18. Jahrgang | Nummer 4 | 16. Februar 2015

Bemerkungen

Félicitations, Commandeur Ostermeier et les dames Hoss et Stehr!

„Frankreich liebt Sie, Monsieur Ostermeier“, sagt hingerissen die Kulturministerin Fleur Pellerin (im lachsfarbenen Etuikleid, kniebedeckt). Die französische Botschaft am Pariser Platz hatte geladen, Empfang zur Biennale, Empfang für Ehrungen (ohne monetäre Dotation), wie sie Frankreich Künstlern in reichem Maße hochoffiziell zukommen lässt. Schöne Geste! Diesmal auf dem Podest am Pariser Platz: drei Deutsche.
Die Schauspielerin Nina Hoss und die Filmproduzentin Manuela Stehr („Alles auf Zucker“) erhielten den Orden der Klasse „Chevalier“ (Ritter). Diese erste Stufe der Auszeichnung kann vom Pariser Kulturministerium jährlich an bis zu 450 Personen verliehen werden. – Thomas Ostermeier im schicken dunklen Anzug, dazu weißes Hemd mit schwarzem Schlips (ein sexy Schauspielregisseur endlich mal jenseits vom branchenüblichen Schlabberjeans-T-Shirt-Look), Ostermeier wurde mit dem Titel „Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres“ ausgezeichnet. Das ist die dritte und höchste Kategorie des Ordens für Kultur in Frankreich; sie kann jeweils jährlich an höchstens 50 Personen verliehen werden.
Der Zwei-Meter-Mann mit Dreitagebart dankte in fließendem Französisch und küsste schüchtern die zarte Ministerin. Hat Madame sichtlich gefallen! Der Chef der Schaubühne, seit 2010 Präsident des Deutsch-Französischen Kulturrats (und dort engagierter Kämpfer gegen die Verwässerung des Urheberrechts durchs Internet), ist ständiger, stets frenetisch umjubelter Gast beim Festival d’Avignon. Obendrein arbeitet er als Regisseur an großen französischen Häusern.
Entre nous lästerte er, schon ein bisschen beschwipst, an seinem Hals baumele ein Faschingsorden. Quatsch! Das schaumgoldene Ding sieht zwar – für einen Kulturorden – etwas übertrieben protzig aus, kommt aber, sage ich mal, aus tiefer Bewunderung für den hierzulande gern geschmähten Regie-Meister. Der Orden ist verdient! Ostermeier weiß das, und natürlich ist er stolz drauf. Dennoch, bei aller Liebe zum Nachbarn, Intendanz-Angebote von jenseits des Rheins hat er stets abgelehnt, bis jetzt. Er hängt am Ensemble und nicht zuletzt an den tollen Möglichkeiten seiner Schaubühne. Und eben doch an Deutschland, das er nur zu gut kennt (und umso besser theatralisch spiegeln kann). – Gratulation dem gelobten Trio! Auf deutscher Seite war weder die Kulturpolitik noch (außer mir!) die Theaterkritik vertreten. Gehört sich nicht. Warum können wir nicht einfach mal unvoreingenommen und hingebungsvoll jubeln und lieb haben. – Das Buffet war für französische Verhältnisse bescheiden (die nachbarliche Wirtschaftkrise). Aber immerhin floss edler Rotwein in Strömen. Und wer den Weg in die Bar fand (mit DJ-Tanzboden zu später Stunde), der durfte Champagner-Batterien leeren. Vive la France!

