22. Jahrgang | Nummer 6 | 18. März 2019

Bemerkungen

Für und wider einen Aufruf

„Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von allen.“ Völlig geschlechtsneutral formulierte Karl Valentin sein Bonmot. Weitsichtiger Valentin! Nicht einmal Eifernde wüssten seinen Satz durch Gendersterne, Binnen-I oder Unterstriche zu ver… Ja wie soll ich dieses Verb vollenden?
Wenn also schon alles zum Thema gesagt ist und es dennoch jemanden unbedingt zur Wortmeldung drängt, wird der- oder diejenige, um noch gehört zu werden, fast zwangsläufig lauter, schärfer, provozierender. Kürzlich hat der Verein Deutsche Sprache e.V. (VDS) einen Aufruf unter dem Titel „Schluss mit dem Genderunfug“ veröffentlicht und zum Widerstand gegen „zerstörerische Eingriffe in die deutsche Sprache“ geblasen. Gemeint sind eben Genderstern, Binnen-I, Unterstrich und andere Zeichen, die von ihren Benutzern als „geschlechtergerechten Sprache“ begriffen werden. Die VDS-Petition trägt schon mehr als 50.000 Unterschriften. Auch mir wurde die Signatur anheimgestellt, wobei die Ratgeber sämtlich anmerkten, dass sie nicht alle, die sich dem Aufruf angeschlossen haben, zu ihren Lieblingen zählten. So ist das: Wer an die Öffentlichkeit appelliert, verliert den Einfluss darauf, wer dem Ruf folgt. Das wiederum liefert anderen willkommenen Anlass zur Polemik. Eine „jämmerliche Parade kleinbürgerlicher Würstchen“ und „bezahlte Witzfiguren“ nannte Daniel Kretschmar in der taz den Großteil der Erstunterzeichner. Und im neuen deutschland dankte Kathrin Gerlof dem Kollegen „ausdrücklich für seine großartige Wut-Eloge“. Wer gegen Gendersterne ist, meinen die beiden offenbar (zu Unrecht), der ist auch gegen Geschlechtergerechtigkeit. Schlimmer noch: „Reine Sprache ist wie reines Blut. Sollten wir nicht wollen. Hatten wir schon mal“, schwingt Frau Gerlof die dürftig umhüllte Nazikeule.
Schon vor gut zwei Jahren schrieb Daniela Dahn: „Wegen ungünstiger Witterung ist die westdeutsche Frauen-Emanzipation in die Grammatik verlegt worden.“ Linguistisches habe im Westen unseres Landes seit Ende der 70er Jahre als Ersatz für praktische Verbesserungen in Sachen Gleichstellung herhalten müssen. Kretschmar und Gerlof sind allerdings „Ostgewächse“ – jüngeren Geburtsdatums.  Das Ganze also eine Generationenfrage?
Daniela Dahn befand seinerzeit, im Namen von Frauen müsse man die Sprache nicht „verhunzen“. (Da haben Sie doch das Wort, das oben unvollendet blieb). „Wenn ich die Wahl habe zwischen politisch korrekt und sprachlich schön, entscheide ich mich zugegebenermaßen für das Schöne“, schrieb sie. Wenn es denn auf Ämtern, an Universitäten, in Gesetzestexten sexusgerecht sein müsse – ihretwegen. Aber man verschone bitte mit solchen Forderungen „die Bereiche, in denen, wenn es gut geht, an der Sprache noch gearbeitet wird.“
Mich würde es freuen wenn auch das Blättchen davon verschont bliebe. Die VDS-Petition habe ich  trotzdem nicht unterschrieben.

Detlef D. Pries

Frühling

Nun ist er endlich kommen doch
In grünem Knospenschuh;
„Er kam, er kam ja immer noch“,
Die Bäume nicken sich’s zu.

Sie konnten ihn all erwarten kaum,
Nun treiben sie Schuss auf Schuss;
Im Garten der alte Apfelbaum,
Er sträubt sich, aber er muss.

