22. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2019

Bemerkungen

Beugehaft für Chelsea Manning

Die Freude über die Amnestie für Chelsea Manning durch Obama währte nicht allzu lange. Erneut ist die Whistleblowerin, die zunächst als Mike Manning nachdrücklich auf Kriegsverbrechen aufmerksam machte, in den Fängen der US-Justiz. Dabei hatte sie „wirkliche“ Fakten der US-Kriegsführung im Irak öffentlich gemacht, die sehr wohl auch US-Gesetze verletzten. Diesmal befindet sich Manning in Beugehaft, um sie zu Aussagen gegen Julian Assange zu zwingen. Am 10. Mai wurde sie nach 63 Tagen, davon 23 Tage in Isolationshaft, entlassen.
Vor wenigen Tagen wurde sie erneut vor eine Grand Jury geladen – und umgehend wieder in Beugehaft genommen. Um ihren Willen, nicht gegen Julian Assange in einem geheimen Prozess auszusagen, zu brechen, verurteilte sie Richter Anthony Trenga zu einer heftigen Geldstrafe, sollte sie nach 30 Tagen Beugehaft immer noch nicht aussagen. Pro Tag sollen es zusätzlich 500 US-Dollar Strafe sein. Der Betrag erhöht sich dann auf 1000 US-Dollar pro Tag. Solche Strafen werden, so die Anwältin von Manning, sonst gegen Zeugen von Unternehmen verhängt, die nicht in Beugehaft genommen werden können.
Auch diese Art der Rechtsprechung führte nicht zu einem Aufschrei in den sogenannten „seriösen“ Medien, ja noch nicht mal zu ausführlicherer Berichterstattung. Es gibt einzelne Proteste von Unterstützern (die NachDenkSeiten berichteten), die untergehen im Tagesgeschäft von Politik und Medien, die sich derzeit so sehr für unsere „europäischen Werte“ – Meinungsfreiheit, Pressefreiheit et cetera – einsetzen. Der Schutz von Menschen, die ihrem Gewissen folgen und grobe Verletzungen der Menschenrechte nicht einfach hinnehmen, scheint nicht dazu zu gehören.
Das Ohnmachtsgefühl ist überwältigend, aber Chelsea Manning – und natürlich Julian Assange – brauchen dringend jetzt Unterstützung und mediale Aufmerksamkeit.

