19. Jahrgang | Nummer 4 | 15. Februar 2016

Bemerkungen

Natürlich warn’s die Russen

Man hatte es ja geahnt, seit die erfolgreiche Hacker-Attacke auf die IT-Infrastruktur des Bundestages im vergangenen Jahr publik wurde: Die Russen warn’s. Jetzt machte es Spiegel online offiziell: Nach „Überzeugung deutscher Sicherheitsbehörden“ erfolgte der Angriff „im Auftrag der russischen Regierung“. Und: „Angriffe mit dem gleichen Muster habe es in den vergangenen Jahren mehrere gegeben, auch auf deutsche Rüstungsunternehmen und andere Nato-Staaten.“
Doch halt: deutsche Rüstungsunternehmen? Andere NATO-Staaten? Waren das nicht die, wo die NSA …?
Ja schon, aber das waren andere Zeiten: Da war Russland noch nicht wieder der Hauptfeind und es genügte, engster Verbündeter der USA zu sein, um von denen besonders intensiv geheimdienstlich betreut zu werden.
Und im Übrigen: Für den Fall Bundestag haben die deutschen Sicherheitsbehörden natürlich den handfesten Beweis – nämlich ihre „Überzeugung“. Dürfen sie nur im Detail nicht öffentlich drüber reden. Ist doch ein schwebendes Verfahren …

hpg

Jugoslawien, die Krim, das Völkerrecht und die alten Römer

… – eine Klarstellung aus berufenem Munde.
In einer ZEIT-Matinee am 9. April 2014, dokumentiert auf Youtube, hatte Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (GS) gegenüber ZEIT-Herausgeber Josef Joffe (JJ) erläutert (exakt ab Minute 47:15):
GS: „Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht, etwas, was ein Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Aber wissen Sie, warum ich ein bisschen vorsichtiger bin mit dem erhobenen Zeigefinger, das will ich gerade in einer solchen Veranstaltung sagen: Weil ich es selbst getan habe.“
JJ: „Was haben Sie gemacht?“
GS: „Gegen das Völkerrecht verstoßen.“
JJ: „Sie haben arrondiert?“
GS: „Nein, ich habe nicht arrondiert, aber lassen sie uns doch einmal reden, worum es wirklich geht. Als es um die Frage ging: Wie entwickelt sich das in der Republik Jugoslawien, Kosovokrieg, da haben wir unsere Flugzeuge, unsere Tornados, nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt, ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“
Die Mainstreammedien hierzulande haben dieses Eingeständnis praktisch mit Totschweigen goutiert. Warum auch nicht? Schon die alten Römer wussten doch: Quod licet jovi, non licet bovi.

Am

Zitiert

„Das Problem mit der Neuen Linken und den alten Liberalen ist das alte – überhaupt keine Bereitschaft, Tatsachen ins Auge zu sehen, abstraktes Gerede, oft versnobt und fast immer blind gegenüber den Interessen der anderen […]. Die Heuchelei ist tatsächlich gewaltig. Integrated housing ist natürlich durchaus möglich und absolut schmerzlos auf einem bestimmten Einkommens- und Bildungsniveau, und es ist ein Fait accompli in New York, gerade in den teuren Apartmenthäusern. Überhaupt kein Problem. Das Problem beginnt bei den niedrigeren Einkommensgruppen, und dieses Problem ist sehr real. Mit anderen Worten: Diejenigen, die Integration usw. predigen, sind jene, die den Preis vermutlich nicht bezahlen werden und auch nicht bezahlen wollen. Und dann ihre gebildeten Nasen hochtragen und auf ihre armen unbedarften Mitbürger herabsehen, die so voller ,Vorurteile‘ sind.“

