
Das Tötungsverbot muss die ethische Grundlage politischen Handelns bilden. Klar ist auch, dass Ethik nicht in die einzige Handlungsmoral zu übersetzen ist. Das tun nur Fundamentalisten; so wie der in Rede stehende Autor. Wer keinen fundamentalistischen Staat will, lässt die Politik entscheiden; besteht jedoch auf einem abgewogenen Urteil. Innerhalb des Politischen ist ein abstrakt-gesinnungsethischer Pazifismus handlungsunfähig.
Anders der bedingte oder politische Pazifismus. Er ist normengeleitet, ist sich seiner historischen Bedingtheit bewusst. Er will einen gerechten und nachhaltigen Frieden herzustellen. Dieser Pazifismus wendet sich nicht nur gegen falsche Feindbilder, sondern beansprucht auch, Antworten auf die Bedrohung selbst zu bieten. Die pazifistische Konsequenz der einen Zeit gibt nicht unbedingt plausible Antworten auf die Bedrohungen einer anderen.
„Nie wieder Krieg!“ ist die pazifistische Konsequenz aus Nationalsozialismus und Militarismus. Diese Haltung der Nachkriegszeit war ein epochaler Fortschritt; sie wurde zur Grundhaltung der Nachkriegsgenerationen. Die aus der jüngsten Geschichte herrührende Angst vor Deutschen verschwand; das deutsche Ansehen in der Welt wuchs aus militärischen Zurückhaltung und dem Selbstverständnis als eher ziviler Macht.
Dieser Nachkriegspazifismus gibt keine Antwort mehr auf heutige Fragen. Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass das pazifistische Postulat „Nie wieder Krieg“ an Grenzen gerät: Wer den abstrakten Antimilitarismus respektive Pazifismus retten wollte, muss das völkermörderische Treiben der russischen Aggressoren in der Ukraine hinnehmen. Wer dieses Treiben verhindern will, ja – was macht der? Wie jemand sagt: Aggressoren machen lassen, weil man weit genug weg ist, das? Ist nicht der Große Russischer Vaterländischer Krieg das Beispiel? Ohne militärischen Widerstand der SU wäre die NS-Expansionspolitik erfolgreich gewesen.
Warum habe ich die Passage über „Menschen auf der Welt…“ „Eiapopeia vom Himmel“ genannt? Weil es abstrakter Idealismus ist, ein „Über-die-Menschen-hinweg-Reden“, in dem Wirklichkeit und Idee weit auseinander klaffen und in dem keine innere Verbindung, keine Vermittlung von Wort und Inhalt mehr stattfindet; Wortgeklingel ist wichtiger als der Inhalt: Beispielsweise die Ablehnung der Nation als Wert macht die Nation zur kontingenten Konstruktion, die keine Gültigkeit beanspruchen kann, was wohl so nicht stimmt. Dieser Idealismus greift im Raume des vorher selbst idealisierten „Himmels“ blind um sich, um dann um so lauter zu propagieren, was er will, was nur er für richtig hält. Andersdenkenden „Schwachsinn“ vorzuwerfen, ist maßlos überheblich, qualifiziert diese ab, was mit dem gerade beschworenem hehren Menschenbild erheblich kollidiert.
Zum Patriotismus – dazu habe ich schon argumentiert. Mir will nicht einleuchten, dass in Zeiten, in denen die AfD im Aufwind ist, nicht deren Nationalismus, Chauvinismus und Fremdenhass mit Patriotismus begegnet werden müsste? Die AfDler marschieren missbräuchlich unter Schwarz-Rot-Gold; Farben, die auf dem Hambacher Fest 1832 viele mit sich trugen. Sie wurden zum Sinnbild für nationale Einheit und bürgerliche Freiheit und waren während der 48-Revolution nahezu allgegenwärtig, wurden zu Farben des Deutschen Bundes und später Weimars. Heute halten manche sich fortschrittlich gebende Schwachköpfe – hier halte ich die Qualifizierung für angebracht – diese Fahne für die des NS-Reiches und des Holocausts. Das macht mich wenigstens sprachlos – und die Denunziation des Patriotismus, wie der Autor sie vornimmt, leistet dem Vorschub.
Stephan Wohanka
PS: Las gerade: „Draußen protestieren Demonstranten mit Regenbogen-, SPD-, Linke- und Antifa-Flaggen“ gegen die AfD.
„Innerhalb des Politischen ist ein abstrakt-gesinnungsethischer Pazifismus handlungsunfähig.“ (steht in der Antwort auf Peter Stolte. Geht’s noch ’ne Etage tiefer? Als wäre der Sumpf des deutschen Bellizismus nicht schon groß und tief genug.
zu Wolfgang Ernst:
Werter Herr Ernst! Im Roman die Anspielung auf den Titel: „… und wenn erst mal das Kartoffelkraut brannte, dann war sie gekommen, unwiderruflich: die Zeit des abnehmenden Lichts“. Diese Zeitphase aber wechselt in dieser Logik wieder in die Zeit des zunehmenden Lichts, die anbricht, wenn sie anbricht – oder: wann immer Sie es nun für richtig halten.
Zu: Dieter Segert, Nicht nur eine Diktatur … (27. Jg., Nr. 25. 02.12.24)
Interessant wäre die Frage, weshalb eine Diktatur per se als schlecht oder ungerecht, eine Demokratie ebenso pauschal – im Vergleich zur Diktatur – als gut zu gelten habe. Vielleicht mögen Diktaturen – ähnlich der Tyrannis im alten Griechenland – für notwendige Veränderungen, die eine sklerotische Demokratie wie die unsere offenbar nicht mehr zu leisten vermag, sogar notwendig sein.
Selbstverständlich war die DDR eine Diktatur. Schon wer sie damals als „demokratische Republik“ ansehen wollte, war politisch mindesten kurzsichtig unterwegs. Nur hatte die DDR in Entstehung und Ausformung historische und systemische Kontexte, die allzu wenig aufgerufen werden; sie steht allzu verkürzt als pathologischer Fall ohne Anamnese da, dem man vorwirft, nicht zur Spontanheilung gefunden zu haben.
Der Einwand, die DDR wäre „mehr als eine Diktatur“ gewesen, vielmehr, „gelebtes Leben und empfundene Normalität“, ist unergiebig, passte er doch ebenso auf das Dritten Reich, das Südafrika der Apartheid und das Chile von 1973 ff. Das trifft so gleichfalls auf die Banalität zu, die DDR wäre „nicht allein durch das politische System charakterisiert“ gewesen, sondern, sophistisch ausgedrückt, als eine „spezifische Gesellschaft und Kultur“ aufzufassen. Das ist Nordkorea ja ebenso.
Dass sich die Systeme in den Siebzigern irgendwie geläutert wohlwollend für „einen friedlichen Wettbewerb miteinander entschieden“ hätten, dürfte uns DDRlern während einer Phase der Scheinstabilität trügerisch nur so erschienen sein. Die außenwirtschaftlichen Bedingungen wurde jedoch Richtung Achtziger immens schwierig, und die UdSSR dürfte auch wirtschaftlich mehr Last als Hilfe gewesen sein.
Für Interessenten noch eine Notiz von mir:
http://www.landtag-mv.de/fileadmin/media/Dokumente/Ausschuesse/Wissenschafts-_und_Europaausschuss/Anhoerungen/Stn_Heino_Bosselmann.pdf
In Nachrufen zum Tode des Philosophen Peter Ruben werden dessen Bemerkungen zu ökonomischen Fragen, wenn überhaupt, nur beifällig erwähnt. Und das mit gutem Grund. Besonders, wenn Ruben Streifzüge durch das ihm fremde Gebiet der Politischen Ökonomie unternimmt, scheitert er an sich selbst. Anfang der 1980er Jahre veröffentlichten er und der Ökonom Hans Wagner einen Artikel über die Wertformen, mit denen Marx logisch-historisch erklärt, woher das Geld kommt und wie es entsteht. Darin vertraten sie eine Auffassung, die von der offiziellen politökonomischen Lesart abwich. Die SED-Oberen inszenierten, wie in ähnlichen Fällen typisch, einen völlig überzogenen politischen Feldzug gegen die beiden „Revisionisten“. Auch wenn man die unnötige Kampagne bedauern muss, bedeutet sie nicht, dass die inhaltlichen Argumente gegen Rubens und Wagners Darstellung des Problems falsch gewesen wären. Rubens und Wagners Fehler war, die Kategorie der abstrakten Arbeit auf ihren physiologisch-anthropologischen Gehalt zu reduzieren, auf die Verausgabung von Muskel, Nerv, Hirn und Hand. So konnten sie behaupten, dass der Wert unabhängig von jeglicher Warenproduktion existiere. Sie übersahen, dass die abstrakte Arbeit neben ihrer biologisch-natürlichen Grundlage einen gesellschaftlich-historischen Inhalt besitzt: Die physiologische Gemeinsamkeit der unterschiedlichsten menschlichen Arbeiten wird erst zur ökonomischen Kategorie der abstrakten Arbeit, wo die Menschen die Produkte als Waren, also für den Tausch, produzieren. Die abstrakte Arbeit ist eine physiologische und eine historisch-gesellschaftliche Kategorie. Ruben behauptet ferner, Marx hätte nicht klar zwischen dem Wert und dem Tauschwert unterschieden – eine abwegige Behauptung. Ruben ignoriert die Geldform des Werts als die vierte Wertform und gehörte „zu den Exegeten, die glauben, Marx nicht nur besser als er sich selbst verstehen zu können, sondern die ihr eigenes (Miss-) Verständnis dem interpretierten Autor unterstellen und diesen dann – aufgrund dieser Unterstellungen – kritisieren und berichtigen.“ Georg Quaas kommt zu dem Schluss, dass „weder Rubens Darstellung der Wertformen noch sein Wertbegriff etwas mit der Arbeitswerttheorie zu tun haben“. (Georg Quaas, Wertform-Analyse und Zeitmessung. Peter Rubens Messtheorie reloaded, Metropolis-Verlag Marburg 2023, S. 151-154)
Ruben hat sich in späteren Jahren vom Marxismus-Leninismus abgewandt. Seine Hinwendung zur bürgerlichen politischen Ökonomie legt gravierende ökonomische Schwächen bloß. Ruben missversteht den Wert als das Produkt aus Preis und Menge; er findet es kurios, dass ein Zeitmaß als Wertmaß gelten soll und nennt es völlig unbegreiflich, dass die marxsche Formel W = c + v + m (Wert ist gleich konstantes Kapital plus variables Kapital plus Mehrwert) in einen Ausdruck für Arbeitszeit verwandelt werden kann. Die abstrusen Äußerungen bestätigen nicht nur Quaas‘ Auffassung, dass Rubens Interpretation des Wertes nichts mit dem Marxschen Arbeitswertbegriff zu tun hat, sondern erwecken den Verdacht, Ruben könnte womöglich die Arbeitswerttheorie gar nicht verstanden haben. Schreibt er, sich auf Schumpeter beziehend, „der Streit zwischen Vertretern der Arbeitswertlehre und der subjektiven Nutzenlehre (sei) völlig überflüssig, (weil) der Arbeitswert der klassischen englischen Nationalökonomie mit dem Wert der subjektiven Wertlehre der Wiener Schule völlig übereinstimmt“, wird aus der Vermutung Gewissheit: Peter Ruben kann weder die Arbeitswerttheorie noch die Grenznutzentheorie verstanden haben. Andernfalls nicht die haarsträubende Gleichsetzung zweier Theorien, die gegensätzlicher nicht sein können. „Peter Ruben hat einen Schatz sozialtheoretischer Überlegungen und Konzepte hinterlassen, die für weitere Überlegungen einer progressiven Zukunft Grundlagen liefert“, schreibt Erhard Crome. Das mag zutreffend sein. Andererseits steht fest, dass Ruben, obgleich darum bemüht, keinen Beitrag zur ökonomischen Theorie zu leisten vermochte.
Lichtzuteilungen
Eugen Ruges wunderbarer Romantitel „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ mag Waldemar Landsberger angeregt haben, warum auch nicht. Doch der 23. Februar wird sich bereits in der anderen Zeitphase befinden, in den Zeiten des zunehmenden Lichts. Nach dem dunklen Loch um die Weihnachtszeit kehrt auf die Nordhalbkugel so ab 27. Dezember Schritt für Schritt das Licht zurück, wir neigen uns wieder der anderen Richtung zu. Am 23. Februar ist es für gewöhnlich in unseren mitteleuropäischen Breiten bereits wieder recht hell, die Mittagssonne steht ganz anders am Horizont als jetzt. Warum also sollte es 2025 wegen einer Bundestagswahl anders kommen? Das erschließt sich dem geneigten Leser nicht.
Wenn ich mich dunkel an den Ruge-Text erinnere, ging es nicht darum, dass die Tage im Februar länger sind als zur Wintersonnenwende. Von einer Bundestagswahl Erleuchtung zu erwarten, dürfte jedoch dem Glauben an die Leibhaftigkeit des Weihnachtsmannes entsprechen.
Es gibt eine Ergänzung zu Erhard Cromes Nachruf auf Peter Ruben in Heft 23 des „Blättchens“: Klaus Müller schreibt über „Peter Ruben und die Ökonomie“, in: Ossietzky Nr. 24, 30. November 2024, S. 757-758.
Der Hinweis ist ja nett gemeint. Aber der Test ist im Internet nicht zu finden. Lesehinweise sind hier nur dann hilfreich, wenn die es sich um öffentlich zugängliche Quellen handelt.
AfD und Bauhaus
Der Kulturkampf ist eröffnet! In Zeiten knapper Kassen werden die Mittel für Einrichtungen und Projekte, die der kulturellen und politischen Bildung dienen, massiv gekürzt. Zur gleichen Zeit eröffnet die AfD mit der Anfrage zum Bauhaus (AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt zum geplanten Bauhaus-Jubiläum) einen Kampf gegen diesen Teil der Moderne, bei dem es nicht bleiben wird. Literatur, Kunst, Musik werden folgen. Die heutige Argumentation ähnelt der der Nazis, aber auch der Ablehnung der Ideen des Bauhauses in den frühen Jahren der DDR. Die Bauten der Berliner Stalin-Allee (jetzt Frankfurter Allee) zeugen davon. Renommierte Institutionen finden heute und hier prominente und einflussreiche Verteidiger gegen diese Tendenzen. Was aber macht der Leiter eines städtischen Museums im Land Brandenburg, der zum 80. Jahrestag des Kriegsendes Projekte plante, mit denen er Geschichtsrevisionisten und Verschwörungsschwurblern begegnen wollte und dem jetzt 50 Prozent Etatkürzung ins Haus steht? Es kann nur heißen: Wehret den Anfängen.
Dr. Karl Klaus Walther
Ergänzend zu dem Aritkel von Erhard Crome „Völkerrechtsbruch in Rostock“ sei auf das Kuriosum hingewiesen, dass die Regierung die ARD Berichterstattung, die die Ankündigung des Verteidigungsministeriums vom 15. Oktober eines „neuen taktischen Hauptquartiers für die NATO in Rostock“ zitiert, nachträglich stlillschwiegend ändern lässt:
https://norberthaering.de/propaganda-zensur/tagesschau-nato-rostock/
Das deutet darauf hin, dass die Regierung die Einschätzung von Erhard Crome teilt, was vermutlcih nicht oft vorkommt ;-). Auch wenn der NDR zur Sicherheit in einem sogenannten „Faktencheck“ einen „Experten für maritime Sicherheit und Strategie“ zitiert, der meint, das Verbot der Stationierung ausländischer Streitkräfte habe nur bis 1994 gegolten und man habe sich an den von E. Crome zitierten Passus des Vertrags nur gehalten „aus Rücksicht auf Russland“ und das in Art. 5(3) formulierte Verbot sei „rechtlich […] nach 30 Jahren nicht mehr bindend.“:
https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Maritimes-Hauptquartier-in-Rostock-Experten-weisen-Kritik-aus-Russland-zurueck,russischepropaganda102.html
Ich habe das von Ulrich Busch rezensierte Buch „Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk nicht gelesen, kann mir aber den Tenor gut vorstellen, da ich im „Freitag“ und im „Spiegel“ ausgiebige Interviews mit dem Autor gelesen habe, der mir als eine Art Kreuzritter im Kampf gegen das allgegenwärtige Böse in Gestalt der Rechten und hauptsächlich der Linken sowie retrospektiv gegen das ostdeutschen Reich der Finsternis erscheint. Wo er allerdings auch aus meiner Sicht vollkommen richtig liegt, ist die Beurteilung, dass es einer überwiegenden Mehrzahl der Menschen in der DDR in der Wende-Zeit vor allem um die D-Mark, die besseren Konsummöglichkeiten, Reisefreiheit und insgesamt also materielle Dinge ging und nicht so sehr um die unterstellten Motive von Freiheit und Demokratie. (Wie man dies nun bewertet, mag dahingestellt sein; eine moralisierende Haltung ist vielleicht unangemessen.) Diese Erkenntnis ist nun aber gar nicht neu, und ich bin immer wieder verwundert, dass sie nach 35 Jahren immer noch nicht Allgemeingut geworden ist. Soll sie vermutlich aber auch nicht, denn es sind ja Demokratie und Freiheit, die wir alle so wehrhaft zu verteidigen aufgerufen sind. Materielle Erwägungen könnten da leicht zu Defätismus führen.
Täuschen Sie sich nicht, werter Lars Niemann. Es begann auch in der DDR nicht mit dem Wunsch, nun ein schickes Auto aus dem Westen heimführen zu können. Die revolutionäre Erschütterung des Landes begann 1989 in Leipzig ab Anfang September mit dem Ruf mutiger Frauen und Männer nach Meinungs-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Wie anders wollten Sie den Nachgeborenen den trotzig-herausfordernden Spruch erklären: „Wir bleiben hier!“?
Horst Poldrack schreibt: „All das erinnert fatal an das Jahr 1953, als in der DDR unzufriedene Arbeiter gegen schlechte Lebensverhältnisse und angekündigte Normerhöhungen protestierten.“ Nun hinken solche hergeholten Vergleiche ohnehin oft genug, doch sei hier schelmisch angefügt: Die DDR 1953 war bekanntlich ein Land mit entfaltetem politischen Pluralismus, mit freien Medien, mit funktionierender Versammlungs-, Organisations- und Meinungsfreiheit, mit Gewaltenteilung, mit Gewerkschaftsfreiheit sowieso. Aus dem Land liefen die Leute nicht in westliche Richtung weg, sie kamen vielmehr aus allen Himmelsrichtungen in selbiges hinein, da sie sich auf die oben aufgezählten Dinge verlassen konnten. Einige Jahre später wurde sogar eine Mauer errichtet, weil die Zahl der von außen in das Land strömenden Menschen die Einheimischen zu überfordern schien. Völlig verständlich also, das Jahr 1953 in der DDR zu bemühen, wenn Zustände anno 2024 in Deutschland kritisiert werden sollen.
Frage an Erhard Crome: Welche ausländischen Streitkräfte werden in Rostock stationiert oder dorthin verlegt? Das nun eingeweihte regionale Nato-Hauptquartier für den Ostseeraum wird in Friedenszeiten 180 Dienststellen haben, davon 60, die multinational besetzt werden können. Sind diese Dienststellen, die also nicht mit deutschen Staatsbürgern besetzt werden, für den Autor jene „ausländischen Streitkräfte“ im Sinne des „Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ von 1990? Sollten also gleich vier Unterzeichner (Bundesrepublik, USA, England, Frankreich) den Vertrag gebrochen haben? Meines Erachtens widerspricht die Einrichtung der Nato-Kommandostruktur in Rostock nicht den Bestimmungen aus Zwei-plus-Vier, denn bei den im Vertrag angeführten Streitkräften, die nicht auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiert werden dürfen, sind offensichtlich Kampfeinheiten gemeint, von Dienststellen ist dort ausdrücklich keine Rede.
In der Ausgabe vom 7.Oktober setzen sich Maritta Tkalec und Stephan Wohanka mit den unleugbaren Unterschieden im „kollektiven Verhalten“ von West- und Ostdeutschen auseinander und spüren ihren historischen Wurzeln nach, die eine mit ganz weiter historischer Perspektive, der andere mit dem Fokus auf der Zeit der vierzigjährigen staatlichen Teilung. Ich halte die beiden Artikel in gewisser Weise für komplementär, auch wenn im „Forum“ zu Recht angemerkt wurde, dass die DDR nicht identisch mit „Ostelbien“ war (und in der Tat sind Thüringen und Sachsen kulturell dem süddeutschen Raum ähnlicher als dass sie etwas Brandenburg oder Mecklenburg verwandt wären). Jedenfalls teile ich unbedingt das Gefühl, dass in der Alltagskultur in den ostdeutschen Bundesländern, politisch wohl eher unbeabsichtigt, mehr vom „alten Deutschland“ überdauert hat oder bewahrt wurde (je nach Blickwinkel, und ob man das nun gut oder schlecht findet). Vielleicht hat das tatsächlich mit ganz weit zurückreichenden historischen Prägungen zu tun (Tkalec), ganz bestimmt aber mit drei Faktoren aus den letzten Jahrzehnten. Nämlich mit dem im Vergleich zum amerikanischen sehr viel geringeren kulturellen Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht, mit der forcierten Westbindung in der Bundesrepublik und, vielleicht am wichtigsten, mit dem im Osten eben ausgebliebenen Modernisierungsschub durch die „68er“. In den westlichen Bundesländern findet man dieses „Altdeutschland“ nur noch vereinzelt, am ehesten noch in ländlichen Regionen vor allem des ehemaligen „Zonenrandgebietes“. Warum solche Entdeckungen aber zunehmend als durchaus positiv wahrgenommen werden, hängt vermutlich mit der Überforderung durch die rasante technologische Entwicklung, durch Globalisierung und Digitalisierung zusammen, und der Beobachtung einer zunehmenden Vereinheitlichung im Erscheinungsbild der Städte und Dörfer auch im internationalen Maßstab durch die als „westlich“ wahrgenommene Moderne. Das das nicht allen Menschen gefällt, kann ich gut verstehen.
Sie schreiben: „Ich halte die beiden Artikel in gewisser Weise für komplementär, auch wenn im ´Forum´ zu Recht angemerkt wurde, dass die DDR nicht identisch mit ´Ostelbien´ war (und in der Tat sind Thüringen und Sachsen kulturell dem süddeutschen Raum ähnlicher als dass sie etwas Brandenburg oder Mecklenburg verwandt wären)“.
Die DDR war tatsächlich nicht identisch mit „Ostelbien“. Deshalb sprechen Historiker in dem hier verhandelten Zusammenhang auch von einer „Elbe-Saale-Grenze“, die dann doch etwas „mehr“ DDR einschlösse.
Was Thüringen und Sachsen angeht und ihre kulturelle Nähe zum süddeutschen Raum, muss man – denke ich – in Rechnung stellen, dass beide Länder in der Reformation als der widerständigen Loslösung vom papistischen Rom eine wichtige Rolle spielten. Die protestantische Nüchternheit kontrastiert doch erheblich mit dem opulent-barocken „papistischen“ Süden. Und es liegt im Wort „Protestantismus“ – zu dessen Wesen gehört der Protest. Wenn dem Osten generell Protest unterstellt wird, ist die Reformation unbedingt den „historischen Wurzeln“ zuzuordnen.
Wer sich mit Ostmitteleuropa vor 1989 befasst hat, weiß, dass SED, PVAP und USAP unterschiedliche politische Konzeptionen und politische Ansätze verfolgt hatten. Abgesehen davon, dass Ulbricht Gomulka und Kádár für Revisionisten hielt, was er ihnen auch offen sagte, und die sich wiederum verbaten. Honecker hatte dann die ideologische Komponente realpolitisch aus den Beziehungen herausgenommen, hielt den „Sozialismus in den Farben der DDR“ aber doch für den besten.
In der Wendezeit hatten in Polen und in Ungarn innerhalb der Partei die „Reformer“ das Übergewicht gewonnen und konstituierten die frühere Staatspartei als „Sozialistische Partei“ neu. Beide traten auch der europäischen Sozialdemokratie bei. In der Tschechoslowakei war das anders, vor allem wg. 1968: diejenigen, die Dubcek unterstützt hatten, trugen nach 89 die Sozialdemokraten; die in der KP geblieben waren, waren dann die KSCM.
In der DDR hatten die die neugegründete SPD tragenden Pfarrer 1990 durchgesetzt, dass ehemalige SED-Menschen nicht in die SPD durften. Deshalb haben die Sozialdemokraten seither immer zu wenig Mitglieder im Osten. Und die PDS versuchte sich als nicht-sozialdemokratische Sozialistische Partei neuen Typs. Gescheitert sind am Ende alle vier. Aber die Unterschiedlichkeit der Parteien hat Wurzeln bereits in den 1950er Jahren.
Zum Artikel „Schiffbruch“ von Jan Opal:
Ich finde diese Analyse aus zwei Gründen sehr interessant, auch wenn ich nicht weiß, ob meine Interpretation die vom Autor beabsichtigte ist. Zum einen wird am Beispiel der jeweiligen politischen Linken deutlich gemacht, wie so ganz unterschiedlich die Entwicklung in drei Ländern, Ostdeutschland, Polen und der tschechischen Republik (ein Blick auf die Slowakei hätte noch eine Facette hinzugefügt, nehme ich an) nach dem Kollaps des Realsozialismus verlaufen ist, so dass von den bis dato vorhandenen Gemeinsamkeiten und vielleicht auch einer gewissen (Schicksals)verbundenheit im Grunde nichts mehr übrig geblieben ist, trotz enger wirtschaftlicher Verflechtung und offener Grenzen. Zum anderen wird klar, dass der Begriff „links“ inzwischen (aber vielleicht war das in Wirklichkeit schon immer der Fall) so dehnbar ist, dass er im Grunde seinen Sinn verloren hat, da jede und jeder darunter offenbar etwas anderes versteht. Die Mitteilung, dass nicht nur der EU-Beitritt Polens, was ja noch verständlich sein mag, sondern auch der zur NATO von den polnischen Linken als (ihre? ernsthaft?) größte Errungenschaft betrachtet wird, überrascht und ist dann wohl eher der polnischen Geschichte geschuldet. Eine daher nachvollziehbare Bestrebung, aber was daran „links“ sein soll, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen. Umgekehrt sieht Jan Opal im Wahlergebnis vom 22.September in Brandenburg nur den Niedergang der Partei „Die Linke“, während es ja augenscheinlich so ist, dass ein bestimmtes, in gewisser Weise „idealistisches“ Verständnis linker Politik abgewählt worden ist, während ein anderes, stärker „materialistisch“ ausgerichtetes große Zustimmung gefunden hat, unter anderem wohl auch bei einer Mehrheit der bisherigen Wählerinnen und Wähler der Linken. Das man in dieser Konstellation keine gemeinsamen politischen Aktivitäten der Parteien des linken Spektrums in den drei Ländern erwarten kann, liegt auf der Hand…
Zum Artikel von Arthur G. Pym Vatikanisches Panoptikum
Gegenwärtig beschäftigt sich ein in der ARTE Mediathek verfügbarer Film unter dem Titel ‚Papst Pius II. und der Holocaust‘ mit der Auswertung von Geheimdokumenten aus den vatikanischen Archiven durch den Historiker David I. Kertzer. Einige der im Blättchen-Artikel behandelten Ereignisse werden erneut aufgegriffen und durch Dokumente belegt. Darüber hinaus wird das Schweigen des Papstes zu den Verbrechen der Naziherrscher mit dem ausgehandelten Deal mit der Naziführung für die Nichtverfolgung und Bestrafung kirchlicher Amtspersonen im Falle von Kindesmissbrauch in Zusammenhang gebracht. Eine schmutzige Hand wäscht die andere. Der Zuschauer erfährt in diesem Film16, dass Fälle sexualisierter Gewalt gegen Schutzbefohlene in der katholischen Kirche kein singuläres Ereignis der Neuzeit sind, sondern es eine gewisse jahrzehntelange Tradition der Strafbegehung und anschließenden Vertuschung besteht.
In diesem Zusammenhang ein Hinweis auf meine Besprechung zu dem Buch von Kertzer im Heft 9/2023.
https://das-blaettchen.de/2023/04/der-schweigende-papst-65590.html
jh
Zum Artikel von Maritta Tkalec
Der Versuch, aktuelle Unterschiede zwischen Ost und West geografisch und historisch begründen zu wollen, ist zweifelsohne bedenkenswert. Der Elbverlauf taugt dafür aber nur bedingt. Die Elbe war bis 1990 ein Fluss, der mitten durch die DDR floss. Er markierte aber nur auf einer Länge von 94 km die deutsch-deutsche Staatsgrenze von insgesamt 1.400 km. Beinahe die Hälfte des Territoriums und mehr als die Hälfte der Bevölkerung der DDR befanden sich westlich der Elbe. Dies gilt auch für die Gegenwart, wo mit rund sieben Millionen Menschen mehr als die Hälfte der Ostdeutschen (ohne Berlin) westlich der Elbe und entsprechend weniger östlich davon zu Hause sind. Die im westdeutschen Sprachgebrauch spätestens seit Konrad Adenauer übliche Gleichsetzung des Elbverlaufs mit der einstigen Staatsgrenze ist also nicht korrekt. Noch weniger die Behauptung, hinter der Elbe begänne die „asiatische Steppe“ und hinter Kassel „die Walachei“. Indem bestimmte historische Besonderheiten der ostelbischen Wirtschaft und Strukturschwäche auf die Länder Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt übertragen werden, entsteht ein schiefes Bild des Ostens als einer traditionell und insgesamt rückständigen und strukturschwachen Region. Dies mag vor 1000 Jahren so gewesen sein, vor 100 oder 50 Jahren aber traf es nicht zu. Und auch heute ist die Lage deutlich differenzierter.
Ulrich Busch
Zum Kommentar von Jan Opal:
Die AfD-Wahlplakate sind meiner Meinung nach Ausdruck ihres Hauptanliegens, die Migration zu stoppen und möglichst umzukehren, weil sie ja angeblich das Wurzel allen Übels wäre. Mit dieser Simplifizierung, und überhaupt mit der AfD, muss man sich natürlich politisch auseinandersetzen. Eine Forderung nach Schließung der deutsch-polnischen Grenze kann ich darin aber nicht erkennen. Reisefreiheit ist ein hohes Gut und muss verteidigt werden, aber ich würde es persönlich nicht als Zumutung betrachten, an den Staatsgrenzen den Ausweis vorzuzeigen. Ich hatte auch schon immer das Gefühl, dass „Schengen“ nicht so sehr als Erleichterung für die Reisenden gedacht war, sondern in erster Linie dem freien Güterverkehr per LKW dienen sollte, den ich mir aus verschiedenen Gründen schon stärker überwacht, reguliert und letzten Endes eingeschränkt wünschen würde.
Zu Brandenburg
Erschrocken sah der Besucher letzte Woche in Frankfurt (Oder) die Wahlplakate der AfD: „Wir schützen euch!“ und „Asyl-Industrie stillegen“. Der Ruf nach fester Passkontrolle und Beseitigung von Schengen könnte gar nicht deutlicher sein. Immerhin haben am zurückliegenden Sonntag knapp 40 Prozent der wählenden Menschen im Alter von unter 35 Jahren dieser Anti-EU-Partei die Stimme gegeben – in einem Bundesland, in dem der freie Grenzverkehr mit dem Nachbarland Polen seit vielen Jahren gelebter Alltag ist. Die Frage ist, warum keine der anderen Parteien in diesem Bundesland kurz und bündig plakatiert hatte: „Schengen bleibt!“.
Jan Opal, Gniezno
Zu: Ein General wirft Fragen auf von Petra Erler
Frau Erler schreibt: „Zu meiner unmittelbaren Reaktion auf das Gelesene gehörte die Frage, ob unser Land nicht in größerer Sicherheit wäre, wenn wir uns umgehend der Neutralität verschreiben würden. Vads Beschreibung des erbärmlichen Zustands der Bundeswehr und im weiteren Sinn der EU-Nato waren schlicht zu deprimierend, als dass ich glaubte, das könnte sich in naher oder mittlerer Zukunft wesentlich ändern“.
Günter Verheugen und Frau Erler sind Autoren des Buches „Der lange Weg zum Krieg. Russland, die Ukraine und der Westen – Eskalation statt Entspannung“. In der Werbung einer Buchhandelskette für das Buch heißt es: „… beziehen erstmals zwei ausgewiesene außenpolitische Experten Stellung – und sie legen eine fulminante Anklage vor…“.
Was meint Frau Erler mit „Neutralität“ für Deutschland? Handelte es sich dabei lediglich um eine Arabeske auf dem Hintergrund „des erbärmlichen Zustands der Bundeswehr“? Dann wäre dies lediglich ein kritikwürdiges Gedankenspiel – vieles spräche dagegen: Deutschland ist in der NATO; die Mitgliedschaft basiert auf dem Prinzip der kollektiven Verteidigung. Ein dann zu vollziehender Austritt wäre ein drastischer Schritt und würde Deutschlands Sicherheitslage grundlegend verändern. Deutschland spielt darüber hinaus auch eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ein neutraler Status könnte die Verpflichtungen gegenüber der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU erschweren. Damit schwächte sich Deutschlands geopolitische Situation: Seine Lage in Mitteleuropa macht es zu einem geopolitisch zentralen Staat, insbesondere in Bezug auf Russland, USA, China und den Nahen Osten. Neutralität könnte die Beziehungen zu diesen Mächten belasten und Deutschlands strategische Rolle in der Welt unterminieren. Als eine der führenden Wirtschaftsmächte der Welt hat Deutschland enge Handelsbeziehungen zu vielen Ländern. Eine neutrale Haltung könnte auch wirtschaftliche und diplomatische Konsequenzen haben, da es oft schwierig ist, in geopolitischen Konflikten völlig neutral zu bleiben, insbesondere in Krisensituationen, in denen andere Länder auf Unterstützung angewiesen sind. Darüber hinaus ist Deutschland Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen, darunter die UNO, deren Sicherheitsrat militärische Einsätze genehmigen kann. Eine neutrale Haltung könnte die Möglichkeiten Deutschlands einschränken, aktiv an globalen Friedenssicherungsmissionen teilzunehmen.
Sollte Frau Erler „Neutralität“ dagegen als eine realistische politische Option begreifen, nährte sie Zweifel anderer Art – nämlich die gewisser Unkenntnis. Zum einen träfe natürlich eben Ausgeführtes desgleichen zu; darüber hinaus jedoch wäre das Kokettieren mit dem „erbärmlichen Zustand der Bundeswehr“ fragwürdig, ja hinfällig. Mit anderen Worten – Deutschland brachte dann eine „wehrtüchtige“ Bundeswehr! Im völkerrechtlichen Sinne wird Neutralität heute vor allem militärisch definiert: Neutral ist, wer keiner offensiv kriegführenden Kriegspartei oder keinem militärischen Bündnis angehört. Ein Verteidigungskrieg ist einem neutralen Land aber erlaubt, in gewissen Fällen ist es sogar dazu verpflichtet. Um seine Unparteilichkeit gegen Übergriffe zu schützen, erwächst dem Land grundsätzlich die Pflicht, seine Selbstverteidigung in Friedenszeiten vorzubereiten. Und ja – Deutschland sollte dann „unangreifbar sein“.
Stephan Wohanka schreibt „Ein neutraler Status [Deutschlands] könnte die Verpflichtungen gegenüber der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU erschweren.“ Mir ist nicht bekannt, dass etwa Österreich oder die Schweiz, auch oder gerade weil es kleinere Länder sind, ihren internationalen Verpflichtungen nicht nachkämen. Statt dessen sind sie in der Lage, sich keinem US-Diktat beugen zu müssen. Nirgendwo in Europa lebt man sicherer als in der Schweiz, selbst in Grönland hocken die Amerikaner mit ihren Angriffswaffen. Aber vielleicht möchte Herr Wohanka ja gern kämpfen …
Lieber Herr Nachtmann,
ich will gar nicht kämpfen; wenigstens nicht in dem Sinne, den Sie unterstellen…
Der von Ihnen monierte Satz greift auf, was geschähe, wenn Deutschland neutral würde; also die Einbindung in die Strukturen der NATO und auch in die Sicherheitsarchitektur der EU aufgäbe. Dass es beim Ausscheiden aus bisherigen Bindungen Schwierigkeiten geben könnte, liegt ja wohl auf der Hand; zumal, wenn man das größte Land der EU ist und im Zentrum Europas liegt. Und dass die früheren Partner einem solchen Land dann zukünftig mit einem gewissen Misstrauen begegneten, liegt desgleichen auf der Hand. Der Vergleich mit der Schweiz oder Österreich ist dann wohl einigermaßen daneben.
Und es ist doch immer wieder schön zu lesen – da hocken die Amerikaner mit ihren „Angriffswaffen“. Momentan dienen diese im Gegensatz zu Waffen anderer Länder als Verteidigungswaffen.
Stephan Wohanka
Sehr geehrter Herr Crome
in Ihrem Artikel (Heft 19) stellen Sie fest Wahlen seien das „Hochamt der Demokratie“. Als gewesener Katholik werde ich bei solchen Metaphern misstrauisch.
Sicher soll man nicht bei jeder Gelegenheit Nazi Analogien bemühen, aber würden Sie die Reichstagswahlen von 1933 auch als „Hochamt“ bezeichnen?
Ein Aphorismus von Karl Kraus passt hier besser: hinter dem Ideal ist das Übel am besten verborgen.
Die Wähler sind mit der Politik der Ampel und der Landesregierungen unzufrieden. Nun ja, und womit genau? Und was wird die AFD besser machen? Was hat sie anzubieten außer Ankündigungen wie: 20-30% der Bevölkerung sollen deportiert werden, wozu es „charmanter Grausamkeit“ ( Zitat Björn Höcke) bedürfe?
Manche Äußerungen ostdeutscher Kommentatoren lassen vermuten, dass sie Schadenfreude empfinden : endlich hat die Ampel oder haben die Wessis mal einen Denkzettel bekommen .
Überhaupt beschäftigen Sie sich nicht mit den Zielen der AFD, soweit sie sich darüber überhaupt einig ist.
Sind die Äußerungen von Mandatsträgern und Funktionären der AFD für Sie so wenig beunruhigend, das Sie sie mit Hinweis abtun, dass sei nun mal der Wille der Wähler?
Abschließend noch eine Frage: wird die AFD trotz völkischer, rassistischer und offen antidemokratischer Aussagen gewählt oder vielleicht gerade deswegen? Was meinen Sie?
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Reis
@ Wohanka (in der akt. Ausgabe 18).
Die Vorstellung des „gerechten Krieges“ ist älter, als hier erscheint. Dazu ein Selbstzitat:
„Besonders in Zeiten des Krieges ist auch der Intellektuelle gefragt als Patriot. Und es paßt zusammen: Francis Fukuyama hatte nach dem Scheitern des Kommunismus das „Ende der Geschichte“ ausgerufen, Samuel P. Huntington anschließend den kommenden „Kampf der Kulturen“. Jetzt haben sie gemeinsam mit 56 anderen US-amerikanischen Intellektuellen einen Aufruf für den „gerechten Krieg“ unterschrieben. Damit rundet sich das Bild: die Geschichte also ist zu sich selbst gekommen in Gestalt der weltführenden Rolle der USA, dies abschließend durchzukämpfen sei ein Kampf gegen andere Kulturmuster menschlicher Geschichte – wem der amerikanische Weg nicht paßt, wird aus dem Weg geräumt – und dies wiederum ein „gerechter“ Krieg.
Welch ein Wort! Schon Perikles hatte seine Athener (im 5. Jhd. v.Chr.) zum Kriege gerufen mit der Erklärung, sie hätten ihre schöne demokratische Ordnung gegen das perfide, diktatorische Sparta zu verteidigen. Im Grunde aber ging es um Einflußzonen und Handelsrechte. Rom führte in seinem Selbstverständnis ausschließlich „gerechte Kriege“, war es doch kraft seiner imperialen Natur, die sich stets als der Hort der Kultur verstand, der gegen „die Barbaren“ zu verteidigen war, räumlich unbegrenzt, auf den Erdkreis gerichtet. Der heilige Augustinus und andere Kirchenväter versuchten dann, dem eine religiöse Grundierung zu geben, Kriege sollten an moralische Kriterien gebunden sein. Daraus wurde auch bei der Christenheit aber bald der „gerechte Krieg“ der christlichen Herren gegen die Ungläubigen, Anderen, Barbaren, jene, die anderen Kulturmustern folgten; die Kreuzzüge ins Heilige Land, die spanische Reconquista gegen die Mauren, die kolonialen Eroberungen der Europäer, sie alle erfolgten im Namen des „rechten“ Glaubens. Auch die Religionskriege in Europa folgten dem Muster, der anderen Seite ihren gleichrangig menschlichen Charakter abzusprechen, um sich das Recht anzumaßen, „gerechten Krieg“ gegen die Andersgläubigen zu führen.
Mit der Säkularisierung und dem nationalen Chauvinismus des beginnenden 20. Jahrhunderts wanderte jenes Verständnis aus dem Reich des Glaubens an den richtigen Gott in das Reich des Glaubens an die richtige Nation. Alle Nationalisten des ersten Weltkrieges sprachen ihrer Seite das Recht auf den „gerechten Krieg“ zu gegen den ungerechten, perfiden Feind. Vom 8. Juli 1915 datiert die sogenannte Professorendenkschrift zu den deutschen Kriegszielen, die an den Reichskanzler übergeben wurde. Der deutsche Eifer damals war größer, man hatte sich nicht mit 58 Unterschriften begnügt, sondern 1347 zusammengebracht. Aber die Argumentationsfigur war analog: Italien war in den Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten eingetreten. Und so schrieben die Herren Professoren: „Jetzt aber genügt uns… die bloße Abwehr nicht mehr. Sie haben uns das Schwert in die Hand und ungeheure Opfer an Gut und Blut aufgezwungen. Nunmehr wollen wir gegen eine Wiederholung solchen Überfalls von allen Seiten, wir wollen gegen eine ganze Kette von Kriegen wider etwa von neuem erstarkende Feinde mit allen Kräften uns schützen.“ Da könnte jetzt auch: „God bless America“ drunterstehen, und der Bezug statt der Kriegskonstellation von 1915 jener zu al Qaida und zu den „Nationen der Achse des Bösen“ (George W.) hergestellt sein.
Der Kommunismus hatte seinerseits die Figur vom „gerechten Krieg“ aufgenommen, „gerecht“ war jetzt alles, was „der Sache“ des Kommunismus diente. Nach dessen Ende erklärten die bürgerlichen Großmedien und ihre intellektuellen Zuträger derlei Idee für als an sich antiquiert und abseitig, Ausdruck des retrograden Charakters kommunistischer Herrschaft. Bürgerliche Weltsicht und Ordnung brauche so etwas nicht. Jetzt ist der „gerechte Krieg“ also wieder da, zumindest in den USA.“
(Erhard Crome: Die Gerechten, in: Das Blättchen, No. 5/2002)
Georgi Dimitroff hält in seinem Tagebuch im Oktober 1939 die Regelungen fest, die im Kreml für den am 1. September 1939 ausgebrochenen Krieg gegen Polen für die europäische Arbeiterbewegung geschmiedet werden. „Nieder mit dem imperialistischen Krieg!“, „Schluss mit dem Krieg, Schluss mit dem Blutvergießen!“, „Verjagt die Regierungen, die für den Krieg sind!“. Dimitroff notiert die Absicht in Moskau: „Man muss Losungen aufstellen, die den Massen helfen, sich von den sozialdemokratischen Führern zu lösen!“. Gemeint war nicht Berlin, nicht Hitler. Gemeint waren die westlichen Demokratien – England und Frankreich, die am 3. September 1939 Deutschland nach dessen Überfall auf Polen den Krieg erklärt hatten. Und im Wissen um das unsägliche Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes notiert Dimitroff zu den baltischen Ländern: „Wir meinen, dass wir mit den Bei-standsverträgen (Estland, Lettland, Litauen) jene Form gefunden haben, die es uns gestatten wird, eine Reihe von Staaten in den Einflussbereich der Sowjetunion zu bringen. Aber dafür müssen wir uns zurückhalten – ihr inneres Regime und ihre Selbständigkeit strikt wahren.“ Er fügt hinzu: „Wir werden ihre Sowjetisierung nicht anstreben“, zynisch prognostiziert er: „Es kommt die Zeit, da sie es selber tun werden.“
Zu „Filioque“ von Hermann-Peter Eberlein
Umberto Ecos in Konstantinopel angesiedelter Roman „Baudolino“ aus dem Jahre 2000 sei hier ausdrücklich empfohlen, denn wer dem packenden Erzählstrang folgt, wird wie ganz nebenbei hingeführt zu dem aufgetürmten Denkgebirge, in dem die dogmatischen Konflikte zwischen lateinischer West- und griechischer Ostkirche einst tobten.
Sehr geehrte Frau Groß, ihr Gedicht „Aufbruch“ passt heute genau in diesen schönen Sommertag (Ostsee-Stralsund)! ! Mit freundlichen Grüßen :) Dankeschön
@ Wohanka (in der akt. Ausgabe 16) Quod erat demonstrandum. Und stolz trägt er die selbsterwählte Nähe zur Regierung wie eine Monstranz vor sich her.
Die feinsinnige Einordnung von Sarah Wagenknecht als „Populistin“, zumal als „gnadenlose“ – im biblischen oder aktuell vergleichenden Sinn? – durch Herrn Wohanka scheint nicht von allen geteilt zu werden, zumindest mit absteigender Tendenz.
Wenige Stunden, nachdem seine Ablehnung hier kundgetan wurde, verkündete „Bild“ mit unverhüllter, somit vergleichbarer Unzufriedenheit: „Umfrage-Beben für Sarah Wagenknecht“, wonach der aktuelle Sonntagstrend des eigen Hauses für ihr Bündnis 10 Prozent Zustimmung ergeben hat, „nur noch ganz knapp hinter den Grünen (elf Prozehnt)“, was nach den jüngeren Auslassungen von Herrn Wohanka über die Grünen und sein Verhätnis zu ihnen vermerkt sei.
Soweit als Sachinformation.
Bleibt die Nachfrage zur Einordnung von Sarah Wagenknecht in die Liga der Populisten mit der offenkundig steigernden Position als „gnadenlos“.
Wissen Sie – mich interessieren die Wasserstände von Umfragen oder Parteien-Rankings herzlich wenig. Folgte ich Ihrer Logik, müsste man die AfD weit vor W.s Bündnis noch wesentlich „besser“ finden; sie hat noch mehr Prozente an Zustimmung. Und um auch kurz – das, wie gesagt, müßige Geschäft der Demoskopie zu betreiben – haben die Grünen im Vergleich zur Bundestagswahl 3,0 Prozent verloren, die SPD 10,8 und die FDP 6,3…
Populisten wie W. erheben ihre Anhänger zur „schweigenden Mehrheit“, die sich gegen die Eliten in Politik, Wissenschaft, Medien zur Wehr setzen müsse. Sie zeichnen das Bild einer Demokratie in permanenter Krise und versprechen ihren Wählern „echte“ Demokratie: Sollten sie regieren, herrsche das Volk „ungehindert“. Anhänger populistischer Parteien haben den Eindruck, dass man nicht mehr „alles“ sagen dürfe, dass „die da oben“ einem den Mund verbieten (bei W. „Maulkorb – Meinung“), dass sie bis ins Privateste hineinregieren, in die Sprache, in den Lebensstil. Was mit der Realität meist wenig zu tun hat, aber als „Gefühl der Hilflosigkeit“ real ist. Das müssen populistische Politiker ihren Wählern nicht erst einreden, ebenso wenig wie sie ihnen teils bedenkliche Einstellungen zur Migration einreden müssen; Populisten müssen diese Ressentiments nur noch aktivieren. Populisten beschreiben die Welt so, wie ihre Anhänger sie oftmals sehen und bestärken sie damit in ihrer Weltsicht…
W.s Slogan „Krieg oder Frieden? Sie haben jetzt die Wahl!“ ist, wie die taz schreibt, „Komplexitätsreduktion mit dem Vorschlaghammer. Auf die Frage schön oder hässlich, klug oder dumm, reich oder arm, ist man ja aus Trotz geneigt, zu antworten: Ich wäre gern hässlich, dumm und arm“.
Was mein „Verhältnis“ zu den Grünen angeht – ich halte sie deshalb hoch, weil sie als einzige Partei Klimaschutz breiter verstanden wissen will, nämlich als Menschheitsschutz und als Jobmotor; womit sie momentan nicht durchdringt, keine Frage. Dafür sehe ich zwei Gründe: Zum einen haben sie an der einen oder anderen Stelle den Bogen überspannt und Menschen vor den Kopf gestoßen durch die Absolutheit, mit der sie ihre Überzeugungen wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben. Auch politischer Dilettantismus tut ein Übriges.
Zum anderen kriegt keine Partei derzeit so viel Häme und Hass ab wie die Grünen; gleichzeitig gibt es vermehrt Parteieintritte. Das Narrativ über die Grünen als Verbotspartei wird in den sozialen Medien auf aggressive Art verbreitet und es werden zahlreiche Lügen und Verschwörungserzählungen versprüht; Aussagen der Partei werden umgedeutet oder falsch dargestellt. Alle anderen Parteien von rechts bis links haben sich die Grünen als Feindbild oder politischen Gegner auserkoren; auch W. spricht von den Grünen „als die gefährlichste Partei im Bundestag“. Auch die Machtverhältnisse in der Koalition geben ein beredtes Bild ab: Obwohl die FDP prozentual der schwächste Koalitionspartner ist, gibt sie in der Regierung allzu oft den Ton an – und das dank gezielter Duldung des Kanzlers, denn Scholz braucht aus zwei Gründen eine starke, auch für Wirtschaftskonservative attraktive FDP: Einmal, um damit CDU/CSU zu schwächen, und zweitens, weil nur eine zufriedene FDP ihm 2025 die Chance auf eine zweite Ampellegislatur eröffnete. Dagegen hat er kein Interesse an starken Grünen, die ihm als Führungspartei der linken Mitte Konkurrenz machen könnten.
Und noch etwas, was hier zu weit führte – die blinde Wut und Schuldzuweisungen gegenüber den Grünen stehen stellvertretend für die Angst, überkommene Weltsichten loszulassen.
Sehr geehrter Herr Brauerhoch, in Ihrem Beitrag zum Thema Zeitgeistdeutsch verleihen Sie meinem semantischen Unwohlsein Ausdruck. Sie bedrücken die Verben ‚mitgenommen werden‘ und ‚abgeholt werden‘. Meine zwei persönlichen Klassiker sind: .. ‚es braucht …‘ im bundesdeutschen Sprachgebrauch, z.B. Es braucht mehr Lehrer. Vor etlichen Jahren hätte jeder Bürger formuliert: Die Volksbildungsministerin, die Berufsbildungslenker , die Eltern etc. sollten die Aufmerksamkeit unserer Jugendlichen bei der Berufswahl in diese Richtung lenken. Heutzutage scheinen alle verinnerlicht zu haben, im föderalen System ist letztendlich kein Kommunalpolitiker, kein Landespolitiker, kein Minister verantwortlich für diesen vorhersehbaren Mangel. Diese Wortwahl hören Schüler und Studenten von Kindesbeinen an und denken in diesen Strukturen bis in das Berufsleben.
Das ist eben so. Unpersönliche Syntaxstrukturen in denen sich Denkstrukturen widerspiegeln.
Der zweite Klassiker: Unmittelbar nach schweren Naturkatastrophen oder kriegsbedingten Vorkommnissen finde ich die Frage an Schwerverletzte seitens sensationsheischender Journalisten deplatziert: Was macht das mit Ihnen,,,,
(im Hintergrund sieht der Zuschauer schlimmste Verwüstungen und Opferzahlen etc.) Derartige verbale Entgleisungen haben nichts mit seriöser Berichterstattung und menschlicher Anteilnahme zu tun.
Zum selben Artikel: „Erschöpfung“ ist schon eine gute Zustandsbeschreibung, der vermutlich viele Menschen zustimmen könnten. Meint ja auch den Zustand der ständigen Überforderung durch angeblich nur positive und angeblich unumkehrbare Prozesse wie Globalisierung und Digitalisierung, deren negative Seiten und Auswirkungen immer deutlicher werden, ebenso wie durch die parallel bestehenden oder sich ablösenden Krisen und ihre „Paktierung“. Und in Ermangelung anderer Einflussmöglichkeiten bleibt dann immerhin die Möglichkeit, und wird eben auch wahrgenommen, in Wahlen, egal auf welcher Ebene, gegen diejenigen Parteien zu stimmen, die ein kräftiges „weiter so“ oder „mehr davon“ propagieren. Und denen man auch nicht (mehr) zutraut, die gewaltigen Probleme der Gegenwart zu lösen und tragfähige Konzepte für die Zukunft anzubieten, die (mit Recht) zunehmend pessimistisch gesehen wird. Den letzten Absatz des Artikels würde ich daher auch als „frommen Wunsch“ verbuchen und verspüre selbst beim Autor eine große Skepsis. Im Übrigen sind ja Gesellschaften und Kulturen in der Geschichte immer wieder untergegangen. Warum sollte es mit der vom „Westen“ dominierten Ordnung anders ausgehen? Abgesehen von möglicherweise sehr unerquicklichen materiellen Konsequenzen für uns, beunruhigt mich daran eigentlich nur, dass es anscheinend nirgendwo eine sinnvolle Strategie gibt, mit der Katastrophe umzugehen, dass sich die Menschheit in knapp 70 Jahren verdreifacht hat, mit dem entsprechenden Ressourcenverbrauch. Oder zumindest die Bereitschaft, diese Entwicklung als das vermutlich gravierendste Problem von allen anzuerkennen…
Es freut mich, dass Sie mir zustimmen. Ich stimme Ihnen zu, wo Sie „über mich“ hinausgehen….
Verehrter Herr Wohanka, warum dieser (völlig unbegründete) Seitenhieb auf Sahra Wagenknecht? Durch sie ist die Regierungsfähigkeit in der BRD hergestellt, wo SPD und Linke aus ungeklärten Gründen das Vertrauen des Volkes verlieren!
Im Übrigen: „Ohne mich“ ist mit zunehmendem Alter eine sinnvolle Haltung 🤔
Lieber Herr Sohn,
ich halte die Genannte für eine gnadenlose Populistin. Sie macht(e) eine von Opportunismus geprägte, in Teilen volksnahe, aber auch demagogische Politik. Durch Dramatisierung und Vereinfachung der politischen Lage versucht sie, die politische Gunst der Massen zu gewinnen, Stimmung zu machen, was ihr auch gelingt, mir aber politisch nicht zusagt.
„Ohne mich“ mag im Alter tatsächlich in gewissen Situation eine sinnvolle Haltung zu sein; man muss nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen. Oder besser gesagt – man sucht sich die Hochzeiten gezielter aus….
Stephan Wohanka
@ Wohanka (in der akt. Ausgabe):
„Hätten wir es vermocht, den Europäern klar zu machen, dass sie durch uns viel schneller ins Paradies gelangen, hätten sie uns alle ihre Tore geöffnet.“ Süleyman der Prächtige nach der Schlacht vor Wien.
Man muss also keine DIN A4-Seite mit dem allseits Bekannten vollschreiben.
Aber es hieß doch in diesem Forum bereits vor etlichen Jahren, dass Herr Wohanka mit Regelmäßigkeit die aktuelle Position der jeweiligen Bundesregierung vertritt. Da kann man die „Wahrheit“ als solche nicht oft genug wiederholen.
Es wäre interessant, wenn Herr Wohanka – der sich sonst zu allem und jedem äußert – auch hierzu etwas beitragen würde. Seine obige Einlassung zu Sarah Wagenknecht entspricht exakt der von Scholz, Klingbeil & Co.
Lieber Herr Wohanka!
Es geht doch nicht um mögen oder nicht mögen. Mich verbindet mit den Grünen keine Liebesbeziehung. Es geht um Glaubwürdigkeit. Da nutzt die beste Kernkompetenz nichts, wenn die aufgrund einer desaströsen Politik flöten geht. Oder finden Sie es nicht desaströs, wenn plötzlich das umweltschädlichste Erdgas, nämlich das durch Fracking gewonnene, vor lauter Berührungsängsten vor dem „bösen Russen“ oder anderweitigen nicht „ganz koscheren Produzenten“ um der ideologischen Reinheit willen zum Rettungsanker für unser Land deklariert wird. Andere europäische Länder, darunter der Leuchtturm der USA, Polen, sind da nicht so zimperlich.
Oder nehmen wir den Ukrainekrieg. Da wird zuvörderst von den Grünen unter dem Banner „Russland muss ruiniert werden“ (Welche Hybris!) der Krieg als Allheilmittel über den grünen Klee gelobt und gefördert. Was die ganze Kriegerei an CO2desaster mit sich bringt wird wohlweislich verschwiegen und bei dem ganzen Aufwasch auch noch das Ziel eines gesichtswahrenden Friedensabschlusses in den Orkus befördert. Zeitgleich werden im Rahmen der „Zeitenwende“ weltweit CO2schleudernde Aggressivmanöver durchgeführt, die den Weltfrieden noch fragiler machen, unter deutscher Beteiligung wohlweislich und natürlich mit grüner Billigung.
Nur am Rande sei erwähnt, dass Macht nicht nur blind machen kann sondern wohl auch korrumpiert. Da fliegt eine deutsche Außenministerin grüner Couleur eben mal, sozusagen privatfliegerhaft, auf Steuerkosten, zur EM nach FFM und von dort schwuppdiwupp nach Luxemburg – C02 Bilanz hin, CO2-Bilanz her. Sie gehört m.W. immer noch zu der Partei, die den Deutschen Flugscham verordnen möchte und die zu ihrer Produktion CO2 freisetzenden EAutos zum neuen Autogott erklärt.
Soweit zu mögen oder nicht mögen.
Nun zu den von Ihnen so apostrophierten „Friedenparteien“ AfD und BSW. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie zu den Extremismusanhängern gehören: Rein in den Sack und draufschlagen; wird schon den oder die Richtige treffen. Das ist billig und Ihrer nicht würdig. Die quasifaschistische AfD mit der BSW, wie auch immer, gleichzusetzen ist unredlich. Wissen wir doch, dass diese Gruppierungen aus völlig unterschiedlichen ideologischen Richtungen kommen; die eine aus der eher „FührenwirdochdieDemokratiemitdemNasenringdurchdieArena – Ecke“, die andere aus der „FriedensollteVorranghaben – Richtung“, dann haben wir die Hände frei für die wichtigen Probleme unserer Zeit: Klimawandel, Armutsbekämpfung, Bildungsförderung; dies alles in Freiheit und Selbstbestimmung!
Ohne Differenzierung kommen wir nicht weiter, Herr Wohonka!
Lieber Herr Scherer,
mich verbindet mit den Grünen auch keine Liebesbeziehung. Ich bin der Meinung, dass was mit Ökologie umschrieben wird – also Bekämpfung des Klimawandels, des Rückgangs der Artenvielfalt, Verschmutzung der Medien, auch Armutsbekämpfung usw. – bei den Grünen noch am Besten aufgehoben ist; andere Parteien negieren das Problem oder sind noch halbherziger, inkonsequenter als diese. Damit sind die Grünen auch nicht besseren Menschen, beileibe nicht; sie sind (Berufs)Politiker – was meint, dass den gleichen Zwängen der Wiederwahl, der opportunistischen Anpassung usw. unterliegen wie ihre Kollegen auch. Und sie leisten sich die gleichen Fehltritte … in Regierungsverantwortung verschärfen sich diese Zwänge. Und – den Gashahn haben die Russen zugedreht.
In Sachen Ukrainekrieg und allen damit verbundenen Imponderabilien kommen wir nicht auf einen Nenner; das haben wir schon mehrmals festgestellt… Aber der Satz, die Grünen lobten und förderten den „Krieg als Allheilmittel“ ist einfach infam und stimmt nicht!
Ich sehe durchaus Unterschiede zwischen der „quasifaschistischen AfD“ und dem BSW – aber leider auch Gemeinsamkeiten; und das eben auch in der opportunistischen Aufladung der „Friedensfrage“. Auch habe ich kaum eine intellektuell dürftigere Rede der Anbiederung an politische Instinkte gehört als die der Gründerin des BSW zu dessen Gründung. Das BSW kombiniert nationalistisch-konservative mit sozial- und wirtschaftspolitisch linken Positionen. Was erstere angeht, trifft es sich durchaus in Teilen mit der AfD, bei letzteren natürlich nicht. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik übertrifft die AfD selbst die neoliberale FDP bei Weitem.
Zu guter Letzt: Doch noch zur „FriedensollteVorranghaben – Richtung“: Zum Frieden gehören zwei. Beide wollen ihn mit Maximalforderungen. Dann gebt doch der einen Seite keine Waffen mehr – der Krieg wäre erst einmal schnell zu Ende; ob von Dauer sowohl vor Ort als auch darüber hinaus? Da setzen meine ganz erheblichen Zweifel ein… Und wenn dann ein NATO-Staat betroffen wäre; nicht auszumalen.
Stephan Wohanka
PS: In der Wochenendausgabe einer Berliner Zeitung nimmt ein Autor positiv Bezug auf den im aktuellen Blättchen nachgedruckten Artikel von Stan Strasburger und schreibt am Schluß: „Dennoch wird die Ukraine die besetzten Gebiete nicht zurückerobern können. Sie sollte daher die Größe und die Weisheit besitzen, sie abzutreten“. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: „Danach werden wir gemeinsam mit mit der Ukraine dafür sorgen müssen, dass Osteuropa vor Russland sicher ist, wie teuer das auch immer sein mag“.
Ach Herr Wohanka, ich gebe zu, dass ich eine vollmundige,provokante Formulierung gesucht und dadurch das Heizungsgesetz etwas arg verkürzt dargestellt habe. Aber mich deshalb gleich des „Wiederkäuens von Schwachsinn“ und des „Verbiegens von Fakten“ zu bezichtigen – das geht doch mindestens genau so weit an der Realität vorbei und ist auch kein guter Diskussionsstil.
Ihre absolut richtigen, wenn auch unvollständigen Ausführungen zum Heizungsgesetz ändern doch nichts am Grundsätzlichen.
Zufällig gerade gestern war hier im Haus eine Eigentümerversammlung.
Die Verwalterin hat die Konsequenzen des HG für unser Haus erläutert.
Ich kann Ihnen versichern, dass sämtliche Eigentümer schockiert waren, manche geradezu panisch.
Einige sind demnächst Rentner und fragen sich, wovon sie das, was auf die eine oder andere Art auf sie zukommen wird, bezahlen sollen.
Wer denen verspricht, das HG zurückzudrehen, den werden sie wählen , so einfach ist das.
Da Sie mir ja immerhin bei meinen Ausführungen zum norwegischen Staatsfond im Zusammenhang mit den afrikanischen Ländern recht geben, bin ich doch überrascht, dass sie behaupten, Deutschland habe keinen Einfluss auf die Angebotsseite, nur auf den Verbrauch. Selbst wenn dieser Einfluss begrenzt ist, kann die einzig sinnvolle Klimapolitik nur darin bestehen, alle nationalen Kräfte in einer global ausgerichteten Strategie zu bündeln.
Bei der letzten Klimakonferenz weigerten sich die Produzentenländer auch nur eine Willensbekundung zum Produktionsrückbau in die Schlußerklärung aufzunehmen. Damit ist jede national ausgerichtete „Klimapolitik“ sinnlos und dient nur der Beruhigung des eigenen Gewissens und der Befriedigung einer kleinen Wählerklientel.
Was in Deutschland nicht verbrannt wird, wird eben woanders verbrannt.
Im übrigen ist mein gegenwärtiger Stand, dass ab 2035 in der EU keine Verbrennerautos mehr neu zugelassen werden dürfen.
Wieso bezeichnen Sie diese Tatsache als „Anschuldigung“ meinerseits. Entspricht es denn nicht Ihrem Weltbild ?
Ja, ich halte Elektroautos aus diversen Gründen für Quatsch, vor allem 2 Tonnen schwere Elektro-Stadtpanzer wie Porsche Cayenne, Volvo XC90, BMW X irgendwas. Das „folkloristisch“ ziehe ich meinetwegen zurück.
Und die ständigen moralisch belehrenden Ausführungen der Grünen zum Fleischverzicht können doch auch nicht wirklich an Ihnen vorbei gegangen sein. Dass es erst mal nur Aufrufe sind und kein Zwang liegt nur daran, dass ihnen die politische Macht fehlt, um sich gegen die Nahrungsmittelindustrie durchzusetzen.
Ich bleibe abschließend dabei, dass gerade der politische Bedeutungsverlust der Grünen, den Sie beklagen, eine Chance für eine sinnvolle, global ausgerichtete Klimapolitik bietet, weg von dem rein national ausgerichteten Aktionismus.
Lieber Herr Just,
ich vermag weiter nicht nachzuvollziehen, wie das HG eine derartige Panik unter heutigen Haus-oder Wohnungsbesitzern auszulösen vermag, denn es greift mit voller Konsequenz erst 2045. Bis dahin sieht es ein schrittweisen Aus für Gas- und Ölheizungen vor. Von einem Verbot für Gasheizungen kann nicht die Rede sein; bestehende Gasheizung können weiterbetrieben werden. Das Heizungsgesetz bezieht sich auf neu verbaute Anlagen. Es gelten für den Gebäudebestand Übergangsfristen; auch wurde auch die staatliche Heizungsförderung angepasst… wohl bis zu 70 %. Deshalb meine scharfe Reaktion – ich denke, es ist noch viel (gezieltes) Unwissen unterwegs gestreut von denen, die gegen die ganze Richtung sind. Der Ton wurde ganz am Anfang gesetzt, als der unfertige Entwurf von diesen Kreisen durchgestochen wurde und die Reaktionen waren: Habecks Heizhammer, Heiz- Stasi usw. So ist es dazu gekommen, dass – wie Sie richtig sagen – viele Menschen die Partei wählen, die das Gesetz abschaffen will.
