von Gabriele Muthesius
Ich bin in einem glaubensfernen Elternhaus aufgewachsen, habe das atheistisch geprägte Bildungs- und Erziehungssystem der DDR durchlaufen und hatte seither keine Veranlassung, meine materialistische Weltanschauung von ihren Grundlagen her in Zweifel zu ziehen. In ein kritisch-ablehnendes Verhältnis zur katholischen Amtskirche, speziell zum Papsttum und zum Vatikan, hätte diese persönliche Genesis gleichwohl nicht münden müssen.
Der erste Impuls dafür, dass dies doch geschah, kam von anderer Seite – durch die literarische Begegnung mit Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ bereits in meinen Jugendjahren. Das Stück behandelt bekanntlich die zögerliche bis stillschweigend duldende Haltung des Vatikans, speziell des damaligen Papstes Pius XII., zur Vernichtung der europäischen Juden.
Verstärkt wurde dieser Impuls durch die Verfolgungen, denen die südamerikanische Theologie der Befreiung seit den späten 60er Jahren seitens Rom ausgesetzt war – vor allem durch die in direkter Nachfolge zur Inquisition stehende Glaubenskongregation, deren Chef seit 1981 Joseph Kardinal Ratzinger hieß. Noch später las ich dann von der so genannten Rattenlinie, über die systematisch NS-Kriegsverbrecher, unter anderem Adolf Eichmann, mit Hilfe vor allem italienischer katholischer Amts- und Würdenträger in Südamerika versteckt und so der irdischen Gerechtigkeit entzogen wurden. Die Rattenlinie war durch Absprachen zustande gekommen, die Giovanni Batista Montini, der spätere Papst Paul VI., im Auftrag von Pius XII. 1946 mit Vertretern des argentinischen Peron-Regimes getroffen hatte. Karlheinz Deschners vielbändige Kriminalgeschichte des Christentums schließlich rundete das Bild ab: Beim Blick hinter die Kulissen zeigt der Vatikan bereits seit seinen Anfängen und bis in die Gegenwart hinein mit ebenso erschreckender wie faszinierender Kontinuität das Erscheinungsbild einer kriminellen Vereinigung.
Dass sich daran auch während der Potifikate der Päpste Paul VI. (1963 – 1978) und Johannes Paul II. (1978 – 2005) nichts Grundlegendes geändert hat, macht das sich wie ein Finanzthriller lesende Sachbuch „Vatikan AG“ des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi deutlich. Ihm wurde nach dessen Tod das geheime persönliche Archiv von Monsignore Renato Dardozzi (1922 – 2003) übergeben, der von 1974 bis Ende der 90er Jahre eine leitende Position in der Verwaltung der vatikanischen Finanzen innehatte und über 20 Jahre zu den engsten Mitarbeitern zweier Päpste gehörte: „In stuckverzierten, mit Samt ausgekleideten Sälen hinter doppelt verschlossenen Türen agierte man lautlos und geheim, um im Namen der Kirche durchgeführte krumme Finanzoperationen wieder geradezubiegen und gefährliche Sprengsätze in den kirchlichen Finanzen zu entschärfen, Skandale zu vertuschen und skrupellose Prälaten, in der vatikanischen Hierarchie gleich unter dem Heilgen Vater, aus ihrem Amt zu entfernen.“
Im Zentrum von Nuzzis Recherchen steht das 1942 von Pius XII. ins Leben gerufene so genannte Instituto per le Opere Religione (IOR), wie der offizielle Titel der Vatikanbank lautet, die heute ein Vermögen von etwa fünf Milliarden Euro verwalten soll. Bilanzen und Geschäftsgänge unterliegen allerdings strengster Geheimhaltung. Nuzzi schreibt: „Der Vatikan kann sich kaum dazu durchringen, zuzugeben, dass die Bank überhaupt existiert.“
IOR – der Name an sich ist bereits eine Blasphemie, wenn Nuzzis Enthüllungen auch nur zum Teil stimmen, und dafür dass sie stimmen spricht allein schon die Tatsache, dass der Vatikan keine rechtliche Handhabe gefunden hat, das Erscheinen des Buches auch nur in Italien zu unterbinden, wo das Zusammenspiel von Klerus und Politik spätestens seit Mussolinis Zeiten bestens funktioniert. Allerdings reichte der Einfluss aus der Engelsburg immerhin soweit, dass die italienischen Medien inklusive der großen Fernsehstationen Rai und Mediaset, die den Fernsehmarkt fast vollständig beherrschen, das Buch tot schwiegen. Genützt hat dies in Zeiten des Internets allerdings nichts: Bereits sechs Monate nach seinem Erscheinen war „Vatikan AG“ in elfter Auflage auf dem Markt und wurde zum meist verkauften Sachbuch Italiens im Jahre 2009.
