Ein Wahrheitssucher – ein Nachruf
Hans Magnus Enzensberger – er starb am 24. November in München – war einer der politischsten Dichter dieser Republik, obwohl er Bekenntnis-Dichtung zutiefst verabscheute. Er bevorzuge Argumente, bescheinigte er dem Kollegen Peter Weiss, als der ihm einmal eine Stellungnahme zu einer Frage der aktuellen Politik abverlangte. Das war im Kursbuch, einer legendären Kulturzeitschrift, die Enzensberger 1965 zusammen mit Karl Markus Michel gründete und die in den 1960ern zu einer der wichtigen Stimmen der bundesdeutschen Außerparlamentarischen Opposition wurde. Seine mitunter sperrige Dichtung gehört zu den wesentlichen lyrischen Leistungen der deutschen Literatur im späten 20. Jahrhundert. Schon der erste Gedichtband, „die verteidigung der wölfe“ (1957), war ein Paukenschlag. Oft sind deutsche Literaturpreisverleihungen mindestens hinterfragbar – dass Hans Magnus Enzensberger 1963 den Georg-Büchner-Preis erhielt zeichnete hingegen den Preis selbst aus. In seinen Texten spürt Enzensberger immer dem nach, was man gemeinhin als „die Wahrheit“ bezeichnet. Wer das versucht, stößt schnell auf Grenzen: „Eine herrschende Klasse lässt sich nämlich nicht rückhaltlos befragen, bevor sie besiegt ist. Vorher stellt sie sich nicht, legt keine Rechenschaft ab, gibt die Struktur ihres Verhaltens nicht preis, es wäre denn indirekt oder aus Versehen: Als Fehlleistung, als Indiskretion, im Zynismus der Eingeweihten, in der Mehrdeutigkeit des falschen Zungenschlages oder in der naiven Brutalität des Befehls. Erst wenn die Machtfrage gestellt ist, tritt die ganze Wahrheit über eine Gesellschaft ans Licht.“ Das ist Enzensbergers Fazit aus der Auseinandersetzung mit dem gescheiterten CIA-Versuch, der kubanischen Revolution 1961 den Garaus zu bereiten („Das Verhör von Habana“, 1970). 1978 veröffentlichte er das Versepos „Untergang der Titanic“, darin rechnet er sarkastisch mit jedem plakativen Fortschrittsoptimismus ab. Mit der hier vorgeführten kritischen Sicht auch auf seine einstigen Visionen und Illusionen machte er sich nicht nur Freunde … Allerdings wehrte er – anders als manch anderer Poet – jegliche Vereinnahmung durch die Herrschenden und ihre Apologeten ab. „Wir leben in postdemokratischen Zeiten“, stellte er 2013 bitter fest. Zu diesem Befund hatte er schon 1975 im Gedichtband „Mausoleum“ gefunden: „Nach Polizei riecht Europa immer noch. Darum, und weil es nie / und nirgends, / Bakunin, / ein Bakunin-Denkmal gegeben hat, gibt oder geben wird, / Bakunin, bitte ich dich: kehr wieder, kehr wieder, kehr wieder.“
Die Stimme des Dichters ist eine schwache, das wusste er. Aber Hans Magnus Enzensberger gehörte zu den Tapferen, den nicht schweigen Könnenden, die dem Wort der Literatur wieder und wieder auf den Marktplätzen des täglichen Irrsinns Gehör zu verschaffen suchten: „… es sind die amtlichen / schmierigen adler, die orgeln / durch den entgeisterten himmel, / um uns zu behüten. / von lebern, / meiner und deiner, zehren sie, / leser, der du nicht liest.“
Seine Stimme fehlt.
Ewiges
Zum ewigen Frieden.
Bald, kennt jeder den eigenen Vortheil und gönnet dem andern
Seinen Vortheil, so ist ewiger Friede gemacht.
Zum ewigen Krieg.
Keiner bescheidet sich gern mit dem Theile, der ihm gebühret,
Und so habt ihr den Stoff immer und ewig zum Krieg.
Ukraine-Krieg
Die gezielte großflächige Zerstörung kritischer Versorgungsinfrastruktur durch die russischen Angreifer in der Ukraine, wodurch die dortige Zivilbevölkerung im herannahenden Winter offenbar dauerhaft von der Versorgung mit Strom, Fernwärme und Wasser abgeschnitten werden soll, ist ein Akt des Terrors und der Barbarei gegenüber Nicht-Kombattanten, zu dem Aggressoren, so sie über die dafür notwendigen militärischen Mittel verfügen, immer wieder gern greifen.