Reinhard Wengierek

„Wenn die blanke Waffe blitzt“

Man könnte es für seltsam halten, wenn es nicht das genaue Gegenteil wäre: Wo immer, derzeit wie vordem, politische und/oder religiöse Akteure sich und noch mehr Unbeteiligten sich die Schädel einschlagen, mangelt es an einem nie: den Waffen, die dazu erforderlich sind. Alles, was das mörderische Herz begehrt, ist offenkundig am Lager – die beliebte Kalaschnikow ebenso wie Raketen diversester Herkunft – der Kunde ist König. IS- oder Boko-Haram-Truppler, beide nicht mit staatlichen Lieferadressen versehen, morden mit allem, was das militärische Zeug hergibt. Russische Separatisten sind so gut ausgerüstet, dass eine reguläre Armee wie die ukrainische sie nicht zu besiegen vermag… Nun ist ja weder unbekannt, wer die größten Waffenproduzenten und -exporteure der Welt sind, noch dass unser heimeliges Vaterland bei letzterem an dritter Position der globalen Charts steht – darunter macht es ein Exportweltmeister nun einmal nicht. Und unbekannt ist auch nicht, warum Regierungen wie auch die unsere einen Teufel tun, den Waffenexport grundsätzlich zu verbieten: Es würde freilich Arbeitsplätze gefährden, eine Vision, die für lupenrein demokratische Regenten offenkundig viel grausiger ist als das Ergebnis all jener Kriege und Scharmützel, all die Toten also und all die widersinnigen Zerstörungen. Von denen „tief betroffen“ zu sein, muss halt reichen und wird ja auch regelmäßig zelebriert. Es ist wie in vielen anderen existentiellen Bereichen unser aller Leben: Vor wirklich durchgreifenden Maßnahmen haben Regierungen sogar dann Schiss, wenn sie sich im Stillen vielleicht über deren Notwendigkeit im Klaren sein sollten. Dass sie diesen Schiss vor keinem geringeren als dem Volk haben, dem sie keinerlei Opfer aufzuerlegen sich trauen, sei allerdings fairer Weise angemerkt. Welcher Arbeiter etwa bei Krauss-Maffei-Wegmann wäre auch bereit, seinen Arbeitsplatz abschaffen zu lassen, wenn Kriegsmaterial nur noch für den vergleichsweise bescheidenen Hausgebrauch produziert würde. Also gilt weiter, was die Gesellen in Lortzings Komischer Oper „Der Waffenschmied“ singen: „Sprühe, Flamme! Glühe, Eisen! / Dass des Feuers Hammer Allgewalt / dich nach hergebrachten Weisen / fügsam mache alsobald. / Manneskraft / rüstig schafft, / was des Helden Brust beschützt; / bringt uns Ehr’, / wenn die Wehr, / wenn die blanke Waffe blitzt. / Hammerschlag, Ambossklang, / unser Lied und Gesang!“

Hans Jahn

Nichtverordneter Antifaschismus

In der politischen Debatte um Griechenland sind derzeit auch Athens Überlegungen medial en vogue, einstige Kriegsschulden von Deutschland als dem Rechtsnachfolger des faschistischen Deutschen Reiches einzufordern. In diesem Kontext hat SPIEGEL ONLINE eine Geschichte ausgegraben, die noch immer Aufmerksamkeit verdient, wiewohl sie nunmehr des längeren zurückliegt. Sie handelt von dem inzwischen verstorbenen Kriegsverwaltungsrat der Wehrmacht in Thessaloniki, Max Merten. Gegen die erpresserische Forderung an die Jüdische Gemeinde, bei Zahlung von 1,9 Milliarden Drachmen 9.000 jüdische Zwangsarbeiter freizulassen hatte Merten dies zwar realisiert, alsbald aber gehörten diese Juden zu jenen rund 50.000, für deren Deportation nach Ausschwitz Merten dann mitverantwortlich war; nahezu alle Deportierten sind in Auschwitz ermordet worden. Merten hat das alles nicht berührt; im Gegenteil: Nach Gründung der Bundesrepublik bewarb er sich gar als deutscher Generalkonsul in Griechenland. 1957 bei einem Urlaub in Hellas festgenommen und zu 25 Jahren Haft verurteilt, sorgte eine große Empörung in Bonn für seine Freilassung schon nach zwei Jahren. Derjenige Bonner Politiker, der über Mertens Verurteilung in Athen besonders entrüstet war und aufgefordert hatte, „mögliche Repressalien gegen Griechenland“ in Betracht zu ziehen, war ein seinerzeitiger CDU-Staatssekretär – der spätere Bundespräsident Karl Carstens. Immerhin widerfuhr Max Merten dann wenigstens im – nicht verordnet – antifaschistischen (West-) Deutschland Gerechtigkeit: Das Bezirksamt Berlin-Schöneberg zahlte ihm eine Heimkehrer-Entschädigung für seine Zeit in griechischer Haft…