Wenn Sie dann behaupten, „die einzig sinnvolle Klimapolitik (kann) nur darin bestehen, alle nationalen Kräfte in einer global ausgerichteten Strategie zu bündeln“, haben Sie bestimmt recht; aber nicht mit der These, dass „jede national ausgerichtete ´Klimapolitik´ sinnlos (ist) und dient nur der Beruhigung des eigenen Gewissens und der Befriedigung einer kleinen Wählerklientel (dient)“. Ich denke, eine nationale Klimapolitik umfasst auch die Förderung technologischer Lösungen, die man anderen verkaufen kann und zweitens kann man nur politischen Druck auf andere entfalten, wenn man selbst etwas vorweisen kann. China entwickelt und baut erneuerbare Energien schneller aus als jedes andere Land der Welt und schickt sich an, zu uneinholbaren Weltmarktführer für Fotovoltaik, Speichertechnologie und Elektromobilität zu werden; auch dank hiesiger Fehler in der Vergangenheit. Und drittens vielleicht landet man beim Prinzip „Hannemann geh du voran“ und jedes Land zeigt auf das andere und es geht insgesamt noch weniger voran als so schon.
Ich bin auch bei Ihnen, wenn Sie die elektrischen Stadtpanzer kritisieren; aber nicht nur die elektrischen, sondern jede Art dieser Vehikel. Das ließe gut über die Besteuerung machen, aber da die Autoindustrie an diesen Fahrzeugen das meiste verdient, wird es dazu nicht kommen. Weltweit wächst jedenfalls die Elektromobilität exponentiell, während der Markt für Verbrennungsmotoren weltweit schon das siebte Jahr in Folge schrumpft. Bei uns werden Geisterdebatten geführt, wie die, ob man nicht auch nach 2035 noch Neuwagen mit Verbrennungsmotor bauen sollte. Vergleiche zu Kodak um die Jahrtausendwende oder Nokia um 2008 drängen sich auf.
„Das Fortschrittstempo, das Märkte verlangen oder verkraften können, unterscheidet sich möglicherweise von dem Fortschritt, den Technologie ermöglicht. Das bedeutet, dass Produkte, die unseren Kunden heute noch nicht nützlich erscheinen (disruptive Technologien), morgen womöglich exakt deren Bedürfnisse erfüllen. Wenn man das akzeptiert, kann man von seinen Kunden nicht erwarten, dass sie einen zu den Innovationen hinführen, die sie derzeit noch nicht brauchen“, sagte der Ökonom Clayton Christensen. Das macht klar, warum Meinungen, ob wir ein „Verbrenner-Aus“ im Jahr 2035 gut finden oder nicht, miserable Ratgeber für ökologische Entscheidungen sind.
Deutschland muss entweder endlich mit dem Aufbruch beginnen – oder wird zu einer technisch rückständigen Provinz werden, die stolz an Museumstechnologien festhält, weil sie Innovation und Wandel als Zumutung empfindet. Und wenn Sie im „politischen Bedeutungsverlust der Grünen … eine Chance für eine sinnvolle, global ausgerichtete Klimapolitik“ sehen „weg von dem rein national ausgerichteten Aktionismus“ frage ich mich, wer die politische Kraft für die Initiierung der deutschen „global ausgerichtete Klimapolitik“ sein soll – die Union, die SPD, die FDP? – von anderen Parteien gar nicht zu reden. Sehen Sie eine?
Stephan Wohanka
Zu Europawahl und die Gefährdung der Demokratie, 1. Juli, S. Wohanka
Dass die Bekämpfung des Klimawandels immer mehr aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wird, sehe ich auch und finde es genauso bedrohlich wie der Autor.
Dieses Problem ist aber gerade nicht gleichbedeutend mit der Tatsache dass die Grünen nicht gewählt wurden und umgekehrt hätte die Wahl der Grünen nicht die Wahrscheinlichkeit für eine sinnvolle Klimapolitik erhöht, ganz im Gegenteil.
Ich weiss nicht, welche Schlußfolgerungen der Autor aus den letzten sog. „Klimakonferenzen“ zieht. Ich ziehe daraus den Schluß, dass sich rein gar nichts ändern soll und die Förderung fossiler Brennstoffe auf Jahrzehnte hinaus zementiert ist.
Gas,Öl und Kohle werden weiterhin aus der Erde geholt und wenn sie aus der Erde geholt werden, landen sie unweigerlich in irgendeiner Verbrennungsanlage, wenn nicht in Deutschland dann eben irgendwo anders.
Diese sehr ernste aber doch nicht hoffnungslose Situation glauben die Grünen mit einem blindwütigen, ideologiegetriebenen Aktionismus bekämpfen zu können, der die rein nationale Nachfrageseite beackert.
Was wird denn z.B. dadurch erreicht, dass man Millionen Normalverdienern, die gerade so über die Runden kommen, vorschreiben will, dass sie ihre Gasheizung durch eine sauteure Wärmepumpe ersetzen müssen ? Zumal das in der Regel ja nur Sinn macht in Verbindung mit einer Fußbodenheizung und aufwändiger Wärmedämmung, was die Sache nicht billiger macht.
Garniert wird das Ganze mit allerlei folkloristischem Quatsch wie sog. „Elektroautos“ per Verbrennerverbot oder der Aufforderung kein Fleisch mehr zu essen.
Die Folgen dieser Politik kann man direkt am Ergebnis der EU-Wahl ablesen.
Die Grünen werden somit zum Gefährder der Demokratie, wenn auch unabsichtlich.
Will man das Klimaproblem lösen, muss man sich der Angebotsseite zuwenden. Die fossilen Brennstoffe müssen in der Erde bleiben und zwar nicht nur in Saudi Arabien oder Venezuela sondern auch im Wertewesten, beispielsweise Norwegen (von den USA wage ich gar nicht zu reden ).
Norwegen produziert seinen Strom größtenteils mit Wasserkraft und bezeichnet sich selber als Elektroparadies.
Das hindert die 5 Mio. Norweger aber nicht daran, wie die Made im Speck von der hemmungslosen Ausbeutung ihrer Gas- und Ölvorkommen zu leben. Der norwegische Staatsfond wir auf über 1000 Mrd. € geschätzt.
Ist es auch nur denkbar, dass Norwegen mit einem Teil dieser Summe afrikanischen Ländern beim Aufbau einer wirtschaftlichen Infrastruktur behilflich ist, damit diese die Gasfelder vor ihrer Küste eben nicht ausbeuten ?
Und da sind sie wieder unsere drei Probleme: Heuchelei, Heuchelei und Heuchelei.
Ich bin völlig bei Ihnen – die fossilen Brennstoffe müssen in der Erde bleiben. Aber wie Sie wissen, hat Deutschland darauf kaum Einfluss, wenn überhaupt. Wohlgemerkt auf die Förderung; auf den Verbrauch schon.
Ich folge Ihnen nicht, wenn Sie den, mit Verlaub, Schwachsinn wiederkäuen, dass „man Millionen Normalverdienern, die gerade so über die Runden kommen, vorschreiben will, dass sie ihre Gasheizung durch eine sauteure Wärmepumpe ersetzen müssen“.
Fakt ist indessen: Seit dem 1. Januar 2024 dürfen in Neubauten innerhalb von Neubaugebieten nur Heizungen installiert werden, die auf 65 Prozent erneuerbaren Energien basieren. Mit welcher Heizungsart ein Hausbesitzer dies erfüllt, ist egal. Es gibt kein generelles Gasheizungs-Verbot für bestehende Anlagen, also keine Austauschpflicht. Jede funktionsfähige Gastherme darf vorläufig weiterlaufen oder auch repariert werden. Muss eine Erdgas- oder Ölheizung komplett ausgetauscht werden, weil sie nicht mehr repariert werden kann oder über 30 Jahre alt ist (bei einem Konstanttemperatur-Kessel), gibt es pragmatische Übergangslösungen und mehrjährige Übergangsfristen. In Härtefällen können Eigentümerinnen und Eigentümer von der Pflicht zum Erneuerbaren Heizen befreit werden. Erst ab 2045 sind fossile Energieträger nicht mehr erlaubt. Von „ersetzen müssen“ also keine Spur….
Und wer fordert Sie denn auf, kein Fleisch mehr zu essen? Und selbst wenn es die Aufforderung gäbe, können Sie getrost weiter Fleisch essen; die Läden sind voll davon und billig ist es obendrein. Und zugegeben – es wäre aus vielerlei Gründen besser, wenn wir weniger Fleisch äßen – aber das liegt immer noch im Ermessen des Einzelnen. Und auch Autofahren können Sie weiterhin – nach Herzenslust mit jedem Verbrenner. Ihre Anschuldigungen sind „folkloristischem Quatsch“.
Der Norwegische Staatsfonds ist wohl inzwischen 1,4 Billionen € angewachsen und Ihre Idee, etwas davon an afrikanische Länder abzugeben, finde ich gut; diese Länder haben zum anthropogenen Treibhauseffekt nichts oder kaum etwas beigetragen und sind heute die Leidtragenden.
„Heuchelei“ – ja die gibt es zuhauf; aber – gelinde gesagt – „Verbiegung“ von Fakten auch. Siehe Ihre Auffassung vom Heizungsgesetz.
Wann ist eine Demokratie gefährdet? Wer gefährdet sie und wie? Wichtige Fragen, die gestellt werden müssen, Herr Wohanka? Zur möglichen Ursachenforschung müssen allerdings alle Fakten auf den Tisch. Wer wichtig Ereignisse ausblendet oder sich dem herrschenden Narrativ hingibt, mithin „den Elephanten im Raum“ übersieht oder nicht wahrhaben will, übersieht eine wesentliche Beziehung, die zwischen Bevölkerung und Regierenden grundlegend ist: Glaubwürdigkeit! Genau die wurde im zurückliegenden Europawahlkampf mal wieder massiv beschädigt. Wie das? Weil der eigentliche „Elephant im Raum“ wohlweislich fast unsichtbar gemacht wurde, mit Floskeln wie „Scholz und Barley für Frieden“ mehr oder weniger elegant umschifft wurde. Dieser Elephant hat einen Namen: Krieg in der Ukraine! Die SPD gaukelte Friedenswillen vor, wobei sich Frau Barley für die europäische Atombombe aussprach, aber wohlweislich mainstreammäßig so gut wie nicht darauf angesprochen wurde und Herr Scholz in seiner bekannten, aber immer unglaubwürdiger werdenden Cunctatorhaltung, der Waffeneskalation in der Ukraine zugestimmt hatte, während von Friedensinitiativen der derzeit Verantwortlichen in dieser Partei nun wirklich nichts Relevantes zu vernehmen ist. Die Grünen stützten sich auf ihre „Kernkompetenz Klima“ die ihnen aber angesichts ihrer bellizistischen Vorranghaltung keiner mehr abnimmt, verräterisch offenbar werdend mit Plakatierungen wie „Machen, was zählt“, die fatal an Plakataktionen der Bundeswehr erinnern: „Machen, was wirklich zählt“. Die Wahrheit bricht sich eben immer wieder Bahn und die WählerInnen lassen sich nun mal nicht auf Dauer für dumm verkaufen oder gar betrügen; man denke nur an Scholz „Respektversprechen“ vorm letzten Bundestagswahlkampf. M.E. wird der von mir benannte „Elephant im Raum“ in der Beurteilung des Europawahlergebnisses unterschätzt. Die einzige bundesdeutsche Partei, die in dieser Hinsicht klare Kante gezeigt hat, war die FDP, die ihre Kriegsexpertin Strack-Zimmermann nach Europa weggelobt hat und – massive Verluste erlitten hat. Zum Glück, scheint mir zumindest, ist der Wunsch nach Frieden und Völkerverständigung in unserer Gesellschaft noch nicht völlig wegpropagandisiert worden obwohl es an allen Ecken und Enden an Glaubwürdigkeit fehlt, dem unabdingbaren Verbindungsstrang in einer Demokratie!
Lieber Herr Scherer,
mich hat in dem in Rede stehenden Text e i n e Möglichkeit der Demokratiegefährdung beschäftigt – nämlich die, die mit der immer noch weitgehend ungelösten ökologischen Frage im weitesten Sinne in Beziehung steht. Dass andere Gefährdungen der Demokratie gibt, ist damit überhaupt nicht in Abrede gestellt; und Sie haben recht, die gibt es. Und wenn Sie die Grünen ob „ihrer bellizistischen Vorranghaltung“ nicht mehr mögen, ist Ihnen das unbenommen. Ich jedenfalls sehe keine Partei, die sich der ökologischen Frage wirklich annähme; wenn schon, dann noch Grünen, aber auch nicht konsequent und nachhaltig genug. Ich denke, dafür vor allem wurden sie abgestraft; zurecht.
Der „Elefant im Raum“ bei dieser Wahl sei der Krieg in der Ukraine, sagen Sie. Eine gewagte Zuspitzung… denn wenn ich das für bare Münze nähme, dann wäre die Europawahl vor allem ein Plebiszit in Sachen Krieg und Frieden gewesen; wie das ja das BSW in populistischer Manier auch plakatierte. Wenn nun die „Friedensparteien“ AfD und eben das BSW zusammen 22,1 Prozent der Stimmen hierzulande holten, haben folglich 77,9 Prozent für den Krieg oder zumindest nicht für den Frieden gestimmt – meinen Sie das wirklich? Oder ist bei diesen Wählern der Friedenswille schon „wegpropagandisiert worden“? Oder gab es vielleicht doch noch andere Gründe, die zu dem Stimmenergebnis führte, so wie es jetzt vorliegt? Zum Beispiel das nach (militärischer) Sicherheit – Pistorius ist der beliebteste Politiker trotz oder gar wegen der „Kriegstüchtigkeit“; 60 Prozent der Bevölkerung sind für die Einführung der Wehrpflicht (die direkt Betroffenen mit knapper Mehrheit dagegen)…
Stephan Wohanka
Die Beiträge von Jan Opal und Stephan Wohanka sind für mich Leuchttürme in einem Meer von Illusionen über den Charakter des Ukraine-Krieges – und dies, obwohl ich keineswegs die Argumente derer moralisch abwerte, die einem Appeasement mit Putins Russland das Wort reden. Nur wird jeder „Frieden“ auf Kosten der Ukraine letztlich zu einem Scheinfrieden, der die großrussischen Ambitionen nur befeuern kann. Meine linken Freunde und Kollegen aus dem östlichen Mitteleuropa (ja, die gibt es dort noch) verstehen die – wie sie es nennen – Kapitulation auch deutscher Linker vor Putin nicht.
„The Germans to the Front!“ befahl der britische kommendierende Admiral Seymour 1900 im damaligen Krieg des Westens gegen China. „Jeder Schuss ein Rus!“ hieß es im Ersten Weltkrieg. Für die deutsche Kriegstüchtigkeit ein Jahrhundert später braucht es natürlich eine passende Ideologie.
In der aktuellen Ausgabe sind diese Äußerungen des gewesenen Generalinspekteurs der Bundeswehr, H. Kujat, nachzulesen: „Weder aus den sicherheitspolitischen und strategischen Grundsatzdokumenten der russischen Regierung noch aus öffentlichen Äußerungen Putins lassen sich Pläne für Angriffe auf NATO-Staaten ableiten. Selbst die offiziellen Bedrohungsanalysen der amerikanischen Regierung – einschließlich der von 2024 – geben keinen Hinweis auf eine entsprechende russische Absicht. In der aktuellen amerikanischen Bedrohungsanalyse heißt es: ‚Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der NATO […].‘“
Dieser Einschätzung, lieber Herr Keßler, muss man natürlich weder folgen, noch gar von der im Westen so häufig kolportierten Überzeugung lassen, es gäbe „großrussische Ambitionen“ – Sie heben darauf ab –, die unter Umständen schlimmstenfalls bis zum Brandenburger Tor und weiter reichten.
Trotzdem ist vielleicht der Hinweis gestattet, dass der Westen sich soweit in den Ukrainekrieg involvieren könnte, dass der erst zum direkten Krieg von NATO-Staaten mit Moskau und dieser dann zum atomaren Schlagabtausch eskaliert.
Zugegebenermaßen allerdings mag dieser Hinweis zu kapitulantenhaft anmuten, als dass Ihre „linken Freunde und Kollegen aus dem östlichen Mitteleuropa“ ihn verstehen könnten.
PS: Dass das Menetekel „großrussischer Ambitionen“ besonders heftig von führenden Kreisen im Baltikum und in Polen beschworen wird, ist historisch gesehen ja überaus verständlich. Angesichts des jahrhundertelangen imperialen Umgangs Russlands mit diesen Landstrichen und Völkern. Doch die historischen Verluste, ja Verbrechen heute durch einen Sieg über Russland rächen zu wollen, wäre angesichts des russischen Atomwaffenarsenals eine Idee potenzieller Selbstmörder …
richter_manfred1974@web.de
Manfred Richter
Dass im Blättchen eine vom deutschen und generell westlichen Mainstream deutlich abweichende Auffassung zum Ukraine-Krieg, seinen Ursachen und Lösungsmöglichkeiten vertreten wird, ist offenkundig, aber in der Redaktion wohl auch nicht unumstritten, wie das kürzliche Ausscheiden des langjährigen Autors und Redakteurs Wolfgang Brauer gezeigt hat.
Ich meinerseits präferiere ebenfalls eine Konfliktbeendigung durch Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, die durch die westlichen Waffenlieferungen nicht befördert wird.
Mich befremdet allerdings zutiefst, dass im Blättchen die Widerlichkeiten der Kriegführung auf beiden Seiten, die zum Blutzoll vor allem der ukrainischen Zivilbevölkerung erheblich beitragen, völlig ausgeblendet werden. Was in Butscha wirklich passiert ist oder inszeniert wurde, mag nach wie vor nicht klar sein, aber wenn Moskau in seinen staatlichen Medien (RT DE) selbst und noch dazu mit merklich stolz geschwellter Brust von der eigenen Barbarei berichtet, die der Einsatz von drei Tonnen schweren Lenkgleitbomben vom Typ FAB-3000 (Sprengkopf: 1,2 Tonnen TNT) gegen ukrainische Dörfer zweifelsfrei darstellt, dann sollte man dieses auch im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit nicht unter den Teppich kehren.
Zwar ist der Zugang zu RT DE via Internet EU-seitig gesperrt, aber wer weiß, wie’s geht, der findet den Beitrag, auf den ich mich beziehe, trotzdem – und davon gehe ich bei der Blättchen-Redaktion aus: https://freede.tech/meinung/209949-russische-superbombe-und-bizarre-berichterstattung/?utm_source=Newsletter&utm_medium=Email&utm_campaign=Email.
Besonders perfide – der angegebene Autor: Achim Detjen.
Hier darf von einem Pseudonym ausgegangen werden, das allerdings auf deutsche Autorenschaft (vielleicht die nach Russland emigrierte, bei RT DE häufig publizierende DAGMAR HENN?) schließen lässt. Ältere werden sich erinnern: Achim Detjen war in den 1970er Jahren der von Armin Müller-Stahl dargestellte Held des DDR-Straßenfegers „Das unsichtbare Visier“, der als DDR-Kundschafter unter alten Nazis in der BRD den Aufbau der Bundeswehr „begleitete“ …
Bei Vermutungen zu Pseudonymen rate ich zur Vorsicht. Armin Mueller-Stahl berichtete, dass er noch Ende der neunziger Jahre auf dem Budapester Flughafen von Zöllnern begeistert als „Achim Detjen“ begrüßt wurde. Diese Filme sind nicht nur in Ungarn, sondern auch in anderen RGW-Ländern (sicherlich auch in der Sowjetunion) mit Erfolg gezeigt worden.
Wird im nächsten Blättchen in der Rubrik „Aus anderen Quellen“ auf die jüngste Putin-Rede im russischen Außenministerium verlinkt? Daraus gab es ja in unseren hiesigen Qualitätsmedien wieder nur extrem verkürzte, dafür dann aber ins russophobe Leit-Narrativ passende Halbsätze zu lesen.
Eine komplette deutsche Übersetzung der Rede ist im Internet zugänglich (https://seniora.org/politik-wirtschaft/friedensvorschlag-an-kiew-putins-komplette-grundsatzrede-zur-russischen-aussenpolitik).
Zur Sache: Teil2 und Schluss
Ich bin jedenfalls nicht bereit, diesem Wahnsinnsvorhaben zu folgen und erhebe meine Stimme gegen das weitere Abschlachten kriegsverführter Menschen, gegen Geschichtsvergessenheit und für massiven Friedenseinsatz, für selbstständiges Handeln statt Nibelungentreue, für Verhandlungen statt Siegfriedenschimären. Verteufelungen helfen nicht weiter, zum Aufeinanderzugehen gibt es keine Alternative.
Was heißt das nun für die Ukraine, so Ihre Frage? Ich halte es im Sinne des verstorbenen Henry Kissinger mit der m.E. nicht schlechtesten Option, dass die Ukraine ein neutraler Staat zwischen den neuen Blöcken wird. Ich kann nicht erkennen, dass Neutralität keine Freiheit bedeutet. Schauen wir uns Österreich und die Schweiz an, zwei Länder mitten in Europa. Mir ist nicht bekannt, dass sich die Menschen, die in diesen Ländern leben unfrei fühlen. Eine neutrale Ukraine, womöglich im Laufe der Jahrzehnte als Brückenbauerin zwischen den neuen Blöcken, ist mir allemal lieber als das fortwährende kriegerische Töten mit unendlichem Hasspotential und ungewissem Ausgang für uns alle, weil geopolitische Aspekte Vorrang vor Frieden haben sollen. Freiheitstreben, wenn es als ideologische Setzung missbraucht wird, wird zur Sackgasse mit tödlichen Folgen.
Nun denn, Herr Wohanka, also zur Sache!
Ich beginne mit Fragen: Welchen Teufel hat Barack Obama geritten, Russland als Mittelmacht zu bezeichnen; etwa die alte US-hybris von „Gods own country“? Wer hat Gorbatschow versprochen, dass nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine NATO-Erweiterung nach Osten nicht vorgesehen ist und sich nicht darangehalten? Wer hat vor gar nicht allzu langer Zeit ausgeplaudert, dass MINSK II eigentlich nur als Hinhaltetaktik geplant war und damit offenbart, dass vertragliche Vereinbarungen das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind? Wer hat trotz eines greifbar nahen Verhandlungsergebnisses zwischen Russland und der Ukraine, schon kurz nach Kriegsbeginn, die Reißleine gezogen und die ukrainische Führung ermuntert, ihren „Kampf für die Freiheit“ fortzusetzen statt Friedensbemühungen Priorität zu geben? Wer hat die „roten Linien“ der russischen Regierung ignoriert, gar abgetan, statt sie ernst zu nehmen? Wer hat es nicht für nötig befunden, eine föderale Struktur für die Ukraine auch nur in Erwägung zu ziehen, um der russischstämmigen Bevölkerung im Land Sicherheit und Selbstverwaltung zu geben? Wer hat Grenada mit Gewalt bezwungen gegen das Unabhängigkeitsstreben der Bevölkerung? Wer hat die Malwinen nicht in die gewünschte Freiheit entlassen? Wer spricht permanent von „regelbasierter internationaler Ordnung“ und verstößt ebenso permanent dagegen? Wie soll sich eine Regierung verhalten, wenn sie offensichtlich mit ihren Anliegen und Befürchtungen nicht ernst genommen wird?
Sie sollte auf keinen Fall, ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen, so die die wohl allgemein richtige Auffassung. Deshalb ist der russische Überfall auf die Ukraine zu verurteilen und ein weiteres völkerrechtliches Desaster in der langen Kette der Nichteinhaltung völkerrechtlicher Prinzipien, in diesem Fall durch die Atomgroßmacht Russland. Allerdings entschuldigt das russische Vorgehen nicht die zahlreichen Vergehen der sich derzeit selbstgerecht gebenden westlichen Führungsmacht USA aus früheren Jahren, genauso wenig wie das russische legitimiert wird. Soweit die nicht zufriedenstellende Lage, was den Umgang mit dem Völkerrecht angeht und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Nun erleben wir ob dieser desolaten Situation einen militarisierenden Schub in Europa und vor allem auch in unserem Land, den wir uns vor einigen Jahren nicht hätten vorstellen können und den ich mit großer Besorgnis wahrnehme, gerade angesichts unserer militärisch und militaristisch belasteten Vergangenheit. Ich kann nicht nachvollziehen, welcher „Geist“ in unsere politische Führung gefahren ist, dass sie zusammen mit unseren Verbündeten das einzige Heil in der Niederringung der größten Atommacht der Welt sieht und alle Register zieht, um unsere Bevölkerung auf diese Zielsetzung einzustimmen. Mit allen Mitteln der Propaganda, vornehmlich mit dem billigen Schüren von Russenangst, und mit unübersehbaren Konsequenzen für unsere Gesellschaft und für zukünftige Generationen.
TEIL 2 und damit Schluss folgt
Wohanka zu Scherers Wahlquälerei
Lieber Herr Wohanka, da ich in Urlaub war, habe ich leider die Diskussion um meinen Artikel nicht mitbekommen und melde mich hiermit leider etwas verspätet zu Wort, da einige Ihrer Einwände nicht unwidersprochen bleiben sollten.
Zur Sache: Sie werfen mir teilweise Unsachlichkeit und Diffamierung vor, haben aber nichts Besseres zu tun, als mir gegenüber mit Unterstellungen und unzulässigen Verallgemeinerungen zu argumentieren. So werfen Sie mich einfach mal in einen Topf mit allen beleidigten „Lumpenpazifisten“, um sofort „nachzuweisen“, ich sei selbst ein Beleidiger. Wozu soll eine solche Argumentation dienen, wenn nicht dazu, den Verfasser unglaubwürdig zu machen, worauf ja schlussendlich Ihre Argumentation hinausläuft. Aber oft gehen solche Schnellschüsse nach hinten los. Zunächst einmal ist es keine Beleidigung, wenn führende Politikerinnen unseres Landes als „Bellizismusamazonen“ bezeichnet werden. Es ist vielmehr eine satirische Zuspitzung von deren kriegslüsternem Gehabe, die den Kern ihres Handelns auf den Punkt bringt. Der Geifer rinnt ihnen förmlich aus dem Mund, wenn es darum geht, die deutsche und europäische Bevölkerung auf Krieg einzustimmen. Das zu sehen und zu verurteilen bedarf es nicht einmal einer pazifistischen Gesinnung. Des weiteren scheint Ihnen nicht zu gefallen, dass ich „völlig einseitig“ für den Frieden bin, da fehlt Ihnen wohl die Kompromissfähigeit. Aber wenn es um Krieg und Frieden geht, gibt es keine Kompromisse: Frieden geht vor! Deshalb muss dem völlig einseitigen Kriegsgeschrei, der von Ihnen in Schutz genommenen Bellizistinnen mit einer klaren Position begegnet werden. Im Europaparlament, in dem beide Damen ja in Zukunft agieren werden, müssen/mussten also die Friedenskäfte gestärkt werden. Dass das BSW dazugehören wird ist ja wohl unbestritten. Genau dafür lohnt sich manchmal konsequente Einseitigkeit. Die „Nebenkriegsschauplätze“, die Sie mit Ihren Argumenten eröffnet haben, sind genau das. Deshalb ist es auch nicht „unehrlich“, wie Sie mir unterstellen, wenn ich nicht genügend auf die Andersdenkenden eingehe. Mir ging es angesichts einer „Schicksalswahl“ um Parteinahme, Parteinahme für eine völlig unter den Teppich gekehrte Friedenspolitik. Meinen Artikel quasi als einseitiges pazifistisches Blabla abzutun liegt mehr als daneben.
Lieber Herr Scherer,
„Der Geifer rinnt ihnen förmlich aus dem Mund, wenn es darum geht, die deutsche und europäische Bevölkerung auf Krieg einzustimmen“ – Sie können es offenbar nicht lassen…..
Aber lassen wir das kleinteilige Geplänkel, gehen wir doch der Sache auf den Grund. Für den unbedingten Pazifismus, den Sie – „keine Kompromisse“ – vertreten, gilt, dass die Aufgabe der Unbedingtheit und die Anerkennung von historischen Tatsachen Selbstaufgabe bedeutete. Und wer nähme eine Selbstaufgabe schon hin; Pazifisten dazu aufzufordern, scheint mir wenig Erfolg versprechend.
Hellmut von Gerlach schrieb 1934: „Die englischen Arbeiter sind nicht dem Pazifismus untreu geworden, sie haben nur eingesehen, dass andere Zeiten andere Methoden des Pazifismus erheischen. Was vor Hitler erlaubt oder sogar gut war, kann unter Hitler zu einem Verbrechen am Pazifismus werden, nämlich zu einer Ermunterung seiner Gewaltpolitik und damit zur Erhöhung der Kriegsgefahr führen“. Nun kann es überhaupt nicht darum gehen, hier Hitler durch Putin zu ersetzen – es geht mir darum, deutlich zu machen, dass wir es heute wieder mit „anderen Zeiten“, die „anderer Methoden“ bedürfen, zu tun haben. Nämlich eben wieder mit einem Aggressor, der beliebig das Völkerrecht bricht. Für den das Recht des Stärkeren gilt, der Schwächen des Gegners gnadenlos ausnutzt.
Vor diesem Hintergrund besteht das Dilemma des Pazifismus darin, in die Gefahr zu geraten, sich der Gewalt des Totalitären zu unterwerfen. Oder anders – gewaltfreier Widerstand oder Pazifismus setzte einen Gegner voraus, der es moralisch nicht verantworten kann, beispielsweise wehrlose Menschen zu töten – trifft wohl auf die Putinsche Kriegsführung eher nicht zu.
Der Philosoph Slavoj Zizek sagte, einige der pazifistischen Positionen implizierten, dass westliche Regierungen Russland einfach erlauben sollten, die Ukraine zu besetzen. Nicht den Angreifer, sondern das Opfer und seine Unterstützer unter Druck zu setzen, sei kein Pazifismus. Ferner würden diese „Pazifisten“ darauf bestehen, Putin zu „entdämonisieren“ für Verhandlungen. Zizek schlägt im Gegenteil vor: „Der Angriff auf die Ukraine zwingt uns, nicht Putin persönlich zu dämonisieren, sondern sein gesamtes äußerst gefährliches geopolitisches und ideologisches Projekt“. Und wenn da manche davon ausgehen, dass dieses „Projekt“ mit der Ukraine nicht abgeschlossen sein könnte, ist das ein naheliegender Gedanke… mit naheliegenden Schlußfolgerungen und Handlungen…
Und noch einen anderer hegt offensichtlich ein „Projekt“: Im November 2022 trat Putinfreund (!) Orban mit einem Schal auf, auf dem eine Karte von „Großungarn“ abgebildet war. Ihm geht es um die Revision des Trianon-Vertrages von 1920. Die Regierung Orbán hat den Auslands-Ungarn Doppelpass und Wahlrecht gegeben; mit viel Geld unterstützt sie Kultur- und Bildungseinrichtungen in den Anrainerstaaten. Am 25.07.2023 legte Orban nach: In einem Auftritt in Siebenbürgen auf spielte er erneut auf Großungarn an. Und verärgert und bedrohte nicht nur Rumänien, sondern auch die Slowakei und die Tschechische Republik. „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“.
Daher abschließend die Frage: Was würde ein Frieden der besiegten Ukraine für die Zukunft der Sicherheit und des Friedens in Europa und der Welt bedeuten? Haben Sie die Antwort?
Stephan Wohanka
Ulrich Busch hat seine unverhoffte Begegnung mit einem realexistierenden Bürger im Osten beschrieben. Das Fazit kennen wir schon von Loriot: „Die Welt geht unter, aber wir haben Senf, Wurzelbürsten und Badezusatz.“
Unabhängig davon, was man unter „gewonnen“ versteht, also eine Mehrheit oder einen starken Zugewinn an Stimmen bei Verlusten der Konkurrenz, glaube ich schon, dass die Friedensfrage einen Einfluss gehabt hat, und das ist auch gut so. Aber ich bezweifele doch sehr, ob das zur Erklärung ausreicht. In dem Zusammenhang vermisse ich bei den medialen Diskussionen einen Aspekt, und über dessen Abwesenheit wundere ich mich doch sehr: die vorige Legislaturperiode des Europaparlamentes, aber auch der jetzt neu gewählten kommunalen Vertretungen, war doch zu einem großen Teil von der Coronapandemie geprägt. Von diesem doch einschneidenden Ereignis ist erstaunlicherweise überhaupt nicht mehr die Rede, aber ich vermute mal, dass der Umgang mit der Seuche, die Rolle des Staates, der Medien, auch der Parteien, der Umgang mit Kritikern der Maßnahmen usw. die Haltung vieler Menschen zur bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und ihren Repräsentanten nachhaltig geprägt hat, zumindest in Deutschland (wie das in anderen Ländern ist, vermag ich nicht einzuschätzen). Warum wird das so konsequent ausgeblendet, oder habe ich da nur die Diskussion verpasst?
Die von Herrn Scherer beklagte Wahlquälerei hatte ja nun ihr Ende gefunden. Auf eine Weise, dass jetzt die Ampelisten mit der grünen oder roten Laterne durchs Land laufen und ihrerseits gequält klagen.
In der Weltwoche betont Ulrike Guérot, auf die EU insgesamt bezogen: „Wer hat bei der Europawahl gewonnen? Die kurze Antwort ist: Diejenigen Parteien, die für Frieden sind!“ Das gilt ungeachtet dessen, wie man das findet.
https://weltwoche.de/daily/wer-hat-bei-der-europawahl-gewonnen-die-kurze-antwort-ist-diejenigen-parteien-die-fuer-frieden-sind/
Sehr verehrter Herr Ernst!
Sie meinen es gut, nur einen Wermutstropfen in den Wein: Seit wann gewinnt man – ich greife einmal das Beispiel Deutschland heraus – mit zusammengerechnet nur 22 Prozent abgegebener Stimmen Wahlen, wenn die übrigen mehr als 70 Prozent es in der von Ihnen herausgestellten Frage zumindest anders sehen, als Sie es da ziemlich einfach gestrickt entwickeln? Meinen Sie tatsächlich, die über 70 Prozent in Deutschland wollen Krieg?
Ihnen beste Grüße
Antwort an Stephan Wohanka
Sie schreiben „…dass die Verheißungen des globalen Südens – nämlich ohne ‚Kolonialherren‘ endlich politisch und ökonomisch gerechte Gesellschaften bilden zu können – so einfach nicht aufgehen.“ Sind das „die Verheißungen des globalen Südens“? Die BRICS-Staaten, beispielsweise, sind eher ein Gegenpol zu den internationalen Finanzinstitutionen wie sie nach WWII gebildet wurden und seither von den westlichen Staaten dominiert sind. Zu diesen Staaten gehören in der Tat die ehemaligen Kolonialherren (und -Damen). Das Regiment des IWF, der Weltbank u.a. hat vielen Ländern der „dritten Welt“, um mal diesen Vorläuferbegriff für den globalen Süden zu verwenden, wenig gebracht in ihrer Entwicklung. So sehen es die betroffenen Länder selber. Sie sind es einfach leid, am Katzentisch der globalen Wirtschaft sitzen zu müssen. Deshalb suchen sie neue Bündnisse einzugehen, in denen sie eine bessere Entwicklungsperspektive sehen. Mit starken ökonomischen Partnern wie China und Indien kann diese Sicht der Dinge durchaus „aufgehen“. Keineswegs heißt das, dass der „globale Süden“ sich nun aus der Weltwirtschaft verabschiedet und dem Westen die kalte Schulter zeigt. Im Gegenteil. Es geht darum, gleichberechtigt auf Augenhöhe mitzumachen. Die „Katzentisch-Politik“ des „globalen Nordens“ sollte endgültig der Vergangenheit angehören.
Sie schreiben: „Mit starken ökonomischen Partnern wie China und Indien kann diese Sicht der Dinge (dass die Länder des globalen Südens neue Bündnisse einzugehen, in denen sie eine bessere Entwicklungsperspektive sehen – St. W.) durchaus ´aufgehen´“. Ich denke – nur bedingt. Nehmen wir China. Im aktuellen Blättchen ist der Text – Brics: Programmierter Aufstieg von Walter Schilling zu lesen. Er gibt Einiges zum globalen Verhalten Pekings wieder… was nicht unbedingt Partnerschaften auf Augenhöhe vermuten lässt.
Offiziell sind die chinesischen Kredite nicht an politische Bedingungen geknüpft. Eine Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft von 2021 kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Kreditbedingungen oft ungewöhnlich streng sind und damit den chinesischen Einfluss zementieren. Ferner behält sich China das Recht vor, jederzeit die Rückzahlung der Schulden einfordern zu können, was zusätzliche politische Einflussmöglichkeiten eröffnet.
Zum Beispiel Sri Lanka: Vor 2000 gab es quasi keine Investitionen Pekings in Sri Lanka. Laut einer Studie der Verite Research Group aus Sri Lanka flossen auch zwischen 2005 und 2009 nicht mehr als zwei Millionen US-Dollar. Dann aber wurden aus den Millionen plötzlich Milliarden.
Peking lockte die Regierung von Sri Lanka mit großzügigen Krediten, den Tiefseehafen von Hambantota in Auftrag zu geben – natürlich an chinesische Unternehmen. Rund 1,3 Milliarden US-Dollar kostete das Projekt anfangs, bis 2012 wuchsen die Kosten auf 1,5 Milliarden und schließlich auf 1,8 Milliarden an. Das Geld sollte bis 2036 zurückgezahlt werden. Allerdings machte der Hafen nur Verluste. In der gleichen Zeit aber musste die Regierung von Colombo sowohl den Kredit abstottern als auch hohe Zinsen dafür bezahlen. Spätestens im Dezember 2016 wurde klar, dass der Hafen wohl nie so profitabel werden würde, wie es die Studien anfangs suggeriert hatten. Die Regierung konnte ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen und einigte sich mit dem chinesischen Gläubiger auf eine Restrukturierung; der Hafen ist quasi in chinesischer Hand.
Ähnliches gilt für den wenige Kilometer entfernten Flughafen von Hambantota. Der Mattala International Airport wurde ebenfalls mit einem chinesischen Kredit von 190 Millionen US-Dollar gebaut – und steht sechs Jahre nach Eröffnung noch immer leer. Menschen kommen schon, aber es sind Besucher, die einen Sonntagsausflug zu einem leeren Flughafen machen. Sri Lanka hat gerade eine der schwersten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte hinter sich; die Inflation lag bei 80 Prozent; das Land war faktisch zahlungsunfähig.
Sri Lanka ist dabei kein Einzelfall. Laut IWF standen Anfang 2023 21 Staaten vor der „Insolvenz“ beziehungsweise haben Probleme, ihre Schulden zurückzuzahlen: von Ägypten bis Pakistan, von Sri Lanka bis Laos. Sogar von der größten Schuldenkrise der Geschichte ist die Rede, nimmt man die Anzahl der davon betroffenen Menschen als Maßstab – rund 700 Millionen. Dass es dazu kommen konnte, liegt nicht nur, aber vor allem an dem chinesischen Großprojekt Neue Seidenstraße. Sic!
Immer wieder diese Wahlquälerei von Jürgen Scherer
Jürgen Scherer ist „völlig einseitig“ für den Frieden. Wenn Pazifisten wie er als „Lumpenpazifisten“ tituliert werden, reagieren sie sehr sensibel und empören sie sich – zu recht. Scherer scheut aber nicht davor zurück, Frau von der Leyen als „Bellizismusamazone der CDU“ zu diffamieren und Frau Strack-Zimmermann als „rührigste Lobbyistin für Kriegsgeräte und -geschrei“ zu denunzieren.
Warum greift ein Friedensfreund – um es nur bei diesen beiden Zitaten zur „bellizistischen Frauenriege“ aus seinem Text zu belassen – zu derartigen Invektiven? Vielleicht deshalb, um eine Leerstelle, die seinen Text und andere dieser Couleur auszeichnen, zu kaschieren; nämlich die, dass die in ihnen vertretenen Ansichten und Denkweisen in einem politisch aseptischen Raum geäußert werden, ein Außen kommt nicht vor, alles köchelt in nationaler Soße. Der Blick wird nicht über den Zaun des deutschen Schrebergartens gehoben; es sei denn, man machte hinter dem Zaun auch noch irgendwelche „Kriegstreiber“ aus. Als ob die Bundesrepublik in einem tosenden globalen Meer eine Insel wäre, die heute – und eigentlich schon lange nicht mehr, ob überhaupt einmal? – Politik auf welchem Felde auch immer ohne ihre Verflechtungen und internationale Verpflichtungen machen könnte? Es geht „uns“ das Dadraußen alles nichts an – wie zu Goethes Zeiten: Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus.
Ich stehe beiden Frauen politisch in keinster Weise nahe, im Gegenteil. Aber könnte es nicht sein, dass die beiden und andere „Bellizisten“ auch Gründe für ihre Politik der (Auf)Rüstung haben? Die man natürlich nicht teilen muss, aber mit denen man sich schon ehrlicherweise auseinandersetzen sollte. Oder machen die „Kriegstreiber“ das aus Jux und Dollerei? Genauso wie Finnland und Schweden eine teils Jahrhunderte erprobte Neutralität aufgeben und der NATO beitreten. Oder wie Polen, das vier Prozent seines BIP in die Rüstung steckt – alles Gekaufte der Rüstungsindustrie, die so am Boden lag, dass sie nicht einmal die Munition für Ukraine produzieren konnte? Gäben die Politiker dieser und anderer Länder nicht auch lieber das Geld für Soziales aus?
Insoweit ist Scherers Text (und andere) in gewisser Weise unehrlich – er setzt sich nicht mit der Frage – zumindest kurz – auseinander, warum andere am politischen Diskurs Beteiligte eine gegenteilige Meinung vertreten. Die sagen diese wenigstens: Wir müssen die Ukraine militärisch unterstützen, Russland bedroht auch unsere Freiheit, indem es die europäische „Nachwendeordnung“ zerstört, deshalb müssen wir „kriegstüchtig“ werden usw. Für Scherer sind diese anderen kurz, bündig, plakativ und ehrabschneidend „Bellizismusamazonen“ oder „Lobbyistinnen für Kriegsgeräte und -geschrei“ – siehe oben. Damit ist für ihn das Problem offenbar erledigt; argumentativ doch etwas dürftig. Wenn es doch so einfach wäre…
Verstehe ich Sie richtig, Herr Wohanka: mit „Kriegstüchtigkeit“ zurück zur von Russland zerstörten europäischen „Nachwendeordnung“ und von der Leyen sowie Strack-Zimmermann dabei an der Spitze der Bewegung? Und womöglich mit 900.000 reaktivierten Reservisten der Bundeswehr (so SZs jüngste Idee) in der Hinterhand?
Dergleichen Rechnungen würden nur aufgehen, wenn sämtliche Atomwaffen des Kremlherrschers nicht funktionierten. Mir wäre dieses Risiko allerdings zu hoch. Ihnen nicht?
Manchmal sind Dinge übrigens ganz einfach …
Andere, wie die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg (10.06.2024), halten Strack-Zimmermann allerdings auch für eine „Hardcore-Bellizistin“ …
Liebe Frau Haustein,
Sie missverstehen mich – in meiner Einlassung zum Text von Herrn Scherer geht es darum, dass er die sachliche Auseinandersetzung umstandslos „ersetzt“ durch Beschimpfungen. (Wenn das in anderen Medien auch geschieht, macht das die Sache nicht besser). Ich plädiere dafür anzuerkennen, dass die jeweils andere Seite auch Argumente für ihre Sicht der Dinge hat; auch mal, nicht immer, die besseren – die man natürlich nicht teilen muss. Um nicht mehr und nicht weniger ist es mir zu tun.
Werter Herr Wohanka,
mit diesem Kommentar knüpfen Sie an Ihren Artikel „Ostermärsche und Aufrüstung“ im Blättchen 9/24 an, in dem Sie darlegen, dass die Regierungen das Geld lieber für andere Dinge ausgäben, aber sich durch die östliche Bedrohungslage gezwungen sähen, es schweren Herzens in Aufrüstung und Militarisierung zu stecken.
Ich stimme Ihnen dahingehend zu, dass die Friedensbewegung sich auch mit diesem „Narrativ“, wie man heutzutage in anglophilen Kreisen sagt, auseinandersetzen muss. Vielleicht ist es Ihnen entgangen, aber in derselben Ausgabe 9/24 des Blättchens gab es einen Artikel von Sarcasticus, der genau das tut:
https://das-blaettchen.de/2024/04/kriegshysterie-diagnose-und-therapieansaetze-68677.html
Und auch dieser Blog-Beitrag der Blättchen-Autorin Petra Erler macht dies ausführlich:
https://petraerler.substack.com/p/die-erben-des-dr-seltsam-sie-wissen
Das sind m.E. lesenwerte Artikel, die das dominierende „Narrativ“ hinterfragen.
Stephan Wohanka schreibt in seinem Beitrag „Nur Studentenproteste“ u.a.:
„Das Land [gemeint ist Südafrika] kollabiert in gigantischem Ausmaß, die höchstentwickelte Volkswirtschaft des Kontinents, die im 20. Jahrhundert den Vergleich mit europäischen Staaten nicht scheuen musste, steht nach jahrzehntelanger Misswirtschaft und politischer Stümperei am Abgrund.“ Er vergisst dabei zu erwähnen, dass diese „höchstentwickelte Volkswirtschaft“ Afrikas in der Tat nur einer weißen Minderheit im Lande zugute kam, und freilich westlichen Investoren, die sich mit der Unterstützung der Apartheid-Ökonomie eine goldene Nase verdienten. Niemand stellt in Abrede, dass in den vergangenen 30 Jahren mit Nepotismus und Korruption eine Art Kompradorenbourgeoisie herangewachsen ist, die sich schamlos an staatseigenen Betrieben bereichert hat. Dies und auch Misswirtschaft und wirtschaftliche Stümperei haben dazu geführt, dass Südafrika weiterhin eines der Länder der Welt mit der höchsten Ungleichheit ist, und eine Mehrheit der schwarzen Bevölkerung noch immer in Armut lebt. Dafür ist der ANC ist in den Wahlen vom 29. Mai gehörig abgestraft worden. Er verlor erstmals seine absolute Mehrheit und wird nun lernen müssen, mit Koalitionen zu arbeiten und zu regieren. Doch das ist ein anderes Thema.
Der „historische Kompromiss“ von 1994 hat Südafrika die politische Freiheit gebracht, die Abschaffung der rassistischen Apartheid-Gesetze, demokratische Wahlen nach dem Prinzip eine Person eine Stimme und eine Verfassung, die sich sehen lassen kann. Die kapitalistischen Wirtschafts- und Besitzverhältnisse sind geblieben. Die demokratische Verfassung umzusetzen zum Wohle aller, darin liegt die Krux. Ich erinnere mich dieser Tage an die Aussage eines ANC-Freundes, der mir vor langer Zeit mal gesagt hat, dass man Demokratie nicht essen kann.
Im Grunde bestätigen Sie, was ich geschrieben habe. Dass ich nicht erwähnt habe, dass „diese ´höchstentwickelte Volkswirtschaft´ Afrikas in der Tat nur einer weißen Minderheit im Lande zugute kam, und freilich westlichen Investoren, die sich mit der Unterstützung der Apartheid-Ökonomie eine goldene Nase verdienten“ ist richtig, hätte aber den Rahmen des Textes gesprengt und hat mit dem grundsätzlichen Thema auch nichts zu tun. Aber ich bin mit Ihnen – so verstehe ich Sie jedenfalls – einer Meinung, dass es keinen Grund gibt, die negative Entwicklung dieses Landes gut zu heißen; im Gegenteil. Aber das Beispiel Südafrika zeigt eben auch, dass die Verheißungen des globalen Südens – nämlich ohne „Kolonialherren“ endlich politisch und ökonomisch gerechte Gesellschaften bilden zu können – so einfach nicht aufgehen. Die Gründe dafür, Sie deuten Einiges an, wären einen eigenen Text wert.
Carl von Ossietzky war Pazifist, Herr Donat ist Pazifist. Dafür meine höchste Wertschätzung; auch wenn ich selbst kein Pazifist bin, so wie Friedrich Engels – um ein Beispiel herauszugreifen – kein Pazifist gewesen ist. Meine Wertschätzung für Engels schmälert das keinesfalls. Der alle zwei Jahre von der Stadt Oldenburg verliehene Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik, das verrät ein kurzer Blick auf die Liste der Preisträger, wird auch an Menschen vergeben, die sich nicht als einen Pazifisten sehen. So zum Beispiel 2010 an den polnischen Historiker Włodzimierz Borodziej, der 2021 viel zu früh verstarb. Borodziej gehörte zu den vielen in Europa, die Putins befohlene Annexion der Krim scharf und unmissverständlich verurteilt, nie ein Blatt vor den Mund genommen haben. Er wusste um die Folgen: Russlands richtigen Krieg gegen die ganze Ukraine. Nicht viel anders verfährt die diesjährige Preisträgerin Anne Applebaum, sie verurteilt in klaren Worten den in Moskau befohlenen entsetzlichen Waffengang gegen die Ukraine, der höchste Gefahr bedeutet für den Weltfrieden, weiß den Anfang in der unglaublichen Krim-Annexion. Wenn Herr Donat es anders sieht, also dem Westen vorwirft, das arme Russland zu bedrängen, sei es ihm nicht verwehrt. Aber der diesjährigen Preisträgerin wegen ihrer unmissverständlichen Haltung gegen den russischen Krieg gegen die Ukraine einen Stahlhelm in die Hand zu drücken, den sie Ossietzky gleichsam aufsetze, halte ich für ziemlich unverfroren.
Holger Politt
Anne Applebaum schreibt herrschende Kriegspropaganda. Sie propagiert primitive Feindbilder des traditionalen Westens, indem sie das heutige Russland als die Fortsetzung des Stalinismus ansieht. Wobei die Nationalitätenpolitik der Sowjetunion nicht auf das Gulagsystem zu reduzieren ist und ganz sicher den Völkern mehr unverbrüchliche Rechte garantierte als heute das Verbot der Russischen Sprache in der Ukraine unter der Herrschaft des „Rechten Sektors“.
Der Oldenburger Friedenspreis droht, ähnlich entwertet und in sein Gegenteil verkehrt zu werden, wie es mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels oder dem Namen Heinrich Bölls in der Stiftung der Militärgrünen leider schon seit Jahrzehnten geschehen ist.
Man muss kein Pazifist sein, um den russischen Überfall auf die Ukraine scharf zu verurteilen. Ein Preis, der dem Andenken an den Pazifisten Carl von Ossietzky gewidmet ist, sollte denn aber doch Persönlichkeiten vorbehalten bleiben, die sich Ossietzkys Geist und Werk verpflichtet fühlen. Wenn Frau Applebaum schreibt „Das Russische Reich muss sterben“ (The Atlantic, 14.11.2022), mag für sie die Betonung auf „Reich“ gelegen haben, doch einen Ansatz zur Friedensförderung vermag ich in solchen Losungen nicht zu erkennen. Mit der Herkunft der Autorin hat die Kritik an ihren politischen Auffassungen und an der Preisverleihung übrigens nichts zu tun. Persönliche Diffamierungen sind freilich ebensowenig akzeptabel.
Achim Höger
Holger Politt hat in seinem informativen Beitrag zu recht die großrussische und imperial-antipolnische Sicht des sowjetischen Botschafters Ivan Maiski betont – und dies, obwohl Maiski selbst einer polnisch-jüdischen Familie (Lachowiecki) entstammte. Allerdings hätte man vielleicht doch ein unbestreitbares Verdienst des späten Maiski
erwähnen sollen: Im Jahr 1966 verfasste er einen Brief an Breschnew, den renommierte Historiker und andere Wissenschaftler mitunterzeichneten und der gegen die damals geplante Rehabilitation Stalins Stellung nahm. Erstaunlicherweise hat dieser Brief von ansonsten Kremltreuen Wissenschaftlern und Funktionären dazu beigetragen, dass die von Chruschtschow 1956 – 1961 formulierte Einschätzung des Diktators anschliessend zwar gemildert, doch nicht grundlegend revidiert wurde.
Prof. Dr. Sergiusz Michalski, Tübingen
Die polnisch-jüdische Abkunft muss nicht mit einem Obwohl eingeleitet werden. Der Russe Lenin war entschiedener Gegner des großrussischen Imperialismus, der Georgier Stalin war ein zielstrebiger Verfechter des russischen Imperialismus. In der derzeitigen politischen Kaste Deutschlands tummeln sich etliche Personen persischer und türkischer Herkunft, die deutscher sein wollen als die indigenen Deutschen.
Mit Sorge habe ich in den letzten Monaten die neuen Hefte angeblättert: wohin verschiebt sich der Diskurs beim Blättchen? Nun hat Wolfgang Brauer den Vorhang beiseite gezogen. Ich bin ganz bei ihm, die Sieger sind die Unterzeichner der „Friedensresolutionen“, diejenigen, die keine Waffen und andere Unterstützung für die Ukraine mehr geben wollen. Diesen „Frieden“ hat der russische Außenminister gerade ganz offen beschrieben: Es werde nur eine Ukraine geben, „die wahrhaft russisch ist, die Teil der russischen Welt sein will, die Russisch sprechen will und ihre Kinder erzieht“. Njet, spassiba…
Sehr geehrter Herr Matthies,
dass die Unterzeichner von Friedensresolutionen (ohne Anführungszeichen) gegen jede Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung wären und sich die „Friedens-Vorstellungen“ (mit Anführungszeichen) des russischen Außenministers zu eigen machten, ist – mit Verlaub – eine Unterstellung. Dass sich Blättchen-Autoren nicht den täglichen Siegesbeschwörungen und Waffenforderungen anschließen, die auf eine Verlängerung des grausamen Tötens hinauslaufen, steht indessen tatsächlich in der Tradition derer, auf deren Erbe sich diese bescheidene Publikation beruft.
Heinrich Mann umriss 1937, gemünzt auf Ulbrichts Kampf gegen Münzenberg, seine Haltung zu den Konflikten, an denen damals der von ihm geleitete Ausschuss zur Vorbereitung einer Volksfront zerbrach: „Man mag es kaum glauben, aber selbst jetzt hat die deutsche Linke ihre verantwortungslosen Elemente. Denen scheint es wichtiger, einem Genossen zu schaden, als Hitler zu stürzen. Sie ziehen es vor, für den Rest ihrer Tage im Exil zu bleiben und pessimistische Analysen der Wirklichkeit zu verfassen.“ Er hat Ulbricht isoliert, so gut er konnte, und sich 1949 an Pieck und Grotewohl gehalten. Aber beiseite stehen wollte er deshalb nie.
Bitte, Herr Brauer, versuchen Sie es weiter. Und, liebe Redakteure, nehmen Sie die von Wolfgang Brauer begründete Kritik in allen Punkten ernst, bei Ihren internen Treffen und vor allem: in den Inhalten des Blättchens. Sonst würde dessen Titel-Layout wirklich Etikettenschwindel.
Nachdem Wolfgang Klein den Anfang machte, möchte ich meine Irritationen in der Sache mitteilen; diese kamen gleich auf, nachdem ich Wolfgang Brauers Einlassung gelesen hatte… und benennen in abstrakter Form das, was Klein am historischen Beispiel darlegt: Wenn man sich zu einem Projekt zusammentut, um die „Tradition der undogmatischen Linken der Weimarer Republik“ fortzuführen und insbesondere die „Weltbühne von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky“, müsste doch zumindest ein politischer „undogmatisch-linker“ Grundkonsens herrschen, der auch Streit in der Sache aushält. Aber auch mögliche persönliche Nickligkeiten, Befindlichkeiten…
Wenn es offenbar nicht möglich ist, in einem politisch „kleinen“ Segment notwendige Abstimmungen und Kompromisse zu finden, was erwarten wir, was können wir dann von „höheren“ Ebenen erwarten, wo es neben persönlichen Differenzen auch um wirklich divergierende politische Ansichten und vielleicht materielle Vor- oder Nachteile geht? Ganz zu schweigen von Auseinandersetzungen und Kriegen, wo es um Leben, Tod, Sein oder Nichtsein geht? Mit welcher Glaubwürdigkeit, mit welcher Legitimation kann sich dann das Blättchen – auch das deutet Klein an – noch in diese wirklich essentiellen Debatten einmischen?
Ich kenne die Beteiligten zu wenig, um an sie zu appellieren, ihren Streit beizulegen. Um die Diskursfähigkeit des Blättchens zu erhalten, sollte jedoch die Redaktion schnell reagieren und die inhaltliche Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Vielleicht mit ein, zwei … Texten zum eigenen politischen Selbstverständnis – beispielsweise was meint in der „Tradition der undogmatischen Linken der Weimarer Republik“ zu stehen heute?
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Autorenkolleginnen und -kollegen,
vor mehr als 14 Jahren wurde „Das Blättchen“ mir zur publizistischen und politischen Heimat. Ich gewann bei dieser Arbeit persönliche Freunde, die ich nicht missen möchte. Und ich habe von ihnen allen unendlich viel gelernt – dafür bin ich dankbar.
Dennoch, es geht nicht mehr. Ich steige aus. Die redaktionsinternen Streitereien haben ein Maß erreicht, das für mich nicht mehr ertragbar ist. Von einer gemeinschaftlichen Redaktionsarbeit kann seit längerem keine Rede mehr sein. Ich habe das lange Zeit auf persönliche Unverträglichkeiten zwischen Kollegen Wolfgang Schwarz und mir geschoben, das ist mitunter so und weiter kein Problem, wenn das gemeinsame Interesse an einer Sache überwiegt.
Aber hinter diesen Konflikten steckten und stecken grundsätzlich verschiedene politische Sichten, die sich zunehmend als gravierende inhaltliche Differenzen darstellen. Um die geht es eigentlich. Auch die haben eine Vor-Geschichte, die nicht erst mit dem Ukraine-Krieg begann.
Level 1
Erstmals kulminierte das im Zusammenhang mit einem Text, den ich als Besprechung eines Buches geschrieben hatte, das sich gegen die seinerzeit – das war noch lange vor Corona und dem Auftauchen der „Querdenker“-Szene – wieder lauter werdenden „Verschwörungstheorien“ wandte. Ich ging recht arglos an die Sache heran, wusste ich mich doch mit unserem Stammautoren, Prof. Dr. Dieter B. Herrmann, seinerzeit Präsident der Urania und stellvertretender Präsident der Leibniz-Societät, einig. Was ich aus Unkenntnis nicht beachtet hatte, war eine gewisse geistige Nähe unseres Kollegen Wolfgang Schwarz zu Autoren wie Paul Schreyer. Und damit die Nähe der Hüter „unabhängigen Denkens“, die in der Corona-Zeit eine Hoch-Zeit erlebten.
Level 2
Sie erinnern sich sicherlich an das monatelange Schweigen des „Blättchens“ in Sachen Corona. Ich habe das immer für falsch empfunden, weil genau die demokratiediskursträchtigen „Nebenwirkungen“ der Regierungspolitik von Anfang an unser Feld gewesen wären. Aber genau da passierte zunächst überhaupt nichts, sondern es gab den Versuch, fleißig angelesenen virologischen „Sachverstand“ – natürlich aus „unabhängigen Quellen“ – auszubreiten und auch auf unseren Seiten darzulegen, dass de facto ein banales Grippe-Virus aus vordergründigen Interessen heraus aufgepustet werde. Dagegen gab es in der Redaktion Widerstand, ein überhaupt nicht tragbarer Artikel wurde zurückgezogen. Das Ergebnis war ein fauler Kompromiss.
Einerseits schwiegen wir uns zum am meisten die Öffentlichkeit bewegenden Thema dieser Republik aus. Die Pandemie existierte einige Zeit für uns überhaupt nicht. Ein Supergau für eine politische Publikation! Eine vorsichtige Öffnung zu diesem Thema nahm ich dann in einem „meiner“ Hefte vor. Aber das ist egal, für Wolfgang Schwarz war ich jedenfalls in der Angelegenheit de facto Beelzebub.
Mit dem Krieg in Osteuropa kam es zu einer neuen Qualität des Niedergangs.
Level 3
Auch hier werfe ich mir abgrundtiefe Naivität vor. Jahrelang kultivierten Wolfgang Schwarz und einige wenige andere Autoren das alte Feindbild des „Westens“ gegen das von einer geradezu letalen Umschlingung bedrohte Russland: „Russland und der Westen“. In der Konsequenz dominierte in unserer Zweiwochenschrift eine durchaus einseitige, penetrant russophile Sichtweise, die andere – denkbare und durchaus begründbare – Sichten überdeckte. Solange es Analyse war, war das gut und richtig – aber die zunehmend parteiergreifende „Argumentation“ wurde dominierend und rief den Widerstand anderer Autoren auf den Plan. Nicht nur Jörn Schütrumpfs und Heinz Jakubowskis, der genau deswegen endgültig mit dem „Blättchen“ brach, an dessen Bestehen er fast 20 Jahre aktiven Anteil genommen hatte. Wolfgang Schwarz und Erhard Crome – wo immer es ging via Pseudonym – reagierten mit herabsetzender Verächtlichmachung, mit der man alten Weggefährten einfach nicht kommt.
Sehr geharnischt reagierte auch Erhard Weinholz unmittelbar nachdem Wladimir Putin die Maske eines zivilisierten Staatsmannes hatte fallen lassen, gegen den ich mich befleißigt fühlte, Wolfgang Schwarz zu verteidigen. Weinholz nahm und nimmt mir das bis zum heutigen Tag übel und stieg aus der Autorencrew aus – ich bedauere mein seinerzeitiges Verhalten seit Längerem zutiefst.
Übrigens glitt durch die sich verstärkende Fokussierung auf das post-sowjetische Themenfeld der „Rest der Welt“ fast vollständig aus dem Blickfeld. Von stark im Außenpolitischen verankerten Kollegen hätte ich mir mehr Themen- und Autorenpflege versprochen. Wolfgang Schwarz allerdings hat sich diesbezüglich nie als Redakteur verstanden, sondern lediglich als (monothematisch missionierender) Autor – das ist zu wenig und sogar inakzeptabel für den, der eine Zeitschrift verantwortet, wobei er andererseits in den zahlreichen Fällen der lufthoheitlichen Verbreitung „seiner“ Position den Aufwand von Autorensuche bzw. Textverlinkungen mit Fleiß betrieben hat.
Auf „meinen“ Feldern, dem Feuilleton, habe ich das – die Themen- und Autorenpflege – versucht.
Level 4
Mit dem wohl von keinem von uns für möglich gehaltenen Überfall Russlands auf die Ukraine – auch unsere Russland-Spezialisten müssten sich eigentlich mit dem Vorwurf vollständigen Versagens auseinandersetzen – setzte offensichtlich eine Phase der Schockstarre ein. Im ersten Vierteljahr des Krieges überwog die Ablehnung des russischen Angriffs, um dann wieder in das gehabte Erzählmuster zurückzufallen: Der „völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands“ (eine verbale Floskel) sei zwar zu verurteilen, aber ein Ergebnis der langjährigen Politik des Westens, die immer darauf abgezielt habe, Russland klein zu halten, wenn nicht gar zu zerschlagen. Schließlich gelte es, „die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands“ zu berücksichtigen. Was mich bei dieser Argumentation besonders empört, ist das stillschweigende Inkaufnehmen der russischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur des überfallenen Landes. Was mich empört ist das völlige Ignorieren der „legitimen Sicherheitsinteressen“ der kleineren (bei der Ukraine verbietet sich dieses Attribut allerdings) Nachbarstaaten der Russischen Föderation. Die jetzt tatsächlich vorhandene NATO-“Einkreisung“ (ein Blick auf die Karte zeigt, wie lächerlich dieser Begriff ist), konkret Finnlands und Schwedens NATO-Beitritt, ist Putingemacht. Dass das westliche Bündnis in den Ländern des Baltikums und in Polen derzeit mehr Sympathien genießt als Russland, dürfte nicht zufällig sein.
Von einer einigermaßen ausgewogenen und differenzierten Sicht auf diesen Großkonflikt kann auf unseren Seiten keine Rede mehr sein. Wagt es dennoch jemand, einen anderen Akzent zu setzen, erfolgt die Maßregelung. Zumeist im „Forum“, seltener unter Klarnamen, öfter unter Benutzung von Pseudonymen – aber immer in ehrabschneidender, nicht selten verhöhnender Form. Ergebnis ist ein mediales Produkt, das mehr und mehr zur Litfaßsäule der russischen Politik mutiert.
Noch skurriler wird es, wenn versucht wird – auch wenn es „nur“ durch die Verlinkung ist –, die regelmäßigen Geschichtslektionen, jeder ernsthafte Historiker kann die nur unter „сказки» verbuchen, des russischen Präsidenten über unsere Seiten zu verbreiten. Damit wird „Das Blättchen“ zum „Boulevard“. Als Historiker kann ich nur noch den Kopf schütteln. Natürlich sind wir keine historische Fachzeitschrift. Aber diese Einseitigkeiten würde ich keinem Grundkurs durchgehen lassen.