Hannah Arendt, New York 1968

Kurze Notiz zu Freyburg

Freyburg ist für die Leute im Land, die nicht gerade das Glück hatten, in den sonnigen Schoß der Weinberge im Süden Sachsen-Anhalts geboren worden zu sein, ein fast magischer Ort. Der Saale-Unstrut-Wein, Rotkäppchens Sektkellerei: Während zwischen Arendsee und Zeitz üblicherweise Bier gebraut und Schnaps gebrannt (und beides natürlich auch ordentlich konsumiert) wird, geht von der Gegend um Freyburg etwas Fremdländisches, geradezu Mediterranes aus.
Das Fremdländische beginnt schon beim Namen. Freyburg – das müssen sich die Leute aus dem Norden immer wieder in Erinnerung rufen – ist eben nicht Freiburg. Und die Unstrut, an der dieses versträumte Städtchen liegt, heißt hier eben auch nicht „Uns-trut“ wie sonst überall in Sachsen-Anhalt, sondern wird „Unschtrut“ ausgesprochen.
Freyburg ist berühmt – natürlich – für Wein und Sekt, aber auch für die Neuenburg, die das ganze Unstruttal überragt und von deren Größe und Schönheit es bis hoch zur Burg Querfurt kein zweites Bauwerk gibt.
Hier lässt sich mit der Seele baumeln, hier lässt sich flanieren, früh zu Bett gehen und ganz gesund leicht essen. Natürlich mit Wein, und noch der stumpfeste Besucher erwischt sich, wie er nach kurzer Zeit wie ein profunder Kenner über den Unterschied zwischen Winzerwein und Genossenschaftsabfüllung philosophiert. Die kleine Stadt, die nahen Hänge am anderen Ufer: Ach, das beschränkte und doch entspannende Ambiente regt an, die Welt einmal nicht über den Weinglasrand hinaus zu bedenken.
Und doch kommt man in Freyburg ins Grübeln: Jahnstraße, Jahnplatz, Jahn-Schule, Jahngedenkhalle, Jahnturnhalle, Jahnmuseum – der Turnvater, der hier ein Vierteljahrhundert gelebt hat, bevor er hier starb, das war doch auch so ein Politischer! Sport und Befreiungskriege schön und gut, aber da schwang doch ganz schön viel Nationalismus und Antisemitismus mit, damals. Und heute? Ach herrje, da ist sie wieder, die Welt hinterm Weinglas.

Thomas Zimmermann

Mutige Frauen

Die „Suffragetten“ forderten Anfang des vorigen Jahrhunderts das Wahlrecht für Frauen. Das Wort wurde von der englischen Presse geprägt („suffrage – Wahlrecht), um die Aktivistinnen herabzuwürdigen. Doch die so Geschmähten vereinnahmten es einfach für ihre Bewegung. So wurde The Suffragette ihre offizielle Publikation.
Die Neuerscheinung „Die Suffragetten“ gibt einen Einblick in die spannende Phase der historischen Frauenbewegung. Bereits während der Französischen Revolution war der Ruf nach Gleichheit zwischen Mann und Frau erklungen. Im 19. Jahrhundert änderten sich im Zuge der Industrialisierung die Lebens- und Arbeitsbedingungen, so dass langsam eine Frauenbewegung entstand.
Herausgeberin Antonia Meiners hat 26 Kurzbiografien der wichtigsten Protagonistinnen dieser Bewegung in drei Kapitel unterteilt. In „Frauen der ersten Stunde“ stellt sie sowohl Frauen aus den Anfangsjahren vor, wie Olympe de Gouges (1748-1793) oder Mary Wollstonecraft (1759-1797), als auch Engagierte, die in ihrem Bereich vorangegangen sind, wie die Lehrerin Helene Lange (1848-1930), die mit Gleichgesinnten 1890 den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein gründete.
Im Kapitel „Die Sozialistinnen“ treffen wir neben Clara Zetkin (1857-1933) und Rosa Luxemburg (1871-1919) auch heute weniger bekannte Frauenrechtlerinnen an wie Ottilie Baader (1847-1925), die als eine der bedeutendsten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht in Deutschland gilt, oder Luise Zietz (1865-1922), die 1917 zu den Gründungsmitgliedern der USPD gehörte.
Das Schlusskapitel ist den „Radikalen“ vorbehalten, die kompromisslos, mitunter militant auftraten und dabei das eigene Leben nicht schonten. Sie wurden ins Gefängnis gesteckt, wo sie in den Hungerstreik traten, oder waren Repressionen ausgesetzt. So musste Helen Stöcker (1869-1943), die 1905 den Bund für Mutterschutz gründete, 1939 in die USA fliehen. Die englische Suffragette Emily Wilding Davison (1872-1913) warf sich beim Epsom Derby vor das Rennpferd des Königs, um ein spektakuläres Zeichen zu setzen. Nach ihrem „Heldentod“ ging sie als Märtyrerin in die Geschichte der Frauenrechtsbewegung ein.
Neben den Biografien vermitteln historische Fotos und Dokumente einen Eindruck vom ungeheuren Mut und der Entschlussfreudigkeit der „Suffragetten“. Interessant auch eine Zeittafel der Einführung des Frauenwahlrechts: Die meisten nordeuropäischen Staaten gingen während des Ersten Weltkriegs mit gutem Beispiel voran. West- und mitteleuropäische Staaten, auch die USA, folgten in den frühen 1920er Jahren, während sich die osteuropäischen Länder erst nach 1945 anschlossen.
Übrigens läuft im Februar der englische Spielfilm „Suffragette – Taten statt Worte“ an: Er erzählt die Geschichte der Frauenbewegung „Women’s Social and Political Union“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Antonia Meiners (Hrsg.): „Die Suffragetten. Sie wollten wählen – und wurden ausgelacht“, Elisabeth Sandmann Verlag München 2016, 176 Seiten, 19,95 Euro.