Eines der spannendsten Kapitel in Nuzzis Buch behandelt den Aufstieg und Fall von Erzbischof Paul Marcinkus, langjähriger IOR-Chef und zugleich Schlüsselfigur in einem der größten italienischen Finanz- und Politskandale der Nachkriegszeit. Marcinkus’ Credo: „Kann man in dieser Welt leben, ohne sich um Geld Gedanken zu machen? Man kann die Kirche nicht mit Ave Marias führen.“
Anfang der 80er Jahre war ruchbar geworden, dass die Vatikanbank zu einem kriminellen System gehörte – Steuerhinterziehung, Geldwäsche für die Mafia, Schmiergeldzahlungen, Führen schwarzer Konten in kaum vorstellbaren Höhen, Kauf von Politikern und Korruption in der öffentlichen Verwaltung, das waren damals nur einige Stichworte. Der italienische Staat, und zwar Legislative, Exekutive, Judikative, Streitkräfte sowie Geheimdienste, war seinerzeit – international herrschte Kalter Krieg und die politische Klasse Italiens fürchtete den Eurokommunismus eines Enrico Berlinguer – weitgehend unterwandert von der reaktionären Loge Propaganda Due (P 2) unter Licio Gelli. Dessen Hauptfinanziers waren Roberto Calvi, Präsident des Mailänder Banco Ambrosiano, und Michele Sidona, Chef der Banca Privata Italiana. Diese beiden und Marcinkus fanden sich zu einem wahren Trio Criminale zusammen, und das geheime, keiner Kontrolle durch Dritte unterliegende IOR fungierte quasi als Clearingstelle für illegale Finanztransaktionen in großem Maßstab. Gerüchte darüber gab es zwar, aber erst als der Banco Ambrosiano durch besonders riskante Geschäfte erst ins Schleudern geriet und dann zusammenbrach, kam der Skandal richtig ins Rollen. Nur Marcinkus hat ihn – im Wortsinne – überlebt. Während man Calvi 1982 erhängt unter einer Brücke in London fand und Sidona 1986 unter nie geklärten Umständen an einer Zyanidvergiftung in einem italienischen Gefängnis starb, verhinderte der Vatikan den Zugriff der italienischen Ermittlungsbehörden auf Marcinkus. Der erfreute sich ungeachtet dessen, dass die Ambrosiano-Pleite dem Vatikan weit über eine Milliarde Dollar Verlust eingebracht haben soll, der Protektion des polnischen Papstes Karol Wojtyla. Beobachter führten das nicht zuletzt darauf zurück, dass unter Marcinkus’ Federführung die polnische Oppositionsgewerkschaft Solidarność ebenso klandestin wie großzügig mit vatikanischen Finanzmitteln ausgestattet wurde. Nicht dass Marcinkus im Vatikan keine Gegenspieler gehabt hätte – der päpstliche „Außenminister“, Vatikan-Staatssekrtetär Agostino Casaroli, etwa hintertrieb erfolgreich Marcinkus’ Ernennung zum Kardinal. Trotzdem blieb der Finanzjongleur noch bis 1989 offiziell Präsident des IOR, kehrte 1997 schließlich in seine Heimat USA zurück und verlebte im sonnigen Arizona unbehelligt seinen Lebensabend.
Die dubiosen Finanzpraktiken des Vatikans gingen, wie Nuzzi nachweist, praktisch ungebremst weiter. Und wie mit Geld Politik gemacht wurde, zeigt dabei der Fall des siebenfachen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, zeitweise mächtigster Politiker Italiens und ein verlässlicher Sachwalter vatikanischer Interessen. Für ihn lief beim IOR ein Spendenkonto, über das im Laufe der Zeit 60 Millionen Euro flossen, darunter Schmiergelder. Andreotti selbst konnte sich später an dieses Konto allerdings „nicht erinnern“.
Seit 2005 sitzt nun Joseph Kardinal Ratzinger als Benedikt XVI. auf dem Heiligen Stuhl. Unter seiner Ägide wurde das IOR reformiert. Im September 2009 – nach der Veröffentlichung von Nuzzis Buch – wurde die gesamte Führungsspitze ausgetauscht, und der deutsche Papst ernannte einen Nichtkleriker, den Bankmanager Ettore Gotti Tedeschi, der seit 1993 Italien-Chef des spanischen Banco Santander gewesen war, zum Präsidenten der Vatikanbank. Ob damit auch neue Zeiten angebrochen sind? Zweifel scheinen angebracht: Im September vergangenen Jahres leitete die römische Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Tedeschi ein – wegen des Verdachts der Geldwäsche. Beschlagnahmt wurden 23 Millionen Euro.
Gianluigi Nuzzi, Vatikan AG. Ein Geheimarchiv enthüllt die Wahrheit über die Finanz- und Politskandale der Kirche, Ecowin Verlag, Salzburg 2010, 356 Seiten, 22,50 Euro.
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