von Alfons Markuske
Eines der begnadetsten Dichter deutscher Zunge der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Todestag, nämlich der Robert Gernhardts, der auch Maler, Schriftsteller, Zeichner und Karikaturist war, jährte sich am 30. Juni zum vierten Male. Insofern war es nur folgerichtig, daß wenige Tage später, am 11. Juli, im Theater am Rand (http://www.theateramrand.de) einige der genialen Verse von Gernhardt zum Vortrag kamen.
Dem Dichter, so darf vermutet werden, hätte die Trinität des Ereignisses gefallen – das Theater, das nahezu italienische Ambiente am 11. Juli und die Rezitation aus seinem Œvre.
Das Theater, weil Gernhardt, seit er sein ursprüngliches Streben, ernsthafte Malerei zu seiner Profession zu machen, zugunsten seiner anderen Talente zurückgestellt hatte, stets auch ein Erfinder und Genießer des Verblüffenden, des Extravaganten und nicht zuletzt des Skurrilen war. Die Randlage des Theaters – im Oderbruch-Dörfchen Zollbrücke, keine 300 Meter vom Ufer des mächtigen deutsch-polnischen Grenzflusses entfernt, – dürfte geographisch kaum zu toppen sein. Ähnliches gilt für die Architektur des Hauses – „gequadert“ aus mächtigen Baumstämmen, rohen Hölzern und anderen natürlichen Baumaterialien sowie mit begrüntem Dach – und für die kulinarischen Marginalien. Letztere kamen dieses Mal in Form frischer, tageszeitlich zum Frühstück sehr passender, noch warmer Brote daher, die während der Vorstellung in einem unter der äußeren Zuschauertribüne gemauerten Steinofen gebacken worden waren.
Das Ambiente, weil Gernhardt als Toscana-Liebhaber die laue, ja seidige Luft dieser über 20 Grad warmen Nacht und das allmähliche Erblauen des Himmels und eine damit einhergehende leichte Morgenröte durch die hinter der Oder sacht aufgehende Sonne zu schätzen gewußt hätte. Ein Teil der Zuschauer saß im Freien. Alle Bühnenwände des Theaters waren offen, die umliegende Landschaft war ins Spiel ebenso einbezogen wie der im Freien hinter der Bühne liegende Schiffskörper einer kleinen Fregatte oder Barkasse. (Das notwendige Wissen zur exakten Bestimmung des Typs ist einer Landratte wie mir leider nicht vergönnt.)
Die Rezitation, weil es, um den Vortrag der in Rede stehenden Verse Gernhardts zum Genuß zu runden, einer adäquaten Stimme bedarf. Theo Lingen mit seinem nasalen Timbre fiele mir da sofort ein. Der steht aber leider nicht mehr zur Verfügung. Doch das Bedauern darüber verflüchtigt sich, wenn in Zollbrücke Thomas Rühmann, einer der Gründer und Protagonisten des Theaters, zu hören ist. Das ist allerdings nicht der Rühmann aus der Sachsenklinik, sondern einer, dessen Duktus und Modulation an den jungen Lingen erinnern. Selbst der nasale Touch fehlt nicht!
Die Vorstellung hatte in finsterer, wenn auch sternklarer Nacht begonnen – um 3.14 Uhr. Das Programm – „Frühkonzert“ – betitelt, war ein eigenwilliges Potpourri und umfaßte neben Akrobatik und Pantomime Musik, Gesang und Textvorträge. Letztere waren vom Genre her überwiegend der Fraktion des gehobenen Nonsens zuzuordnen, wozu ernsthaft-lebensweise Einsprengsel einen ungewöhnlichen Kontrast bildeten.
Während der erste Teil der Vorstellung noch der Hilfe dezent eingesetzter Scheinwerfer bedurfte, um ins Sichtbare gerückt zu werden, kam fast unmerklich der Morgen. Polyphones Vogelgezwitscher hub an, und auf einem nahegelegenen Storchennest begannen vier schon fast ausgewachsene Jungvögel, die sich im Anschluß an die Vorstellung ohne Scheu begutachten ließen, vernehmlich zu klappern. All dies forderte die professionellen Mimen und Musiker in Sachen Lautstärke jedoch nicht ernsthaft. Das galt für die in luftiger Höhe das Theaterareal – geräuschlos – kreuzenden diversen Graureiher schon ganz und gar.
In dieser Atmosphäre – es mag gegen 4.20 Uhr gewesen sein – trat Rühmann mit Gernhardt an die Rampe:
Paulus schrieb an die Komantschen:
Erst kommt die Taufe, dann das Plantschen.
Die nachfolgendes Parts überließ er seinen Kollegen Ursula Karusseit und Jens-Uwe Bogadtke:
Paulus schrieb an die Apachen:
Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen.
Paulus schrieb den Irokesen:
Euch schreib’ ich nichts, lernt erstmal lesen.
(Auch Karusseit und Bogadtke erwiesen sich stimmlich als hinreichend gernhardtesk, wobei das komische Talent der Karusseit zwar lange ein Geheimtipp war, aber – zum Vergüngen ihres Publikums – längst keiner mehr ist.)
Mehr Indianer-Verse hat der Meister meines Wissen – und ich darf mich seit vielen Jahren zu seinen bekennenden Jüngern zählen – gar nicht hinterlassen, und so hatte sich’s dann in dieser Nacht auch schon mit Gernhardt.
