24. Jahrgang | Nummer 7 | 29. März 2021

Bemerkungen

Vom Mut der Frauen

Auch Friedrich Schiller kann man nicht alles durchgehen lassen: „Ehret die Frauen! sie flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben, / … / Flechten der Liebe beglückendes Band, / Und in der Grazie züchtigem Schleier …“ Den unsäglichen Rest ersparen wir uns. Da in Deutschland wieder einmal gerne der Zeitgeist vor das Loch der Peinlichkeiten unserer großen Geister geschoben wird: Dieses Frauenbild war schon um 1800 so etwas von gestern, dass selbst die Jenaer Romantiker nur Hohn und Spott dafür übrig hatten. Aber inzwischen scheint dieser Geist wieder salonfähig. Die mit großem medialen Getöse daherkommenden MeToo- und sonstige Debatten verkleistern nur die realen Herrschaftsverhältnisse, an denen sich für die übergroße Mehrheit der Menschen auf dem Planeten Erde nichts geändert hat.

Ausgerechnet in Polen, in dem Land, auf das man immer noch zwischen Rhein und Oder von links bis rechts mit leicht herabhängenden Mundwinkeln und einer gewissen Überheblichkeit herabzublicken geneigt ist, ausgerechnet in Polen begehren seit längerem die Frauen gegen ihre Herabwürdigung durch PiS und klerikale Dunkelmänner auf. Nebenbei bemerkt, auch in Deutschland hätten sie viele Gründe dafür …

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat einen bemerkenswerten Jahreskalender 2021 herausgebracht, der unter dem Titel „Frauenstreik“ nicht mit den üblichen Bildern zorniger Aufläufe daherkommt, sondern sich der von den polnischen Frauen bei verschiedenen Demonstrationen gezeigten – selbstgefertigten! – Plakate annimmt. Mich haben die Losungen beeindruckt: „Die Hölle für die Frauen bedeutet die Hölle für das ganze Volk“ – „Vom Leben nehme ich mir das, was mir zusteht, ein Zurück gibt es nicht. Ich bin die Revolution, die neue Konstitution.“ – „ Jarosław, verzeih, aber die Frauen werden dich stürzen.“ Und dann die sehr persönlichen Ankündigungen: „In Polen werde ich kein Kind zur Welt bringen.“ – „Ich werde für euch einen Linken zur Welt bringen“ (auf einem eindrucksvollen Porträtfoto von Tomasz Krywionek). Manches kommt für Nicht-Eingeweihte verschlüsselt daher: Acht Sternchen auf eine Pappe gemalt bedeuten einfach nur „f*ck PiS“.

Podziwiam te kobiety. Ich bewundere diese Frauen.

Günter Hayn

Nike

von Eckhard Mieder

Sie ist gelandet; gleich hebt sie wieder ab.
Sie bleibt nie lange dort, wo sie den Ort
Mit ihrem bloßen Dasein adelt. Und erhellt.
Denn das ist, was sie bringt: ein bisschen Licht
(Den Glanz zu nennen den Historikern bleibt)
Ins Düstere des Sieges, der nach Vergärung riecht.

Jetzt noch das linke Bein nachziehen,
Dann beide Füße aufsetzen und stehen.
Ganz anders als der Tolpatsch Albatros,
Der sie begleitet; niemand sieht ihn vollends,
Wie er im Abseits landet, ins Gebüsch bricht.
Nun der Segen. Kurze Rede. Und ein paar Orden.

Und rechtes Bein nach vorn gesetzt vors linke,
Und linkes Bein vors rechte; sie kommt ins Laufen,
Schon hebt sie ab, der jubeltränenden Menge
Entschwindet sie zum nächsten Sockel; überall
Braucht es doch Sieger; schon trampelt er,
Der Albatros, mit Wackel-Füßen hinterher.

