22. Jahrgang | Nummer 23 | 11. November 2019

Bemerkungen

Abschied von Heerke Hummel (†)

Lieber Heerke,
die Nachricht, dass Du am 30. Oktober 2019 all Deine Lieben, aber auch den Freundes- und Autorenkreis des Blättchens unwiederbringlich zurückgelassen hast, macht uns sehr betroffen.
Dein erster Beitrag im Blättchen erschien in der Ausgabe 6/2007. Seither warst Du uns ein höchst kompetenter, allzeit freundlicher Mitstreiter und anregender Gesprächspartner – einer von jenen, deren Weggang man vielleicht fachlich kompensieren kann, nicht aber menschlich.
Wir werden Dir ein ehrendes Angedenken bewahren und geben Dir ein von Herzen trauriges, aber sehr herzliches Valet mit auf den Weg.

Margit van Ham
Wolfgang Brauer
Detlef Pries
Wolfgang Schwarz

Horváth angepoppt, aber hoffnungslos

Von Brecht gibt es die schöne politische Metapher vom Einfachen, das schwer zu machen sei. Sie gilt auch für die Kunst, das Theater zumal.
In den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin wird jetzt Ödön von Horváths und Lukas Kristls „Glaube Liebe Hoffnung“ (1932) in der Inszenierung von Jürgen Kruse gegeben. Ein „Totentanz in fünf Bildern“, der die Folgen gegen die kleinen Leute herzlos angewandter „Kleiner Paragraphen“ in einer herzlosen Gesellschaft vorführt.
Die Fabel ist einfach: Die sich mit Kleinhandel durchs Leben schlagende Elisabeth (Linda Pöppel) benötigt einen Wandergewerbeschein, der kostet 150 Mark. Sie hat aber eine Geldstrafe abzuzahlen, die ebenso 150 Mark beträgt. Eine Konstellation fast wie in Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“. Elisabeth leiht sich das Geld vom Präparator des Anatomischen Institutes, dem sie eigentlich ihren künftigen Leichnam verkaufen wollte. Der sorgt dafür, dass sie als vermeintliche Betrügerin für 14 Tage ins Gefängnis wandert. Sie hofft dann, durch eine Liebesbeziehung zum Schupo Alfons Klostermeyer (Manuel Harder) sozial sicheren Boden unter die Füße zu bekommen. Auch das misslingt, da sie die verhängten Entlassungsauflagen nicht korrekt genug erfüllt. Alfons, vor die Wahl „Karriere“ oder Liebe gestellt, entscheidet sich für Erstere. Elisabeth geht ins Wasser.
Eine einfache Geschichte, die Horváth in einer schlichten, an die Groschenhefte seiner Zeit angelehnten Sprache erzählt. Der Dramatiker hatte offenbar schon mit damaligen Regiegrößen missliche Erfahrungen gemacht. In einer „Randbemerkung“ zum Stück betont er, „ich lehne alles Parodistische ab“.
Das hinwieder interessiert Jürgen Kruse nicht. Er lässt parodieren. Mit der Sprache der Figuren kann er nichts anfangen. Seine Schauspieler müssen die in banalen Stotterübungen verhackstücken. Das mag bei anderen Texten originell wirken. Hier ist es einfach nur peinlich und diskriminierend. Horváth gab sehr bewusst mit dem Muster des Totentanzes einen dramaturgischen Rhythmus vor, den die Regie ebenso tapfer ignoriert. Herauskommt eine sich fast über die gesamte Inszenierung dehnende, poppig daherkommende Langeweile, die dem Zuschauer eine unerhörte Disziplin abverlangt. Es wird überwiegend im Halbdunklen gespielt. Das ist angenehm zu schauen, weil man so wenigstens im Ansatz die anspielungsreich vollgerümpelte Bühne (Bernd Damovsky) ignorieren kann. Die Schauspieler können das nicht – sie müssen hart arbeiten, um sich den nötigen Raum zum Spielen zu verschaffen. Linda Pöppel und Manuel Harder gelingt es, sich im Vierten Bild freizuspielen, obwohl Kruse auch hier versucht, durch eine überlaute Einspielung von „She’s a Rainbow“ der „Rolling Stones“ das Ganze zu verkitschen. Pöppels Elisabeth bringt im Fünften Bild ganz großes Theater. Aber das war’s auch schon.
Jürgen Kruse ist am scheinbar Einfachen vollständig gescheitert. Er muss das selbst gefühlt haben. Den DT-üblich freundlichen Schlussapplaus der Premiere hielt er nur wenige Atemzüge lang aus.