Manfred Orlick

Drama im Schlosspark

Nachdem sich Dieter Hallervorden dankenswerterweise des brachliegenden Schlosspark-Theaters in Steglitz angenommen hatte, brachte er hier vor allem den mehr oder minder gehobenen Boulevard auf die Bühne. Einerseits verfolgt er auch aufklärerische Absichten, andererseits sucht er nach Möglichkeiten, sein Komiker-Rufbild abzulegen und sich als Charakterdarsteller zu beweisen. So kann man ihn nun als Geheimrat Clausen in Gerhart Hauptmanns Drama „Vor Sonnenuntergang“ erleben.
Bühnenbild und Kostüme (Stephan von Wedel) sind eher zeitlos, verweisen aber in klaren Linien und Schnörkellosigkeit in die Entstehungszeit des Stücks am Ende der Neuen Sachlichkeit. Hauptmann schildert die Liebe eines siebzigjährigen Industriellen zu seiner wesentlich jüngeren Sekretärin und die ablehnende Reaktion der Familie auf diese Liaison, die tragisch endet. Der siebzigjährige Nobelpreisträger von 1912 verarbeitete Motive aus eigenem Erleben, denn seine Sekretärin ging eine Verbindung mit Rudolf G. Binding ein, einem Schriftsteller aus Hauptmanns Generation. Das einst häufig aufgeführte Stück wurde auch zweimal verfilmt: Mit Emil Jannings 1937 als faschistische Parabel, in der Clausen als starke Führerpersönlichkeit seine Werke der „Volksgemeinschaft“ übereignet, und 1956 mit Hans Albers, der vor allem die väterliche Menschlichkeit des Geheimrats ausstellte.
Das macht auch Hallervorden, und er gibt dazu noch die Lebenslust des in dieser Fassung achtzigjährigen Greises, der als der Jüngste in seiner Familie erscheint. In Thomas Schendels Inszenierung ist Clausen ein so lebenspraller und -weiser Mensch, dass es nicht ganz verständlich wird, wie er sich von den Schießbudenfiguren um ihn herum so sehr ins Abseits drängen lassen kann. Ihnen fehlt die Gefährlichkeit. Auch Clausens Partnerin, die Sekretärin Inken Peters, bleibt bei Katharina Schlothauer blass. Mit Franziska Troegner als Frau Peters steht allerdings eine starke Figur hinter ihr, die Sorgen und Zweifel wie auch emanzipiertes Selbstbewusstsein glaubhaft zeigt. Die Troegner, der seit ihrem unfreiwilligen Abgang vom Berliner Ensemble vor über 20 Jahren kaum mehr gute Charakterrollen anvertraut werden, zeigt hier wahre Größe. Ihr gehört der 2. Akt ganz und gar. Hervorhebenswert auch Achim Wolff als Clausens Jugendfreund Geiger, der zwischen den Parteien zu vermitteln sucht.
Dem einstigen Kabarettisten Hallervorden gelingt es, dem an Boulevard gewöhnten Schlossparktheaterpublikum Anspruchsvolles zu bieten, und manch alte Berlinerin kann sich mitunter nicht enthalten, das Stück aus dem Parkett zu kommentieren. Ein gutes Zeichen!