Medien-Mosaik

Fürs Mosaikartige hat diesmal der Filmverlag der Spezialisten absolut MEDIEN gesorgt. Als Überraschung zur Karwoche und zum Osterfest kann man auf seiner Homepage Perlen sehen, die im Fernsehprogramm mehr als unterrepräsentiert sind: die Kunst der Stummfilmzeit. Bis einschließlich Ostermontag präsentiert absolut täglich für 24 Stunden frei empfangbar jeweils einen Klassiker der Stummfilmzeit, alle mit Musik unterlegt.

Am Karmontag gibt es unter dem Motto „Der komische Kintopp“ Kurzfilmgrotesken aus der deutschen Kaiserzeit, launig kommentiert von Ulrich Tukur. Erstaunlicherweise kann man in den über 100 Jahre alten Streifen Lieblingen wiederbegegnen, die heute noch bekannt sind, wie dem Münchner Komiker des Absurden, Karl Valentin, und Curt Bois, der damals Deutschlands erster Kinderstar war und aus Serien der achtziger Jahre wie „Kir Royal“ und Spielfilmen wie „Der Himmel über Berlin“ als Charakterschauspieler gut in Erinnerung ist. Dieser Tage wird an seinen 120. Geburtstag erinnert.

Danach, am 30. März, kann man das Alltagsleben im Berlin der zwanziger Jahre in weitgehend unbekannten Aufnahmen in „Stadt der Millionen“ (1925) erleben. Das abendfüllende Stadtporträt gibt das Lebensgefühl der Inflationsjahre authentisch wieder. Die Laufbahn des damals 30jährigen Regisseurs Adolf Trotz brach ab, als die Nazis ihn 1933 verfolgten. Was aus ihm wurde, ist nicht bekannt.

Einen schönen Vergleich bietet am 31. März der sowjetische Film „Der Mann mit der Kamera“(1929), den der Filmemacher Dsiga Wertow mit authentischen Aufnahmen, oft experimentellen Montagen in Kiew, Moskau und Odessa drehte. Er schildert damit einen Tag in einer x-beliebigen sowjetischen Großstadt der Aufbaujahre.

Unter den weiteren Filmen ist „Das alte Gesetz“ von E. A. Dupont bemerkenswert, der nach einer Vorlage von Heinrich Laube die Geschichte eines Rabbinersohns erzählt, der sich gegen den Willen des Vaters entschließt, Schauspieler zu werden. Der Wilnaer Schauspieler Abraham Morewski und Ernst Deutsch, damals Star des Deutschen Theaters Berlin, spielten Vater und Sohn, neben ihnen einige auch aus dem Tonfilm bekannte Schauspieler wie Henny Porten als Erzherzogin sowie Jakob Tiedtke und Olga Limburg als Direktorenpaar eines Wandertheaters. Unter dem Pseudonym Aschau schrieb Brecht-Freund Frank Warschauer 1924 in der Weltbühne, hier sei ein „angenehmes Gebilde geschaffen, das einige Kenntnisse vermittelt und geeignet ist, zu Erkenntnissen anzuregen.“

Im gleichen Jahr schrieb Warschauer über die Wirkung von Robert Flahertys Film „Nanuk, der Eskimo“ (am Ostersonntag): „Sehen Sie, wie der Eskimo sich eine Hütte aus Schnee baut? Und oben ein Fenster einsetzt aus durchsichtigem Eis? Das nehmen wir auf mit allen Einzelheiten.“ Flaherty hat 1921 einen der ersten programmfüllenden Dokumentarfilme gedreht, der noch heute spannend ist.

Am Ostermontag schließt der Filmverlag absolut MEDIEN seine Stummfilmreihe mit der märchenhaften Geschichte vom „Wachsfigurenkabinett“ ab. Paul Leni inszenierte mit Unterstützung von Leo Birinski drei Episoden um die Wachsfiguren Harun al-Raschid, Iwan der Schreckliche und Jack the Ripper, was ihm die Gelegenheit zu beeindruckenden Dekorationen gab. Wilhelm Dieterle spielte die Hauptrolle eines jungen Dichters, neben ihm wirken unter anderem Emil Jannings und Conrad Veidt mit. Hier nochmals ein Zitat von Frank Warschauer aus der Weltbühne von 1924: „Der Maler Paul Leni (…) hat keine Neigung, auf die Vorrechte des Künstlers zu verzichten und erschafft sich Räume und Dinge eigener Prägung. Er tut es aber so geschickt und mit so zweckmäßigen Begründungen, daß er sehr starke Wirkungen erzielt.“

bebe

Die Filmreihe zum klassischen Stummfilm ist ab sofort bis 5.4. abrufbar unter Stummfilm – absolut on demand.