Wolfgang Brauer

Wieder am 17. und 26. November 2019.

Das liebe Geld (I)

Geld ist nicht alles,
aber viel Geld ist schon etwas.

George Bernard Shaw

Und wenn es nicht das eigene ist, sondern zum Beispiel das des Steuerzahlers, dann gehen großzügiger Umgang damit und kreativer Schlendrian gern Hand in Hand. Vor allem wenn letztere die Öffentliche ist. Das gerade erschienene Schwarzbuch 2019/2020 des Bundes der Steuerzahler zur öffentlichen Verschwendung hat dazu wieder einiges in petto.
Beispiele gefällig?
Bundesregierung: Die unterhält seit 2007 rund 70 Kilometer nördlich von Berlin das Schloss Meseberg, um, so die Bundesregierung im Internet, „Gäste aus aller Welt [zu] empfangen“ und um „in Abstand von der Hauptstadt […] die Regierungspolitik zu besprechen“. Investiert wurden anfänglich 13 Millionen Euro für Sicherheits-, Haus- und Kommunikationstechnik. An laufenden Kosten – unter anderem für die Bewachung durch die Bundespolizei – kamen 2015 bis 2018 15,4 Millionen hinzu. Weitere Posten wie etwa für Bauunterhalt, Bewirtschaftung und anderes mehr in Höhe von rund 1,8 Millionen schlugen ebenfalls zu Buche. Die Nutzungsbilanz der Immobilie weist für die vergangenen vier Jahre allerdings nur acht (in Ziffern: 8) Nutzungstage per anno auf, wobei Veranstaltungen wie die Weihnachtsbaumübergabe an das Bundeskanzleramt schon mitgezählt sind, obwohl sie unter Kategorien wie Gäste aus aller Welt oder Regierungszusammenkünfte nur sehr bedingt zu subsummieren sind.
Hessen: Im Bad Homburger Schloss befinden sich die Wohnräume einer ehemaligen Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm II, die 2011 zwecks Sanierung geschlossen wurden. Das zuständige Landesministerium für Wissenschaft und Kunst rechnete in einer ersten Schätzung mit Gesamtkosten in Höhe von bis zu zwei Millionen Euro.
Geworden sind daraus bis heute zehn Millionen. Neben den Baukosten kam das Land auch für die Restaurierung des mobilen Kunstguts auf –1,5 Millionen.
Aber einen Lichtblick gibt es auch: Vor der Schließung besuchten lediglich 28.000 zahlende Besucher jährlich das Schloss; Gesamterlös rund 80.000 Euro. Künftig rechnet das Kunstministerium, das ja schon die Gesamtkosten recht ordentlich prognostiziert hatte, mit 55.000 jährlichen Besuchern und Gesamteinnahmen von 180.000 Euro.
Na ja, dann …
Sachsen-Anhalt: Die Landesregierung hat die bisherige B6 zur A36 hochgestuft und erhoffte sich davon zusammen mit dem Harzer Tourismusverband Image-Gewinn und Standortvorteil. Dazu muss die rund 100 Kilometer lange Strecke aber umgeschildert werden – von gelb auf blau. Planungskosten: 200.000 Euro. Anschließende Baukosten: 2,849 Millionen.
Rheinland-Pfalz: Dort läuft die Wiederansiedlung des Luches auf vollen Touren – ein Projekt unter der Ägide der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz, deren Vorsitzende die rheinland-pfälzische Umweltministerin ist. 20 Tiere sollen ausgewildert werden; Kostenpunkt: 2,75 Millionen Euro. Davon die Hälfte von der EU und 400.000 aus Landesmitteln, vulgo Steuergelder. Aber wieso kosten 20 Luchse Millionen? Halt, die Tiere trifft keine Schuld. Kostentreiber ist das menschengemachte „Begleitprogramm“: nicht nur Tierschutzmaßnahmen und ein Monitoring, sondern auch diverse Veranstaltungen und eine üppige Öffentlichkeitsarbeit. Ein deutsch-französisches „Luchsparlament“ inklusive, um die Menschen mitzunehmen.
Sachsen: 1,7 Kilometer ist er lang, der Elsterradweg südlich des Ortes Adorf im Vogtland. 275.000 Euro wurden dem Bund der Steuerzahler zufolge verbaut – unter anderem für die Asphaltierung und die Errichtung einer neuen Brücke. Doch dann klagte ein Naturschutzverband und erreichte gerichtlich Baustopp. Die Verantwortlichen des Vogtlandkreises hatten übersehen, dass die Trassierung durch ein Naturschutzgebiet führt, was eine Umweltverträglichkeitsprüfung und ein Planfeststellungsverfahren erfordert hätte. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte die Nutzung des Radwegs, bis beides nachgeholt ist. Ausgang – offen. Der Kläger fordert derweil den Abriss des Radwegs.