Das war bereits im völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Serbien im Jahre 1999 zu beobachten. Auf der NATO-Homepage ist nach wie vor eine Pressekonferenz des damaligen NATO-Sprechers Jamie Shea vom 25. Mai 1999 dokumentiert, in der sich folgender Dialog findet:
„Frage (Norwegische Nachrichtenagentur): Es tut mir leid, Jamie, aber wenn Sie sagen, dass die [serbische – gm] Armee eine Menge Notstromaggregate hat, warum berauben Sie dann 70 Prozent des Landes nicht nur der Elektrizität, sondern auch der Wasserversorgung […]?
Jamie Shea: Ja, ich fürchte, dass die Elektrizität auch die Kommando- und Kontrollsysteme antreibt. Wenn Präsident Milosevic wirklich will, dass seine gesamte Bevölkerung mit Wasser und Strom versorgt wird, dann muss er nur die fünf Bedingungen der NATO akzeptieren, und wir werden diese Kampagne beenden. Solange er dies aber nicht tut, werden wir weiterhin die Ziele angreifen, die seine Streitkräfte mit Strom versorgen. Wenn das zivile Folgen hat, dann muss er damit fertig werden.“
Kein Guter mehr
Letzte Woche stand mein Freund Gutfried vor der Tür, ein Sixpack vorm Bauch und eine vertrocknende Träne unterm Auge. Ach, seufzte er, wie gelingt es mir, wieder ein Guter zu sein? Lange gehörte ich doch zu ihnen. Ich meine, zu denen, die lange und viel über das Gute nachdachten. So lange und so viel, dass zum Guten tun, keine Zeit mehr war.
So dachte ich im Jahr 2015: Wir schaffen das! Und machte einen Bogen um junge laute Männer mit dunklen Teint und schwarzen Haaren.
Und 2020, oh, wie sah ich all die Menschen strafend an, die ihre Maske unterm statt überm Rüssel trugen. Und ich wartete, ob Tante Grete ihre Impfung überstand, dann ging auch ich mir eine Spritze holen.
Es war bei alledem ein gutes Gefühl, mich mit der Mehrheit der Medien eins zu wissen, die laut für das Gute warben, so wie ich im Stillen. Ach, wie haben wir gemeinsam mit scharfen Worten die vielen Bösen gerügt oder mit Verachtung gestraft.
Im Februar des Jahres 22 erwachte ich in einer anderen Welt. Hörte, las ich richtig? Meine guten, meine lieben Medien, die eben noch jeden Seuchentoten als einen zu viel beklagten, sie riefen: Zu den Waffen!
Ach, ich feiger Hund wollte doch nur meinen Frieden! Wollte nicht Milliarden für Rüstung statt für meine Rente ausgegeben sehen, wollte nicht frieren für den heißen Krieg der anderen und das heiße Blut der Kolumnisten.
Wollte mich nicht freuen, dass Hitler endlich kein Deutscher mehr war, nicht empören über das Böse im Schlips und bejubeln das Gute im olivgrünen Shirt. Ich verkroch mich in mein Sofapazifistenkissen, statt für das Wohl der Menschheit auch mal was zu riskieren. Nüchtern betrachtet, was ist schon einzuwenden gegen einen kleinen atomaren Schlagabtausch, wenn es um die Freiheit geht?
Ja, ich sah mich, wie 2015 und 19 wohl die andern, entlarvt. Von all den haubitzenstarken Talkmastern, dem mitleidsvollen Timbre der Kommentatoren und den Trümmerwüstenbildern entlarvt als ein jämmerlicher Egoist trotz Maske und Regenbogenbutton.
Könnte es nicht doch, so fragte ich heute meinen Hausarzt, ein Augenfehler sein und kein moralischer, wenn man die Welt nicht im schnittigen Schwarz-Weiß, sondern grau in grau getönt nur sieht?
Ach, ihr Guten, wie nur kann ich euch beweisen, dass im Grunde meines Herzens auch ich eine Guter bin? Wäre es gut, ich meldete mich freiwillig zu den Waffen? Aber ach, leider, leider bin ich dafür – noch – zu alt.
Doch wortwaffenstarrend, dies versichere ich, werde ich auf diese bösen Russen blicken, die sich über die Jahre in meinem Bücherschrank eingenistet haben. Ja, ins Altpapier damit und in die ewige Verdammnis! Bin ich dann endlich wieder gut?
