18. Jahrgang | Nummer 16 | 3. August 2015

Bemerkungen

Die Troika …

… steht in der russischen Sprache und anderswo für Vieles. Sie ist ein Gespann mit drei Pferden, stand in ihrer Verkleinerungsform „trjoschka“ für ein „3-Rubel-Scheinchen“ der Sowjetzeit, benennt aber auch eine Schweizer Wodka-Marke und war in der Bundeswehr mal Synonym für ein Minenabwehrsystem mit ferngelenkten Such-Drohnen. Schließlich ist Die Troika ein Gremium der EU, in dem eine für sakrosankt gehaltene Dreifaltigkeit von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfond zusammenwirkt, um Griechenland mit immer größeren Milliarden-Summen klein zu kriegen. Jedoch wusste bereits der römische Kaiser Augustus von „undankbaren“ Schuldnern: Die würden ad calendras graecas zahlen, am griechischen Kalender-(tag). Da selbiger aber nicht existierte – also nie.
In ihrer Hoch-Zeit, in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, schlugen die Troiki (so der russische Plural von Troika) tiefe, nie verheilende Wunden. Bestand doch jede Troika in den Zeichen des damaligen Großen Terrors stalinscher Prägung aus dem jeweils zuständigen Ersten Parteifunktionär der zentralen oder regionalen Führungsebene, dem entscheidungsmächtigsten Funktionär der zentralen oder örtlichen Sowjetbehörde und dem jeweils zuständigen Chef des NKWD. Hunderttausendhaft entschieden diese Troiki über Gefängnis oder Gulag, häufig aber auch über Leben und Tod. Überwiegend geschah dies in einer Art und Weise, dass die Betroffenen erst im letzten Augenblick, bevor sie die Kugel traf, von der in ihrer Abwesenheit getroffenen Entscheidung erfuhren. Die Verdikte über Lebensschicksale erfolgten an Hand vorbereiteter Listen, mit nichts anderem als den Namen, Vor- und Vatersnamen der Inhaftierten und deren Geburtsdatum, zumeist im sogenannten „Albumverfahren“. Dabei stellten subalterne Schergen in Album genannten Sammelmappen willkürliche Abrisse der „Verbrechen“ der zu Inhaftierenden zusammen und schlugen Strafmaße vor. Sobald ein Album voll war, wurde es „nach oben“ zur Unterschrift gereicht, und dann nahm der Terror seinen Lauf.
Wer im EU-Apparat oder in den Medientrotz dieser Vorgeschichte darauf gekommen ist, dass über Leben und Tod Griechenlands entscheidende EU-Gremium Die Troika zu benennen, ist nicht bekannt. Aber es kann eigentlich nur entweder ein Dummkopf oder ein Zyniker gewesen sein. An beiden herrscht in der EU und in den Medien aber bekanntlich kein Mangel.