Margit van Ham

Abschied von Rostow am Don

Das Schiff trägt den Namen des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Iwan Bunin und liegt im Flusshafen der südlichsten russischen Millionenstadt. Den Ankommenden begrüßen die goldenen Kuppeln der Maria-Geburt-Kathedrale. Und an der Uferpromenade grüßen die Büsten von Maxim Gorki und Michail Scholochow, der für seinen Romanzyklus „Der stille Don“ im Jahr 1965 den Nobelpreis für Literatur erhielt.
Das „Tor zum Kaukasus“ nennt man Rostow. Breite Straßen, ausgedehnte, gepflegte Parkanlagen, architektonisch interessante Hochhäuser; und dazwischen – sich behauptend – alte russische, kleinkleinste Holzhäuser mit den schmuckvollen Fensterumrandungen. Viele der historischen Bauten der im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Stadt sind wiedererstanden. Sie geben dem Bild besonderen Glanz.
Im Süden der Stadt befindet sich das armenische Viertel. Zarin Katharina II. hatte die auf der Krim lebenden Armenier aufgefordert, im Rostower Gebiet zu siedeln. Sie kamen und errichteten nach ihren Traditionen die selbständig verwaltete Niederlassung Nachitschewan. In gebührendem Abstand zum russischen Stadtteil, um die Eigenständigkeit zu bewahren. Längst sind beide Orte miteinander verbunden. Doch ist der besondere Charakter des Viertels merkbar. An belebten Straßen stehen aufgereiht Einfamilienhäuser in blühenden Gärten, von Hecken und Zäunen umfriedet. Ein Zeichen der Distanz? Das sind wir – und das seid ihr!
Rostow gilt als Stadt der Bildung und der Gebildeten. Mit Stolz erklärt die Reiseführerin, es gebe allein vier Universitäten, verschiedene Hochschulen, Akademien und Institute, mitsamt den wissbegierigen jungen Leuten. Die Flut der Studierenden auf den Boulevards, im Gedränge der öffentlichen Verkehrsmittel, unterwegs in Gruppen und Grüppchen und auf Parkbänken macht das glaubhaft.
Von Rostow, der Vielgesichtigen, trenne ich mich ungern. Aber Iwan Bunin, das Schiff, wird ablegen zur Fahrt auf dem „Vater Don“. – Am Kai sind viele Menschen eingetroffen. Familien mit ihrer „Babuschka“, für die sie einen Stuhl mitbrachten. Schreiende Kinder, Hunde. Ein Mann singt das Lied von „Kalinka“, die Umstehenden fallen ein. Die Crew steht in Reihe am Oberdeck. Rufe fliegen hin und her. Junge Mädchen werfen Kusshände, und rote Luftballons steigen auf. Münzen werden vom und zum Schiff geworfen. Es soll Glück bedeuten und Wohlergehen und vor allem: Wiederkehr. Dann spielt die Bordkapelle „Audamus “. Eine feierliche, leicht wehmütig stimmende Melodie. Winken, winken. Das Schiff löst sich langsam vom Ufer und gleitet auf das stille Wasser des großen Stroms hinaus.

Renate Hoffmann

Teure Lektion

Beamten und anderen Mitarbeitern von Behörden und Ämtern werden ja alle möglichen wenig schmeichelhaften Eigenschaften nachgesagt und dass zur Charakterisierung dieser Bevölkerungsgruppe schon je der Begriff Kreativität herangezogen worden wäre, hat man auch noch nicht gehört. Das praktische Leben hingegen kann durchaus anders, wie der Fall des Studenten Frank T. in Berlin jetzt offenbarte.
Der Studiosus, der sein Leben inklusive Studium mit einem 450-Euro-Job fristet, der angesichts von 280 Euro Miete für eine Einraumwohnung jedoch nicht wirklich zum Leben reicht, hatte Wohngeld beantragt. Statt der erwarteten bis zu 200 wurden ihm jedoch nur 83 Euro bewilligt. Die zuständige Sachbearbeiterin hatte ihn nämlich gefragt, ob er denn wirklich keine weiteren Einkünfte hätte. Arglos antwortete Frank T., dass er einmal in der Woche Lebensmittel von der Tafel bekäme, bei der er ehrenamtlich tätig sei.
Diese Auskunft wirkte auf die schlummernde Kreativität der Sachbearbeiterin möglicherweise so wie ein Katalysator bei einer normalerweise trägen chemischen Reaktion: Sie rechnete die paar Obststücke mit Druckstellen und Konserven mit abgelaufener Mindesthaltbarkeit flugs zu 241 Euro Einkünften im Monat hoch. Und kürzte das Wohngeld entsprechend.
Und Frank T. weiß jetzt, was dem Volksmund schon längst bekannt ist: Der Ehrliche ist der Dumme.