Wohl zögert auch das alte Herz
Und atmet noch nicht frei,
Es bangt und sorgt: „Es ist erst März,
Und März ist noch nicht Mai.“

O schüttle ab den schweren Traum
Und die lange Winterruh‘:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag’s auch du.

Theodor Fontane
(1851)

Medien-Mosaik

Die Baselerin Christine Repond (Jahrgang 1981) lebt in München, wohin sie ihre Studien verschlagen hatten. Dort wollte sie auch ihren Film „Vakuum“ realisieren, blitzte aber bei Redaktionen und Geldgebern ab. In der Schweiz war es möglich, das ungewöhnliche Thema auf die Leinwand zu bringen. Was verbindet zwei Menschen nach 35 Ehejahren? Sind es nur Kinder und Enkel? Das Verständnis füreinander? Oder auch noch sexuelle Anziehung? Bei Meredith und André, beide um die 60, ist auch letzteres der Fall. Umso schockierender ist die Erkenntnis für Meredith, dass sie HIV-positiv ist. Sie kann sich nur bei ihrem Mann angesteckt haben. Wie miteinander umgehen, fast noch schlimmer: Wie sagt man es den Kindern? Besonders durch die Hauptdarsteller Barbara Auer (die 2017 in Tallinn und 2018 in Zgorzelec Darstellerpreise erhielt) und Robert Hunger-Bühler schafft die Regisseurin ein dichtes, faszinierendes Spiel um Liebe und Vertrauen, das auch ohne eine minutenlange Beischlafszene gut funktioniert hätte.

Vakuum. Regie Christine Repond. Schweiz 2017, Real Fiction Filmverleih, seit 14. März in deutschen Kinos

*

In Christine Reponds Film können wir die Handschrift einer der sehr raren Schweizer Regisseurinnen entdecken. Hier, wie überall in Europa, dominieren Männer das künstlerische Filmschaffen. In Deutschland gab es lächerlich wenige Ausnahmen in der Frühzeit, auch in der Bundesrepublik sah es bis in die sechziger Jahre nicht anders aus. Davon hob sich das zentral gesteuerte Filmwesen in der DDR ab, wenn auch nur in Maßen. Seit Ende der vierziger Jahre wirkten Regisseurinnen im Dokumentarfilm, seit den Fünfzigern im Animationsfilm, und hier besonders zahlreich, und erste Regisseurin im programmfüllenden Spielfilm war zu Beginn der sechziger Jahre die heute fast vergessene Bärbl Bergmann (1931-2003). Was ihre Filme auszeichnete und warum ihre Laufbahn abbrach, wie es ihren Nachfolgerinnen im Spielfilm, Ingrid Reschke, Iris Gusner, Hannelore Unterberg und Evelyn Schmidt erging, welche Steine ihnen trotz aller Frauenförderung in der DDR-Kulturpolitik auch in den Weg gelegt wurden, kann man in dem neuen Band „Sie – Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme“ erfahren. Diese Lebens- und Schaffenswege lesen sich spannend, auch anregend, sind sie doch in einem angenehm feuilletonistischen Ton gehalten. Bei Spiel-, Dokumentar- und Trickfilm zusammen waren es nur 64 Frauen, die in den Regiestuhl gelangten, unter ihnen berühmte, international preisgekrönte Frauen, wie Sieglinde Hamacher, Barbara Junge, Helke Misselwitz, Gitta Nickel und Annelie Thorndike. Allen lassen die Herausgeber Cornelia Klauß und Ralf Schenk Gerechtigkeit widerfahren, haben Autoren verschiedener Generationen und verschiedenen Geschlechts gewonnen, unter anderen Grit Lemke, Marion Rasche (selbst Animationsfilmregisseurin), Anke Westphal, F.-B. Habel, Günter Jordan, Harald Kretzschmar, Claus Löser, Hans Müncheberg, die für präzises Wissen und leicht lesbare Handschriften stehen. Hinzu kommt, dass dem Kompendium zwei DVDs beiliegen, auf denen zahlreiche Beispiele der Regisseurinnenarbeiten nachvollzogen werden können. Die Mehrzahl der persönlich befragten Filmemacherinnen äußerte übrigens, dass sie zum ersten Mal seit 30 Jahren nach ihren künstlerischen Wegen befragt wurden. Da liegt ein Feld für weitere Veröffentlichungen!