Gerd Kaiser

Revolution und Neandertaler

Linke bestreiten immer noch prinzipiell, dass der Zusammenbruch der DDR 1989/90 das Ergebnis einer Revolution war. Sie bestreiten das nicht zuletzt deshalb, weil die Ereignisse von bürgerlichen Politikern und Medien, denen der Begriff der Revolution zuvor stets ein Gräuel gewesen ist, seither allenthalben und nahezu genüsslich als solche bezeichnet werden. Vor allem aber ist für Linke Revolution progressiv, fortschrittlich, geschichtlich vorwärts weisend besetzt. Die Rückkehr zu einer bereits überwunden geglaubten Gesellschaftsformation kann nur reaktionär sein, vulgo Konterrevolution. Selbst wenn sie von einem Teil des Volkes losgetreten und in ihrem Fortgang gepusht („Kommt die D-Mark, bleiben wir, / kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!“) sowie von der Mehrheit des gleichen Volkes fatalistisch hingenommen wird. (Im Fall der DDR hatte „Intershop für alle“ als Perspektive längst mehr Strahl- und Anziehungskraft als „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“. Der Slogan war spätestens durch den „Ich leiste was. Ich leiste mir war.“ obsolet.)
Aber: War – Frage an Linke – der sogenannte real existierende Sozialismus tatsächlich der historische Fortschritt, der den Kapitalismus „gesetzmäßig“ abzulösen in der Lage gewesen wäre, oder eher so etwas wie der Neandertaler? Ein totes Gleis der (gesellschaftlichen) Evolution.
Doch unabhängig davon: Lenin, der von Linken inzwischen entweder mit Stalin auf eine Stufe gestellt oder in der ideologischen Rumpelkammer deponiert oder – ganz im Gegenteil – immer noch ikonosiert wird (So vielfältig – im Übrigen schon seit dem Kommunistischen Manifest – können Linke sein!), statt kritisch auf seinen unzweifelhaft bleibenden Beitrag zur Revolutions- und Gesellschaftstheorie hin neu rezipiert zu werden, hielt als Voraussetzung für eine Revolution eine revolutionäre Situation für unabdingbar. Eine solche hatte seiner Auffassung nach drei Kriterien zu erfüllen:
– Die unten wollen nicht mehr wie bisher.
– Die oben können nicht mehr wie bisher.
– Und die unten werden auf geschichtlich relevante Weise aktiv.
Folglich hätte Lenin am revolutionären Charakter der Ereignisse von 1989/90 in der DDR eigentlich keinen Zweifel haben dürfen …

Hannes Herbst

Vorbild

Der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat einmal gesagt: „Sie wer­den es nicht glauben, aber es gibt Staaten, die von den Klügsten regiert werden; das ist bei den Pavianen der Fall“. Das erklärt, warum auf der Affeninsel weniger Turbulenzen herrschen als in der Europäischen Union.

Stuhlgang

Aufregung in Bayreuth. BILD online berichtet: „Als sich die Kanzlerin gegen 19 Uhr zur Kaffeepause setzen wollte, brach ihr Stuhl zusammen und Merkel rutschte unter den Tisch“, ohne dass ihr dabei Böses passiert ist. Zitat: „Merkel schüttelte den Zwischenfall locker ab.“ Nur ein klappriger Stuhl. Aber was für ein Kritiker!

Günter Krone

Lieber naiv als korrupt

Konstantin Wecker gilt zweifelsohne als Säulenheiliger der deutschen Linken. Und seine neue CD „Ohne Warum“ erscheint im Vorfeld seines immerhin 40-jährigen Bühnenjubiläums. In diesen vier Jahrzehnten hat er selbst durchaus Stehaufmännchen-Qualitäten bewiesen – künstlerische wie persönliche Tiefpunkte und drogenbedingte Abstürze konnte er überwinden.
Sein Rückgriff auf den spätmittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart, der mit „ohn warum“ einen Grundsatz des mystischen Denkens beschrieb, mag erst verwundern. Doch der streitbare Künstler plädiert dafür, sich im Leben zu engagieren, ohne auf den „return on invest“ fixiert zu sein … ohne Berechnung, vielleicht ohne Sinn …
Wecker greift aktuelle Themen auf wie die Gedanken- und Gefühllosigkeit der Pegida-Demonstranten oder den Zynismus der Aufspaltung in Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge. „Es ist eine grenzenlose Welt, in der ich leben will“, heißt das Schlussplädoyer im Lied „Ich habe einen Traum“.
Er findet poetische wie selbstkritische Bemerkungen als Elternteil im Song „An meine Kinder“. Seine unbestreitbare pazifistische Gesinnung wird mit dem finalen Wunsch an die Nachgeborenen deutlich: „[…] trag nie eine Uniform […]“
Sein legendäres „Willy“-Lied findet eine 2015er Neuauflage. Die Wiederkehr des antifaschistischen Freundes wird erneut herbeigesehnt. Und es finden sich darin Bekenntnisse wie „Ich bin Revolutionär und Romantiker“ oder „Lieber naiv als korrupt“.
Vielleicht ist dies die Kernbotschaft des neuen Wecker-Albums: Sich den vielfältigen wie hinterhältigen Zumutungen der aktuellen Zeitläufte zu widersetzen, erfordert nicht nur einen kühlen Kopf, sondern ein mitmenschliches Herz. In diesen nüchternen, ja gefühlskalten Zeiten schafft es dagegen nur ein hemmungsloser Romantiker, „eins mit deinem Traum“ zu sein.