rc

Mit Fontane durch Europa

Theodor Fontane war bekanntermaßen viel auf Reisen – und er schrieb darüber. Natürlich fallen einem sofort die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein. Bücher wie „Ein Sommer in London“, „Jenseits des Tweed“ oder seine Aufzeichnungen von den europäischen Schlachtfeldern werden da schon seltener genannt. Doch warum sollte man sich mit Fontane im Gepäck nicht dorthin auf den Weg machen?
Ob es nach Großbritannien oder Frankreich ging, ob er Richtung Dänemark oder Böhmen fuhr, ob er sich in Italien oder der Schweiz umschaute – immer waren diese Reisen für Fontane mehr, als nur die Erfüllung eines beruflichen Auftrags. Seine Erlebnisse als Journalist, Kriegsberichterstatter oder Reiseschriftsteller hinterließen auch in seinen Romanen ihre Spuren, von „Vor dem Sturm“ bis hin zum „Stechlin“. Vor allem aber weiteten sie seinen politisch-sozialen Horizont. Bereits die erste Auslandsreise, die ihn 1844 für zwei Wochen nach London führte, wurde für Fontane zu einem einschneidenden Erlebnis. Das Londoner Treiben, so fasst es die mit dessen Leben und Werk bestens vertraute Fontane-Kennerin Luise Berg-Ehlers zusammen, „ändert seinen Blick auf die Welt nachhaltig und bewirkt, dass er märkischer Provinzialität entwächst“. Jahre später wird Fontane in mehreren Ländern den Spuren kriegerischer Auseinandersetzungen folgen. Doch nicht nur als akribischer Chronist und „Schlachten-Bummler“ ist dort er unterwegs, sondern auch als ein abseits der üblichen Pfade recherchierender „Kultur-Bummler“ – was ihm zumindest in Frankreich fast zum Verhängnis wird. Als feindlichen Spion stellt man ihn vor ein Tribunal, und er entgeht nur knapp der Todesstrafe.
Zu Recht hebt Luise Berg-Ehlers am Ende ihres spannungsreich und anregend geschriebenen Buches hervor, dass Fontanes Reisen durch Europa „einen wichtigen, bisher nicht genügend gewürdigten Teil seines Lebens und seines Werkes“ darstellen. Sie sind Teil „einer Biografie des märkischen Europäers im Kontext der Bedingungen seiner Zeit“.
Ganz egal, wohin ihn seine Wanderungen führten – ob es nun im wahrsten Sinne des vielleicht etwas missverständlich gewählten Titels „Traumorte“ waren oder nicht: Fontanes kritische Sicht auf die Welt ging immer einher mit einer prinzipiellen, heute mehr denn je notwendigen Akzeptanz von Menschen jenseits aller Grenzen.

Mathias Iven

Luise Berg-Ehlers: Theodor Fontanes Traumorte. Eine besondere Zeitreise von England über Dänemark und Frankreich nach Italien, Elisabeth Sandmann Verlag, München 2019, 136 Seiten, 24,95 Euro.

Klassiker in schwarz-weiß

Er finde die Wahrheit des Unsensationellen spannend. So hat der Fotograf Roger Melis (1940-2009) selbst das Credo seines Schaffens umrissen, und was er damit meinte dokumentiert derzeit eine von seinem Stiefsohn Mathias Bertram kuratierte Ausstellung in Berlin-Oberschöneweide.
Intensiv und in so vielen Facetten wie kaum ein zweiter hat Melis die Menschen in der DDR und ihre Lebenswelt abgelichtet. Drei Jahrzehnte lang bereiste der Meister des Fotorealismus das Land, das er unter der Herrschaft der SED oft als still und erstarrt empfand. In atmosphärisch dichten, oft symbolhaften und durchgängig schwarz-weißen Fotografien dokumentierte er das alltägliche Leben in Stadt und Land, Arbeits- und Lebensbedingungen, aber auch immer wieder die mehr oder weniger freiwillig absolvierten politischen Rituale im realen Sozialismus. Zugleich war Melis langjährig einer der führenden Modefotografen der DDR.
Eindringliche Abbilder von Schriftstellern und bildenden Künstlern machten Melis bereits in den 1960er Jahren auch im Westen bekannt. Viele seiner Autorenporträts, etwa von Anna Seghers, Heiner Müller, Christa Wolf oder Sarah Kirsch, prägten fortan in Zeitungen und Zeitschriften, in Büchern und Kalendern, auf Plakaten und Schallplattenhüllen das Gesicht der DDR-Kultur mit und gehören heute zu den Klassikern des Genres.

tf

Roger Melis: „Die Ostdeutschen“, bis 28. Juli, Reinbeckhallen, Reinbeckstraße 17, 12459 Berlin, Do + Fr, 16–20 Uhr, Sa + So, 11–20 Uhr.