hwk

Weltliteratur aus dem Oderbruch

Im Frühling des Jahres 1813 steckte der Sohn französischer Exilanten in einem tiefen Konflikt. 1806 hatte der damals 25-jährige als Leutnant des preußischen Heeres die erbärmliche Kapitulation der Festung Hameln miterleben müssen. Jetzt stand vor ihm die Frage: Mit-Tun im nationalen „Freiheits“-Taumel oder nicht? Gegen Frankreich wollte er nicht ziehen, für „Norddeutschland“ – im Brief an den Freund Varnhagen van Ense sagte er nicht „Preußen“ – war er bereit, zu den Waffen zu greifen. Aber: „wüßt’ ich nur recht klar, daß die Völker nicht den Zwist der Könige, sondern die Könige den Zwist der Völker führen!“ Gute Freunde rieten aber dem inzwischen als Studiosus der Naturwissenschaften an der Berliner Universität Eingeschriebenen, auf die Warnungen des Herzens zu hören und das pseudo-patriotische Abenteuer bleiben zu lassen. Der aufwallende Franzosenhass tat das Übrige dazu, uns schlussendlich eine der phantastischsten Märchennovellen der deutschen Literatur zu bescheren. Der Wanderer zwischen den Welten hieß Adelbert von Chamisso. Und er entging den 1813er Wirren durch einen seitens der Familie von Itzenplitz ermöglichten Rückzug auf deren Gut in Cunersdorf bei Wriezen. Chamisso botanisierte dort intensiv – durch ein Schreiben seines Gastgebers Peter Alexander von Itzenplitz vor einem Schießbefehl des Oberbarnimer Landrates gegen die im Landkreis aufgegriffenen Franzosen bewahrt – und er schrieb hier in wenigen Monaten unter teils misslichen Umständen die erwähnte Novelle, die schon kurze Zeit nach ihrem Erscheinen Weltliteratur sein sollte: „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“. Schlemihl, der Mann, der seinen Schatten für einen nie versiegenden Geldbeutel verkaufte – von E.T.A. Hoffmann über Wilhelm Hauff bis hin zu Franz Werfel fand Chamissos Büchlein viele Nachfolger. Monika Sproll erzählt in Heft 55 der „Frankfurter Buntbücher“ die Geschichte des Aufenthaltes Adelbert von Chamissos in Cunersdorf. Die äußerst sachkundige Autorin lässt uns teilhaben an der Entstehung des „Schlemihl“ und an den botanischen Forschungen des Autoren. Keine zwei Jahre nach dem Cunersdorfer Aufenthalt wird Chamisso dann unter dem Kommando Otto von Kotzebues – das war der Sohn des 1819 in Mannheim ermordeten Schriftstellers –an Bord der Brigg „Rurik“ zum ersten preußischen Weltumsegler.
Monika Sprolls vorzüglich bebildertes Werklein macht Lust auf Chamisso und weckt Interesse für Cunersdorf, auch wenn aus der Chamisso-Zeit nur noch wenig zu sehen ist. Über Cunersdorf – nicht zu verwechseln mit dem Schlachtort des Siebenjährigen Krieges, das heißt heute Kunowice und liegt jenseits der Oder in der Wojewodschaft Lubuskie – rollten die Angriffswellen der Roten Armee im Rahmen der Berliner Operation hinweg.

Wolfgang Brauer

Monika Sproll: Adelbert von Chamisso in Cunersdorf. Frankfurter Buntbücher 55, Kleist-Museum/Verlag für Berlin-Brandenburg, Frankfurt/Oder und Berlin 2014, 32 Seiten, 8,00 Euro.