Thomas Rüger

Konstantin Wecker: Ohne Warum, Sturm & Klang/Alive, Köln 2015, 15,00 Euro.

Eine Gesellschaft in Dauererregung

Skandale, Affären, Kampagnen … wer aufmerksam die täglichen Nachrichten in Zeitungen, Rundfunk oder Fernsehen verfolgt, kommt schnell zu der Überzeugung: Da wird jeden Tag eine „neue Sau durchs Dorf getrieben“. Der Politikwissenschaftler und Zeit-Journalist Ludwig Greven widmet sich in seinem neuen Buch „Die Skandalrepublik“ den verschiedenen Formen und Folgen der Skandale und Affären, mit denen die Öffentlichkeit ohne Unterlass konfrontiert und damit in einem Zustand der Dauerregung gehalten wird.
So viel Skandal war noch nie. Was steckt dahinter? Haben sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zum Schlechteren entwickelt? Auf diese und ähnliche Fragen versucht der Autor, eine Antwort zu finden. Zunächst beschreibt er, wie Affären entstehen, sich entfalten und dabei alles Private öffentlich gemacht wird. Die permanente Kommunikation durch das Internet führt dabei zu einer neuen Empörungskultur. Die Regeln der alten Offline-Welt gelten nicht mehr. Hinzu kommt eine Parteiverdrossenheit und Politikerverachtung allgemeinen Ausmaßes, denn jede noch so kleine Affäre eines Politikers färbt auf die gesamte Politik ab. Durch die zunehmende Globalisierung haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur, potenziert durch die Finanz- und die Eurokrise. Das ruft neue Moralapostel auf den Plan, sorgfältige Beurteilung und Differenzierung bleiben jedoch eher unterbelichtet.
Im zweiten Teil der Publikation beleuchtet Greven einige Beispiele aus der Vergangenheit, etwa die „Spiegel“- und die Barschel-Affäre sowie den Parteispendenskandal und schließlich die „Affären“ der letzten Jahre um Wulff, Edathy oder Hoeneß. Auch die Zuwanderung und die „Islamisierung des Abendlandes“ sind Reizthemen, die weite Bevölkerungsteile beunruhigen.
In seinem kurzen Resümee bedauert Greven, dass die immerwährende Skandalisierung wenig zur gesellschaftlichen Debatte und damit zur Beseitigung von Missständen beiträgt. Er verweist darauf, wie sich die Machtbalance zwischen Politik, Medien und Justiz verschoben hat und wie die Unschuldsvermutung ein ums andere Mal ausgehebelt wird. Die 172 Seiten sind allerdings keine tiefschürfende Analyse, vieles wird nur angerissen und in markigen Absätzen knapp dargelegt. Doch als informative und kurzweilige Einführung in die Thematik Skandalisierung ist das Buch durchaus geeignet.

Manfred Orlick

Ludwig Greven: „Die Skandal-Republik. Eine Gesellschaft in Dauererregung“, Lingen Verlag, Köln 2015, 172 Seiten, 12,95 Euro.