Alfons Markuske

Flieg, Fisch …

Er mache kein politisches Kabarett, dafür sei er nicht klug genug, kokettiert Jochen Malmsheimer von der Bühne. Sein Genre sei vielmehr das Epische – selbst auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden. Denn episch werde ja, wenn überhaupt, meist nur noch als lang begriffen: „Heute beim Zahnarzt, das war vielleicht wieder eine epische Warterei!“
Trotzdem kann bei diesem Wortkünstler von hohen Graden – dessen Humor ein Kritiker treffend „grimmig“ nannte, dem aber auch Selbstironie nicht fremd ist („Natürlich habe ich bemerkt, dass ich stattlicher geworden bin. Ich kann aber nichts Schlimmes dabei finden, wenn Gutes mehr wird.“) – ein Text schon mal über 25 Minuten gehen. Dann jedoch episch im besten Sinne – brilliant erzählend. Etwa wenn er die Bücher seiner Bibliothek eine Verschwörung gegen allzu platte Digitalkommunikation aushecken lässt und man endlich eine Erklärung dafür erhält, warum der eigene Mail-Account ständig mit Angeboten zur Penisverlängerung bepflastert wird.
Unterwegs ist Malmsheimer unter anderem mit seinem Programm „Flieg Fisch, lies und gesunde! oder: Glück, wo ist dein Stachel?“, bei dem er eingangs das Publikum befragt, ob es mit diesem Titel genauso wenig anfangen kann wie er selbst. Um dann nicht wieder darauf zurückzukommen, bis der Zuschauer die Eingangspointe im Feuerwerk der kaskadierenden Einfälle des Künstlers nachgerade vergessen hat. Erst ganz zum Schluss setzt er doch noch zur Erklärung an, wobei auch ein Rochen namens Jochen eine Rolle spielt.
Doch Vorsicht! Die vollständige Aufklärung wird dem Auditorium nur zuteil, wenn es sich eine Zugabe erklatscht. Was bei Malmsheimers Auftritt bei den Berliner Wühlmäusen am 6. November keine Frage war …