Für kritische Reportagen durch die Welt

Thüringen ist ein Land mit großer literarischer Vergangenheit, man denke da nur an Schiller und Goethe, die bis heute in der ganzen Welt verehrt werden und das Städtchen Weimar bekannt machten. Doch auch in der neueren Zeit sind Schriftsteller aktiv, bei denen Thüringen im Lebenslauf vorkommt. Ungewöhnlich, interessant und lesenswert ist unbedingt der Schriftsteller Landolf Scherzer, den man zu DDR-Zeiten gezwungen, hat in Thüringen zu leben und zu arbeiten. 1941 in Dresden geboren, studierte er in den 1960er Jahren Journalistik. Doch mit untypischen, kritischen Reportagen, die unter anderem in der NBI erschienen, eckte er bei Staat und Regierung an und wurde exmatrikuliert. Zur „Bewährung“ kam er nach Suhl zum Freien Wort. Da aber hinterm Thüringer Wald nicht so viel passiert, wagte Landolf Scherzer den Schritt zum freien Schriftsteller. Nun konnte er sich ganz seiner Leidenschaft, den Reportagen, hingeben. 1983 erscheint „Fänger und Gefangene“, ein spannend geschriebenes Buch über die Arbeit auf einem großen, rostigen und verbeulten Schiff der Fischfangflotte der DDR. Scherzer, der inoffiziell als Schriftsteller an Bord ist, berichtet über Missstände auf den volkseigenen Schiffen und beschreibt seine fünfzig Tage unter Deck in der Fischverarbeitung. Obwohl der Parteisekretär des Fischkombinates Rostock 1000 Exemplare aufkauft, wird das Buch ein großer Erfolg. Ein weiterer Höhepunkt ist die Reportage „Der Erste“ über einen SED-Funktionär in der Thüringer Provinz. In der Neuzeit kamen dann noch Bücher über Provinz-Politiker hinzu: „Der Zweite“ und „Der Letzte“. Doch Landolf Scherzer hielt es nicht in Deutschland, so berichtete intensiv, genau und nicht geschönt über das Leben in Sambesi, über Russland (Petersburg), Taschkent, Havanna und Tschernobyl. Er fuhr immer wieder für die aufwühlende Reportage „Stürzt die Götter vom Olymp“ nach Griechenland und wanderte 2010 gar durch Europas Osten („Immer geradeaus“). Bereits 2005 lief Scherzer 440 Kilometer durch sein liebgewonnenes Thüringen, entlang der Grenze zu Bayern und Hessen, wobei ihn sein Freund Günter Wallraff auf den letzten 40 Kilometern begleitete. Heraus kam ein Buch voller Emotionen, Wahrheiten und Spannung: „Der Grenz-Gänger“. Da die Politik in Landolf Scherzers Leben immer eine wichtige Rolle spielte, begleitete er den Ministerpräsidenten Thüringens Bodo Ramelow auf dessen Arbeits- und Wahltouren, nachzulesen in den Büchern „Der Rote“ und „Macht und Ohnmacht“.

Zu Landolf Scherzers 80. Geburtstag gibt es nun eine ganz besondere Würdigung vom ehemaligen Thüringer Hans-Dieter Schütt, dessen Interviews mit Künstlern aus Musik und Literatur besonders bei ND-Lesern bekannt sind. Im Buch „Weltraum der Provinzen“ schildert Schütt das Werden des Autors und führte mit ihm autobiographische Gespräche. Selbst schreibt der Geehrte ebenfalls über sein Leben, schildert Eindrücke und Gedanken. Insgesamt ist es ein tolles Buch, das voller schöner Worte und Sätze ist, zum Erstlesen oder Wiederlesen der Scherzer-Bücher animiert und diesen endlich so ehrt, wie er es schon lange verdient hat.