Cornelia Klauß, Ralf Schenk: Sie – Regisseurinnen der DEFA und ihre Filme. Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, Berlin 2019, 416 Seiten, 2 DVDs, 29 Euro.

bebe

Zu kurz gesprungen

Ein „Indianerverbot“ gab es zum Fasching in einer Hamburger Kita. Die Eltern wurden schriftlich gebeten, dass die Kinder keine Indianerkostüme tragen sollten. Die Bezeichnung Indianer sei diskriminierend, weil ein Begriff der Kolonialisten. Auch Scheich sei bitte zu vermeiden. Das sei essentiell für eine „kultursensible, diskriminierungsfreie und vorurteilsbewusste“ Erziehung. Angeregt wurde stattdessen eine Verkleidung als – Meerjungmänner.
Wem dazu nun wieder nur die Einstein (womöglich zu Unrecht) zugesprochene Sottise einfällt: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“, dem zeige man die Rote Karte! Zu kritisieren ist an diesem Hamburger Modell keinesfalls der konzeptionelle Ansatz als solcher, sondern vielmehr, dass selbiger nicht weit genug gefasst wurde. Denn was ist unter den Aspekten kultursensibel, diskriminierungsfrei und vorurteilsbewusst mit den starken regionalen Minderheiten im Lande, die mit dem ganzen Faschingszeugs nicht nur nichts anfangen können, sondern für die es eine psychische und physische Folter darstellt. Vor allem, wenn es als sogenannter Karneval zelebriert wird und periodisch zu beängstigenden Menschenverklumpungen im öffentlichen Raum führt. Da kommt es bei Faschingsallergikern bekanntlich regelmäßig zu posttraumatischen Belastungsstörungen, wenn, aus welchen Gründen auch immer, speziell am berüchtigten Rosenmontag eine der entsprechenden  „Hochburgen“ aufgesucht werden muss.
Also, liebe Hamburger Kita-Vorreiter, bitte noch mal nachdenken und den Eltern im nächsten Jahr mitgeteilt, dass aus Gründen des kultursensiblen, diskriminierungsfreien und vorurteilsbewussten Minderheitenschutzes dem ganzen Hokuspokus künftig entsagt werde.

Clemens Fischer

Aus anderen Quellen

„Ein überflüssiger Satz: 1989 war für die DDR ein Krisenjahr.“ So beginnt Jörg Roesler und fährt fort: „Es war aber nicht das erste. Die Jahre 1953 und 1961 wären da noch zu nennen. Aus diesen Krisen hatte die DDR wieder herausgefunden. ‚Neuer Kurs‘ bzw. ‚Neue ökonomische Politik‘ hießen die Strategien, mit denen die DDR-Führung den Weg aus dem Dilemma fand. Insbesondere der Krise am Anfang der 1960er Jahre war ein langer Zeitraum gefolgt, in der es im Osten Deutschlands voranging, Wirtschaftsleistung und Wohlstand stiegen. Warum fand man 1989 nicht mehr aus der Krise?“ Dieser Frage geht der Autor nach.
Jörg Roesler: Zwischen Routine und Resignation. Wie das Politbüro des ZK der SED im Februar 1989 die Wirtschaftsprobleme der DDR behandelte,
jungewelt.de, 28.2.2019.Zum Volltext hier klicken.