P.S.: Nicht verschwiegen werden soll, dass Malmsheimer in diesem Programm eines der Größten im Bereich Satire und Höherer Blödsinn gedenkt – Robert Gernhardts – und dessen genialische Verse zur Kommunikation des Apostels Paulus mit den Apachen, Komantschen und Irokesen rezitiert. Diese Zweizeiler hatten schon vor Jahren auch ein Elaborat im Blättchen mal nachhaltig bereichert. (Zum betreffenden Beitrag hier klicken.)
Tournee-Daten im Internet.

am

Political Correctness (PC)

„Alarmieren, Banalisieren, Emotionalisieren, Personifizieren, Simplifizieren, Vorverurteilen“, so der langjährige FAZ-Redakteur Reinhard Olt, das seien „Methoden und Konzepte medialer Kommunikation unter PC- Bedingungen, derer sich […] die Politik bedient […].“ Damit werde „jedweder Meinungspluralismus ad absurdum geführt, und die systemimmanente Gleichförmigkeit trägt à la longue Züge des Totalitären“. Und was die permanente Skandalisierung von politischen und anderweitig gesellschaftlich relevanten Aussagen durch die selbstermächtigte PC-Community anbetrifft verwies Olt auf „ein schönes Sprachbild“ von Wolfgang Herles, Ex-Moderator beim Bayerischen Rundfunk und beim ZDF: „Political Correctness: Das sind wirkungsmächtig gewordene Sprachverbote, auf denen Leute ausrutschen wie auf Bananenschalen.“
Dem ist nicht unbedingt etwas hinzuzufügen.
Zugleich deckte Olt den historischen Ursprung von Political Correctness auf – und zwar in einer Zeit und in einem Zusammenhang, in denen man ihn nicht ohne Weiteres erwarten würde: in einem telegraphischen Austausch zwischen dem damaligen US-Präidenten Truman und seinem Oberbefehlshaber Fernost, General Mac Arthur, vom 1. September 1945. Der General befand sich an diesem Vorabend der Unterzeichnung der japanischen Kapitulation auf einem in der Bucht von Tokio ankernden Kriegsschiff und kabelte, ob es für das bevorstehende Treffen mit den „yellow bellied bastards“ („gelbbauchigen Dreckskerlen“) noch Anweisungen gebe. Sein Präsident antwortete, der General möge „tone down your obvious dislike of the Japanese when discussing the terms of the surrender with the press, because some of your remarks are fundamentally not politically correct!” („bei der Erläuterung der Kapitulationsbestimmungen vor der Presse Ihre augenfällige Abneigung gegenüber Japanern zurückhalten, denn einige Ihrer Bemerkungen sind grundsätzlich nicht politisch korrekt!“).
Wenn PC heute noch auf derartige Fälle beschränkt wäre, könnte man vielleicht damit leben …