Lieber Landolf Scherzer! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und unbedingt weitermachen.

Thomas Behlert

Genug ist nicht genug …

Im umfangreichen Ouevre des Liedermachers Konstantin Wecker sind etliche Live-Veröffentlichungen enthalten. Sein jüngstes Werk ist insofern eine Besonderheit, als es im September vergangenen Jahres, also mitten in der Corona-Zeit, entstanden ist.

Wecker (Jahrgang 1947) startete als Kleinkünstler im bewegten Jahr 1968. In den Folgejahren wirkte er unter anderem in verschiedenen Pornofilmen mit. Erste künstlerische Meriten gab es dann mit dem 1977er Album „Genug ist nicht genug“; hierfür wurde ihm der „Deutsche Kleinkunstpreis“ verliehen. Das Titellied sowie die Ballade „Willy“ über einen von Neonazis erschlagenen Freund wurden zu Kultsongs für die politische Linke. Der Liedermacher führte in privater wie künstlerischer Hinsicht ein bewegtes Leben und nahm immer wieder auch prononciert Stellung in den (friedens-)politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre und Jahrzehnte.

Der Konzertmitschnitt ist am 4. September 2020 in Wien aufgezeichnet worden. Neben Konstantin Wecker sind die beiden Schauspieler Dörte Lyssewski und Michael Dangl beteiligt. Die beiden hatten freie Hand bei der Auswahl von lyrischen Texten und kürzeren Prosastücken Weckers, die sie dann bei dem Konzert rezitierten, wobei der Musiker zusätzlich beim einen oder anderen Vortrag auch spontan am Klavier improvisierte. Und gleichzeitig nimmt Wecker uns auf eine persönliche Zeitreise mit, die natürlich auch eine kleine, aber feine Auswahl aus seinem musikalischen Schaffen umfasst.

„Genug ist nicht genug“ mag man hier dem Liedermacher aus voller Überzeugung beipflichten… Übrigens wurde das titelgebende Gedicht „Jeder Augenblick ist ewig“ im Blättchen 14/2012 abgedruckt.

Thomas Rüger

Konstantin Wecker: Jeder Augenblick ist ewig – Lieder und Gedichte, DoCD, Label Sturm und Drang 2020, circa 15,00 Euro.

Endlich wieder ein Dieckmann!

Beobachtungen und Erläuterungen respektive -klärungen zu den deutschen Zeitläuften anhand eines in ihnen gelebten Lebens – so könnte man Christoph Dieckmanns journalistische sowie Buchproduktion der vergangenen 30 Jahre zusammenfassend betiteln. Und wer ihm dabei, wie der Besprecher, gefolgt ist, tat dies womöglich nicht zuletzt wegen immer wieder auftretender Schnittstellen mit Selbsterlebtem, -empfundenem und -gedachtem, ob die Verläufe nun parallele oder gegensätzliche waren; beides kam vor. Doch auch wer keine lebensgeschichtlichen Jahrzehnte aus der DDR auf dem Buckel hat kann Dieckmann mit Gewinn und Vergnügen lesen, denn der ist ein ebenso unterhaltsamer Schreiber wie tiefschürfender Auffinder von Hintergründen, Zusammenhängen und nicht zuletzt ein feinsinniger Spötter. Eine solche Melange ist nicht eben häufig.