Bob Dylans persönliche Playlist
Im Mai des Vorjahres feierte Bob Dylan, der rastlose und verschwiegene Altmeister des Rock’n’Roll, seinen 80. Geburtstag. Wie kein anderer Einzelkünstler hat er die populäre Musik der letzten sechzig Jahre geprägt. Der „Shakespeare des 20. Jahrhunderts“, wie er von vielen bezeichnet wird, erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Der Ritterschlag war 2016 die Ehrung mit dem Literaturnobelpreis – für „neue poetische Ausdrucksformen in der amerikanischen Song-Tradition“, wie es in der Begründung des Nobelpreiskomitees der Schwedischen Akademie hieß.
Nun hat der mittlerweile 81-jährige Musiker mit „Die Philosophie des modernen Songs“ ein neues Buch vorgelegt. Darin beschäftigt er sich mit seinen Lieblingsliedern, mit 66 handverlesenen Songs von berühmten und vergessenen Songwritern, die eine gewisse Bedeutung für seine eigene künstlerische Entwicklung hatten. Die Auswahl zeigt seine Liebe für die Country-Music und den frühen Rock’n’Roll, sie reicht von Bobby Bares Country-Klassiker „Detroit City“ aus dem Jahre 1963, in dem von der Sehnsucht eines jungen Industriearbeiters nach den Baumwollfeldern seiner Heimat die Rede ist, bis zur Rodgers/Hart-Nummer „Where Or When“ der amerikanischen Pop-Gruppe „Dion and the Belmonts“ aus den späten 1950er-Jahren. Überhaupt sinniert Dylan am meisten über Musiktitel der 50er- und 60er, die ihn vor allem in den Anfangsjahren seiner Karriere maßgebend beeinflusst haben – über Lieder von Bing Crosby, Nina Simone, Ricky Nelson, Elvis Presley, Ray Charles, Cher oder Johnny Cash. Auch der Brecht/Weillsche Song „Mack the Knife“ in der Version des US-amerikanischen Entertainers Bobby Darin fand Aufnahme in seinen Song-Katalog. Während Dylan den Song „Waist Deep in the Big Muddy“ seines ehemaligen Förderers Pete Seeger analysiert, findet die frühe Weggefährtin Joan Baez dagegen keine Erwähnung. Von den Rock-Bands der 1960er wird allein die britische Gruppe „The Who“ mit ihrem großartigen Song „My Generation“ betrachtet. Da kommt er selbstironisch zu dem Schluss: „In Wirklichkeit bist du achtzig Jahre alt, ein alter Mann, der in einem Seniorenheim herumgeschoben wird.“
Die kurzen Essays, an denen Dylan seit 2010 arbeitete, erinnern mitunter an amerikanische Short-Storys: spannend, kurzweilig und durchaus humorvoll. Es sind keine musiktheoretischen Analysen, vielmehr wird die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Songs erzählt – angereichert mit kulturellen Querverbindungen, Anekdoten und persönlichen Erinnerungen. Dabei lüftet Dylan auch so manches Geheimnis, denn man erfährt, welche historischen Hintergründe in den Songs stecken. Gelegentlich erzählt er aus dem Leben der Interpreten oder gibt ein Urteil über sie ab. Über Little Richard, der gleich mit zwei Liedern auftaucht, schreibt er beispielsweise: „Little Richard war alles andere als klein. Er ist ein Prediger. ,Tutti Frutti‘ ist das Alarmsignal.“ Bei der Charakterisierung des Antikriegssongs „War“ des Soulsängers Edwin Starr setzt sich Dylan auch kritisch mit der USA- Politik während des Kalten Krieges auseinander.
Ob es ein Song über einen umherziehenden Banditen („On the Road Again“ von Willie Nelson) ist, der Song des einsamen Wolfes („Strangers in the Night“ von Frank Sinatra) oder eine Ballade über die „gemarterte Seele“ („El Paso“ von Marty Robbins) – für Dylan streben Songs jedoch nicht danach, verstanden zu werden. Wie jedes Kunstwerk kann man sie schätzen oder interpretieren, „aber nur ganz selten gibt es dabei etwas zu verstehen.“
Der „philosophische“ Titel der Verneigung vor den Songs anderer Musiker ist sicherlich etwas hochtrabend, doch am Ende der 66 Kapitel hat man nicht nur etwas über Dylans Vorbilder erfahren, sondern wurde auch mit so manchem Schlaglicht zur Rock- und Popgeschichte überrascht, denn heute wird kaum jemand mit jedem dieser Songs vertraut sein. Darüber hinaus ist Dylans Playlist üppig illustriert mit Fotos von Musikgrößen, Plattencovern, Werbeplakaten oder Abbildungen aus dem amerikanischen Alltag.