Namen, Namen, Namen

Wer erinnert sich schon an all die Personen, die je den eigenen Lebensweg kreuzten? Biographen geht es da nicht anders – nur, dass sie sich erst einmal der Frage stellen müssen, mit wem ihr Protagonist überhaupt Umgang hatte. Gut, da gibt es zumeist Briefe, vielleicht auch Tagebücher – doch wird damit das unmittelbare Umfeld eines Individuums erfasst? Dass man zur Beantwortung dieser Fragen unkonventionelle Wege beschreiten kann, zeigt der in Mailand lebende Journalist Carlo Zanda, dessen Interesse dem Alltagsleben von Hermann Hesse gilt. Mehr als vier Jahrzehnte lebte dieser im südwestlich von Lugano gelegenen Montagnola. Ein kleiner Ort, wo auch heute noch jeder jeden kennt. Doch wer beziehungsweise wen kannte Hesse, diesen Eigenbrötler, der zurückgezogen lebte und von dem niemand so recht wusste, womit er eigentlich sein Geld verdiente?
Zandas Spurensuche beginnt auf dem Friedhof von St. Abbondio. Hier, so hatte er es sich gewünscht, fand Hesse seine letzte Ruhestätte. Und Zanda seinerseits findet an diesem Ort die Mitglieder der Gemeinschaft, in der Hesse gelebt hat. Da sind die Grabstellen bekannter Personen, wie Hugo und Emmy Ball oder Gunter Böhmer, doch noch interessanter sind für Zanda die „kleinen Leute“, diejenigen, die in den gängigen Biographien nur am Rande oder überhaupt nicht erwähnt werden. Und so begegnet man in seinem Buch Hesses Vermieterin Margherita Camuzzi und ihren Kindern, trifft auf die langjährige Haushälterin Natalina Bazzari, kehrt ein bei dem Wirt Paolo Franchini und wird bekanntgemacht mit dem Zahnarzt Federic Müller. Auch der langjährige Gemeindepräsident Allesandro Gillardi, der Hermann und Ninon Hesse am 14. November 1931 traute, wird vorgestellt, nicht zu vergessen Giulio Petrini, der Postbote. Gleichfalls treten auf Lorenzo Cereghetti, der sich als Gärtner um die Casa Rossa kümmerte, Sergio Balmelli, der „hilfreiche Engel“, der als Elektriker unverzichtbar war, und Severo Riva, der Hesses Italienisch zu verbessern half. Und, und, und … In insgesamt 64, sich zu einem großen Panorama ergänzenden Texten verschafft Zanda dem Leser einen so noch nicht erlebten Einblick in Hesses Alltag. Er skizziert Personen, knüpft Verbindungen zu Hesses Büchern, erkundet den Ort und bezieht dabei auch Menschen ein, die Hesse zwar nicht gekannt hat, die aber die Entwicklung von Montagnola wesentlich mitgeprägt haben. So gelingt es Zanda, ein äußerst lebendiges Bild einer untergegangenen Welt heraufzubeschwören, einer Welt, die das Fundament von Hermann Hesses Schreiben war.
Abschließend ein an den Verlag gerichteter Wunsch: Sollte dem Buch eine Nachauflage, vielleicht sogar in erweiterter Form, beschieden sein, wäre es angeraten, noch einmal alle Verweise zu überprüfen und die Hesse-Texte einheitlich nach den von Volker Michels edierten Sämtlichen Werken zu zitieren.

Mathias Iven

Carlo Zanda: Hermann Hesse. Seine Welt im Tessin – Freunde, Zeitgenossen und Weggefährten, Limmat Verlag, Zürich 2014, 367 Seiten, 38,00 Euro.

Von Film-Menschen

Das große Geheimnis des Films ist die Montage, das, was zwischen den Bildern liegt, was nicht direkt zu sehen ist, das, was zwischen all diesen verschiedenen Momenten, Erfahrungen und Szenen im Schneideraum hoffentlich zu dem wird, was das Herz zum Springen bringt.
Sebastian Schipper

Das Kino ist ein politischer Ort, an dem man als Filmemacher die Zuschauer schockieren, provozieren und verstören muss.
François Ozon

Ich wüßte nicht, wer den Menschen besser über den Menschen belehren sollte, als der Schauspieler.
Sir Laurence Olivier

Hätte mich nicht der Film geholt, wäre ich vermutlich etwas ganz anderes geworden, zum Beispiel Politiker. Aber Tag und Nacht ständig schauspielern – das wäre denn doch zu viel verlangt!
Gojko Mitic

Der Film war so schlecht, daß die Besucher anstehen mußten, um herauszukommen.
Theo Lingen

Es wird der Tag kommen, wo der eine Schauspieler zu dem anderen sagt: Ich hab’ dich ja noch gar nicht in der Werbung gesehen – ist mit deiner Einschaltquote was nicht in Ordnung?
Manfred Krug