Kurze Notiz zu Mücheln

Irgendwann nach der Wende fiel Mücheln in einen tiefen Dornröschenschlaf. Jahrhundertelange hatte der Abbau von Braunkohle das kleine Städtchen im südlichen Saalekreis geprägt: Um die Arbeiterstadt herum verschwanden die Ortschaften, an deren Stelle sich ein riesiges Tagebauloch im Geiseltal auftat. Die hier gewonnene Kohle versorgte die DDR mit Energie und bildete den Grundpfeiler des mitteldeutschen Chemiedreiecks. Vor Ort, in Mücheln, verseuchte der intensive Tagebau die Umwelt, vor allem die Luft, und prägte die Landschaft: Nicht nur das schier endlos tiefe Loch, auch die zahlreichen, aus dem Abraum gebildeten Kippen um Mücheln herum zeugten von dem hier rücksichtslos betriebenen Eingriff in die Natur. „Gegen die Technik kommt keener an“, schrieb schon Joseph Roth, als er im Dezember 1930 das Geiseltal besuchte.
Mit der Wende aber endete die jahrhundertelange Tagebautradition in Mücheln sowie im benachbarten Braunsbedra. Und während anderswo im Kreis wie etwa in Leuna oder Korbetha die Industrie modernisiert und dank üppig fließender Gewerbesteuern noch das randständigste Drecksloch großzügig saniert wurde, blieb Mücheln nur der Blick auf das stillgelegte Tagebauloch, worüber es in eine komatöse Schockstarre versank.
Doch vor ein paar Jahren wurde die Stadt aus ihrem albtraumatischen Schlaf wachgeküsst. Die Braut machte freilich einen recht gestrigen Eindruck mit mittelalterlichem Ölberg und sozialistischer Straße der LPG. Der Prinz hingegen kam sehr großspurig daher, sprach von einer Flutung des Tagebaulochs und dem Ausbau des so entstandenen Geiseltalsees zum maritimen Naherholungsbiet. Die Braut ließ den Prinz ganz gern in ihr Gemach, denn Renaissance-Rathaus und Wasserschloss sind, so schön sie sich auch machen mögen, nun wahrlich keine Alleinstellungsmerkmale. Und der Prinz trumpfte immerhin mit dem größten künstlichen See ganz Deutschlands auf.
Doch die Braut erwies sich als ziemlich leichtgläubig, der Prinz hingegen als untreu, denn inzwischen ist nicht nur Mücheln, sondern auch Braunsbedra gleich nebenan zu einem Hafen gekommen. Die Bräute buhlen nun verbissen um die Gunst des Prinzen, der sich zuletzt aber als ordentlich impotent erwiesen hat: Denn wer will schon seinen Urlaub in einem Ferienhäuschen am Fuß einer dürr bewachsenen Kippe verbringen – wer seinen Lebensabend lang durch die Straße der LPG flanieren?

Thomas Zimmermann

Blätter aktuell

Die griechische Tragödie hat gezeigt, dass und wie sich der Neoliberalismus in Europa trotz massiver Proteste auf ganzer Linie durchgesetzt hat. Wohl niemand hat sich mit dessen Ideologie so tiefgehend beschäftigt wie der Soziologe Pierre Bourdieu, der am 1. August dieses Jahres 85 Jahre alt geworden wäre. Schon vor bald 20 Jahren forderte er: Um die Zerstörung sämtlicher kollektiver Strukturen zu verhindern, muss die Bewahrung sozialer Restbestände als subversive Strategie verstanden werden.
Der Kapitalismus, so die heimliche Hoffnung seiner Kritiker, könnte an den durch ihn ausgelösten Naturkatastrophen zugrunde gehen. Der Geograph und Globalisierungstheoretiker David Harvey zeigt jedoch im zweiten Beitrag seines Dreiteilers zum „Katastrophenkapitalismus“, wie dieser die Widersprüche zwischen Natur und Kapital „produktiv“ macht – und so gestärkt überlebt. Durch Palliativmaßnahmen wird dieser Entwicklung nicht beizukommen sein, stattdessen bedarf es einer Revolte der Natur.
Was ist an Chinas Regierung eigentlich kommunistisch? Und ist der Hindu-Nationalist Narendra Modi wirklich ein Demokrat? Fest steht: China wie Indien bewegen sich auf einen kapitalismusaffinen Autoritarismus zu. Der indische Schriftsteller Pankaj Mishra zeigt, wie dabei höchst disparate ideologische Versatzstücke, vom Kastensystem bis zum Sozialismus, integriert werden – auf der Suche nach einer „alternativen Moderne“ des Ostens.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Die gescheiterte Revolution. Wie die Oligarchen den Maidan übernahmen“, „Entfeindung durch Dialog. Ein Weg vom heißen Krieg in der Ukraine zum Frieden in Europa“ und „TTIP: Freifahrt für Fracking“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, August 2015, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Medien-Mosaik