Frank Burkhard

Eine sehr langwierige CD-Aufnahme

Nur wenige Musikinteressierte werden sich noch an das Lied „Auf der Jagd nach der Zukunft“ von der gleichnamigen Schallplatte erinnern, das einen Sänger namens Thomas Kagermann für kurze Zeit im Westen der Republik bekannt machte.
Aber Thomas Kagermann wollte diesen Weg nur wenige Jahre weitergehen. Sein stimmliches Potential hätte durchaus mehr hergegeben. Er wandelte sich zum „Violunar“, der die Geige in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens stellte. Genauer gesagt: wieder in den Mittelpunkt stellte, denn als Geiger in diversen Folkrock-Gruppen begann seine musikalische Vita in den 70er Jahren. Mit „Delicious Fruit“ gelang ihm 1997 eine fantastische Einspielung, in die auch jiddisches Kulturgut Eingang fand.
Es folgten mehrere Veröffentlichungen, in der das Violinspiel bis in ätherische oder esoterische Höhen getrieben wurde. Und nun die CD „Im Reich von dieser Welt“. Ein komplexes Liedalbum, das unglaublicherweise allein von ihm gesungen und eingespielt wurde, wohlgemerkt alle Violinpassagen, alle Gitarren, alle Gesangslinien …
Kagermann nahm sich für diese CD annähernd neun Jahre Zeit. So konnte das Album reifen, so konnte er auch komplexe Streichersätze aufnehmen, die es erforderten, für wenige Takte 20mal Violine zu spielen. Mit dem neuen Album wurde aus dem Violunar wieder ein Liedpoet, der die deutsche Sprache für eine wundervolle Gesangssprache hält: facettenreich, präzise, kurvenreich, holprig, geradeaus, detailgenau.
Als Liedpoet stellt er einerseits sein Können bei selbst getexteten und komponierten Stücken heraus; andererseits trägt er vermeintlich abgenudelte Fremdtexte und -kompositionen wie „Die Loreley“ (Heinrich Heine) oder „Sag mir, wo die Blumen sind“ (im Original von Pete Seeger) mit künstlerischer Passion vor.
Die Angestellte einer Autofirma soll übrigens diese mehrjährige CD-Aufnahme angestoßen haben. Sie konnte sich an das eingangs erwähnte Lied erinnern, als sie Kagermann als Kunden bedienen durfte … Ihr folgenreicher Wunsch: ein neues Liedalbum von ihm.
Und so entstanden 14 bezückende Stücke, die die Liebe und die Natur wie auch Kagermanns universale Religionsauffassung beinhalten. „Am Kanal“ ist eine sanfte Ballade wider die Kommerzialisierung der Naturnutzung. Das Lied „Alles ist Eins“ endet mit den Zeilen:
Der Töter ist daher nicht intelligent, er tötet ein Stück von sich selbst
Waffen als Stachel im eigenen Fleisch, die du durch Steuern erhältst
Schlägt der Mensch der Natur ins Gesicht, so sind die Folgen fatal
Sein blaues Auge spürt er vielleicht nicht, doch wirkt er international.
Thomas Kagermann ist ein fein- wie tiefsinniger Künstler, der in persönlichen Begegnungen auch als ein Zeitgenosse mit Esprit und spontanem Witz besticht.
Thomas Kagermann: Im Reich von dieser Welt. CD 2015. MP Records (Direktvertrieb über den Künstler: www.kagermann.com), 18 Euro