Meine Vorstellung von Prosa, aber auch von Text in einer Filmszene ist eher die von einem lockeren Brot. Da müssen Poren sein, es darf nicht zugebacken sein. Damit der Text sich am Ende anhört, als könnte er gerade gesagt worden sein, muss man die Worte ein bisschen verändern, ein bisschen drehen – und plötzlich leuchtet ein Satz.
Wolfgang Kohlhaase

Der Durchschnittsdeutsche hat wenig Selbstvertrauen. Er hält für groß, was er nicht versteht. Sich bei einem Kunstwerk zu amüsieren, erscheint ihm minderwertig. Langweilen muß man sich, dann hat man etwas für seine Bildung getan.
Valeska Gert

Ich bin bereit, meine beste Szene zu opfern, um den Film besser zu machen … jede … Ich kann sie ja immer wieder einsetzen. Das ist der Unterschied zum Leben, da kannst du nichts rückgängig machen.
Francis Ford Coppola

Ich habe immer die Mythologie der Geschichte vorgezogen, weil die Geschichte aus Wahrheiten besteht, die auf Dauer zu Lügen werden und die Mythologie aus Lügen, die endlich zu Wahrheiten werden.
Jean Cocteau

Ich will eigentlich keines meiner Idole treffen, weil ich dieses überhöhte Bild von ihnen behalten möchte. Ich möchte gar nicht wissen, daß sie wirklich leben, daß sie gelangweilt sind, Hunger oder Kopfschmerzen haben.
Woody Allen

Auswahl: fbh

Blätter aktuell

Die Terroranschläge von Paris waren kaum geschehen, da begann auch schon die Ursachenforschung in den Medien. Die Welt versucht zu verstehen, was die Täter zu ihren barbarischen Morden bewegt hat. Johano Strasser, Politologe und Publizist, hinterfragt unser Verständnis von Zivilisation, Barbarei und der Rolle der Religion bei den jüngsten Gewaltakten. Die Ursprünge der Barbarei sind vielfältig, so Strasser, und die Möglichkeit dazu steckt in uns allen.
Mit dem Ringen um die Ukraine scheint sich ein alter Konflikt zwischen Ost und West zu erneuern. Andrew Cockburn, Publizist und Redakteur des Harper’s Magazine, zeichnet nach, wie amerikanische Rüstungslobbyisten nach dem Ende des Kalten Krieges mit dem Einbruch ihrer Umsätze kämpften. Gemeinsam mit den Neocons, so Cockburn, trieben sie die Nato-Osterweiterung voran, erschlossen neue Märkte und eskalierten dadurch die Auseinandersetzung mit Russland.
Ob durch Freihandelsabkommen, Austeritätspolitik oder Massenüberwachung: Die sozialen und demokratischen Errungenschaften Europas stehen heute mehr denn je auf dem Spiel. Vor diesem Hintergrund untersucht die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei-Bundestagsfraktion Sahra Wagenknecht die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines Politikwechsels in Richtung Rot-Rot-Grün. Ihr Resümee: Nur wenn eine neue Regierung tatsächlich eine politische Alternative verkörpert – und nicht nur einen Wechsel im Kanzleramt –, ist sie die Mühe wert. Dazu weitere Beiträge – unter anderem „Vor der Zerreißprobe: Wohin treibt die AfD?“, „Revolution auf eigene Rechnung: Kubas neue Arbeitswelt“ und „Wider den Wachstumswahn: Degrowth als konkrete Utopie“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Februar 2015, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

WeltTrends aktuell

Bei unseren östlichen Nachbarn werden derzeit mehrere Jubiläen zelebriert: 25 Jahre politischer Umbruch, 15 Jahre Mitgliedschaft in der NATO und 10 Jahre in der EU. WeltTrends nimmt dies zum Anlass, Polen zum Thema zu machen. Heft 100 gewährt einen Einblick in die aktuellen außenpolitischen Diskurse in Polen: Sei es zum Verhältnis zur EU, zu den USA oder zu Russland. Natürlich geht es dabei stets auch um das Verhältnis zu Deutschland und ob die Anfang der 1990er Jahre proklamierte „strategische Interessengemeinschaft“ zu einer tatsächlichen Partnerschaft geworden ist. Weitere Artikel beschäftigen sich mit dem jüngsten Gazakrieg, der Senatsreform in Italien, analysieren die Rolle Deutschlands in Europa und die demokratische Konsolidierung in Afrika. Ab März wird die Zeitschrift ihre Erscheinungsweise von zweimonatlich auf monatlich umstellen.