Level 5 …
ist noch nicht erreicht, deutet sich aber an. Angefügt an die Auseinandersetzung mit den durchaus kritikwürdigen Recherchemethoden von CORRECTIV folgte leider auch auf unseren Seiten eine vorsichtige, aber doch step by step deutliche Verächtlichmachung der Menschen, die zu Hundertausenden gegen die neuen Nazis auf die Straße gingen: „Man trifft sich zur Demo wie früher sonntags in der Kirche, um zu zeigen, dass man zum rechtschaffenen Teil der Gemeinde gehört.“ Immerhin könne man das auch in den „Nachdenkseiten“ so lesen, die schon in Pandemie-Zeiten nicht zufällig einschlägige „Blättchen“-Texte wie den der als Expertin apostrophierten Gabriele Muthesiuis dann gern übernahmen.
Da kann man auch lesen, dass die gefährlichste Partei Deutschlands die der Grünen und nicht die AfD sei. Das blieb so gut wie unwidersprochen. Immerhin artikuliere sich in den AfD-Werten der Bürgerprotest gegen die verheerende Politik der Ampel, heißt es mitunter auch bei uns. So fangen Verharmlosung und Fokusverschiebungen an …
Mittlerweile ist auch im „Blättchen“ aus Politikkritik Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie geworden; einer Demokratie voller Probleme und Widersprüche, indes noch immer der unentbehrliche Kitt des gesellschaftlichen Zusammenlebens – jedenfalls solange andere, und zwar praktikable menschenfreundliche Modelle nicht gegeben sind.
In all den Jahren meiner Redaktionstätigkeit versuchte ich unserem Anspruch, Nachfolgerin der „Weltbühne“ zu sein, mit großer Demut vor unseren Vorgängern und mit Dankbarkeit für die Möglichkeit des Mitwirkens in einem Autoren- und Redaktionsteam, mit dem ich mich einig wusste, gerecht zu werden. Die sich zunehmend von gutem linken Journalismus entfernende Umpositionierung des „Blättchen“ kann man nicht mehr ignorieren. Mit der Tradition Jacobsohns, Tucholskys und Ossietzkys hat das nichts mehr zu tun. Wir segeln inzwischen unter falscher Flagge.
Da will ich nicht mehr mittun. Ich steige aus. Und zwar sofort. Das jüngste und unangekündigte Eingreifen des Kollegen Schwarz in meinen unmittelbaren Zuständigkeitsbereich als Redakteur – das zweimalige Entfernen eines FORUM-Beitrages –, war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Ich verlasse die Redaktion und stehe dem „Blättchen“ auch als Autor nicht mehr zur Verfügung.
Wolfgang Brauer (Günter Hayn)
Wir, die Redakteure des Blättchens, bedauern das Ausscheiden Wolfgang Brauers aus unseren Reihen sehr. Wolfgang Brauer hat in den langen Jahren seiner Mitarbeit unvergessene Verdienste um diese Publikation erworben. Gewiss treffen in jeder Redaktion unterschiedliche Meinungen, Temperamente und Handschriften zusammen und aufeinander. Durch freimütigen Austausch, respektvollen Abgleich der eigenen Meinung mit der Auffassung anderer, können solche Differenzen fruchtbar werden. Es ist dies nicht der Ort, auf die von Wolfgang Brauer erhobenen Vorwürfe im Einzelnen einzugehen. Dazu wäre bei redaktionsinternen Treffen sehr wohl Gelegenheit und Zeit gewesen. Die Möglichkeiten unzureichend genutzt zu haben, müssen wir uns als gemeinsames Versäumnis anrechnen lassen. Von der Meinungsvielfalt in den bisher erschienenen 400 Online-Ausgaben des Blättchens können sich unsere Leser selbst ein Bild machen. Und es bleibt dabei, was in unserem Editorial als Vorsatz festgeschrieben ist: „Es geht uns um Anregung und Austausch, der – auch im Streit – produktiv werden kann für linkes Denken und Handeln innerhalb und jenseits jedweden parteipolitischen Kanons.“
Kritik des erbarmungslosen Wissens, danke Michael. Sehr anregender Artikel . Stegi
Zum Beitrag in der jüngsten Blättchen-Ausgabe über den Brandbrief von Heinrich August Winkler & Co. an den SPD-Parteivorstand, in dem der SPD ein „romantisierendes Hochhalten der Bahrschen Außenpolitik“ vorgeworfen wird, ließe : sich ergänzen, dass Winkler noch im Juli 2023 in seinem FAZ-Beitrag „Der Tabubruch von Tutzing“ eine weit differenzierte Sicht gepflegt und hervorgehoben hatte: „Selten hat ein deutscher Politiker mit einer einzigen Rede eine so nachhaltige Wirkung erzielt wie Egon Bahr, der damalige Pressechef des Berliner Senats, am 15. Juli 1963 vor dem Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing.“ Dort hatte Bahr „unter dem Motto ‚Wandel durch Annäherung‘ eine Alternative zur [gescheiterten – W.S.] bisherigen offiziellen ‚Politik des Alles oder Nichts‘ […]“ entwickelt. In diesem Beitrag lautete Winklers Fazit noch: „Die sozialliberale Koalition [unter Kanzler Willy Brandt ab 1969 – W.S] hatte mit ihrer neuen Ostpolitik viel erreicht […].“
Zugleich hatte Winkler betont, „dass diese Politik nur deswegen erfolgreich war, weil sie […] von der Fähigkeit zur militärischen Abschreckung im Rahmen des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses NATO flankiert wurde“. Letzteres wäre heute ja nun wirklich ein Faktor, auf den man angesichts der praktisch uneinholbaren konventionellen Überlegenheit der NATO gegenüber den russischen Streitkräften bei einer politischen Initiative des Westens zur Deeskalation gegenüber Moskau vertrauensvoll bauen könnte!
Verehrter Henricus Schwertfeger,
schon Cajus Julius Cäsar wusste zu sagen: Vae Victis!
Verehrter Ralf Nachtmann, meinen Dank für Ihr Stichwort. Vae Victis galt schon vor Cäsar und gilt bis heute auch nach ihm. Daniela Dahn hat in ihrem Buch „Wehe dem Sieger!“ versucht, das von Ihnen zitierte sprichwörtliche „Wehe den Besiegten!“ inhaltlich zu drehen.
In meinem kurzen Text zum „Westplaining“ habe ich mir die möglichen Bezüge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft erspart. Wo anfangen? Vielleicht im Alttestamentarischen, glänzend beschrieben von Stefan Heym in seinem Roman „Der König David Bericht“. Seitdem es Geschichtsschreibung oder -erzählung gibt, wurde und hat sich Klio, die Muse der Heldendichtung und Geschichtsschreibung, immer wieder prostituiert. Wenn auch, zugegeben, heute und hier weitaus subtiler und diskreter als in biblischen und anderen Vorzeiten …
Verehrter Herr Romeike,
ich fange mal vorne an: Wenn Sie sich im Blättchen äußern, kann man annehmen, dass Sie sich entsprechend dem Selbstverständnis dieses Organs selbst irgendwo/…wie links verorten. Da muss ich mich schon wundern, dass Sie den ersten Teil des von Ihnen rezensierten Artikels – ich habe ihn nicht gelesen, beabsichtige auch nicht, das zu tun, verlasse mich vertrauensvoll auf Ihre Zitation – als „eher vernünftig“ einschätzen, wo er, wie Sie referieren, in einer Ihrer Auffassung nach „in vielem zutreffende“n“ Beschreibung der derzeitigen Lage in diesem unserem Lande“ darlegt, dass die Freiheit im Inneren gleichermaßen von Rechtspopulisten wie Linken in die Zange genommen werde. Über die Faschisten, meinetwegen auch Rechtspopulisten, brauchen wir nicht weiter zu reden: d`accord! Dass sich jedoch linke Politik, so formuliert es der Autor Ihrer Auffasung nach zutreffend, in Identitätspolitik, Fixierung auf Minderheitsinteressen, moralische Selbstüberhöhung und Cancel Culture erschöpft und so die Freiheit bedroht, ist aus der Feder eines Autors in diesem Medium doch eine steile These. Ich zwinge mich hier zur Mäßigung, auch wenn es schwerfällt. Zum ersten von Ihnen goutierten Teil gehören wohl auch Bellstedts wirtschaftspolitische Vorstellungen, die ich, folge ich Ihren Ausführungen, wohl mit Fug und Recht als neoliberal bezeichnen darf. Die Hinwendung Chinas zum Kapitalismus als beispielhaft zu benennen, dazu gehört schon eine gehörige Portion Verbohrtheit. Oder handelt es sich bei Ihnen bzw. dem Zitierten um Sarkasmus?
Nun ja, auch den dritten Teil finden Sie gut und übernehmen völlig kritiklos die alte neoliberale Leier, derzufolge gemeinsames Lernen den wirklich Guten Steine in den Weg legt. Leider reichen weder meine Zeit, noch meine Lust, auch nicht die bei Ihnen zu vermutende Verstehensfähigkeit aus, Ihnen auseinanderzusetzen, wie fruchtbar gerade gemeinsames Lernen sich eben auch für leistungsstarke Schüler*Innen auswirkt. Dass Bellstedt mit Ihrer Zustimmung in diesem Zusammenhang die liberale Wende im Schulsystem der DDR wie vorher die Wende zum Kapitalismus in China als beispielhaft benennt, spricht für sich.
Letztlich bleibt mir unverständlich, warum Sie die von Bellstedt postulierten neoliberalen Umwälzungen mit dem Ziel, letztlich die Kriegsfähigkeit durch Zerstörung des Sozialstaates herzustellen und so mit Kanonen Ruinen zu produzieren, so erschreckend finden. Ich sehe hier eine konsistente, kapitalistische, also zerstörerische, Ideologie, die durchaus mit den von Ihnen gutgeheißenen Teilen seines Textes zusammen geht und der Sie auf den Leim gegangen sind. Verzeihen Sie es einem alten Lehrer, ich habe dieses vernichtende Urteil während meiner aktiven Zeit so gut wie nie gefällt! Sie müssen jetzt dran glauben: Ungenügend.
Zu „Was macht die Sahra da?“ von Maritta Adam-Tkalec
Dieser Text ist mir bisher entgangen. Dabei verdient er Beachtung. Die Autorin schreibt: „Eine mutmaßlich große Zahl von Leuten will irgendetwas anderes als bisher wählen und schaut sich nach einer Alternative zur Alternative für Deutschland (AfD) um. BSW besetzt mit der Mischung aus Großzügig-Sozialem und Streng-Ordnungspolitischem (vor allem hinsichtlich der Migrationskontrolle) eine Lücke. Man sei „linkskonservativ“, sagte Wagenknecht […] Das BSW-Angebot sammelt links und rechts das jeweils Populärste ein. […] Großzügig betrachtet, kann man in der Erscheinung BSW durchaus einen DDR-Widerschein erkennen. Die DDR war links, wenn das heißt, sozialistische Ideale zu verfolgen oder Antifaschismus als Staatsdoktrin zu betonen. Sie war konservativ hinsichtlich der Nationalkultur, die zuletzt sogar das Preußische pflegte und Heimatliches hochhielt. Im Rückblick erscheint vielen auch der Aspekt ´Ordnung und Sicherheit´ als achtenswert“. Alles in allem – „das Bündnis Sahra Wagenknecht bietet eine bisher im politischen Spektrum nicht existente Mischung“.
Tkalec beschreibt nur, sie wertet nicht. Jedoch erhellt sie damit einiges: „Eine bisher nicht existente Mischung“ – und zwar aus dem „jeweils Populärsten links und rechts“; konkret heißt das: Einerseits das „Großzügig-Soziale“, andererseits das „Streng-Ordnungspolitische“ namentlich in der „Migrationskontrolle“ in Verschränkung mit Konservatismus in Sachen Nationalkultur, Heimat und gewiss auch, was „Ordnung und Sicherheit“ angeht. Damit sind im BSW zumindest Übergänge nicht nur in ins konservative Lager gelegt, sondern auch nach rechts darüber hinaus. Das BSW basiert – das „jeweils Populärste links und rechts“ – auf einer politischen Durchmischung und erinnert so an politische Positionen, die mit dem Terminus „Querfront“ belegt sind; also keineswegs „eine bisher nicht existente Mischung“.
Auch für den Politikwissenschaftler Markus Linden „(steht) das Bündnis Sahra Wagenknecht nach eigener Aussage für eine links-konservative Ausrichtung. Das heißt: Linke Sozialpolitik vermischt sich mit einer konservativen Migrationspolitik und mit der Propagierung eines konservativen Wertekorsetts“ und er folgert: „Das Bündnis Sahra Wagenknecht tritt dezidiert mit hybridem Querfront-Populismus an als eine Partei, die radikal gegen das System, gegen die sogenannten demokratischen Eliten Stimmung macht und eine radikale Veränderung durchbringen möchte. […] Und im Endeffekt versucht Sahra Wagenknecht, verschiedene diffuse Protestmilieus in diesen hybriden Querfront-Populismus zu integrieren“.
Möglicherweise schießt Linden mit seiner Kritik über das Ziel hinaus, aber der „Querfront-Gedanke“ kam mir, wie geschrieben, beim Lesens von Tkalec´ Text auch.
Zwei Bemerkungen zu „Deutschland normal“ von Stephan Wohanka
Der Autor fragt am Schluss, ob Jarosław Kaczyński „einen Begriff von [Carl] Schmitt“ habe. Die Antwort ist eindeutig: Carl Schmitt gehört zu jenen politischen Philosophen, die einen großen Einfluss auf Kaczyńskis Denken über den Staat gehabt haben oder genauer: haben. Daraus macht in Polen niemand ein Geheimnis, egal nun ob die Anhänger des Kurses eines nationalkonservativen Umbaus des Staates oder die politischen Gegner. Allerdings ist Carl Schmitt erst nach 2000 umfänglicher ins Polnische übersetzt worden. Da Kaczyński des Deutschen nicht mächtig ist und deutsche Bücher wohl auch nicht liest, geht die Frage nach den Quellen für dessen Interesse an dem deutschen Staatsdenker zeitlich weiter zurück zur Schmitt-Rezeption bereits in der VR Polen. Hier wird häufig der Staatsrechtler Stanisław Ehrlich (1907–1997) genannt, bei dem Kaczyński studierte und promovierte. Ehrlich gilt bis heute als einer der besten Kenner des Werkes von Carl Schmitt in Polen.
Eine zweite Bemerkung: Das Verhältnis zwischen den polnischen Nationalkonservativen und der AfD ist überaus gespannt. Um es hier nur mit einem Beispiel zu illustrieren, sei auf die völlig unterschiedliche Haltung zur deutschen Erinnerungspolitik bezüglich des Zweiten Weltkriegs verwiesen. Während insbesondere Kaczyński – wovon im „Blättchen“ mehrfach und gründlich berichtet wurde – die deutsche Erinnerungspolitik diesbezüglich für einen Vorgang hält, mit dem die deutsche Schuldfrage im Interesse anderweitiger deutscher Interessen verwaschen und verwischt werden soll, hält die AfD es eben genau umgekehrt, denn sie will ja Schluss machen mit der einseitigen deutschen Selbstbezichtigung (Gauland, Höcke usw.) Ich halte es für töricht, die Kaczyński-Partei mit der AfD gleichzusetzen. Das sind zwei verschiedene Schuhe.
Ich danke Ihnen für den Hinweis in der Sache, d. h. zur Schmitt-Rezeption in Polen.
Auch teile ich völlig Ihre Sicht auf die PiS und die AfD als „zwei verschiedene Schuhe“.
Stephan Wohanka
Die schlafende Vernunft gebiert unglaubliche Narrative…
Stündlich wachsende Opferzahlen des Terrorangriffs am westlichen Moskauer Stadtrand, heute sind es 133 Tote, darunter drei Kinder, über 150 Verwundete. Der bewaffnete Überfall auf Besucher eines Konzerts in der „Crocus City Hall“ dauerte nur 18 Minuten. In Paris am 13. 11. 2015 bei Anschlägen an fünf Orten, auch in einem Konzertclub, starben eine ähnlich große Zahl von Menschen, die Zahl der Verletzten war deutlich höher. Terroristen wollen öffentliche Aufmerksamkeit. Sie wollen Rache, von ihnen als feindlich wahrgenommene Gesellschaften bestrafen. Die Reaktionen auf solche Grausamkeiten seitens der betroffenen Staaten fallen sehr unterschiedlich aus. Polizeieinsätze, Gerichtsprozesse, Erzählungen über die Motive der Verbrechen. Mich interessiert das letzte. Wie ist es bei dem jüngsten Terrorakt bei Moskau?
Nach unseren Nachrichten scheint es relativ klar zu sein: Es handele sich um einen Angriff einer Teilorganisation des Islamischen Staats, die in Afghanistan beheimatet ist. Ein Bekennerschreiben wurde veröffentlicht. Und es wird über ein Dementi des ukrainischen Präsidentenberaters Podoljak berichtet: Die Ukraine habe mit diesem Angriff nichts zu tun.
Es schadet nichts, genauer hinzusehen. Ich lese Nachrichten und Kommentare bei BBC, investigativen westlichen, in russischen und ukrainischen Medien. Bei BBC gibt es die bekannten Informationen, fünf oder sechs Männer seien beteiligt gewesen. Der Tod der Besucher des Konzerts sei durch Schüsse oder den durch die Terroristen ausgelösten Brand des Gebäudes verursacht worden. Es wird auf unterschiedliche Versionen zur Herkunft der Terroristen verwiesen. Weiter. In einem Bericht ihres Moskaukorrespondenten di Lorenzo berichtet die Schweizer Online-Publikation „Globalbridge“ , einer der auf der Flucht ergriffenen Terroristen, ein Mann mit tadschikischem Pass, hätte gestanden, für seine Tat eine Summe von „fünfhundert Tausend Rubeln, etwa 5000 Euro“ bekommen zu haben. Und es wird Sergej Markow zitiert, ein „russischer Politikexperte und Berater“, der der Meldung deutlich widerspricht, es sei der IS gewesen: Die Attentäter hätten keine Geiseln genommen, sie hätten keinen Selbstmord gegangen wie üblich bei Islamisten, sondern seien nach der Tat davongelaufen. Es könnten keine Muslime gewesen sein, denn der Anschlag erfolgte im heiligen Monat Ramadan und in der Zeit des Freitagsgebets. Markow, kann ich in einem englischen Wikipedia-Beitrag lesen, war bereits Mitglied des russischen Parlaments für „United Russia“, verteidigte verschiedentlich offizielle russische Positionen. Er arbeite als Professor des MGIMO, einer Moskauer Universität für die Diplomatenausbildung. Ich schaue auch auf der Website des MGIMO nach, kann ihn dort aber in der alphabetischen Liste des wissenschaftlichen Personals nicht finden .
Danach suche ich die Homepage der in Russland verbotenen oppositionellen Zeitung „Novaja Gazeta“ auf. In einem Kommentar eines als Militärexperte bezeichneten Journalisten der Zeitung, der in der Vergangenheit u.a. über die Münchener Sicherheitskonferenz oder darüber schrieb, ob FSB (also der heutige russische Nachrichtendienst) und der KGB (die entsprechende sowjetische Behörde) einander ähnlich seien, kann man lesen : Der Ort des Überfalls war genau ausgesucht, eine große Veranstaltungshalle, genügend weit weg vom Zentrum Moskaus, in dem die Spezialeinheiten zur Terrorbekämpfung sitzen, die Täter waren mit den Werkzeugen der Gewalt ausgerüstet. Eine erste Schlussfolgerung: Ein Terroranschlag dieser Art, wie auch der der Hamas in Israel am 7. Oktober, sei schwer vorauszusehen. Man könne aber auch lernen, „unsere Spionageabwehr“ sei nicht besser als die anderer Staaten. Der Journalist betonte noch, es sei schwer eine „ukrainische Spur“ zu identifizieren, da sich die Anschläge der ukrainischen Geheimdienste immer nur gegen bestimmte Personen gerichtet hätten.
(Fortsetzung folgt)
(Fortsetzung) Und schließlich bringt der Beitrag ein Argument, dass auf den IS hinweist, es sei Rache für die russischen Angriffe auf den IS im syrischen Bürgerkrieg vor acht Jahren. Diese Art Rache sei das wahrscheinlichste Motiv der Mordtaten.
Dann suche ich die Berichterstattung einer ukrainischen Online-Publikation, die sich selbst als unabhängig bezeichnet. Es handelt sich um „NV“, „New Voice“, die auf Englisch, Ukrainisch und Russisch berichtet. Ich habe ein Interview mit dem ukrainischen Orientalisten Igor Semivolos, dem Direktor des Instituts für Nahost-Studien in Kiew, gelesen . Von ihm finden sich eine Menge youtube-Präsentationen im Internet. Er bemüht sich Zweifel an den Argumenten der russischen Seite zu sähen, dass es kein IS-Attentat sei, weil diese immer von Selbstmordattentätern ausgeführt werden. Der IS hätte sich Leute gekauft, die für Geld andere umbringen. Und dann erklärt er noch, es sei doch wahrscheinlich, dass die offenen Islamisten in Russland aktiv vom FSB beobachtet werden, dass sie unter der Kontrolle des russischen staatlichen Dienstes stünden. Der Interviewte fragt, warum die Attentäter überhaupt aus dem umstellten Gebäude entkommen, in ein Auto steigen und durch mehrere Gebiete fahren konnten bevor sie festgenommen wurden. Und dann kommt die entscheidende Frage, warum eine solche Aktion durchgeführt wurde. Und er meint, Russland versuche Druck auf den Westen auszuüben, im eigenen Land die weitere Mobilisierung vorzubereiten u.a. und endet mit der klaren Aussage: „Daher können wir absolut logisch davon ausgehen, dass die russischen Geheimdienste irgendwann von der Möglichkeit dieses Terroranschlags wussten, ihn durchführten und alles taten, um den Fokus auf die Ukraine zu lenken.“
Welche dieser Erzählungen, Deutungen des Terroranschlags kann man also glauben? Oder ist es nur möglich, wie es die ukrainische oppositionelle online-Zeitung „Strana“ machte, die sich widersprechenden Versionen neutral nebeneinanderzustellen? Wir in Deutschland sind ja nicht unmittelbar betroffen, anders als die Bürger Russlands oder die der Ukraine. Allerdings verstärken solche Anschläge auch bei uns eine Atmosphäre der Unsicherheit, vertiefen das, was bereits durch den Krieg oder die zerbröselnde Sicherheitsarchitektur der Entspannungszeit entstanden ist. Wo die Fakten fehlen, gewinnen die absichtsvollen Narrative an Gewicht: Wie war das noch einmal, wer hat Nordstream gesprengt? Werden wir es eines Tages wissen? Ganz sicher. Bis dahin allerdings macht es wenig Sinn energisch für eine der wertegeleiteten Narrative Partei zu ergreifen.
Besser ist, mit den Opfern zu trauern.
Aber es gibt doch eine gültige Einsicht: Der Schlaf der Vernunft, hat Goya eine Grafikserie Ende des 18. Jahrhunderts benannt, gebiert Ungeheuer. Wir sollten unsere Vernunft nicht mehr schlafen lassen, sondern uns genau umschauen und über die Einsichten in die Ereignisse ernsthaft miteinander zu reden.
Ich schreibe mal: Lieber Ralf. (Wenn sich früher einer in der Schule mit Ralf vorstellte, wurde er immer „Ralfi“ genannt, auch wenn er groß und dick war.)
Die Baulichkeiten zeugen vom Gegenteil. Unter „Parkinsons Gesetz“, in dem klassischen Buch des britischen Soziologen C. Northcote Parkinson (nicht zu verwechseln mit dem Erfinder der gleichnamigen Krankheit) gibt es ein Kapitel zum Thema: „Vorgeplante Mausoleen oder der Große Verwaltungsblock“. Darin verweist er zunächst auf das Beispiel des Petersdoms in Rom. Der Tourist, der erstmals diesen Bau sieht, vermutet, hier „muss Innozenz III. sein Anathema gedonnert, hier Gregor VII. das Gesetz der Kirche verkündet haben. Doch „die wirklich mächtigen Päpste“ regierten „lange vor dem Bau dieses Doms“ und nicht selten ganz woanders. Sie waren längst tot, als Julius II. den Entschluss fasste und Leo X. Raffaels Entwürfe guthieß. Die Päpste hatten mit der Reformation die Hälfte ihrer Macht verloren, und als der gewaltige Bau fertig war, waren die „Tage der großen Päpste“ vorüber.
Das britische Weltreich wurde „zum größten Teil in einer Epoche erobert […], in der das Kolonialministerium (soweit es überhaupt schon existierte) in ein paar Abstellräumen von Downing Street residierte“. Ein neuer Abschnitt britischer Kolonialpolitik wurde damit eingeleitet, dass das Kolonialministerium Ende des 19. Jahrhunderts in einen eigens dafür errichteten Bau übersiedelte. Es „bildete dann auch einen passenden Hintergrund für die Katastrophen des Burenkrieges“ Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg wurde beschlossen, den Bau zu erweitern. 1947 wurde dann Indien unabhängig, Anfang der 1960er Jahre war die Abwicklung des britischen Kolonialreiches weitgehend abgeschlossen. Die pompösen Hauptquartiere von Organisationen und Behörden, die speziell für diese geplant und errichtet werden, sind in aller Regel Indiz dafür, dass diese an das Ende ihrer Existenz kommen.
Insofern können Sie gewiss sein, dass die Bauten, die Sie meinen, überflüssige Mausoleen und Zeugnis dessen sein werden, dass auch das 1990 geschaffene neuerliche deutsche Reich in der Mitte Europas Weltgeltung nicht erringen wird.
zu „Zu kurze Arme“ von Erhard Crome:
Sehr geehrter Herr Crome, aber die Pläne für die Erweiterung des Kanzleramtes und die Dimension des noch relativ neuen BND-Gebäudes an der Invalidenstrasse zeigen doch, dass die Arme länger werden sollen…
Die mit großem Abstand in Europa an der Spitze der Ukraineunterstützung stehenden deutschen Gelder, die frühe Anerkennung der sich für selbständig erklärenden Teilrepubliken Kroatien, Slowenien in 1992, es gibt schon einige Signale eines größeren politischen Anspruchs Berlins.
Wie das zu bewerten ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber die in Mitteleuropa nach wie vor größte Volkswirtschaft mit der größten Bevölkerung kann schon Macht aufbauen und auch durchsetzen (siehe Eurokrise). Der Machtaufbau und dessen Ausübung kann durchaus auch durch „Hebelung“ der EU besser gelingen. Und daran wird weiter gearbeitet, auch wenn das nicht immer sichtbar wird. Die ganze Rangelei mit Paris, wer denn nun in der EU den Ton angibt, würde ich als ein solches Signal sehen. Und ob Frankreich mit seinen massiven inneren Strukturproblemen langfristig dabei die Nase vorn haben wird, wage ich zu bezweifeln. (Natürlich haben wir auch genug Probleme). Wenn Mearsheimer u. a. recht hat und der Ukrainekrieg wird bis 2025 „eingefroren“, wird man sehen, wie diese „Nachkriegsordnung“ (hört sich „gut“ an nicht wahr) ausgestaltet sein wird und ob die deutschen pol. Führungsgruppen daraus Machtzugewinn generieren können.
Zu Ulrich Kaufmann „Erneut blickt Sigrid Damm zurück“: eine nette Rezension, bis auf diesen Absatz: „Manchen Leser mag es irritieren, dass die Autorin jetzt an sowjetische Kunstwerke erinnert, zu einer Zeit, da Putins Krieg den Ruf Russlands fundamental ruiniert.“ Mich irritiert es enorm, daß man im März 2023 noch immer diese sehr verkürzte Betrachtungsweise benutzen mag. Wir wissen mittlerweile Genügendes um den wirklichen Hergang der Geschehnisse über Jahrzehnte in und um die Ukraine, und daher finde ich es ärgerlich und grundsätzlich falsch, wenn auch heute noch einfach und endlos die Parolen des Mainstreams wiederholt werden. Im Gegenteil man sollte gerade in dem Minenfeld der Falschdarstellungen auf seine Formulierung achten: es ist nicht „Putins Krieg“ ( Putin, das oder der Böse, der satanisch wütet unter die Lämmer der Ukraine), und nicht dieser Krieg hat Russlands Ruf ruiniert, sondern das Ruinieren Russlands ist das besondere Anliegen des Westens, allen voran der Vereinigten Staaten. Und dann noch dies: lieber Herr Kaufmann, wieso könnte es mich irritieren wenn Sigrid Damm an sowjetische Kunstwerke erinnert? Ist allein das „Erinnern an“ schon eine Schande und Peinlichkeit wenn es etwas Russisches betrifft? Muß das unbedingt hinzugefügt werden, damit man nicht unversehens gesteinigt werden soll, weil man scheinbar etwas Positives zu Russland verlautbart hat? Dieser Absatz zeugt zu meinem Empfinden ( der ich von den Niederlanden aus, voller Bestürzung die politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland verfolge) von der Russophobie die jetzt unter Deutschen grassiert. Es ist unser moralischer Pflicht auf die Sprache zu achten und die dummen Verkürzungen der Politik und der Medien nicht weiter zu reichen. Und Mut zur freien Urteilsbildung zu haben und zu zeigen, gegenüber einer irregeleiteten Öffentlichkeit!
Herr van Ommering, mit Verlaub, was Sie meinen und denken ist Ihre Sache. Schwierig wird es nur, wenn Sie erklären, “ Es ist unser moralischer Pflicht auf die Sprache zu achten“, Sie sich also selber zum Sittenrichter aufschwingen und gleichzeitig auf einen Autor eindreschen, der irgendwie eine andere Meinung hat als Sie. Sie wollen also den einen „Mainstream“ durch einen anderen, Ihnen genehmeren ersetzen… Willkommen im Heiligen Officium!
Gelinde gesagt, ich halte Ihren Beitrag für einen exzellenten Beleg für die aktuelle Verrohung der Diskurssitten.
Wolfgang Brauer
Herr Brauer mag sich an der „Verrohung der Diskursitten“ stören; mich (ver)stört der Inhalt der Suada des Herrn van Ommering. Putin, das Unschuldslamm – wenn schon von „Lämmern“ die Rede ist?
Geht es um die Ukraine, zitiert Putin gern Iwan Iljins „0rganisches Modell“ russischer Staatlichkeit, wonach die Ukraine ein untrennbares Glied des jungfräulichen Körpers sei. Dieses Körpers haben sich „Nazis“ bemächtigt; oder wie ist es zu deuten, dass Putin davon spricht, die Ukraine von „Nazis“ befreien zu müssen? Dass sich (Neo)Nazis in der Ukraine tummeln, ist unbestritten und auch gut beschrieben. Auch, dass Stefan Bandera hochgehalten wird…. Jedoch auch Russland hat eine extrem gewaltbereite Neonaziszene. Gehetzt und Gewalt angewendet wird gegen alle, die nichtrussischer Herkunft sind, gegen Homosexuelle, Andersdenkende.
Der Sieg über „Nazis“ oder „Faschisten“ war einer der wichtigsten Bezugspunkte sowjetischer Identität: Man war damals uneingeschränkt der Sieger und war zurecht stolz darauf. Heute reklamiert Russland diesen Sieg – den alle Sowjetvölker gemeinsam errangen – für sich und „formt“ ihn dergestalt um, dass eben wieder gegen „Nazis“ oder „Faschisten“ geht. Folgt man dem Historiker Timothy Snyder, so „beschreibt Putins Lieblingsautor Iwan Iljin eine verworrene und zerbrochene Welt, die Russland mit Gewalt heilen müsse, und zwar mithilfe eines starken Führers, der die Demokratie zum reinen Ritual macht. Das Projekt heißt: Die Welt ist nicht sie selbst, solange sie nicht russische Werte lebt“. Aber klar – der Westen will Russland ruinieren,
Der Rückgriff auf die Geschichte ist Programm! Anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung zum 350. Geburtstag Peters des Großen sagte Putin: „21 Jahre lange führte Peter der Große den Großen Nordischen Krieg gegen Schweden. Und auch wenn es so aussieht, als hätte er Schweden etwas weggenommen, hat er doch in Wahrheit nur zurückgeholt, was Russland gehörte. Offenbar ist es auch unser Los: zurückzuholen und das Land zu stärken. Wenn wir dies als Grundlage unsres Daseins akzeptieren, werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen“. Die Liste der vielen bekannten und teils bizarren Rechtfertigungen, die Putin bisher für seinen Angriff auf die Ukraine gegeben hat, ist um eine Variante reicher: Es geht (auch) darum, Territorien „zurückzuholen“; welche noch? Könnten damit auch die nach des Zaren Sieg bei Poltawa 1709 gemachten Eroberungen im Baltikum und später auch Finnland gemeint sein? Wenn alle europäischen Länder mit derartigen „historischen“ Forderungen aufträten; der ganze Kontinent stünde in Flammen …
Aus einem Krieg wird in russischer Lesart eine „Spezialoperation“, aus einer gewählten Regierung werden „faschistische Banden“ oder „vereinzelte Missgeburten“, so Dmitrij Medwedew. Der gleiche weiter:„Das ist der Weg für so eine Ukraine“, nämlich das Schicksal Nazideutschlands zu erleiden, was aber den Weg eröffne für „ein offenes Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“. Medwedew wählt exakt die gleichen Worte des – man tritt ihm nicht zu nahe – faschistischen Philosophen Alexander Dugin, der schon lange ein „eurasisches Kontinental-Imperium“ unter Führung Russlands propagiert. Dugin wiederum fußt in seinem Denken auf dem russischen Hitler-Anhänger Iljin, der schon in den 30er-Jahren Ukraine nur in Anführungsstrichen schrieb. Aber nicht nur Dugin, Putin selbst bedient sich immer häufiger des Gedankenguts Iljins – siehe oben.
Aber natürlich – der Westen ist schuld!
Herr Wohanka bestätigt wieder einmal die Wahrnehmung von außen: der „politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland“. Herzlichen Glückwunsch!
Lieber Herr Ernst,
ad 1: Ich kann als Deutscher auf Russland tatsächlich nur eine „Wahrnehmung von außen“ haben – wie übrigens quasi jede Person, die weder Russe noch russischer Staatsbürger ist und die auch etwas über Russland schriebe oder sagte.
Ad 2: Wenn ich Iwan Iljin, Alexander Dugin, Dmitrij Medwedew und Putin himself zitiere, dann sind das offensichtlich Russen, ob sie nun noch leben oder schon gestorben sind. Ich hätte auch noch weitere russische Stimmen zitieren können… wie das zu „politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland“ führt, erschließt sich mir nicht.
Stephan Wohanka
Allerwertester Herr Wohanka,
mein Zwischenruf bezog sich nicht auf Ihr Räsonieren in Bezug auf irgendwelche russischen Nationalgelehrten, sondern auf den Befund von Herrn van Gommering, dass man im Ausland „voller Bestürzung die politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland“ verfolgt, die insgesamt in den politischen Debatten um sich greifen. Dazu sind Ihre Einlassungen exemplarische Bestätigung. Die Neue Zürcher Zeitung verwies neulich genüsslich auf den berühmten „Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland“, der im Jahre 1944 den britischen Soldaten in die Hand gegeben wurde, die damals in Deutschland kämpften und bald Besatzungssoldaten werden sollten. Darin heißt es, die „Mischung aus Sentimentalität und Gefühlskälte zeugt nicht von einem ausgewogenen Selbstbewusstsein. Die Deutschen haben ihre Gefühle nicht gut im Griff. Sie weisen einen hysterischen Charakter auf.“
Alle Debatten gegenwärtig – ob es um den Ukraine-Krieg, Taurus-Raketen, Antisemitismus, den Gaza-Krieg oder den „Kampf gegen rechts“ geht – sind hysterisch.
Weiter frohes Schaffen!
Lieber Herr Ernst,
wenn meine „Einlassungen“ in Ihrer Wahrnehmung für die hysterischen Debatten hierzulande stehen, dann nehme ich das so hin. Es ist so gut wie unmöglich, in derartigen Debatten auf einen Nenner zu kommen – es liegt im subjektiven, „metaphysischen“ Ermessen, welches wiederum durch die eigenen komplexen Lebensumstände und -geschichte determiniert ist, wie ein Mensch die Welt sieht, dann kann es prinzipiell keine einheitlichen, das heißt für alle Betrachter ein für allemal verbindliche Antworten, Bewertungen, Sichten sozialer und politischer Phänomene und namentlich historischer Abläufe, Geschehnisse, usw. geben. Diese Bewertung hängt immer von meiner Sicht auf diese Zusammenhänge ab – und die des anderen kann genauso „richtig“ sein wie die meinige; es gibt sozusagen viele gleichberechtigte Wahrnehmungen und eben keine „objektive“! In der Anerkenntnis dessen liegt ein entscheidender Ansatz für menschliche Toleranz.
Beste Grüße
Stephan Wohanka
Mich würde interessieren, Herr Wohanka, in welche Aussage(n) des Textes von Godfried van Ommering, den Sie eine Suada nennen, Sie eine Rechtfertigung des putinschen Angriffskrieges hineininterpretieren können resp. wollen. Sie benutzen den Terminus „Lämmer“ aus seinem Text, um ihm zu unterstellen, er sehe Putin als ein Unschuldslamm, was keinem Satz oder auch nur Halbsatz eben dieses Textes zu entnehmen ist.
Den Rest Ihres Textes widmen Sie, ohne auf Herrn van Ommering weiter einzugehen, dem durchaus gelungenen Versuch, Putins Rechtfertigung, er führe den Krieg gegen den Faschismus, zu widerlegen. Diese Rechtfertigung ist, Sie haben Recht und kein ernstzunehmender Diskutant bestreitet dies, absurd.
Dennoch darf man erwähnen und in die Beurteilung der Gesamtsituation einbeziehen, was sich in den Jahren nach 1989/90 entwickelt hat, ein paar Stichworte:
Ausdehnung der NATO entgegen eindeutiger, wenn auch nicht vertraglich fixierter Zusagen und Absprachen, Erweiterung der EU unter ähnlichen Vorzeichen, beides, so denke ich, aus russischer Sicht Vertrauensbrüche, die das damals ergrünende zarte Plänzchen gegenseitigen Vertrauens vertrockenen ließen. Militärische Aktivitäten wie beispielsweise der Aufbau eines „defensiven“ Raketenschutzschildes in Polen, wodurch konsequenterweise das westliche atomare Aggressionspotential an Relevanz gewann, trugen ebenfalls dazu bei, die damals erhoffte Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses zu torpedieren.
Auch vor einem Paktieren mit ukrainischen Faschisten schreckten die Vetreter des „Wertewestens“ nicht zurück, wenn es darum ging, den Einfluss Moskaus zu minimieren.
Dieses gemeinsame europäische Haus war nicht gewünscht. Es ging den westlichen, transatlantischen, neoliberalen Eliten darum, den Sieg des kapitalistschen Systems zu perfektionieren und Russland zu isolieren, wenn nicht gar, wie die Praktikantin im Auswärtigen Amt und Vertreterin besagter Eliten zugegebenermaßen nach Putins Angriff forderte, zu „ruinieren“.
Auch diese Fakten gehören zum Hintergrund dieses Krieges und sind zu berücksichtigen, wenn es um Strategien zu dessen Beendigung geht.
Moralinsaure Empörung abzusondern, wenn jemand sie benennt, hilft nicht dabei, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen.
Lieber Herr Schleiting,
Herr van Ommering schreibt: „Putin, das oder der Böse, der satanisch wütet unter die Lämmer der Ukraine“ – dann darf ich doch wohl den Begriff „Lamm“ auf Putin münzen, ohne dem Autor damit zu unterstellen, er habe Putin so gesehen wie ich ihn sehe.
Ich denke, wir – damit meine ich nicht nur uns beide – können in Sachen des Ukrainekriegs, seiner Vorgeschichte und der Schuld des Westens sowie der Russlands endlos austauschen; ich teile viele Ihrer Thesen, Ansichten nicht und Sie nicht die meinigen. Wenn Sie sich die Debatten, die in diesem Forum schon dazu geführt wurden, anschauen – es ist alles schon gesagt worden.
Was mich bewogen hat, auf die Worte von Herrn van Ommering zu reagieren, sind Assertionen wie beispielsweise folgende: „Wir wissen mittlerweile Genügendes um den wirklichen Hergang der Geschehnisse über Jahrzehnte in und um die Ukraine, und daher finde ich es ärgerlich und grundsätzlich falsch, wenn auch heute noch einfach und endlos die Parolen des Mainstreams wiederholt werden“. Endlich der Einäugige unter den Blinden, der weiß, wo es lang geht….
Beste Grüße
Stephan Wohanka
Stephan Wohanka und Holger Politt
Herr Wohanka,
Zu Ihrer Frage, ob Navalny Geheimdienstkontakte hatte, kann ich Ihnen ein Video empfehlen, das in dem Blog „news mal anders“ am 17.2.2024 gezeigt wird. – Dieser Blog beschäftigt sich vorwiegend mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine und wird von einem in Kroatien lebenden Deutschen betrieben. – In einem Video ist zu sehen wie der Anwalt und beste Freund von Navalny mit einem Agenten des MI6 über Unterstützungszahlungen (20, 30 Millionen) verhandelt (ab Minute 42:59). Weiter Wissenswertes zu Navalny können Sie von Minute 38:40 bis 48:50 erfahren (https://www.youtube.com/watch?v=4fW9kEKYH_I). Hier wird auch die Frage aufgeworfen und beantwortet, warum Navalny nach seinem sicheren Aufenthalt in Deutschland wieder nach Russland ging, obwohl er mit sofortiger Verhaftung rechnen musste.
Herr Politt,
mehr Klarheit zu Putin-Russland und Navalny gibt es in einem Beitrag von Gilbert Doctorow, der in Englisch und in Deutsch auf seinem Blog (https://gilbertdoctorow.com/2024/02/16/death-of-aleksei-navalny-the-brits-did-it/ ) veröffentlicht ist. Er kennt noch den altrömischen Ermittlungsgrundsatz cui bono! Moralische Entrüstung hilft da wenig. Der Westen handelt nach dem Grundsatz. Biden, Pressekonferenz am 16.2.2024: „Wir wissen nicht genau, was passierte, aber es gibt keine Zweifel…“
Vielen Dank, Herr Kusske, ich werde mir die Sache ansehen…
Stephan Wohanka
Zu Nawalny
Am 16. Februar wurde von der russischen Gefängnisverwaltung der Tod Alexej Nawalnys mitgeteilt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde sein Tod beklagt, die Gattin bzw. nun Witwe klagte öffentlich Putin an und forderte dessen Bestrafung. Die Außenminister der G7-Gruppe legten eine Schweigeminute ein. Kanzler Scholz verkündete, Russland sei „längst keine Demokratie mehr“. Das wussten wir aber doch bereits. Russland war nie „eine Demokratie“ nach westlichem Muster.
Der Oppositionspolitiker, Dokumentarfilmer und Blogger Nawalny, der Jura studiert hatte, war am 20. August 2020 auf dem Rückflug von Tomsk nach Moskau vergiftet worden, eine aufmerksame Flugbesatzung und ein umsichtiges Ärzteteam in Omsk hatten sein Leben gerettet. Dann war er nach Berlin in die Charité zur weiteren Behandlung gebracht worden, mit Genehmigung der russischen Behörden. Im Januar 2021 reiste er nach Moskau zurück, wurde sofort am Flughafen verhaftet und hat dann bis zu seinem Tod das System von Gefängnissen, Gerichten und Straflagern nicht wieder verlassen.
Das konnte man aber alles schon vorher wissen. Nawalnys Führungsoffizier (ob vom Bundesnachrichtendienst oder von der CIA) oder seine „Berater“ im Westen sind augenscheinlich von einer falschen Lageeinschätzung ausgegangen. In der Spätphase der Sowjetunion galt, dass ein Dissident, wenn er im Ausland bekannt war, zwar weiter im Gefängnis verblieb, bis es still um ihn geworden war, und er dann oft ausreisen durfte, er aber seines Lebens sicher sein konnte. Das geschah unter der Voraussetzung, dass die kommunistische Parteiführung bis zum Schluss an ihrem Welterlösungs-Versprechen festhielt.
Der Staat Putins ist aber nicht auf Ideologie gebaut; Orthodoxie, Nationalismus und Verherrlichung des Imperiums sind keine in sich geschlossene Ideologie. Es ist im Grunde der Zarenstaat, nur mit einem Zaren, der regelmäßig durch Akklamation per Wahlen bestätigt wird. Und da Putin und seine Dienste wissen, dass die spätsowjetische Hemmung den Niedergang des Systems eher beschleunigt statt aufgehalten hatte, wird heute die Entscheidung, einen Gegner verschwinden zu lassen, nicht wieder ausgesetzt.
Die Entscheider im Westen haben 2021 die falschen System-Analogien gezogen und auf die russische Welt nach 1917 statt davor geschaut. Nawalny könnte immer noch in Ruhe in Berlin sitzen und Pamphlete schreiben. Das wollte man 2020 offenbar auch in Moskau dulden. Statt dessen hatte man ihn dorthin zurückgeschickt, in der irrigen Annahme, auf diesem Wege Putin stürzen zu können.
Liebe Frau Butzke,
können Sie belegen, dass Nawalny einen westlichen „Führungsoffizier“ hatte?
Stephan Wohanka
Sehr geehrte Bruni Butzke,
dass Putin jetzt nur noch zwei Berater kennt, weiß die Welt durch Lawrow: Peter I. und Katharina II. Zu der von Ihnen angeführten spätsowjetischen Gepflogenheit, Gefangene auszutauschen oder nach geraumer Zeit ausreisen zu lassen, doch diese Bemerkung: Ihre „russische Welt nach 1917“ als diesbezügliche Zäsur ist insofern irrig, weil unter Stalin die allerwenigsten prominenteren Gefangenen eine Chance hatten, freigelassen zu werden oder gar ausreisen zu dürfen. Hier soll nur auf das entsetzliche Schicksal der beiden polnischen Bundisten-Führer Henryk Ehrlich und Wiktor Alter verwiesen werden. Die diesbezüglichen Liberalisierungen der späteren Sowjetzeit sind wohl weniger ein Ergebnis tieferer Einsicht gewesen, viel eher spiegelten sie die kalkulierte Rücksicht auf die sehr viel stärker werdende internationale Verflechtung überhaupt und auf gewisse Befindlichkeiten in europäischen sozialistischen Ländern wieder. Nach der jüngsten Entwicklung weiß der Westen zumindest, welch tiefer moralischer Fall sich im Kreml in den letzten Jahren vollzogen hat.
Holger Politt.
Kaum hatte Russlands Präsident Putin dem US-Moderator Tucker sein Interview gegeben, da wusste der Kanzler der Deutschen bereits, dass der Russe ja doch nur eine „völlig absurde Geschichte über die Ursachen für diesen Krieg“ in der Ukraine erzähle. Bei der Schweizer Website GLOBALBRIDGE („Der Politblog für gegenseitiges Verstehen“) hat man sich trotzdem die Mühe gemacht, den Wortlaut des Interviews zu übersetzen, so dass man sich bei Bedarf auch eine eigene Meinung bilden kann: https://globalbridge.ch/wp-content/uploads/2024/02/Putin-Carlson.pdf.
Verehrter Herr Wohanka, nun haben Sie aber mindestens ein Kind mit dem Bade ausgeschüttet (vorletzter Absatz), nicht wahr? Eine generelle Begründungspflicht des BVerfG zu fordern, also die rechtliche Lage vor 1993 wiederherzustellen, ist doch keine rechtsradikale Zersetzungsstrategie! Vielleicht schauen Sie sich noch einmal die einschlägige rechtspolitische Debatte an. Es war vor 30 Jahren ja gerade die Befürchtung einiger Kritiker, dass das Vertrauen der Bürger leidet, wenn auch noch die minimalste Begründungspflicht entfällt und das Verfahren für den vielleicht nach Jahren endgültig Abgeschmetterten und Gebeugten mit einem leeren Blatt beendet wird, also mit einem nicht begründeten Nichtannahmebeschluss der jeweils zuständigen Kammer. Nun drehen Sie die Sache um: Wer vom BVerfG eine Begründung verlangt, säe Misstrauen, weil er der Weisheit des höchsten deutschen Gerichts nicht restlos vertrauen würde. Übrigens hat auch eine SPD-Justizsenatorin (Claudia Schilling, Bremen) längst erkannt, dass der § 93a gelegentlich übel aufstoße. Dass Schilling diesbezüglich erst beim Fall Böhmermann (Stichwort »Schmähgedicht«) aktiv wurde, hat natürlich ein Geschmäckle, aber immerhin. Vielleicht überdenken Sie noch einmal Ihre Position, Herr Wohanka? Wo kämen wir hin mit dem freiheitlichen Rechtsstaat ohne Begründungspflicht staatlicher Entscheidungen. Das BVerfG ist keine Ausnahme.
Wahrscheinlich ist der Ossi doch nicht nur eine westdeutsche Erfindung. Oder anders gesagt: Wenn der Ossi sich zu den Innereien des institutionellen Gefüges der BRD äußert, sollte er sich zuvor sachkundig machen, was da früher so war. Das gilt auch für Blättchen-Autoren, im Sinne: erst lesen, dann schreiben und urteilen.
Sehr geehrter Herr Sohn,
ich denke doch, ich habe nicht ganz unrecht – es gibt die generelle Begründungspflicht des BVerfG nicht!
Das BVerfG hat das Recht, über die Annahme von Verfassungsbeschwerden zu entscheiden. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annimmt oder nicht. In der Regel legt das Gericht jedoch in seinen Entscheidungen die Gründe für die Annahme oder die Nichtannahme dar. Diese Gründe können verschiedene rechtliche, sachliche oder verfahrenstechnische Aspekte umfassen. Es gibt keine generelle Verpflichtung für das BVerfG, eine Nichtannahme zu begründen, aber die Praxis des Gerichts ist es, in den meisten Fällen eine Begründung zu liefern.
Im Fall der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erhält die beschwerdeführende Person neben der Entscheidung ein „Hinweisblatt zum abgeschlossenen Verfahren zum abgeschlossenen Verfahren der Verfassungsbeschwerde“; darin heißt es: „Ein Beschluß, durch den die Annahme einer Verfassungsbeschwerde abgelehnt wird, muß nach § 93d Abs 1 Satz 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht begründet werden“.
Also insofern ist es schon eine Frage, ob und warum man wieder eine Verpflichtung jeder Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde fordert. Zumal das politische Motiv dabei im Vordergrund stehen dürfte und weniger das juristische, wenn überhaupt.
Freundlich
Stephan Wohanka
Herr Ernst – eben erst sachkundig machen. Das gilt auch für Kritiker, nur nebenbei.
PS: Ich war auswärts – deshalb auch erst heute eine Antwort.
Mir ist – wie ich gerade lese – ein Lapsus unterlaufen. Natürlich muss der Satz unten in meinem Antworttext lauten: „…. ob und warum man wieder eine Verpflichtung zur Begründung >jeder Nichtannahme< einer Verfassungsbeschwerde fordert“.
Wohanka
Die Praxis des Gerichts, verehrter Herr Wohanka, ist es, in den allermeisten Fällen der Nichtannahme k e i n e Begründung zu geben.
Dilemma
Der akademische Streit der beiden Barden Brauer und Dr. Hildebra hier im „Blättchen“ Forum, reizt mich mein persönliches Dilemma zu veröffentlichen. Als guter Staatsbürger bin ich geneigt der öffentlich rechtlichen Berichterstattung Glauben zu schenken. Die Ereignisse dieses schrecklichen Krieges im Osten Europas und die daraus resultierende Meinungsverbreitung im sogenannten Mainstream bringt aber mein oben genanntes Dilemma an den Tag. Siegesmeldung an Siegesmeldung der Ukrainer gegen die Russen wird aneinandergereiht. Hier und da wird dabei neuerdings ganz leise eingeflochten, das die lauthals verkündete Offensive der ukrainischen Armee wohl gescheitert ist. Für mich ist aber eines klar, der Krieg der ehemaligen Brudervölker ist an Grausamkeit nicht zu überbieten. Es sollte von der Völkerfamilie alles getan werden dieses Gemetzel zu beenden. Aber im Gegenteil es wird gleichzeitig ein Bedrohungsszenario für ganz Westeuropas vor einer Aggression Russlands aufgebaut. „Die Russen kommen“ Ältere Leser können sich bestimmt an diese unsägliche von den Nazis geprägte „Losung“ erinnern. Was soll nun der normale Bürger glauben oder wem dient nun dieses Geschrei u.a. von Hofreiter, Kiesewetter, Strack-Zimmermann &Co über die sogenannt russische Gefahr? Mir fällt da nur ein Wirtschaftszweig ein.
Im heutigen „5 nach 12“-Newsletter der Zeitung „Die Welt“ (08.02.2024) heißt es zu dem Interview, das der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson gerade mit Russlands Präsident Putin geführt hat: „Das Interview ist noch nicht veröffentlicht, das soll in der Nacht zu Freitag geschehen.“ Doch das Interview ist durchaus bereits einsehbar: https://amg-news.com/bombshell-tucker-carlsons-exclusive-interview-with-vladimir-putin-in-moscow-full-transcript-released/
Mit Verlaub, Herr Dr. Hildebraa, der Erkenntniswert des Putin-Interviews mag ja für WELT-Leser ein Ungeheurer sein. Im Kern sind es immer hanebüchener werdende Selbstreinwaschungsversuche eines Massenmörders. Eine Probe gefällig?
„PUTIN: Sind wir eingedrungen oder wurden wir überfallen? Schauen Sie sich die Geschichte an. Schauen Sie sich die Menschen an, die dort leben. Historisch gesehen sind wir es, die überfallen wurden und jetzt einfach zurückschlagen. Das Land und die Menschen sind Russen und wir werden wieder das haben, was immer unser war.“
Und diesen Stuß empfehlen Sie tatsächlich unserer Leserschaft? Ich denke, hier werden nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Der russische Präsident rechtfertigt seine Aggression. Das macht er ungerührt schon zwei Jahre lang. Dieses Zeug immer wieder unter die Leute zu bringen bedeutet, den russischen Krieg zumindest zu tolerieren.
Mit Verlaub, Herr Brauer, Totschlagsargumente wie das Ihrige („Der russische Präsident rechtfertigt seine Aggression … Dieses Zeug immer wieder unter die Leute zu bringen bedeutet, den russischen Krieg zumindest zu tolerien (sic!).“) sind schlimmstenfalls dazu angetan, den Krieg zu verlängern. Das Zugänglichmachen der gegnerischen Denke mit dem Bannstrahl zu belegen blockiert doch zugleich eine maßgebliche Voraussetzung dafür, mit der anderen Seite ins Gespräch über eine friedliche Konfliktbeilegung zu kommen. Womöglich jedoch steht eine solche ja gar nicht auf Ihrer Prioritätenliste. Was aber schwebte Ihnen alternativ vor? Kriegsbeendigung durch Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld? Ich befürchte, eine solche wird gegen eine atomare Supermacht nicht zu haben sein.
Im Übrigen hat sich der Westen d e n Putin, der seit längerem so redet, wie Sie ihn zitieren, durch jahrelanges konsequentes Ignorieren russischer Sicherheitsinteresse zum erheblichen Teil selbst herangezüchtet. Da hat sich auf geradezu diabolische Weise bestätigt, was George Kennan 1997 mit Blick auf die damals erst geplante Osterweiterung der NATO prophezeite: Ein solcher Schritt würde „die Atmosphäre des Kalten Krieges in die Ost-West-Beziehungen zurückbringen und die russische Außenpolitik in Richtungen treiben, die uns entschieden missfallen werden“.
Statt aber allmählich anzufangen, alten Fehlern nicht immer neue hinzuzufügen – was tut der Westen? Waffen an Kiew liefern, Kommunikation mit Moskau verweigern, Kriegshysterie im eigenen Bereich schüren und aufrüsten, NATO-Großmanöver veranstalten …
Inzwischen kann man das Putin-Interview übrigens vollständig zur Kenntnis nehmen – über die Website des russischen Präsidenten: http://en.kremlin.ru/events/president/news/73411. Da stehen auch noch andere Sachen drin. Eine Probe gefällig?
Tucker Carlson: … Können Sie sich ein Szenario vorstellen, in dem Sie russische Truppen nach Polen schicken?
Wladimir Putin: Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift. Und warum? Weil wir kein Interesse an Polen, Lettland oder irgendwo anders haben. Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse.
Na, da können unsere Nachbarn aber beruhigt sein, dass Russland an ihnen kein Interesse hat. Derzeit jedenfalls, anderweitig hat man schon ganz andere Töne gehört… Aber vielleicht dämmert es, dass der Happen einfach zu groß und zu heiß wäre… Und beschwören Sie bitte nicht so ein Zeug wie „Totschlagsargumente“ und „Zugänglichmachung der gegnerischen Denke“ … Gegnerische Denke? „Das Blättchen“ ist keine Kriegspartei. Mit Ihrer Art der Argumentation machen Sie es zu einer solchen. Wir sind nicht die PR-Abteilung Sergei Lawrows. Auch nicht die des State Departements.
„Russische Sicherheitsinteressen“? Ja, die gibt es, und die sind zu achten. Es gibt aber auch die Sicherheitsinteressen der „kleineren“ Nachbarn. Die sind nicht minder zu achten. Die einen über die der anderen zu stellen, bediente die Logik einer Räuberbande. Und Mr. Carlson? Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, aus welchem Rennstall dieser Mann kommt und wessen Interessen er bedient? Ich halte inzwischen eine Art „München 1938 – neu aufgelegt“ nicht mehr für ausgeschlossen. Damit wären wir wirklich wieder in der Logik der Nachkriegszeit: Zwei große Mächte zirkeln ihre Einflussgebiete ab. Was die eine in dem ihren betreibt, interessiert die andere einen Dreck. Gegebenenfalls hält man mit großem Medienaufwand Konferenzen auf „neutralem“ Feld ab.
Dr. Hildebraa, Sie haben offenbar ein ausgeprägtes Feindbild, „den Westen“. Nun gut, Ihre Sache. Aber davon sollte man sich nicht den analytischen Blick vernebeln lassen.
Beste Grüße
Wolfgang Brauer
@Hildebraa & Brauer: Bei allem Verständnis – bitte auch in der Wortwahl abrüsten. Das hilft dem Nachdenken. Vielen Dank
Danke für Detlef Jenas interessanten Rückgriff auf einen weitgehend unbekannten (ungewollten?) Teil deutscher Militär-Tradionen.
Heute liegen wir ja nicht mehr vor Helgoland, sondern zwischen dem Horn von Afrika und dem Jemen. Dazu möchte ich folgendes anmerken (was irgendwie auch schon in Vergessenheit geriet):
„Meine Einschätzung ist aber, dass … ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege … Es wird wieder sozusagen Todesfälle geben … Man muss auch um diesen Preis sozusagen am Ende seine Interessen wahren.“
Dies sagte der damalige Bundespräsident Horst Köhler am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Daraufhin fielen die Opposition und vor allem die „Großmedien“ wie Spiegel, Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Rundschau über ihn her. Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, zog einen Vergleich zu historischer Kanonenbootpolitik. Mit der Rechtfertigung bewaffneter Außenhandelspolitik stünde Köhler nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Man monierte, weder die damaligen Afghanistan-Mandate der Bundeswehr noch die Verfassung deckten „Wirtschaftskriege“ ab. Am 31. Mai 2010 erklärte Köhler ob dieser Angriffe seinen sofortigen Rücktritt vom Amt des deutschen Bundespräsidenten.
Am 31. Januar 2024 beschloss die Bundesregierung (wie stets in nibelungischer Gefolgstreue zu den USA), eine deutsche Fregatte ins Rote Meer zu entsenden, um „die Sicherheit der Handelswege“ zu gewährleisten. In keinem einzigen „staatstragenden“ Medium wurde irgendeine Rücktrittsforderung erhoben …
Stephan Wohankas Nachruf auf Schäuble weitet sich zu einem Ausgriff auf die schwierige Frage, was an der CDU wohl noch konservativ sei. Die „Schwarze Null“ ist, jenseits strittiger ökonomischer Bewertung, insofern ein gutes Beispiel. Sie zeigt die konservative Haltung aus einem philosophischen Fundus von „Maß und Mitte“. Daraus lässt sich nur begrenzt ein politisches Programm entfalten. Als Katechon der grünroten Dynamik hat die CDU, die dank dieser Dynamik zzt. einen erstaunlichen Zuspruch erfährt, immer noch eine besondere Bedeutung, ja sogar als Katechon gegen die AfD. (Siehe Landratswahl in Thüringen) Dass die CDU heute ihr eigenes Programm der 60er-Jahre in Gestalt der AfD mit Verve bekämpft, zeigt ihren fundamentalen Wandel.
Zu bezweifeln ist allerdings, ob es überhaupt im eigentlichen Sinne konservative Parteien geben kann.
Danke für den Beitrag von Werner Sohn.
In der Debatte um das „Adlon-Treffen“ (Günter Hayn schreibt: „Am 10. Januar 2024 hat das unabhängige Medienhaus CORRECTIV das Treiben und die Protagonisten öffentlich gemacht.“ bleiben (zumindest für mich) 2 Fragen unbeantwortet:
1.: das Treffen fand am 25. November 2023 statt. Wieso wurden die „Erkenntnisse“, wo es sich doch um so schwerwiegende wie dringende Probleme von „Zerstörung der Demokratie“ handelt, erst so viele Wochen später in die Breite gestreut? War wohl doch nicht so dingend? Oder gang man davon aus, dass sich in der Vorweihnachtszeit keine Massendeminstrationen mobilisieren ließen?
2.: Wie „unabhängig“ ist das Medienhaus CORRECTIV, das auf massive staatliche bzw. staatsnahe Finanzunterstützung bauen kann?
Sachdienliche Hinweise können gern auch an mich persönlich gerichtet werden.
Herr Nachtmann – ganz schlicht: Wenn ich CORRECTIV wäre, hätte ich die Sache auch nicht in der Vorweihnachtszeit veröffentlicht; das ist Aufmerksamkeitsökonomie.
Verehrter Kollege Nachtmann,
hinsichtlich der Terminierung müssen Sie die CORRECTIV-Leute fragen. Das ist mir auch schlichtweg egal. Fakt ist, dass die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Und das ist auch gut so. Und darauf hat „Das Blättchen“ reagiert. Fakt ist auch, dass die Mehrzahl der Pfeile offenbar ins Schwarze traf. Die Reaktionen der Betroffenen und ihres Umfeldes sprechen für sich.
Eine andere Frage ist viel spannender: Warum wurde der „Rest“ der medialen deutschen Welt nicht eher auf diese Dinge aufmerksam? Nach Eingeständnis der Veranstalter war es immerhin der siebente Treff, der sich mit dem inkriminierten Thema befasste. Wo blieb eigentlich die nach deren Selbstbeschreibungen übertolle linke Publizistik? Sowohl die „Identitären“ als auch erst recht der rechte Flügel der AfD müssten doch eigentlich permanent in deren Fokus stehen! „Sezession“ und „Blaue Narzisse“ sind frei zugänglich. Da kann man ja wohl nur Totalversagen feststellen. Ob das ähnliche Ursachen hat, wie das jahrelange „Noli me tangere“-Verhalten der LINKEN gegenüber dem AfD-Thema? O-Ton: „Mit Faschisten reden wir nicht! Das ist Querfront!“ In der Gegend, in der Sie aktiv sind, knallten denen in der Folge auf Landesebene drei Direktwahlkreise weg … In einer ehemals linken Hochburg. Die „Schrift an der Wand“ wollte vorher keiner von ihnen sehen, danach auch nicht so recht.
„Unabhängig“ – da haben Sie teilweise Recht. Aber auch nur teilweise. Nur weil die Truppe kein Bestandteil eines Medienkonzernes ist, ist sie nicht unbedingt 100%ig unabhängig. Stimmt. Das ist selbst die in Hellersdorf erscheinende „jot.w.d.“ nicht. Bei kleinen Blättern sind es auch nur kleine Summen. Aber – wenn ich recht informiert bin – selbst ein so marktfernes Periodikum wie „Das Blättchen“ nimmt gelegentliche Rücksichten auf Dritte. Lassen Sie also das Steineschmeißen. Sie sitzen im Glashaus.
Seien Sie lieber froh, dass so viele Menschen mit einer seit Jahren nicht dagewesenen Deutlichkeit sagen, wir wollen keine Nazis! Oder geht das Ihnen gegen den Strich? Weil da der Scholz auch am Rande einer Demo auftauchte? Das würde mich wundern und würfe mehr als zwei Fragen auf.
Ja, o.k., ich verstehe: Antifaschismus ist nur hinnehmbar, wenn er einen Reinlichkeitstest des selbsternannten Officiums bestanden hat. Das ist die tradierte pseudolinke Rechthaberei. Nochmal: Welcher Teufel reitet Sie?
In tiefer Verwunderung
Ihr
Günter Hayn
Verehrter Waldemar Landsberger! Ihre „Anmerkungen zu einem Skandalon“ seien unbenommen. Nur eine Verständnisfrage: Was darin wäre nun „links“?
Werter Herr Hayn, zuerst wollte ich nur darauf verweisen, dass die Bibelstelle für die Predigt in der evangelischen Kirche am vergangenen Sonntag Matth. 8, 12 war: „die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen in die Finsternis; dort wird sein Heulen und Zähneklappern.“ Psychologisch betrachtet, kann man gewiss auch über vorauseilendes Zähneklappern reden.
Die Psychologisierung ist aber auch sehr Zeitgeist. Daher will ich etwas Zeitgeschichtliches hinzufügen. Anfang der 1990er Jahre war eine der ersten Veranstaltungen, die die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft (BBAG) gemeinsam mit der ebenfalls neuen Deutschen Gesellschaft in Brandenburg organisiert hatte, eine Konferenz über Deutschland und die vier Siegermächte. Dazu waren auch Militärs der vier Mächte eingeladen. Die Franzosen kamen nicht, die Russen und die US-Amerikaner hatten relativ junge Truppenoffiziere geschickt, die trinkfest aber wenig argumentationsstark waren, die Briten aber schickten einen pensionierten Oberst, der noch im Zweiten Weltkrieg gekämpft und nach 1945 bei den britischen Besatzungsbehörden in Deutschland gearbeitet hatte.