Thomas Rüger

Film ab

Bei Tarantino gibt es keinen Zweifel, dass der Titel seines achten Films auch eine Anspielung auf „The Magnificent Seven“ von 1960 (Regie: John Sturges) ist. „Die glorreichen Sieben“ waren das Paradebeispiel eines (schööönen) Klischeewesterns, in dem raue, aber edle Revolverhelden – das eigene Leben nicht achtend, in Unterzahl, trotzdem in mehr oder weniger offener „Feldschlacht“ sowie ritterlich-fair und folgerichtig unter erklecklichen Verlusten – den Friedfertigen, die lieber auch noch die andere Wange hinhalten, statt sich gegen eine Räuberbande zur Wehr zu setzen, zum Siege verhelfen. Die Beispiele für diese und andere Western-Klischees aus Hollywoods Studios sind Legion.
Doch auch deren Dekonstruktion ist hin und wieder auf die Leinwand gebracht worden – mit am radikalsten erst jüngst in „The Revenant“.
„The Hateful 8“ hätte vielleicht zum finalen Akt im Abgesang auf gängige Westernklischees geraten können, denn hier werden die paar Friedfertigen kurzerhand gemeuchelt, und praktisch der gesamte Rest des Filmpersonals, egal auf welcher Seite, egal in welcher Rolle; ist krimineller Abschaum übelster Sorte: nicht nur die „direkten“ Gangster, nein auch die einzige Frau, die Kopfgeldjäger, der Sheriff, der Farbige, der Mexikaner, der Nordstaatengeneral. Wenn dieses Personal an der Wiege der USA stand, muss man sich heute aber auch über gar nichts Dortiges mehr wundern.
„The Hateful 8“ – also ein nicht mehr zu toppender Anti-Western? Falls Tarantino dies tatsächlich intendiert hätte, wäre er grandios gescheitert. Denn standen die bei ihm schon häufig mittel bis schwer überbordenden Gewaltexzesse zumindest in solchen Filmen wie „Inglourious Basterds“ oder „Django Unchained“ noch in einem funktionalen Zusammenhang zur Handlung und zur „Botschaft“ der Filme, werden sie diesmal überwiegend um ihrer selbst willen zelebriert und damit endgültig trivialisiert. Dabei wird die Ekelgrenze des Betrachters in einer Weise und so oft nicht nur touchiert, dass Fans von „The Walking Dead“ sich die Durststrecke bis zur nächsten Staffel ohne Weiteres mit diesem Tarantino verknappen können. Der seinerseits hätte konsequenterweise keinen als Western drapierten, sondern einen ehrlichen Splatterfilm drehen sollen.
Doch warten wir mal seinen neunten ab …
„The Hateful 8“, Regie: Quentin Tarantino. Derzeit in den Kinos.

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Dass jemand in der Kindergruppe von vielleicht Achtjährigen in der Reihe vor mir bei diesem „Robinson Crusoe“ vernehmbar gelacht hätte, ist mir zumindest nicht erinnerlich. Dafür tobten die Kinder ständig abwechselnd durch die Reihe, um sich aus der XXL-Popcorntüte zu versorgen, die eine der aufsichtsführenden Mütter gebunkert hatte. Gefesseltes vorpubertäres Publikum sieht anders aus.
Aber vielleicht hatten die Filmemacher eine Altersgruppe wie die meine im Auge – 60 plus. Dann haben sie wenig falsch gemacht, denn ich bin voll auf meine Kosten gekommen: ein flotter Handlungsablauf, witzige Dialoge, Standup Comedy, erstklassige, detailreiche Figuren, eine liebevolle, teils atemberaubende Animation und 3D-Effekte, bei denen ich auch in der letzten Reihe des großen Saals noch zurückzuckte, wenn etwa die klebrige Zunge eines Chamäleons direkt auf mein Gesicht zuzuschießen schien. Die deutschen Stimmen tun ein Übriges – insbesondere Didi Hallervorden als halbblinder, leicht altersseniler Ziegenbock: unübertrefflich.
Trotzdem kann ich den Filmemachern Kritik nicht ersparen.
Natürlich nicht deswegen, weil sie es außer mit Robinson Crusoes Schiffbruch auf einsamer Insel mit der literarischen Vorlage nicht allzu genau genommen haben. Das war eine Voraussetzung für das Gelingen des Projektes. Denn so schafft es Robinson in diesem Streifen zwar nicht bis zum Freitag, sondern nur bis zum Dienstag. Aber das ist ein höchst sprachbegabter, sehr umtriebiger (Vorsicht, keinesfalls zum Arzt schicken, die Diagnose könnte ADHS lauten!) Papagei, den Robinson Dienstag nennt und der ihm zum Freitag wird.
Aber – am Ende wird Robinson nicht gerettet, sondern fällt Piraten in die Hände. Aus deren Fängen kann er sich zwar befreien und samt Papagei zu seiner Insel zurückkehren, doch ist sein Leuchtturm, um eventuell vorbeifahrenden Schiffen nächtens seine Malaise zu signalisieren, zerstört und sein Domizil ist abgebrannt. Und ich werde heute die halbe Nacht wach liegen und grübeln, wie der junge Mann nun wieder damit klarkommen soll. Kinder denken ja nach Filmende in solche Richtungen in der Regel nicht weiter, aber für die Zielgruppe 60 plus geht so ein Ausgang eigentlich gar nicht …
„Robinson Crusoe“, Regie: Vincent Kesteloot. Derzeit in den Kinos.