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„Er war Staatsrechtler in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, der auch als politischer Philosoph gehandelte Carl Schmitt (1888 – 1985)“, schreibt Michael Reitz. „An seiner Person scheiden sich bis heute die Geister. Er gilt als Kronjurist des Dritten Reiches, als karrieristischer und einflussreicher Juraprofessor und Gutachter, der sowohl das Vorgehen der Nazis während des Röhm-Putsches als auch die Nürnberger Rassegesetze rechtfertigte. Nach dem Krieg war er Persona non grata, […] zumal er an seinem rabiaten Antisemitismus festhielt. Im Unterschied zu vielen NS-Juristen wurde er nicht nahtlos in den akademischen Betrieb der Bundesrepublik übernommen. Dennoch waren die juristischen Väter des Grundgesetzes zu einem nicht geringen Teil seine Schüler, ebenso Verfassungsrichter […].“
Michael Reitz: Versuch über das Denken Carl Schmitts, deutschlandfunk.de, 24.2.2019. Zum Volltext hier klicken.

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Seymour Hersh, 81, eine Legende des investigativen Journalismus und Pulitzer-Preisträger, ist in den USA durchaus umstritten. Die Behauptungen, dass Donald Trump während seines Wahlkampfs Unterstützung durch Moskau erhalten hat, hinterfragt Hersh als einer der wenigen renommierten Medienvertreter seines Landes. Im Interview mit der FAZ stand er Rede und Antwort.
Daniel C. Schmidt: „Diese ganze Geschichte ist ein einziger großer Schwindel“, faz.net, 5.3.2019. Zum Volltext hier klicken.

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Anfang März 1968 havarierte das strategische sowjetische Nuklear-U-Boot K 129 mit knapp 100 Mann Besatzung und drei Mittelstreckenraketen mit 1400 Kilometer Reichweite sowie je einem Sprengkopf von der 65-fachen Stärke der Hiroshima-Bombe im Pazifik nordwestlich von Hawaii und sank auf den Meeresgrund, der dort bei etwa 5000 Metern Tiefe liegt. Die Suchaktionen der sowjetischen Marine verliefen erfolglos, nicht aber die der USA. Deren „Spionage-U-Boot USS ‚Halibut‘“, schreibt Anja Jardine, „erkundete die Region mit dem tiefseetauglichen Roboter ‚Fish‘ und fand das U-Boot […], zerbrochen in zwei Teile, die vorderen zwei Drittel relativ intakt. – Dort unten lag ein Schatz an Geheiminformationen: Waffentechnik, Operationspläne, Logbücher, Code-Bücher, Handbücher.“ Und es gelang den USA in einer der größten technischen Geheimdienstoperationen des Kalten Krieges, einen Teil des U-Bootes zu bergen.
Anja Jardine: Wie die CIA im Kalten Krieg heimlich ein U-Boot der Sowjets barg, nzz.ch, 22.02.2019. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldungen

Kinder sind in Volksrepublik China ein ganz besonders teures Vergnügen.
Frederike Böge von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtete in der Ausgabe vom 3. März über einen jungen Vater, der täglich zwei Stunden damit verbringe, über eine von der KP-Führung allen Parteimitgliedern obligatorisch verordnete App auf seinem Smartphone die Gedanken und Worte des Großen Vorsitzenden – zurzeit heißt der bekanntlich Xi Jinping – aufzurufen und damit Sozialkreditpunkte einzusammeln. Das erledige er auch für seine Frau, denn die müsse „sich schließlich um unser Baby kümmern“.
Dazu wusste Kollegin Böge mitzuteilen: „[…] die hohen Bildungskosten für seine Tochter werden ihn ab dem Kindergarten noch mehr fordern.“ (Hervorhebungen – A.M.)
Offenbar werden in der VR China schon die Säuglinge zur (Privat-?)Universität gekarrt.

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In der deutschen Hauptstadt, so war der Berliner Zeitung am 5. März zu entnehmen, drängen Schüler der entsprechenden Altersgruppen nicht nur in die Gymnasien: „Auch […] Sekundarschulen, meist mit eigener gymnasialer Opferstufe, sind traditionell besonders begehrt.“
Sprache trifft Realität?

Alfons Markuske