Diese Mal leiht Goethe-Lyrik („Woher sind wir geboren?“) Titel und Widmung Dieckmanns gerade erschienenem jüngsten Buch, das ansonsten seinem bekannten „Strickmuster“ folgt: einem Konvolut meist im Hamburger Magazin DIE ZEIT erschienener Beiträge des Autors ist ein originärer längerer Essay vorangestellt, der einen größeren Bogen schlägt – vom Werden und Leben Dieckmanns in der DDR, Abstecher ins benachbarte, sozialistisch geheißene Ausland inklusive, über den Epochewandel von 1989/90 mit seinen Ab-, Um- und Aufbrüchen sowie Verwerfungen bis ins Hier und Heute. „Immer wieder dieselbe Machart“, habe ich da schon bisweilen maulen hören. Nun denn – soll ja auch Leute geben, die bei Gemälden am Rahmen hängenbleiben …

Überdies ist Dieckmann ein Bekenner, der nicht hinterher vorher alles besser gewusst hat. Das macht ihn nicht unsympathischer. So schien ihm die deutsche Teilung „eine Sühne für die deutsche Schuld; überdies verbürgte sie das ‚Gleichgewicht der Kräfte‘ im gespaltenen Europa. Diese geschichtstheologische Deutung war ehrlich und jahrzehntelang angemessen, doch auf Dauer naiv. Geschichte kennt keine endgültigen Zustände, die aber jeder Frieden definiert. Rückschauend urteilte Friedrich Dieckmann, die DDR habe ihre historische Mission erfüllt: die Garantie der deutsch-polnischen Oder-Neiße-Grenze. So spricht die Weisheit der Geschichte.“

Übrigens. wer sich seinerzeit – in der Phase des finalen Niedergangs der DDR und ihres Anschlusses an den größeren deutschen Teilstaat – gewundert hat, wieso DDR-seitig dabei dermaßen viele Theologen und Pfarrer mit an der Spitze der Bewegung standen (allein in der letzten DDR-Regierung: Außenminister, Verteidigungsminister, Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, diverse Staatssekretäre), dem beschert Dieckmann Erleuchtung: Die wollten einfach nicht noch mal erleben, dass erst ihre Kinder was Bleibendes hinterlassen. Denn: „Seit Luther sind Mengen von Pfarrerskindern auffällig geworden. Die Komponisten Michael Praetorius und Georg Philipp Telemann, die Dichter Gotthold Ephraim Lessing und Matthias Claudius, Georg Christoph Lichtenberg und Christoph Martin Wieland, Jean Paul und Hermann Hesse, Friedrich Dürrenmatt, Friedrich Christian Delius und Christoph Hein, die Architekten Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler, der Traumsucher Carl Gu­stav Jung, der Albtraumfinder Ingmar Bergman, die Gottesfreunde Friedrich Schleiermacher und Albert Schweitzer, die Gottflüchtlinge Friedrich Nietzsche und Gottfried Benn, der Kolonial-Sadist Carl Peters, die Nazi-Ikone Horst Wessel … – sämtlich Pfarrsöhne. Gerechterweise seien auch die Töchter Gudrun Ensslin und Angela Merkel erwähnt. Und die namenlos Gescheiterten der Redensart Pfarrers Kinder, Müllers Vieh gedeihen selten oder nie.“

Alfons Markuske

Christoph Dieckmann: Woher sind wir geboren. Deutsche Welt- und Heimreisen, Aufbau Verlag, Berlin 2021, 272 Seiten, 22,00 Euro.

Aus anderen Quellen

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, der seit Monaten wegen des Verdachts der Vertuschung im Skandal um sexuellen Missbrauch in Deutschlands größter Diözese in öffentlicher Kritik stand, hat einen Rücktritt ausdrücklich abgelehnt. In einem Interview mit Zeit Online (22.03.2021) sagte der Hirte: „Nein! Was wäre mit einem Rücktritt gewonnen? Das wäre der einfachere Weg. Indem ich im Amt bleibe, übernehme ich Verantwortung für das, was ich in Köln begonnen habe: die schonungslose Aufklärung.“ Ob das so etwas wird wie jene brutalstmögliche Aufklärung, die weiland der hessische Ministerpräsident Koch in der CDU-Parteispendenaffäre verkündet hatte? Muss man abwarten. Dass der Kardinal allerdings ein geeigneter Führungskader dafür ist, die „römisch-katholische[…] Kernschmelze, die in Köln besonders sichtbar und besonders spürbar ist“ (Heribert Prantl), einzudämmen, darf nach dem bisherigen Verlauf in Köln füglich bezweifelt werden, denn, so Prantl: „Die Gläubigen rebellieren gegen den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch, sie rebellieren gegen widerliche Gewalt durch Amtsträger und dagegen, dass sie gedeckt und gefördert werden durch Nichtahndung und Versetzung.“

Heribert Prantl: Prantls Blick – die politische Wochenvorschau, sueddeutsche.de, 21.03.2021. Zum Volltext hier klicken.