Clemens Fischer

Wirsing

Seit der in unsere Gefilde zurückgekehrte Wolf unter Schutz steht, haben es Landwirte aus dem Bereich der Tierproduktion nicht leicht. Das Fernsehmagazin mdr um 2 berichtete beispielsweise über einen Schäfer: „Schon zwanzig seiner Schafe haben Wölfe in den letzten Jahren getötet.“ Ganze zwanzig haben sich also gewehrt! Wie viele Wölfe mögen die Tiere zur Strecke gebracht haben? Jedes Schaf einen Wolf? Oder mehr? Das geht an die Existenz des Schäfers, denn die Strafen pro getöteten Wolf sind exorbitant hoch!

Fabian Ärmel

Was Sie schon immer über Höheren Blödsinn …

… wissen wollten, aber zu erfragen vergessen haben:
„Der Ausdruck Höherer Blödsinn scheint Anfang der fünfziger Jahre üblich geworden zu sein. Er findet sich in einem Artikel der Jahrb. f. Wissenschaft u. Kunst, Lpz. 1854, 1, 238 gegen „die Gesellschafts-Schwindel im lieben deutschen Vaterland: temporäre Gefühlsausschwitzungen, en gros; Geblütswallungen, die zu gelinder Raserei gehen, wenigstens auf dem Niveau des höheren Blödsinns stehen“. Der Verfasser ist wohl der Herausgeber der Jahrbücher, Otto Wigand (1795-1870).“
Aus: Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, gesammelt und erläutert von Georg Büchmann. Fortgesetzt von Walter Robert-tornow, Konrad Weidling und Eduard Ippel. Volks-Ausgabe auf Grund der 26. Auflage des Hauptwerkes, bearbeitet von Bogdan Krieger, Haude &Spenersche Buchhandlung Max Paschke, Berlin 1919, Seite 191.
Der Redaktion am 4. Januar 2016 übereignet von ihrem langjährigen Autor Reinhard Wengierek.

Aus anderen Quellen

„Wir arbeiten an den Integrationsprozessen im postsowjetischen Raum, stellen sie aber nicht anderen Integrationsbemühungen gegenüber“, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow in seiner diplomatischen Jahresbilanz für 2015 und fuhr fort: „Wir sind bereit, an der Harmonisierung der Integrationsprozesse und am ‚Bau von Brücken‘ zu arbeiten, darunter zwischen Europa, Eurasien und dem Asien-Pazifik-Raum.“ Und: „Neben der konsequenten Entwicklung unserer strategischen Partnerschaft und allseitigen Kooperation mit der Volksrepublik China bemühten wir uns um die Förderung unserer strategischen Partnerschaft mit Indien, Vietnam und anderen Ländern des Asien-Pazifik-Raums und beteiligten uns an der Arbeit der multilateralen Mechanismen im Asien-Pazifik-Raum.“
Rede und Antworten des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Tätigkeit der russischen Diplomatie 2015 am 26. Januar 2016 in Moskau, fit4RUSSland, o. D. Zum Volltext hier klicken.