Bob Dylan: Die Philosophie des modernen Songs. Verlag C.H. Beck München 2022, 352 Seiten, 35,00 Euro.
Wohlgelungener Pop, kompromisslose Songs
Um dem Leser noch einiges an Musik zu empfehlen, griff ich mutig in einen Stapel und zog drei Alben heraus, die auf den ersten Blick interessant erschienen. Schnell den Player auf Hochleistung gedreht und nacheinander Mann, Frau und Band angehört. Es hätte musikalisch unterschiedlicher nicht sein können.
Zuerst gab ich mich der leichten Muse hin, dem Pop. Pünktlich zum … na Sie wissen schon … veröffentlicht Gilbert O’Sullivans Plattenfirma von ihrem Star eine große „Best Of“. Die ist wohlgelungen, denn schließlich konnte man aus 50 Jahren Erfolg auswählen. Gut für die Auswahl: O’Sullivan nervt die Fans nicht mit immer gleichen Hit-Sammlungen. Vom ersten Erfolg „Nothing Rhymed“, der das Debütalbum „Himself“ an die Spitze der Hitparaden brachte, bis zu „Can‘t Think Straight“, einem Duett mit Peggy Lee, ist alles dabei, was das Herz begehrt und das Ohr aushält. Da gibt es Lieder gemeinsam mit Mick Hucknall (Simply Red) und KT Tunstall gesungen. Wer sich die Titelsammlung zu Gemüte führt, wird nicht mehr aus dem Staunen herauskommen, denn die 67 Songs, die auf drei CDs zusammengefasst wurden, kennt man fast alle. Auf CD 1 („Get Down“) findet der Hörer lebhafte und tanzbare Songs wie „Get Down“, „So Wat“ und „Matimony“. Da O’Sullivan vor allem ruhig, nachdenklich und melancholisch kann, gibt es für diese Art von Musik zwei CDs – „Alone Again“ und „Love“. Letztere Sammlung enthält 21 Songs fürs Herz, vom alles sagenden „What‘s In A Kiss?“ bis zum Bonustrack „Christmas Song (I´m Not Dreaming Of A White Christmas)“.
Als zweites Album wählte ich von Lainey Wilson „Bell Bottom Country“ aus. In diesem Jahr bekam die Sängerin gleich sechs Country Music Awards, sie erhielt Lob für ihre Rolle in der Serie „Yellowstone“ und war „ACM New Female of the Year 2022“. Und nun das Album „Bell Bottom Country“, das nicht nur Country-Music enthält, vielmehr mit Rock, Hippie-Vibes und Motown-Groove punktet. Wilsons Stimme ist intensiv und bohrt sich mit Macht in die Gehörgänge. Mit den Songs hat sie sich zwar am Classic-Country ihrer Heimat Nashville orientiert, aber die Texte dazu humorvoll und offen gestaltet. Wer die Country-Music schon am Boden sah, wird sie durch Lainey Wilson wieder auferstehen sehen.
Schließlich wäre da das Werk von Skid Row, das ich gerne in den Händen hielt und eigentlich nicht wieder loslassen wollte. 1986 gründete sich das Quintett und hatte bereits wenig später einen Sommerhit bei MTV: „18 and Life“. Danach war die Band, bei deren Liedern die Fans gerne die Faust in den Himmel recken, „Fuck yeah“ rufen und so manche Verrenkung veranstalten, aus dem Kosmos der harten Jungs und Mädchen nicht mehr wegzudenken. Ja, es ist lupenreiner Hard Rock, der cool wirkt, voller Groove-Momente ist und oft vom harten Heavy Metal abgelöst wird. Der Schwede Erik Grönwall, der die Songs kraftvoll und kompromisslos wiedergibt, sagte zu den von Snake Sabo (Gitarre) und Rachel Bolan (Bass) gemeinsam geschriebenen Songs: „Es sind Lieder, zu denen man singen und sich bewegen kann, wie es bei unseren ersten Platten der Fall war. Zu diesen Liedern kann man kämpfen. Zu ihnen trinken. Zu ihnen strippen …“ Insgesamt ist „The Gang‘s All Here“ die Wiedergeburt früherer Skid Row-Zeiten: voller Energie und Leidenschaft und mit einem kernigen, stimmgewaltigen und selbstbewussten Sänger.