Die ersten rechtsextremen Verbrechen in Rostock und Hoyerswerda hatten bereits stattgefunden, und es gab, besonders auch von deutscher Seite, sehr besorgte Diskussionsbeiträge in Bezug auf die Zukunft in diesem Land. Der britische Oberst sagte dann, wir sollten nicht verkürzt argumentieren. Die Nazi-Herrschaft und der 2. Weltkrieg haben nicht stattgefunden, weil die Nazi-Horden Anfang der 1930er Jahre auf der Straße waren, sondern weil das deutsche Kapital nach der Niederlage von 1918 den Revanche-Krieg wollte. Das ist mit dem 8. Mai 1945 endgültig erledigt, das deutsche Kapital ist eingeordnet in das westliche Gefüge.
Ich denke, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Beste Grüße
Bernhard Romeike
Ach wie wohl mir doch ist, wenn ich mich auf die Zuverlässigkeit des Kapital verlassen darf.
Vergleiche hinken: Zur „Wannseekonferenz“ trafen sich hochrangige Vertreter einer schon seit mindestens 9 Jahren an der uneingeschränkten Macht befindlichen NSDAP, um die endgültige Realisierung des Holocaust organisatorisch und logistisch abzusichern (Ich versuche hier möglichst nüchtern zu formulieren, auch wenn mir deutlich ist, dass auch schon darin eine furchtbare Verharmlosung liegt.). Diese Leute jedenfalls waren an der Macht, sie waren völlig enthemmt und frei von jeglicher Moral und hatten auch keine Notwendigkeit mehr auf (Mehrheits)meinungen, die auf moralischen Kategorien beruhten, Rücksicht zu nehmen. Hier liegt ein Unterschied zum aktuellen Potsdamer Treffen: Soweit wie die Nazis vor etwas mehr als 80 Jahren sind die heutigen noch nicht. Sie reden von „Remigration“, nicht von„Endlösung“. Frei von Moral sind gleichwohl Sellner, Müller, Höcke und andere, ob sie nun Teilnehmer waren oder nicht, ebenfalls. Frei von Hemmungen allerdings sind sie nicht. Nur resultieren diese Hemmungen nicht aus Resten von Moralvorstellungen, sondern lediglich aus dem Kalkül, dass sie noch nicht an der Macht sind und es bis zur Erringung derselben für klüger halten, bestimmte Dinge nicht zu formulieren. Dazu ist nach der Machtergreifung immer noch Zeit. Den Vergleich dieses Treffens mit der Wannseekonferenz als „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ zu diffamieren, wie das Bernhard Romeike tut, wird der Gefährlichkeit dieser aktuellen Nazibande nicht gerecht. Hier liegt die eigentliche Verharmlosung.
Ich schließe mich in diesem Fall Günter Hayn an und oute mich als Nachplapperer.
Zu Bernhard Romeikes „Nachplapperer“-Vorwurf
Verehrter Herr Romeike,
wenn Sie nicht willens sind, der extremen Rechten ernsthafte Verwirklichungsabsichten ihrer politischen „Visionen“ zuzubilligen – verlassen Sie doch bitte einmal den geschützten Elfenbeinturm des Weltenerklärers und mischen sich nur ein einziges Mal unter diese Leute. Allerdings nicht in deren akademische Kaffeekränzchen vor laufender Kamera, sondern da, wo man vorher keine Kreide frisst… Sie neigen gelegentlich dazu, Menschen, die Ihnen nicht 1:1 folgen können oder wollen, gewisse verstandesmäßige Grenzen zu attestieren. Das spricht nicht unbedingt für ein gesundes Verhältnis zu einer zivilisierten Debattenkultur. Bei weniger dramatischen Sachen mag das hingehen. Aber hier und heute geht es, mit Verlaub, ans Eingemachte. Und in dieser Causa gehört Ihr „Argumentationsmuster“ in die Kategorie „Verharmlosung“.
Beste Grüße
Günter Hayn, Nachplapperer
Hinweis eines aufmerksamen Zeitungslesers
In der Berliner Zeitung vom 24. Januar ist eine interessante Kolumne von André Mielke mit der Überschrift: „Wer klärt bitte die Begriffe?“ Darin thematisiert er das Potsdamer Rechten-Treffen und die Reaktionen darauf.
Bei Mielke stellen sich „Hemmungen“ ein, „wenn die Kanzlerparteivorsitzende zur Rettung der Demokratie eine 22-Prozent-Opposition verbieten lassen will. Hätte Viktor Orbán derlei vor, ließe Saskia Esken ihm das nicht durchgehen.“ Die AfD werde nicht Höckes wegen gewählt. „Was die Partei nährt, ist eher die Amtsführung derer, die sich jetzt an die Spitze der Anti-AfD-Bewegung stellen. Eine große Mehrheit lehnt die Arbeit einer Regierung ab, die vielen den Eindruck vermittelt, das Land erledigen zu wollen, bevor Inlandsnazis oder Putin es tun können. Statt Besinnung oder gar Vernunft wenigstens zu simulieren, mobilisieren Koalitionäre nun gegen einen Teil ihrer Gegner. Aus historischer Verantwortung, sagen sie. Es könnte auch Machtkalkül sein.“
Dieser Verdacht beschleiche den Kolumnisten nicht in Bezug auf die Motive Hunderttausender Demonstranten, sondern „weil Proteste gegen die Herrschenden durch selbige regelmäßig angebräunt werden. Sei es wegen Migration, Windrädern, Corona, Ukraine oder Traktordiesel – alles demokratiefeindlich und von rechts unterwandert.“
Diese Routine komme ihm aus DDR-Zeiten vertraut vor: Die Partei der Arbeiterklasse meinte, sie vertrete die „objektiven Interessen des Volkes“, jede Kritik an ihrer Politik gefährde daher das Gemeinwohl. DDR-Parallelen würden heute als pfui gelten. „Aber wenn alle Welt sich vom berüchtigten Potsdamer Treffen an die Wannseekonferenz erinnert fühlt, erlaube ich mir eine Assoziation. Vielleicht braucht ganz Deutschland Staatsbürgerkunde, um Grundbegriffe zu klären.“
… und André Mielke als Lehrer im Staatsbürgerkundeunterricht für „ganz Deutschland“! Bitte nicht!
Verehrter Holger Politt,
das muss man ja nicht so nennen. Aber die Begriffsklärung ist schon dringend nötig. Der Vergleich des berüchtigten Potsdamer Treffens mit der Wannseekonferenz wäre vor ein paar Wochen noch unter die Rubrik: „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ gestellt worden, was bekanntlich als besonders arglistige Gestalt des Antisemitismus gilt. Heute wird das allenthalben begriffslos nachgeplappert.
Beste Grüße
Als für die Auswahl „Aus anderen Quellen“* namentlich verantwortlich Zeichnender leiten Sie, Herr Schwarz, Ihre aktuelle Offerte mit diesem Satz ein:
„Auch und besonders in Kriegszeiten sollte man die Positionen der anderen Seite zumindest kennen. Daher hat Das Blättchen bereits des Öfteren zentrale Stellungnahmen aus Moskau dokumentiert. Hier nun erneut …“
Mein Frage: Hat das Blättchen und haben namentlich Sie und Ihre Followers denn je etwas anderes verbreitet?
Außerdem: Wenn Sie wirklich „Positionen der anderen Seite“ dokumentieren wollten, dann hätten Sie konsequenterweise Dokumente der Putin-Gegner veröffentlichen müssen.
Erich Warlitz
* https://das-blaettchen.de/2024/01/bemerkungen-363-67795.html
Zum Beitrag von Alfons Markuske, 1/24 „Abgesang auf einen Mythos“
„Die in Teilen der Linken heute so selbstgerecht praktizierte, manchmal regelrecht zelebrierte Unwissenheit gegenüber der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution, ihrer weltweiten Bedeutung und den Personen, die sie gemacht haben, Lenin inklusive, geht mir total gegen den Strich.“
Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn über den Begründer des Sowjetstaates und dessen Erbe im nd vom 18.01.2024
Eine nicht aus „Unwissenheit“, sondern aus „Wissen“ heraus gestellte Frage: Kann man die Oktoberevolution – um die es geht – als „erfolgreiche sozialistische Revolution“ bezeichnen?
Ergänzung zum Beitrag „Am Rande der Staatskrise“
Andrzej Dudas Begnadigung vom 11. Januar war höchstens eine halbe, denn er übergab die Verantwortung an den Justizminister/Generalstaatsanwalt, der nun einen langen Verfahrensweg in Gang setzen muss. Die Nationalkonservativen und Duda fordern den aber auf, von seinem Recht Gebrauch zu machen, die beiden Gefängnisinsassen freizulassen für den Zeitraum des Begnadigungsverfahrens. Das aber will dieser – Stand heute – nicht tun, denn er spielt den Ball zurück und fordert: Der Präsident habe alle Möglichkeiten, die beiden Verurteilten direkt zu begnadigen, ohne Umweg über den Minister und langen Verfahrensweg, tut es aber nicht! Tatsächlich hält Duda – zuletzt sagte er es am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos – an seiner Begnadigung von 2015 fest, die sei weiterhin gültig, so wären Kamiński und Wąsik freie Männer und blieben Abgeordnete. Die Nationalkonservativen behaupten nun, beide seien „politische Gefangene“, die Regierungsseite entgegnet: Politiker, die ins Gefängnis wandern, seien nicht automatisch „politische Gefangene“.
Danke an Wolfgang Schwarz für den Hinweis auf und die Zusammenfassung von Sarottes Buch. Dem Zitat von Ihr „Haben die USA Russland also am Ende des Kalten Krieges betrogen? Die kurze Antwort lautet Nein. Bei den Verhandlungen kam nichts rechtlich Bindendes heraus.“ sei allerdings eine andere Auffassung gegenübergestellt die Itzkowitz Shifrinson in „International Security“ 2016 notierte: https://www.belfercenter.org/publication/deal-or-no-deal-end-cold-war-and-us-offer-limit-nato-expansion. „International Security“ wird vom Belfer Center der Harvard Kennedy School herausgegeben und kann wohl kaum der „russischen Desinformation“ bezichtigt werden. Auf den Artikel wurde ich durch einen Hinweis von Noam Chomsky (sic!) aufmerksam, der dies als den definitiven Artikel zu dem Thema empfahl.
Itzkowitz schreibt, dass der Kern der Debatte ist die Frage sei, was als Übereinkunft in der Weltpolitik gelten kann. Die Auffassung, dass nur formale schriftliche Verträge gültige Absprachen sind, gilt zum einen nicht in „US domestic politics“: „An informal offer can constitute a binding agreement provided one party gives up something of value in consideration of payment in goods or services.“ (p. 16) Zum anderen ignoriert es die Bedeutung informeller mündlicher Absprachen zur Konflikteindämmung, insbesondere in der Diplomatie des Kalten Krieges. Er schreibt (p. 17) : „[…] if private and unwritten discussions are menaingless, then diplomacy itself would be an unnecessary and fruitless exercise.“.
Zu „Not one inch“ von Wolfgang Schwarz
Da kann man nur Goethe zitieren: „Da steh ich nun…“. Was hilft einem das Studium und die Rezension des Werkes einer Historikerin, deren Reputation, wie der Rezensent darlegt, durch ihre eigenen man darf schon sagen „verschwörungstheoretischen“ Aussagen über Putins „ausgefallene Geburtstagsgeschenke“ stark gelitten hat, bei der Frage, ob die Moskauer Führung vom Westen in der Frage Osterweiterung der NATO beschissen wurde? Dass eine „namhafte deutsche Spitzenpolitikerin“ (Wer eigentlich? Ist mir entgangen.) auch den Hamas Überfall auf dem Putin´schen Gabentisch ausgemacht haben will, sollte man allerdings fairerweise nicht Frau Sarotte anlasten.
Sei´s drum.
Dass die Moskauer und auch die Ostberliner Nomenclatura in dieser Situation des sich anbahnenden Zusammenbruchs auf schwankendem Boden standen und daher nur mit eingeschränkter Autorität und Souveränität verhandeln konnten, habe ich früher schon einmal angemerkt. Sie saßen den Siegern gegenüber! Diese Schwäche haben diese gnadenlos ausgenutzt und vermieden, dass feste Zusagen protokolliert und Vertragsbestandteil wurden. Dass Polen und andere Länder über kurz oder lang NATO und auch EU Mitglieder werden sollten, war im Westen längst ausgemachte Sache.
Damit haben die für diese Politik verantwortlichen westlichen Politiker, auch Genscher und besonders Kohl, ihre Mitverantwortung am Scheitern des Projektes eines „Europäischen Hauses friedlicher Nachbarn“.
Allerwertester Herr Hildebraa,
jetzt haben Sie aber die inhärente Ironie Brauers nicht mitbekommen. Aber seien Sie nicht traurig, der Herrgott verteilt seine Gaben unterschiedlich.
Weiter eine gute Zeit!
Ich habe als 5-jähriger Junge- in Berlin 1943/44 , im Sandkasten Krieg gespielt mit anderen Kindern. Bunker, Schiffe, wurden aus Sand geformt. Zweigstücke waren die Kanonenrohre, dann wurde mit Steinen auf die gegnerischen “ Bauten “ geworfen. Wer die wenigsten Kanonenzweige hatte war der Sieger. Über uns brummten die Bomber, die Flieger und ab gings ins Gebüsch.
So, und sollen „DAS“ meine Urenkel wieder erleben ?
Horst Arndt aus Dresden, nachdem ich als Bauschaffender die Stadt Dresden wieder mit aufgebaut habe.
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Heute lese ich im Internet: Zum Stadtfest am WOCHENENDE in DRESDEN kommen PANZER und andere große Kriegsgeräte, dazwischen RIESENRAD-HÜPFBURG und ZUCKERWATTE.!!!
Horst Arndt , aus Dresden ,im 88. Lebensjahr.
Zu: „Ich würde mir wünschen …“ von Gabriele Krone-Schmalz
Frau Krone-Schmalz ist eine erfahrene Journalistin; sie weiß mit Sprache umzugehen. „Natürlich“ sei „der russische Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig“. An diese Pflichtübung schließt Krone-Schmalz eine Folge rhetorischer Fragen an: „Aber was folgt denn daraus? Rache, Vergeltung, wie Du mir so ich Dir? Kampf bis zum letzten Blutstropfen? Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss“.
Der Gebrauch rhetorischer Fragen führt dazu, dass die Debatte von einem Thema auf ein anderes, damit eventuell in Beziehung stehendes Thema gelenkt wird, sodass der Schein entsteht, als sei das verwandte Thema für das erste bedeutsam; in erster Linie geht es jedoch darum, vor der Notwendigkeit auszuweichen, sich mit der Hauptsache befassen zu müssen.
Sich mit der „Hauptsache“ zu befassen, hieße in dem Falle erst einmal die alle überraschende Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ukraine nicht nach drei Tagen erobert war, wie Putin und die russische Armeeführung das imaginiert hatten, sondern dass das angegriffene Land sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vom ersten Tag an tapfer verteidigte. Aber nicht das ist Krone-Schmalz wichtig, sondern sie hebt sofort auf „Rache“, „Vergeltung“ ab. Damit ist der Ton mit Sicht auf die Ukraine gesetzt. Zum Aggressor kein Wort.
„Kampf bis zum letzten Blutstropfen?“ – Krone-Schmalz´ nächste rhetorische Frage wird fortgesetzt mit dem Satz „Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss“. Wer dies fordere, läßt Krone-Schmalz offen. Und gerade hier hätte ich zumindest gern gewusst, wer „man“ ist, wen sie meint.
Ich belasse es dabei… Auch das Beispiel Krone-Schmalz macht deutlich – solange ehrliche Friedensfreunde nur eine einseitige Sicht auf diesen Krieg haben, werden sie auch nicht wirklich durchdringen. Was angesichts der Lage mehr als bedauerlich ist.
Ich weiß natürlich auch nicht, wen Krone-Schmalz unter „man“ („Kampf bis zum letzten Blutstropfen? Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss.“) subsummiert. Aber Roderich Kiesewetter, der in den Medien allgegenwärtige Bellizist von der Unionsfraktion im Bundestag, gehört ganz gewiss dazu. Der hat WELT-TV am 5.12. wissen lassen: „Die Krux in der Ukraine ist, dass beispielsweise in der Europäischen Union über 600.000 wehrdienstfähige (ukrainische) Männer sich dem Wehrdienst entziehen. Allein in Deutschland sind es 220.00, und die würden natürlich helfen, die Männer an der Front zu entlasten …“ Das „wären allein in Deutschland über 10 Divisionen.“ (https://www.welt.de/politik/ausland/video248868622/Ukraine-Krieg-Krux-ist-dass-sich-600-000-wehrfaehige-ukrainische-Maenner-dem-Wehrdienst-entziehen.html?icid=search.product.onsitesearch)
Lieber Herr Wohanka,
ich finde, das ist eine notwendige Klarstellung. Danke!
Es gibt argumentatorische Endlosschleifen. Wer den Prämissen ihrer Konstrukteure bedingungslos folgt, hat verloren. Immer. In zurückliegenden Jahrzehnten reduzierten das die Überzeugungswächter gerne auf die drohend vorgebrachte Frage, man sei doch für den Frieden – oder?
Wolfgang Brauer
Nun benotet also ein Blättchen-Redakteur (Wolfgang Brauer) den FORUM-Beitrag eines Blättchen-Autors (Stephan Wohanka) mit „sehr gut“. Warum denn dieses? Damit auch die besonders Dummen den Schuss (in diesem Falle gegen Krone-Schmalz) hören? Soll das jetzt Schule machen? Das käme mir reichlich klippschulhaft vor. Aber vielleicht ist Herr Brauer ja Lehrer und kann einfach nicht anders …
Betrifft: Deutsche Perspektiven in Nr 25 Seite 5
Glückwunsch, Herr Romeike: Für die Palästinenser Menschenwürde einfordern, was bei allen Göttern dieser Welt mehr als angebracht ist, aber gleichzeitig von von 68er Lehrern (wer immer die sein mögen) „abgerichteten“ (sic!) Klimaklebern der Letzten Generation sprechen – eine Meisterleistung differenzierten Denkens!
Jürgen Scherer
Zum letzten Heft: Es werden die „alten“ Diskussionen um Krieg, Frieden und Pazifismus neu geführt. (Vgl. Max Michaelis, Anti-Krieg zwischen Weltkriegen, Berlin 2023.) Der Ausgang damals ist schlagend bekannt geworden.
Deutschland kriegstüchtig? von Erhard Crome
Es steht im Text vieles, dem ich zustimme. Jedoch will ich auf Sachverhalte hinweisen, die mir zu kurz kommen…
Der Tenor des Textes bezweifelt, dass die deutsche Gesellschaft sich mental in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ werde bewegen lassen; Crome selbst will auch nicht so denken.
Si vis pacem para bellum – wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg; eine alte Maxim, wohl schon den Griechen bekannt. Sie zielt darauf ab, Frieden mittels eigener Rüstung, mit der Androhung und, wenn nötig, mit einem Krieg zu erhalten respektive zu erzwingen. Das passt zu einer Kultur, in der Krieg ein normales Mittel der politischen Auseinandersetzung ist; Crome schreibt das auch.
Der keineswegs als kriegslüstern geltende Walter Benjamin sprach davon, dass „wer aber den Frieden will, der rede vom Krieg“. Der Ersatz des Verbs „rüsten“ durch „reden“ – und welch ein Bedeutungsunterschied! Wir reden vom Krieg, weil wir den Frieden wollen. Nicht die Zurückweisung des Gedankens an einen möglichen Krieg bringt „uns“ (Crome fragt, wer ist „wir“?) weiter, sondern die offensive Auseinandersetzung mit dem Thema! Deshalb muss die gesellschaftliche Debatte geführt werden. Benjamin ging mit einem Pazifismus ins Gericht, der sich in Anschein und Habitus erschöpfe, der nichts nutze, der nicht die Kraft habe, sich offen und kritisch mit dem Krieg zu befassen, den er ablehnt. So ein unkritischer Pazifismus sei strukturell kaum mehr als ein moralisches Feigenblatt, ein Lippenbekenntnis.
Dass von deutschem Boden nach der Nazibarbarei nie wieder Krieg ausgehen darf, ist Konsens. Ich denke – über alle Parteigrenzen hinweg. Was aber leider nicht bedeutet, dass a u f deutschem Boden nie mehr Krieg geführt werden könnte. Wenn Pistorius vor möglichen Kriegen in der Mitte Europas warnt, spricht er nur Offensichtliches aus. Und weiterhin glauben (zu) viele Menschen hierzulande immer noch, dass an die Stelle gegenseitiger Bedrohung und Abschreckung, die wir aus dem Kalten Krieg kennen, eine Welt getreten sei, die nur aus Freunden und Geschäftspartnern bestehe. Und dass wir in einer regelbasierten (Welt)Ordnung lebten. Doch die skrupellose Aggression Russlands gegenüber der Ukraine beweist das Gegenteil.
Jahrzehntelang hatte es sich namentlich die Bundesrepublik bequem unter dem Schutzschirm der Nato eingerichtet, die angeführt von den USA Sicherheit garantierte. Gern wurde auch die vermeintliche „Friedensdividende“ – Crome erwähnt sie auch – kassiert und die Bundeswehr dem Verfall und Gespött preisgegeben. Nun haben wir schon einen großen Krieg – wenn auch (noch) nicht in der Mitte, so doch in Europa; vor Kurzem so undenkbar.
Dieser Krieg steckt in einer Pattsituation fest; a la long hat Russland die größeren Reserven. Sollte Russland dabei – in welcher Form auch immer – Erfolg haben, so halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die Ukraine nicht das letzte Angriffsziel Russlands gewesen ist; Nato-Mitgliedschaft hin oder her. Auch ein Krieg auf dem Balkan ist weiterhin nicht völlig vom Tisch. Und bleiben unsere Nachbarn in ihrem chauvinistischen Überschwang für immer unsere Freunde? Was dann? Wie stünden wir dann zu unserer Bündnisverpflichtung; und auch die USA? 2024 wird dort gewählt – Ausgang offen. Vertrauten wir weiter darauf, dass die USA weiterhin allzeit ihre schützende Hand über uns und andere hielten, dass sie bereit wären, auch einen Atomkrieg für uns riskierten, der auch US-Städte in Trümmerfelder verwandelte… Wohl eher nicht. Und dass die Bundesrepublik selbst in der Lage wäre, sich zu verteidigen, ist auch kaum glaubhaft. Sie muss zu ihrer Sicherheit Bündnisse mit anderen eingehen….
All das sollten „wir“ uns zumindest einmal vor Augen führen; wir können nicht isoliert von anderen (innen)politisch debattieren, geschweige agieren. Und – historische Reminiszenzen helfen heute kaum weiter.
Werter Herr Wohanka, Sie schreiben: „Jahrzehntelang hatte es sich namentlich die Bundesrepublik bequem unter dem Schutzschirm der Nato eingerichtet, die angeführt von den USA Sicherheit garantierte.“
Sind Sie ein […, gekürzt, d. Red.] Ossi?
Dann sollten Sie allerdings vielleicht besser nicht in Ost-Berlin gelebt haben!
Denn zu der „Sicherheit“, von der Sie reden, gehörte: „Nach der Atomwaffenbedarfsstudie des amerikanischen Strategic Air Command von Juni 1956 gehörte die Bevölkerung im Ostteil Berlins und in allen größeren Vorstädten zu den Zielen im Falle eines Atomwaffeneinsatzes in Europa. […] Außerdem sollten gegen Bahnanlagen 21 Kernwaffen eingesetzt werden, fast alle in Ost-Berlin, gegen Treibstofflager neun, gegen Hafenanlagen und Militäreinrichtungen sowie gegen Rundfunksender jeweils sechs.“
Linke Hetze?
Nee, Springers WELT: http://www.welt.de/geschichte/article150290008/Hunderte-Ziele-von-US-Atombomben-in-der-DDR.html.
Liebe Frau Haustein,
um mit Letzterem zu beginnen – natürlich war die damalige atomare Bedrohung Ostberliner Einrichtungen keine „linke Hetze“. Und nicht nur Ostberlin war – denke ich – im Visier US-amerikanischer Atomwaffen, sondern die gesamte DDR. Nur werden desgleichen auch Westberliner und bundesdeutsche Ziele im Visier sowjetischer Atomwaffen gewesen sein. Ergo hat der NATO- respektive US-amerikanische Atomschutzschirm die Sicherheit der Bundesrepublik im Auge gehabt, während wiederum die Atomwaffen des Warschauer Pakts respektive der Sowjetunion die Sicherheit der DDR garantierten. Was soll – nochmals – daran linke Hetze sein? Es war das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens, was Gottseidank allen Krisen und Fehlalarmen standhielt; zwar ein spannungsgeladener, aber dennoch stabiler Frieden. Es gilt als gesichert, dass ein Krieg damals das gesamte Gebiet des heutigen Deutschlands zum „intensivsten“ Kriegsschauplatz gemacht hätte.
Friedfertige Grüße
Stephan Wohanka
Menschliche Tiere?
Danke an Michael Geiger für die vielen Denkimpulse im Blättchen Nummer 22 vom 23.10.23..
Insbesondere für seine umfängliche Argumentation zu den Schlagwörtern „Aggressionstrieb, Ausgrenzung, Frieden, Krieg,…,Triebrealisierung“.
Sowohl alle aktuellen militärischen Auseinandersetzungen auf unserer Erde als auch alle anderen destruktiven Konfliktkonstellationen in und zwischen den Staaten, die in sich das Eskalationspotential zur militärischen Gewaltaustragung tragen, sind kein universeller Beweis dafür, dass wir Menschen keine Alternativen zu destruktiven Gewaltverhalten haben.
Alle Forschungen, die das Ziel haben, die besondere Aggressivität der Gattung Mensch mit quantitativen Tötungsvergleichen zwischen Tiergattungen und der Menschengattung zu machen entfernen sich vom e w i g e n G r a b e n zwischen Menschen und Tieren und relativieren die S o n d e r s t e l l u n g d e s M e n s c h e n in der Natur.
Diese S o n d e r s t e l l u n g begründete der Naturwissenschaftler G.F. Nicolai in seinem Buch „Biologie des Krieges“ (1915) im „§ 15 Die Autonomie des Gehirns“ so, indem er die menschliche Art und Weise, Werkzeuge zu e n t w i c k e l n und zu nutzen in zweierlei Hinsicht zum Naturgeschehenen abgrenzte: einmal universell, indem er den Begriff Werkzeuge inhaltlich mit der Aussage füllte, dass unsere Werkzeuge ablegbare und auswechselbare Organe von uns Menschen sind, die wir gelernt haben als Waffe nicht nur gegen die Natur sondern auch gegen uns selbst zu nutzen und in zwei Bänden begründete, warum der Krieg kein universeller Prozess in unserer menschlichen Kultur des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist.
Jeder kann nachlesen, dass Nicolai es als unsittlich und falsch wertet, uns Menschen als Teil der Natur zu sehen wie es besonders im Kriege geschieht, und wir Menschen uns „nicht als etwas der gesamten Natur Entgegengesetzes“ wahrnehmen.
Unser menschliches Verhalten ist „etwas anderes als Naturgeschehen, und deshalb haben wir den Krieg nicht hinzunehmen wie ein Erdbeben….“
Schließt man sich dieser Art zu denken an kommt man notwendig zur Schlussfolgerung, dass wir Menschen immer die Möglichkeit zur Verhaltensänderung haben. So verhalten können, um unsere Konflikte zum gegenseitigen Nutzen lösen zu können.
Eine von allen Konfliktparteien gewollte deeskalierende Konfliktlösung schließt die Akzeptanz und die Toleranz unserer Unterschiedlichkeiten in unseren Gemeinsamkeiten mit ein.
Gemeinsamkeiten von Kompetenzen, wie sie in der Humanontogenetik für uns Menschen als biopsychosozialen Systemganzheiten in ihrer Struktur und Funktion als universell, ewig, generisch beschrieben sind:
motorische, optische, akustische, taktile, olfaktorische, gustatorische, sexuelle, soziale, kommunikative, kognitive, volitive, emotionale, motivationale, ästhetische und temporale Kompetenz.
Diese grundlegenden Kompetenzen haben wir Alle – sowohl die weiblichen als auch die männlichen Menschen – und spirituell gesehen sind wir die einzige Gattung mit einer temporalen Kompetenz und einer temporalen Neugier, die nicht nur über die eigene Lebenszeit zurück – und vordenken kann sondern die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und Interessen in arbeiten und freizeiten planen kann. Immer von dem Glauben beseelt , dass das Geplante mit Ziel und Zweck auch umsetzbar ist. Dieser universelle Glaube an die Transformation einer Idee aus unserem menschlichen Bewusstsein in die Umwelten unseres Bewusstseins ist der Schlüssel zum Verstehen des unüberwindbaren Grabens zwischen Natur und Mensch.
Meine Schlagworte sind deshalb: Weltall – Erde – Mensch. A r b e i t.
Danke also für den Impuls zur Rückbesinnung an meine Jugendweihe.
Die Westdeutschen befragen zum zweitvorletzten Satz sinnvollerweise die altgewordenen Ostdeutschen um die 75.
Verehrter Wolfgang Brauer,
Ihren essayistischen Reisebericht „In Böhmens Hain und Flur“ über Tschechien habe ich mit großem Interesse gelesen. Es ist gut, dass Ihnen, wie Sie schreiben, der Finger juckte. Und fast gar nicht schnipsend. Aber natürlich subjektiv, alles andere wäre auch vermessen. Das Blätchen ist schließlich kein Lexikon.
Nur mit einer Ihrer Prämissen komme ich ins Hadern. Sie betonen: „Ein Wort noch zur Schreibung der Ortsnamen. Selbstverständlich verwende ich die tschechische Form, ein Gebot des Respekts dem gastgebenden Land gegenüber. Königgrätz heißt nun einmal Hradec Králové, auch wenn die Umlautzeichen im Deutschen ungewohnt sind.“
Das ist natürlich Ihre persönliche Entscheidung, allerdings halten Sie diese Beteuerung in keiner Weise durch: Sie schreiben, als gäbe es nichts anderes, von Prag (nicht Praha), von Brünn (nicht Brno), von Melnik (nicht Mělnik). Bei den – zwar nicht entsprechend postulierten – geographischen Namen das gleiche Bild: Böhmen (nicht Čechy), Mähren (nicht Morava) oder Moldau (nicht Vltava). Bei Aussig bzw. Ústí nad Labem benutzen Sie selbst beide Benennungen.
Ja, es gab Zeiten, da vermutete mancher, nicht immer zu unrecht, wegen der Benutzung deutscher Städtenamen wie Brünn oder Karlsbad oder auch Pressburg, Breslau und Königsberg revanchistische Haltungen. Nur das ist im Allgemeinen lange perdu. Nur am Rande: Die Tschechen bezeichnen zum Beispiel Leipzig als Lipsko und die Polen als Lipsk.
Beim empfehlenswerten tschechischen Autor Jaroslav Rudiš lese ich zum Beispiel in seinem wunderbaren Roman „Winterbergs letzte Reise“ (2019) ganz selbstverständlich gleichzeitig über Pardubice und Pardubitz oder über Liberec und Reichenberg. Auch ich halte die Verwendung der deutschen Ortsnamen neben den amtlichen tschechischen Namen frei vom Beiklang falscher Besitzansprüche. Fehlender Respekt oder einfach Anerkennung einer gemeinsamen tschechisch-deutschen Vergangenheit und Respektierung dieser Herkunft?
Mit Bezug auf seinen Roman erhielt Rudiš 2021 von Bundespräsident Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande als „einer der engagiertesten Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien“. In diesem Sinne und mit besten Grüßen
Henricus Schwertfeger
Sie haben natürlich recht, auch ich benutze beide Schreibweisen. Da, wo sie historisch hingehören. Diesen Hinweis unterschlagen Sie mit Ihrer verkürzten Wiedergabe meiner Erklärung… In heutigen Zusammenhängen ist Brünn natürlich Brno, ebenso wie Ústi nad Labem nicht Aussig heißt. Mit Mělník haben Sie recht. Da hab ich nicht aufgepasst. Das ist korrigiert. Danke!
Herzlichst – Wolfgang Brauer
Die Zeilen unten schrieb ich im Herbst 2010 für „Blättchen“. Palikot gründete eine neue Partei, trat aus der bisherigen Partei und der Sejm-Fraktion aus (gab das Mandat auf) und kam dann im Herbst 2011 wieder strahlend zurück in den Sejm, mit der neuen Partei. Schimpfe also niemand leichtfertig über Polen! Es ist meistens unbegründet.
„In Polen kennt ihn jeder, den einstigen Schnapsproduzenten Janusz Palikot. Neben Regierungschef Donald Tusk ist er bislang das bekannteste Gesicht der Regierungspartei PO (Bürgerplattform). Der studierte Philosoph steht auf dem liberalen Flügel, spielt virtuos auf dem Medienklavier – ein Enfant terrible, das nie mit einem Regierungsamt rechnen kann. Also ein Provokateur vor dem Herrn, so wie Leute einen mögen. Zielscheibe seines Spottes, seiner kunterbunten Attacken sind die Erzkonservativen, die er vor allem beim Konkurrenten PiS (Recht und Gerechtigkeit) ausmacht. Zuletzt noch sah man ihn mit Gitarre und poppiger Brille gegen Jarosław Kaczyński streiten, als der Präsident werden wollte. Nun warf er den entsprechenden Handschuh nicht dem politischen Gegner, sondern seinem eigenen Parteichef vor die Füße. Für den 6. Dezember kündigte er an, Partei und Fraktion zu verlassen. Er tat es in Warschau vor 5.000 Menschen, die seiner Einladung gefolgt waren, die Wiege einer neuen politischen Bewegung zu bilden.“
Danke für die Erinnerung an den 40. Jahrestag des Beinahe-Atomkriegs im Blättchen 2023/21. Zu dem Vorfall habe ich dieses Jahr auch ein Lied verfasst, das in der letzten Strophe auch den Bezug zur heutigen Zeit herstellt. Weil das Thema so wichtig ist, habe ich es gleich in drei Sprachen übertragen und jeweils als Duett aufgenommen:
auf Englisch: https://youtu.be/uQYysFA4MfQ
auf Esperanto: https://youtu.be/5Xyd01Ws8kA
auf Deutsch: https://youtu.be/Gx6m3bkmbhY
Weil das Risiko eines „Atomkriegs aus Versehen“ heute so hoch ist wie nie, ist dieses Lied ebenso wie der Artikel im aktuellen Blättchen vielleicht hilfreich, darauf aufmerksam zu machen. Die letzte Strophe ist in der Esperanto- und englischen Fassung deutlicher als in der deutschen:
90 seconds now till midnight / But nobody seems to care:
Many call for escalation / No protestors anywhere.
The reaction time is shorter / Delegated to AI*).
And diplomacy is ruined / All this makes me wonder why
We still hope that always some Petrov saves the world.
*) AI = artificial intelligence
Zu Ekke Mieder „Bürger zweiter Klasse“:
Zweite Klasse ist doch ganz gut. Wie ich höre, soll es ja auch „Dritte Klasse“ und „Vierte Klasse“ geben, von der „Holzklasse“ ganz zu schweigen. Hintan- und Herabsetzungen sind nun einmal das Los der Verlierer. Vae Victis, wusste schon Julius Caesar treffend auszurufen.
In Ergänzung zum Beitrag von Stephan Wohanka in der aktuellen Ausgabe lohnt es, einen älteren Blättchen-Beitrag nochmals aufzurufen: https://das-blaettchen.de/2010/09/demokratie-versuch-einer-anamnese-2357.html.
Lieber Mario Keßler,
vielen Dank für die Rezension des Friedmann-Buches über Elise Ewert. Elise Ewert, Arthur Ewert, Olga Benario Prestes – wie wichtig das ist, diese erstaunlichen, unerhört tapferen Menschen nicht zu vergessen. Und wie nobel deine Würdigung der Arbeit von Ronald Friedmann! Ich schließe mich mit Freude an. – Zur um sich greifenden Geschichtsvergessenheit der Linken und LINKEN bleibt nichts hinzuzufügen.
Danke, Wolfram… und Deine Worte zur Geschichtsvergessenheit der Linken in Groß- und Kleinschrift sind ein Teil, nicht der Einzige unserer gegenwärtigen Tragödie.
Angeregt durch das Motto, mit dem Herr Wohanka seine Gedanken + Vorstellungen von Strömungen in gegenwärtiger Politik, bei politischen Parteien und deren Exponenten bekräftigt: „Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muß sich alles ändern“(18/23), möchte ich diese Erkenntnis um den Satz von Erich Fried verstärken: „Wer will daß die Welt so bleibt wie sie ist der will nicht daß sie bleibt.“ (So das Original). Aus „Status quo“, in „Lebensschatten“, Wagenbach 1981 – gedacht und veröffentlichst als Beitrag zum damaligen Wettrüsten mit Option zu „Erstschlag“/„Zweitschlag“ usw.
Und weil schon bei Fried, dessen Empfindungen und Erfahrungen beim Schreiben: „Eigenartig wie das Wort eigenartig es fast als fremdartig hinstellt eine eigene Art zu haben“.
zu Ernst Reuß, Nr. 16
An Walerian Wróbels Schicksal war zu zeigen, dass was als „Recht“ unterm Hakenkreuz galt, ein Nichts bedeutete. Der Bremer Rechtshistoriker Christoph Schmink-Gustavus, der die Akten zu diesem Fall ermittelt und publiziert hat – nachzulesen auch in einer polnischen und einer griechischen Übersetzung – tritt mit seinem Buch denen entgegen, die sogut wie unbehelligt weiter als Juristen tätig sein konnten, obwohl sie Schuld auf sich geladen hatten. Das traf, wie Schminck-Gustavus ebenfalls in einer Studie herausgearbeitet hat, zum Beispiel auch auf die „Richter“ zu, die Dietrich Bonhoeffer (und nicht nur ihn) zum Tode verurteilt und am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg stranguliert hatten.
Mein freundlicher Dank geht an Hannes Herbst, der mir mit seinem stellenweise fast schon kabarettistischen Verriss des Hoyer-Buches 28 Euro „geschenkt“ hat. Dennoch werde ich mit das Werk selbst noch einmal näher betrachten, wozu gibt es öffentliche Bibliotheken?
Was für mich schwerer wiegt: Ich bin seit langem der Überzeugung, dass eine sachliche (objektiv wäre zu viel verlangt) Betrachtung der DDR erst „nach dem Aussterben der Erlebensgeneration“ möglich sein wird. Wenn nun aber, wie Herbst schreibt, solche Amateur-Werke international für „Furore“ sorgen, dann wünschte ich fast, dem eben genannten „Aussterben“ recht bald anheim zu fallen, um nicht noch mehr solcher Machwerke (das einzig gute diesen Namens stammt von Volker Braun) ertragen zu müssen. Ist es denn nicht Grauen genug, die (das folgende Wort hab‘ ich selbst erfunden) Guidoknoppisierung der Zeitgeschichte ertragen zu müssen?
Auf zum letzten Gefecht? Jutta Grieser
Ein interessanter Beitrag, frei von der Leber weg, ohne vermeintlich diplomatische Schnörkel. Und doch, „Also Vorsicht mit bestimmten Worten“? Ich denke, wir sollten den Kommunismus nicht der Deutungshoheit Dobrindt, Gröhe, Steinmeier, die hier zitiert werden, oder anderen Granden des Antikommunismus überlassen. Genauso wie die Linke nicht dazu da ist, die imperialistische Staatsräson zu stützen, sollte sie nicht den Geburtsfehler der Bundesrepublik Deutschland, die antikommunistische Staatsräson tolerieren oder gar übernehmen. Wo man vor lauter Lavieren zwischen den ideologischen Gräben hinkommt, das ist ja gerade das Elend der Linken. Deshalb unbedingt „back to the roots“. Eine der stärksten Wurzeln sozialistischen Denkens und Handelns ist nun mal das Kommunistische Manifest. Da ist es wieder das „Vorsichts“-Wort. Man kommt einfach nicht drumherum.
Herr Hayn
Der Kern meiner Kritik war, das sie mit ihrem unangemess polemischen Text, Herr Schleiting schreibt „Geschwafel“, im letzten Blättchen nicht den kleinsten Beitrag geleistet haben eine Idee aufzuzeigen, der als ersten Schritt zu einer Deeskalation in diesem schrecklichen Krieg führen könnte.
Wie sie auf die Idee mit der Streumunition gekommen sind, bleibt ihr Geheimnis oder es gibt andere für mich unbekannte Gründe.
Wissen sie ich kann mich noch genau erinnern, ich war damals 16 Jhre, wie die Welt am absoluten Rand eines atomaren Weltkrieges während der Kuba Krise gestanden hat. Wie sie in einer ähnlichen komplizierten Weltsituation einen solchen völlig unsensiblen Text fabrizieren können, kann und will ich nicht nachvollziehen.
Unabhängig davon, ich wünsche ihnen und den ihren einen sauberen Himmel.
In der Zwickmühle oder „Skylla und Charybdis“ von G. Hayn
Der Artikel verfasst in einer Art und Weise, bei der fehlende Arroganz nicht unterstellt werden kann, geht meines Erachtens völlig an der Sorge des größten Teils der Menschheit vorbei, Mittel und Wege zu finden den Konflikt in der Ukraine zumindest erst einmal zu deeskalieren. Der beidseitige Verzicht auf Verwendung von Streumunition wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Die Frage nach Wegen des Endes dieser Auseinandersetzung zu stellen, ist in diesem Artikel rein gar nicht zu finden. Im Gegenteil meint Herr Hayn ist es doch legitim wenn die Ukraine Moskau mit Raketen beschießt. Das wäre dann nach der Verwendung von Streumunition, die nächste Eskalationsstufe in diesem fürchterlichen Krieg.
Aber hier bedient sich der Autor nach meiner Meinung der gleichen Methode wie der, bei den Linken und Pazifisten kritisierten „Reletivierungspirouette“. Das dabei unschuldige Menschenleben daran hängen können, wie Hr. Schleiting das richtig im Forum geschrieben hat, stört dabei anscheinend nicht.
Das zu Recht im Beitrag von Hr. Schleiting erwähnte „Geschwafel“ im Artikel des Herrn Hayn hat uns bei der Klärung des bereits oben genannten Problems keinen Millimeter voran gebracht.
Außerdem wird wieder mannigfaltig nach der „Haynschen Methode“ verfahren, dem anderen etwas in die Schuhe zu schieben um ihn dann deftig zu diskreditieren. Dabei nicht einmal an Personalien halt zu machen, würde ich nicht unbedingt als Courage bezeichnen. Abschließend, noch die Sache mit der Räuberbande. Aus dem Kontext geht eindeutig hervor, die Räuberbande das sind die Russen. Für mich ist das offen gesagt nicht eindeutig, wer hier die Räuberbande ist.
Hinzu kommt bei der speziell deutschen Geschichte, Russland in das Licht einer kriminellen Vereinigung zu stellen, ist wie der Wunsch der deutschen Außenministerin: „Wir werden Russland ruinieren“.
Ich halte es da lieber mit einer schöpferischen Entstellung eines historischen Zitates: „Die Putins kommen und gehen, das russische Volk bleibt“!
Mit Verlaub, Herr Grimmer, Sie haben einen anderen Text gelesen, nicht meinen. Sonstwürden Sie mir nicht unterstellen, ich würde die Verwendung von Streumunition legitimieren. Lesen Sie bitte richtig.
Ich habe gesagt, wer berechtigterweise die Verwendung dieses Teufelszeugs durch die eine Seite geißelt, sollte es auch bei der anderen tun.
Ich habe gesagt, wer Kiew bombardiert, sollte sich nicht wundern, wenn auch Moskau angegriffen wird. Unterstellen Sie mir nicht, ich würde das legitimieren wollen. In Moskau hängen „unschuldige Menschen dran“, wie Sie erklären. In Kiew und Odessa nicht? Dass Russland bombardiert, darf man also in Kauf nehmen? Genau das ist das „Zwar-Aber-Muster“ …
Zu den „unschuldigen Menschen“. Addieren Sie einfach einmal die zivilen Opferzahlen seit dem 24. Februar 2022. Lassen Sie das Militär raus dabei…
Und dann verlangen Sie von deren Angehörigen – es gibt Leute, die sagen nichts anderes … -, sie mögen gefälligst auch noch die rechte Backe hinhalten. Das mag sehr christlich gedacht sein, es ist aber nicht die eigene Backe. Ich finde das zynisch.
Ja, das russische Volk befindet sich in den Fängen einer Räuberbande, mit der man sich nicht – auch nicht argumentativ – gemein machen sollte. Das ist zutiefst tragisch. Aber es muss die selber loswerden. Über Frau Baerbock müssen wir nicht diskutieren.
„Ich habe gesagt, wer Kiew bombardiert, sollte sich nicht wundern, wenn auch Moskau angegriffen wird.“
Sry Herr Hayn, das haben Sie, jedenfalls im zur Rede stehenden Text, nicht gesagt. Sie haben die Frage gestellt „Weshalb allerdings ukrainische Raketen nicht auf Moskau abgefeuert werden dürfen“ und behaupten, dies könne nur Medwedew erklären und implizieren damit, dass jeder außer Medwedew (und evtl. seinen Kumpanen) sich für einen Beschuss Moskaus aussprechen müsse und dass es keine vernünftige Alternative gebe. Genau das ist die Kriegstreiberei, die niemandem weiterhilft und letztlich in die Eskalation und damit ins Verderben führt.
[…]
Victory Is Possible – ?: eine späte, aber immer noch wichtige Resonanz auf die Provokationen Karaganows. Das Echo, das Karaganows Äußerungen hier findet, kann man nur als Reaktion auf eine Echokammer ansehen, nicht aber auf den [zugegeben verwegenen] Gedankengang des Mannes, den er seinem Planspiel zugrundelegt. In dem langen Gespräch auf RT hat er uns auch einige ‚Hintergedanken‘ wissen lassen. Ich habe mir erlaubt, dazu eine Schlüsselfeststellung per Tweet in den Mittelpunkt zu rücken:
„I have often said and written that with the right strategy of deterrence and even use, the risk of a ‚retaliatory‘ nuclear or other strike on our territory can be minimized. Only if there is a madman in the White House who also hates his own country will the US decide to strike in ‚defense‘ of the Europeans and invite retaliation by sacrificing a hypothetical Boston for a notional Poznan. The Americans and the Western Europeans are well aware of this, they just prefer not to think about it. We, too, have contributed to this recklessness with our peace-loving pronouncements. Having studied the history of US nuclear strategy, I know that after the USSR acquired a credible nuclear retaliatory capability, Washington never seriously considered using nuclear weapons on Soviet territory, even though it publicly bluffed. When nuclear weapons were considered, it was only against ‘advancing’ Soviet forces in Western Europe.”
Man muß aber der Prämisse auf den Grund gehen, weshalb Karaganow dieses Planspiel nicht nur virtuell in Erwägung zieht, sondern in seinen Darlegungen von virtuell zur Drohung die Perzeption changieren läßt. Nach meinem Verständnis ist die Logik hier in seinem Aufsatz vom Juni zu finden, worin es in letzter Hinsicht
darum geht, nach ≈ 500 Jahren die [Vor-]Herrschaft des ‚Westens‘ aus den Angeln zu heben:
„And here I come to the most difficult part of this article. We can keep fighting for another year or two, or even three, sacrificing thousands and thousands of our best men and grinding up hundreds of thousands more who are unfortunate enough to fall into the tragic historical trap of what is now called Ukraine. But this military operation cannot end in a decisive victory without forcing the West into a strategic retreat or even capitulation. We must force the West to abandon its attempts to turn back history, to abandon its attempts at global domination, and to force it to deal with its own problems, to manage its current multifaceted crisis. To put it crudely, it is necessary for the West to simply “piss off” and end its interference in the direction of Russia and the rest of the world. However, for this to happen, Western elites need to rediscover their own lost sense of self-preservation by understanding that attempts to wear down Russia by playing the Ukrainians against it are counterproductive for the West itself.“
Die Nichtaufnahme der Ukraine in die NATO [ganz entgegen der wetterwendischen Logik Kissingers zum operativen Zweck der Aufnahme der Ukraine] heißt nichts anderes als daß die USA in der NATO, ob auf mittlere Sicht zu ihrem Vorteil oder nicht, nicht davon abzuhalten sind, die Ukraine zum Vietnam-Afghanistan der RF zu schmieden und zu bewaffnen, solange die Indolenz der meisten NATO-Mitglieder und ihrer Wählerschaften dies zuläßt. Wenn aber in nicht ferner Zukunft der militärische Zusammenbruch der Ukraine eintritt, bleibt dann etwas anderes übrig als ‚strategischer Rückzug oder sogar Kapitulation‘?
Es ist gerade dieser Moment der Implosion der NATO, ab dem bei ihrer angloamerikanischen Führung jegliche Berechenbarkeit in Frage steht. In einem solchen Moment kann man sich auf eine Lage besinnen und sie ausmalen, die mit dieser Frage angerissen wird: Was wäre wenn die nächste Versuchsanordnung mit Kinschals von Kaliningrad bis zum NATO-HQ vorgenommen würde?
Lawrow ist bereits in seiner Verlautbarung einen Schritt in diese Richtung gegangen.
Zum Beitrag von Sarcasticus im aktuellen Blättchen – das russische Staaatsmedium RT DE informierte unter gestrigem Datum: Mehr als 20 „Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands, einer einflussreichen russischen Denkfabrik, warnen eindringlich … vor einem nuklearen Präventivschlag Russlands, etwa um in der Auseinandersetzung mit dem Westen über die Ukraine die Oberhand zu gewinnen. Solche Forderungen seien äußerst unverantwortlich und gefährlich … Die gemeinsame Erklärung, die Mitglieder des Rates am Donnerstag veröffentlichten, ist eine der jüngsten Reaktionen in russischen Expertenkreisen auf die Debatte über den möglichen Einsatz von Atomwaffen, welche durch einen hochumstrittenen Meinungsbeitrag von Sergei Karaganow als einem Ehrenmitglied des Präsidium des Rates im vergangenen Monat ausgelöst wurde.“
Zwischen Skylla und Charybdis
Herr Hayn, was Sie machen ist schon reichlich befremdlich: Sie referieren eine Diskussion über Streubomben, kritisieren da die inkonsequente Haltung beispielsweise der Herren Stoltenberg und Steinmeier, gleichzeitig aber auch die Kritik aus der Linkspartei an deren Lieferung an und Einsatz durch die Ukraine, obwohl Sie selber diese Waffe zu Recht als „Teufelswerk“ klassifizieren und postulieren, „wer gegen den Einsatz von Streumunition ist, muss radikal gegen beide Seiten vorgehen“. Ihre Kritik an der Linken, auch an der Friedensbewegung, begründen Sie mit deren ihrer unbegründeten Ansicht nach vergleichweise verhaltenem Protest gegen den Einsatz derartiger Waffen durch das russische Militär im derzeit tobenden Krieg. Der „Friedensbewegung“, wen immer Sie damit meinen, unterstellen Sie sogar – und das bezeichne ich nicht lediglich als befremdlich, sondern als böswillig, freundschaftliche Nähe zum Putinregime. Bis dahin ist man als Leser noch auf der Suche nach Ihrer eigentlichen Argumentationslinie, ich könnte auch schreiben – verzeihen Sie – überlegt man, wohin das Geschwafel denn führen soll. Ihr Exkurs in die Geschichte des ausgehenden 19. resp. jungen 20. Jhds. hilft einem da auch nicht viel weiter, der Vergleich der historischen Situation, die zum Berliner Kongress führte mit der heutigen ist doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Aber Herr Hayn, Sie enttäuschen uns nicht! Sie kriegen die Kurve: mit Hilfe des Georg Witte sind Sie bei Ihrem und möglicherweise auch seinem Lieblingsthema angekommen: den „Relativierungspirouetten“ von Linken und Pazifisten. Die Frage nach Streumunition dient nur als Aufhänger um mal wieder in bewährter Manier gegen alle zu polemisieren, die sich erlauben, die einzig relevante Frage, nämlich die nach dem Ende zu stellen und diese Frage zu beantworten ohne auf die Befindlichkeiten in den Vorstandsetagen der westlichen Rüstungsindustrie Rücksicht zu nehmen. Wie kann man diesen Krieg beenden? Was steht am Ende eines Krieges der sich möglicherweise noch lange hinzieht und weiter zu eskalieren droht? Sie argumentieren mit dem durch die UN definierten Begriff der Aggression und tun so, als ob diese Definition bezüglich des russischen Angriffs umstritten sei. Das ist sie nicht! Kein Mensch, der sich als links oder als PazifistIn bezeichnet, kann in dem Angriff auf die Ukraine etwas anderes sehen, als einen brutalen Akt der Aggression. Die Argumentation, die Sie und andere Ihrer Denke – offensichtlich willentlich – überhören, relativiert nicht die Verurteilung dieser Aggression, sondern ist ausgerichtet an der Frage, wie diese zu beenden ist. Und da muss mehr möglich sein, als von einem endgültigen umfassenden Sieg der Ukraine zu träumen oder gar von einer endgültigen und vernichtenden Niederlage Russlands.
Eins noch: Sie stellen die Frage, „Weshalb allerdings ukrainische Raketen nicht auf Moskau abgefeuert werden dürfen, solange Kiew unter ständigen russischen Angriffen leidet…“. Für diese Frage ist Herr Medwedew wohl nicht der geeignete Ansprechpartner. Was halten Sie von meiner Antwort? Weil durch diese Raketen gegebenfalls auch in Moskau unschuldige Menschen sterben.
Lieber Mario Keßler, in Ihrem höchst interessanten Beitrag über den Trotzki-Enkel Esteban Volkov schreiben Sie: „Die Lektüre von Rudolf Bahros ‚Alternative‘ übte einen starken Einfluss auf ihn aus.“ Wie kam man in Mexiko, wo Volkov 1977 lebte, als das Buch erschien, mit diesem in Kontakt. Zumal Volkov, wie Ihnen dieser erzählte, „das Russische wie das Deutsche, die Sprachen seiner frühen Kindheit“ vergessen hatte … fragt nur neugierig und nicht aus Zweifeln gegenüber Ihrem Text – Franka Haustein
Liebe Franka Haustein, danke sehr für Ihr Interesse! Ich vermute, Esteban Volkov las entweder die englische Ausgabe, die 1978, ein Jahr nach der deutschen Erstausgabe, erschien, oder die französische Ausgabe, die 1979 herauskam. Er dürfte somit recht früh genaue Kenntnisse über Bahro und sein Werk gehabt haben. Auf dem Trotzki-Kongress im März 1990 in Wuppertal schilderte er mir beredt, welchen Eindruck Bahro auf ihn gemacht habe und erkundigte sich nach seinem Befinden. Freundliche Grüße, Ihr Mario Keßler
Klassenmäßige Außenpolitik, Erhard Crome
„Wenn die Außenpolitik des heutigen Deutschlands sich nicht nur als Fortsetzung der BRD unter anderen Umständen verstehen, sondern sich auch auf das Erbe der DDR beziehen würde, hätte Annalena Baerbock eine bessere Figur in Südafrika abgeben können.“ In der Tat. Doch leider hat dieser Satz zu viele Konjunktive – wenn, würde, hätte.
Im Johannesburger Stadtteil Rivonia befindet sich ein Museum im Gebäude der ehemaligen Lilliesleaf Farm, wo sich Anfang der 1960er Jahre das Hauptquartier von uMkhontoWeSizwe (MK) befand, dem bewaffneten Arm des ANC. In diesem Museum ist auch ein Raum, der der DDR-Solidarität gewidmet ist. Als der derzeitige deutsche Botschafter vor einiger Zeit zur Eröffnung eben dieses Raumes eingeladen war, äußerte er, sinngemäß, er sei hier wohl auf der falschen Veranstaltung. Wahrscheinlich haben ihn einige der ausgestellten Fotos, auf denen auch NVA-Uniformen usw. zu sehen sind, gar erschröcklich erschreckt. Der arme Mann.
Frau Baerbock kommt, laut Selbsteinschätzung, zwar „vom Völkerrecht her“, hat aber offenbar die europäische Geschichte, auch die jüngere, erfolgreich umgangen beziehungsweise ausgeblendet. BILD-online hatte ihr ja auf ihre Reise nach Südafrika den Auftrag mitgeben, sie solle dafür sorgen, dass im August in Pretoria „die Handschellen klicken“, wenn Putin zum BRICS-Gipfel anreist. Derartige Dreistigkeiten wird selbst Frau Baerbock sich nicht leisten, sie versuchte es eher mit „von Mutter zu Mutter“, als sie mit ihrer südafrikanischen Kollegin sprach. Doch im außenpolitischen Geschäft zählen Interessen, Fakten, diplomatisches Können und Geschick. Und da stehen Annalena Baerbock und Naledi Pandor auf völlig unterschiedlichen Plattformen.
Sehr geehrter Herr Wohanka,
ich finde es gut, dass Ihr Text hier im „Blättchen“ steht. Denn er ist für mich ein treffendes Beispiel dafür, wie die vom Bundeskanzler ausgerufene „Zeitenwende“ in alle Bereiche unseres Lebens hineinreicht – auch in die Methoden und Formen des politischen, ideologischen, wissenschaftlichen Streits.
Sie schreiben zur Verteidigung Ihres Textes an Herrn Schleiting: „In jeweils spezifischer Ausprägung hat [es] diese Phänomene auch anderswo gegeben. Nur: Im in Rede stehenden Text geht es um Russland. Wollte ich über Gleiches in einem anderen Land oder überhaupt darüber schreiben, wäre es ein anderer Text.“ Das ist ein sehr interessante Gedankenübung: Sie schreiben über ein Thema, das ohne die Herstellung von Zusammenhängen und Wechselbeziehungen überhaupt nicht beschreibbar ist, und klammern genau diese Zusammenhänge und Wechselbeziehungen ganz bewusst und zielgerichtet aus. Das heißt, Sie wissen eigentlich viel mehr, aber das soll jetzt mal keine Rolle spielen, denn: Es geht um Russland.
Und weil es Ihnen nur um dieses eine Land geht, suchen sie dort nach ganz spezifisch Russischem, ergo: Sie begeben sich aufs dünne Eis des Völkischen. Was Sie nun an Beobachtungen und Zitaten bringen, ist im Einzelnen weitgehend unanfechtbar, aber in Zusammenhang gebracht wird es unerträglich.
Da schreibt also ein Deutscher über eine „typisch russische“ „Verschmähung von Menschenleben“. Heute ist der 22. Juni. Im Zuge einer beispiellosen „Verschmähung von Menschenleben“ zogen auf den Tag genau vor 82 Jahren unsere Väter, Großväter und Urgroßväter los, um die Sowjetunion zu vernichten. Dabei „passierte“ – neben unendlich viel Anderem -, dass, weil die nach Millionen zählenden sowjetischen Kriegsgefangenen angeblich nicht mehr ernährt werden konnten, zwei bis drei Millionen von ihnen planmäßig dem Verhungern preisgegeben wurden. Auch dem eingeschlossenen Leningrad war das „Schicksal“ des Aushungerns zugedacht. Meinen Sie, sehr geehrter Herr Wohanka, tatsächlich, dass Daniil Granin als Leningrad-Augenzeuge in seiner tiefen Erschütterung über seine Partei und seine Staats- und Armeeführung darauf abzielte, Ihnen, einem Deutschen, ein Argument dafür in die Hand zu geben, in der Frage der „Verschmähung von Menschenleben“ ausgerechnet dessen deutsche Variante auszublenden? Ausgerechnet diese, zu deren Lasten auch die Schoah geht? Und der Genozid an den Sinti und Roma? Und dieser ganze gewaltige Komplex des Massenmordes an den Slawinnen und Slawen?
Aber vielleicht werfen Sie jetzt ein, es sei Ihnen ja vor allem darum gegangen, die besondere russische „Verschmähung“ auch im Umgang „mit dem eigenen Volk“ zu zeigen? Zum Beispiel beim Sturm auf die Seelower Höhen? Dann ist der gleichzeitig agierende deutsche „Volkssturm“ aus Kindern und alten Männern wohl ein Ausdruck der Hochschätzung menschlichen Lebens gewesen?
Nein, es geht nicht. Es geht nicht, so, wie Sie es tun, die Vorgänge aus ihren ganz realen, lebenswirklichen Zusammenhängen zu reißen und dann isoliert – sozusagen „in Reinkultur“ – einer Betrachtung zu unterziehen. Und ich kann auch nirgends einen guten Grund dafür erkennen, dies zu tun. Es sind uns doch wissenschaftliche Methoden der Aufklärung über die – sichtbaren sowohl als auch verschleierten – Zusammenhänge und Wechselwirkungen an die Hand gegeben. Warum darauf verzichten?
Ich komme auf die bundeskanzlerische „Zeitenwende“ zurück. Diese selbst basiert auf Zusammenhanglosigkeit. Basiert auf Abtrennung der Ereignisse von ihrer Vorgeschichte und ihren materiellen und immateriellen Umständen und auf Diskriminierung der Erkundung und Geltendmachung eben dieser Vorgeschichte und Umstände. Und sie befördert die Rückkehr zum Denken im Maßstab des „Volks“, mithin: zum Völkischen, zum Nationalistischen.
Was – übrigens – haben Sie sich als Konsequenz aus Ihrem Artikel gedacht? Was sollen „wir“ nun machen mit „Russlands Fluch“? Oder ging es darum gar nicht, sondern einfach nur um ein zusammenhangloses Stück Text?
Sehr geehrter Herr Adolphi,
Sie schreiben: „Denn (mein Text – St. W.) er ist für mich ein treffendes Beispiel dafür, wie die vom Bundeskanzler ausgerufene Zeitenwende in alle Bereiche unseres Lebens hineinreicht – auch in die Methoden und Formen des politischen, ideologischen, wissenschaftlichen Streits“. Dem will ich insofern widersprechen, da hier die „Zeitenwende“ ursächlich gesetzt wird; ich sie aber als eine Folge eines anderen Ereignisses halte – nämlich der russischen Aggression gegen die Ukraine. Und diese hat tatsächlich „die Methoden und Formen des politischen, ideologischen, wissenschaftlichen Streits“ massiv beeinflusst. Noch etwas – nicht nur hierzulande war dieser Überfall Anlaß für Zeitenwenden; denken Sie an Finnland und Schweden. Diese Länder verstanden sich dazu, ihre jahrzehntelang erprobte Neutralität aufzugeben, wohl ein noch größerer Einschnitt in Bisheriges. Wenn ich von einer Sache ziemlich überzeugt bin, dann der, dass die Zeitenwende weder Scholz noch der Bundesregierung in den Kram passten. Desgleichen nicht der deutschen Wirtschaft. Es war doch so „schön“: Russische Energie zu moderaten Preisen, der Transport gesichert über die Ostseepipelines, die man gegen alle Einwände namentlich aus Osteuropa als „rein wirtschaftliche Projekte“ quasi bis zum ersten Schuss in der Ukraine verteidigte.
Was Ihren zweiten Punkt angeht, so weiß ich – wie Sie sagen – „eigentlich viel mehr“ (über Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus – St. W.) , aber das soll jetzt mal keine Rolle spielen, denn: Es geht um Russland“. Sie kennen möglicherweise besser als ich den Umfang der Literatur zu diesen Themen – und ich soll in einem Blättchen-Text von grundsätzlich 8000 Zeichen (ich habe überzogen) bei der Beschäftigung mit einem Land dieses mein Wissen zu ebendiesen Gegenständen auch noch ausbreiten? Oder hätten Sie gewollt, ich hätte wenigstens geschrieben: Das gab und gibt es auch woanders. Was hätte das an meinem Text geändert?
Ihr hauptsächlicher Einwand ist wohl der – ich begäbe mich „aufs dünne Eis des Völkischen“. Ein geharnischter Vorwurf; mir erscheint er als Variante dessen, was in einem anderen Forum-Beitrag als Frage aufgeworfen wurde, ob „das eigentlich schon Faschismus?“ sei. Ich denke, so kann man nicht miteinander umgehen. Bei aller notwendigen Auseinandersetzung in der Sache. Daniil Granins Schreiben war sicherlich, wie Sie wohl richtigerweise sagen, von „tiefen Erschütterung über seine Partei und seine Staats- und Armeeführung“ geprägt. Und er hat diese Erschütterungen öffentlich gemacht mit seinem Schreiben; warum wohl? Und Sie meinen nun, dass es mir, „einem Deutschen“, nicht zukäme, Granin zu zitieren? Dürfte ich das als Franzose, Engländer oder Holländer oder auch Pole? Tangierte das nicht ein wenig den Vorwurf, den Sie mir machen?
Am Schluss fragen Sie rhetorisch: „Was sollen ,wir‘ nun machen mit ´Russlands Fluch´“? Gar nichts; es ist ein – vielleicht nicht ganz „zusammenhangloses Stück Text“ zu einer Debatte, die geführt wird. Und an der Sie sich beteiligen.
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
PS. Sie haben sicherlich die letzten Entwicklungen in Russland mitbekommen. Letztlich ausgelöst durch Putins Spezial-Operation. Nun schießen in Russland Russen auf Russen. Es kann darob kein Frohlocken geben.