Thomas Rühmann gab dem Publikum anschließend eine ganzheitlich-ökologisch-philosophische Sentenz des berühmten Shawnee-Häuptlings Tecumseh zu denken, die ich hier nicht zitieren kann, weil mir mitten in deren Vortrag –, wenn die frühe Stunde die Metapher nicht quasi verbieten würde, müßte ich sagen: aus heiterem Himmel – folgendes durch den Kopf schoß:
Paulus schrieb an die Schoschonen:
Ihr seid so wenig’, lasst euch klonen.
Als ob ein Radiosignal auf einen Empfänger gestoßen wäre. Und während ich noch perplex in mich hineinhorchte, kamen stakkatoartig bereits die nächsten Durchsagen:
Paulus schrieb an die Athener:
Helft euch selbst, sonst hilft euch keener.
Paulus schrieb an die Chinesen:
Seid ihr mal blau statt gelb gewesen?
Paulus schrieb an die Bulgaren:
Ihr stinkt nach Knoblauch, schon seit Jahren.
Auch der Rest der Theatervorstellung wurde noch einige Male gestört – u.a. durch:
Paulus schrieb den Portugiesen:
Bei Pollenflug ganz einfach niesen.
Paulus schrieb an die Franzosen:
Bleibt öfters keusch und in den Hosen.
Paulus schrieb den Kongolesen:
Besucht mich mal, ich zahl’ die Spesen.
Paulus schrieb an die Rumänen:
Euch will ich gar nicht mehr erwähnen.
Und als meine Frau und ich nach der Vorstellung noch zur Oder schlenderten, um verträumt dem weiteren Verlauf des Sonnenaufgangs zu folgen und auf dem Deich etwas entlang zu schlendern, endeten die Eingaben noch keineswegs:
Paulus schrieb den Mamelucken:
Waschen ist besser als bloß jucken.
Paulus schrieb den Pakistani:
Boss steht euch gut, doch auch Armani.
Paulus schrieb an die Helveten:
Nicht nur das Geld, auch Gott anbeten!
Paulus schrieb den Monegassen:
Spargel hilft beim Wasser lassen.
Bei der Rückfahrt überließ ich das Steuer meiner Frau und brauchte mich auch von daher gegen weitere Zugänge nicht zu wehren:
Paulus schrieb an die Osmanen:
Reist mal nach Wien wie eure Ahnen!
Paulus schrieb an die Chilenen:
Ihr seid die mit den Säbelbeenen.
Paulus schrieb an die Malteser:
Malta bleibt klein und wird nicht größer.
Paulus schrieb an die Spartaner:
Lernt was Gescheit’s, werd’ Eisenbahner!
Paulus schrieb an die Karthager:
Pfeifen seid ihr und Versager!
Paulus schrieb an die Hethiter:
Wenn alle schwul sind, das ist bitter.
Bevor ich noch zu befürchten begann, hier gerade Zeuge des Ausbruchs einer formidablen Macke in Gestalt eines mentalen Tinnitus zu werden, endete das Ganze so abrupt, wie es begonnen hatte. Um 6.55 Uhr, kurz vor dem Eintreffen an der häuslichen Pforte, tickerte es ein letztes Mal:
Paulus schrieb den Mohikanern:
Ich konvertier’ zu euch Indianern!
P.S.: Der Mensch, obgleich vernunftbegabtes Wesen, neigt notorisch dazu, das Unerklärliche erklären zu müssen. Vielleicht war es also folgendermaßen. Robert Gernhardt war dort oben, wo er jetzt weilt, einfach sehr früh wach geworden – so gegen 3.30 Uhr. Da ist in Deutschland nicht wirklich etwas los. Umso mehr muß ihm das Theater am Rand ins Auge gestochen sein. Da war schon etwas los! Und dann kam er selbst auch noch zur Aufführung. Das, machen wir uns nichts vor, schmeichelt jedem Dichter. „Aber bißchen wenig war’s schon“, mag Gernhardt gedacht und sich zum Trost vielleicht auf die Schulter geschlagen haben: „Eigentlich kein übler Einfall – dieses‚ Paulus schrieb …’!“ Und dann mag sich ihm der Seufzer entrungen haben: „Warum bloß hab’ ich die anderen Dinger damals nicht auch noch aufgeschrieben?“
Was folgte, wird gewöhnlich Zufall oder, bedeutungsschwangerer, Schicksal genannt – Gernhardts Blick fiel auf ein Individuum, das sich leichtsinnigerweise im Freien platziert hatte. „Ha“, zuckte der Dichter, „den kenn’ ich! Der hat so oberdespektierlich gewiehert, als ich am 12. Juli 2000 gegen 19 Uhr eine Ausstellung meines Karikaturistenkollegen Andreas Prüstel in der Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam eröffnet habe. Dem Typen wollte ich schon längst ’ne Retourkutsche verpassen.“ Und genau das ist dann passiert.
Bis 6.55 Uhr, als Gernhardt auf die Uhr schaute, und dem Connaisseur ein „Oh mein Gott!“, entfuhr. „Wenn ich jetzt nicht losmache, ist das Frühstücks-Manna wieder alle!“
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