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„‚Igor‘, der eigentlich Juri Labyskin heisst, ist eine undurchsichtige Figur. Im Dokumentarfilm ‚Machtmensch Putin‘, den das ZDF Mitte Dezember ausstrahlt, tritt er als russischer Freiwilliger auf, der im Donbass kämpfte“, beginnt Ivo Mijnssen seine Geschichte um Medienmanipulationen im derzeitigen Spannungsverhältnis zwischen Deutschland und Russland. „Nur wenige Tage später nimmt er im russischen Fernsehen alles zurück: Er habe gelogen und nur das erzählt, was ihm die Produzenten des deutschen Senders in den Mund gelegt hätten […].“ Fazit: „Der Verdacht drängt sich auf, dass man (beim ZDF – die Redaktion) nicht so genau hinschaute, da der junge Mann gut als Illustration für die übergeordnete Erzählung (Machtmensch Putin – die Redaktion) taugte.“
Ivo Mijnssen: Russische Manipulationsvorwürfe gegen das ZDF. Verheddert im Gestrüpp der Propaganda, Neue Zürcher Zeitung, 02.02.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Wir müssen in der OSZE wieder zu einem Dialog über unsere gemeinsame Sicherheit finden“, formulierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Ziel für den deutschen OSZE-Vorsitz. Und: „Wir müssen das verloren gegangene Vertrauen wieder aufbauen.“ Der Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung an der Universität Hamburg, Wolfgang Zellner, gibt zu bedenken: „Wenn es den Deutschen gelingt, eine weitere Verschlechterung der Lage in der Ukraine oder anderen Konfliktregionen wie Berg-Karabach zu vermeiden, wäre das schon ein Erfolg.“
Claudia von Salzen: Deutscher Vorsitz in der OSZE. Neue alte Ostpolitik, Der Tagesspiegel online, 12.01.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Die Öffentlichkeit wird über den Nahen Osten falsch und verzerrt informiert und natürlich werden ihr wesentliche Zusammenhänge nicht richtig vermittelt“, konstatiert der Medienexperte Jörg Becker. „Aktuell läuft in der Syrien- und Irakberichterstattung nahezu alles falsch, was man sich denken kann. Wo gibt es Artikel darüber, dass der Krieg einer ‚Koalition gegen den Terror‘ gegen den ‚Islamischen Staat‘ völkerrechtswidrig ist, da er nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wurde und da es an die Länder dieser selbst ernannten Koalition kein militärisches Hilfeersuchen der syrischen Regierung nach der UN-Charta gibt und auch die Resolution des UN-Sicherheitsrats keinen Einsatz ausländischen Militärs in Syrien erlaubt? Wo gibt es demgegenüber journalistisches Material darüber, dass die Teilnahme der russischen Luftwaffe am syrischen Bürgerkrieg insofern völkerrechtskonform ist, da dieser Teilnahme ein Hilfeersuchen der syrischen Regierung zugrunde liegt, die notabene legitim im Amt ist?“ Ein vergleichbarer Befund auch in einem weiteren Fall: „Besonders die Ukraineberichterstattung wies zahlreiche Mängel auf. Dass die ukrainische Revolution auf dem Euromaidan nicht zuletzt von bezahlten Schlägertrupps gemacht wurde, blieb überwiegend unerwähnt. Weitgehend verschwiegen wurde von deutschen Medien außerdem die Tatsache, dass es sich bei den fälscherlichweise als OSZE-Beobachter bezeichneten Soldaten um Bundeswehr-Angehörige gehandelt hatte und dass westliche Regierungen beim Absturz des Fluges MH-17 der Malaysia Airlines seltsam untätig geblieben waren.
Reinhard Jellen: „Die Medien tragen demokratische Verantwortung“, heise.de, 21.01.2016. Zum Volltext hier klicken.
Derselbe: „Unser Rechtsstaat befindet sich in Erosion“,
heise.de, 22.01.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Auf die Frage „Was können wir denn aus dem Untergang Roms lernen?“ antwortet Alexander Demandt, der Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin lehrte: „Dass wir eine weitsichtige Politik mit Augenmaß betreiben und auf die langfristige Folgen von Einwanderung achten müssen. Die Spannung zwischen armen und reichen Völkern ist uralt. Die Angst der Europäer vor den armen Völkern des Südens ist auch alt. Mit dem Ende einer Kultur dauert es allerdings doch etwas – im Fall Roms etwa 500 Jahre.“
Alexander Demandt: Untergang des Römischen Reichs. Das Ende der alten Ordnung, FAZ.NET, 22.01.2016. Zum Volltext hier klicken.