Gilbert O’Sullivan: „The Best Of“, BMG/Warner, 3CD Deluxe Collection, ca. 19,99 Euro.
Lainey Wilson: „Bell Bottom Country“, BBR Music/BMG/Warner, CD, ca.17,99 Euro.
Skid Row: „The Gang‘s All Here“, earMusic/Edel, CD, ca. 15,99 Euro.
WeltTrends aktuell
Das Dezember-Heft des außenpolitischen Journals WeltTrends widmet sich dem Schwerpunktthema: „Grande Nation? Frankreich heute“. Frankreich steckt in einer tiefen Krise. Es nehme, so schreibt der Gastherausgeber John Neelsen, politische und ökonomische Krisen der westlichen Demokratien und die aus ihnen erwachsenden Kräfte des Widerstands vorweg. Zudem habe der Ukraine-Konflikt Divergenzen zwischen Paris und Berlin in zentralen Politikfeldern öffentlich gemacht. Paris konstatiere einen prinzipiellen Schwenk in der deutschen Politik: statt Konsultationen und Kooperation Berliner Alleingänge, statt strategischer Autonomie der EU sei Deutschland Vasall der USA.
Auch um Polen geht es in diesem Heft: Klaus-Heinrich Standke setzt sich mit den neuerlichen polnischen Forderungen nach Reparationen in Billionen-Euro-Höhe auseinander. Die im Mai 2021 paraphierte deutsch-namibische Erklärung, mitunter auch zum „Versöhnungsabkommen“ stilisiert, liegt angesichts massiven Widerstands in Namibia auf Halde, konstatiert Henning Melber im WeltBlick. Der Weg zur Versöhnung sei noch weit.
Zu beziehen über das Internet (Preis des Einzelheftes 5,80 Euro).
Blätter aktuell
In der Dezember-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik ergründet Serhij Zhadan, wie sich der Krieg in die Sprache einschreibt. Nicole Deitelhoff erklärt, warum im Ukrainekrieg Gespräche dringend geboten sind. Paul Simon beleuchtet die dramatischen Folgen der russischen Luftangriffe für die ukrainische Zivilgesellschaft. Johannes Hillje erläutert die Gründe für den anhaltenden Erfolg der AfD. Seyla Benhabib analysiert die rechtspopulistische Konterrevolution und ihr Gegenstück: einen Kosmopolitismus von unten. Und mehrere Autoren skizzieren, wie der Weg in eine Wohlergehensökonomie aussehen könnte.
Weitere Themen: Midterms gegen Trump; Lulas Hypothek: Demokratie auf Bewährung; Wie sich der anhaltende Erfolg der AfD erklären lässt; Bürgergeld: Stimmungsmache auf Stammtischniveau; Der Kampf um den Artenschutz: Die Wildnis als Störfall?; Iran: Die unaufhaltsame Revolution; Katar und der korrumpierte Fußball, Mali: Fassadendemokratie und Fundamentalismus …
Zu beziehen über das Internet (Preis des Einzelheftes – print / digital – 11,00 Euro).
Aus anderen Quellen
„Die meisten Deutschen“, schreibt Wolfgang Streeck, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, „stellen sich den Atomkrieg als eine interkontinentale Schlacht zwischen Russland (früher Sowjetunion) und den Vereinigten Staaten vor, bei der ballistische Raketen mit Nuklearsprengköpfen den Atlantik oder gegebenenfalls den Pazifik überqueren. Europa könnte getroffen werden oder auch nicht, aber da die Welt ohnehin untergehen würde, ist es nicht nötig, darüber nachzudenken. Vielleicht aus Angst, der Wehrkraftzersetzung bezichtigt zu werden, die im Zweiten Weltkrieg mit der Todesstrafe geahndet wurde, scheint keiner der plötzlich zahlreichen deutschen ‚Verteidigungsexperten‘ bestätigen zu wollen, dass das, was Biden als Armageddon bezeichnet, eine Zukunft ist, die […] nach einer längeren Phase ‚taktischer‘ […] nuklearer Kriegsführung in Europa und auch auf den ukrainischen Schlachtfeldern zur Gegenwart werden könnte.“
Wolfgang Streeck: Getting Closer, newleftreview.org, 07.11.2022. Zum Volltext hier klicken.