Zu den vielen Gemeinsamkeiten von Ost- und Westberlin in den Jahren der Teilung gehört auch, dass beide geniale und dabei tragische Komödianten hatten, die dem Alkohol zu stark zugewandt waren. Harald Juhnke behauptete, dass Hans Albers ihn zum fröhlichen Zecher gemacht hätte. Rolf Ludwig fand den Anlass – und da ist es schwer, ihm zu widersprechen – in seinen kaum zu verkraftenden Kriegserlebnissen. Aus einem kommunistischen, wenn auch in der Nazi-Zeit opportunistischen Elternhaus stammend, hat sich der einst stolze HJ-Junge unter den Kriegserlebnissen bald zum Kriegsgegner gewandelt. Mit seinen Eigenmächtigkeiten geriet er schnell in Gefahr und hatte streng genommen Glück, 1944 in britische Kriegsgefangenschaft zu geraten. Hier fand er im Lagertheater seine neue Erfüllung als Schauspieler, und schon 1947 konnte der Schauspielschüler an den Hamburger Kammerspielen seine erste kleine Rolle an der Seite von Erwin Geschonneck spielen.
Davor lag Ludwigs Briefwechsel mit Wolfgang Borchert, dessen Stück „Draußen vor der Tür“ an den Kammerspielen uraufgeführt worden war. Der jung verstorbene Kriegsgegner Borchert blieb für Ludwig bis ans Lebensende der wichtigste Autor seines Lebens. Dieser Teil seiner Erinnerungen ist der eindringlichste in dem Buch „Nüchtern betrachtet“ (ein Titel, um den er übrigens mit Harald Juhnke stritt), das 1996 erstmals erschien und jetzt zu seinem 90. Geburtstagum aufschlussreiche Kommentare seiner Witwe Gisela Ludwig ergänzt, neu aufgelegt wurde.
Natürlich enthält es interessante Bemerkungen zu seinen Theaterrollen, wobei man sich den Platz gewünscht hätte, damit Ludwig auch auf einige Filme, in denen der einstige Komiker als Charakterdarsteller gefordert wurde, stärker hätte eingehen können. Man denke an Ralf Kirstens Anti-Kriegsfilm „Ich zwing dich zu leben“, in dem Ludwig einen Lehrer spielte, der seinen verblendeten Sohn am Kriegsende vor einem Selbstmordkommando bewahrt. Oder seine reife Leistung in der Titelrolle von Herwig Kippings Hochschulfilm „Hommage à Hölderlin“, den er in seinem experimentellen Charakter vollständig trug und in dem er so eindrucksvoll wie selten im Film war.
Was man erwartet ist dabei – inklusive Anekdoten, die bislang unbekannt waren, was etwa seine Zusammenarbeit mit Martin Hellberg, Egon Günther oder Kurt Jung-Alsen betrifft. Und natürlich werden Ludwigs große Theaterrollen als Truffaldino, als Drache oder in „Der Meister und Margarita“ wieder lebendig.
Das, was man heute abschätzig name dropping nennt, hat bei Ludwig eine andere Dimension. Er bewahrt die Namen vieler Partner vor dem Vergessen. Dabei muss bedauernd eingeschränkt werden, dass etliche von ihnen (gerade auch im Bildteil) falsch geschrieben wurden – genannt sei nur der Schauspieler Rolf von Goth (mit dem Ludwig in der Jugend verglichen wurde). In diesem Punkt wäre dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat zu wünschen gewesen.
Rolf Ludwig: Nüchtern betrachtet. Mit Erinnerungen von Gisela Ludwig, Das Neue Berlin, Berlin 2015, 320 Seiten, 14,99 Euro; eBook 10,99 Euro.