Schilda is everywhere

Jüngst gelangte das Gerücht in Umlauf, dass Schilda – also nicht die Gemeinde im Süden von Brandenburg im Landkreis Elbe-Elster mit Verwaltungssitz in Schönborn, sondern jenes viel verspottete legendäre Städtchen, dessen Bürgerschaft unter anderem dadurch Unsterblichkeit erlangte, dass sie eine Glocke im Teich versenkte und eine Kerbe ins Boot schnitt, um sie später wiederzufinden – ein Ort mit einer allzeit zuverlässigen Energieversorgung gewesen sein muss.
Das Gerücht hat dem Vernehmen nach seinen Ursprung in einem Außenbezirk von Berlin. Dort tat sich Anfang Mai beim Wechsel des Stromversorgers durch einen ganz normalen Privathaushalt eine Versorgungslücke von drei Tagen auf, die – wie das Gesetz es befiehlt – der örtliche Grundversorger überbrückte. In diesem Fall die Vattenfall Europe Sales GmbH.
Die schickte dem Haushalt anschließend mit analoger Post (Briefporto: 70 Cents) eine Schlussrechnung. Auf drei Seiten Papier von keineswegs billiger Grammatur. Doppelseitig bedruckt, teils farbig und höchst informativ.
Die Kernaussagen lauteten: „Ihre Stromkosten … 0,81 EUR“ / „Ihr Rechnungsbetrag … 0,81 EUR“.
Dem folgte der eigentliche Knaller: „Der Rechnungsbetrag von 0,81 EUR wird wegen Geringfügigkeit nicht erhoben.“

Hannes Herbst

Neutronenbombe – heute und gestern

Guter Journalismus lebt auch von gediegener Sprache sowie unerwarteten Bildern und Vergleichen.
Von den letzteren ist dem Kollegen Harry Nutt in der Berliner Zeitung vom 21. Mai ein besonders einpräglicher gelungen. Zur Ibiza-Affäre, die gerade Wien erschütterte – Heinz-Christian Strache, berüchtigter rechter Scharfmacher und zwischenzeitliche Vizekanzler der Republik Österreich schwadroniert gegenüber einer vorgeblichen russischen Oligarchennichte sowie vor verdeckter Kamera über kreativen und vor allem vorsätzlichen Machtmissbrauch, muss zurücktreten, nachdem das Video öffentlich wurde, und sieht sich nun als Opfer eines politischen Attentats – schrieb Nutt: „Etwas hat eingeschlagen mit der Wirkung einer Art umgekehrter Neutronenbombe. Ein politisches Gebilde ist eingestürzt, ohne dass physisch jemand zu Schaden gekommen wäre.“
Nun müssen jüngere Semester nicht mehr wissen, dass die Neutronenbombe, eine Kernwaffe mit verringerte Sprengkraft und erhöhter Strahlungswirkung, in den USA zwischen 1958 und 1962 ausdrücklich mit dem Ziel entwickelt und getestet worden war, eben nur jemanden (und zwar nicht bloß) physisch zu schaden, sondern ihn in kürzester Zeit außer Gefecht zu setzen und qualvoll zu töten. Nicht aber die Dinge um jemanden herum gleich mit zu zerstören. Die Neutronenbombe zielte also auf Soldaten in ihren Panzern und Einwohner in ihren Städten, nicht jedoch auf die Panzer und Städte als solche! Eine Waffe (fast) ohne Kollateralschäden. Ideal für Eroberer, denn ausgedehnte Trümmerfelder – siehe Hiroshima und Nagasaki – hinterher zu besetzen, das hat ja wenig Sinn.
In den konfliktgeladenen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West über Rüstung und Nachrüstung nach dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 und in der damaligen Massen ergreifenden Friedensbewegung war die Neutronenbombe eines der heißesten Reizthemen. Egon Bahr, der SPD-Architekt einer kooperativen statt konfrontativen Sicherheitspolitik gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten, bezeichnete die Waffe seinerzeit als „Symbol der Perversion menschlichen Denkens“.
Das sah Bahrs Parteigenosse Helmut Schmidt, Bundeskanzler und spätere (nach Willy Brandt) Lichtgestalt unter den gewesenen bundesdeutschen Politikern, offenbar völlig anders. Unter Schmidts Führung und maßgeblich auf sein Betreiben hin billigten Bundesregierung und Parlament am 4. April 1978 die Einführung von Neutronenwaffen ins Arsenal der NATO und die mögliche Stationierung auf westdeutschem Boden. Doch nur drei Tage später entschied der damalige US-Präsident James Carter, die Waffe nicht zur Serienproduktion freizugeben. Dabei ist es bis heute geblieben.
By the way: Das waren noch Zeiten, als nicht nur das Problem aus Amerika kam, sondern zur Abwechslung auch mal die Lösung. Ein Segen wäre das heute nicht minder …