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Passend zur jüngsten, pathologischen Größenwahn nicht nur streifenden Verkündung Nordkoreas, dass die Nuklearstreitkräfte des Landes zu den stärksten der Welt entwickelt werden sollen, vermerkt Herbert Wulf: „Es ist an der Zeit, der Realität ins Auge zu sehen und anzuerkennen, dass Nordkorea über einsatzfähige Atomwaffen verfügt. Sollte die internationale Gemeinschaft (oder zumindest Südkorea und die USA als Seouls enger Verbündeter) also Nordkorea als Nuklearmacht anerkennen? Bislang verfolgten die Vereinten Nationen und die USA, aber auch China, Russland, Japan, die EU und Südkorea über mehr als drei Jahrzehnte den Ansatz, gemeinsam das nordkoreanische Atomprogramm zu stoppen. Doch alle bisherigen Versuche sind gescheitert.“
Herbert Wulf: Realitätscheck, ipg-journal.de, 17.11.2022. Zum Volltext hier klicken.
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„Die deutsche Wirtschaft ist in eine gefährliche Zangenbewegung geraten“, stellt Gabor Steingart fest und fährt fort: „Das Verrückte: Beide Arme der Zange werden nicht von Russen oder Chinesen, sondern von Amerikanern bewegt, die offenbar fest entschlossen sind, ihren künftigen Wohlstand zulasten von Chinesen und Europäern zu organisieren. Trump ging, sein Motto blieb: America First.“
Gabor Steingart: USA nehmen Deutschland in die Zange – und Habeck die heimische Industrie, focus.de, 26.11.2022. Zum Volltext hier klicken.
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„Zahlreiche bewaffnete Konflikte […] verschoben im Lauf des 19. Jahrhunderts mehrfach die Grenzen innerhalb Amerikas“, ruft Romain Droog in Erinnerung: „Die USA eroberten im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg (1846–1848) unter anderem Kalifornien, Arizona und Texas. Paraguay verlor im Tripel-Allianz-Krieg (1865–1870) gegen Argentinien, Brasilien und Uruguay die Hälfte seines Territoriums. Bolivien büßte im Salpeterkrieg (1879–1884) mit Chile seinen Zugang zum Meer ein. Das spanische Kolonialreich war auf der Ausbeutung natürlicher Rohstoffe gegründet und daher auf strategisch wichtige Orte konzentriert gewesen, wie Bergwerke, Häfen und städtische Verwaltungszentren. Als die lateinamerikanischen Staaten unabhängig wurden, war ein Großteil ihrer Flächen kaum oder gar nicht erfasst, wie der gigantische Amazonas-Regenwald oder die Weiten Patagoniens […].“
Romain Droog: Grenzkonflikte im postkolonialen Lateinamerika, monde-diplomatique.de, 10.11.2022. Zum Volltext hier klicken.
Letze Meldung
Bekannt ist, dass der Verfassungsschutz unter anderem wegen seiner notorischen Rechtsblindheit (siehe zum Beispiel Das Blättchen 25/2016) hin und wieder zu der Frage provoziert, ob der Dienst als quasi kriminelle Vereinigung nicht selbst verboten gehört. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit befindet sich der Sachverhalt, dass die Schlapphüte offenbar trotzdem mitten im Leben stehen. Und da muss man die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen.
Im September 2021 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz in Bonn Besuch einer größeren Delegation eines befreundeten ausländischen Dienstes. Man bat die Gäste ins Restaurant eines Fünfsternehotels – zum Abendmahl mit 36 Teilnehmern à 143 Euro pro Nase. Am nächsten Tag wurde wiederum üppig (für 203 Euro pro Teilnehmer) auf einem Katamaran getafelt, als man gemeinsam den Rhein erkundete. Insgesamt schlug die zweitägige Sause – pardon: anderthalb Stunden waren auch für Fachgespräche reserviert – mit rund 25.000 Euro zu Buche.
Das bemängelte jetzt der Bundesrechnungshof mit dem Verweis darauf, dass Verfassungsschützer laut geltenden Regeln für ein Essen (Getränke inklusive) nur 30 Euro ausgeben dürften.
Doch mal ehrlich und angesichts der allgemeinen Inkompetenz des Vereins: Warum sollten die Schlapphüte ausgerechnet das kleine Einmaleins beherrschen?
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