hh

Kommentar erübrigt sich

Elsbeth L.*, derzeit 65 Jahre und etliche Monate alt, ist seit 1. Januar 2019 arbeitslos und bezieht seither Arbeitslosengeld I (ALG I). Mit Arbeitsangeboten oder anderen Maßnahmen seitens ihrer zuständigen Arbeitsagentur Berlin-Mitte war sie bisher praktisch nicht behelligt worden. Per 1. Dezember wird sie sich aus dem Bezug von Sozialleistungen in die reguläre Altersrente verabschieden.
Mit Datum vom 16. Oktober 2019 erhielt Frau L. ein Schreiben der Agentur für Arbeit Berlin-Mitte, das mit folgenden, nicht unfreundlichen Worten anhub: „Wir laden Sie herzlich zu unserer Stellenbörse [am 25.10.2019 – tf] für Kunden mit akademischem Abschluss ein, bei der Sie die Möglichkeit erhalten, sich verschiedenen Themenbereichen zu widmen und damit Ihre Chance auf eine zeitnahe Arbeitsaufnahme zu erhöhen. Sollten Sie notwendige Qualifizierungsbedarfe erkennen, so können Sie diese ansprechen.“
Etwas weiter unten wurde der Behördencharakter des Schreibens dann schon deutlicher: „Wenn Sie ohne wichtigen Grund dieser Aufforderung nicht nachkommen, tritt eine Sperrzeit ein (Sperrzeit bei Meldeversäumnis; § 159 Abs. 1 Nr. 6 SGB 111). Die Sperrzeit dauert eine Woche. Während der Dauer der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Leistungen (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenbeihilfe, Teilarbeitslosengeld), das heißt, dass Leistungen nicht gezahlt werden. Ihre Anspruchsdauer mindert sich um die Tage der Sperrzeit.“
Als „wichtigen Grund“ für ihre Nichtteilnahme an der Stellenbörse teilte Frau L. der Agentur unter dem Datum 19.10.2019 schriftlich mit: „Ich bin ab 01.12.2019 Altersrentnerin. Der Leistungsbezug ALG I endet am 30.11.2019.“
Und wie reagierte die Agentur?
Mit einem weiteren Schreiben vom 28.10.2019, das folgendermaßen ansetzte: „[…] innerhalb der nächsten vier Monate endet Ihr Leistungsbezug. Wir wollen Sie dabei unterstützen, dass Sie vor Beendigung Ihres Leistungsanspruches auf Arbeitslosengeld I eine neue Arbeitsstelle antreten können.“
Es schloss sich die Einladung zu einer weiteren Stellenbörse an – nunmehr am 14.11.2019.
Die erneute Sanktionsandrohung für den Fall einer Nichtfolgeleistung glich derjenigen im ersten Schreiben bis aufs Wort.
Frau L. hat daraufhin – einer allmählich Fahrt aufnehmenden tibetanischen Gebetsmühle nicht unähnlich – die Agentur wiederum wissen lassen: „Ich bin ab 01.12.2019 Altersrentnerin …“
Wie wird es wohl weitergehen?
Wetten werden angenommen.
* – Name geändert; alle zitierten Unterlagen liegen der Redaktion vor.

tf

Das liebe Geld (II)

Die dubiosen bis hoch kriminellen Finanztransaktionen des Vatikans und seiner Bank, des sogenannten Instituto per le Opere Religione (IOR), standen vor einigen Jahren im Zentrum des Bestsellers „Vatikan AG“ des italienischen Investigativjournalisten Gianluigi Nuzzi, der auch im Blättchen (Ausgabe 3/2011) besprochen worden ist.
Bis zur Amtsübernahme des heutigen Papstes Franziskus im Jahre 2013 war man mit der Ausmistung dieses Augiasstalles noch nicht sehr weit gekommen. Der neue Papst jedoch, so konstatierte die Süddeutsche Zeitung (SZ) jetzt, habe „versucht, Ordnung zu schaffen, Missstände zu beheben“. Mit ernüchterndem Ergebnis. So hat Franziskus ein Wirtschaftssekretariat mit Zuständigkeit für alle vatikanischen Finanzaktivitäten eingesetzt. Dazu die SZ: Der erste Präfekt dieser neuen Behörde, „der australische Kardinal George Pell, klagte einmal, er habe ‚Hunderte Millionen Euro‘ gefunden, die in keiner Buchhaltung aufschienen. Lange blieb er nicht im Amt: Pell sitzt seit einiger Zeit wegen Kindesmissbrauchs in einem Gefängnis seiner Heimat (Australien – G.M.). Einen Nachfolger gibt es bis heute nicht.“
Der erste offizielle Buchprüfer des Heiligen Stuhls, Libero Milone, warf nach nur zwei Jahren das Handtuch, weil er „bei manchen mächtigen Persönlichkeiten der Kirche auf erbitterten Widerstand gestoßen“ war.
Zugleich steht es um die finanziellen Bilanzen Gottes auf Erden offenbar nicht zum Besten. In seinem neuesten Buch „Jüngstes Gericht“ weist Nuzzi aus, dass der tägliche Fehlbetrag der Vatikan AG inzwischen bei 120.000 Euro läge. Bei 300 Prozent Steigerung in den letzten drei Jahren. 2018 machte der Heilige Stuhl insgesamt 43,9 Millionen Euro Miese.
Besonders pikant ist auch, was Nuzzi zum sogenannten Peterspfennig enthüllt, einer Spendensammelaktion, deren Einkünfte offiziell nur für Bedürftige verwendet werden dürften. Doch diesem Zweck kommen laut Nuzzi lediglich weniger als zwei von zehn eingesammelten Euros zugute. Der Journalist zitiert dazu einen der engsten Vertrauten von Franziskus, den Präfekt der Kongregation für Heiligsprechungen, Kardinal Giovanni Angelo Becciu: „Zehn bis 15 Prozent fließen in wohltätige Zwecke, der Rest dient dazu, den Apparat der Kirche zu tragen.“
Da dürfte es für die Bedürftigen nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, dass das Aufkommen des Peterspfennigs von 101 Millionen Euro im Jahre 2006 auf nur noch 52 Millionen 2018 eingebrochen ist.