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WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 100 – Januar / Februar 2014 (Schwerpunktthema: Polen in Europa), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Zwei musikalische Erforscher

Klassische Musikliebhaber mögen laut aufstöhnen. Dann was das Musikduo Grandbrothers kreiert, basiert zwar auf einem Konzertflügel, hat aber – akustisches Paradoxon – sehr wohl elektronische Klänge, die eher einem Synthesizer zuzuordnen sind. Die beiden Düsseldorfer Erol Sarp und Lukas Vogel gründen die Grandbrothers 2011 während ihres Studiums am dortigen Institut für Musik und Medien. Während sich Erol Sarp vornehmlich auf das Klavier konzentriert, entwickeln sich Lukas Vogels musikalische Ambitionen eher in Richtung elektronische Musik.
Zusammen tüfteln sie an einem Sound, der klassische Klavierkompositionen mit elektronischer Klangästhetik in Verbindung bzw. unter Mithilfenahme moderner Technik vereint. Doch anders als der erste Höreindruck vermuten lässt, setzen die Musiker eben keine synthetischen Klangerzeuger ein. Vielmehr hat Lukas Vogel eine Apparatur entwickelt, die eine ungewöhnliche Erweiterung des klassischen Klavierspiels ermöglicht: Es werden an das Instrument eine Reihe elektromechanischer Hämmerchen befestigt, die über einen Laptop gesteuert auf verschiedene Teile des Klaviers klopfen und auf diese Weise höchst artifiziell anmutende Töne erzeugen. Eine gewisse schematische Einförmigkeit ist nicht von der Hand zu weisen, da die meisten Stücke mit sehr minimalistischen Klangfolgen, bestehend nur aus zwei oder drei Tönen, beginnen, die dann immer weiter variiert und mit Klavierakkorden unterlegt werden.
Diese durchaus innovative Erweiterung des herkömmlichen Klangspektrums kommt live wohl eher auf Tanzflächen von Musikclubs als in Konzertsälen klassischer Provenienz zum Einsatz. Doch gleich ob als elektronische Clubmusik oder als cineastische Musiklandschaft im heimischen Wohnzimmersessel: Die Grandbrothers offerieren mit „Dilation“ ein Dutzend Lieder, die aus einem traditionellen Musikinstrument neue Ton- und Rhythmusstrukturen erschaffen. Folgerichtig fasst Erol Sarp die Intention des Albums wie folgt zusammen: „Dilation bedeutet so viel wie Ausdehnung oder Erweiterung. Wir betrachten unser Projekt auch als Experiment, wie weit wir mit eben dieser Erweiterung der Mittel des klassischen Pianos kommen. Diesen Raum wollen wir erforschen.“

Thomas Rüger

Grandbrothers: Dilation, EuroFilm-Recordings 2015, zirka 15,00 Euro.

Die Müll-Ecke

Die Wiener Kronenzeitung schockierte Ende Januar halb Österreich mit folgender Meldung: „Toter lag leblos in der Wohnung“. Nicht auszudenken, wenn der sich plötzlich erhoben hätte! Auch in Berlin lebt es sich nicht lustig: „Die Berliner sind oft depressiv und bekommen wenig Hilfe“. Das vermerkte zwei Tage vor der „Krone“ der Berliner Tagesspiegel. Und der ebenfalls am betonierten Ufer der Spree erscheinende Berliner Kurier flehte zeitgleich eindringlich: „Berlin, bitte lebt ein bissel gesünder!“
Genau das meint der Berliner Senat auch. Deshalb will er die Stadt mit Olympischen Spielen beglücken. Sport soll gesund machen. Nur die üblichen linken Meckerer sind dagegen. Haben doch welche von denen glatt in einem Blog Metronaut (http://www.metronaut.de) Bildchen in die Welt gepostet, in denen fröhliche junge Menschen erklären „Wir wollen die Spiele!“. Der Senat hätte ja beinahe die Metronauten zu Olympia-Botschaftern ernannt – wenn denn die Abgebildeten nicht dummerweise Wehrmachts-, HJ- oder BdM-Tracht tragen würden. Da war doch mal was? Jedenfalls gingen die Stadt-Schulzen presserechtlich gegen diese vermeintlichen Satiriker vor. Und wir wissen jetzt endlich nach all dem liberalen Gedröhns „Je suis Charlie“, wo wirklich Schluss mit lustig ist: „Satire hat da ihre Grenzen, wo die Integrität des Senates in Frage gestellt wird.“ So verkündete Senatssprecher Bernhard Schodrowski – den Namen wird man sich merken müssen, aus dem wird noch was. „Kamerad Schodrowski, wir haben verstanden. Tucholsky und Konsorten, abtreten!“ Die Integrität der Regierung ist das Allerheiligste!