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Der Schauspieler, Kabarettist und Autor Christoph Maria Herbst ist auch ein sehr erfolgreicher Hörspiel- und -buchsprecher. Wo nimmt der Künstler für seine vielen Aktivitäten bloß die Zeit her! Auf einer neuen Scheibe zelebriert er genussvoll und ironisch Tucholsky in Prosa und Gedicht. Verfügt der Tausendsassa eventuell über eine „Zeitbremse“? Wenn er im gleichnamigen Text nur den Namen „Antenkogel“ ausspricht, hat das Klang! Und Tucholskys Fazit trifft noch heute ins Schwarze: „Hat es einen Wert, die Zeit anzuhalten? Ist es nicht viel, viel schöner, die Zeit auskosten zu müssen, hastig, gierig, schlürfend – weil man Angst hat, dass sie zerrinnt und verfliegt? Besteht nicht darin der Wert aller großen und kleinen Freuden, dass sie vergänglich sind? Vergänglich die paar glücklichen Wochen in dem kleinen Försterhaus und vergänglich ein Vierundzwanzigstundenglück?“
Und auch, wenn auf dieser CD auf den politischen Tucholsky zugunsten des Menschenkenners verzichtet wurde, erhält beispielsweise das „Interview mit sich selbst“ Tiefe. Herbst geht dabei von der Selbstironie in einen bitteren Sarkasmus über, der uns zeigt, wie man nicht leben soll (allzuviele tun es dennoch): „Sie werden sich beugen. Sie müssen sich beugen. Eines Tages werden Sie auch Ihrerseits Geld verdienen wollen, und Sie beugen sich. Es ist so leicht. Es ist so süß; ein kleines Nachgeben, ein leichtes Wiegen des Kopfes, ein winziges Verleugnen der Grundsätzchen, und Sie sind ein beliebter, angesehener, überall freundlich aufgenommener junger Mann!“
Christoph Maria Herbst liest Tucholsky, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2015, 65 Minuten, 17,99 Euro.

bebe

Wirsing

Das britische Königshaus bleibt von Skandalen weiterhin nicht verschont. Aber was die MDR-Sendung „Brisant“ jetzt enthüllte, ist schon gewagt. Da hieß es in einem Beitrag zum 70. Geburtstag von Dame Helen Mirren: „Vier Jahre nach der Queen verwandelte sie sich in eine Puffmutter.“ Nachdem sich also die Queen in eine – Pardon! – Puffmutter verwandelt hatte, tat es Dame Helen ihr gleich? Wenn im Buckingham-Palast „Brisant“ verfolgt wird, ist man dort sicherlich „not amused“!

Fabian Ärmel

Humankapitalismus

von Günter Krone

Politiker, die guten wie die tristen,
die Qualität ist dabei ganz egal,
sind eine Art Humankapitalisten.
Die Bürger sind ihr Kapital.

Sie wissen das. Sogar den leistungsschwachen
ist denn auch klar, man sitzt auf einem Schatz.
Kraft dessen kann man große Sprünge machen.
Geld ist genügend da per Steuersatz.

So manche möchten weltweit mitagieren,
damit man mit den Supermächten prahlt,
und lassen auch mal Militär marschieren.
Das kostet Geld. Der Bürger zahlt.

Verantwortung, mit der sie gern hantieren
im eignen Land und in der weiten Welt,
muss stets der Bürger finanzieren.
Politiker verbraten dessen Geld

auch dann, wenn sie für fremde Länder bürgen
und so ein Schuldner in die Pleite geht,
weil ja, wenn auch mit Hängen und mit Würgen,
der Steuerzahler zur Verfügung steht.