Gabriele Muthesius

Skurril

Wer annimmt, die Funktion der Deutschen Bahn (DB) bestehe ausschließlich darin, Menschen und Güter (auf schnellstem Wege?) von A nach B zu befördern, der ist ein Purist und hat überdies zu wenig Phantasie.
Die DB verfügt nach Recherchen des Portals BuzzFeed derzeit über 675 Tochterunternehmen.
Darunter:

  • ein VW-Autohaus in Slowenien.
  • eine Firma für Krankentransporte in Großbritannien,
  • ein Transportdienstleister für den Autobauer Ford,
  • ein Autoaufbereiter in Spanien,
  • sieben Firmen, die Fahrradteile und Fahrräder verkaufen,
  • ein Beratungsunternehmen für Stadt- und Mobilitätsplanung sowie
  • fünf Firmen, die in Saudi-Arabien Transporte und Logistik betreiben.

Darüber hinaus gehört der Bahn ein Viertel des Fuhrparks der Bundeswehr.
Konzentration aufs Kerngeschäft buchstabiert sich anders.
Dafür sitzt die DB auf dem höchsten Schuldenberg ihrer Unternehmensgeschichte – rund 20 Milliarden Euro. Mit rasantem Zuwachs. 2019 hat bisher bereits einen Zuwachs von mindestens 500 Millionen mehr als Ende 2018 erbracht.
Doch ein künstlicher Zusammenhang zwischen Töchterpotpourri und Negativbilanz soll hier natürlich nicht konstruiert werden.

hpg

Blätter aktuell

Oft heißt es, die Digitalisierung führe zu einer Dematerialisierung der Produktion und sei damit ressourcenschonend. Tatsächlich jedoch entstehen längst neue Abhängigkeiten und damit auch Ressourcenkonflikte, argumentiert die Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf. Die daraus resultierenden militärischen Auseinandersetzungen werden zudem von autonom agierenden »intelligenten Waffensystemen« geprägt sein – die selbstständig entscheiden, wann geschossen wird.
Unter kritischen Geistern wurde Jürgen Habermas in der DDR gerne und oft zustimmend gelesen, weil seine Schriften dabei halfen, das dortige grundsätzliche Strukturdefizit an Öffentlichkeit und Demokratie aufzudecken. Aber genau das machte seine Werke für das Regime so gefährlich, analysiert der Philosoph Hans-Peter Krüger. Während die Kaderphilosophen sich gegen eine Verbreitung von Habermas Schriften aussprachen, gefiel den Reformern seine Kritik am westlichen Spätkapitalismus.
Lange waren sich Mainstreamökonomen einig: Der freie Markt regelt Angebot und Nachfrage – auch auf dem Wohnungsmarkt. Heute wird jedoch deutlich, dass Investoren nur solche Mietwohnungen schaffen, die auch gewinnbringend sind, so die Politikwissenschaftlerin Sabine Nuss. Der gesellschaftlichen Spaltung kann man daher nur entgegenwirken, wenn dem Wohnraum nicht mehr ein kapitalistischer Nutzen zugeschrieben wird – und die Eigentumsfrage erneut gestellt wird.
Dazu weitere Beiträge, unter anderem: „Syrien: Westliche Versager, kurdische Verlierer“, „Sri Lanka: Nationalismus auf dem Vormarsch“ und „Prinzip Ignoranz: Klimaschutz à la GroKo“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, November 2019, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