Naja, Herr Wohanka, es geht nicht darum, ihnen das Zitieren von wem auch immer anzulasten, sondern jedenfalls auch um die Unredlichkeit, mit der Sie das Granin-Zitat ge(miss)brauchen. Er kritisiert den achtlosen, verächtlichen Umgang der Staats-und Armeeführung mit Menschenleben, in dem Fall mit dem Leben einfacher Soldaten, differenziert also ganz klar zwischen Tätern und Opfern. Wenn Sie nach einem Abriss über die Historie des russischen Imperialismus und seine menschenverachtenden Auswüchse das grausame Agieren wahrscheinlich auch einfacher Soldaten im aktuellen Krieg quasi als der russischen Seele immanent und geradezu typisch betrachten – wie Sie mit dem einen oder anderen Zitat zu belegen versuchen – heben Sie diese Differenzierung auf.
Bestimmt sind auch einfache Soldaten zu brutalen Tätern geworden. Anders ist, was in Butscha und anderswo an Bedrückendem zu sehen und zu erfahren war und ist, wohl nicht zu erklären.
Dennoch ist es falsch und führt in die völlig falsche Richtung, dies mit den Abgründen der russischen Volksseele, was immer man darunter verstehen möchte, zu erklären, anstatt zu erkennen und darüber zu verzweifeln, zu was Menschen, egal welcher Volkszugehörigkeit, fähig sind.
Gerade wir als Deutsche müssen mit Entsetzen in die Vergangenheit blicken und erkennen, welche Schuld unsere Eltern und Großeltern zu tragen haben bzw. hatten und welche Verantwortung uns heutigen dadurch aufgebürdet ist.
Es geht eben nicht, Herr Wohanka, wie Sie schreiben um Russland und schon garnicht um die russische Seele. Es geht um die Frage, wie wir Menschen unser gesellschaftliches Leben dauerhaft gerecht und repressionsfrei gestalten, um uns derartige Auswüchse an Brutalität zu ersparen.
Die Antwort will ich gerne noch einmal wiederholen: Es ist die urlinke, wenn auch derzeit in Verruf geratene Forderung nach Niederlegung der Waffen, aber eben auch nach Überwindung der kapitalistischen neoliberalen Gesellschaftsordnung und deren übelster Ausprägung, des Faschismus.
Lieber Herr Schleiting,
warum rekurrieren Sie wieder auf den „Faschismus“? Möglicherweise kommen „urlinke“ Positionen nicht ohne ihn aus; ansonsten meint gegenwärtig nur Putin, gegen Faschisten zu Felde ziehen zu müssen. Und meint damit die Ukrainer.
Ich „ge(miss)brauche“ das Granin-Zitat, sagen Sie. In der Antwort auf Herrn Adolphi habe ich die Frage gestellt, warum der 96-jährige Granin diesen ihn offenbar sehr bedrückenden Umgang mit sowjetischen Soldaten durch ihre Kommandeure im Großen Vaterländischen Krieg öffentlich gemacht hat. Und zwar erst in seinem 2011 erschienen Spätwerk „Mein Leutnant“. Also lange Jahre nach den Geschehnissen brach er ein Tabu. Meine Antwort auf meine Frage: Er wollte warnen. Er wollte verhindern, dass so etwas wieder möglich würde. Und es geschah wieder.
Wie es in einer Besprechung des Buches damals hieß: Es geht Granin darum, für die Nachgeborenen die Gräuel dieses Krieges zu dokumentieren, in dem das Sterben kein Zufall, sondern das Überleben, und in dem auch die sowjetische Führung durch die Beseitigung der erfahrenen militärischen Führung und der darauffolgenden Desorganisation dazu beitrug, dass auf der eigenen Seite so zahlreich gestorben wurde. Und im Blättchen-Heft: 25. Jahrgang, Nummer 1 vom 3. Januar 2022 hat Alfons Markuske ebenfalls dieses Buch besprochen. Man lese nach. Granin hielt übrigens am 27. Januar 2014 im Deutschen Bundestag die Rede anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus.
Sie schreiben: „Bestimmt sind auch einfache Soldaten zu brutalen Tätern geworden. Anders ist, was in Butscha und anderswo an Bedrückendem zu sehen und zu erfahren war und ist, wohl nicht zu erklären“. Wenn mein Erklärungsversuch historischen, psychologischen und soziologischen Entwicklungen und Tatsachen nicht gerecht wird, kann man dagegenhalten mit eigenen schlüssigen, überzeugenderen Argumenten.
Stephan Wohanka
Herr Wohanka
„ansonsten meint gegenwärtig nur Putin, gegen Faschisten zu Felde ziehen zu müssen. Und meint damit die Ukrainer.“ Ich lerne gerade Niederländisch und bei Ihrer obigen Aussage kommt mir die frisch gelernte Redewendung „dat meen je niet echt“, sinngemäß „das kann nicht dein Ernst sein“ in den Sinn.
Wollen Sie tatsächlich vor dem Hintergrund, dass allenthalben Faschisten auf dem Vormarsch sind -Beispiele brauche ich nicht aufzuzählen – alle ehrlichen Antifaschisten dadurch diskreditieren, dass Sie sie mit Putins vorgeblichem und verlogenem Antifaschismus gleichsetzen?
Damit verabschieden Sie sich aus dem Diskurs!
Im aktuellen Forum des Blättchens wurde gerade über russische Soldaten und ihre Herkunftsgegenden gemutmaßt.
Hier die Erinnerung an die deutschen Umstände. Der damalige Bundestagsabgeordnete von den Grünen (die waren damals noch für den Frieden) aus Sachsen, Peter Hettlich, fragte 2010 die Bundesregierung nach dem Anteil der Ostdeutschen an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Nach der Antwort des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministerium, Thomas Kossendey (CDU), waren von den 6391 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz 3143 ostdeutscher Herkunft. Das machte einen Anteil von 49,2 Prozent aus – bei einem Anteil der Ostdeutschen an der Bevölkerung Deutschlands von damals knapp 20 Prozent. Das verteilte sich sehr unterschiedlich auf die Dienstränge: bei den Mannschaften waren es 62,5 Prozent, bei den Stabsoffizieren 16,6 Prozent, bei den Generälen nicht einer. (Nachzulesen bei der Süddeutschen Zeitung, 17. Mai 2010. Steht heute noch im Netz.)
Von den 25 Gefallenen im Afghanistan-Krieg zwischen 2008 und Mitte 2012 stammten neun aus Ostdeutschland. Sechs Gefallene waren „deutschstämmige Zuwanderer/Spätaussiedler“ aus Polen, Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Damit waren „mehr als 50 Prozent der Gefallenen Ostdeutsche, Zuwanderer und Spätaussiedler“ (www.bild.de, 29.06.2012).
Bekannt ist aus verschiedenen soziologischen Untersuchungen zu den US-Streitkräften, dass seit Jahrzehnten der Anteil der Schwarz-Amerikaner signifikant höher ist als der Weißen und höher, als ihr Anteil an der Bevölkerung der USA.
Bei einem Seminar zur Rolle der Streitkräfte in Chile, an dem wir vor 20 Jahren teilgenommen hatten, berichteten die chilenischen Sozialwissenschaftler, dass sich viele Freiwillige von den indigenen Mapuche aus dem Süden Chiles zur Armee melden, weil das für sie der kürzeste Weg ist, der Armut zu entkommen.
An Herrn Schleiting.
Es gibt zivilisatorische Essentials, die weder durch Historisierungen noch durch Analogisierungen aufhebbar sind. Es sei denn, man will sich unbedingt mit der Moral einer Räuberbande gemein machen. Nichts anderes machen Sie. So ganz nebenbei springt man mit einer solchen Argumentation zum Beispiel allen ins Gesicht, die seinerzeit dem vietnamesischen Volk tätige Solidarität erwiesen. Das hatte sich übrigens mit einer atomaren Supermacht angelegt, die die Bombe schon einmal eingesetzt hatte.
Um es ganz deutlich zu sagen, wer einem überfallenen Volk, das um Hilfe gegen einen übermächtigen Aggressor bittet, diese Hilfe verweigert, erledigt die Geschäfte des Aggressors. Da helfen die edelsten und geistreichsten Erklärungen nichts. Darauf hat Hayn hingewiesen. Das hat inzwischen selbst Alice Schwarzer erkannt.
Apropos „zivilisatorische Essentials“, werter Herr Brauer: Entweder Sie wissen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Russland, egal welchen weiteren Verlauf der Ukraine-Krieg nimmt, keine Atomwaffen einsetzen wird, oder Ihnen ist dieses Risiko ob ganz gewiss hehrer übergeordneter Grundsätze herzlich egal. In letzterem Falle würde ich von Ihnen und anderen Vertretern Ihrer „Denkschule“ allerdings nicht gern in kollaterale Mithaftung genommen werden.
Ihr Bezug auf den Vietnamkrieg im Übrigen ist zwar irrig, aber gerade deswegen in der Debatte hilfreich: Der Krieg fand nicht vor der Haustür des Aggressors statt und drohte zu keinem Zeitpunkt, auf diesen überzugreifen …
An Herrn Brauer
anstatt reflexartig auf bestimmte Begriffe und Namen zu reagieren, sollten Sie vielleicht die Mühe auf sich nehmen, Texte, deren VerfasserInnen Sie angreifen, zu lesen und zu verstehen versuchen. Es gab und gibt sowohl im Blättchen selbst, als auch in diesem Forum eine Reihe von Beiträgen, die einerseits sehr differenziert die historischen Zusammenhänge beschreiben, die der aktuellen Situation vorausgegangen sind und in denen zum anderen deutlich die Rechtfertigung dieses russischen Angriffs negiert wird, die aber zum dritten eben auch und gerade von Linken eine Positionierung zwischen den Fronten einfordern, eine Positionierung, die neben der akuten Forderung nach Niederlegung der Waffen eben die klassische linke Forderung nach Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und damit auch des Faschismus beinhaltet. Wer wie Sie jeden, der nicht vorbehaltlos in das allgemeine Gebrüll nach „mehr Waffen für die Ukraine“ einstimmt, bezichtigt, sich „mit der Moral einer Räuberbande gemein“ zu machen, betreibt letztlich das Geschäft der Kapitalisten, insbesondere das von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann. Dass den Menschen in der Ukraine damit geholfen wird, darf ich weiterhin bezweifeln.
Zu Jutta Grieser.
Sie erklären, Russland habe ein legitimes Sicherheitsinteresse. Sehr einverstanden. Die Ukraine hat dieses aber auch. Ebenso wie Deutschland oder meinetwegen Sri Lanka. Wenn Sie jetzt erklären, große Staaten hätten aber diesbezüglich größere Bedürfnisse, dann ist das keine eigenwillige Auslegung des Völkerrechtes, sondern dessen völlige Ersetzung durch die Logik einer Räuberbande. Das haette sich noch nicht einmal Otto von Bismarck getraut. Mir wird einfach nur noch schlecht
Aus einem Text, in dem die Entwicklung seit 1989 sehr differenzert dargestellt wird, einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz zu nehmen und sich daran hochzuziehen, das ist einfach nur billig, Herr Hayn.
Fragen Sie doch bitte Ihren Arzt oder Apotheker.
Achso, Nachtrag, hab ich ganz vergessen, muss man ja betonen, besonders als Lumpenpazifist: Ich verurteile den russischen Angriff auf die Ukraine auf das Schärfste.
An Herrn Schleiting:
Um mit der am Ende Ihres Beitrages gestellten Frage zu beginnen – ob das „eigentlich schon Faschismus“ sei? Auf „Faschismus“ zu rekurrieren, zumal in deutschen Debatten, legt den Verdacht nahe, sachliche Argumente nicht zu haben oder sie zu vermeiden. Der Antifaschismus ist hierzulande gesamtgesellschaftlicher Konsens, und so kann jeder gebrandmarkt werden, der vom (vermeintlich) „richtigen“ Pfad der politischen Tugend (vermeintlich) abweicht.
Sie haben natürlich recht – jeder Krieg ist „Verschmähung von Menschenleben“. Nur – ich beziehe mich auf Granin – kann auch im Krieg versucht werden, die Verluste an Soldatenleben klein zu halten oder eben auch nicht: „Nicht mit Menschen muss man sparsam umgehen, sondern mit Munition“.
Und auch darin haben Sie recht, wenn Sie schreiben: „Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus sind und waren alles andere als russische Spezialtäten“. In jeweils spezifischer Ausprägung hat diese Phänomene auch anderswo gegeben. Nur: Im in Rede stehenden Text geht es um Russland. Wollte ich über Gleiches in einem anderen Land oder überhaupt darüber schreiben, wäre es ein anderer Text.
Sie schreiben: „… indem er seine diskriminierenden Äußerungen nicht auf alle Russen bezieht, sondern die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk ausnimmt. Die sind ja intellektuell und moralisch beinahe auf unserem westlichen Werteniveau. Jedenfalls kommen ja die aktuellen Kriegsverbrecher „überwiegend…aus eher vernachlässigten, ärmeren Gegenden des Imperiums; was kein Zufall sein dürfte“. Nein – es geht nicht darum , dass „die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk“ auf „auf unserem westlichen Werteniveau“ wären (was ich auch nicht beurteilen kann), sondern darum – um nochmals Granin zu zitieren: „Morgen schicken sie Sibirier, dann Uraler, dann Kasachen“ -, dass russische Machthaber es aus naheliegenden Gründen vorzogen, nichtrussische Völkerschaften „schneller“ in den Krieg zu schicken als ethnische Russen. Und auch in der Putinschen „Spezialoperation“ sind nach internationalen Untersuchen überproportional viele Soldaten aus verarmten russischen Teilrepubliken gefallen. So hat danach das iranischsprachige Nordossetien 5,5 Gefallene pro 100.000 Einwohner zu beklagen, gefolgt von buddhistisch geprägten Burjaten – 5,44. Moskau mit rund 12 Millionen Einwohnern musste für den gleichen Analysezeitraum von einem Jahr wohl „nur“ rund 92 Tote beklagen. Damit genug dieser widerlichen Totenbuchführung.
Stephan Wohanka und der „böse Russe“
Herr Wohanka läuft zu Höchstform auf: Er wirft den russischen Militärführern zu Recht „Verschmähung von Menschenleben“ vor, unterschlägt dabei, und das ist infam, dass jeder Krieg gleichzusetzen ist mit Verschmähung von Menschenleben. Er missbraucht die Zitation russischer Kriegsverbrecher (Stichwort „Fleischwolf“), indem er die aktuellen Ereignisse in eine angeblich „unselige Tradition“ russischer Kriegsführung einordnet, als ob nicht zu jedem Krieg das „Verheizen“ von Menschen untrennbar dazu gehört. Die Behauptung einer solchen typisch russischen Tradition meint er mit dem menschenverachtenden imperialistischen Agieren russischer Herrscher von Iwan dem Schrecklichen bis hin zu Stalin belegen zu können. Dabei übersieht er geflissentlich den historischen Kontext: Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus sind und waren alles andere als russische Spezialtäten. Mit Belegen hierfür möchte ich die Leser nicht langweilen, Herrn Wohanka stelle ich anheim, sich zu diesem Thema ein wenig einzulesen. Aber darum geht es ihm ja auch nur vordergründig:
Indem er einen Zögling einer russischen Militärakademie als Experten zitiert, will er letztlich den Leser dahingehend „aufklären“, dass „Brutalität ein dunkler Teil der ´russischen Seele´ sei“. Auch das Medwedew-Zitat geht in die gleiche Richtung.
Letztlich schränkt er sein Pauschalurteil ja dann doch ein, indem er seine diskriminierenden Äußerungen nicht auf alle Russen bezieht, sondern die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk ausnimmt. Die sind ja intellektuell und moralisch beinahe auf unserem westlichen Werteniveau. Jedenfalls kommen ja die aktuellen Kriegsverbrecher „überwiegend…aus eher vernachlässigten, ärmeren Gegenden des Imperiums; was kein Zufall sein dürfte“.
Einer Gruppe von Menschen, in diesem Fall den Russen oder denen aus bestimmten Gebieten, eine dunkle Seele anzudichten und somit die Angehörigen dieser Gruppe zu diskriminieren, ist das eigentlich schon Faschismus?
An Herrn Wohanka,
in Ihrer Antwort reduzieren Sie Ihre Aussagen im Vergleich zu Ihrem Ursprungstext in der Weise, dass Sie Kritik an russischen Machthabern dahingehend äußern, dass diese „es aus naheliegenden Gründen vorzogen, nichtrussische Völkerschaften ´schneller` in den Krieg zu schicken als ethnische Russen.“ , also entsprechend leichtfertiger deren Leben riskierten. Sie belegen das mit den entsprechenden Opferzahlen. Das mag so stimmen, ich habe nicht die Kenntnis es zu widerlegen oder zu bestätigen. Sie betonen, dass Sie nun mal über Russland und den Imperialismus russischer Ausprägung schreiben und sich dementsprechend beschränken. Dem kann ich folgen.
Ich frage mich allerdings, wie ich Ihr Geschwurbel bzw. das der von Ihnen ja wohl zielgerichtet zitierten „Experten“ einordnen soll, mit dem Sie bzw diese über die „dunkelsten Winkel der russischen Seele“ schwadronieren. Sie fragen: „Woher kommt so viel Zerstörerisches in diesen Menschen? Wer waren diese Soldaten? Sie kamen nicht aus Moskau, aus Sankt Petersburg oder Nowosibirsk – sie kamen überwiegend aus depravierten Regionen im Fernen Osten oder Zentralrussland“, Klartext: typische Vertreter dieses brutalen Teils der russischen Seele. Kommt einem doch irgendwie bekannt vor: Der böse Russe halt.
Text : China: Politische und strategische Perspektiven
Sehr geehrter Herr Schilling, der Artikel in der letzten Ausgabe des Blättchens hat mich etwas beunruhigt. Uneingeschränkt teile ich Ihre Bewunderung für den phänomenalen Aufstieg Chinas und wünsche dem chinesischen Volk, dass sich diese positive Entwicklung fortsetzt und möglichst alle Chinesen daran partizipieren können.
Etwas kühl distanziert lese ich den Abschnitt, dass „die chinesische Führung konsequent “ gegen die Uiguren vorgeht. Wenn ich mich nur auf die offiziellen chinesischen Nachrichtenquellen beziehe, werden Uiguren in kasernierten Lagern, genannt Umerziehungslager, beim Singen fröhlicher Bilder, beim Basteln etc. und voller Lebensfreude gezeigt. Angesichts der deutschen Geschichte hege ich ein gewisses Misstrauen gegen jedwede Umerziehungslager. In meiner Erinnerung der Nachrichten der letzten 45 Jahre hat diese Art des Umgangs keinerlei Wirkung gezeigt. Als freiheitsliebender Mensch würde bei mir ebenfalls eine gewisse Widerspenstigkeit aufkommen. Nicht ganz unerwähnt lassen möchte ich sehr viel gravierendere Vorwürfe gegen die chinesische Führung durch westliche Medien. Da diese Vorwürfe durch die Auseinandersetzung mit dem chinesischen Konkurrenten aufgebauscht sein könnten, empfehle ich die Untersuchung durch ein unabhängiges Gremium, z.B. die UNO. Da es Uiguren nicht nur in China gibt und mir keinerlei terroristische Aktivitäten der Uiguren andernorts bekannt sind, hoffe ich auf ein friedliches Zusammenleben aller Chinesen in Wohlstand.
Eine mögliche Antwort auf Wolfram Adolphi:
Ein lesenswertes Buch über die Partei DIE LINKE – in diesem Frühjahr veröffentlicht
Brajer, Sven: Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken.
Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment
Promedia 2023.
Aus der Beschreibung durch den Verlag
„Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die deutsche Linke eine enorme Transformationsleistung hingelegt. Von antiimperialistischen, antiautoritär-libertären und antikapitalistischen sozialen Strömungen ist bis auf wenige Ausnahmen kaum etwas übriggeblieben. Eine einstmals linke Bewegung ist kulturell im woken Establishment und politisch in der marktkonformen, also der „bürgerlich-parlamentarischen Demokratie“ angekommen. Sie spielt auf der Klaviatur einer transatlantischen Propagandamaschinerie, bestehend aus „nachhaltigem“ Konsum, digitaler Massenverblödung und bürokratischem Anstaltsstaat mit leicht sozialem Touch.
Zunehmend werden Feindbilder gezeichnet und jede/r, die/der dabei nicht mitmacht, wird ignoriert oder per Shitstorm zum Opfer einer sich ausbreitenden Cancel Culture gemacht. Das Diktum von der Freiheit, die immer auch die Freiheit der Andersdenkenden ist (Rosa Luxemburg) sowie Kritik am Überwachungskapitalismus sind vergessen, es zählt nur noch der Machterhalt, eingerahmt von einem totalitären Moralismus. Die Linke ist selbst Teil dessen geworden, was sie eigentlich bekämpfen wollte. Wie konnte es nur so weit kommen?“
Danke, lieber Günter Hayn, für den Artikel zum Hintergrund und Umfeld des Prozesses um Lina E. und das Vorgehen der Staatsmacht. – Im „heute-journal“ vom 4. Juni, 21.45 Uhr (https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-4-juni-2023-104.html) bringt die Sprecherin ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, mit welcher Gelassenheit die übrigen Parteien mit dem Anwachsen des AfD-Einflusses umgehen, obwohl diese Partei doch den Umfragen zufolge im Bund bereits mit der SPD auf einer Höhe liegt (!) – und zwar auf Platz 2 hinter der CDU und vor den Grünen – und in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gar an der Spitze rangiert, und es kommt dann auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) zu Wort, und der sagt in Minute 6:43 doch tatsächlich, dass sich die AfD „entzaubern“ werde. Ich traue meinen Ohren nicht: War es nicht schon einmal Konsens, dass es einer der ganz entscheidenden – und am Ende tödlichen! – Fehler der demokratisch gesinnten Kräfte 1932/33 war, anzunehmen, dass sich die Nazis „entzaubern“ würden? Weil sie, wenn es darauf ankomme, „nichts zu bieten“ hätten? Nein, lerne ich jetzt, einen solchen Konsens gab es nicht. Nicht mal in der Linken. Denn nun wird von einem linken Ministerpräsidenten genau dieser Fehler wiederholt. Von einem Ministerpräsidenten, in dessen Amtszeit die AfD seine Partei DIE LINKE überholt und hinter sich gelassen hat.
Ja, zum Teufel, was ist denn die – ganze Bücherregale füllende (!) – Forschung zum deutschen Faschismus wert, wenn sie nicht einmal die Einsicht in einen solchen Grundfehler, wie ihn die fundamentalen Unterschätzung des Faschismus darstellte, in den Köpfen befestigen konnte? Nun rächt er sich, der seit 1990 fast überall in der Linken – die SPD eingeschlossen – grassierende Mangel an politischer Bildungsarbeit, und er tut es mit nicht absehbaren Folgen. Wie kam es, dass, als Hitler und den Seinen die Macht übergeben worden war, Millionen Menschen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Justizapparates, des Bildungs- und Erziehungswesens, des Gesundheitswesens usw. den Nazis folgten, ihnen all ihr Wissen und Können zur Verfügung stellten und darum eben die von so vielen gerade noch erhoffte „Entzauberung“ nicht stattfand? Es ist allerhöchste Zeit, sich diese Fragen zu beantworten, denn anders werden wirksame Antworten auf die Entwicklung nach rechts nicht zu finden sein.
Mitunter ist der Blick zurück förderlicher als der voraus. Zum Beleg dieser Literatur-Hinweis: Peter Liebers: „Zivilcourage und Eigensinn. Der Dichter Stefan Hermlin“, zu finden in 8/13. April 2015 des „Blättchen“. Und trotz der Jahre dazwischen, erfahrungsgemäß mit veränderten Draufsichten und Folgen daraus, nichts zu finden für Selbst- oder Fremdzensur. Eher ein echter Beitrag! Beispiel: „Kaum zu glauben, daß der wertgeschätzte Literaturkritiker Karl Corino nicht erkennen konnte, daß Hermlins ‚Erziehungsbuch‘, wie FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher das ‚Abendlicht‘ nannte, ‚weder Memoiren, noch Autobiographie, noch Erzählung‘ darstellen.“ Mit: „Das Genre des Textes ist schwebend,“ wird Dieckmann zitiert. Also Nachschlage empfohlen.
Nun, weil ich schon mal dabei bin, etwas zur gegenwärtigen Diskussion: Ich erinnere daran, daß es sich um ein höchst angenehm vorgestelltes neues Buch von Herrn Schütt handelt; Hermlin ist sein Objekt, auch wenn der Autor pfiffig nur „Entlang eines Dichters“ wandelt. Immerhin auf 296 Seiten! Wollen wir da vielleicht doch erstmal lesen, wie der Autor mit alten und neuen Erkenntnissen, auch eigenem Urteil zu diesem „Gegenstand“ umgeht.
Lieber Herr Wohanka,
Wir nähern uns an. Ja, es ist so, auch Stephan Hermlin hat gewissermaßen eine Mitschuld, da er vermutlich aus gewissen Eitelkeiten und Lebenserfahrungen der fahrlässigen Gleichsetzung eines literarischen Textes mit einem Sachtext nicht deutlich entgegentrat. Tatsache bleibt, „Abendlicht“ wurde von seinem Autor nicht mit einer Genrebezeichnung versehen, was auch Missverständnisse evoziert.
An den verkürzten Satz „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“, kann ich mich auch gut erinnern. Ich hörte ihn, wenn ich mich nicht täusche, erstmals im FDJ-Studienjahr in den Abiturjahren. Wie ich später begriff, stammt diese philosophische Erkenntnis von Friedrich Engels aus dem sogenannten „Anti-Dühring“, Engels bezieht sich auf Hegel und der hat es so nicht formuliert… Wie auch immer, genutzt wurde er als hohle Phrase zu Legitimierung aktueller Politik und nicht als philosophisch-logisches Gedankengerüst.
Mit Ihrer Kritik an der mangelnden Berücksichtigung des Individuums in den Zeiten des „realen Sozialismus“ sprechen Sie mir aus dem Herzen.
Mit besten Grüßen Jürgen Hauschke
Lieber Herr Wohanka,
Ich-Erzähler eines literarischen Werkes bedeutet zunächst nichts anderes, als das die erzählte Welt aus der Perspektive eines „Ich“ berichtet wird. Dieses „Ich“ ist nicht der Autor, sondern eine fiktive literarische Figur. Sie kann, muss aber nicht Parallelen mit dem Autor aufweisen. Als Hermlins Text im Leipziger Reclam Verlag 1979 erschien, stand im Klappentext: „Ein eigentümliches Buch aus der Rückschau gewonnen und doch keine Autobiografie: Dichtung und Wahrheit, Andeutung und poetisches Symbol, Erlebnis und Evokation fügen sich zu einem Text von großer Intensität.“
Vielleicht kennen Sie, um ein anderes Beispiel zu geben, das Buch „Der Tod ist mein Beruf“ von Robert Merle. Auch hier ist ein Ich-Erzähler im Zentrum, aber niemand käme auf die Idee diesen mit dem französischen Romanautor gleichzusetzen, denn die literarische Figur erzählt aus der Perspektive eines KZ-Kommandanten. „Abendlicht“ wurde von seinem Autor auch nie als Autobiografie betitelt.
Herzlich Jürgen Hauschke
Lieber Herr Hauschke, lieber Herr Hildebraa,
es ist richtig, dass Hermlins „Abendlicht“ keine Autobiografie ist. Punkt. Dass es jedoch zu Auffassungen kommen konnte, es sei eine, daran ist der Autor nicht ganz schuldlos; er trat seinerzeit Meinungen, es sei Autobiographie, nicht nachdrücklich genug entgegengetreten. Und auch später säte er selbst Zweifel – wenn Folgendes richtig ist: „Bei einer Lesung in einer Berliner Galerie erläutert er (Hermlin – St. W.), was ihn von seinem Verfolger unterscheidet: ´Ich habe gelogen aus sehr dringenden Gründen, aber Herr Corino lügt nicht aus denselben Gründen wie ich´, sondern ´aus tiefer antikommunistischer Überzeugung´“. Wenn Hermlin meint, gelogen zu haben, stellt er dem fiktionalen Charakter seines Werkes selbst zur Disposition. Fiktionen lügen nicht. Auch professionelle Literatur-Exegeten haben Hermlin bei seinem Wort genommen – zum Beispiel Gustav Seibt.
Und , Herr Hildebraa, Sie fragen, wie ich darauf käme, den Satz von der Verdrehung Individuum / Gesellschaft für „einen der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt“ zu halten?
Geben Sie sich nicht zumindest teilweise selbst die Antwort, wenn Sie schreiben: „Die strichen den Satz zwar nicht aus dem Manifest, übergingen ihn aber – in den Exegesen meines ausufernden marxistisch-leninistischen Grundstudiums in der DDR kam er praktisch nicht vor – zugunsten des die SED-Praxis besser rechtfertigenden Diktums von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“? Genau deshalb kam der Satz nicht nur in Ihrem Studium nicht vor, sondern „überall“. Weil er „richtig“ gelesen der Praxis des realen Sozialismus widersprach. Und genau deshalb las Hermlins Protagonist ihn auch über die Jahre „falsch“.
Nun kann man über den Kollaps des Sozialismus lange philosophieren, aber dass er rein äußerlich quasi ausschließlich als Angelegenheit von Produktionsverhältnissen, Produktivkräften, Produktionsweise, Klassenkämpfen, Diktatur des Proletariats, Vergesellschaftung der Produktionsmittel usw. daherkam, ist bekannt; Sie wissen das selber. Nirgendwo oder kaum trat dabei das Individuum in Erscheinung. Ist das nicht auch einer der Gründe seines Kollapses? Warum warfen Theoretiker wie Adam Schaff in Marksizm a jednostka ludzka (Marxismus und das menschliche Individuum) die These auf, dass auch in der sozialistischen Gesellschaft die Entfremdung des Individuums nicht aufgehoben sei; warum nicht?
Lucien Sève hat mit dem Titel „Marxismus und Theorie der Persönlichkeit“ ein ähnliches Buch publiziert…. 2020 sagte Sève auf die Frage, was Kommunismus sei: „Gigantische technologische Möglichkeiten für das Wohlergehen aller, Ansätze für menschliche Beziehungen außerhalb der Klassen, unwiderstehlicher Fortschritt der menschlichen Emanzipation, verbunden mit der wachsende Rolle der Frauen, eine Fülle von Initiativen durch Einzelpersonen und Völker, ihr Schicksal und damit das unsere in die eigenen Hände zu nehmen… „. Ob das alles so richtig ist, sei dahingestellt; jedenfalls dem Einzelnen breiter Raum gegeben.
Ich grüße Sie herzlich
Stephan Wohanka
Zu: Gefährte des Ikarus von Wolfgang Brauer
„Und dann „Abendlicht“, ein Stück deutsche Jahrhundertprosa….“.
Mir ist diese Prosa vor allem im Gedächtnis geblieben, da in ihr ein, bah – das Paradebeispiel für ideologische Selbstmanipulation beschrieben ist: „Mit dreizehn Jahren las ich zufällig das´Kommunistische Manifest´ […] Längst schon glaubte ich, es genau zu kennen, als ich, es war in meinem fünfzigsten Lebensjahr, eine unheimliche Entdeckung machte. Unter den Sätzen, die für mich seit langem selbstverständlich geworden waren, befand sich einer, der folgendermaßen lautete: ´An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft … tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden ist´. Ich weiß nicht, wann ich begonnen hatte, den Satz so zu lesen, wie er hier steht. Ich las ihn so, er lautete für mich so, weil er meinem damaligen Weltverständnis auf diese Weise entsprach. Wie groß war mein Erstaunen, ja mein Entsetzen, als ich nach vielen Jahren fand, daß der Satz in Wirklichkeit gerade das Gegenteil besagt: ´… worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist´“.
Dann geht es bei Hermlin etwas diffus weiter – aber was für ein selbstkritisches Zeugnis! Welche Verkennung, ja Verdrehung einer der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt! Zu finden im besagten Buch auf den Seiten 22, 23.
Mit Verlaub, lieber Herr Wohanka, Sie mach(t)en denselben Fehler wie Corino. Sie nehmen „Abendlicht“ als Autobiographie. Es ist künstlerische Prosa. Vielleicht sollten Sie mit 50 Jahren Abstand noch einmal lesen? Und nicht nur herausgebrochene Sätze… Selbstmanipulation ist das nicht, Sie würden das rasch bemerken.
Hermlin hatte noch so einen Satz geäußert, der seinerzeit ein wüstes Feldgeschrei provozierte. Den mit dem letzten spätbürgerlichen Schriftsteller…
Herzlichst
Wolfgang Brauer
Lieber Herr Brauer,
ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Wenn die Sätze aus Hermlins Buch nicht autobiographisch sein sollen – worauf beziehen sie sich dann? Auf einen„nichtbiographischen“ Ich-Erzähler? Auf die in der DDR praktizierte Politik? Die ja wohl ziemlich genau im Sinne der „verdrehten“ Lese-Version Hermlins handelte. Ist es also Hermlins Kritik an dieser?
Ebenso Herzlich
Stephan Wohanka
Werter Herr Wohanka,
die von Hermlin in reiferem Alter neu gelesene und dann gegensätzlich verstandene Sentenz aus dem Kommunistischen Manifest ist, ich darf Sie zitieren, „einer der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt“.
Wie kommen Sie bloß darauf?
Als Marx und Engels das Manifest schrieben, mag sie dieses und jenes motiviert haben. Die „Schaffung“ einer marxistischen Theorie gehörte gewiss nicht zu ihren Intentionen. Das übernahmen nach dem Tod der beiden ganz andere Religionsstifter. Die strichen den Satz zwar nicht aus dem Manifest, übergingen ihn aber – in den Exegesen meines ausufernden marxistisch-leninistischen Grundstudiums in der DDR kam er praktisch nicht vor – zugunsten des die SED-Praxis besser rechtfertigenden Diktums von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit.
Sind Sie, geschätzter Blättchen-Auto, womöglich von einem sehr alten, doch in Zeiten krebsartig wuchernder unsozialer Medien und um Unierung des öffentlichen Denkens und Redens bemühter klassischer Medien wie nie zuvor verbreiteten Phänomen nicht gänzlich uninfiziert? Einen Popanz erst einmal Gestalt zu geben, um ihn hernach umso eindrücklicher erlegen – in Ihren Falle vielleicht besser abwatschen: „Welche Verkennung, ja Verdrehung einer der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt!“ – zu können.
Der Versuchung erliegt man schnell, wie ich selbstkritisch einzuräumen nicht umhin komme. Und auch wenn man ihr einmal entgangen ist – sie liegt allzeit auf der Lauer …
Mit herzlichem Gruß
Markus Hildebraa
Wie gut, dass die beiden Beiträge von Detlef Jena und Bernhard Romeike direkt aufeinander folgen; gewiss ist die kein Zufall.
Hinsichtlich des französischen Präsidenten muss ich gestehen, dass ich vor einigen Jahren seiner damals mehrfach ver- oder angekündigten „Verbesserung“ der Europäischen Union misstraute. Alldieweil er den Nach-Komma-Satz „und die Deutschen sollen das gefälligst bezahlen“ immer nur im Geiste sprach. Aber dafür wird er wohl des öfteren heimlich weinen, weil er „Flinten-Uschi“ zur Euro-Bossin machte; sein „vermeintlich kleines Übel“ hat sich als recht großes entpuppt. Kann passieren.
Heute gehe ich mit Macron vor allem hinsichtlich seiner Forderung, wir sollten keine „Vasallen“ Amerikas sein d’accord. Leider kam dies von ihm nicht nur in Worten, sondern m.E. auch in Taten um Jahre zu spät. Als die Ukraine-Krise so um 2012 auf einen ersten „Höhepunkt“ zusteuerte, hat Frankreich dies zwar nicht ignorieret, die „Arbeit“ hingegen Deutschland und leider eben auch den USA überlassen.
Zu schade, dass meine Forderung von Anfang 2014, nun endlich das „D 125-Format“ auf den Weg zu bringen, überhört wurde. (Der D 125 war der Fernreisezug Paris-Berlin-Moskau; lange vor dem 2. WK hieß er auch einmal D 6. DDR-Bürger durften ohne Reisevisum nicht einsteigen, selbst wenn sie in Frankfurt/Oder wieder hätten aussteigen können.)
Doch wenigstens spricht Macron – ganz im Gegensatz zu Biden, Scholz/Baerbock und Leyen nicht vom „Siegfrieden“. Möglicherweise hat das auch damit zu tun, dass Frankreich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert auch nie, obschon gewonnen, „gesiegt“ hat.
Offen bleibt bisher – zumindest habe ich noch nirgendwo davon schlüssig lesen können – die Frage, welche Interessen bei diplomatischen Vorstößen welches Gewicht bekommen sollten. Ist es da tröstlich, dass selbst der „Hundertjährige Krieg“ nach 116-einhalb Jahren beendet war?
Werter Herr Nachtmann,
Sie schreiben: “Möglicherweise hat das auch damit zu tun, dass Frankreich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert auch nie, obschon gewonnen, ‘gesiegt’ hat.”
Das stimmt so nicht ganz. Zum Ende des Ersten Weltkriegs hat Frankreich sehr wohl gemeinsam mit den anderen Entente-Mächten kräftig gegenüber Deutschland “gesiegt” und dies im Versailler Vertrag besiegeln lassen. Dieser nicht nur von den Rechten in Deutschland als “Schand- und Diktatfrieden” bezeichnete Vertrag trug bekanntlich bereits in sich den Keim des kommenden Krieges einige Jahre später.
Das wäre für Macron vielleicht ein Grund, nicht vom “Siegfrieden” zu träumen.
Herzliche Grüße
Jürgen Hauschke
Die Kunst der Diplomatie
Jaja, sie muss noch viel lernen. Bedauerlich ist nur, dass sie es nicht in der Schule tut, wo das „Lernen am Modell“ an der Tagesordnung ist und der durch Dummheit oder Übereifer angerichtete Schaden sich in übersichtlichen Grenzen hält. Nein, sie praktiziert „learning by doing“ auf höchster diplomatischer Ebene, posaunt ihre Statements, kürzlich las ich die treffende Formulierung: „mit der Inbrunst einer Klassensprecherin“, in die Welt und merkt garnicht, welchen diplomatischen Flurschaden sie anrichtet, der blöderweise nicht allein ihrer in Gestalt einer schlechten Note auf dem nächsten Zeugnis ist, sondern einer, der die ganze Welt betrifft, die durch ihre Trampelei noch unsicherer wird.
Sry, Herr Precht, für das geklaute Zitat, war mir in dem Moment nicht bewusst
Der Teufelskreis von Krieg und Frieden (2. Teil)
Am Ende des zweiten Weltkrieges wurde in unserer Gattungsgeschichte Mensch eine vollkommen neue Weichenstellung für die Gestaltung der Beziehung von Gesundheitsförderung und Gesundheitszerstörung vorgenommen.
Sowohl im Völkerrecht (seit 1945) als auch in der Deklaration der Menschenrechte (1948) sind die Inhalte von Demokratieentwicklung vorgegeben: Kriege sind zu verhindern, um die Menschenrechte durchzusetzen.
Das Ringen um einen Weltfrieden aller Staaten zur Durchsetzung der Menschenrechte beinhaltet: Kriege zu verhindern und Friedensförderung zu betreiben, die die wesentlichste Bedingung für die Gesundheitsförderung des Menschen im Sinne aller Menschen auf unserem Globus ist.
1989 gab es in den Protestaktionen der DDR drei Ereignisse, die ich hier für die Entfaltung der Einheit von Friedensförderung und Gesundheitsförderung hervorheben will:
1. Es gab eine Losung „Global denken – lokal handeln“;
2. Es gab die Gründung der IFM – Initiative für Frieden und Menschenrechte;
3. Es gab den zivilen Ungehorsam aller waffentragenden Männer, die sich der militärischen Verteidigung der DDR verweigerten.
Vor allem der letzte Fakt scheint mir bis heute nicht beachtet zu werden, denn er enthält ja die Frage, warum es 1989 keinen Bürgerkrieg in der DDR gab.
Denn mit einem Staat DDR im Bürgerkrieg hätte es niemals die Gründung der BRD am 03.10.1990 gegeben.
Hätte auch nur ein einziger „Ossi“ sein Waffensystem – egal welches – zum Einsatz gebracht, würde es heute keine schwachsinnigen Diskussionen über Identitäten von Ossis und Wessis geben.
Schwachsinnig deshalb, weil diese Art von Konfliktaustragung die riesige Chance einer politischen Synchronisierung verhindert, Gesundheitsförderung und Friedensförderung nachhaltig in Einklang zu bringen. Das verhindert auch, alle in der Vergangenheit aufgetauchten Ideen in diese Richtung gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Eine dieser konstruktiven Ideen, über militärische Verteidigung nachzudenken, wäre das ernsthafte Aufgreifen der Konzeption einer vertrauensbildenden Verteidigung der Staaten. Das ist formallogisch zwar unlogisch, lebensweltlich betrachtet für die Synchronisierung von Gesundheitsförderung und Abrüstung und Konversion der Streitkräfte im Klimawandel eine mögliche politische-moralische Entscheidung, um im Interesse aller Menschen sich gemeinsam weltweit in den Klimawandel ein- und anzupassen.
Die Umsetzung der Idee der vertrauensbildenden Verteidigung im oben genannten Kontext ermöglichte logischerweise gleichzeitig eine neue Qualität in der Anpassung des Gesundheitssystems an die Idee der individuellen Gesundheitsförderung als gesamtstaatlicher Aufgabe und gleichzeitig als globale gemeinschaftliche Aufgabe aller Staaten.
Der Teufelskreis von Krieg und Frieden könnte also durchbrochen werden und die Gewalt des Friedens könnte nachhaltig zur Wirkung kommen und den Krieg als Staatszustand zurückdrängen.
Der Teufelskreis von Krieg und Frieden (1. Teil)
Am 02.05.23 wurde mir ein Artikel von Rolf Bader auf den Nachdenkseiten mit folgendem Titel zugeleitet: „ Positionspapier „Landesverteidigung“ bedeutet Krieg: Für eine „Kultur des Friedens“ im Zeichen des Ukraine-Krieges!“
Als philosophierender Mensch, der sich als Friedensforscher mit dem Beitrag der IPPNW zur Herausbildung neuen politischen Denkens und Handelns befasst hat, muss ich diesen Artikel nicht lesen.
Begründung dieses zivilen Ungehorsams.
Meine Forschungsarbeit zur Rolle der Ärzte für die Verhinderung eines Atomkrieges erfolgte in den Jahren 1986 und war im Frühjahr 1990 beendet.
Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn meiner Arbeit mündete in der Feststellung, dass die Berufsinteressen von Ärzten und darüber hinaus das Berufsinteresse aller Angestellten im Gesundheitssystem in allen Staaten rund um den Globus inhärent die gleiche ethische Grundorientierung haben: Förderung der Gesundheit des Menschen. Das aber ist eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe auch aller anderen gesellschaftlichen Systeme wie das der Wirtschaft und des Bildungs- und Erziehungssystems.
Mit einer Ausnahme: das staatliche Verteidigungssystem. Wenn dieses System abschreckend gegen Angriffskriege anderer Staaten funktionieren soll, muss es so ausgerüstet sein, dass der angreifende Staat keine Chance auf einen dauerhaften stabilen und konstruktiven Frieden auf fremdem Staatsgebiet haben wird.
Die Erfahrungen vergangener und jetziger Kriege sowie militärischer Auseinandersetzungen zeigen, dass sowohl Soldaten als auch alle an militärischen Kampfhandlungen beteiligten Akteure nur ein Verhaltensinteresse haben dürfen: dem Feind zu schaden, so gut es geht.
Das aber ist nicht bloß das Gegenteil von Förderung der menschlichen Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sondern hier stehen sich zwei auseinanderstrebende Gesellschaftsprozesse gegenüber. Hier Lebensförderung und dort Lebenszerstörung.
Deshalb steht das Gesundheitssystem dem Verteidigungssystem in Ziel- und Zwecksetzung diametral gegenüber. Die Berufsinteressen der Arbeiter im Gesundheitssystem und die Berufsinteressen der Arbeiter im Verteidigungssystem sind objektiv unvereinbar.
Unvereinbar deshalb, weil die beruflichen Ausbildungsziele im Gesundheitssystem und im Verteidigungssystem vollkommen entgegengesetzt sind.
Als Fallschirmjäger wurde ich ausgebildet zum Töten von Menschen und zum Zerstören von militärischer Infrastruktur sowie zum Zerstören militärisch nutzbarer ziviler Infrastruktur.
Fallschirmjäger, egal in welchen Streitkräften, erfahren die gleiche Ausbildung.
Töten von Menschen und Zerstören militärischer und militärisch nutzbarer Infrastruktur ist das Grundziel für die Ausbildung der Soldaten in allen Staaten.
Dennoch gibt es in jedem Staat die Gleichzeitigkeit dieser auseinanderstrebenden Systemaufgaben.
Gut, dass Sie den Begriff „Kultur des Friedens“ erwähnen. Dazu gab es ja auch schon eine UNO Dekade (.. for a culture of peace). In den letzten Jahren betonen Autoren wie Sven Fuchs (Die Kindheit ist politisch!) und Franz Jedlicka (Die vergessene Friedensformel) immer wieder die Wichtigkeit einer gewaltfreien Kindheit für eine solche Friedenskultur. Denn wie sollen Länder friedlich werden, wenn bereits Gewalt in der Kindheit weitgehend akzeptiert wird (Jedlicka). Sven Fuchs hat wiederum die Kindheiten vieler Diktatoren untersucht und kommt zu dem gleichen Schluss …
Jörg Machel Den Frieden gewinnen
Großenteils stimme ich den Ausführungen von Jörg Machel zu: die Leistung Gorbatschows, die allgemeine Hoffnung auf eine lange Zeit des Friedens, die arrogante Siegermentalität des Westens, die Appellation an einen gewaltfreien Aufstand der Friedfertigen. Findet alles meine Zustimmung. Es ist richtig und wichtig, diese Kriegslogik in Frage zu stellen bzw. als falsch und Leid bringend zu entlarven und zu verurteilen. Als jemand, der die katholische bigotte Lebensweise als Kind und Heranwachsender im tiefschwarzen Westmünsterland der 50er und 60er Jahre sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, dieselbe als Zögling eines katholischen Internates „genossen“ und lange gebraucht hat, sich davon zu emanzipieren, muss ich allerdings feststellen, dass die christlich-österlichen Bezüge mich doch sehr befremden, ja abstoßen: Alles, was an moralischen Forderungen auf der christlichen nachösterlichen Lehre basiert, ist in den 2000 Jahren seitdem zu oft und bis heute auf das Übelste pervertiert worden. Eines der herausragenden jüngeren, wenn auch nicht das letzte, wahrscheinlich, nicht sicher, das übelste vieler Beispiele dafür wird im aktuellen Blättchen in dem Beitrag „Der schweigende Papst“ von Jürgen Hauschke mit bekannten, aber eben auch neuen, Fakten und Erkenntnissen untermauert: die Kooperation Pius des XII. gerade mit den Nazis ab 1939 zum gegenseitigen Nutzen und zum Schaden unzähliger jüdischer Opfer. Diese katholische Kirche und ihre Lehre taugt nicht als moralische Instanz!
Die von Jörg Machel in bester Absicht aufgestellten richtigen Forderungen lassen sich m. E. deutlich überzeugender philosophisch ethisch begründen. Ob man da einer Kant´schen deontologischen Ethik folgt oder eher einer utilitaristischen, wie sie Jeremy Bentham und John Stuart Mill entwickelt und wie sie Peter Singer später als Präferenzutilitarismus fortentwickelt hat, ist dabei nicht von Bedeutung. Bedeutsam ist, dass es in der philosophischen Ethik tatsächlich und überzeugend um moralisch begründetes Handeln geht. Unter diesen Gesichtspunkten stellt sich sicherlich Putins Handeln als verurteilungswürdig dar, das der westlichen Akteure in Vergangenheit und Gegenwart aber sicherlich auch als kritikwürdig und falsch.
Text: Marc Trachtenberg, NATO-Osterweiterung
Die Tagesschau am 31.1.90, 20h, berichtet u.a. von Genschers Tutzinger Vorschlägen. Wieben verliest, Genscher habe sich auf einer Tagung der evang. Akademie Tutzing besonders gegen eine Ausweitung des militärischen NATO-Gebietes nach Osten gewandt, da dies das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion berühren und damit die deutsch-deutsche Annäherung blockieren würde.
Dem folgt ein Einspieler mit O-Ton von Genscher in Tutzing:
Interviewer:
Herr Minister, keine militärische Ausdehnung der NATO auf des Gebiet der DDR, aber auch kein neutralisiertes Gesamtdeutschland, wie soll das Ihrer Meinung nach zusammen gehen?
Genscher:
Deutschland wird Mitglied sein in der NATO, aber die Streitkräfte der NATO werden in dem Raum bleiben, in dem sie heute stehen; d.h., auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland.
Der Interviewer fragt nun, ob Genscher diese Vorstellungen mit seinen Kollegen in der NATO abgesprochen habe.
Genscher gibt zurück, nein, das sei ein deutscher Beitrag zu kooperativen Sicherheitsstrukturen in Europa und der NATO gehe dabei ja nichts verloren, […] die deutsche Einheit sei nicht zu haben, wenn es zu einer Kräfteverschiebung zwischen West und Ost komme. […]
Der Schwerpunkt des Tagesschauberichts liegt also erkennbar auf dem DDR-Militärstatus.
Aktuell wird wenig wahr genommen, dass Genscher im Interview am 31.1.1990 für die Tagesschau zutreffend betonte, dass der NATO mit seinem Vorschlag ja nichts verloren gehe. Nicht zutreffend war dagegen seine offenkundige Auffassung, sein Vorschlag, die militärischen Strukturen der NATO nicht auf das DDR-Gebiet auszudehnen im Fall einer deutschen Einheit, sei k e i n e Kräfteverschiebung zwischen Ost und West.
Denn: Gesamtdeutschland werde Mitglied in der NATO sein, so Genscher. Was zur Folge hätte (hatte), dass die DDR bzw. das DDR-Gebiet aus dem WP ausscheiden würde (ausgetreten ist). Und dort war das mit weitem Abstand umfangreichste Militär- und Waffenkontingent der SU außerhalb der SU stationiert.
Das musste unweigerlich wenig seriös oder konstruktiv in Moskau wirken, sowohl bei den orthodoxen Kommunisten, siehe Valentin Falin oder Juli Kwizinsky, wie bei den moderaten Kräften wie Gorbatschow und Schewardnadse.
Gorbatschows Brief an Willy Brandt vom 7. Februar 1990 bringt u.a. genau diesen Umstand zur Sprache.
In der Tagesschau vom 9. Februar 1990, 20h-Ausgabe, wird u.a. vom Besuch des us-amerikanischen Außenminister James Baker in Moskau berichtet. Dabei wird lediglich berichtet, es gehe u.a. zwischen den USA und der Sowjetunion um Abrüstung und um die Frage, ob ein vereintes Deutschland, wie Baker es wolle, Mitglied der NATO sein könne. Sein Meinung dazu wolle Gorbatschow den Journalisten nicht mitteilen.
Der nächste Einspieler zeigt den ARD-Korrespondenten in Moskau, Albrecht Reinhardt, der einen Kommentator der offiziösen sowjetischen Nachrichtenagentur TASS u.a. damit anführt, Genschers Vorschlag eines vereinten Deutschland innerhalb der NATO, aber ohne westliche Truppen auf dem Gebiet der heutigen DDR, sei weder realistisch noch konstruktiv.
Die Äußerungen Valentin Falins zu Genschers Tutzinger Ideen, im Interview mit dem SPIEGEL vom 18. Februar 1990, spiegeln die ablehnende sowjetische Haltung dazu, sowohl der Hardliner wie der Moderaten, genau wieder.
Entsprechend und offenbar gänzlich irrelevant war in der damaligen Lage, Sache, Situation und Diskussion die benachbarte, verwechslungsfähige und verwechselte Aufforderung/ Idee/ Vorstellung/ Anregung in GenschersTutzinger Rede:
[…] Sache der NATO ist es, eindeutig zu erklären: Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums [der NATO-Militärstrukturen? der sicherheitspolitischen Garantie nach Art. 5?; Anm. von mir] nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.[…]
Werter Andreas!
Ihre ausgelassene Argumentation in Ehren. Doch eine kleine Frage zum Verständnis: Wo genau verlaufen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Sowjetunion seit dem 1. Januar 1992? Ich habe da keine mehr gefunden!
Hochachtungsvoll, Holger Politt.
Werter Herr Politt,
sind Sie tatsächlich des Glaubens, dass Sie einer faktenbasierten Argumentation mit dem haarspalterischen Hinweis auf eine falsche Begrifflichkeit bzw. mit der herabsetzenden Wertung „ausgelassen“ adäquat begegnen können? Es hat ja wohl doch jede Menge Zusicherungen gegenüber den Verantwortlichen der damals noch bestehenden Sowjetunion gegeben, an die man sich seitens der „Siegermacht Wertewesten“ gegenüber dem Nachfolgestaat nicht gebunden fühlte.
Bevor das wieder losgeht: Auch diese Arroganz seitens des Westens rechtfertigt selbstverständlich nicht den Angriff Putins…,
Was ist denn nun richtig?
Heute, am 15. April im Jahre 4.002.023 oder 7.002.023 steigt der heutige deutsche Staat aus der Nutzung der Atomkraft aus.
(Gedanklich bewege ich mich immer in diesem unter Wissenschaftlern diskutierten Zeitraum unserer menschlichen Gattungsgeschichte als ungeschriebener und geschriebener Geschichte.)
Tatsächlich ein Ausstieg des deutschen Staates aus der Nutzung der Atomkraft?
In Deutschland werden die letzten 3 Kernspaltungskraftwerke abgeschaltet.
Warum wird das mit der falschen Aussage in die Öffentlichkeit getragen, dass Deutschland aus der Atomkraftnutzung aussteigt?
Die riesigen Geldmengen, die weltweit für die Entwicklung von Fusionskraftwerken ausgegeben werden machen doch nur dann einen Sinn, wenn sie komplementär zu den regenerativen Energien genutzt werden sollen unter Einschluss der Renaturierung der mit Windkrafträdern verbauten Umwelten.
Iter – jeder kann sich im Internet informieren – soll nach mehrmaligen Verschiebungen 2025 angeschaltet werden und hat bis jetzt 25 Milliarden € gekostet.
Fusionsforschung und Fusionskraftwerke sollen eine unerschöpfliche saubere Energiequelle erschließen.
Warum dann die n i c h t nachvollziehbare Aussage, Deutschland steigt aus der Nutzung von Atomkraft aus, wenn sich Deutschland an der Fusionsforschung umfassend beteiligt?
Warum wird n i c h t eine öffentliche Diskussion über die reale Möglichkeit inhärent sicherer Kernspaltungsreaktoren gefördert?
Warum verbreiten Menschen eine falsche Aussage über die Atomkraftnutzung die k e i n e r Wirklichkeit im Ganzen entspricht?
„Atomkraft nein danke“ schließt doch als nächsten konsequenten Schritt Widerstandsaktionen gegen Forschung und Entwicklung von Fusionsreaktoren in Deutschland ein?
Ist das eine falsche Frage an die Atomkraftgegner, die ich als Philosoph stelle?
Ich glaube nicht. Ich halte meine Frage als Philosoph gestellt für richtig. Genauso auch die Frage nach den realen Möglichkeiten eines inhärent sicheren Kernspaltungskraftwerkes scheint mir eine zeitgemäße Frage zu sein.
All diese Fragen können umfassend sachfundiert nur die Naturwissenschaftler und die Ingenieure beantworten, die ihren Forschungsgegenstand in der Nutzbarmachung der Kernenergie sehen.
Seit dem Jahr 4.002.045 oder 7.002.045 hat sich in der Kultur unseres Gattungslebens für alle Menschen in ihrer historischen Erscheinungsform als Staatsbürger ein global gültiges Wertekompendium entwickelt, das sich nur gemeinsam global in soziale Wirklichkeit umsetzen lässt.
Danach bedeutet Gemeinsamkeit zu organisieren auch im Energiesektor im zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Marktverhalten von uns Menschen, unser individuelles Gewaltmonopol global so zu synchronisieren, dass die gemeinsame konstruktive Nutzung der Kernenergie im globalen Maßstab ermöglicht wird.
Inhärent ist diesem Wertekanon die Herstellung von Kernspaltungswaffen und Kernfusionswaffen.
Aber nur dann, wenn sie als Verteidigungswaffen für das eigene Staatsterritorium genutzt werden sollen.
Wenn jedoch nicht nutzbar, warum dann hergestellt?
Der Verteidigungskrieg ist nach wie vor der Krieg, der juristisch im Völkerrecht erlaubt und verankert ist.
Genauso wie die Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen verboten ist.
Damit ist der Krieg als Ganzes verboten.
Das ist formal logisch genauso unbestreitbar wie formal logisch die Atomkraftgegner nun gegen die geplanten Fusionsreaktoren vorgehen müssten.
Aller Erfahrung nach könnte das der nächste Schritt sein für „Atomkraft – nein danke!“ .
Eine Position mal konsequent zu Ende gedacht in einer aktuellen sozialen Wirklichkeit, in der die kluge und gleichzeigig beschränkte Vernunft nach wie vor unsere objektiven Konfliktkonstellationen regeln will.
Konflikteskalationen selbstverständlich immer inbegriffen.
Eine Koalition der Vernunft und des Realismus in Bezug auf Durchsetzng des Völkerrechts und der Menschenrechte in einklagbare Bürgerrechte zu bringen ist deshalb bleibende Moralforderung.
Bulgakow entsorgen? von Dieter Segert
Der Autor schreibt: „Dem nationalistischen Blick wird alles Russische zum Feind. Schon unter Präsident Juschtschenko, von 2005 bis 2010, wurde Russland zum historischen Feind der ukrainischen Nation auserkoren. Der wichtigste Ausdruck dessen war die Umdeutung der politisch erzeugten Hungersnot nach 1932 in eine gezielte Ermordung von Ukrainern. Die Stalinsche Politik der beschleunigten Industrialisierung und gewaltsamen Kollektivierung wurde als gezielte Ausrottung ethnischer Ukrainer interpretiert, als gewollten Genozid am ukrainischen Volk“.
„Umdeutung“ – ist das nicht etwas hoch gegriffen? Auch kann der vom Autor verwendete Begriff der „politisch erzeugten Hungersnot“ durchaus auf „eine gezielte Ermordung von Ukrainern“ hinweisen. Wenn es dabei grundsätzlich um die – was stichhaltig ist – „Politik der beschleunigten Industrialisierung“ der Sowjetunion ging, wäre da nicht besser, von einer „ökonomisch bedingten“ Hungersnot zu sprechen? Dass jedes, auch ökonomisches Vorhaben, dann in politisches Handeln mündet, ist klar. Schon Lenin wies darauf hin: „Der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Fabriken und die Städte vor dem Verhungern zu bewahren. Im gesamtstaatlichen Maßstab ist das eine durchaus verständliche Sache; dass sie aber der zersplittert lebende verarmte Landwirt begreift – darauf rechnen wir nicht. Und wir wissen, dass man hier ohne Zwang nicht auskommen wird – ohne Zwang, auf den die verelendete Bauernschaft sehr heftig reagiert“.
Nach Vielem, was zu lesen ist, ist der historische Befund nicht eindeutig – er schwankt zwischen einer Interpretation des Holodomor als Genozid – was dann tatsächlich primär als politische Maßnahme zu verstehen wäre – und einem doch grundsätzlich ökonomisch veranlassten Vorgehen, dem neben Ukrainern auch andere Ethnien der damaligen Sowjetunion zum Opfer fielen.
Der ukrainische Hunger verführt schon länger zu zum Teil absonderlichen Deutungen (obige gehört nicht dazu). Der Historiker Wolfgang Wippermann kritisierte den Herausgeber des Schwarzbuches des Kommunismus, Stéphane Courtois, der darauf hinwies, dass der Tod eines ukrainischen Kulaken-Kindes, das vom stalinistischen Regime gezielter Hungersnot ausgeliefert worden sei, genauso schwer wiege wie der Tod eines jüdischen Kindes im Warschauer Ghetto, das dem vom NS-Regime herbeigeführten Hunger zum Opfer fiel. Wippermann argumentierte, das ukrainische Kulaken-Kind sei nicht wegen seiner ukrainischen Herkunft, sondern wegen seiner Klassenzuordnung gestorben. Das jüdische Kind dagegen sei ermordet worden, weil die Nationalsozialisten alle Juden vernichten wollten.
An Wolfgang Brauer
Herr Brauer,
wenn jemand sich mit Polemik verabschiedet, darf er sich über eine polemische Antwort nicht wundern. Das vorerst dazu.
Zu Ihnen und Ihrer Argumentation bzw. Diktion:
Sie werfen mir nunmehr nicht mehr Halbwissen, sondern Nichtwissen vor in Bezug auf die Leistungen eines von Ihnen geschätzten Autoren. Mir scheint es allerdings durchaus möglich, auch ohne dieses Wissen eine fundierte Meinung zu entwickeln zu vielen Fragen im Zusammenhang mit diesem Krieg, auch wenn dies zugegebenermaßen aufgrund vieler guter, aber eben auch oft gegensätzlicher Argumente verdammt schwierig ist.
Sie schreiben bezüglich meines Textes von „an Arroganz kaum zu toppende[r] Kommentierung“, ohne dies zu begründen, wohl wissend, dass dieser Text eine Antwort darstellte auf einen Kommentar, der vor Arroganz strotzte: bestimmten Autoren werden hier in vermeintlich satirischer Form (ich nenne das Polemik) tatsachenverdrehende Behauptungen zu machtmissbrauchenden Aktivitäten der Sowjetunion bzw. des Warscher Paktes bzw. später der Russischen Föderation untergeschoben. Nicht gerade ein intellektueller Diskursansatz, wie ich finde. Dieselben Autoren sind ja wohl auch gemeint, wenn kurz danach vom „sich »links« drapierenden Unfug im »Blättchen«“ die Rede ist. Intelletueller Diskurs? Achso!
Sie maßen sich an, zu beurteilen, welche Argumente einem „intellektuellen Diskursansatz …würdig“ sind. Spätestens an dieser Stelle heben auch Sie sich den von mir bei Schlütrumpf diagnostizierten Bruch.
Meine Argumente bezeichnen Sie als „beckmesserisch“ und begründen dies mit Ihren SED-Erfahrungen. Diese teile ich nicht, ich bin in Westfalen aufgewachsen und sozialisiert(, kann Ihnen aber versichern, dass auch das nicht immer ein Zuckerschlecken war, Spaß beiseite). Allerdings ist es unredlich, diesen Erfahrungshintergrund zum Maßstab zu machen, indem Sie den von mir „als groben Keil auf einen groben Klotz“ formulierten Satz bezüglich des Abschieds mit der inquisitionsartigen „Befragung“ unbotmäßiger Genossen respektive mit einem üblen Honeckerzitat gleichsetzen. Mir damit gleichsam Honecker´sche Denke zu unterstellen, ist schon starker Tobak.
Verehrter Herr Brauer, wenn Sie jemandem Arroganz, Polemik und mangelnde Bereitschaft oder gar Fähigkeit zum intelletuellen Diskurs vorwerfen wollen, sollten Sie vielleicht den Satz beherzigen, dass, wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen soll.
Im Übrigen geht mir das von Ihnen unterstellte Sendungsbewusstsein gänzlich ab. Dafür bin ich mir meiner eigenen Haltung gegenüber vielen Fragen, die im Zusammenhang mit diesem Krieg aufgeworfen werden, viel zu unsicher. Ich bin sehr bereit, meine inhaltlichen Positionen darzulegen, was nicht Sinn meines hier zur Rede stehenden Textes war, und diese zu hinterfragen und hinterfragen zu lassen. Ich halte dieses Hinterfragen(dürfen) bezogener Positionen, ohne dabei die Moralkeule zu schwingen, auch für dringend geboten im Sinne einer irgendwann einmal zu erreichenden möglichst konsistenten linken Positionierung in diesem Komplex. Wozu ich nicht bereit bin und was ich auch nicht nötig habe, ist mich in Schlütrumpfscher oder Brauerscher Manier von genau dieser Moralkeule abkanzeln zu lassen.
An Ewald G. Schleiting
Herr Schleiting,
man kann in Bezug auf Inhalt und Form von Jörn Schütrumpfs Erklärung, mit der er dem „Blättchen“ quasi Valet sagt, höchst unterschiedlicher Meinung sein. Aber Ihre mit Verlaub an Arroganz kaum zu toppende Kommentierung schlägt schlägt nun doch dem Faß die Daube aus. Offensichtlich muss man Ihnen zugute halten, dass Sie weder die Texte dieses Autoren noch seine sonstigen Veröffentlichungen, respektive seine verlegerische Tätigkeit kennen. Sie müssten sonst wissen, dass Sie sich hier über einen der besten deutschen Kenner der Geschichte der Parteien und Bewegungen im Umfeld der Kommunistischen Internationale und ihrer Nachfolgeorganisationen äußern. Nun sollte man niemandem Nicht-Wissen vorwerfen – auch deshalb habe ich meinen ursprünglichen FORUM-Eintrag wieder gelöscht –, man kann ja dazulernen. Aber statt dessen dreschen Sie jetzt auf Holger Politt los, zeigen dabei nicht den geringsten Ansatz, dessen Position zu verstehen und praktizieren statt dessen billigste Polemik, die jedem intellektuellen Diskursansatz unwürdig ist.