Die Politik hält fest an alter Sitte,
ein jedes Minus, das durch sie entsteht,
belastet ohne Ausnahme nur Dritte
und niemals den, der es begeht.

Das muss der Bürger fortgesetzt verkraften,
auch wenn es ihm in hohem Maß missfällt:
seine Politiker, die haften
mit seinem Geld

Aus anderen Quellen

„Generell werden die Konflikte des Westens in Lateinamerika nicht als eigene Konflikte wahrgenommen“, schreibt Claudia Detsch, Herausgeberin der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Nueva Sociedad mit Sitz in Buenos Aires „Moskau, Teheran oder Peking gelten nicht als Widersacher, sondern eher als Verbündete bei der Suche nach einer neuen Weltordnung.“ Und: „Lateinamerika hat sich mehrheitlich bis heute nicht identifiziert mit dem universellen (und universalistischen) Strukturanspruch des Westens. Die Unzufriedenheit mit der bestehenden Weltordnung ist hier ähnlich groß wie in Afrika oder Asien.“
„Doch so einfach ist die Sache nicht“, hält Günther Maihold von der SWP dagegen und gibt seinerseits zu bedenken: „Der Westen ist kein Identifikationsvorbild mehr, sondern wird mit Gleichgültigkeit wahrgenommen. Damit ist der Abschied von der immer wieder eingeklagten Sonderbeziehung zwischen Europa und Lateinamerika angekündigt, der auch politisch spürbar wird – insbesondere auch bei der Linken, die sich zunehmend ihres eigenen Elitencharakters bewusst wird.“
Claudia Detsch: Das große Missverständnis. Der Westen hat Lateinamerika nie richtig verstanden, noch ernst genommen. Das muss sich ändern, IPG: Internationale Politik und Wirtschaft, 14.07.2015. Zum Volltext hier klicken.
Günther Maihold: Europa hat sich selbst aus dem Spiel genommen. Lateinamerika als Teil des Westens? IPG: Internationale Politik und Wirtschaft, 23.07.2015. Zum Volltext hier klicken.

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Die Fusion des deutschen Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) mit seinem französischen Konkurrenten Nexter Systems, so IMI-Experte Jürgen Wagner, „soll die Wettbewerbsfähigkeit der Panzerbauer und damit ihre Exportchancen verbessern und bietet gleichzeitig die Möglichkeit die – zumindest vergleichsweise – restriktiven deutschen Rüstungsexportrichtlinien auszuhebeln. Eine Ausweitung deutscher Panzerlieferungen ist die nahezu logische Folge des Zusammenschlusses, der im schlimmsten Fall sogar eine Signalwirkung für das künftige Verfahren in ähnlich gelagerten Fällen haben könnte.“ Denn: „Seit Jahren steht die Stärkung der rüstungsindustriellen Basis und ihrer Unternehmen weit oben auf der Agenda der Bundesregierung. Um dies zu erreichen sollen neben dem Luftfahrtsektor (Airbus) auch weitere Sparten der Rüstungsindustrie über Fusionen und Übernahmen stärker europäisch gebündelt werden.“
Jürgen Wagner: Airbus für Panzer. Die Fusion von KMW und Nexter – Auftakt einer neuen Rüstungsexportwelle?, IMI-Analyse 2015/024. Zum Volltext hier klicken.

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„Serbien, Kosovo, Montenegro und Mazedonien befinden sich in der „Schusslinie“ zwischen Russland und dem Westen“, zitieren Jean-Arnault Derens und Laurent Geslin US-Außenminister Kerry und entwerfen ein facettenreiches aktuelles Bild der Balkan-Region als Feld der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland. Ihr Fazit: „Die Geschichte der Balkanregion lehrt […], dass die Völker im Schachspiel der Großmächte stets nur als Bauern dienen.“
Jean-Arnault Derens / Laurent Geslin: Schauplatz Balkan. Geheimdienste, Oligarchen und Mafia in Ex-Jugoslawien, Le Monde diplomatique, 09.07.2015. Zum Volltext hier klicken.