Auf die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, äußerte deren letzter Regierungschef, Lothar de Maizière: „Dieser Begriff ‚Unrechtsstaat‘ ist kein wissenschaftlicher Begriff. Es ist ein Kampfbegriff, der der Diskriminierung dienen soll. Es kann nicht alles Unrecht gewesen sein, sonst hätte die Bundesrepublik im Einigungsvertrag nicht zugestimmt, dass Urteile aus der DDR zeitweise vollstreckt werden können und dass Verwaltungsakte bestandskräftig bleiben. Die DDR gründete auf Besatzungsunrecht, auf Teilungsunrecht, und es gab viele Elemente im Recht der DDR, die man als ‚Unrecht‘ bezeichnen kann und muss. Aber eine pauschalierte Aussage halte ich für nicht gerechtfertigt.“
Armin Siebert: Exklusiv – Ministerpräsident a. D. Lothar de Maizière zur DDR 1989: „Das Fass war voll“, de.sputniknews.com, 03.11.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Anders als in repressiven Gesellschaften“, so Dagmar Leupold, „ist in permissiven, also freien Gesellschaften demokratisch-westlicher Prägung die Freiheit künstlerischer Arbeit nicht gefährdet. Der Staat ist zudem qua Verfassung zur Förderung der Kunst verpflichtet. Zensur? Abwegig. […] Aber es gibt auch in hoch entwickelten kapitalistischen Demokratien die Gefahr der Unterbindung. Sie setzt etwas später ein als die ideologisch begründete, nicht bereits in der Schaffensphase, da gilt in permissiven Gesellschaften zunächst ‚anything goes‘ […]. Die Kontrolle setzt ein bei der Veröffentlichungsentscheidung, beim Distributions- und Zirkulationsmanagement. […] Die Zensur heißt nun Quote.“
Dagmar Leupold: Die Kunst braucht Schutz vor der quantitativen Logik, zeit.de, 31.10.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Nach exakt 30 Jahren vom Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin freigegebene Dokumente aus dem früheren Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (MfAA) belegen jetzt erstmals“, schreibt Sven Felix Kellerhoff, „dass und wie Chinas Machthaber im Herbst 1989 die Herrschaft ihrer Genossen in Ost-Berlin retten wollten.“ Vor dem Hintergrund fortlaufender Massenflucht von Fachkräften aus der DDR erging „ein klares Angebot: ‚Angesichts komplizierter Arbeitskräftelage in DDR könnte China von DDR gewünschte Anzahl und gewünschte Qualifikation an Arbeitskräften zur Verfügung stellen.‘“
Sven Felix Kellerhoff: So wollte China 1989 in letzter Minute die DDR retten, welt.de, ohne Datum. Zum Volltext hier klicken.

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„Japans politische Klasse fürchtet jede mögliche Veränderung des institutionellen Systems Japans wie der Teufel das Weihwasser“, vermerkt Siegfried Knittel. „Die für Ausländer nur schwer verständliche Ritualisierung des kaiserlichen Zeremoniells, die ständige Betonung der angeblich uralten Traditionen des Kaiserhauses“ müsse man „als Versuche der Selbstvergewisserung verstehen“.
Siegfried Knittel: Auf der Suche nach sich selbst, ipg-journal.de, 25.10.2019. Zum Volltext hier klicken.