Ich kenne solch beckmesserischen „Argumentationen“ aus meiner SED-Vergangenheit, die schlussendlich in die Frage mündeten: „Bist du nun für den Frieden oder nicht? Bist du nun für uns oder bist du gegen uns? Genosse, du stehst doch schon gar nicht mehr in der Partei…“
Ich gehöre zu der Generation, die noch mit sehr persönlicher Getroffenheit den Satz lesen musste, dass man „denen“ keine Träne nachweine. Das war die Honeckersche Antwort auf Menschen, die den DDR-Sozialismus nicht mehr ertragen wollten oder konnten. So etwas wollte ich eigentlich nie wieder sehen. Statt dessen muß ich im „Blättchen“-Forum lesen (8. April, 15:23), „der Verfasser [J. Schütrumpf] scheint zu glauben, sein mit böswilliger Polemik inscenierter Abschied wird als Verlust verstanden“. Mit Verlaub, das ist dieselbe Denke.
Das habe ich als Spät-Stalinismus erlebt. Und ich erlebe ständig, dass solches in manch linken Zusammenhängen – jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit den Rechten, um die geht es jetzt nicht – immer noch Usus ist. Das ist das, was ich mit dem euphemistischen Begriff „furchtbar“ meine.
Klipp und klar: Jörn Schütrumpfs Abschied empfinde ich nicht nur als Verlust, es ist einer. Sie mögen das anders sehen. Eines sehen Sie richtig, seine Attacke geht auch in Richtung von Positionen, die Sie vertreten.
Gott erhalte Ihnen Ihr Sendungsbewusstsein.
Wolfgang Brauer
„Sendungsbewusstsein“, Herr Brauer, trifft’s: Herrn Schütrumpfs finale Abkanzelung anderer Blättchern-Autoren zeugt von einer Heilandspose, die nun wirklich nur schwer erträglich ist. Da kann dem groben Klotz dann auch schon mal ein ebensolcher Keil (Schleiting) begegnen – alle ansonsten zu würdigenden Schütrumphschen Verdienste hin oder her.
Im Übrigen hat das Blättchen J. Schütrumpfs geschichtsvergessene Formulierung „Falls die Ukraine fällt, wird über eine neue Anti-Hitler-Koalition … zu reden sein.“, die offenkundig von keinerlei Sachkenntnis zum militärischen Kräfteverhältnis zwischen Russland und dem Westen* getrübt ist und damit ebenfalls als, um Sie nochmals zu zitieren, „billigste Polemik“ gescholten werden könnte, zwar passieren lassen (Ausgabe 12/2022), ist ihm in dieser Richtung aber bisher meines Wissens nicht gefolgt. Ich hoffe, das bleibt so.
* – Dazu findet sich im Blättchen 15/2022 eine umfassende Darstellung („Zur konventionellen Überlegenheit der NATO gegenüber Russland“).
Der Spiegel-Text, den ich im März in Sachen „Pazifismus“ zitiert hatte, enthielt auch den zutreffenden Satz: „Ehemals Überzeugte haben sich verbittert abgewendet. Unter ihnen viele Grüne, Linke, Sozialdemokraten…“ Das betrifft augenscheinlich nicht nur partei- und friedenspolitische Akteure, sondern auch frühere oder Noch-Blättchen-Schreiber.
Was mich anbelangt, es haben sich nun exakt dieselben Verdammer der Idee, dass eine weiße Fahne hunderttausendfachen Tod und die Zerstörung weiter Teile der Ukraine verhindert hätte, jetzt gefunden, die sich in dieser Sache bereits vor einem Jahr lautstark geäußert hatten. Es war übrigens auch kein einziges neues Argument dazugekommen.
Da verschlägt es mir dann doch ein wenig die Sprache, wenn ich lese, wie unverhohlen der deutsche Friedensforscher Erhard Crome die Ukraine zur Kapitulation auffordert. Ihm sei hier Gerd Kaiser empfohlen, dessen ergreifendes und so wichtiges Buch über Katyn: Die weiße Fahne hatte jenen 15.000 Offizieren (meistens waren es Reserveoffiziere, also im zivilen Leben Ärzte, Ingenieure, Lehrer usw.) der polnischen Armee, die mit gestreckten Waffen in die sowjetische Gefangenschaft gingen, nichts genutzt. Sechs hochgestellte Herren im Kreml entschieden per Unterschrift alsbald, sie einzeln erschießen zu lassen. Hinter Oder und Neiße beginnen andere historische Erfahrungen, wie Erhard Crome zu gut weiß. Warum er im Falle des brutalen militärischen Angriffs auf die Ukraine nun so tut, als gäbe es diese gar nicht, bleibt unergründlich. Aus dessen tiefer Ablehnung aktueller US-amerikanischer Außenpolitik erklärt sich diese Ignoranz nicht.
Was mich sprachlos macht, Herr Politt, ist, wie eindimensional Sie historische Erfahrungen mit Kriegsverbrechen geograhisch in den Osten verorten und damit einzig dem russischen Verantwortungsbereich zuschieben. Immer da, wo es Kriege gab, gab es Kriegsverbrechen, an denen, auch wenn Sie es geflissentlich übersehen, leider auch die Staaten des sogenannten „Wertewestens“ beteiligt waren. Nicht ohne Grund wird der Internationale Strafgerichtshof in den Haag auch von den USA nicht anerkannt. Ich wäre dafür, im Augenblick alles zu tun, um weiteres Blutvergießen und weitere Zerstörung zu beenden und danach in einer Situation, in der niemand mehr um sein Leben fürchten muss, die weiteren Dinge in aller Klarheit, beispielsweise auch in den Haag, zu regeln.
NATO, 1990: keinen Zoll nach Osten – eine Nachlese
Wolfgang Schwarz
„Weder die NATO noch die Vereinigten Staaten oder eine andere westliche Demokratie haben 1990 oder danach das von Putin behauptete Versprechen [es werde keine Ost-Erweiterung der NATO stattfinden – W.S.] abgegeben […]. Was es gab, waren entsprechende mündliche Erklärungen des Bonner Außenministers Hans-Dietrich Genscher und vielfältig ausdeutbare Formulierungen des amerikanischen Außenministers James A. Baker und des Bundeskanzlers Helmut Kohl.“
Dieses Narrativ versuche ich mal – Entschuldigung, manchmal ist es ja doch hilfreich – auf Stammtischniveau herunter zu brechen: Wenn „der Russe“ damals so dämlich oder naiv war, auf mündliche Zusagen zu vertrauen, dann ist er selber schuld, dass er nun über den Tisch gezogen wird. So etwas lässt man sich vertraglich zusichern, das weiß doch jede(r) Stammtischschwester/bruder.
Auf dieses Narrativ also berufen sich nicht nur die maßgeblichen westlichen Politikgrößen, sondern auch ausgewiesene Historiker.
Dass in den Umbruchsjahren (manche nennen das ja sogar „Revolution“) auf der Seite der Sowjetunion Personen verhandelten, die auf extrem schwankendem Boden standen, sich ihrer Positionen, sowohl formal, als auch inhaltlich, denkbar unsicher waren – der Augustputsch 1991, in dessen Verlauf und Folge Boris Jelzin an die Macht kam, machte diese Situation evident -, wird dabei großzügig ignoriert. Diese Personen waren nicht in der Lage mit Selbstbewusstsein zu verhandeln. Sie saßen Siegern gegenüber.
Auch dass ihnen gegenüber auf westlicher Seite „Verhandler“ saßen, denen gerade sämtliche in 45 Nachkriegsjahren aufgestellten Ziele mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes auf dem Silbertablett serviert wurden und die zu echten Verhandlungen gar nicht bereit waren, sondern lediglich die Erfüllung ihrer Forderungen abhaken wollten, wird nicht gesehen.
Der Warschauer Pakt, der real existierende Sozialismus war besiegt. Hurra!
Ja, welche andere Konsequenz, als die Auflösung der NATO, deren Existenzberechtigung, meinetwegen auch …notwendigkeit, in der Bedrohung durch den Warschauer Pakt bestand, wäre denn nun sinnvoll gewesen?
Es kam anders.
In altbewährter Siegermentalität (das Wort „Machtgeilheit“ muss ich mir schweren Herzens verkneifen) wurden sämtliche Ansätze, mit der russischen Föderation zu einem Ausgleich zu kommen verspielt, die Osterweiterung von EU und NATO ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten in Moskau durchgezogen und so die Chance, tatsächlich ein gemeinsames, in Frieden existierendes „Europäisches Haus“ zu kommen, vergeigt.
Jeder der angesichts dieses Krieges so gescholtenen PazifistInnen, mich eingeschlossen, hätte diese Konsequenz auf Seiten der Nato für sinnvoll und notwendig erachtet. Der jetzige Krieg hätte wahrscheinlich nicht stattgefunden, die Ukraine wäre ein Land, in dem es schön ist zu leben..
Ich will letztlich dennoch nicht versäumen, auch wenn es mir bestimmte Leute als Lippenbekenntnis auslegen werden, mit zum Schwur erhobener Hand zu versichern, dass ich den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine verurteile.
„Diese Personen waren nicht in der Lage mit Selbstbewusstsein zu verhandeln. Sie saßen Siegern gegenüber.“
Genau das erinnert mich so sehr an Versailles 1919. Die damaligen „Sieger“ haben in ihrem Siegesrausch den Keim der Revance gelegt. Der biedere US-Präsident Woodrow Wilson brachte seine Erzählung vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ mit. Dieses jedoch wird – gerade von den USA – bis heute nur den von ihnen selbst „auserwählten“ Völkern zugebilligt. WSelche das heute sind bzw. eben nicht sind, dürfte hinlänglich bekannt. sein.
Aus
Wenn ich bestimmte Autoren im »Blättchen« richtig verstehe (Autorinnen und andere Geschlechter habe ich möglicherweise übersehen), dann hat die NATO am 17. Juni 1953 die Arbeiterunruhen in Ost-Berlin und im Gebiet um Halle/Saale mit Panzern niedergeworfen. 1956 ist die NATO in Ungarn einmarschiert und hat – nicht nur in Budapest – ein Blutbad sondergleichen angerichtet. Am 13. August 1961 hat die NATO – von West-Berlin aus – die Berliner Mauer errichtet und danach 28 Jahre lang Flüchtende gezielt ermorden lassen. Am 21. August 1968 ist die NATO in die Tschechoslowakei eingefallen und hat in verschiedenen Städten Demonstranten – allein auf dem Marktplatz von Liberec waren es neun – ermordet. 1979 überfiel die NATO Afghanistan und hat dort u. a. mit Minen, die in Spielzeug versteckt waren, Kinder umgebracht. Kurz darauf, 1981, hat die NATO die polnische Führung gezwungen, das Kriegsrecht zu verhängen. Am 9. Oktober 1989 versuchte die NATO, in Leipzig ein Blutbad anzurichten. 1999 hat die NATO Grosny und weitere tschetschenische Städte sowie einige Dörfer weitgehend in Schutt und Asche gelegt. Und am 24. Februar 2022 hat die NATO ein friedliebendes Russland überfallen …
Außer im Falle Serbiens 1999 hat meines Wissens die NATO – die mir übrigens alles andere als sympathisch ist – nie jemanden überfallen; ihre Vormacht, die USA, hingegen sehr wohl: verbunden mit sehr vielen Verbrechen, die immer wieder angeprangert werden müssen. Die gehen aber nicht auf das Konto des Nordatlantikpaktes.
Lange Jahre habe ich den sich »links« drapierenden Unfug im »Blättchen« weggelächelt. Ab sofort halte ich es jedoch mit Alfred Polgar. Der jahrzehntelange Autor der »Weltbühne« wurde 1947 angesprochen, ob er nicht an der neuen Ost-Berliner Zeitschrift mitmachen möchte. Er antwortete, dass er zwar an einer Zeitschrift gleichen Namens bis in die Emigration hinein mitgearbeitet habe, aber mit dem neuen Produkt nicht in Verbindung gebracht werden möchte. So geht es mir ab sofort mit dem »Blättchen« auch.
Jörn Schütrumpf, Ostern 2023
Unser langjähriger und immer noch Freund wird wissen, dass er mit seiner satirischen Verdrehung einer traurigen Geschichte keinen Blaettchen Autor „richtig versteht“. Max Klein
Macht nix
Der erste Teil des Kommentars ist keine Satire, sondern billige Polemik. Dazu sonst nix. Der zweite Teil zeugt von der Überheblichkeit des Verfassers, der 1. zu glauben scheint, sein mit böswilliger Polemik inscenierter Abschied würde als Verlust erlebt und 2. offensichtlich meint, sich mit Alfred Polgar vergleichen zu können, und sich damit einen Bruch hebt.
Ach, es waren also nicht die NATO-Mitglieder, die den Vietnam-Krieg in unverbrüchlicher Treue unterstützten, sondern die Warschauer-Pakt-Staaten, die Bomben, Napalm und Agent Orange regenen ließen?
Es waren also nicht die NATO-Mitglieder, die stillschweigend (und zustimmend) den verbrecherischen Überfall der USA auf Grenada incl. der öffentlichen Ermordung des frei und demokratisch gewählten Präsidenten hinnahmen?
Ihre meist recht klugen Beiträge werden (wohl nicht nur mir) fehlen. Allerdings: Jeder ist ersetzbar.
Alles Gute, verehrter Herr Kollege.
Bleibe Ihr Ralf Nachtmann
Philosophieren über Humanismus und Gewalt
Humanismus ist eine geistige Grundhaltung von Menschen, die davon ausgeht, dass alle Menschen ihrem Wesen nach gleich sind und darum die Verhaltensergebnisse aller Menschen, ob als Einzelner oder als Gruppe, immer menschlich sind.
Das Wort unmenschlich als Wertung menschlichen Verhaltens ist deshalb ein überflüssiges Wort. Es hat keinen realen Bezugspunkt zur Verhaltenswirklichkeit von uns Menschen.
Der Mensch als biopsychosoziale Einheit verhält sich immer als ganzer Mensch und jeder Mensch ist für sein Verhalten verantwortlich.
Verhalten des Menschen ist immer auch Wahrnehmung von Verantwortung für das eigene Verhalten.
Da der Mensch sich nicht nicht verhalten kann, kann es folglich auch kein verantwortungsloses Verhalten von Menschen geben.
Nur Tiere und Maschinen mit KI sind unmenschlich und verantwortungslos, denn sie kennen weder moralischen Grundsätze noch entwickeln sie Ziele und Zwecke für ihr Verhalten.
Das schiebt den Menschen zwischen Tier und Maschine und hebt im Dreieck Tier – Mensch – Maschine uns Menschen an die Spitze des Dreiecks.
Damit wird die ganze Verantwortung des Menschen für sein ziel- und zwecksetzendes Verhalten nicht über Tier und Maschine gestellt. Der Mensch wird in seinem Verhalten zur Natur immer abhängiger von der Natur. Diese wachsende Abhängigkeit von der Natur wird im dreifachen Sinne deutlich:
1. von der Natur selbst;
2. von den Gesetzen der Natur sowohl außerhalb seiner selbst als auch in sich selber;
3. von der Maschinenwelt, die immer das Nutzen von Naturgesetzen ist.
Das geschieht im Krieg genauso wie im Frieden.
Krieg und Frieden ist heute – im 21. Jahrhundert – nach tausenden Jahren Kriegserfahrungen innerhalb unserer Gattungsentwicklung auch ein Vergleichsverhältnis von antihumanistischer Gewalt und humanistischer Gewalt.
Die untrennbare Einheit von Humanismus und Gewalt ist heute der objektiv reale transformative Inhalt in der Globalisierung, den nur ein über den Staaten stehender politische Souverän, der alle rund 200 Staatsvölker auf der Erde vertritt, durchsetzen kann – und das ist die UNO – bzw. sollte sie sein..
Sie zu reformieren bedeutet im Kern, die konstruktive Gewalt der UNO stärken, damit sie ihre Aufgaben im Einklang von Völkerrecht und Menschenrechten sowohl innerstaatlich als auch zwischenstaatlich durchsetzen kann.
Staatliche Streitkräfte gegeneinander und gegeneinander gerichtete Militärblöcke sind ein öffentlich demonstriertes Zeichen gegen eine gemeinsame Durchsetzung der Menschenrechte zu einklagbaren Bürgerrechten.
Eine Welt ohne Kriege ist möglich, wenn man sie will. Wer sie nicht will, scheint aus einer Welt mit Kriegen umfassenden Nutzen zu ziehen. Das ist natürlich eine menschliche Grundhaltung aber auf jeden Fall eine antihumane Grundhaltung.
Ostern ist ein guter Anlass, hinter dem Schokoladenhasen den ans Kreuz genagelten Jesus zu sehen. Sein neues Denken über Geld und dessen zerstörender Wirkung auf die Kultur des menschlichen Zusammenlebens haben Andersdenkende veranlasst, ihn ans Kreuz zu nageln. Dennoch konnte bis heute nicht verhindert werden, dass die 10 Gebote der christlichen Lehre nach wie vor zum geistigen Welterbe eines humanistischen Denkens zählt.
Ostern ist ein guter Anlass, über Gotteskrieger und das individuelle Gewaltmonopol der Friedensaktivisten nachzudenken.
Zum Sonderheft: Es fällt auf, wie konsequent der Herausgeber (Wolfgang Schwarz) die Frage des im Laufe des Jahres 1991 immer deutlicher voranschreitenden Zerfallsprozesses der Sowjetunion ausklammert. Das Auseinanderfallen der Sowjetunion kann dem Westen nicht angekreidet werden, der trägt da wohl kaum eine nachweisbare Schuld. Wer genauer hinsieht, wird übrigens die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) als die entscheidende und treibende Kraft beim Auseinanderbrechen des Riesenlandes ausmachen können. Ohne Sowjetunion aber begann ein völlig anderes sicherheitspolitisches Spiel, woran 1990 in westlichen Hauptstädten (von Gorbatschows Moskau einmal ganz abgesehen) weniger gedacht worden sein dürfte. Und: Als die Sowjetunion verschwand, war auch der Warschauer Vertrag bereits einvernehmlich aufgelöst. Damit aber standen Länder wie Polen, Ungarn oder die Tschechoslowakei ab 1992 vor völlig neuartigen sicherheitspolitischen Fragen. Bezüglich dieser Fragen sollten – so verstehe ich jedenfalls das weitergehende Anliegen von Wolfgang Schwarz – bereits 1990/91 von westlicher Seite (Washington, Bonn, Paris, London) und von Gorbatschow entscheidende Eckpunkte festgelegt worden sein? Mir scheint das ziemlich weit hergeholt! Der Blick in die Dokumente ab dem 1. Januar 1992 dürfte hier viel eher weiterführen. Obendrein: Gorbatschows schneller Bedeutungsverlust, dem er ab Sommer 1991 nicht mehr ausweichen konnte (die dramatischen Vorgänge in Moskau, die Auflösung des Warschauer Vertrags), sollte nicht ausgeblendet werden.
Finale Einlassung II
Um hier meinerseits noch einmal klarzustellen: Der Westen, vornehmlich die Nato und allen voran die USA haben mehrfach schwere völkerrechtliche Schuld auf sich geladen, was ihnen in der Tat auch nicht vergessen werden darf. Und auch die Ukraine ist kein Land, das als „Insel der Seligen“ zu verteidigen ist, sondern sls Opfer einer brutalen Aggression mit aberwitzigen „Begründungen“. Den erstgenannten Aspekt aber gebetsmühlenartig mal um mal in Stellung zu bringen, wo es um eine russische Aggression geht, hat mehr als nur ein politisches Geschmäckle. Als seinerzeit – auch im Blättchen – etwa der verlogene Irakkrieg der Bush-Administration international ebenso verurteilt worden ist wie von dem heute so verachteten Mainstream der Medien, kam jedenfalls kein „Blättchen“-Autor auf die Idee, mit permanenten Hinweisen auf russische Terrorakte wie in Tschetschenien um Relativierung bemüht zu sein. Denn an dem, was Alfred Reingoldowitsch Koch, unter Boris Jelzin Russlands stellvertretender Ministerpräsident jüngst resümierte, ist leider nichts übertrieben: „Es gibt kein Verbrechen, das sie nicht schon begangen haben. Sie haben viel Geld ausgegeben und Hunderttausende ihrer eigenen Leute und andere Leute getötet. „Sie haben die Zukunft ihres Landes und den Ruf ihres Volkes zerstört. Und was haben sie im Gegenzug erreicht? Nichts. Nichts als den Hass und die Verachtung der Menschheit.“
Gewiß, man kann als Autor solcher Meinung sein, wie sie Wolfgang Schwarz – und nicht nur er (!) – im Blättchen – vertritt und man kann sie auch publizieren. Wenn man allerdings als Redakteur einer Publikation diese zur Lufthoheitstribüne macht, dann sollte man ehrlicherweise entweder eine eigene Plattform gründen oder sich dem inhaltlichen Solidarverbund der Jungen Welt, der Nachdenkseiten und des Rotfuchs anschließen.
Heinz Jakubowski
PS: All die oft langjährigen Autoren, die mit ihren Texten nach wie vor dem eigentlichen, nichtideologischen und politisch nichthermetischen Anspruch des Blättchens dankenswerter Weise folgen, mögen mir die Schärfe meines Urteils nachsehen, sie sind mit diesem nicht gemeint.
Na, werter Herr Jakubowski, schon wieder mal ein Rücktritt vom Rücktritt? Mit finalen Beiträgen, meine ich, mich erinnern zu können, waren Sie in diesem Forum schon des Öfteren präsent.
Doch die Sache ist für müde Scherzchen zu ernst: Erneut schwingen Sie sich zum Zuchtmeister auf – besonders wortreich dieses Mal und mit dem ehrenrührigen Anwurf, Blättchen-Autoren betrieben das Geschäft des Kremls.
Allerdings zeugt Ihre Betrachtungsweise im vorliegenden Fall von einem gerüttelten Maß an historischem Astigmatismus: Der Ukraine-Krieg hat eine Vorgeschichte, ob Ihnen das nun passt oder nicht, und wer die ausblendet, statt Lehren daraus zu ziehen, der legt jetzt schon wieder den Grundstein dafür, dass auch die nächste Nachkriegsordnung vergeigt werden wird. D a s habe ich bei Schwarz, Sarcasticus und anderen im Blättchen verstanden und finde diesen Ansatz in ureigenstem deutschen und europäischen Sicherheitsinteresse höchst vernünftig.
Und apropos Nachkriegsordnung: Dass wir eine solche überhaupt noch einmal erleben werden, ist derzeit ja keineswegs ausgemacht. Denn ob man eine Atommacht wie Russland vor ihrer Haustür oder – falls der Krieg sich ausweitet, was verhindert werden möge – gar auf ihrem eigenen Territorium militärisch besiegen kann, ist bisher aus gutem Grunde noch nie versucht worden. Das sollte auf jeden Fall auch so bleiben, denn anderenfalls könnten Kernwaffen eingesetzt werden. A u c h d i e s e s habe ich bei Schwarz und anderen im Blättchen gelesen, ohne dass damit dem russischen Angriffskrieg Absolution erteilt worden wäre.
Natürlich ist es Ihr gutes Recht, all dies entweder gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen oder für irrelevant zu halten …
Da wir nun wieder bei der Erkenntnis sind, nicht nur die aktuelle Oberfläche zu betrachten, sondern auch historische Zusammenhänge und Hintergründe, sei nur angemerkt, dass dieser Herr Reingoldowitsch Anfang der 1990er Jahre zu der neoliberalen Clique gehörte, die in Russland mittels sogenannter Schocktherapie die Privatisierung und damit die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise sowie allgemeine Verarmung der Bevölkerung durchführte.
Mitte der 1990er Jahre hatten wir in Potsdam eine Veranstaltungsreihe der Universität Potsdam und der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, zu der auch Sozialwissenschaftler aus den „Transformationsländern“ eingeflogen wurden (Jochen Franzke und ich haben das damals abwechselnd moderiert). Russische Soziologen berichteten damals anhand aktueller Umfragedaten, dass „Demokratie“ bei der Mehrheit der Bevölkerung inzwischen als Schimpfwort galt – nach fünf Jahren – wie Sowjetmacht nach über 70 Jahren.
Ohne die damalige gesellschaftliche Zerrüttung wäre Putin niemals an die Macht gekommen. Außerdem lebt dieser Kronzeuge lt. Wikipedia in Deutschland, erzählt also das, wovon er erwartet, dass man es hier hören möchte.
Finale Einlassung
Was will uns ein Autor sagen, wenn er über ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine per „Sonderausgabe“ noch einmal – denn der Autor hat das schon vielfach an diesem Ort ebenso getan wie seine Brüder und Schwestern im Geiste (Sarcasticus, Gabriele Muthesius, Hannes Herbst etwa) – beweist, dass der Westen es war, der Rußland betrogen und dergestalt bedroht hat, dass diesem quasi nichts übrig blieb, als sich prophylaktisch zu verteidigen?
Ist es ihm wichtig, wenn er (wenn auch immer nur knapp) erklärt, dass der russische Überfall zu verurteilen ist? Oder ist sein Anliegen eben doch, Schuld und Verantwortung für den barbarischen Feldzug der russischen Armee und ihrer Progoschin- oder Kadyrow-Söldner jenen zuzuweisen, die sich nun dagegen wehren?
Man hat Putin also mit Zusagen betrogen. Wenn ich dieser Enthüllung einfach mal folge, wäre eine Folgefrage meinerseits, wer wiederum die Ukraine und die an den damaligen Verhandlungen mitbeteiligten Westmächte in Budapest 1994 und in der Nato-Rußland-Akte von 1997 betrogen hat, als er für die Rückgabe der Atomwaffen nicht nur territoriale Integrität, sondern auch via KSZE-Grundakte die freie Bündniswahl vertraglich (!), und damit anders als in der Causa Genscher/Baker, zugesichert hat. Wenigstens diesmal war ja wohl nicht der Westen die Inkarnation alles Bösen, was für Autoren wie Wolfgang Schwarz nun etwa das ist, was die Sowjetunion und Co. einst für Ronald Reagan waren.
Sorry, aber hier betreibt jemand das Spiel des Kremlherrn, was für das Blättchen, das bei allem Fehl und Tadel binnen seines 25jährigen Bestehens sich nie mit imperialen Kräften und/oder Demokratieverächtern gemein gemacht hat, ein schmählicher Werdegang ist – bis vor kurzem übrigens , denn der zuvor schon peinliche Totalverzicht auf jedweden Beitrag zur Pandemie nach anfänglicher Akklamation der Fundamentalkritik an der demokratischen Grundordnung, war zu alledem immerhin ein illustres Vorspiel.
Um Wolfgang Schwarz mal an seinen Kollegen Sarcasticus zu erinnern:
In einem wie üblich langen Beitrag – https://das-blaettchen.de/2023/01/dysfunktionale-fehlerdebatte-64381.html – hat dieser erst kürzlich eine lange Reihe von provozierenden NATO-Perfidien aufgezählt. An deren Anfang stellte er, dass die NATO sich seit 1999 durch ihre Osterweiterung immer näher an die Westgrenze Russlands herangeschoben hat und im Jahre 2008 schließlich beschloss, auch Georgien und die Ukraine aufzunehmen. (Eine Entscheidung, die auf dem NATO-Gipfel 2022 bekräftigt worden ist.) Dass die Aufnahme Georgiens und der Ukraine 2008 willentlich ausgesetzt wurde und erst durch Putins Überfall wieder auf die Agenda geraten ist, hat Wolfgang Schwarz wohl übersehen.
Der Clou dieses Textes: Wolfgang Schwarz resümiert das alles und erklärt dann: Um aber gar nicht erst missverstanden zu werden: Keiner der gravierenden, teils fatalen Fehler des Westens im Verhältnis zu Russland seit Ende des Kalten Krieges – und auch nicht deren Summe – könnte die völkerrechtswidrige Aggression gegen die Ukraine rechtfertigen.*- Voila! Wie mag es nur kommen, dass diese „Erkenntnis“ Schwarzens Verteidigungstexten Rußlands so regelmäig abhanden kommt?* (Hervorhebungen von H.J.)
(Da das hier verhandelte Thema relevant genug ist, erlaube ich mir, diese Einlassung durch einen zweiten Teil zu ergänzen.)
Sehr geehrter Herr Schleiting,
Sie haben mich zweimal angesprochen und es gebietet die Höflichkeit, Ihnen zu antworten.
Es freut mich, dass Sie einräumen, ich bediente „Attitüde der Überlegenheit noch mit einem gewissen Augenmaß“; Sie seien Schlimmeres gewöhnt.
Zum anderen fragen Sie, warum ich mich dafür entschuldige, mich selbst zu zitieren. Auch das halte ich für eine gewisse Form des Respekts Anderen gegenüber.
Grundsätzlich geht es jedoch nicht um Obiges, sondern darum, was wir vom Pazifismus halten; nicht abstrakt, sondern sehr irdisch im Hier und Heute. Ich fand eine Textstelle, die ich gern zitiere, da sie meine Haltung dazu kurz und knapp ausdrückt: „… ich bin davon überzeugt, dass Pazifismus und damit auch Nichtsolidarität eine ausgesprochen gefährliche und unmoralische Haltung sein können, sowie ein Verrat an der Erinnerung an diejenigen, die sich tapfer gewehrt haben für den Frieden in früheren Zeiten“.
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Sehr geehrter Herr Wohanka,
das Geplänkel bezüglich Ihres Selbstzitates könnte ich in sophistischer Manie(r) weiterführen, verzichte aber darauf. Bedenklich finde ich das Zitat, mit dem Sie Ihren Kommentar beenden und Ihre persönliche Haltung definieren:
Die Gleichsetzung von Pazifismus mit Nichtsolidarität und die Verurteilung desselben als unmoralische Haltung geht exakt in die Richtung, gegen die ich mich verwahre. Da ist die Bezeichnung „Lumpenpazifist“ nicht mehr weit. Ich befürworte jede nur erdenkliche Hilfe für alle Menschen die unter Krieg und Gewalt leiden, gleich ob sie in der Ukraine leiden oder in anderen Teilen der Welt. Deshalb fordere ich auch die Aufnahme und menschenwürdige Behandlung aller Geflüchteten und jede mögliche humanitäre Hilfe dort, wo diese leben bw. stranden, also selbstverständlich auch in der EU. Von daher verurteile ich absolut das menschenverachtende Grenzregime, dessen sich die EU schuldig macht. Was in diesem Zusammenhang geschieht, muss ich nicht im einzelnen ausführen. Ebensowenig muss ich allerdings ausführen, dass ich den von der russischen Führung angezettelten Krieg verurteile.
Ich darf mir dennoch Gedanken darüber machen bzw. kritisieren, dass kaum noch jemand, schon gar nicht verantwortliche Politiker, das Ziel zu haben scheint dieses Blutvergießen zu beenden, es sei denn durch einen umfassenden Sieg der Ukraine und den Ruin Russlands. Dass dieser Zustand in absehbarer Zeit nicht eintreten wird, muss man erwarten und ergo befürchten, dass der Krieg mit allen Folgen noch lange andauert und möglicherweise weiter eskaliert. Es wird abertausende von Toten und massive Zerstörungen geben und, was ich tatsächlich zum Kotzen finde: Milliardengewinne für die westliche (Rüstungs)industrie. Oder werden letztere vielleicht abgeschöpft und zur Linderung der Not der Menschen, wo immer diese existiert, verwendet?
Freundliche Grüße
Ewald G. Schleiting
PS Herr Wohanka, so ist das nun mal mit den kurzen und knappen Antworten, mit denen alle bedient werden, die einfachen Gemütes sind oder nur keine Lust zum Nachdenken haben: Sie klingen zwar im Moment ganz plausibel, halten aber näherem Hinsehen nicht Stand, weil in der Regel die Probleme komplexer sind. Dass vornehmlich rechte Verführer mit dieser Art von „Argumentation“ operieren, sollte Ihnen zu Denken geben.
Sehr geehrter Herr Schleiting,
die Textstelle, die ich zitiert habe, ist nicht auf Sie gemünzt; sie bringt – wie gesagt – meine Haltung zum Ausdruck. Und der Begriff „Lumpenpazifist“ wäre auch nicht mein Sprachgebrauch.
Ich will noch hinzufügen – und damit wird die Tragweite, die Komplexität des Friedensengagement unter diesen Kriegsbedingungen und die verhängnisvolle Verstrickung aller, die sich äußern, deutlich: Das Zitat stammt aus dem Inneren der Berghof Foundation, die sich – Sie wissen es als Friedensbewegter sicher – seit 50 Jahren als unabhängige Nichtregierungsorganisation für Friedensförderung stark macht. Ihr jetziger Direktor sagt, die Tradition des linken Pazifismus verdiene größten Respekt. Es sei jedoch nötig, die Engführung von „Nie wieder Krieg!“ zu hinterfragen.
Worauf es also hinausläuft: Weder der erwähnte Direktor, noch Sie, noch ich haben „recht“. Es gibt hier keine allgemeingültige Wahrheit (die gibt es sowieso nicht); es gibt nur Haltungen, ein Sich-Verhalten zu dem, was vorgeht.
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Lieber Herr Schleiting,
danke zunächst für den Hinweis auf den unangenehmen „Verlust“ des verneinenden Wortes „nicht“ – pardon! Den noch viel größeren Faux pas haben auch Sie übersehen – hat die UdSSR doch im Krieg gegen den Faschismus doch „nur“ 20 und nicht , wie ich schrieb, 50 Millionen Menschen verloren, Triple-Pardon!
Über Ihren Hinweis darauf, dass Stalin lieber Menschen verheizt hat als zu kapitulieren, möchte ich nicht weiter mutmaßen, denn wiewohl Sie Stalins Menschenfeindlichkeit sicher zutreffend charakterisieren, mögen für die sowjetische Gegenwehr wohl doch noch andere Motive infrage kommen; Volkswille etwa, den man m.E. auch dann in Anschlag bringen kann, wenn niemand „das Volk vorher gefragt hat“.
Ich habe großen Respekt vor Ihrer unbeugsamen pazifistischen Haltung. Aber da grade etwa der 75. Todestag von Egon Erwin Kisch begangen wird : Waren er, Orwell, Hemingway – um nur mal Beispiele aus den Reihen von Künstlern zu nennen – Kriegsverlängerer und quasi Mitmörder, weil sie und tausende Interbrigadisten den Kampf der spanischen Republikaner gegen den Faschisten Franco unterstützt statt zur Kapitulation aufgerufen zu haben?
Moral ist ein schwieriges Terrain…
Mit freundlichen Grüßen,
Heinz Jakubowski
Lieber Herr Jakubowski,
um mit Ihrem Schlusssatz zu beginnen: tatsächlich ist Moral ein schwieriges Terrain, deshalb maße ich mir auch keineswegs an, dieselbe eher zu besitzen, als viele andere, auch andersmeinende. Es liegt mir auch fern, die von Ihnen aufgezählten Künstler oder gar diejenigen, die im spanischen Bürgerkrieg auf der richtigen Seite gekämpft haben zu verurteilen, schon gar nicht, und ich hoffe das wollen Sie mir nicht unterstellen, als Mörder. Ich darf aber daran erinnern, dass der spanische Bürgerkrieg, soviele Heldentode in seinem Verlauf auch zu betrauern waren, letztlich erst am 20.11.1975 mit Francos Tod, vielleicht aber auch erst mit dem gescheiterten Putschversuch am 23.02.1981, vielleicht aber bis heute nicht endgültig beendet ist, wenn man das Wiedererstarken der extremen Rechten in Spanien und anderswo in Rechnung stellt.
Ich verurteile auch niemanden, der sich gegen Gewalt zur Wehr setzt oder auch dabei hilft.
Ich sehe allerdings in der aktuellen Situation des Krieges in der Ukraine, wie auch in vielen anderen Kriegen, deutliche Interessen, die nicht vorrangig die der Menschen sind, die unter diesen Kriegen leiden müssen. Diese Interessen sehe ich durchaus auch auf der Seite des „Wertewestens“, beispielsweise bei den Kriegsgewinnlern in der Rüstungsindustrie. Letzteren spreche ich dann doch jegliche Moral ab, wenn ich daran denke, wo überall auf der Welt mit westlichen Waffen die Unterdrückung und das Töten von Menschen realisiert wird.
Freundliche Grüße
Ewald G. Schleiting
Antje Vollmer, Salut
Vielen Dank, Max Klein, für diesen berührenden, aber auch aufrüttelnden Nachruf auf eine Frau, deren politisches Wirken und deren Positionen ich persönlich, wie ich zugeben muss, nicht auf dem Schirm hatte und daher auch nicht wertgeschätzt bzw. gewürdigt habe.
Im Zentrum der Argumentation um eine Friedensperspektive sollte tatsächlich ihr Satz stehen, den Sie aus ihrem Beitrag in der BZ zitieren:
„Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“
Auch der Vergleich dieser beiden „grünen“ Politikerinnen, nämlich zwischen der amtierenden Außenministerin und Frau Vollmer, läßt das Manko der derzeitig im Westen praktizierten „Sicherheitspolitik“ aufscheinen:
Hier die Ministerin, die mit ihren pubertären „durch argumentative Schlichtheit“ verblüffenden schrillen Trompetentönen, eine neue „antagonistische Nato Strategie“ verkündet, ganz im Sinne ihrer Idole Blinken und Biden, und jeden Gedanken an eine wie auch immer geartete Nachkriegskoexistenz vermissen lässt, dort eine Frau, die ihre Qualitäten als Vermittlerin mehrfach bewiesen hat und der es fern gelegen hätte, auch noch so „üble Konfliktparteien durch vorlaute Worte“ zu desavouieren.
Dieser Vergleich ist übrigens alles andere als unfair. Wer dieses Amt ausüben will, darf sich nicht auf die Position zurückziehen „Ich bin ja noch klein und muss noch viel lernen“. Dafür ist der Schaden, den sie anrichtet zu groß. Vielleicht gibt es ja Menschen, die Frau Baerbock den Platz an der Sonne neben Blinken und Biden gönnen. Gut für Deutschland und die Welt ist es sicherlich nicht, in dieser Position eine Person zu haben, die genau diesen „Hass“ und diese „Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion“ verkörpert wovon Antje Vollmer schreibt und deren erklärtes Ziel es folgerichtig ist Russland zu ruinieren und eine europäische Sicherheitsarchitektur nicht nur ohne, sondern gegen Russland aufzubauen.
Lieber Heinz Jakubowski,
Sie fragen „warum sich die UdSSR…via Kapitulation ihre horrenden Opfer erspart hat.“ Ausgehend von der Annahme, dass Ihnen bei der Formulierung das Wort „nicht“ durch die Lappen gegangen ist, möchte ich behaupten, dass die Antwort auf der Hand liegt: Auch der Machthaber der damaligen Sowjetunion war ein menschenverachtendes Ungeheuer, dem wie Hitler ein paar Millionen Menschenleben, egal welcher Nationalität, am A…. vorbei gingen.
Über die Beweggründe der beschriebenen Dorfbewohner, egal ob Russen, Belarusen, Ukrainer oder Balten, die den deutschen Truppen, wahrscheinlich in Unkenntnis ihres tatsächlichen Auftrages bzw iher tatsächlichen Absichten, mit gewisser Freundlichkeit begegneten (wenn es denn so war, mir ist das, wie ich gestehen muss, neu), kann man trefflich spekulieren. Ob sie bzw. ihre Väter, Männer, Brüder dann letzlich mit Hurra für Stalin und die Sowjetunion in den Tod gegangen sind, darf man getrost bezweifeln. Gefragt wurden sie nicht, ebensowenig wie die Menschen in der Ukraine heute. Bei letzteren bezweifle ich allerdings ebenso, dass sie freiwillig beispielsweise für die Freiheit der Krim sterben oder gar für die Verteidigung des immer wieder von den Transatlantikern hochgelobten „westlichen Wertesystems“.
Es ist wie immer: über Krieg oder Frieden entscheiden die Mächtigen (und Reichen) auf der Grundlage ihrer Interessen (Rekordgewinne bei Energieversorgern und in der Rüstungsindustrie). Darunter zu leiden haben die Massen.
Deswegen bin und bleibe ich Pazifist und lasse mich gerne auch mal von Herrn Lobo in den Adelsstand des „Lumpenpazifisten“ erheben.
Erhard Crome verweist in Bezug auf den deutschen Überfall auf die Sowjetunion auf „Unkenntnis der Kriegsgeschichte“, sitzt aber selber einem Irrtum auf, wenn er nämlich behauptet, in den „ersten Kriegstagen im Juni 1941“ seien deutsche Soldaten in „etlichen russischen Dörfern mit Brot und Salz empfangen“ worden. Das kann nicht sein, denn deutsche Soldaten zogen im Juni 1941 wohl in kein einziges „russisches Dorf“ ein, es waren nämlich litauische, belorussische, polnische oder ukrainische Dörfer, die in den ersten Kriegstagen im Juni 1941 erobert wurden. Erhard Crome meint womöglich „sowjetische Dörfer“, aber auch das wäre nur bedingt richtig, ohne es hier nun weiter auszuführen.
Kurz zu Erhard Cromes Behauptung: Russische Dörfer in den ersten Kriegstagen? Wo? Es können wohl nur litauische, polnische, belorussische, ukrainische oder rumänische Dörfer gewesen sein.
Lieber Erhard Crome,
natürlich verfüge ich nicht über so kompetente Geschichtskenntnis wie Sie, würde aber gern wissen,warum sich die UdSSR „als nach kürzester Zeit jedoch klar war, dass die Deutschen im Osten einen mörderischen Vernichtungskrieg führen und nicht einen klassischen Hegemonialkrieg“, via Kapitulation ihre horrenden Opfer erspart hat. Das wäre ja sehr wohl eine „Alternative zum Abwehrkrieg gegen Nazideutschland“ gewesen, wie Sie eine solche nun ja offenbar zur Beendigung des Ikraine-Krieges für geraten halten.
PS: Mit Verlaub: Bei allem Respekt vor Ihren Geschichtskenntnissen – Was Ihre Eingangszeilen an die freundlich ampfangene Wehrmacht im Kontext mit meiner Anmerkung zu tun hat, erschließt sich mir Amateur leider nicht. Aber Sie werden mich sicher aufklären.
Ein Zwiespalt
Herr M. ist in der Stadt unterwegs. Am S-Bahnhof Walzerheide erblickt er einen kleinen Auflauf samt Geschrei. Herr M. wird rasch gewahr, was vor sich geht: Zwei Männer prügeln sich. Wobei – wenn es denn dabei je paritätisch zugegangen sein sollte: Die Prügelei ist ob der unübersehbar physischen Überlegenheit des einen ist für den anderen längst zu einer Gefahr für Leib und Leben geworden; ersterer schlägt und tritt wie rasend auf den am Boden Liegenden ein, der sich ebenso verzweifelt wie hoffnungslos zu wehren versucht.
Wie alle Umstehenden ist auch Herr M. empört über diesen Gewaltexzess. Auffordernden Rufen im Umkreis, einzuschreiten und den möglicherweise Moribunden zu retten, tritt M. indes mit der Mahnung zu Umsicht und vorausgehender Analyse entgegen. Da Gewalt nur die ultima ratio des Handelns sein könne, wäre also zunächst zu klären, welche Gründe und Motive die beiden Akteure zu dieser Prügelei veranlasst habe; auch gründliche Exkurse in die Vor- und überhaupt-Geschichte inklusive ihrer globalen Dimensionen wären zu bedenken, auch die Sicht des Überlegenen und gegebenenfalls auch Kritikwürdiges oder gar Provozierendes beim Unterlegenen und dessen Unterstützern.
Im Wissen darum gehöre dann abgewogen, auf wessen Seite das Recht sei. Sei das geklärt, wäre wiederum zu prüfen, welche Motive oder gar Parteilichkeiten, ja, welches Kalkül jeder einzelne der nach aktiver Einmischung Rufenden zu seiner Bereitschaft treibt, den Zwei-Personen-Krieg durch sein persönliches Einschreiten zu beenden. Seien so sämtliche kontextualen Beweggründe ausgeschlossen, dann, ja dann wäre das Instrumentarium zu beleuchten, das zur Streitschlichtung verfügbar sei. Und sei darüber dann erst einmal Einvernehmen erzielt, o.k. – dann ließe sich mit einem guten Gewissen Hand anlegen.
Herr M. hatte für seine Ausführungen ein durchaus verständnisvolles Publikum. Seinerseits nun tatbereit, hatte sich inzwischen eine herbeigerufene Erste Hilfe eingeschaltet und den schwerverletzt Unterlegenen ins Krankenhaus gebracht, wo er noch zwei Tage überlebte. Geblieben aber war Herrn Ms heiliger Zorn gegen die Gewalt.
Diesen Stuss habe ich mir schon vor gut 50 Jahren als Kriegsdienstverweigerer anhören müssen.
Ergänzung
Nähere Erklärung nötig?
Ich meine den Stuss, die Frage einer
Hilfeleistung in dem von Ihnen beschriebenen Fall
gleichzusetzen mit der Entscheidung in einen Krieg einzutreten oder
sich, in welcher Form auch immer, daran zu beteiligen, zumal „Wir im
Wertewesten“ ja dann gegebenenfalls von den Opfern der Menschen in der
Ukraine profitieren.
Der hilflose Mensch in Ihrem Beispiel war in den Anhörungen, denen man als Kriegsdienstverweigerer ausgesetzt war, in der Regel die Freundin, die von einem bösen Russen vergewaltigt wurde. „Ja was würden Sie denn da machen, Herr Schleiting, wenn Sie ein Gewehr in der Hand hätten?“
In 50 Jahren nichts dazugelernt?
Die Grünen und der Krieg von Matthias Rude
Der Autor schreibt: „Wenn Grüne … es offensichtlich gar nicht abwarten können, dass endlich wieder deutsche Panzer gegen Russland ins Feld rollen …“. Ohne das „Warum?“ zu benennen, ist es einfach nur infam davon zu reden, dass „wieder deutsche Panzer gegen Russland“ rollen. Hat vor Kurzem nicht auch Putin genau das Gleiche von sich gegeben?
Dieser sich überlegen gebende Duktus, nur man selbst stehe auf der richtigen Seite wenn schon nicht der Geschichte, dann doch wenigstens im deutschen Schrebergarten. Ein Eintrag im Blättchen-Blog rekurrierte kürzlich auf einen Text eines Nachrichtenmagazins; hier ein weiteres Zitat daraus: „Eine selbstsicher-parolenhafte Überheblichkeit, die jede kriegerische Handlung ablehnt, einfach, weil sie kriegerisch ist, wird der Realität nicht gerecht. Überdies verbieten sich Ratschläge aus dem sicheren Raum unter dem Schutzschirm amerikanischer Atomwaffen an ein Volk, dessen Existenzrecht bestritten und bekämpft wird. Deshalb ist das Manifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ja so unangenehm. Man wird das Gefühl nicht los, dass ein Sankt-Florians-Pazifismus gepredigt wird: Verschon mein Land, greifs andere an. (Würde man genauso argumentieren, wenn Deutschland angegriffen würde und die USA ihren Schutz zurückzögen, um einen atomaren Flächenbrand zu verhindern: Deutschland solle sich erobern lassen, um des lieben Friedens willen?)“.
An anderer Stelle teilt der Autor mit: „Der Kosovo-Krieg war, wie der Historiker Edgar Wolfrum in seinem Buch ´Rot-Grün an der Macht´ 2013 schreibt, ´ein Scharnier für alles, was danach kam, Afghanistan und kurz darauf der Irak. Ähnliches wäre für eine CDU-geführte Regierung weitaus schwieriger gewesen´“. Da geht wohl dem Historiker und in der Folge unserem Autor, der das ungeprüft wiedergibt, etwas durcheinander; man sollte vielleicht vorher die Quellen prüfen…. Rot-Grün hat sich in der Tat an der UNO-Mission 2001 in Afghanistan beteiligt. „…und kurz darauf der Irak“? Es waren Schröder und Fischer, die sich 2003 eben nicht der „Koalition der Willigen“ anschlossen. Und das im klaren Gegensatz zur CDU: Merkel hatte als Oppositionsführerin nichts Eiligeres zu tun, als nach Washington zu reisen, um Bush mitzuteilen, dass mit ihr an der Regierung Deutschland fest an der Seite der USA stehend den Krieg befürwortete. Merkels Beitrag damals in der „Washington Post“: „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“.
Übrigens wäre die einstige Haltung der UdSSR, gegen die anfags so übermächtige Armee Hitlers nicht zu kapitulieren und statt dessen 50 Millionen eigene Kriegstote hinzunehmen, im Sinne (nicht nur) von Matthias Rude wohl neu zu bewerten, die von Vietnam ebenso, selbst Spartacus wäre als eigentlich Schuldiger des finalen Massenmordes an den aufständischen Sklaven auszumachen; Grundgütiger.
Heinz Jakubowski
Dieser Einwand von Heinz Jakubowski wiederholt das sowjetische „Narrativ“, zeugt aber von Unkenntnis der Kriegsgeschichte. In den ersten Kriegstagen im Juni 1941 wurden deutsche Soldaten in etlichen russischen Dörfern mit Brot und Salz empfangen, man erwartete die Befreiung von der bolschewistischen Herrschaft und dass die Deutschen sich in den besetzten Gebieten nicht schlechter als im Ersten Weltkrieg verhalten. Das war auch die Erwartung großer Teile der „weißen“ Emigration im Westen. General Krasnow bot der deutschen Seite an, aus den vielen sowjetischen Kriegsgefangenen eine russische Armee zu formieren, die dies mit russischen Kräften und deutschen Waffen erreicht. Als nach kürzester Zeit jedoch klar war, dass die Deutschen im Osten einen mörderischen Vernichtungskrieg führen und nicht einen klassischen Hegemonialkrieg, gab es keine Alternative zum Abwehrkrieg gegen Nazideutschland.
„Dieser sich überlegen gebende Duktus, nur man selbst stehe auf der richtigen Seite wenn schon nicht der Geschichte, dann doch wenigstens im deutschen Schrebergarten.“ Auch wenn am Ende dieses „Satzes“ ein Punkt steht, handelt es sich nicht um einen vollständigen Satz, er enthält nämlich kein Prädikat. Mich würde interessieren, was denn mit diesem „Duktus“ geschieht oder was er macht! Wem er nach Meinung des Verfassers zugeordnet werden soll, kann man ja wohl dem Tenor seines Beitrages entnehmen. Allerdings widerlegt er sich mit diesem Beitrag selbst: jemanden Schrebergartenmentalität vorzuwerfen zeugt schon überdeutlich von dem Bewusstsein der eigenen Überlegenheit und darf wohl als überheblich bezeichnet werden. Im Übrigen, das sei zu Wohankas Entschuldigung angeführt, bedient er diese Attitüde der Überlegenheit noch mit einem gewissen Augenmaß. Andere werden da deutlicher: Als jemand, der immer mehr Waffenlieferungen kritisiert und das Fehlen jeglicher Perspektive bedauert, den Krieg zu beenden, außer durch den umfassenden ukrainischen Sieg, musste ich mir schon Schlimmeres anhören.
Ein derart überheblicher und ätzender Kommentar ist eigentlich gar keine große Erwiderung wert; deshalb nur ganz kurz eine Antwort von einer, die das Buch auch tatsächlich gelesen hat: 1. geht es bei der Rede vom „Scharnier“ darum, wie die Kriege der NATO/des Westens ideologisch legitimiert worden sind (und dafür war der Kosovo-Krieg als völkerrechtswidriger Angriffskrieg der NATO der Dammbruch für alles, was danach kam, bis hin zum Irak-Krieg), 2. bezieht sich die Aussage des Historikers Wolfrum „Ähnliches wäre für eine CDU-geführte Regierung weitaus schwieriger gewesen“ nicht auf den Irak-Krieg, sondern eben auf diesen Dammbruch, also den Kosovo-Krieg, 3. ist auch der Irak-Krieg später im Buch über die Grünen noch Thema. Dort heißt es z.B.: „Angesichts der hanebüchenen Begründungen, welche die USA vorbrachten, und der öffentlichen Meinung in Deutschland, die eindeutig gegen eine Teilnahme tendierte, entsandten Schröder und Fischer diesmal keine deutschen Soldaten. Dennoch nahm das rot-grün regierte Deutschland im Hintergrund an allen möglichen Kriegsaktivitäten teil – was Fischer in seinem Buch ‚I am not convinced: Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre‘ (2011) allerdings lediglich als ‚Beitrag zur Bündnisverteidigung‘, nicht aber als Unterstützung des Krieges verstanden wissen will.“
In ihrem Buch „Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen“ (2011) schreibt Jutta Ditfurth übrigens: „Als der Krieg im März 2003 begann, wollte man einen Kampfstiefel im Irak haben. Tatsächlich nahm das rot-grün regierte Deutschland hinter der friedfertigen Kulisse an allen Kriegsaktivitäten mit Ausnahme des Bodenkrieges teil. Deutschland war eine Drehscheibe für den Aufmarsch, den Nachschub und für die Versorgung der Kriegstruppen am Persischen Golf: rund 13 Militärstützpunkte in Deutschland, Überflugrechte, deutsche Flug- und Seehäfen als Umschlagplätze für Kriegsmaterial, US-Kommandozentralen in Stuttgart und Heidelberg (…). Mitglieder des Bundesnachrichtendienstes halfen bei der Vorbereitung der Bombardierung Bagdads.“
Bei solch einem platten und niveaulosen Kommentar fragt man sich schon, wer hier eigentlich mental im deutschen Schrebergarten steht…
Zu Matthias Rude „Die Grünen und der Krieg“
Tja, die Grünen, haben sie sich tatsächlich gewandelt? Oder sind sie nicht vielmehr geblieben, was sie immer schon waren: in gut- bis großbürgerlichem Umfeld sozialisierte Besserwisser mit linksliberalem Anstrich, die das Privilegiertsein sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen haben. Mit dem Sendungsbewusstsein besser als alle zu wissen, was gut ist für die Menschen und die Welt haben sie sich als Teil der 68er Studentenbewegung in den lächerlichsten Spontidebattierclubs lange gegenseitig bis aufs Messer bekämpft, später wenig Berührungsängste mit den Machenschaften der RAF erkennen lassen, umso mehr ihre Verachtung gegenüber tatsächlich sozialen Bewegungen, beispielsweise den Gewerkschaften, vor sich her getragen, schließlich aber realisiert, dass man mit dem entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund und ein paar fortschrittlich klingenden Lippenbekenntnissen in der Gesellschaft der Bundesrepublik der 90er hervorragend reüssieren konnte.
Das Intermezzo eines mit „Turnschuhen“ im Bundestag auftretenden Fraktionsvorsitzenden war schnell vergessen, auch die Mandatsrotation, die Macht bei Einzelpersonen begrenzen sollte, wurde schnell beerdigt. Stattdessen sah man die Protagonisten an ihren Karrieren werkeln und schließlich die rot/grüne Koalition begründen, die man dann vorrangig dazu nutzte, den Sozialstaat zu schleifen und ja…. Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland hoffähig zu machen. Nun sind sie genau da, wo sie herkommen: in der Mitte der Bourgeoisie.
Ein Mann namens Josef Fischer war stolz auf sein freundschaftliches Verhältnis zur amerikanischen Außenministerin und sich später nicht zu schade in den (ich glaube) Nullerjahren für den ersten elektrischen BMW Werbung zu machen.
Seine Nachfolgerin frißt ihren heutigen Vorbildern Biden und Blinken schon aus der Hand. Wann brettert sie zusammen mit Herrn Hofreiter mit dem ersten klimaneutralen Leopardpanzer durch Munsterheide?
Mit Interesse und einem gewissen Erschrecken verfolge ich die gerade im FORUM laufende Debatte über den Krieg in der Ukraine und die diversen deutschen Positionierungen. Mit aller gebotenen Zurückhaltung möchte ich auf einen Artikel Georg Wittes aufmerksam machen (Das Verhör, in: Lettre International 139; Witte ist russophober Haltungen vollkommen unverdächtig ). Es geht ihm um den Umgang deutscher linksliberaler Intellektueller mit diesem Krieg. Er stellt eine „geradezu reflexhafte Abwehr gegen eine Teilhabe am Leiden und am Kämpfen der Ukrainer“ fest. Mit „den immerselben Zwar-Aber-Argumenten: Zwar hat Russland angegriffen, aber es wurde ja auch provoziert. Zwar ist auch Russland imperialistisch, aber das ist nichts gegen NATO=USA …“. Etc.pp. Wittes Beitrag ist inzwischen einige Monate alt, aber er listet haargenau „Argumente“ auf, die man auch auf diesen Seiten en détail nachlesen kann. Und er wirft die Frage in den Raum, warum „die Verweigerung der Empathie mit dem vergewaltigten Volk zur Methode geadelt“ wird: „Es frappiert, dass manche Repräsentanten eines im weitesten Sinne als linksliberal geltenden Diskurses sich darin verkrampfen, gegen Erfahrungen immun zu werden.“
Auf einige dieser Erfahrungen hat Holger Politt hingewiesen. Sie werden inzwischen fast tagtäglich von diversen offiziellen und semioffiziellen Verlautbarungen aus der russischen Hauptstadt bestätigt.
Das Gegenteil eines Fehlers sei wieder ein Fehler, meinte einmal Blaise Pascal. Man kann die nicht nur von Georg Witte aufgeworfenen Fragen – seine Antworten muss man nicht teilen, es sind auch andere möglich – natürlich rhetorisch leicht wegwischen. Dann bewegt man sich allerdings nicht mehr auf der Ebene des intellektuellen Diskurses, sondern bedient die Abteilung Agitation und Propaganda. Da ist es dann egal, auf welcher Seite man steht. Das Ergebnis ist dasselbe.
Aber mehr Empathie, als in der Position von Olaf Müller bekundet ist, geht doch nicht: die Menschen werden nicht ermordet und die Städte sind nicht zerstört. Alles weitere ist Sache der späteren Geschichte. Dass die Sowjetunion 1991 zerfallen könnte, hatte sich 1936 oder 1945 auch niemand vorstellen können.
Herr Wolfgang Ernst, wir kennen einander nicht. Ich weiß nicht, ob und mit welcher Inbrunst Sie in jungen Jahren Lieder wie „Spaniens Himmel“, das „Moorsoldatenlied“, „Bandiera rossa“ oder gar die „Partisanen vom Amur“ gesungen haben. Mit der von Ihnen hier mitgeteilten Position sollten Sie sich das heute auch in Momenten sentimentalster Anwandlungen verkneifen. Aber vielleicht war das auch Ironie, und ich habe die bloß nicht erkannt. Dann bitte ich vorab um Entschuldigung.
Allerdings kenne ich etliche Leute, die so etwas durchaus ernst nehmen – und dennoch bei vielen herzzerreißenden Freiheitsliedern das berühmte Tränlein im Auge haben. Gerne auch mal ein Blümchen niederlegen. Natürlich nur bei den „richtigen“ Toten. Bei den anderen geht man vorbei. Ich finde das schäbig.
Zur Freiheit nur soviel: Zu den wohl nachhaltigsten Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem weltweiten Untergang des „realen Sozialismus“ gehörte auch, dass eine bessere Gesellschaft ohne individuelle Freiheitsrechte nicht überlebensfähig ist. Das wird zunehmend von Vielen offenbar vergessen. Statt dessen scheinen im „linken“ Diskurs wieder Leute die Überhand zu gewinnen, deren geistige Ahnen schon im Helsinki-Prozeß sowohl im Vorfeld als auch in der danach erfolgenden propagandistischen Umdeutung der KSZE-Schlussakte äußerst clever zwischen den diversen „Körben“ unterschieden und eine Rangfolge aufmachten. Die Leute um Putin machen sich noch nicht einmal diese Mühe. Die räumen alles ab. Und das wollen Sie tolerieren?
Bei uns im evangelischen Kindergarten wurde neben christlichen Liedern „Zehn kleine Negerlein“ gesungen. Und „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“.
Eine Erinnerung
Der Spiegel-Redakteur Markus Brauck hat in der aktuellen No. 13 einen Text veröffentlicht unter der Überschrift: „Die weiße Fahne. Gehört der Pazifismus wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte?“ Darin heißt es angesichts des Ukraine-Krieges: „Der Pazifismus hat es in Deutschland gerade doppelt schwer. Ehemals Überzeugte haben sich verbittert abgewendet. Unter ihnen viele Grüne, Linke, Sozialdemokraten, die früher gern ihre Städte zu atomwaffenfreien Zonen erklärten und den Wehrdienst verweigerten.“ Die letzten verbliebenen Fürsprecher dagegen, jedenfalls „jene, die den Diskurs in der Öffentlichkeit dominieren, predigen indes einen schwer erträglichen Fundamentalpazifismus, der ebenso rasch über das Leid der Ukrainer hinweggeht, wie er politisch naiv ist“.
Anlass für Braucks Text ist ein Reclam-Bändchen des Berliner Philosophen Olaf Müller, das 2022 erschien und den Titel hat: „Pazifismus. Eine Verteidigung“. Fazit des Artikels ist ein Zitat von Müller: „Vergleichen wir die tatsächliche Belagerung Mariupols mit einer gleichartigen Belagerung Krakaus (der geliebten Heimatstadt meiner Frau) oder Berlins (des Wohnortes unserer vierköpfigen Familie, den insbesondere unsere zwei Töchter über die Maßen lieben). Ich finde: In allen Fällen soll sofort die weiße Fahne gehisst werden. Besatzung & Fremdherrschaft sind ein Übel, keine Frage, jedoch nicht irreversibel. Die Auslöschung dieser Städte ist bzw. wäre ein viel gravierenderes Übel. Die vernichteten Kulturschätze wären für immer dahin, die Toten werden nicht wieder auferstehen.“
Das erinnerte mich daran, dass ich genau dies in Blättchen No. 9/2022 geschrieben hatte: „Als 1968 die sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten, hatte der dort verantwortliche Verteidigungsminister befohlen, dass die tschechoslowakischen Truppen in den Kasernen bleiben. Niemand wurde erschossen, keine Stadt in Kämpfen zerstört. Als zwanzig Jahre später der politische Umbruch erfolgte, konnten sich alle Lebenden daran beteiligen.
Im August 2021 flüchtete der afghanische Präsident Aschraf Ghani aus Kabul und alle höhnten ob seiner Feigheit im Angesicht der Taliban. Aber vielleicht war er der größte afghanische Patriot, weil er ein neuerliches Blutbad verhinderte. Auch dort können alle, die jetzt nicht erschossen wurden, in zehn oder 15 Jahren Akteure eines politischen Neuanfangs werden.
Im Grunde ist Defätismus für beide Seiten, die russische wie die ukrainische, der einzige vernünftige Ausweg, der den Umständen des 21. Jahrhunderts gemäß ist.“
Daraufhin meldeten sich auch im Blättchen-Forum die „ehemals Überzeugten“ und beschimpften mich, ich wolle Putin in die Hände spielen. Nun taucht der Gedanke – ein Jahr später – in der bürgerlichen Mainstream-Presse, die ansonsten auf Kriegspropaganda getrimmt ist, als ernstzunehmende Denkfigur wieder auf. Die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts legen das nahe.
Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nachfolgend aus einem Blättchen-Text zitiere, den ich selbst geschrieben habe:
„Jürgen Grässlin muss man nicht kennen. Und das trotz der Zuschreibung, er sei der ´bekannteste Pazifist und Rüstungsgegner des Landes´. Als solcher war er Gegenstand eines Textes in einer der letzten Ausgaben eines Nachrichtenmagazins. Ein Reporter begleitete ihn über Monate und schreibt, Grässlin sei gegen jeden Krieg; auch gegen solche, die den Segen der UNO hätten und solche, die das Völkerrecht brächen. Sozusagen als Quintessenz Grässlinschen Denkens kommt der Autor des Beitrages zum Schluss, ´Grässlin hätte wohl auch Adolf Hitler gewähren lassen…´“.
Es ist schon bemerkenswert, zu welch verstiegenem Urteil Blättchen-Autor Erhard Crome sich da hinreißen lässt. Hier sei deshalb noch einmal auf Ernst Bloch verwiesen, der 1938 vor München eindringlich gemahnt hatte, Hitler an den Grenzen des Landes der Tschechen und Slowaken mit militärischen Mitteln zu stoppen. Und zur Erinnerung: Es gibt auf unserem Kontinent Völker, die mit der Erfahrung leben, nach schlimmen Niederlagen wieder „herausgeholt“ zu werden, Belgien und die Niederlande wären hier zu nennen. Aber es gibt auch die anderen, die schmerzlich erfahren mussten, zumindest für eine sehr lange Zeit nicht wieder „herausgeholt“ zu werden. Ein weites Feld, ich weiß, aber es lohnt, hier nicht alles über den einen Leisten zu schlagen. Gute Lektüre dazu darf übrigens mit Friedrich Engels einsetzen, dessen vor kurzem im Blättchen ausgewiesener Text aus dem Jahre 1890 („Die auswärtige Politik des russischen Zarentums“) noch einmal ausdrücklich empfohlen sei.
Pazifismus, Defätismus oder „berechtigter Verteidigungskrieg“?
Ich finde im Gegensatz zu Holger Politt Erhard Cromes Aussagen alles andere als verstiegen. Verstiegen sind doch wohl eher Äußerungen westlicher Politiker, auch der deutschen Außenministerin, die darauf abzielen, „Russland“ zu „ruinieren“ oder auch eine tragfähige europäische Nachkriegsordnung gegen Russland aufbauen zu wollen. Crome und der von ihm zitierte Olaf Müller haben Recht:
Jeder Tod, jede Zerstörung im Krieg ist irreversibel.
Die weiße Fahne zu hissen rettet Leben (und Ressourcen).
Wer überlebt, kann an Veränderung/Verbesserung der Situation mitarbeiten.
Einige ergänzende Fragen bzw. Anmerkungen:
Wer bestimmt in der Ukraine, ob Krieg das „richtige Mittel“ gegen den putinschen Angriffskrieg ist?