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Zur Perspektive der Beziehungen zwischen den USA und China vermerkt Joseph S. Nye: „Aus meiner Sicht verringern wechselseitige wirtschaftliche und ökologische Abhängigkeiten die Wahrscheinlichkeit eines echten kalten Krieges und erst recht eines heißen Krieges, weil beide Länder einen Anreiz haben, miteinander in einer Anzahl von Bereichen zusammenzuarbeiten. Die Möglichkeit von Fehlkalkulationen freilich besteht immer, und einige sehen die Gefahr, dass man ‚schlafwandelnd‘ in eine Katastrophe stolpere, so wie das beim Ersten Weltkrieg der Fall war.“

Joseph S. Nye: In der Thukydides-Falle? – Warum es wohl eher keinen Krieg zwischen China und den USA geben wird, nzz.ch, 12.03.2021. Zum Volltext hier klicken.

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„Die Nachricht klingt, als sei sie nicht der Rede wert: Der Tod eines jungen Mosambikaners im Jahr 1986 war kein Mord, sondern ein Unfall“, schreibt Anja Reich. „Die Staatsanwaltschaft Potsdam findet keine Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt und sieht keinen Grund dafür, Ermittlungen aufzunehmen. Die Akten zum Fall Manuel Diogo kommen wieder ins Archiv […]. Aber diese Nachricht ist alles andere als unbedeutend. Sie bestätigt, was Recherchen der Berliner Zeitung schon vor Monaten ergeben haben: Manuel Diogo wurde nicht von einer Bande Neonazis ermordet. Die Staatssicherheit hat kein rassistisches Verbrechen unter den Teppich gekehrt. Sie zeigt aber vor allem: Nicht die DDR-Unfall-These ist falsch, sondern die vom Mord 30 Jahre später, in die Welt gesetzt von einem westdeutschen Historiker, maßgeblich unterstützt vom MDR.“

Anja Reich: Der MDR und der erfundene Mord, berliner-zeitung.de, 16.03.2021. Zum Volltext hier klicken.

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„Nicht nur um sich weiter an der Macht zu halten, sondern vor allem um den antikapitalistischen Charakter der Revolution zu retten, war es für die Bolschewiki Anfang 1921 wichtiger denn je, dass sich die Revolution nach Westeuropa ausweitete“, konstatiert Jörn Schütrumpf. „Die Bolschewiki setzten große Hoffnungen in die italienischen Sozialisten um Giacinto Menotti Serrati; sie stellten die einzige Massenpartei, die 1919 sofort der Kommunistischen Internationale beigetreten war. Nicht weniger versprachen sich die Bolschewiki von den deutschen Kommunisten.“ Da jedoch die Ausweitung der Revolution nach Westeuropa im Selbstlauf auf sich warten ließ, wurden die Märzkämpfe in Mitteldeutschland angezettelt, die zu einer verheerenden Niederlage führten.

Jörn Schütrumpf: Der mitteldeutsche Putsch, jacobin.de, 17.03.2021. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldung

Experten vertreten die Auffassung, dass der in modernen Gesellschaften sich periodisch verbreitende allgemeine und besondere Schwachsinn irgendwann ein Level erreicht, das nur noch gehalten, schwerlich jedoch weiter übertroffen werden kann.

Jetzt könnte es in dem mit zunehmendem quasi-religiösen Eifer geführten Glaubenskrieg um Sprache, Geschlecht und Herkunft endgültig soweit sein: In Kanada haben Studenten die Streichung eines Yogakurses gefordert, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, sich die indische Kultur „anzueignen“. Aus ähnlichen Motiven wurden bereits asiatische Menüs aus US-amerikanischen Kantinen verbannt …