Günter Hayn

Aus anderen Quellen

Während die Frage amerikanischer Waffenlieferungen an die Ukraine Mitte Februar noch in der Schwebe war, lieferten Litauen (nach eigenen Angaben) und Polen (nach russischen Angaben) bereits. „Worum es geht,“ schreibt Petra Erler, „hat der georgische Ex-Präsident Saakhasvili […] in Kiew gegenüber CNN unverblümt mitgeteilt: Eine massive Waffenlieferung der Amerikaner wird den USA den vierten Sieg in Europa bescheren, nach den Siegen im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie im Kalten Krieg.“
Petra Erler: Jede Menge Propaganda und jede Menge Lügen, EurActiv.de, 11.02.2015. Zum Volltext hier klicken.

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„Ölschock, Waldsterben, Energiekrise, Klimawandel, Währungs-, Finanz- und Schuldenkrisen“, vermerkt Mathias Greffrath, „keiner dieser Warnschüsse der letzten Jahrzehnte hat den Glauben der Eliten wie der Massen an immerwährendes Wachstums wirksam erschüttert. Eher trifft das Gegenteil zu […].“ Dieses „gedankliche Kleben am Status quo“ verstellt den Blick auf Wesentliches: „Die über den Wohlstand wie über die Demokratie der Zukunft entscheidenden Fragen […] lauten: Wie können – unter Bedingungen schrumpfender Wachstumsraten – Arbeitsplätze, Renten, Bildung, medizinische Versorgung gesichert werden? Wie könnten die Ess- und die Mobilitätsgewohnheiten einer ganzen Bevölkerung verändert werden? Wie sähen die Lehrpläne für eine Gesellschaft des ‚Weniger‘ aus? Wie definiert man angesichts der kommenden Rationalisierungswellen ‚gute Arbeit‘?“
Mathias Greffrath: Im Fegefeuer des Wachstums, Le Monde diplomatique, 13.02.2015. Zum Volltext hier klicken.

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Dass der NSA-Skandal nur die Spitze des Eisbergs war, wenn man die amerikanischen Bestrebungen zur digitalen Totalkontrolle der globalen Datenströme und von Milliarden von Nutzern in dieses Bild fassen will, ist inzwischen ein Gemeinplatz. Auf einen weiteren zentralen Aspekt in diesem Kontext verweist Evgeny Morozov: „[…] die amerikanische Regierung besteht darauf, unabhängig vom Speicherort Zugriff auf Daten zu haben, sofern sie von amerikanischen Unternehmen gespeichert werden“. Im konkreten Fall ging es um Microsoft-Server in Irland. Morozov weiter: „Man stelle sich einmal den Aufschrei vor, wenn die chinesische Regierung Anspruch auf den Zugang zu allen Daten erhöbe, die über Geräte laufen, welche von chinesischen Unternehmen wie Xiaomi oder Lenovo gefertigt worden sind, und zwar unabhängig davon, wo die Nutzer sich befinden.“ Und: „Rein rhetorisch fällt es sehr schwer, etwas gegen die digitale staatliche Überwachung und die Online-Meinungsmache in Russland, China oder Iran zu sagen, wenn die amerikanische Regierung wahrscheinlich mehr Aktivitäten dieser Art unternimmt als alle diese Länder zusammengenommen.“
Evgeny Morozov: Entamerikanisiert endlich das Internet, FAZ.NET, 15.01.2015. Zum Volltext hier klicken.