Wurden dazu die Menschen in der Ukraine gefragt?
Wer hat „wehrfähigen Männern“ die Ausreise verboten und zwingt sie zu kämpfen?
Für was sterben die Menschen in der Ukraine?
Für ihre eigene Freiheit?
Für den Profit von Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall?
Für unser bequemes Leben hier?
Wie ist denn „unser westliches Wertesystem“zu beurteilen, von dem Baerbock, Strack-Zimmermann, Hofreiter, Klingbeil, Scholz und andere schwärmen? Von welcher moralischen Warte argumentieren diese Herrschaften denn? Was treiben denn diese „Werte“ für Blüten?
Einige Beispiele:
Krieg im Irak, der von der Bushadministration vom Zaun gebrochen wurde und dem Land bis heute nicht mehr als andauernden Bürgerkrieg und Tote gebracht hat, aber keine rechtsstaatliche Ordnung, wie versprochen wurde,
ähnliche Situation in Afghanistan: ein Land nach der Kapitulation der „Überbringer der westlichen Werte“ regiert von den Taliban, die ursprünglich vom CIA gegen die Sowjetunion aufgepäppelt wurden und nun das Land mit mittelalterlichen Methoden unterdrücken, wobei die Menschen, die guten Glaubens mit den „Heilsbringern“ aus Washington, London, Paris und Berlin kooperierten, von diesen schnöde im Stich gelassen und nun von den alten und neuen Machthabern als „Kollaborateure“ verfolgt werden,
Syrien: ein Land, dessen Bevölkerung versucht sich eines verbrecherischen Diktators zu entledigen, in dem die zarten Blüten demokratischer und emanzipatorischer Strukturen zwischen russischen Truppen und türkischen Natotruppen mit deutschen Panzern zerstört werden,
Kriegsverbrechen der USA und anderer in Afghanistan und im Irak und Verfolgung von Journalisten und Whistleblowern, Beispiel Assange und Snowden, die Kriegsverbrechen offengelegt haben, bis zur persönlichen Vernichtung eines Julian Assange, der auch den zur staatstragenden Partei avancierten Grünen kein Wort mehr wert ist,
tausendfache Tode auf den Flüchtlingsrouten in die Länder des „westlichen Wertesystems“,
faktische Rettungsverbote im Mittelmeer mit absichtlichem Ertrinkenlassen von Menschen,
Abschiebungen in Länder, in denen die Menschen dann in Gefängnissen landen und gefoltert werden,
soziale Ungerechtigkeiten, Menschen, die nicht menschenwürdig leben können und Kinder, die in Armut und ohne realistsche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben in den Ländern der „Westlichen Wertegemeinschaft“ aufwachsen müssen,
ein Wirtschaftssystem, das immer noch den Fokus auf ungebremstes Wachstum und maximale Rendite legt, statt auf die Rettung des Klimas,
Innenpolitiker aller Coleur, die Menschen kriminalisieren, weil sie sich gegen den Klimawandel stemmen und gleichzeitig asozialen Geldsäcken erlauben, mit 250 km/h und schneller über die Straßen zu rasen.
Wer also profitiert von dem heldenhaften Einsatz der Menschen in der Ukraine? Für wen sterben sie? Für sich selbst? Das wäre absurd! Für die Freiheit ihrer Mitmenschen, damit diese in einem System, das die oben beschriebenen Krebsgeschwüre hervorbringt, leben dürfen? Wollen die das überhaupt? Oder doch eher dafür, dass in den Vorstandsetagen des Big Business die Champagnerkorken knallen? Der Lärm der Geschütze auf den Schlachtfeldern dringt ja nicht in die schallisolierten Paläste dieser Schmarotzer!
Stephan Wohanka:
„Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nachfolgend aus einem Blättchen-Text zitiere, den ich selbst geschrieben habe“
Entschuldigung angenommen, nur warum machen Sie das?
Als ich die „Bemerkung“ über den „kw-Vermerk für Clara Zetkin“ gelesen hatte, stieg in mir spontan die Frage auf: Wer ist gleich noch mal Oberbürgermeister in besagtem Tübingen? Sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion schicken.
Kinder ermorden Kinder. Deutsche sogenannte Fußballfans machen in Italien der Tradition ihrer Urgroßväter von der Waffen-SS alle „Ehre“. Die nächste Finanzkrise wirft ihre Schatten voraus. Die Inflation verliert kaum an Wirkung. Der Krieg in der Ukraine rückt jetzt direkt in das Verhältnis zwischen den USA und Russland und vergrößert die Weltkriegsgefahr.
Der Fäulnisprozess des Spätkapitalimus weitet sich schneller aus, als 1990 gedacht. Unter einer gewissen intellektuellen Perspektive musste das erwartet werden. Es wird uns aber alle treffen.
1989/90 ist zunächst der sowjetisch geprägte Sozialismus in Europa krachend gescheitert, in sich zusammengefallen. Wenig später löste sich die Sowjetunion auf, auch sie hielt als eine morsche Konstruktion dem Sog der westlich geprägten Zivilisation nicht mehr stand. Wieso sollte nun Putins schmutziger Krieg gegen die Ukraine – der in allererster Linie von politischer Ohnmacht im Kreml zeugt – einen kommenden Untergang des Westens anzeigen? Die Schlussfolgerung scheint mir sehr weit hergeholt. Vielleicht ist hier aber lediglich der Wunsch ein Vater des Gedankens!
Das verstehe ich nicht. Meine Anmerkung war systemisch gemeint. Russland und sein unseliger Krieg sind Teil des faulenden Spätkapitalismus. Dort fault er nur anders, als in Westeuropa und Nordamerika.
Am Schlagendsten illustrieren natürlich Kinder, die Kinder ermorden, den Fäulnisprozess des Spätkapitalismus.
Wer sind die „Schwurbler“?
In der umsichgreifenden suizidalen Kriegshysterie unser Massenmedien und ganzer Politikerriegen aller Farben, finden sich dann immer noch einige, die vehement dabei sind alles noch weiter auf die Spitze zu treiben. So bezeichnet Biermann unlängst die beiden Wissenschaftler Precht und Welzer als „Secondhand Kriegsverbrecher“ weil sie es zu recht gewagt haben, die herrschende Einseitigkeit der Medien in Sachen Berichterstattung zum Ukrainekrieg zu kritisieren.
Nach der Friedenskundgebung am 27. Februar meldete sich ungefragt der Wahlirokese Sascha Lobo zu Wort und bezeichnete die Organisatoren und Teilnehmer als „Friedensschwurbler“!
Da schickt die Heute Show-Redaktion des ZDF ihren „Spassmatzel“ Fabian Köster zur besagten Friedensdemonstration um die Teilnehmer zu diffamieren und der Lächerlichkeit Preiszugeben, damit aber zu zeigen, dass sich die Sendung ebenfalls in die Reihen derer aufgemacht hat, den USA Mächtigen in den Allerwertesten zu kriechen.
Dann gibt es einen öffentlich rechtlichen Sender MDR der in einer Fakt-Sendung mit Vehemenz versucht eine Allianz zwischen den Initiatoren der Friedenskundgebung und der AFD einschließlich weiterer Rechter Kräfte zu zimmern.
Von dem gleichen MDR wird der Praktikant Jakob Kluck beauftragt den 69 Erstunterzeichnern des Manifestes für Frieden in Mc Carthy- Manier Fragen zu stellen, die an Dreistigkeit kaum zu überbieten sind.
Auch die Mitglieder der parteiübergreifende Stahlhelm-Fraktion des Deutschen Bundestages allen voran Strack Zimmermann, Hofreiter, Kiesewetter u. a. melden sich heulend zu Wort.
In diesem Reigen darf der „Undiplomat Melnyk nicht fehlen. Er bezeichnet die beiden Initiatorinnen des Manifests als „Handlanger Putins“!
Vom Mainstream gesteuerten Massenmedien werden jene frenetisch gefeiert, die als Erstunterzeichner der Manifestation nach dem verleumderischen Medienrummel weiche Knie bekommen haben und ihre Unterschrift zurückzogen.
Die Aufzählung solcher plumpen und fadenscheinigen Versuche der Diskriminierung und Verfälschung eines einfachen Friedensgebots kann man beliebig fortsetzen. Die inzwischen fast 750 000 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen des Manifestes für Frieden sind aber aus dem politischen Alltag der Bundesrepublik nicht mehr weg zu leugnen. Wer sind nun die „Schwurbler“ Herr Lobo?
Fazit: Aus allen diesen Diffamierungsversuchen spricht nackte Angst der mächtigen Meinungsmanipulierer in unserem Land, dass mit dem „Manifest für Frieden“ und der am 27. 02. 2023 stattgefundenen Kundgebung am Brandenburger Tor eine neue Friedensbewegung aus der Taufe gehoben wurde. Mein Wunsch, sie möge im Interesse aller und Angesichts der kreuzgefährlichen Weltsituation weiter wachsen, weil sie das Gegenteil von „Schwurbeln“ ist, sie ist zu tiefst logisch im Sinne der Erhaltung des Weltfriedens.
Ich bin Mitunterzeichner des Manifestes für den Frieden und Teilnehmer an der Friedenskundgebung am 27. 02. 2023
In der Kollektion der Staats-Schwurbler wäre noch Dieter Nuhr hinzuzufügen. Er nannte Sahra Wagenknechts Position am vergangenen Donnerstag „national-sozialistisch“.
Meine Kritik am Manifest für Freiheit in Europa und warum ich es nicht unterschreiben kann
Allen, die dieses Manifest als Erstunterzeichner unterschrieben haben, unterstelle ich, dass auch sie keine Kriegseskalation wollen.
Auch dieses Manifest hat erstaunlicherweise den gleichen Mangel wie das Manifest für den Frieden: weder zum Völkerrecht, noch zu den Menschenrechten und auch zum Grundgesetz von 1990 und auch nicht zum KSZE Schlussdokument wird eine bewusste Beziehung hergestellt.
In all diesen Dokumenten wird eine klare juristische und moralische Orientierung an die Staaten gegeben, wie ein friedliches Zusammenleben der Staatsvölker organisiert werden kann.
Dieses „Manifest für Freiheit in Europa“ ist kein Manifest gegen den Krieg, weil es nicht einmal Bezug nimmt zum Beginn dieses Angriffskrieges Russland gegen die Ukraine im Jahre 2014.
2014 waren 100 Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges.
Begeistert zogen deutsche Staatsbürger zum Töten und selbst getötet werden in den Krieg.
2014 waren auch 75 Jahre nach dem organisierten Kriegsanlass auf den Sender Gleiwitz. Wieder zogen kriegsbegeisterte deutsche Staatsbürger in den Krieg und läuteten mit dem Überfall auf Polen den 2. Weltkrieg ein.
Die wichtigste Lehre aus diesem 2. Weltkrieg: Nie wieder Krieg. Verbot aller Angriffskriege. Die Grundgarantie für ein friedliches Zusammenleben aller Staatsvölker im Inneren wie auch nach außen. Festgeschrieben im Völkerrecht von 1945.
Grundorientierung im Grundgesetz der alten Bundesrepublik Deutschland von 1949.
Beibehalten auch für die Gestaltung des Neuen Deutschland ab 1990.
Artikel 26 des Grundgesetzes kriminalisiert kriegsförderndes Verhalten: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
Und in der Präambel des Grundgesetzes, dass allen folgenden Artikeln vorangestellt ist, findet sich für alle heute in Deutschland lebenden Menschen folgende Verhaltensorientierung:
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Diesen globalen Blick teile ich voll und ganz.
Diesen globalen Blick vermisse ich im oben genannten Manifest.
Ich bezweifle, ob die Logik eines europäischen Friedenshauses mit Ausschluss des territorial größten europäischen Landes, Russland, überhaupt nachhaltig tragfähig sein kann.
Wer tatsächlich glaubt, dass durch eine Verlängerung des Krieges Leben und Gesundheit, also die Würde des Menschen, geschützt wird, lebt in einer geistigen Welt, zu der mir auf Grund meiner Bildung und Erziehung der Zugang fehlt.
Dennoch sind wir deutschen Staatsbürger gezwungen, den Zugang zueinander suchen.
Was natürlich erschwerend ist, wenn man meinen Glauben an eine friedliche aber nicht konfliktfreie Welt respektlos und dämonisierend behandelt.
Deshalb ist es für mich eine mentale Zumutung, wenn von einer europäischen Friedensordnung gesprochen wird, in der die Menschenrechte in ihrer Ganzheit willkürlich dem politischen Tagesgeschehen angepasst werden.
Dieses Manifest für Freiheit in Europa kann ich wegen noch größerer Wirrnis zur Einheit von Krieg und Frieden nicht unterschreiben.
Eine der schlimmsten Wirrnisse ist die Gleichsetzung von Hitler mit Putin, die keiner macht aber einer Siegermentalität in der Kriegswahrnehmung innewohnt.
Hitler allein hat ebenso wenig den 2. Weltkrieg geplant wie Putin allein keinen 3. Weltkrieg planen kann. Aber sein Angriffskrieg trägt diese mögliche Eskalationsstufe in sich, wenn der Ukrainekrieg grenzüberschreitend wird und aus dem völkerrechtsgesicherten ukrainischen Verteidigungskrieg militärische Gegenschläge und Angriffe auf russisches Territorium beginnen.
Die UNO ist gefragt
Der Mensch ist das am HÖCHSTEN entwickelte TIER. Die Einen helfen als Mediziner Menschen zu helfen und zu heilen. Andere entwickeln und produzieren Waffen und Munition, damit Menschen ermordet werden- Soldaten sind Mörder- und Ihre Auftraggeber , Befehlshaber/ Regierungspräsidenten auch ! Also: WER sind die GUTEN und wer sind die Bösen ? Wenn man in Western Germany für Frieden und Kriegsende auf die Straße geht, wird man von den deutschen Medien als BÖSE verurteilt ! Ergo : Tier bleibt Tier ????????????? , also ab in den Tod, demnächst in diesem Theater „BRDNATOUSA“ ! HORA aus Dresden, bin 87 Jahre alt und habe als 8-jähriges Kind 1945 das Kriegsende in Berlin erlebt. Nie wieder !!!
Sehr geehrter Herr Arndt,
Sie sind 87 und ich bin 75. Unsere Art, die Welt zu betrachten ist bei aller wesentlichen Verschiedenheit doch auch die Gleiche. Nie wieder Krieg, Aggression und destruktive Gewalt im Zusammenleben der Menschen.
Es stimmt optimistisch, dass das „Manifest für den Frieden“ von A. Schwarzer und S. Wagenknecht immer noch unterschrieben wird trotz aller berechtigter und destruktiver Kritik: vom 10.02.23 bis heute – 02.03.23 unterschreiben ununterbrochen Menschen, die sich dem Anliegen dieses Aufrufes verpflichtet sehen, das nie wieder Krieg zwischen uns Menschen sein soll.
Von 61 Erstunterzeichnern ist der jetzige Stand am 02.03.23 um 17.02 Uhr auf 725.286 angewachsen und dieser Prozess scheint nicht aufzuhören trotz all den Angriffen gegen Wagenknecht und Schwarzer und bewussten Missinterpretationen der Einheit von Frieden und Krieg.
Wir zwei sind also nicht allein mit unserer Auffassung, dass Menschen ohne Feindbild in der Lage sind zu begreifen, dass die Gestaltung eines konstruktiven Weltfriedens die wichtigste Bedingung ist, um die weltweite Forderung nach nie wieder Krieg einzulösen.
Auch die Sehnsucht der meisten US-Amerikaner nach einem Leben in einer friedlichen Umwelt ist eine Tatsache, so dass ich ihre Wortschöpfung BRDNATOUSA als sehr unglücklich ansehe, weil sie einem Antiamerikanismus Vorschub leistet der die Aufmerksamkeit weglenkt von der verhältnismäßig kleinen Gruppe US-Amerikaner, die die politische Hauptverantwortung tragen für die Durchsetzung eines Feindbildes, dass im Kern einer Dämonisierung von uns Menschen gleichkommt. Erschütternd ist nur, wie wirksam diese US-amerikanische Minderheit in den Staaten der Welt eine Gefolgschaft findet, die sich von der europäischen Aufklärung, so wie sie Kant erklärt, verabschiedet hat.
Ich danke Ihnen und bin froh, dass es unter den katholischen Christen – so interpretiere ich ihr Wort HORA – Gläubige gibt, die für den Erhalt der Schöpfung keinen Krieg als notwendiges Mittel betrachten.
Sollte ich das missinterpretiert haben, korrigieren sie mich. Aber das ändert ja nichts an der Forderung friedliebender Menschen, dass Krieg kein Mittel ist, unser gemeinsames Zusammenleben und unsere gemeinsame Umwelt zu gestalten.
Und hier sind wir beide raus. Wir haben keinen Einfluss darauf, dass heute die Verteidigung der Staaten gegen den Geist des Völkerrechts und der Menschenrechte betrieben wird untermauert mit der Lüge, dass offensive Verteidigungsstrukturen der Staaten dem Weltfrieden dienen. Tatsächlich aber kreieren sie eine destruktive Weltfriedensordnung, in der jeder einzelne Krieg in sich ein Eskalationspotential entlang der modernen Waffensysteme entfalten kann bis hin zur Vernichtung des europäischen Kontinents infolge eines ungebremsten Ukrainekrieges.
Glauben wir zwei und die Millionen, die möglicherweise das Manifest für den Frieden unterschreiben, dass wir damit die Gewissen der Politiker in Aufruhr versetzen können, damit diese sich endlich der Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung zuwenden? Denn die Regierungspolitiker haben die politische Macht von ihren Staatsbürgern erhalten, diesen Schritt zu gehen. wenn sie es gemeinsam wollen.
Ich bleibe skeptisch aber nicht hoffnungslos, dass die Vernunft der „mündigen Bürger“ in der bürgerlichen Elite vielleicht doch noch triumphieren kann und sich im ersten Schritt auf defensive Verteidigungsstrukturen ihrer Staaten einigen können. Dass das geschehen muss ist offensichtlich zwingend, aber wann das geschieht und ob das geschieht ist offen.
Der Ukrainekrieg ist für alle rd. 200 Staaten die große Chance, im Interesse ihrer Staatsbürger im Sinne der Schaffung defensiver Verteidigungsstrukturen zu verhandeln. Das Ergebnis könnte den Traum von „Nie wieder Krieg“ zur weltweiten sozialen Wirklichkeit werden lassen.
Eine Minderheit ist dagegen aber eine Mehrheit dafür.
Herr Arndt, ich hoffe sie sehen mich nach meinen philosophischen Ausflügen noch an ihrer Seite.
Meine Kritik am Manifest für den Frieden und warum ich es unterschrieben habe
Das Manifest ist gegen den Krieg in seiner Einheit von Angriffskrieg und Verteidigungskrieg.
Das verstehe ich als das Grundanliegen des Manifestes für den Frieden. Was ich jedoch kritisiere ist der fehlende Bezug zum Völkerrecht (1945) und zu den Menschenrechten (1948) sowie zum Schlussdokument der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 01.08.1975. Alle 3 Dokumente beinhalten das gleiche Anliegen des Manifestes für den Frieden: eine Weltfriedensordnung mit abnehmender Kriegsgefahr zu gestalten.
Das aber ist im Kern die Entmilitarisierung der Sicherheit im Zusammenleben aller Staatsbürger, im Staat selbst als auch zwischen den Staaten. Diese umfassende und komplex strukturierte Aufgabe der Entmilitarisierung der Sicherheit ist der zentrale Bezugspunkt einer wertebasierten Innen- und Außenpolitik der 200 UNO-Mitgliedstaaten.
Jede Staatsregierung – und nicht der Kanzler in Deutschland allein, sondern alle Regierungsmitglieder sind verantwortlich für die Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung. Ergänzt durch die innerstaatliche Bildung und Erziehung zu einer Bereitschaft für friedliche Konfliktlösungen in all unseren zwischenmenschlichen Beziehungen.
Mit diesen Bedingungen wären die Chancen für die Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung wesentlich günstiger. Hielten sich alle Staatsbürger in Deutschland an das Grundgesetz dieses Staates, würde jeder Staatsbürger sein individuelles Gewaltmonopol für ein konstruktives Zusammenleben im deut-schen Staat als auch zwischen den Staaten einsetzen. Das aber ist nicht die Wirklichkeit in Deutschland.
Eine am Völkerrecht und den Menschenrechten orientierte wertebasierte Innen- und Außenpolitik aller Staaten macht eigentlich Kriege unmöglich.
Bis heute wird das staatliche Gewaltmonopol zur Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung mit tiefgreifendem Abbau von Kriegsgefahren nicht umfassend genutzt. Dieser Ist-Zustand muss als destruktive Weltfriedensordnung bezeichnet werden.
Diese destruktive Weltfriedensordnung wird die Einpassung und die Anpassung in den natürlichen Prozess des Klimawandels nicht nur erschweren, sondern letztlich unmöglich machen.
Ein Manifest für den Frieden bleibt missverständlich, wenn in ihm diese hier genannten Bezüge zur UNO und zur KSZE nicht eindeutig als Bezugspunkte herausgehoben werden. Denn nur in diesem politischen Ordnungsrahmen kann die vorhandene destruktive Weltfriedensordnung überwunden werden.
Und das schließt vor allem auch ein Angebot an sichere Lohnarbeitsplätze in anderen gesellschaftlichen Bereichen für alle im militärisch-industriellen Bereich arbeitenden Menschen mit ein. Einschließlich der Arbeiter in den Streitkräften als Soldaten und Zivilangestellte.
Solange aber Feindbilder als Projektidee zum Ausgangspunkt von Planung, Vorbereitung und Realisierung von Streitkräften genutzt werden, die ihre Kriegsführungsfähigkeit zu mehr nutzen sollen als nur zur Landesverteidigung, solange wird eine grenzüberschreitende und raumbesetzende Kriegsführungsfähigkeit von Streitkräften eine reale Kriegsbedrohung bleiben und die gegenseitige Wahrnehmung als Feind bleibt weiterhin die Quelle von Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen.
Der Krieg als Ganzes ist und bleibt ein komplexes Verbrechen am Individuum Mensch. Und die Feindbilder bleiben die geistige Quelle dieses Verbrechens. Der Anfang vom Ende eines Kriegsgeschehens ist das Angebot eines Feindes an den anderen Feind.
Wenn von Russland kein Angebot kommt, dann muss die NATO ein Angebot an Russland machen: Russland in die NATO aufnehmen. Und gleichzeitig natürlich auch die Ukraine. Die Feinde in die NATO integrieren, um sie in Partnerschaft für eine neue Weltfriedensordnung zur Zusammenarbeit zu zwingen.
Warum findet sich diese Forderung nicht im Manifest für den Frieden?
Das wäre eine Forderung, die ich unbedingt dem Manifest hinzufügen würde.
Jene, die gestern in Berlin für den Frieden gegen die NATO und die USA demonstriert haben, jene, die nichtmal planen, auch auf dem Roten Platz in Moskau für Frieden zu demonstrieren, sollten mal nach Bosnien reisen (Bin grade von dort zurück.): Wenn sie versuchen würden, den Bosniern zu erklären, daß es ein Fehler war, sich unter die Hegemonie der NATO und der USA zu begeben, was schließlich mit dem Dayton-Abkommen zum Frieden führte, wenn sie versuchen würden, den Bosniern, Montenegrienern, Kroaten zu erklären, sie sollten die Investitionen der „bösen Kapitalisten“ nicht annehmen, könnten die Antworten, die sie vor Ort erhalten, ihren Verstand ein wenig wieder grade rücken. Interessant ist, daß immer, wenn man sich mit Einheimischen in Bosnien – mit Bosniaken, Kroaten, Serben – unterhält, die irgendwann die Bemerkung einflechten, wie friedlich sie nun zusammenleben. Und die 2-Mark-Münze zeigt auf der Rückseite eine Friedenstaube.
Jeder weiß natürlich auch, warum Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer und jene, die ihnen folgen, an die westlichen Politiker appellieren und nicht auch an Putin & Co. Jeder weiß, was einem erwartet, wenn man eine Friendensdemonstration auf dem Roten Platz in Moskau unternehmen wollte: Wenn die Demonstranten nicht gleich bei der Einreise nach Rußland festgesetzt würden, erwartet sie auf dem Roten Platz Prügel von „russischen Patrioten“, während die Polizei dabei zuschaut. Die würde sie dann anschließend verhaften und schlimmstenfalls verschwinden die Friedensdemonstranten als „ausländische Agenten“ für ein paar Jahre in einem russischen Gefangenenlager.
Sehr geehrter Herr Lothar W. Pawliczak,
unbenommen ob die Redaktion sorgfältig oder – wie Sie etwas tollkühn unterstellen – nicht sorgfältig gearbeitet hat, gesteht sie den Autoren des Blättchens zu, ihre Meinung zu ändern, ohne dass sie widerrufen müssen oder andere Bekenntnisse abzugeben haben. Ich halte das für eine ganz normale Entwicklung, zumal bei dynamischen tagespolitischen Themen. Ansonsten sind Ihre Einlassungen über die redaktionelle Arbeit nichts anderes als Vermutungen, die hier nicht weiter kommentiert werden sollen.
In die Bemerkungen des aktuellen Heftes hatte ich einen Gedanken von Albrecht Daniel Thaer aufgenommen, den ich hier der Einfachheit halber wiederholen möchte: „Meine Meinung habe ich über verschiedene Dinge in meinem Leben oft geändert und hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verstand erhält, noch mehrmals zu tun. Es freut mich immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn so komme ich in meinem Wissen vorwärts. Ich halte den für einen Toren, der in Erfahrungssachen seine Meinung zu ändern nicht geneigt ist.“
Günter Hayn markiert das Problem des in Rede stehenden Beitrages m.E. genau. Anzumerken wäre nur, dass die kritisierte Tonlage bzw. russisch-präferierte Sichtweise nicht nur ein Merkmal dieses Textes ist – sie dominiert das Blättchen, was man als Leser in summa zwangsläufig als dessen Haltung wahrnehmen muß. Fast schon kuriose Widersprüche inklusive, wie etwa diese textliche Kombination bei Sarcasticus (dessen Beiträgen merkwürdigerweise jedwedem Sarkasmus völlig abhold sind):
„Denn Moskaus heutige Sicht auf den Nordatlantikpakt, der 1949 mit der erklärten Absicht gegründet worden war, to keep the Soviet Union out (Lord Hastings Ismay, erster Generalsekretär der NATO), dürfte in erster Linie davon geprägt sein:
dass die NATO sich seit 1999 durch ihre Osterweiterung immer näher an die Westgrenze Russlands herangeschoben hat und im Jahre 2008 schließlich beschloss, auch Georgien und die Ukraine aufzunehmen. (Eine Entscheidung, die auf dem NATO-Gipfel 2022 bekräftigt worden ist.)“
Nach weiteren, durchaus zu bestätigenden Beispielen westlicher Aggressivitäten wie etwa Serbien oder Irak folgt dann als Konklusion:
„Um aber gar nicht erst missverstanden zu werden: Keiner der gravierenden, teils fatalen Fehler des Westens im Verhältnis zu Russland seit Ende des Kalten Krieges – und auch nicht deren Summe – könnte die völkerrechtswidrige Aggression gegen die Ukraine rechtfertigen.“
(Quelle: https://das-blaettchen.de/2023/01/dysfunktionale-fehlerdebatte-64381.html)
Unübersehbar, dass die einschlägigen Blättchen-Autoren solcherart Lippenbekenntnisse nur als Vehikel benutzen (siehe auch der von Hayn zitierte E. Crome), um dann den Westen im Geiste Putins wieder zum letztlichen Aggressor zu stempeln.
https://www.jungewelt.de/artikel/426240.rede-wladimir-putins-am-9-mai-2022-in-moskau.html
Lieber Heinz Jakubowski,
ständig die Frage zu stellen, ob eine bestimmte Position dem Klassenfeind oder wem auch immer dient, ist Ausdruck selbstverschuldeter Knechtseligkeit. Eine Position als solche zu vertreten, Inanspruchnahme intellektueller Freiheit.
Ansonsten bin ich auch künftig bei Karl Liebknecht: Der Feind ist der Imperialismus des eigenen Landes. Die „Vaterlandsverteidigung“ im Sinne der Zustimmung zu den Kriegskrediten, die jetzt „Sondervermögen“ heißen, ist meine Sache nicht.
Dessen ungeachtet Dir alles Gute, auch im persönlichen Leben.
Wer selber denkt, legt lediglich Lippenbekenntnisse ab und argumentiert im Übrigen im Geiste Putins … Jetzt erkenne ich das auch, werter Herr Jabubowski, und gebe mich ganz unsarkastisch geschlagen: Diesem intellektuellen Höhenflug vermag ich nicht wirklich, etwas entgegenzusetzen.
Zu Erhard Cromes „(Vor-)Kriegspropaganda“
Im Krieg stirbt als Erstes immer die Wahrheit, heißt es gemeinhin. Das ist nicht ganz richtig, ihr Sterben setzt bereits vor dem Krieg ein, sonst käme es nie zum großen Schießen. Insofern legt der Beitrag wieder manches scheinbar Vergessene auf den Tisch.
Allerdings liefert der Autor nur die halbe Geschichte, ihre „russische Seite“ blendet er vollkommen aus. Das beginnt mit der diminutivischen Bewertung des Ukraine-Krieges als „einen Regionalkrieg“ russischerseits – während der Westen wie gehabt einen Krieg zur Verdrängung Russlands „als relevante Macht aus der internationalen Politik“ führe. Das ist nichts anderes als die unreflektierte Übernahme der russischen Position. Vor genau einem Jahr las sich das beim selben Autor noch ganz anders: „Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine bricht mit diesem sowjetischen Erbe und kann nur als offener Bruch des Völkerrechts qualifiziert werden, als Versuch Russlands, Krieg ‚als Werkzeug nationaler Politik‘ zu benutzen“ (E. Crome: Russischer Imperialismus, Das Blättchen 6/2022). Da war nicht die Rede von regionalen Auseinandersetzungen, sondern von imperialem Gehabe. Selbst „regionale“ Scharmützel – allein die Bilder der seinerzeitigen Panzerkolonnen beim Vormarsch auf Kiew führen solch Einschätzung ad absurdum – wären auf dem Territorium eines selbstständigen, international, auch von Russland anerkannten Staates vollständig illegitim und mitnichten zu verteidigen.
Aber genau das macht der Autor. Er begründet faktenreich, dass „der Westen“ – welch propagandagetränkte Begriffsfindung! – alles getan habe, „um die Ukraine von Russland zu lösen“. Wieso von Russland lösen? Die ukrainische Republik war nie Bestandteil der russischen Föderation! Putin ließ allerdings nichts unversucht, um auf diversen Wegen nicht nur sie, sondern ein ganzes Bündel ehemals zur UdSSR gehöriger Republiken wieder an den russischen Großtanker anzudocken. Dass sich die russischen Bemühungen, in Kiew nachhaltig lenkenden Einfluss auszuüben, als Rohrkrepierer erwiesen, verschwiegt er geflissentlich. Genau diese „Flops“ hatten einen nicht unwesentlichen Einfluss auf den mentalen Standpunktwechsel vieler Ukrainerinnen und Ukrainer. Und diesem Land selektiv „Vetternwirtschaft und Korruption“ vorzuwerfen, ist eine billige Übung angesichts der vollkommen vetternwirtschafts- und korruptionsfreien russischen Zustände, so berechtigt der Vorwurf auch ist.
„(Vor-)Kriegspropaganda“ erklärt, sich mit einseitiger Propaganda zur Legitimierung eines Krieges auseinandersetzen zu wollen. Das macht der Text in eine Richtung. In der anderen ist er selber ein Stück Propagandaliteratur – „So fühlt man Absicht und man ist verstimmt“ (Goethe, Torquato Tasso).
Werter Herr Leser,
das Blättchen-Format macht es leider unmöglich, in jedem Text nochmals alles zu wiederholen, was man schon einmal geschrieben oder erklärt hat. Wenn Sie es ausführlicher wünschen, hier zwei Angebote:
https://www.eulenspiegel.com/verlage/verlag-am-park/titel/russlands-ukrainischer-krieg.html
und
https://www.youtube.com/watch?v=llyPzQ992lY
Mit freundlichen Grüßen
Erhard
Sehr geehrter Herr Hayn (Soviel Zeit muß sein.), lieber Erhard,
einer sorgfältigen Redaktion wäre sicher aufgefallen, daß einer ihrer wichtigen Autoren plötzlich mit einer Tendenz schreibt, die dem widerspricht, was er zuvor zum gleichen Thema geschrieben hat. Sie hätte dann wohl den Autor vor Veröffentlichung des neuen Textes gefragt, wie das möglich ist und ob er ältere Texte damit widerrufen will, ihn auf jeden Fall zu mehr Klarheit aufgefordert. Da dies anscheinend unterblieben ist, ist wohl nicht nur Herr Hayn, vielleicht noch so manch anderer erstaunte Leser nun – gelinde gesagt – irritiert. Ich bin es, mit Verlaub, nicht. Analysen politischer Prozesse und der Handlungen von Regierungen haben – wie jede Analyse mit seriösem Anspruch (Ich vermeide hier das Wort „wissenschaftlich“, obwohl es hier hingehört.) – ohne vorausgesetzte moralische Bewertungen zu erfolgen. Staaten haben bekanntlich Interessen und Regierungen versuchen die durchzusetzen – außer wohl neudeutsche Regierungen, die nicht mehr zu wissen scheinen oder nicht wissen wollen, was die deutschen Interessen sind. So haben auch die USA Interessen, auch Rußland. Dabei ist dann weiter zu analysieren, auf welche Art und Weise Staaten – im Vergleich z.B. diese beiden – diese Interessen durchzusetzen suchen. Da gibt es deutliche Unterschiede. Ich hatte schon (siehe weiter unten) auf den Unterschied zwischen Hegemonialmacht und Imperialherrschaft verwiesen. Wenn es auch bei den USA gelegentlich imperiale Bestrebungen gibt – Imperialherrschaft wie sie seit dem ersten Zaren Iwan IV., während der ganzen Zarenzeit, unter Stalin und nun unter Putin angestrebt wird, kann man aber bei den USA wohl nicht feststellen. Erst wenn man dies unterscheidet und auch die Eigeninteressen anderer Staaten in Betracht zieht – die Ukraine ist ebensowenig wie die Baltischen Staaten oder andere Länder gezwungen worden, sich um die Aufnahme in EU und NATO zu bemühen und sich damit unter den Schutz einer „westlichen“ Hegemonie zu begeben – kann man zu einem angemessenen und dann auch moralischen Urteil kommen. Die Entwicklung in Osteuropa und insbesondere in der Ukraine als Resultat imperialer Bestrebungen der USA zu deuten, nämlich Russland „als relevante Macht aus der internationalen Politik” zu verdrängen, setzt voraus, was dann bewiesen werden soll: Der Ukrainekrieg sei ein Stellvertreterkampf zweier Imperien. Übrigens: Die Propaganda von Putin & Co behauptet genau dies, ja mehr noch: Es sei ein Abwehrkampf der guten russischen Kultur gegen die böse westliche.
Deswegen bin ich ja auch – gelinde gesagt – nicht irritiert. Erhard Crome hat mit seinem jüngsten Text nur die Katze aus dem Sack gelassen, die beim Lesen früherer Texte darin schon laut schnurrend wahrzunehmen war.
Zum Sarcasticus-Beitrag in der aktuellen Blättchen-Ausgabe zur Frage, ob Deutschland im Ukraine-Konflikt bereits Kriegspartei sei: Der Autor erwähnt, dass die Zielzuweisungen für erfolgreiche ukrainische Raketenangriffe gegen russische Ziele seitens der USA erfolgten. Das hat gerade ein Beitrag der Washington Post (9. Februar) bestätigt – unter der Überschrift: „Ukrainische Raketenkampagne auf US-Zielgenauigkeit angewiesen“. Darin heißt es u.a.: „Ukrainische Beamte erklärten, dass sie für die überwiegende Mehrheit der Angriffe, bei denen ihre fortschrittlichen, von den USA bereitgestellten Raketensysteme zum Einsatz kommen, Koordinaten benötigen, die von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten bereitgestellt oder bestätigt werden – eine Praxis, die bisher nicht bekannt war und die eine tiefere und operativ aktivere Rolle des Pentagons in diesem Krieg erkennen lässt. Die Offenlegung, die von drei hochrangigen ukrainischen Beamten und einem hochrangigen US-Beamten bestätigt wurde, erfolgt, nachdem die Kiewer Streitkräfte monatelang russische Ziele – darunter Hauptquartiere, Munitionsdepots und Kasernen – auf ukrainischem Boden mit dem von den USA bereitgestellten HIMARS-Raketensystem … und anderen ähnlichen präzisionsgelenkten Waffen wie dem M270-Mehrfachraketen-System beschossen haben.“ Und ein hochrangiger ukrainischer Vertreter wird mit der Bemerkung zitiert: „Sie (die USA) kontrollieren ohnehin jeden Schuss.“
Wer nachlesen möchte: https://www.washingtonpost.com/world/2023/02/09/ukraine-himars-rocket-artillery-russia/.
Rußland sucht seine Nachbarstaaten in Abhängigkeit zu halten und führt Kriege, um seine Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport zu sichern, die einen erheblichen Teil der Staatseinnahmen ausmachen: https://www.youtube.com/watch?v=Eo6w5R6Uo8Y
Betrifft Beitrag „Mehr linke Phantasie in die politische Praxis“ von Gerd-Rüdiger Hoffmann
Der Autor bemerkt dort zum Beitrag „Ernst Bloch – 1938“, dass in dem Beitrag Blochs „große Begeisterung für die patriotische Haltung der Tschechoslowakei 1938 auch für den aktuellen Bezug zur von Russland überfallenen Ukraine taugen“ solle. Nun habe ich noch einmal nachgeschaut und staune: Keinerlei Hinweis findet sich in dem Text auf die Ukraine, auf Russland und auch nicht auf Wladimir Putin. Es ist eine kurze, gleichwohl saubere Darlegung der Position Ernst Blochs in einer für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs überaus wichtigen Frage. Da ist nichts Verfälschendes hinzugefügt, nichts weggelassen worden, was verfälschen würde.Insofern erübrigt sich der ausgesprochene Vorwurf des „Hantierens mit Bloch-Zitaten“.
Holger Politt
Pazifismus heute
oder
Eine konstruktive Weltfriedensordnung bedroht die Zukunft des Krieges und alle Arbeitsplätze zur Planung, Organisierung und Durchführung von Angriffskriegen
Das Nachfolgende ist meine alternative Antwort zu Stephan Wohankas Artikel „Pazifismus heute“ in Nr. 3 / 2023 des Blättchens.
Pazifismus als Gattungsbegriff umfasst alle Menschen, die in ihrer Grundhaltung als Kriegsgegner den Krieg als Einheit von Angriffskrieg und Verteidigungskrieg ablehnen.
Krieg ohne diese Einheit ist nicht zu haben und der wirkliche Krieg im Ganzen umfasst immer diese beiden Formen von Kriegsführung.
Sie sind gleichbleibend oder nachhaltig wesensgleich:
Menschen töten und die Infrastruktur des Feindes töten.
Diese Wesensgleichheit aller Kriege hat sich bis heute nicht geändert und wird sich auch in der Zukunft nicht ändern.
Das Gemeinsame ist die gegenseitige Wahrnehmung als Feind.
Der Pazifismus, in welcher Form auch immer, kommt ohne entmenschlichtes Feindbild aus. Einige Pazifisten versteigen sich sogar zu der abenteuerlichen Formulierung eines gewaltfreien Widerstandes gegen aggressive Staaten und/oder aggressive Menschen in ihrer historisch wesentlichen Erscheinung als Staatsbürger.
Die Idee eines gewaltfreien Widerstandes jedoch ist absurd, weil es keinen gewaltfreien Menschen als Individuum geben kann. Alle ernstzunehmenden Denker und politisch Engagierten, die einen gewaltfreien Widerstand propagierten (Gandhi, King, Rosenberg uva) hatten dabei immer die Abgrenzung zum aggressiven, intoleranten und menschenfeindlichen Widerstand im Zentrum ihres Denkens.
Einer der bekanntesten Pazifisten, Albert Einstein, nutzte seinen Bekanntheitsgrad, um das Manhattanprojekt auszulösen, das bis in die Gegenwart den Anfang der nuklearen Abschreckung bildet.
Die Geschichte der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen in der Neuzeit hat seinen Ursprung in Deutschland. Der deutsche patriotische Wissenschaftler Fritz Haber suchte und fand für den Kriegseinsatz gegen die französischen und britischen Feinde das Chlorgas, von BASF produziert und in Ypern am 22.04.1915 von deutschen Angriffskriegern erfolgreich eingesetzt.
Aus temporaler Sicht ist das Kürzel ABC-Waffen falsch. Richtiger wäre von CBA-Waffen zu sprechen.
Warum braucht man Massenvernichtungswaffen?
Diese Frage ordnet sich der Frage unter, „Warum Krieg?“, die 1932 Einstein an Freud stellte. Ein Briefwechsel, der für alle Friedenswilligen aus Gewissengründen (alle Pazifisten) genauso aktuell verhaltensorientierend ist wie vor 89 Jahren. Der Begriff Alle Pazifisten schließt die militanten Pazifisten ein, zu denen sich auch Einstein selber zählte. (vgl. Albert Einstein „Für einen militanten Pazifismus“ in: Albert Einstein, Sigmund Freud „Warum Krieg? – Ein Briefwechsel, Mit einem Essay von Isaac Asimov“; Diogenes 1972).
Ich war Fallschirmjäger. Ich war und bin militanter Pazifist und ich hasse den Krieg. Ich hasse nicht die Soldaten der Streitkräfte, von denen der buddhistische Pazifist Thich Nhat Hanh aus den Selbsterfahrungen im Vietnamkrieg sagte, dass die Soldaten aller Streitkräfte Verführte ihrer Regierungen sind, wenn sie als Menschen verführt wurden, sich gegenseitig umzubringen.
Das eint alle Pazifisten – den Krieg zu hassen und das Kostbarste aller Menschen – ihr Leben – mit aller Macht zu verteidigen und das Wertvollste jedes Lebens – die Gesundheit- zu schützen.
Nicht ein einziger Krieg kann diese Aufgabe erfüllen. Ob symmetrisch oder asymmetrisch – jeder Krieg ist ein sozialer Brennpunkt der wie alle sozialen Brennpunkte überwunden werden muss weil es heute notwendiger ist als gestern.
Sind wir 8 Milliarden Menschen in der Lage, uns dem Klimawandel anzupassen ohne Kriege gegeneinander zu führen?
Das zu beantworten übersteigt die 4000 Zeichengrenze.
Die Geschichte unseres individuellen Gewaltmonopols beginnt mindestens 4 Millionen Jahre vor der Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols und der Durchsetzung von Minderheitheitsinteressen.
Was ist der Begriff des Krieges?: Krieg ist zu definieren (als – J.H.) eine besonders gewalttätig organisierte Form des Raubes. Ich unterstelle dabei Raub als Gattungsbegriff (Genus proximum), der eine Handlung bezeichnet, bei der mit Gewalt fremdes Eigentum als Raubgut entwendet wird. Man wird dagegen einwenden, es gäbe doch Verteidigungskriege, gerechte Kriege. Ich meine, der Verteidiger leistet Eigentums(erhaltungs)arbeit und ist kein Krieger: Ähnlich wie ein Hammer als Werkzeug oder Mordinstrument dienen kann, dient eine Waffe bzw. ein Soldat entweder zum Krieg=Raub oder zur Verteidigung=Eigentumserhaltung. Der Koch, der die Erbsensuppe in den Kühlschrank stellt, daß sie nicht verdirbt, der Schäfer, der Hunde abrichtet, daß sie die Herde zusammenhalten und bewachen, der Bauer, der das Feld umzäunt und Vogelscheuchen aufstellt, daß die Saat und die Pflanzen nicht von Tieren weggefressen werden, der Schild-/Spießbürger oder Söldner, der an/auf der Grenz-/Stadtbefestigung wacht und kämpft, leistet Erhaltungsarbeit. Koch, Schäfer, Bauer, Schildbürger führen keine Kriege, sondern sie verteidigen das Ihre.
Zu Erhard Cromes Imperialismus-Argumentation empfehle ich, über den Unterschied einer Hegemonialmacht gegenüber einer Imperialmacht nachzudenken und vor allem zu lesen Ulrich Menzel „Die Ordnung der Welt. Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt“ (Berlin 2015) sowie Bruno Schönfelder „Der Fluch des Imperiums“ (Berlin 2022) und den Artikel von Erich Weede in der F.A.Z. vom 30.01.2023 „Warum Russland arm bleibt“
Zu: „Auf den Kanzler kommt es an“ – (?) von Herbert Bertsch
Das Buch „Wie Demokratien sterben“ der Autoren Ziblatt und Lewitsky zitierend sowie „ die Hauptfragestellung“ Ziblatts „Wird die liberale Demokratie global überleben?“ aufnehmend schreibt Herbert Bertsch: „´Unsere Demokratien´ haben Antworten dazu zeitlich verschoben, auch nach außen delegiert, durchaus auch mit Erfolgen bei dieser Art Krisenbewältigung: […] Ein erfolgreicher Dauerbrenner für die Funktion als Feindbild war seit 1917 die Sowjetunion, mit jähem Ende. Gorbatschow hat ´den Demokratien´ – auch eigensüchtig – den Feind weggenommen, mit allen, auch weltweiten Nebenwirkungen“.
Ergo und verkürzt – Gorbatschow ist Schuld daran, dass die liberalen Demokratien ins Trudeln geraten sind, da er ihnen den „Feind weggenommen“ hat.
Ich will das gar nicht in Abrede stellen. Besagter Ziblatt veröffentlichte ein Jahr vor „Wie Demokratien sterben“ – nämlich 2017 – das Buch „Conservative Parties and the Birth of Democracy“ (Konservative Parteien und die Geburt der Demokratie). Darin sagt Ziblatt: „Ich argumentiere in diesem Buch, dass die Demokratien auf eine lange Tradition solider, gut organisierter und pragmatischer konservativer Parteien angewiesen waren, um überlebensfähig zu sein“. Das Buch ist eine Studie über die Ausformung, Konsolidierung und den phasenweisen Zusammenbruch demokratischer Staatsformen zwischen 1850 und 1950, sich hauptsächlich auf Untersuchungen zu Deutschland und England stützend. Der Schweizer Journalist Daniel Binswanger zieht folgendes Resümee: „Das Einzige, was eine Demokratie am Leben erhält, sind solide, vernünftige Traditionsparteien. In heutiger Zeit eine schlechte Nachricht.“ Überall dort, referiert er weiter, wo der Konservatismus mit dem rechten Populismus eine Allianz eingehe, hat letztere die Chance, die politische Macht zu erobern. Das moderne Paradebeispiel dafür sei Donald Trump, den die Republikanische Partei zwar zunächst bekämpft hatte, mit dem sie dann aber auf Gedeih und Verderb einen Pakt geschlossen habe.
Nehme ich das, so ist die Antwort auf die Frage „Wird die liberale Demokratie global überleben?“ nicht nur „nach außen delegiert“, wie Bertsch schreibt, sondern ist auch weiterhin eine höchst brisante innenpolitische Aufgabe; die Eiertänze der CDU um die AfD belegen das eindrücklich.
Sehr geehrter Herr Held,
leider akzeptiert die Redaktion keine Verlinkungen in Artikeln. Ich hoffe, es wird akzeptiert, wenn ich das hier mit einem Verweis auf meine Schumpeter-Rezension nachhole: https://www.academia.edu/44986699/Schumpeter_Rezension.
Schumpeter rehabilitiert den Unternehmer, den Marx nur als kapitalistischen Ausbeuter sah. Es ist – so Schumpeter – der Unternehmer, der aus den gewohnten Bahnen ausbricht, Neues schafft, gegen den Strom schwimmt, das Neue gesellschaftlich durchsetzt und aufgrund dessen seinen Unternehmerlohn realisiert. Schumpeters Begriff des Unternehmers (Entrepreneur) unterscheidet sich klar von der landläufigen Vorstellung vom Unternehmer: Für Schumpeter ist „Unternehmer“ ein Synonym für „Neuerer“. Der Zeitgeist kann und will mit dem Sieg des Keynesianismus und Staatsdirigismus damit nichts anfangen und hat keine Vorstellung davon, was Entwicklung ist, nämlich Entstehung von Neuem. Das ganze Gerede von klimagerechtem Wachstum, Nullwachstum, Postwachstum, Degrowth geht an der ökonomischen Wirklichkeit vorbei. Niemand scheint sich die Mühe zu machen, die Werke von Schumpeter zu lesen, bemängelten Jochen Röpke und Olaf Stiller in der Einführung der Schumpeter-Schrift „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (Nachdruck der 1. Auflage von Joseph A. Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung hg. und ergänzt um eine Einführung von Jochen Röpke und Olaf Schiller. Berlin 2006 S. IX). „Die herrschende ökonomische Lehre bietet nichts an, um die Entwicklung zu erklären oder anzustoßen“. (Gunnar Sohn: Wenn Volkswirtschaften in Routine ersticken. In Hans Frambach u.a. (Hg.): Schöpferische Zerstörung und der Wandel des Unternehmertums. Zur Aktualität von Joseph A. Schumpeter. Marburg 2019 S. 521)
Es ist unverkennbar, daß ich mit meiner Schumpeter-Rezeption Peter Ruben, dessen Aufsätze auch als PdF im Internet zu finden sind (https://peter-ruben.de/index.html), und Ulrich Hedtke (https://schumpeter.info/) folge.
Sehr geehrter Herr Pawliczak,
ich habe Ihren Artikel mit Anregung gelesen. Die Innovation, nach Schumpeter an den „guten“ Unternehmer geknüpft kommt im allgemeinen Diskurs sehr wenig vor, weder befürwortend noch wiederlegend. Diese Thema treibt uns, meine Frau und mich ebenfalls um. Weniger um des verflossenen Sozialismus willen, der weder innovativ noch menschlich war, nicht einmal zu seinen „führenden“ Arbeitern und Bauern. Es ist bei uns eher die Projektion nach vorn, also der Blick auf Bildung, Gesundheit, Forschung, Klimawende in unserem Land. In diesen zentralen Feldern der Wissensgesellschaft verlassen wir uns auf einen Staat, fordern wir von einem Staat der nach Luhmannscher Bauart keineswegs innovativ sein kann und soll. Wir verlassen uns nicht nur, nein wir fordern, wir setzen Ultimaten, kleben uns fest… Es ist nicht die Polemik, sondern eher die (weitergedachte) Antwort auf den Schumpeter. Aber Ihr Artikel ist schon mal eine gute Grundlage.
Wir haben bekanntlich einen Bundeskanzler, der sich von nichts und niemandem treiben lässt (O-Ton Scholz: „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.“, RedaktionsNetzwerk Deutschland, 15.04.2022) und dessen Befürworter immer noch seine Besonnenheit loben („Scholz …: Gute Führung durch Nachdenklichkeit“, NRZ, 25.01.2023).
Sollte Russland den Ukraine-Konflikt gleichwohl trotzdem zum Dritten Weltkrieg eskalierten, dann wäre es deutscherseits zumindest Apokalypse mit Ansage gewesen:
„Scholz bleibt dabei: Keine Waffen für Ukraine“, ZDF, 06.02.2022.
„Scholz stellt klar: Keine Panzer für die Ukraine“, Frankfurter Rundschau, 02.11.2022.
„Scholz stellt klar: Keine Kampfjets und Truppen für die Ukraine“, Bayerischer Rundfunk, 25.01.2023.
Man kann ja von Scholz halten was man will – namentlich in der „Waffenfrage“.
Ihm jedoch eine Aussage in Sachen Waffenlieferung vom 06.02.22. anzukreiden; das heißt von vor dem 24.02.22, also vor dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine, ist doch etwas dürftig.
Lieber Ulrich Busch, meine 1923-Retrospektive stellt keine Parallelen zur Gegenwart her und sollte auch keine Ängste schüren. Sie erinnert an ein Schicksalsjahr deutscher Geschichte vor hundert Jahren, das in nicht geringem Maße dazu beigetragen hat, dass in Deutschland wie in keinem anderen Land Inflationsängste historisch tief verwurzelt sind. Die Lage ist nun leider so, dass es bei den von den gegenwärtigen Preissteigerungen besonders Betroffenen gar keines „Angstschürens“ bedarf; sie haben wohl auch ohne geschichtliche Kenntnisse existenzielle Sorgen genug. Ansonsten stimme ich Ihrem Kommentar natürlich zu.
zu Jürgen Leibiger in Nr. 2/2023:
Seit dem Sommer 2021 ist in Deutschland, im Euroraum und in der Welt ein rasanter Preisanstieg zu verzeichnen. Dieser betrifft insbesondere die Energieträger, bestimmte Rohstoffe und Agrarprodukte. Inzwischen wurden von der Teuerungswelle durch sogenannte Zweitrundeneffekte aber auch andere Produkte und Dienstleistungen erfasst, so dass die bis dahin vorherrschende deflationäre Tendenz als überwunden angesehen und von einer Rückkehr der Inflation gesprochen werden kann. Zufällig trifft dieser Prozess zeitlich mit dem 100. Jahrestag der Hyperinflation in Deutschland, Österreich, Ungarn und anderswo zusammen. Die Koinzidenz beider Ereignisse legt es nahe, die retrospektive Betrachtung der „großen Inflation“ im Lichte der inflationären Prozesse der Gegenwart vorzunehmen, wie auch umgekehrt, die aktuelle Inflation anhand der Erfahrungen der Hyperinflation von 1922/23 zu bewerten. Dabei fällt auf, dass es hier sowohl Parallelen als auch signifikante Unterschiede gibt. Insgesamt aber dürften die Differenzen überwiegen, was eine Gleichsetzung beider Prozesse ausschließt und Befürchtungen, die darauf hinauslaufen, die aktuelle Inflation könne früher oder später in eine Hyperinflation übergehen, unbegründet erscheinen lässt. Durch die Retrospektive werden jedoch mitunter böse Erinnerungen an den „Zahlenirrsinn“ von vor einhundert Jahren geweckt, kollektive Ängste geschürt und besorgniserregende, den Preisanstieg eher noch befeuernde Erwartungen in Hinblick auf die Zukunft erzeugt. Es ist daher zu begrüßen, wenn die Ursachen, Verläufe und Folgen beider Inflationsprozesse jeweils genau analysiert und daraus politische und ökonomische Schlussfolgerungen gezogen werden.
Zu: Politische Klasse im Blick von Waldemar Landsberger
Der Autor schreibt anhand des von ihm besprochenen Buches von Wolfgang Bosbach: Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können, Folgendes: „Und spätestens hier erwischt Bosbach dann auch die Bundesregierung beim Heucheln. Die Linkspartei hatte angefragt, aus welchen Quellen der in die Bundesrepublik importierte Strom komme. Die Regierung antwortete im Januar 2021, das wisse sie nicht. Allein im ersten Quartal 2021 waren die Stromimporte insgesamt gegenüber dem Vorjahreszeitraum um über 18 Prozent gestiegen, darunter aus der Tschechischen Republik um 220 Prozent; mengenmäßig liegt nach wie vor Frankreich vorn. Dort kommt Elektroenergie überwiegend aus Kernkraftwerken, in Tschechien zu 75 Prozent aus Kern- und Kohlekraftwerken“.
Diese Zahlen sind insofern unredlich, als das sie ein falsches Bild erzeugen; nämlich das eines – „allein im ersten Quartal 2021 waren die Stromimporte insgesamt gegenüber dem Vorjahreszeitraum um über 18 Prozent gestiegen“- stromimportierenden Landes.
Jedoch über das Jahr 2021 hat Deutschland wesentlich mehr Strom exportiert als importiert; das Saldo betrug 17,4 Terrawattstunden! Der Import, auch französischen Atomstroms und tschechischen Kohlestroms, machte 36,6 Twh, der Export 57,0 Twh aus. Exportiert wurde so auch ein gewichtiger Anteil von Strom – und das ist der springende Punkt – aus erneuerbaren Energien. Die gesamten Stromerzeugung hierzulande betrug im Jahr 2021 rund 505,3 TWh, wovon 42,6 Prozent (215,4 TWh) durch erneuerbare und 57,4 Prozent (289,9 TWh) durch konventionelle Energieträger erzeugt wurden. Zu unterstellen ist, dass die Exporte aus diesem Mix stammen.
Warum macht sich Herr Landsberg nicht die Mühe, die zitierten Zahlen zu hinterfragen? Passen sie (zu) gut in ein Bild? Zumindest in eines des Herrn Bosbach.
Zu: Die neue Militärmacht – auf dem Wege zur Hightech-Armee von Wilfried Schreiber
Der Autor schreibt: „Inzwischen hat China mit zwölf seiner 14 Nachbarn auf dem Festland alle Grenzfragen final gelöst und mit acht Nachbarn Verträge über Freundschaft und Kooperation abgeschlossen. Kern der chinesischen Außenpolitik ist Ringen um Friedliche Koexistenz im Sinne einer multipolaren Weltordnung bei voller Unterstützung der Vereinten Nationen“.
Interessant ist die Feststellung, dass China alle Grenzfragen „auf dem Festland“ gelöst habe; auf dem Meer sieht die Lage offensichtlich diametral anders aus. Nicht nur, dass China immer wieder damit droht, Taiwan mit Waffengewalt zu erobern, wenn dieses sich nicht freiwillig dem „Mutterland“ anschließe. Dabei war Taiwan nie Bestandteil der Volksrepublik China.
Auch die sogenannte Neun-Striche-Linie oder auch Nine-Dash-Line signalisiert Pekings Entschlossenheit, Grenzen auf dem Meer abzustecken. Von Hainan, der Provinz im Süden Chinas, die aus verschiedenen Inseln besteht und deren größte ebenfalls Hainan heißt, bis zum südlichsten Punkt der Linie vor den indonesischen Natuna-Inseln sind es mehr als 1700 Kilometer. So markiert China etwa 80 Prozent des Südchinesischen Meeres für sich, durch das auch wichtige Routen des internationalen Seehandels verlaufen. Jede Landkarte in China hat die Linien nun eingezeichnet, immer wieder übt das Land auch auf andere Staaten und Unternehmen Druck aus, die Grenzführung zu übernehmen.
Der Internationale Schiedsgerichtshof wies zwar vor Jahren Chinas historische Argumentation in einem viel beachteten Streitfall zwischen Peking und Manila zurück. Das hat aber keine Wende in der maritimen Politik Chinas angestoßen. Im Gegenteil: Der Drang, durch künstliche Inseln und Verwaltungsverordnungen möglichst rasch Fakten zu schaffen und Nachbarn durch Seemanöver einzuschüchtern, scheint einen neuen Schub bekommen zu haben. Auch ungeachtet der Tatsache, dass nach gültigem Seerecht künstliche Inseln nicht gleichbedeutend mit natürlichen Landformungen sind.
Ein „Ringen um Friedliche Koexistenz“ sieht wohl anders aus…
Es ist immer möglich, einen Akteur als Agressor darzustellen, indem man einzelne Punkte herausgreift und den ganzen Kontext weglässt. Im Falle des südchinesischen Meeres liefert dieses Video https://www.youtube.com/watch?v=ISHHe1Hu6d4 Infos, wieso „China da einen auf dicke Hose macht“ (so der Blogger Fefe am 16.10.2022 [1]). Das Video ist m.E. etwas nervig gemacht, aber wenn man das aushält, erfährt man einiges an Kontext. Wer das nicht durchhält, findet beim unten verlinkten Blogeintrag zwei erläuternde Sätze.
Bei der Bewertung muss man auch berücksichtigen, bei wem es um existenzielle Interessen geht, und wer nur einen Vorteil behalten/ausbauen möchte, aber auch gut anders klar käme. Und angesichts des Vorschlags aus dem Umfeld der US-Navy, sogar Piraterie zu fördern [2], um den chinesischen Seehandel zu stören, erscheinen mir die chinesischen Sorgen keineswegs unberechtigt.
[PS: Weil ich nicht weiß, ob die Thread-Anzeige hier im Forum verlässlich funktioniert: Dies ist eine Antwort auf den Kommentar von Stephan Wohanka vom 5.1.2023.]
[1] https://blog.fefe.de/?ts=9db535aa
[2] https://www.usni.org/magazines/proceedings/2020/april/unleash-privateers
Sehr geehrter Herr Daletski,
nennen wir doch die Dinge beim Namen. Wenn also China quasi 90 Prozent des Südchinesischen Meeres für sich beansprucht, sind laufende Streitereien, ja militärische Konflikte mit den anderen Anrainern zwangsläufig. Beispiele dazu finden sich leicht im Netz. China verstößt also permanent gegen die UN-Seerechtskonvention von 1982, die es selbst unterzeichnet hat. Diese Konflikte in der Region verunsichert viele Anrainerstaaten. Deshalb hat beispielsweise auch Australien seine U-Boot-Flotte massiv vergrößert, und auch andere Staaten rüsten auf… wohl alles – wie ich schrieb, keine Beiträge zur friedlichen Koexistenz.
Nun weisen Sie auf mehrere Links hin. In dem erstgenannten englischsprachigen Video wird übrigens anschaulich grafisch gezeigt, wie sich die Ansprüche der Anrainer überschneiden. Der Blogger Fefe bringt es auf den Punkt: „Für China ist das die wichtigste Importroute für Energie, und die wichtigste Exportroute für alle Güter. Für die Chinesen ist das also existenziell wichtig, dass diese Route frei bleibt, insbesondere auch dann, wenn irgendjemand mal einen Krieg gegen China führen möchte, denn ansonsten könnte man über eine Blockade der Straße von Malakka einmal Chinas Wirtschaft runterfahren, und das beinhaltet deren Rüstungsindustrie“. Dass es auch um natürliche Ressourcen geht, ist auch klar.
Wenn es also um Chinas „existenzielle Interessen“ geht, betreibt das Land eine nationalistische Großmachtpolitik gegen seine maritimen Nachbarn. Und ahmt den us-amerikanischen Imperialismus nach; weiteres Machtstreben gegen Machterhalt. Sind die „chinesischen Sorgen“ nicht anders lösbar? Durch eine sicherheitspolitische Kooperation mit ASEAN-Staaten? Oder ist da schon zu viel Porzellan zerschlagen?
Bei „Fefe“ ist auch noch zu lesen: „Ja aber Fefe, die (Chinesen – St. W.) foltern doch die Uiguren! Ja. Das ist ein Problem. Aber auch das hat uns in anderen Ländern nicht gestört. In Saudi Arabien köpfen sie öffentlich Menschen auf dem Marktplatz. Versteht mich nicht falsch: Ich fände das super, wenn wir mal eine klare Linie gegen Folterknäste und -lager und Fanatismus insgesamt durchsetzen würden. Dann aber bitte überall“. Ja – Fefe hat recht: Der „Westen“ ist auf einem Auge blind; immer wieder misst er mit zweierlei Maß. Das macht doch aber die Lage der Uiguren nicht besser und legitimiert das Vorgehen Chinas in keinster Weise. Auch über diese „Frage“ schweigen sich die chinageneigten Medien gerne aus.
Ein letzter Gedanke: Wenn Großmächte häufig und bedauerlicherweise „großmächtig“ agieren, also repressiv, gewaltsam, in Teilen aggressiv – dann ist das so; und man sollte es sagen und schreiben.
Stephan Wohanka
zu Ulrich Knappes Anmerkungen im Blättchen 1-2023 zur Sozialismus-Kommunismus-Kontroverse:
Sehr geehrter Herr Knappe, ich danke Ihnen sehr für Ihre ausführlichen Kommentare zu den Texten von Erhard Crome und der darauf von mir erfolgten Erwiderung. Dem ganzen „Streit“ liegt eine Veröffentlichung von mir im Heft 4/2022 des Journals „Berliner Debatte Initial“, S. 77-89, zugrunde, die vielleicht erst zur Kenntnis genommen werden sollte, bevor die Diskussion fortgesetzt wird.
Ulrich Busch
Zu „Wendische Zeiten“ von Erhard Crome
Eine im Prinzip begrüßenswert differenzierte Darstellung der und Kritik an der aktuellen Außenpolitik des Bundeskanzlers, in der berechtigterweise der Name der zuständigen Ministerin, wenn ich aufgepasst habe, nicht einmal erwähnt wird. Leider gehen derartige Stimmen, die sich in ähnlicher Weise kritisch äußern zur Absens jeglicher diplomatischer Bemühungen der deutschen und der EU-Außenpolitik und zur Hinwendung zum von Biden und den USA eingeschlagenen Weg des Strebens nach Hegemonie und der Konfrontation sowohl mit Russland als auch mit China, leider also gehen diese besonnenen Stimmen immer noch unter im weitgehend undifferenzierten Kriegsgetöse, das im deutschen Blätterwald tobt.
Leider aber auch sorgt dann der Autor dafür, dass auch diese seine Stimme nicht gehört werden wird, weil er seinen Text mit einem einzigen Satz disqualifiziert:
Die Kritik an der Brutalität des russischen Militärs in Syrien, das zusammen mit syrischen und oft genug in Abstimmung mit türkischen Truppen (also mit deutschen Waffen) in brutalster Weise die Existenz eines Terrorregimes sichert gegen die legitimen Versuche der Bevölkerung, sich dieses staatlich ausgeübten Terrors zu erwehren, mit dem kalten Hinweis abzutun, dass es sich um einen Einsatz „im Einklang mit dem Völkerrecht“ handele, ist absolut unakzeptabel. In diesem vom Autor als völkerrechtskonform bezeichneten Krieg wurden unzählige Menschen getötet und Millionen vertrieben, wurde dieses Land in Schutt und Asche gelegt, wurden basisdemokratische Strukturen, Gesellschaften, die beispielsweise auch die Rechte von Frauen sicherstellten, brutal zerstört. Sich dabei auf das Völkerrecht zu berufen ist zynisch.