Sarcasticus

Reden und schweigen können (3)

Fausts Ideal: sich vom Gretchen die Strümpfe stopfen lassen und mit der Helena über Goethe reden.
Anton Kuh

Zwei Jahre braucht der Mensch, um das Sprechen, ein Leben lang, um das Schweigen zu erlernen.
Ernest Hemingway

Es gibt kaum etwas Schöneres, als dem Schweigen eines Dummkopfs zuzuhören.
Sir Peter Ustinov

Viel von sich reden kann auch ein Mittel sein, sich zu verbergen.
Friedrich Nietzsche

Von den vielen, die nichts zu sagen haben, sind diejenigen, die dies stillschweigend erledigen, die angenehmsten.
Hans Krailsheimer

Schreiben ist schön, weil es zwei Freuden in sich vereint: allein zu reden und zu einer Menge zu sprechen.
Cesare Pavese

Verschwiegenheit ist Tugend, Schweigsamkeit kann eine sein,
Verschweigen ist keine.
Wolfdietrich Schnurre

Lerne zuhören, und du wirst auch von denjenigen Nutzen ziehen, die dummes Zeug reden.
Platon

Die Wirklichkeit eines anderen Menschen liegt nicht darin, was er dir offenbart, sondern in dem, was er dir nicht offenbaren kann. Wenn du ihn daher verstehen willst, höre nicht auf das, was er dir sagt, sondern vielmehr auf das, was er verschweigt.
Khalil Gibran

Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde.
Martin Luther King

O Redner! Dein Gesicht zieht jämmerliche Falten,
indem dein Maul erbärmlich spricht.
Eh du mir sollst die Leichenrede halten,
wahrhaftig, lieber sterb ich nicht!
G. E. Lessing

Eingesammelt von fbh.

E-Scooter

„Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode“, mag man versucht sein auszurufen – angesichts der Kopfgeburt imbeziler Mobilitätsanbeter, elektrische Tretroller, sogenannte E-Scooter, nun auch im hiesigen Straßenverkehr zuzulassen. Zwar konnte dem Bundesverkehrsminister gerade noch ausgeredet werden, die Genehmigung auch für Gehwege mit ins Gesetz zu nehmen, aber was das nutzt, zeigt ja das ebenso bundesweite wie massenhafte Aufkommen von Radfahrern, die ohne Begleitung von Kindern auf Trottoiren unterwegs sind.
Die Süddeutsche Zeitung zählte zwei plus zwei zusammen: „Befürchtungen sind berechtigt, dass es zu mehr Konflikten kommen wird, wenn sich Autofahrer, Radler und Fußgänger den öffentlichen Raum auch noch mit E-Scootern teilen müssen.“ Und die Abendzeitung aus München setzte noch einen drauf: „Was dieses Volk der bewegungsmüden Moppel wirkIich überhaupt nicht braucht, sind E-Scooter, mit deren Hilfe dann auch noch die letzten Geh-Meter des Tages ohne jeglichen eigenen Energieverbrauch weg-ge-e-rollert werden.“
Die Rhein-Zeitung Koblenz setzte dagegen: „Es sollten jetzt nicht gleich wieder tausend Bedenken angemeldet werden. Ja, man kann auch mit einem E-Scooter stürzen, und ja, auch dieses Gefährt birgt problematische Rohstoffe wie Lithium und Aluminium. Und ja, es werden viele Roller das Stadtbild prägen, wie bereits viele Leih-Räder. So ist das Leben.“ Doch diese Art und Weise, die Dinge zu sehen, erinnert doch sehr – woran bloß? Richtig, an Kästners sogenannte Klassefrauen:

Plötzlich färben sich die Klassefrauen,
weil es Mode ist, die Nägel rot!
Wenn es Mode wird, sie abzukauen
oder mit dem Hammer blauzuhauen,
tun sie’s auch. Und freuen sich halbtot.

am

Aus anderen Quellen

Warum er als auch im Westen anerkannter Autor angesichts der Schikanen, denen er in der DDR ausgesetzt war, diese nicht verlassen habe, wurde Volker Braun kürzlich gefragt. Seine Antwort: „Ich habe das Weggehen immer als Privatlösung empfunden, vielleicht auch als feige. Wenn ich die DDR verlassen hätte, hätte ich einen definitiven Strich gezogen und mich, in aller Augen, ganz der BRD attachiert. Das war keine gute Vorstellung.“
Cornelia Geißler: „Der Osten war für den Westen offen“ (Interview mit Schriftsteller Volker Braun),
berliner-zeitung.de, 07.05.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Seit dem Ersten Weltkrieg“, so resümiert Hassan Hakimian, „haben Regierungen zunehmend Wirtschaftssanktionen eingesetzt, um ihre internationalen politischen Ziele durchzusetzen. Einem Jahrhundert Erfahrung zum Trotz ist die Begründung für solche Maßnahmen jedoch alles andere als überzeugend. In den letzten Jahrzehnten hat die Zahl der Wirtschaftssanktionen sogar noch zugenommen. So wurden etwa in den 90er Jahren durchschnittlich sieben Sanktionsregelungen pro Jahr eingeführt. Von den 67 Fällen in diesem Jahrzehnt waren zwei Drittel einseitige Sanktionen, die von den Vereinigten Staaten verhängt wurden. Während der Präsidentschaft von Bill Clinton waren Schätzungen zufolge etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung oder 2,3 Milliarden Menschen in irgendeiner Form von US-Sanktionen betroffen.“
Hassan Hakimian: Sieben Irrtümer über Sanktionen, ipg-journal.de, 08.05.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Eisleben, Hettstedt, Bad Salzungen, Magdeburg, Borna, Bautzen, Berlin, Rostock, Dresden … In der Logik von US-Militärstrategen“, das berichtete der MDR, „alles lohnende Atombomben-Ziele. Insgesamt 258 Städte in der DDR sollten laut eines Planungs-Papiers des Strategischen Luftkommandos der USA aus dem Jahr 1956 im ‚Fall der Fälle‘ vom Erdboden verschwinden.“ Weiter heißt es: „Im Ernstfall wären Hunderte amerikanische Bomber auf einmal gestartet, um die festgelegten Zielorte zu ‚neutralisieren‘ – ein massiver Nuklearschlag auf die gesamten sozialistischen Staaten von Rostock bis Wladiwostok. Die DDR wäre gleich zu Beginn betroffen gewesen, zuerst die Militärflugplätze, die Industrieanlagen und Ballungsräume, erklärt der Historiker Matthias Uhl. ‚Man muss tatsächlich davon ausgehen, dass über der DDR innerhalb kürzester Zeit 400 bis 500 Nuklearwaffen gezündet worden wären.‘“
Ähnliche Planungen gab es in den 1950er Jahren, wenn auch mangels Masse an zur Verfügung stehenden Kernwaffen in weit geringerem Umfang, auf sowjetischer Seite. Darüber berichtete der MDR ebenfalls: „1955 erhielt die 157. Bomberfliegerstaffel, stationiert in Schutschin, im Gebiet Grodno in der Weißrussischen Sowjetrepublik, eine Auflistung von 13 Zielen in der Bundesrepublik. Die Staffel verfügte über IL-28-Bomber als Träger von nuklearen Waffen, der Atombombe ‚RDS 4‘. Die Bundesrepublik galt für die Militär-Strategen in Moskau als das wichtigste Zielland in Europa. Denn dort waren die entscheidenden NATO-Kontingente konzentriert.“
Atombomben auf Borna, mdr.de, 29.04.2019. Zum Volltext hier klicken.
Sowjetische Atombombenziele in der Bundesrepublik,
mdr.de, 29. April 2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Die Politik kann Recht setzen, aber kein bestehendes beugen“, vermerkt Frank Elbe, ehemaliger Büroleiter von Außenminister Genscher und nachmaliger deutscher Botschafter in Indien und Japan, und fährt fort: „Natürlich wird eine solche Einstellung von Kritikern wie Norbert Röttgen, Wolfgang Ischinger, Katrin Göring-Eckardt oder jüngst von Manfred Weber nicht geteilt. Dabei übersehen sie, dass nun gerade ein politischer Gegner von Nord Stream 2 diese Rechtsgrundsätze penibel genau beachtet hat. Die schwedische Regierung widerstand massivem amerikanischen Druck und rechtfertigte die Erteilung ihrer Genehmigung damit, dass sie zwar politische Vorbehalte gegen Nord Stream 2 habe, aber schwedisches Recht keine Handhabe biete, die Genehmigung zu verweigern.“
Frank Elbe: Nord Stream 2. Schleichende Ausgrenzung Russlands?, cicero.de, 30.04.2019. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldungen

30 Jahre deutsche Einheit – ein Grund zum Feiern!
Cum grano salis:

  • Volker Braun erzählte und bewertete in einem Interview mit der Berliner Zeitung jüngst dieses: „Eine Bibliothekarsschülerin fragte mich neulich am Telefon: ‚Waren Sie auch von der Bücherverbrennung betroffen?‘ Das ist das Resultat der Aufarbeitung.“
  • 63 Prozent aller Akademikerkinder in Deutschland beenden ein Studium, aber nur 15 Prozent aller Arbeiterkinder. Diese Zahlen nannte der Ex-Herausgeber des Handelsblattes, Gabor Steingart, in seinem Morning Briefing vom 20. Mai 2019 und kommentierte: „Die Herkunft und nicht das Talent entscheiden über den Lebensweg.“

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„[…] zwischen den theoretischen Schriften von Lenin und den Interviews von Robert Habeck ist ein Gefälle erkennbar, bei aller Kritik an Lenin.“ (Harald Martenstein, DIE ZEIT vom 16. Mai 2019.)

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Zu den Aussichten des von Sebastian Kurz, Bundeskanzler der Republik Österreich, bei den durch Ibiza-Gate verursachten Neuwahlen im September meint Rainer Nowak, Chefredakteur und Herausgeber der österreichischen Tageszeitung Die Presse: „Wie jeder Politik-Journalist habe ich in meinem Leben so viele Fehlprognosen abgegeben, dass ich auch eine weitere nicht scheue. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er, sollten nicht weitere Videos auftauchen, diese Wahl für sich entscheiden wird.“

Alfons Markuske