Sie haben recht.
Es ist zumindest eine freizügige Auslegung des Völkerrechts. De facto handelt es sich russischerseits um ein Eingreifen von außen in einen Bürgerkrieg zur Absicherung eigener Interessen – hier war der einzige Mittelmeerstützpunkt der russischen Marine in Gefahr. Natürlich geschah das „auf Bitten“ … Niemand will gerne vor der Geschichte als Aggressor dastehen. Auch der Einmarsch 1968 in die Tschechoslowakei geschah „auf Bitten“, nach Afghanistan ließ man sich „bitten“. Und wie war das mit Tschetschenien? Selbstverständlich fand seinerzeit auch die Aufnahme der baltischen Republiken in die Sowjetunion in vollem Einklang mit dem „Völkerrrecht“ statt. Komisch nur, dass die Balten das anders sehen. Aber nach derzeitiger russischer Diktion sind das eh alles nur vom Westen gesteuerte Faschisten. Man kann jetzt entgegnen, das habe nichts miteinander zu tun. Doch, hat es. Die russische Regierung betreibt durchaus eine expansive Politik. Und wie zu vernehmen war, tönte die russische Elite auf Moskauer Silvesterpartys, man werde die „russische Expansion fortsetzen“.
Die Auseinandersetzung mit der hundsmiserablen deutschen Außenpolitik habe ich mit Interesse gelesen. Dass parallel dazu das alte Muster „böser Westen“ versus „gutes Russland“ (das sich nur gezwungenermaßen „böse“ verhält) bedient wird, befremdet schon.
Ewald Schleitings Verdikt, Erhard Crome habe „seinen Text mit einem einzigen Satz disqualifiziert“, kann ich nicht so recht nachvollziehen. Dass der genannte Passus durchaus streitbar ist, wie auch Wolfgang Brauer in seiner Antwort anmerkt, steht außer Frage. Mir aber sind mit Mut und Verve „angeschobene“ Debatten allemal lieber, als weichgespülte Dispute, bei denen man sich von vornherein „über die Regeln und Waffen einig“ ist. Dann doch liene à la Goethe „grober Klotz und grober Keil“. Anders gesagt, könnte auch der Satz „Sich dabei auf das Völkerrecht zu berufen ist zynisch.“ als „sich disqualifizierend“ angesehen werden. Wenn man nicht nur die Frage stellt, „wer hat das Völkerrecht denn geschrieben?“, (das waren, soweit ich weiß, durchweg honorige Personen), sondern nach-fragt: Wer hat ihnen zwischendurch – gern auch freundlich-subtil – in die Feder diktiert?
In summa: Ganz so einfach, wie wir es gern hätten, ist es dann eben (leider) doch nicht. Umso erfreulicher ist, dass im Blättchen und in diesem Forum kraftvoll diskutiert werden darf. Und soll, wenn ich mich recht erinnere. „Disqualifikationen“, welcher Schiedsrichter (ich bin auch solcher im Sport) sie auch immer aussprechen möchte, gehören hier nur in tatsächlich „extremen“ Fällen dazu. Einen solchen kann ich beim genannten Crome-Text selbst nach mehrmaligen Lesen nicht erkennen.
Streiten wir also weiter – auf dem Spielfeld!
Gerne, Ralf Nachtmann, hier ein paar grobe Keile:
1. Es mag Ihnen als Schiedsrichter im Sport nicht so geläufig sein, deshalb gerne ein wenig Nachhilfe: Anders als auf dem Fußballplatz oder in einer anderen Sportart ist es in einem öffentlichen Diskurs nicht ein Schiedsrichter, der jemanden disqualifiziert, sondern es besteht das Risiko, sich oder seinen Text in den Augen anderer selbst zu disqualifizieren. Bezogen auf seinen Aufsatz, dessen Kritik an der „Außenpolitik“ der Bundesregierung ich im Wesentlichen teile, ist dies Erhard Crome meiner Meinung nach passiert.
So ist auch meine entsprechende Formulierung zu verstehen. Im Übrigen freue ich mich über und auf weitere seiner Beiträge im Blättchen zu diesem und anderen Themen. Es steht mir nicht zu und liegt mir fern jemanden „vom Platz stellen“zu wollen. Ebenso wie Sie schätze ich das Blättchen als einen Ort, an dem man sich ohne in persönliche Ressentiments zu versinken über linke Positionen in klarer Diktion auseinandersetzen und manchmal sogar verständigen kann.
Dass Letzteres gelingt, wäre mir übrigens mit Blick auf die aktive Politik ein Herzensbedürfnis.
2. Es ist schon eine reichlich naive, um nicht zu sagen kindliche Vorstellung anzunehmen, „das Völkerrecht“ sei von einigen „honorigen Personen“, denen wer auch immer „subtil“ oder auch nicht „in die Feder diktiert“ hat, aufgeschrieben worden.
Das Völkerrecht ist eine überstaatliche in multilateralen Verhandlungen immer wieder neu abgestimmte und abzustimmende Rechtsordnung, die sich im Wesentlichen aus der „Charta der vereinten Nationen“ speist. Subjekte des Völkerrechts sind die Staaten ( ein Land – eine Stimme ), über deren, bzw. deren Vertreter Honorigkeit man in dem einen oder anderen Fall durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann.
Entsprechende völkerrechtliche Normen werden nicht selten in UN-Resolutionen gefasst und beschlossen.
Eine wenig bis nicht umstrittene dieser Normen ist das Verbot des Angriffskrieges eines Staates auf einen anderen.
Weniger klar und nicht unumstritten ist die Frage, ob und wann es einer Macht gestattet ist, in einen innerstaatlichen Konflikt mit kriegerischen Mitteln einzugreifen. Deshalb ist auch formaljuristisch durchaus fragwürdig, ob der Kriegseinsatz Russlands in Syrien vom Völkerrecht gedeckt ist, wie Erhard Crome behauptet.
3. Wesentlich entscheidender aber als diese formalrechtliche Frage ist die moralisch rechtliche Problematik: hier wird – sry, ich wiederhole mich hier teilweise – mit dem formalrechtlichen Argument „Völkerrecht“ die Unterstützung für ein Regime legitimiert, das mit brutalsten Mitteln, beispielsweise auch mit dem Einsatz von Giftgas, gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. In diesem „innersyrischen“ Krieg hat auch die russische Seite zusammen mit Assads Truppen ihren Anteil an unzähligen Toten, Millionen Vertriebenen, zerbombten Städten und Zerstörung von demokratischen Strukturen. Was bitteschön, Ralf Nachtmann, ist hier denn „nicht ganz so einfach“? Dieser Kriegseinsatz der Russen an der Seite eines Terrorregimes ist ein Verbrechen, dieses Verbrechen mit „Völkerrecht“ zu rechtfertigen ist und bleibt „zynisch“
Forum 2.1.2023 – zu Busch vs. Crome (2)
Ulrich Knappe hat sich in Blättchen No. 1/2023 anheischig gemacht, Anmerkungen zu obiger Debatte zu machen. Ich beschäftige mich mit dem Thema Sozialismus seit Mitte der 1960er Jahre, seit ich harte Diskussionen mit meiner sehr verehrten Großmutter hatte, die aus einer wohlhabenden „reichsdeutschen“ Familie kam, die vor dem ersten Weltkrieg in Russland gelebt hatte und mich vor dem Überlaufen zu den Bolschewisten bewahren wollte. Am Ende landete ich in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, was ich nach 1989 niemals verleugnet oder nachträglich verteufelt habe. Zu meiner Oma hatte ich trotzdem bis zu ihrem Lebensende ein sehr enges Verhältnis.
Nach der „Wende“ habe ich eine Reihe Texte zum Thema Realsozialismus und seinem Scheitern beigesteuert. Viele Anregungen kamen aus dem Kontext und dem Umfeld von „Berliner Debatte Initial“. Der Bezug auf Peter Ruben war für die damaligen Intellektuellen, die die Zeitschrift machten und hinter ihr standen, von besonderer Bedeutung.
Nun gibt es in Schriftsätzen des bürgerlichen Anwaltswesens die schöne Formel: „Mit Nichtwissen wird behauptet, dass…“. In diesem Sinne teilt Herr Knappe mit, von Ruben nichts wirklich gelesen zu haben. Da will ich gern aushelfen. Zum Reinarbeiten in die philosophische bzw. theoretische Problematik zu Sozialismus und Kommunismus unter der Voraussetzung von Gemeinschaft und Gesellschaft empfiehlt sich zunächst Band 2 von Rubens Gesammelten philosophischen Schriften (Berlin: Verlag am Park 2022), hier die Seiten 125-147, 160-194, 257-271, 363-383, 577-620 und 656-660. Ergänzend noch Band 4, Seiten 103-139 und 244-273. Danach können wir weiter diskutieren.
Das ist schon eine recht interesssante Diktion, derer sich Erhard Crome hier bedient: Jemand „macht sich anheischig“ in eine Diskussion einzugreifen. Diese Begrifflichkeit impliziert die Unterstellung, dass dieser jemand damit überfordert ist. Auch die Behauptung, er befasse sich seit Mitte der 60iger Jahre mit dem Thema Sozialismus läßt aufhorchen: Darf nur mitreden, wer sich ebenso lange damit beschäftigt hat? Nein er ist großzügig und vergibt Hausaufgaben. Gnädigerweise ist er bereit mit jemandem zu reden, der die angegebenen Textstellen gelesen hat. Wie großmütig! Wann ist Examen?
„Die beste Idee der Vereinigten Staaten von Amerika“
Die Nationalparks sind, in der Tat, eine gute, eine tolle Sache. Das untermauert der faktenreiche Artikel von Jürgen Hauschke. Aber, ach, diese beste Idee kommt daher mit einem bitteren arsenischen Tropfen: Die Vereinigten Staaten von Amerika zeigen sonstwo auf dem Globus wenig bis gar keinen Respekt vor Mensch, Tier und Natur. Vor 50 Jahren, zum Beispiel, begannen die Flächenbombardements der US-Luftwaffe in Vietnam. Gefolgt von der Vernichtung ganzer Urwälder und Naturlandschaften (Stichwort: agent orange) in diesem Land. Da ist nichts von der zweifellos großartigen Idee der Lincoln, Grant und Roosevelt übriggeblieben.
Zu: Der Hunter-Biden-Laptop und US-Wahlen von Petra Erler
Frau Erler hält die Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf 2016 zugunsten Trumps für Propaganda; sie habe nicht stattgefunden.
Wie ist auf diesem Hintergrund die Einlassung Jewgeni Prigoschins – wohl vom 07.11.22 – zu werten, der über eine russische Einmischung in US-Wahlen sprach? Laut dem Online-Netzwerk VKontakte respektive seinem Unternehmen Concord erklärte er: „Wir haben uns eingemischt, wir mischen uns ein und wir werden uns weiterhin einmischen. Sorgfältig, genau, chirurgisch und auf unsere eigene Weise, da wir wissen, wie es geht“.
Frau Erler schreibt: „Tatsächlich wurde Trump zum Katalysator einer permanenten Verschlechterung des Verhältnisses USA-Russland. Wichtige Elemente der US-Russland-Beziehungen gingen zu Bruch: der Mittelstreckenwaffenvertrag, der Open-Skies-Vertrag. […] Trumps fundamentales ´Verbrechen´ bestand darin, dass er in einer Frühphase des Wahlkampfes 2016 und später noch ein paar Mal verbal darauf bestand, dass gute Beziehungen zu Russland gut wären. Das setzte die ganze Operation überhaupt in Gang. […] Es gab einmal einen Wahlsieg in den USA, den niemand von Bedeutung wollte. Aber es gab auch eine ´Versicherungspolitik´ dagegen. Die bestand in der strategischen Schwächung des einheimischen Siegers, die sich mit einer strategischen Schwächung des außenpolitischen Gegners verband. Das wäre eine gute, intelligente Intrige. Frei nach dem Motto: Lasst uns alle Donald Trump herzlich hassen und bekämpfen, wo wir nur können (den kriegen wir schon klein), wenn wir nur gleichzeitig den Hass auf Russland schüren“.
Das Ganze verstehe ich nicht. Trump wollte gute Beziehungen zu Russland und die, die „in den USA von Bedeutung“ sind – dann wohl vor allem die Demokraten – wollten seinen Wahlsieg nicht und auch keine guten Beziehungen zu Russland; so weit klar. In der Chemie ist ein Katalysator ein Stoff, der – um es zu vereinfachen – eine Reaktion auslöst oder beschleunigt, ohne sich selbst zu verbrauchen. Wenn Trump also „Katalysator einer permanenten Verschlechterung des Verhältnisses USA-Russland“ war, dann hat er eine „Reaktion“ ausgelöst – nämlich eben die der „permanenten Verschlechterung des Verhältnisses USA-Russland“. Und tatsächlich – 2018 kündigte Trump den Mittelstreckenwaffenvertrag und 2020 verließen die USA unter Trump auch das Open-Skies-Abkommen. Wieso handelte Trump gegen seine eigenen Intentionen? War er den Demokraten aufgesessen?
Oft sind es ja die „kleinen Dinge“, die Freude machen. So wird in den „Bemerkungen“ zum „Holodomor“ vom „gemeinsamen Bundestagsantrag der Fraktionen von SPG, Grünen, FDP sowie CDU/CSU“ gesprochen.
Zu jener Zeit, als ich eine Weile „Frieden und Sozialismus verteidigen“ durfte, war SPG die Abkürzung für „Schweres Panzergeschütz“, das ich durchaus zu bedienen wusste. Dass dieses mittlerweile in Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag anzutreffen ist, wundert mich nicht. So ein kleiner Tippfehler zeigt manchmal eben doch die ganze schlimme Wahrheit auf. Glückwunsch!
Anmerkung der Redaktion: Wir danken für den Hinweis und bitten für die nahezu freudsche Fehlleistung um Pardon. Der Fehler selbst wurde korrigiert.
Forum 5.12.2022 – zu Busch vs. Crome
Ulrich Busch, bekannt als ernsthafter Analytiker ernsthafter ökonomischer Sachthemen, hat sich zwei meiner Blättchen-Texte vorgeknöpft. In denen geht es im Kern um Peter Ruben und seine kategoriale Bestimmung des „Kommunismus“. Busch weicht einer wirklichen Bezugnahme auf Rubens Bestimmung aus und unterstellt, ich hätte „Ross und Reiter“ nicht genannt.
Die relevanten Reiter kommen bei mir alle vor: Ruben, Marx, Stalin, zu den 1990er Jahren der Vordenker der Kommunistischen Plattform in der PDS, Michael Benjamin. Der umtriebige Slavoj Zizek schreibt viel, wenn der Tag lang ist, hat aber keinen überzeugenden neuen Beitrag zum Kommunismus geleistet, außer dass der „vor der Tür steht“. Vor 25 Jahren lautete einer der damaligen „Ostfriesen-Witze“: Was mache ich, wenn der Weihnachtsmann vor der Tür steht? Ich springe aus dem Fenster.
Mit den jungen Menschen „mit heißen Herzen und leuchtenden Augen“ habe ich auf dem Berliner Kommunismus-Kongress im September 2022 in der Tat diskutiert. Insofern hätte ich auch noch auf verschiedene Arbeiterführer (ohne Arbeiter) kommunistischer Kleinstparteien verweisen können, die dort ihr Publikum suchten. Das wollte ich mir in der Tat ersparen.
Eine wichtige Frage der spätantiken und mittelalterlichen christlichen Scholastik war die nach der Natur der Engel zwischen Gott und den Menschen. Sie wurde seit dem 6. Jahrhundert diskutiert. Im 13. Jahrhundert wurde dies zu einer Frage, die da lautete: „Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen?“ Bei einer Disputation in Paris im Jahre 1289 reichte die Zahl der Antworten von „keiner“ über 150 bis zu „unzählige“. Seit der Aufklärung im 19. und 20, Jahrhundert galten solche Fragen als Paradebeispiele absurder Gedankenspielerei.
Der Philosoph Karl Löwith beschrieb 1949 in seinem Buch: „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ den Marxismus als religiöse Heilslehre. Der letzte Antagonismus von Bourgeoisie und Proletariat entspricht dem Endkampf zwischen Christus und dem Antichrist. Die „historische Mission“ des Proletariats entspricht der des „auserwählten Volkes“ in der Heiligen Schrift. „Die universale Erlösungsfunktion der unterdrückten Klasse entspricht der religiösen Dialektik von Kreuz und Auferstehung und die Verwandlung des Reiches der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit der Verwandlung des alten in einen neuen Äon.“ Der Geschichtsprozess hin zum Kommunismus „spiegelt das allgemeine Schema der jüdisch-christlichen Interpretation der Geschichte als eines providentiellen Heilsgeschehens auf ein sinnvolles Endziel hin. Der historische Materialismus ist Heilsgeschichte in der Sprache der Nationalökonomie.“
In diesem Sinne bewegen sich Debatten, wie denn nun aus der Himmelsmechanik des 21. Jahrhunderts ein wiedergeborener Kommunismus entstehen soll, auf der selben Ebene, wie die Frage, wieviele Engelein – wenigstens zu Weihnachten – auf einer Nadelspitze tanzen.
Kollege Wohanka schreibt u.a., der „Ausstoß von Treibhausgasen – namentlich von Kohlendioxid“ müsse „auf null gebracht werden“. Dass dies schlichtweg unmöglich ist, dürfte neben dem Autor auch jedem Leser klar sein. Allein die acht Milliarden Menschen stoßen jährlich etwa 12 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus. Gewiss, allein der weltweite Kraftfahrzeugbestand bläst in etwa das 300-Fache ins Freie. Dennoch beträgt der Anteil von CO2 in der Erdatmosphäre weniger als 0.04 Prozent.
Was mich mehr stört, nicht nur bei Wohanka, ist die Auffassung, werde das „1,5-Grad-Ziel“ der „Erderwärmung“ überschritten, drohe eine Art Untergang der Menschheit. Das ist weniger als bloße Vermutung, das ist reine Propaganda. Mal ganz abgesehen davon, dass eine Existenz der Menschheit, wie wir sie kennen, in universellen Maßstäben von keinerlei Notwendigkeit begründet ist, steht m.E. zu erwarten, dass die Anpassung an geänderte Umweltbedingungen auf der Erde (zu denen nicht allein der Klimawandel beiträgt) gerade dieser hoch entwickelten Spezies weitaus schneller gelingen wird, als beispielsweise Elefanten oder Stieleichen.
Wohanka schreibt u.a. weiter, dass „die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht bloß ein frommer aber unrealistischer Wunschtraum von Öko-Freaks ist, sondern überlebenswichtig für unsere Gesellschaft“. Einen Beleg für diese These liefert er nicht. Kann er auch gar nicht, denn es gibt schlichtweg keinen. Außer in unbelegten Vermutungen (Wohanka nennt die „points of no return“ hinsichtlich des Klimawandels) und in ideologischer Propaganda, die – auch dies ist nicht neu – von (zumeist) ökonomischen Interessen geleitet ist.
Lieber Kollege Nachtmann,
das Erstere erledigt sich ganz schnell … meinen Sie wirklich, ich hätte über die „Nullemission“ das Atmen abschaffen wollen?
Der Anteil von CO2 in der Erdatmosphäre betrüge nur um die 0.04 Prozent sagen Sie. Ja – das entspricht etwa 400 ppm, wobei ppm für parts per million steht. Aber das ist irrelevant in dem Sinne, als dass es um die systematische Erhöhung (!) dieses Anteils in der Erdatmosphäre geht. Diese hängt mit der Industrialisierung der Welt zusammen: Über lange Zeiträume der vorindustriellen Ära bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts lag dieser Wert im Bereich von 280 ppm; 2021 wurde auf Hawaii erstmals eine Konzentration von mehr als 420 ppm gemessen – das ist der springende Punkt!
Der menschgemachte CO2-Eintrag beträgt zwar nur drei Prozent der jährlichen natürlichen Emissionen, jedoch werden die „natürlichen“ 97 Prozent der Emissionen von so genannten Kohlenstoffsenken wie Regenwäldern, Grasland, Ozeanen aufgenommen, so dass dieser Kreislauf geschlossen ist. Obige drei Prozent stellen jedoch eine zusätzliche Quelle für den globalen Kohlenstoffzyklus dar, von dem bislang nur etwa die Hälfte von Pflanzen, Meeren und Böden aufgenommen wird. Der Rest verbleibt hingegen in der Luft….
Ich habe zwar nicht vom „Untergang der Menschheit“ gesprochen; aber nehmen wir es als Metapher. In der Tat bin ich der Meinung, doch – wie im Text zu lesen – von „heute unabsehbaren Folgen für die Menschheit“ zu sprechen. Wenn Sie schreiben, die „Existenz der Menschheit, wie wir sie kennen, ist in universellen Maßstäben von keinerlei Notwendigkeit begründet“, kann ich das auch anders formulieren: Unserem Planeten ist es völlig wurscht, ob auf ihm die Spezies Mensch sich tummelt oder nicht. Nur mir nicht und vielen anderen auch nicht. Und sicherlich – da haben Sie auch Recht – besitzt der Mensch größere Anpassungsmöglichkeiten an globale Veränderungen als der Elefant oder die Stieleiche. Aber die Frage ist doch die wie wir zu diesen Veränderungen gelangen – ob, wie es so schön neudeutsch heißt, by design oder by desaster; also durch vorausschauendes Handeln oder durch die Umstände gezwungen. Was letztere „Anpassung“ anginge, so kann ich mir gut vorstellen, dass die Winde, die die Welt verursacht durch Corona gesaust haben, nur laue Lüftchen waren im Vergleich zu dem, was überhitzte Städte, Wassermangel, Waldbrände und dergleichen dann bewirkten.
Sie monieren meine Aussage, dass „die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht bloß ein … Wunschtraum von Öko-Freaks ist, sondern überlebenswichtig für unsere Gesellschaft“ sei und dass ich keinen Beleg dafür liefere. Wie unschwer nachzulesen ist, stelle ich meine Aussage bewusst nicht in einen Zusammenhang mit der Klimakrise, sondern in einen von der Abhängigkeit von problematischen Lieferanten fossiler Energien, die gegenwärtig noch benötigen; und zwar aus geo- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten.
Mehrmals werfen Sie mir „Propaganda“ vor… Nach dem IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Weltklimarat) Bericht vom August 2021 verläuft der Klimawandel schneller und folgenschwerer als bisher gedacht; es wird also schon in den nächsten zwei Jahrzehnten zu einer stärkeren Erwärmung kommen als bisher von Klimamodellen simuliert.
Sie enden: „Außer in unbelegten Vermutungen (Wohanka nennt die „points of no return“ hinsichtlich des Klimawandels) und in ideologischer Propaganda, die – auch dies ist nicht neu – von (zumeist) ökonomischen Interessen geleitet ist“. Sie bleiben uns schuldig, wer denn die Profiteure der „(zumeist) ökonomischen Interessen“ sind?
Zur Bemerkung von Max Klein
Werter Herr Max Klein,
Ihre Bemerkung zu meinem Text im Blättchen No. 23 (nochmals zu „Ruben und der Kommunismus!) scheint am Wesen meiner Argumentation vorbeizuschlittern. Sie verweisen auf Texte von honorigen Autoren, die Sie in Ihrem Bücherschrank gefunden haben, in denen es um Opfer des Stalinismus geht. Die Liste ließe sich fortsetzen, etwa unter Verweis auf das, was Andrej Reder kürzlich über das Schicksal seiner Eltern – deutscher Kommunisten, die in die Sowjetunion gegangen waren – veröffentlicht hat, oder Wladislaw Hedeler.
Darum geht es in meinem Text aber nicht. Das wäre, betrachtet man den Marxismus-Leninismus als eine Buchreligion und eine Weltkirche, häretische Literatur. Mir ging es um die orthodoxe Lesart. Die einzige Schule, die Josef Stalin in seinem Leben besucht hatte, war ein Priesterseminar in Tiflis. Deshalb sind seine Interpretationen von Texten von Marx, Engels und Lenin auch stets im Gestus eines Katechismus verfasst. Zugleich verstand er sich nicht nur als Partei- und Staatsführer sowie als „Vater aller Werktätigen“, sondern war auch sein eigener erster „Kirchenvater“, das heißt der entscheidende Interpret des rechtgläubigen Kommunismus Moskauer Provenienz. Die entscheidende Zusammenfassung erfolgte in der „Geschichte der KPdSU (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang“ aus dem Jahre 1938. Der wurde bereits seit Mitte der 1940er Jahre in hohen Auflagen auch in der und durch die SED verbreitet.
Darin heißt es zu unserer Thematik im Zusammenhang mit der sowjetischen Verfassung von 1936, sie verankere „die weltgeschichtliche Tatsache, dass die Sowjetunion in eine neue Entwicklungsphase, in die Phase der Vollendung des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft und des allmählichen Übergangs zur kommunistischen Gesellschaft, eingetreten ist“. Der Genosse Ulbricht hatte zwar nach dem XX. Parteitag der KPdSU (1956) für die SED festgelegt, dass Stalin jetzt „kein Klassiker mehr“ sei. Dem wollen Sie jetzt folgen.
Davon unabhängig blieben die entscheidenden Glaubenssätze – nicht nur zum kommunistischen Endzustand, auch zur Macht, zum Eigentum und zur Rigorosität des Vorgehens der Partei gegen Leute, die sie als „Feinde“ definiert hatte – aus dem „Kurzen Lehrgang“ in den Moskau untergeordneten Kommunistischen Parteien gültig, im Grunde bis 1989. Auch ohne, dass der ursprüngliche Chefinterpret und der Ursprungstext weiter erwähnt wurden. Da auch Marx sich im Sinne vom Kommunismus mit den zwei Phasen geäußert hatte, konnte sich Stalin auf diesen beziehen. Negri kommt bei mir als postmoderner Prophet vor, weil in seinem (mit Hardt) als marxistisch deklarierten Buch „Empire“ ebenfalls der Kommunismus als paradiesisches Stadium der Erlösung vorkommt, das er im Sinne von Franz von Assisi mit glücklichen Menschen bevölkern möchte, die dem Gesang der Vögel lauschen.
In diesem Sinne sind alle heutigen Bezüge auf diese Art „Kommunismus“ letztlich ein Wiederaufguss des Stalismus. Während Ruben den Blick auf eine ernsthafte sozialistische Perspektive öffnet.
Mit freundlichen Grüßen
Erhard Crome
Vielen Dank für Wilfried Schreibers interessante und wichtige Lenkung des Augenmerks auf Kasachstan, dessen mehr oder weniger diktatorischer Präsident Tokajew sich hat soeben wiederwählen lassen. Mir scheint aber, dass die „Hinwendung“ des Landes (genauer müsste man sagen: seiner wirtschaftlichen und politischen „Eliten“) auch dem Umstand geschuldet ist, dass Kasachstan in den letzten Jahren vor allem im Osten des Landes unter sehr starken Einfluss Chinas geriet, Stichwort „Neue Seidenstraße“. Dem möchte man von Astana aus mittels „West-Kontakten“ etwas entgegensetzen. Mir ist dies nur allzu verständlich, man betrachte nur die chinesischen „Investitionen“ in Nordafrika.
Werter Max Klein, was ist das für eine seltsame Bemerkung, die Sie da in der heutigen Ausgabe gegen Erhard Crome und seinen Beitrag „Eine ausgebliebene Debatte“ (Blättchen 23/2022) in Stellung bringen? Gewiss hat Stalin die Utopie des Kommunismus nahezu vernichtet. Trotzdem bleibt Fakt, dass der Despot und sein -ismus Auswuchs einer Bewegung waren, die sich KOMMUNISMUS auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Wenn aber solcher Missbrauch mit all seinen barbarischen Folgen möglich war, sollte man dann den Finger – schon im Interesse von Wiederholungsprävention – nicht immer wieder in die Wunde legen, statt quasi zu verbieten, beides miteinander in Verbindung zu bringen? Mit freundlichem Gruß, Markus Hildebraa
Werter Herr Dr. Hildebraa,
nur eine kleine Anmerkung: Das war kein „Missbrauch“, das war die folgerichtige Konsequenz dieses politischen Konstruktes, das – wie Erhard Crome richtig anmerkt – eine pseudoreligiöse Konnotierung hatte. Von der historischen Erfahrung her gab es das schon einmal: Die „grand terreur“ der Jakobiner um Maximilien de Robespierre ist im Kern bereits im „Gesellschaftsvertrag“ Rousseaus angelegt. Man braucht immer jemanden, der die „Volonté générale“ durchsetzt. Immer im Namen der deklarierten Mehrheit gegen die vermeintliche Minderheit … Und am Ende standen immer die Guillotine, die Lubjanka oder auch die killing fields. Und irgendwie auch die „Mauer“. Das liegt in der Logik dieses Ansatzes. Darüber nachzudenken hieße, „den Finger in die Wunde legen“. Diese Erkenntnis prägte einmal die noch ganz junge PDS: Zu ihrem gerne beschworenen „Gündungskonsens“ gehörte auch der Verzicht auf jegliches Avantgardedenken. Das ist allerdings lange her und (fast) in Vergessenheit geraten.
Herzlichst
Günter Hayn
Danke, Eckhard Mieder, für Ihren Text. – Und ist es nicht ein Irrsinn, dass diese (von mir von November 1969 bis April 1971 geteilte) Mot-Schützen- und „Eisenschwein“-„Chauffeur“-Erfahrung nun tatsächlich eine fürs Leben so wichtige gewordene ist? Weil sie eben wenigstens eine winzige Ahnung davon vermittelt, was dieser Krieg – und nicht nur dieser – wirklich ist?
Wenn’s nicht zum heulen wäre, könnt man nur noch lachen, auch beim Lesen von P.A. Ziegfelds hübsch giftigem Text, in dem es u.a. heißt: „Es gibt nicht nur so Robuste, wie mich, sondern auch sehr Anfällige. Die müssen wir schützen, auch vor sich selbst.“
Genau! Und deshalb wurde in Deutschland auch schon mal die „Schutzhaft“ erfunden. Deren Wiedereinführung steht, wenn ich die Neufassung des Paragrafen 130 richtig verstehe, unmittelbar bevor.
Wie gut, dass ein Großteil der Lager doch nicht, wie so oft aus bestimmten politischen Ecken gefordert, eingeebnet wurde.
Werter Herr Nachtmann, Ihre Wertung zum Beitrag von Frau Ziegfeld – d’accord. Ihre Schlussfolgerungen – Widerspruch.
Was meinen Sie mit § 130? Ich vermute, Sie beziehen sich auf das Strafgesetzbuch. Der § 130 (Volksverhetzung) des StGB ist kürzlich am 20. Oktober, gegen 23 Uhr, also zu bester Parlamentszeit, um einen Absatz erweitert worden. Bisher war das Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen nur in Bezug auf die Holocaust-Taten strafbar. Die EU-Kommission verlangt aber die Strafbarkeit auch bei anderen Völkermord- und Kriegsverbrechen. Das ist jetzt umgesetzt worden. Vielleicht lesen Sie eine Kolumne von Thomas Fischer zu diesem Thema. Fischer war Vorsitzender Richter im 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs und ist Verfasser eines jährlich überarbeiteten Standardkommentars zum Strafgesetzbuch: https://www.spiegel.de/kultur/frank-walter-steinmeiers-reise-in-die-ukraine-stil-und-sicherheit-kolumne-a-60aaea7b-1c12-4960-9af8-79fe8d5089ff
Sie spielen auf die „Schutzhaft“ durch die SS an, deren Wiedereinführung nun unmittelbar bevorstünde. Das ist sehr starker Tobak. Abgesehen davon, dass „Schutzhaft“ keine rein deutsche Erfindung ist, malen Sie einen Teufel an die Wand, der in diesem Zusammenhang völlig unpassend, zu schwarz und zu groß ist.
Was uns aber wirklich besorgt machen sollte, ist die Tatsache, dass seit wenigen Tagen in München sogenannte „Klimakleber“, die den Stachus blockiert hatten, für 30 Tage in Polizeigewahrsam genommen wurden. Das ist nach dem umstrittenen bayerischen Polizeiaufgabengesetz möglich, um vorsorglich die Begehung weiterer Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu unterbinden. Nur, Herr Nachtmann, bevor Sie wieder laut „Schutzhaft“ rufen, was man hier eher nachvollziehen könnte, der Unterschied ist: Heute ist in Bayern ein richterlicher Beschluss erforderlich, in der von Ihnen heraufbeschworenen Zeit war es die reine Willkür gegen Andersdenkende, eine richterliche Überprüfung war nicht vorgesehen.
Präventiv weggesperrte Klebe-Terroristen sind doch für die Mehrheit der Bevölkerung eine gute Nachricht. Mit Fußball-Hooligans macht man das doch schon seit langem.
An Karl Müller
Ich nehme an, Sie meinen das ironisch, auch wenn mir solche Scherze einen gewissen Magenkrampf verursachen. Es steht nur zu befürchten, dass viele diesen Witz nicht verstehen. Auch Erich Mühsam und viele andere wurden präventiv weggesperrt. Witzchen darauf gab es seinerzeit auch.
Selbst mit Richter-Vorbehalt halte ich die bayerische Regelung für ein Stück aus dem Tollhaus. Steter Tropfen höhlt den Stein.
In der heutigen Berliner Zeitung (17.10.22) lässt Daniela Dahn einen Text abdrucken; Blättchen-Lesern muss man sie wohl nicht vorstellen.
Eine Passage ihres Textes verdient besondere Beachtung: „Die Rücksichtslosigkeit der russischen Truppen bei der Eroberung der auserkorenen Großstädte (in der Ukraine – St. W.) ist allerdings bedrückend….Wie Ex-General Kujat aber betont, hängt die Unerbittlichkeit mit der bereits erwähnten Taktik der ukrainischen Truppen zusammen, sich statisch in Städten und urbanen Räumen festzusetzen – die schwerste Kriegführung. Gleichzeitig sind die Truppen nicht so beweglich und damit Ziele der russischen Artillerie, die gegen die ukrainische Armee nur kämpfen kann, wenn sie zivile Ziele angreift. Eine Armee, die vernichten will, würde nicht nur einen eher kleinen Teil ihrer Streitkräfte und modernen Waffen ins Feld führen“.
@Ulrich Busch
Der Kapitalismus ist kein sittliches Unternehmen wo der eine auf den anderen verpflichtet wäre
und Zweck die Verteilung der Güter an die bedürftige Bevölkerung
sondern ist Geldvermehrung als Selbstzweck der die Gesellschaft unterworfen wird.
Ersteres ist ideologische Behauptung, sie wird vom realen Zweck blamiert.
Es ist https://de.wikipedia.org/wiki/Gerechte-Welt-Glaube
Es gibt keine Aufgabe der gegenüber einer versagen könnt.
Der Kapitalismus krankt nicht an Spekulation sondern ist der Fehler.
Spekulation ist die Weise wie der Fehler sich durchsetzt.
Sie ist nicht systemfremd sondern gehört dazu.
Preise werden nicht am Markt gebildet sondern von der Macht des Eigentums gesetzt.
Die Ineinssetzung von Kapitalismus mit seiner Ideologie möcht man nicht beim Blättchen lesen.
Ein Leben ohne Kapitalismus ist denkbar und möglich.
Man kann drüber reden wie man im Kapitalismus seine Schäden jemand anderem zumutet.
Verhindern wird man sie nie.
Neoliberalismus ist out, jetzt gehts zum StaMoKap.
Ein Denken nur im Kapitalismus ist Denken mit Kondom.
Ein Denken im National ist näher bei Hitler als bei Marx.
Auch Nationalisten haben eine Kritik am Kapitalismus wenn er die Nation verrät.
Sehr geehrter Herr Nachtmann,
Sie fragen mich „Was nun“? Darauf fallen mir auf Anhieb drei Antworten ein.
1. Woher soll ich das wissen? Fragen Sie doch einen altgedienten Marxisten-Leninisten, so einer wird sich sicher in Ihrer Umgebung finden lassen. Der wird Ihnen die von ihnen vermutete Diskrepanz zwischen Lenins Theorie und Praxis unter Zuhilfenahme von Konstrukten wie „konkret-historische Situation“ und „Primat des Klassenstandpunktes“ sicher völlig plausibel erklären können.
2. Ich will Ihnen ja nichts unterstellen, aber aus Ihrer Frage ergibt sich in aktueller Sicht mit einer gewissen Logik, dass sich der Aggressor Putin zwar nicht auf den Theoretiker Lenin, wohl aber auf den Politiker (sprich Aggressor) Lenin berufen kann. Da machen Sie allerdings einen Punkt!
Allerdings ist, wie mir scheint, angesichts der wie stets etwas sperrigen historischen Realität ein wenig Differenzierung erforderlich. Denn wenn ich den Wikipedia-Beitrag zum Polnisch-Sowjetischen Krieg 1920 bis 1921 richtig verstanden habe, so hatten zunächst die Polen versucht, mit Gewalt ihre alten Grenzen wieder herzustellen; was man ihnen auch schwerlich verübeln kann, nachdem sie mehr als ein Jahrhundert sich damit trösten mussten, noch sei Polen nicht verloren. Als das Kriegsglück sich den Bolschewiki zuwandte, dann allerdings fand Lenin offensichtlich, dass Warschau doch eine sehr hübsche Hauptstadt einer Sowjetrepublik abgäbe; oder notfalls auch eines Vasallen-Staates, wie er Jahrzehnte später tatsächlich errichtet wurde.
Aber, Herr Nachtmann, vielleicht passt ihre Überlegung zum Politiker Lenin als Putin-Vorbild noch besser zu dem Terroristen Lenin mit der ausgeprägten Erschießungsobsession, ein würdiger Lehrmeister Väterchen Stalins. In diesen Zusammenhang fügt sich dann auch nahtlos Dzierzynski und sein Tscheka-Nachfolger Putin ein. Welch Ansammlung von Menschenfreunden!
3. Putin selbst legt übrigens keinen Wert darauf, zur Rechtfertigung seiner Aggression auf Lenin zurückzugreifen. Seine historische Rede aus Anlass der Annexion von „Neurussland“ ist zwar ganz im Leninschen Stil als grobianische Schimpftirade unter Verwendung historischer und politischer Versatzstücke konstruiert, aber ohne jede Spur von Kommunismus. Und Lenin selbst? Ohne ihn zu nennen, wird ihm von seinem Nachfolger vorgeworfen, „nach der Revolution die Grenzen der Sowjetrepubliken klammheimlich gezogen“ zu haben. Offenbar waren auch damals schon Verräter oder Dummköpfe oder Verbrecher am Werke, verdächtige Subjekte, wie sie in Putins volkstümlichen Sprache wimmeln wie die Flöhe auf einem Igel. Jedenfalls ist die historische Rede eine Art Manifest des großrussischen Nationalismus, laut Lenin eine imperialistische Ideologie zur Rechtfertigung des „Völkergefängnisses Russland“ – und zumindest dieser Aussage kann man doch schwerlich widersprechen. Wo er Recht hat, hat er Recht – meinen Sie nicht auch, Herr Nachtmann?
Stephan Wohanka ist hinsichtlich seiner vehementen Kritik an Ralf Nachtmanns „Große-Reiche-Theorie“ nur zuzustimmen. Allerdings ist das nicht nur „19. Jahrhundert“. Auch Winston Churchill schwebte Ähnliches zur Verhinderung künftiger deutscher Vormachtsträume – der Kerl kannte uns … – durch das Konstrukt einer Donau-Föderation vor. Aus guten Gründen blieb das Vision. Bislang jedenfalls … Der Kontinent stünde tatsächlich an allen Ecken und Enden in Flammen. Gleiches gilt übrigens auch für die von manchen Linken so gerne hofierten Irredenta-Bewegungen. Die riechen nach Blut, auch wenn sie mitunter von Revolutionsromantikern, die durchaus Respekt abverlangen, getragen werden. Die Zeche zahlen letztendlich die Völker. Den meisten Korsen ist die zitierte Unabhängigkeitsbewegung mit ihrem folkloristischen Herumgeballere auf Straßenschilder und gelegentlichen Brandanschlägen nur lästig. Das heißt nicht, dass sie Paris lieben.
Wenn politische Menschen nicht in der Lage sind, vor der eigenen Haustür für menschliche Zustände zu sorgen, sollten sie von weltpolitischen Träumen und dem Nachdenken über die Angelegenheiten anderer Völker ablassen.
Bernhard Romeike schrieb: „Die westliche Propaganda-Behauptung, die Ukraine würde „unsere Freiheit“ verteidigen, erweist sich als reine Lüge.“ Antwort: Ja, ja und nochmals ja!
In seinem wirklich guten Beitrag hinsichtlich Rosa Luxemburg schreibt Holger Politt auch: „Wer heute durch solche Orte geht, in denen auf der Straße mehr als nur die eine Muttersprache zu hören ist, sollte den Blick richten auf die Straßenschilder. Sind sie einsprachig, können sie ein Indiz sein für nicht ein- oder durchgehaltene Minderheitenrechte.“ Pauschal mag das zutreffen, zuweilen sogar in der Lebenswirklichkeit. Dennoch gibt es gerade für solche (bei Politt wenigstens vorsichtig formulierte) Fragen jahrzehntelange Debatten, wie sie beispielsweise in der Förderation Europäischer Minderheiten und Volksgruppe geführt wurden/werden. Einfaches Beispiel: Von welchem Zeitpunkt, von welcher „Siedlungsdauer“ an kann eine Gruppe Immigtanten als „nationale Minderheit“ angesehen werden? Die Geschichte (in Europa und angrenzend) der vergangenen 2300 Jahre lehrt: Diese Frage wurde stets politisch bzw. je nach Zweckmäßigkeit der aktuellen Herrschaft beantwortet. Will sagen: Deshalb gibt es sorbische Straßennamen, wo nahezu niemand diese Sprache spricht, und keine türkischen Straßennamen, obwohl fast alle dort türkisch sprechen. Gewiss, der Vergleich „hinkt“ ein wenig, weil die Sorber „Eingeborene“ sind, die Türken hingegen Immigranten. Schaut man aber auf muliti-ethnische Staatsgebilde, zeigt sich, dass die „einfache“ Lösung, wie sie Rosa Luxemburg postulierte (und ihr Politt darin folgt), eben doch nicht so leicht ist. Bestes Beispiel: Der gerade erst erfolgte diktatorische Eingriff des „EU-Sonderbeauftragten“ in die Regularien der Besetzung dortiger höchster Staatsämter – geschehen und verkündet am Abend einer Parlamentswahl (nach Schließung der Wahllokale?)
Die Idee eines „Nationalstaates“ scheint ohnehin überholt, zukunftsweisender scheint mir die Organisation großer „Reiche“, wie es sie (von kleinen Fleckerln abgesehen) bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Europa (anderwo ebenso) gegeben hat. Unter solchen Umständen hätte Rosa Luxemburg tatsächlich Recht gehabt.
Warum aber statt dessen (und imGegensatz zur weltwrtschaftlichen Entwicklung) viele Volksgruppen in Europa (Katalanen, Korsen, Sarden u.a.m.) auf einer Eigenstaatlichkeit beharren und massiv dafür kämpfen, verdiente einer gesonderten Betrachtung. Die „einfachen“ Gründe sind ja bekannt, die tiefer liegenden sollten benannt werden.
Ralf Nachtmann sagt:
„Die Idee eines ´Nationalstaates´ scheint ohnehin überholt, zukunftsweisender scheint mir die Organisation großer ´Reiche´, wie es sie (von kleinen Fleckerln abgesehen) bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Europa (anderwo ebenso) gegeben hat“.
Abgesehen davon, dass das eine indirekte Rechtfertigung der Putinschen Aggression gegen die Ukraine ist, ist diese Idee „großer Reiche“ eine höchst gefährliche. Sie bedeutete die Revision wenn nicht aller, so doch vieler Grenzen europa- und weltweit. Und was das bedeutete, mag ich mir nicht ausmalen. Es ist – wie Nachtmann sagt – eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts; und dort sollten wir sie auch belassen.
Lieber Kollege Wohanka,
Sie mögen es vieleicht nicht so sehen, doch in meinen Augen ist die „Europäische Union“ genau ein solches „großes Reich“, vielleicht noch nicht gänzlich ausgeformt. Ist die EU also eine Idee des 19. Jahrhunderts?
Hierzulande (und gelegentlich auch andernorts) beruft man sich hinsichtlich der EU ja gern auf Carolus Maximus, der den „Vorläufer“ errichtet (nicht gegründet) hat, und zwar mittels kriegerischer Gewalt. Die heutige EU ist allerdings weitgehend demokratisch (oder doch nur scheindemokratisch? wer durfte abstimmen?) aufgebaut worden.
Zu Bernhard Romeikes Artikel „Ukrainekrieg – eine nächste Stufe“:
Während ich dem Tenor des Beitrages zustimme, möchte ich einem Absatz jedoch widersprechen. Meiner Auffassung waren es nicht die „kommunistische Regierung“ oder „kommunistische Armeeführung“, die die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg letztendlich zum Sieg geführt haben, deren Fehlen aber nun die Schwäche (oder nicht ausreichende) Stärke der russischen Armee in der Ukraine erklären soll. Nicht umsonst hieß (und heißt vielleicht noch heute, ich weiß es nicht) der II.Weltkrieg dortzulande „Großer Vaterländischer Krieg“, und nicht etwa „kommunistischer“. Es ging tatsächlich um die Verteidigung des Heimatlandes; das war motivierend. Wenn die sowjetische Armee dagegen aus imperialen Motiven aggressiv eingesetzt wurde, etwa im „Winterkrieg“ 1939/40 gegen Finnland oder in den 1980er Jahren in Afghanistan, hielten sich Motivation und Erfolg sehr in Grenzen, ungeachtet der „kommunistischen Führung“. Und da sehe ich schon Parallelen zum Angriff auf die Ukraine. Die Heimatverteidigung ist da wohl eher Sache der ukrainischen Streitkräfte. Und noch etwas zum Parteieinfluss: Selbst im „Polit-Unterricht“ während meiner Militärdienstzeit in der DDR wurde ganz offen gelehrt, dass die große Macht der „Kommissare“, also der Parteifunktionäre in den Militäreinheiten, im Zweiten Weltkrieg erst durch das Prinzip der „Einzelleitung“ durch professionelle Offiziere ersetzt werden musste, vorher aber militärisch sinnlos war und viele unnötige Opfer forderte. (In Übereinstimmung damit hatten die ostdeutschen „Polit-Offiziere“ zumindest auf unterer Ebene praktisch nichts zu sagen und wurden von den Mannschaften auch nicht für voll genommen.)
Stimmt, nur dass hinsichtlich Afghanistan die Zuschreibung „imperialer Motive“ nicht zutrifft. Dort ging es nach zunächst wirtschaftlichen Erwägungen im Fortgang der Auseinandersetzung um eine Art „Fernhalten“ des erstarkenden „politischen Islam“ in der Region nach der Machtergreifung der Ajatollahs im Iran und deren bereits Jahre zuvor ausgerufenen „Heiligen Krieg“ gegen kurz gefasst „alles Andere“. (Was im Übrigen im Widerspruch zur mohamedanischen Rligionslehre steht.) Der erste Einsatz der „Roten Armee“ in imperialem Streben war übrigens der Krieg gegen Polen 1920. Gerade der wird leider viel zu oft vergessen bzw. weggelassen, obwohl seine Betrachtung mehr zur Entwicklung Europas nach dem 1. Weltkrieg beitragen könnte als bisher populärwissenschaftlich erfolgte.
„Niemand ist schuld daran, daß er als Sklave geboren wurde; aber ein Sklave, dem nicht nur alle Freiheitsbestrebungen fremd sind, sondern der seine Sklaverei noch rechtfertigt und beschönigt (der beispielsweise die Erdrosselung Polens, der Ukraine usw. als „Vaterlandsverteidigung“ der Großrussen bezeichnet) – ein solcher Sklave ist ein Lump und ein Schuft, der ein berechtigtes Gefühl der Empörung, der Verachtung und des Ekels hervorruft.“
Lenin, Über den Stolz der Großrussen
Und doch halt Lenin seine Armee 1920 Polen überfallen lassen. Was nun, Herr Maiwald?
Ukrainekrieg – eine nächste Stufe, von Bernhard Romeike
Der Autor schreibt: „Am 21. September wurde mitgeteilt, dass Putin eine Teilmobilmachung angeordnet hat, womit 300.000 russische Reservisten, die bereits militärisch ausgebildet sind, zu den Fahnen gerufen werden. …. Tatsächlich folgt das der militärischen Logik seit Peter I.: Wenn die bisher bereitgestellten militärischen Kräfte nicht ausreichen, muss man aus der Tiefe Russlands neue bereitstellen“.
Sehr gut gesagt – „aus den Tiefen Russlands“ und nicht etwa aus den urbanen Zentren, in denen der Protest wohl größer und qualifizierter wäre als an der Peripherie; wobei es auch dort schon etwas rumort…
Noch eine persönliche Reminiszenz: Meine Eltern besaßen einen großen Bildband des Autors Fritz Koch-Gotha. Der war seinerzeit Kriegsberichterstatter im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05. Da wohl die Kriegsfotografie noch nicht so elaboriert wie heute war, zeichnete Koch-Gotha die Schlachtszenen. Eine ist mir bis heute in in Erinnerung geblieben; ich sah sie immer wieder an und erschauderte – ihr Titel wohl so: Unter klingendem Spiel ziehen sibirische Regimenter in das Trommelfeuer der Japaner. Zu sehen war eine (noch) geschlossene Front der Soldaten in langen Mänteln und Pelzmützen auf dem Kopf; in der ersten Reihe Bläser und Trommler. Die geneigt nach vorn gehaltenen Gewehre waren mit Bajonetten bestückt; ob die je zum „Einsatz“ kamen?
Dass das Putin-Regime heute nicht weiter ist als Peter I. oder seine Nachfolger auf dem Zarenthron, was die Fürsorge und den Umgang mit den eigenen Soldaten angeht, ist anderer veritabler Skandal in diesem Russland. In der Berliner Zeitung teilt Torsten Harmsen mit, dass „für die ´Mobilisazija´ …. sich offenbar das Wort ´Mogilisazija´ (ausbreite). ´Mogila´heißt Grab“. Er hat wohl recht; leider.
Keiner soll hungern ohne zu frieren
„Niemand soll im Winter frieren oder hungern müssen – Kann die Regierung dieses Versprechen halten?“ Das war der Titel der Gerede-Runde bei Anne Will in der ARD am 25. September 2022. Geladen waren Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, von der CDU, die Autorin und Journalistin Julia Friedrichs und der Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung München, Clemens Fuest.
Ich hatte mir erlaubt, eine Bemerkung für die Kommentarspalte zur Sendung beizusteuern, und wies darauf hin, das sei ein interessanter Titel. Schließlich war: „Keiner soll hungern! Keiner soll frieren!“ ein Motto des „Winterhilfswerkes“ im Nazi-Staat. Die Berliner Schnauzen machten damals daraus: „Keiner soll hungern, ohne zu frieren!“ Außerdem machte ich darauf aufmerksam, dass es zur Milderung der Not des Volkes im ersten Weltkrieg den von Hindenburg und Ludendorff veranlassten „Kohlrüben-Winter“ gab. Dazu könne man jetzt natürlich auch zurückkommen.
In Wills Forum, das moderiert ist, war das dann nicht zu lesen. Die hausinterne Zensur hatte meinen nicht-staatstragenden Kurzbeitrag nicht gewollt. Deshalb will ich ihn hier dem geschätzten Publikum nachreichen.
Seit 15. September ist ein neues Werk von Heinrich August Winkler am Markt – ein Sammelband früherer wissenschaftlicher und journalistischer „Interventionen“ unter dem Gesamttitel: „Nationalstaat wider Willen“; nicht zu verwechseln mit dem gleichen Titel von Carsten Wieland, erschienen am 10. Mai 2000, über die Verbindung von Ethnie und Nationalstaat.
Zum Auftakt der Werbekampagne wurde der Autor im Interview gefragt: „…Putin führt einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, einen weltweiten Zusammenschluß aller Demokratien gegen Rußland hat es aber nicht gegeben. Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika halten weiter zu Moskau. ist die westliche Werteordnung am Ende?“ Winkler, „der brillante Erklärer historischer Zusammenhänge“: „Der Westen hat schon lange aufgehört. die Welt zu dominieren. Aber sein großes normatives Projekt ist weiter aktuell: Einen weltweiten Anspruch auf unveräußerliche Menschenrechte zu etablieren.“ Also ein moralischer Anspruch auf Weltgeltung, die wohl nicht von allen als erstrebenswert für alle beurteilt wird.
Ein anderer deutscher Historiker bewertet denn auch solche Verkleidung von Ansprüchen „der Guten“ eindeutig anders. Herfried Münkler in „Handelsblatt“ vom 23. Januar 2022: „Die Großmächte sagen es zwar nicht, aber sie begreifen die Lage so, daß eben nicht jedes Land bestimmen kann, welchem Bündnis es angehören will. Die Europäer sind vermutlich die Einzigen, die das nicht so sehen.“
Zum Nachlaß von Theo Sommer gehört diese Vorausschau vom 5. Juli: „Die Meldungen über Krieg und politische Krisen, Corona und steigende Inflation treiben die Menschen um. Dabei gerät leicht aus dem Blick, daß sich derzeit eine neue Weltordnung herausbildet Es werden die Trennlinien der nächsten Generation gezogen: Zwischen dem Westen und dem Rest der Nationen, zwischen liberalen Demokratien und illiberalen Autokratien, zwischen denen, die sich einordnen in die gegenwärtig entstehenden Verbünde, und jenen, de losgelöst davon ihre eigenen Interessen verfolgen. … Noch ist unklar, was für eine Weltordnung am Ende bei all diesen Initiativen herauskommt. Nur soviel ist klar: Sie wird multipler sein. Sie wird auf neue Weise konfrontativ werden. Neue Akteure werden sie mitbestimmen; konkurrierende Zentren werden sich nicht unbedingt einbinden lassen. Ob Rußland und China den Schulterschluß Putins und Xi Jinpings durchhalten, ist eine Frage. Ob der Westen – eine Milliarde von zehn Milliarden Menschen(!) – einen neuen Anfall von Trumpismus überleben würde, eine andere.“
Das sind wesentlich Umstände und Bedingungen für jegliche nationale Politik Deutschlands – im Inneren wie außen herum. Dabei ist Deutschland, häufig auch „europäisch“ agierend, einerseits eingehegt, andererseits auch gesichert in internationalen Sicherheitsstrukturen. Offenbar steigen parallel Einsicht und Bedarf hinsichtlich einer eigenständigen deutschen nationalen Sicherheitsstrategie, die nicht nur die militärische Komponente erfaßt, einschließlich etwa der Idee, die Wehrpflicht wieder „einzusetzen“. Oder auch die erneute Befeuerung dieser seinerzeitigen Adenauer-Analyse zu mangelnder militärischen Kampfkraft: „Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie, und es ist ganz selbstverständlich. daß wir nicht darauf verzichten können.“(5. April 1957) Heute ist von Teilhabe die Rede.
Dem Vernehmen nach soll die neue Sicherheitsstrategie alle gesellschaftlichen Bereiche, alle Ministerien umfassen – und bis Anfang nächsten Jahres entwickelt sein. Soll darin etwa festgeschrieben werden,, was und wie von Winkler vor-geschrieben? Ist das die Einstimmung?
Ob die Adelung der Saudi-Arabischen Machthaber vom Ausschluß-Status in den Rang „unserer Schurken“ durch den Handschlag von Dschidda dann schon dazu gehört? Präsident Biden hat es zuvor auch so gehalten – damit alles gut. Und kein Alleingang!
Gorbatschow und Andropow
Michail Gorbatschow wurde 1931 in dem Dorf Priwolnoje in der Region Stawropol geboren. Parteikarriere machte er zunächst in seiner Heimatregion Stawropol: 1958 -1962 war er Komsomol-Sekretär (das war die Jugendorganisation im Vorfeld der KPdSU) der Region Stawropol, 1968 wurde er Zweiter, 1970 Erster Sekretär der dortigen KPdSU-Regionalleitung, im selben Jahr zugleich Mitglied des Obersten Sowjets der UdSSR, 1971 Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU.
Juri Andropow (1914-1984) stammte ebenfalls aus der Region Stawropol. Dieses Gebiet hat seine Bedeutung unter anderem wegen einer Reihe von Kureinrichtungen, die in der Nähe von Mineralquellen errichtet wurden, darunter der bekannte Kurort Kislowodsk, seit dem 19. Jahrhundert bei den russischen Oberschichten beliebt. Andropow fuhr regelmäßig zur Erholung in seine Heimatregion. Der mächtige Partei-Ideologe Michail Suslow, Jahrgang 1902, war während des zweiten Weltkrieges KPdSU-Sekretär der Region Stawropol und seit 1947 bis zu seinem Tode 1982 Sekretär des ZK der KPdSU. Noch von Stalin eingesetzt, unterstützte er später Chruschtschow und dann Breshnew; Politbüro-Mitglied war Suslow seit Anfang der 1950er Jahre. Er kurte ebenfalls regelmäßig in der Region Stawropol. Ebenso Ministerpräsident Alexei Kossygin (1904-1980, Ministerpräsident seit dem Sturz Chruschtschows 1964), hier kam laut verschiedener Biographen noch ein gutes Verhältnis zwischen der Gattin und Gorbatschows Ehefrau Raissa hinzu. Wenn die hohen Genossen zur Erholung in der Region weilten, machte der örtliche Parteisekretär ihnen natürlich seine Aufwartung. Sie kannten ihn und hatten von dem jungen Mann den besten Eindruck.
Andropow war während des ungarischen Volksaufstandes 1956 sowjetischer Botschafter in Budapest und spielte eine wichtige Rolle bei dessen Niederschlagung. Er wusste um die Reformbedürftigkeit des Realsozialismus, erinnerte aber stets an die Kommunisten, die in Budapest an Laternenmasten aufgehängt worden waren. Deshalb wollte er eine Reform von unten unbedingt verhindern und ließ als KGB-Chef (1967-1982) sowjetische Dissidenten gnadenlos verfolgen. In internem Kreise hatte er gesagt, zuerst müsse es den Menschen durch entsprechende Reformen wirtschaftlich besser gehen, und zwanzig Jahre später könne man dann in Kunst, Kultur und Presse die Zügel lockerer lassen. Die Partei und die Parteiführung müssten diesen Prozess jedoch stets kontrollieren und in der Hand behalten. Sein Reformkonzept war im Grundsatz etwa das, was Deng Xiaoping dann in China gemacht hat. Dass Gorbatschow das später umkehren würde, konnte Andropow seinerzeit nicht wissen.
Da Andropow in Gorbatschow einen reformbereiten und fähigen Funktionär sah, förderte er bereits seine Aufnahme in das ZK. Der für Landwirtschaft zuständige ZK-Sekretär Fjodor Kulakow förderte Gorbatschow ebenfalls, weil er als Landwirtschaftsexperte galt. Da mächtige Männer, wie Kossygin und Suslow, ihn ebenfalls positiv sahen, konnte Breshnew den Aufstieg Gorbatschows nicht verhindern, obwohl der offenbar nicht auf Breshnews Kaderliste gestanden hatte. Nachdem Kulakow 1978 plötzlich verstorben war, wurde Gorbatschow dessen Nachfolger, 1979 Kandidat und bereits 1980 Mitglied des Politbüros. 1985 dann Generalsekretär der KPdSU.
Tja, und was hat es genützt?
Der anregende Beitrag von Erhard Crome im „Blättchen“ 19/2022 ist in einer Detailfrage etwas ungenau. Michail Gorbatschow musste nicht darauf warten, dass ihn „Juri Andropow […] in Moskau deponierte“ – er stieg bereits unter Breschnew auf. Und zwar 1978 zum ZK-Sekretär für Landwirtschaft, im folgenden Jahr zum Kandidaten und 1980 zum Vollmitglied des Politbüros.
Die politischen Reformen Gorbatschows halte ich für den Versuch, sich die Machtbasis, die er im Parteiapparat nicht hatte, nunmehr auf staatlicher Ebene zu verschaffen. Ausführlich begründet habe ich dies bereits in einem Beitrag im redaktionellen Teil:
https://das-blaettchen.de/2021/05/ein-politischer-zauberlehrling-57027.html
Eine Ergänzung zu meinem Artikel über Margherita von Brentano, Nr. 19 vom 12. September 2022: Margherita von Brentano und Jacob Taubes blieben auch nach ihrer offiziellen Scheidung einander überaus eng verbunden. Sie lebten nicht nur in zwei nebeneinander liegenden Wohnungen, sondern Margherita von Brentano erzog auch seine Kinder stets mit, kümmerte sich mehr als er um sie (Taubes starb 1987). Zudem setzte Margherita von Brentano Taubes‘ Kinder als ihre Erben ein. Auch das gehört zum Bild dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit und sollte nicht unerwähnt bleiben. Diese Information erhielt ich von ihrer früheren Studentin und Mitherausgeberin ihrer Werke, Susan Neiman. Diese zeichnet ein warmherziges und konturenreiches Bild ihrer Lehrerin in ihrem Buch „Slow Fire“ (S. 83ff.), das Susan Neimans Zeit als Doktorandin an der FU Berlin zum Inhalt hat (siehe auch meinen Artikel ‚Die Hoffnung bewahren‘ in: ‚Das Blättchen‘, Nr. 24 vom 22. November 2021). Mario Keßler
In Ergänzung zum Beitrag „Ukraine-Krieg – zum Stand der Dinge“ in der aktuelle Blättchen-Ausgabe: Wer sich über Art und Umfang westlicher Militärhilfe für die Ukraine im Detail informieren will, wird beim REDAQKTIONSNETZWERK DFEUTSCHLAND fündig: https://www.rnd.de/politik/waffenlieferungen-an-die-ukraine-was-und-wie-viel-deutschland-usa-spanien-italien-und-co-bisher-KW4FB4UEAJHCZEGNEXZNFRXTEM.html
Erhard Crome, In Memoriam Gorbatschow (#19)
Die Artikel von Erhard Crome lese ich stets mit großen Interesse und meist mit Übereinstimmung. Der Schlussfolgerung im Nachruf auf Gorbatschow möchte ich jedoch etwas hinzufügen. Der allgemeinen Feststellung, Gorbatschow habe den „Kalten Krieg“ beendet, schließe ich mich nicht an. Ich denke, der „Kalte Krieg“ wurde zu keinem Zeitpunkt beendet, auch wenn das Gorbatschows Wunsch und Wirken war. Der Westen in Gestalt dessen Hauptmacht USA hatte, meiner Meinung nach, niemals die Absicht dazu. Ich denke, die imperialen Strategen in Washington/London/Berlin schlugen in Wahrheit die Chance, die sie sahen, keineswegs aus: Die Schwäche des Rivalen oder meinetwegen Konkurrenten. Den meinten sie nun endgültig von der Bühne globaler Politik stoßen zu können. Nun ist dieser „Kalte Krieg“ in einen heißen übergegangen, und die Menschen in der Ukraine bezahlen einen hohen Blutzoll.
Und noch eins: Die metaphorische Figur des „intelligenten Aufsteigers“ mit der „Maske der heiteren Idiotie“ lässt doch auch die These vom Verrat zu. Denn, wer eine Maske trägt und diese zum opportunen Zeitpunkt fallen lässt, hat ja diese Täuschung (Maske) durchaus geplant, könnte man meinen. Ich war damals, Mitte bis Ende der 1980er auch begeistert von Gorbatschows Glasnost. Und hier war endlich mal einer, der frei Reden kann (oder darf?), auch provokative Fragen von Journalisten frei von der Leber weg pariert. Leider war das nur die eine Seite. Die andere führte zum Zerfall „real-sozialistischen“ Machtblocks und schließlich zum Tod der Sowjetunion selbst. Eine Alternative zum Kapitalismus und Imperialismus schien damit auf lange Sicht nicht mehr möglich. Aber, der Schein trügt, so möchte ich hoffen…
Zum Artikel „Klingbeils Imperativ, Ischingers Handreichung“ von Sarcasticus im Blättchen 25/18 ist es ergänzend vielleicht hilfreich zu wissen, dass Lars Klingbeil laut Abgeordnetenwatch langjähriges Prsidiumsmitglied sowohl in der „Gesellschaft für Wehrtechnik“ als auch im „Förderkreis deutsches Heer“ war, beides Interessenverbände der Rüstungsindustrie.
Die Forderung, dass Deutschland als „Führungsmacht“ Militär als „legitimes Mittel der Politik“ einsetzen solle (von anderen Politikern euphemistisch als „Verantwortung übernehmen“ umschrieben), dürfte also kaum einem Umdenken aufgrund aktueller Ereignisse entstammen. Es ist eine aus diesen Kreisen schon über Jahr(zehnt)e formulierte Forderung, für die jetzt die Gelegenheit beim Schopf gegriffen wird, sie ohne nennenswrten gesellschaftlichen Widerstand durchzusetzen. Wie Svenja Sinjen, „Expertin der DGAP“, es bereits 2017 dem Focus gesagt hat [1]: „Der Bevölkerung die Notwendigkeit einer Aufrüstung zu erklären, halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Führung der nächsten Zeit.“ und „Das bedeutet aber nicht nur, aufzurüsten: Wir müssen in der Lage sein, einen entsprechenden Krieg führen zu können.“.
[1] „Experte fordert Aufrüstung: ‚Müssen deutsche Rüstungsmaschine anwerfen'“ Focus Online, 07.02.2017