23. Jahrgang | Nummer 22 | 26. Oktober 2020

Bemerkungen

Sie ist noch da …

… die Bombe, wie das Synonym für Atomwaffen seit Jahrzehnten lautet. Anfang der 1980er Jahre löste die nukleare Rüstung in einer Situation zugespitzter Ost-West-Konfrontation Massenproteste aus. Am 10. Oktober 1981 berichtete die Tagesschau: „Friedlich ist die größte Kundgebung in der Geschichte der Bundesrepublik am Abend in Bonn zu Ende gegangen. 250.000 bis 300.000 Menschen hatten sich in der Bundeshauptstadt versammelt, um für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren. Sie folgten einem Aufruf der Aktion Sühnezeichen und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, der von 1.000 politischen und kirchlichen Organisationen unterstützt wurde.“

Dergleichen erscheint heute wie von einer anderen Welt, obwohl die Bedrohung der menschlichen Zivilisation durch die Gefahr eines Atomkrieges nie verschwunden ist und sich gerade in den letzten Jahren wieder merklich erhöht hat (siehe den Beitrag „Countdown eines Zeitalters“ in dieser Ausgabe).

Angesichts der die Menschheit bedrohenden globalen Probleme, die praktisch täglich die Medien beherrschen, fällt es der Öffentlichkeit seit langem schwer, sich zu vergegenwärtigen, was es heißt, nicht nur im zivilen, sondern unverändert auch im militärischen atomaren Zeitalter zu leben. So bekannte Autor Mattias van der Minde in einem Interview: „Ich selbst kann es mir ja kaum vorstellen, wie hoch das Risiko einer Atombombenexplosion oder eines Atomkrieges ist, geschweige denn, wie sich die Konsequenzen davon anfühlen würden.“ (Zum vollen Wortlaut hier klicken.) Da ist ein Kompendium wie das von ihm schon 2017 vorgelegte sehr hilfreich. Der Autor legt eine Chronologie und einen kritischen Kommentar der Jahre zwischen 1938 und 1979 vor und zeigt, aus welchen historischen Umständen, Entscheidungen und Denkweisen die jetzige atomare Situation entstanden ist.

An die Adresse vornehmlich linker Aktivisten, und da kann ihm nur zugestimmt werden, formuliert van der Minde dabei: „Wer den Kampf, um die martialische Metapher aufzugreifen, gegen Atomwaffen als einen Seitenarm jenes umfassenderen Kampfes für eine neue Gesellschaftsordnung betrachtet, mag argumentieren, das Problem dieser Waffen könne sich leichter beseitigen lassen, lebten wir erst in der klassenlosen Gesellschaft, die nationalen, kulturellen und religiösen Differenzen und Konflikten weitgehend entwachsen ist. Diese Denkweise würde zwar berücksichtigen, dass […] im 20. Jahrhundert vor allem gegeneinander abgegrenzte Staaten als Akteure nach der Bombe griffen oder an ihr festhielten. Weniger waren es […] Ideologien als Triebfedern. Allerdings hatte auch keine der großen Ideologien ein Problem mit der Bombe. Diese revolutionäre Denkweise, diese Einordnung der Bombenfrage in die noch größere Sache, ignoriert jedoch völlig, dass die […] atomaren Gefahren potenziell jeden Tag über uns hereinbrechen könnten. Dass jeder Tag im atomaren Status quo eine potenzielle allumfassende Gefahr bedeutet. Darum ist es fahrlässig, dieses atomare Problem ausschließlich als Teil eines umfassenderen, etwa kapitalistischen Problems anzusehen und auf die ganz große Umwälzung hinzuarbeiten oder Jahrzehnt auf Jahrzehnt darauf zu warten.“

Ein Nachfolgeband soll den Jahren ab 1980 gewidmet sein. Es bleibt zu hoffen, dass dessen Erscheinen nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt.

Hannes Herbst

Mattias van der Minde: Dialektik der Bombe. Chronologie und Kritik des atomaren Zeitalters, VSA Verlag, Hamburg 2017, 292 Seiten, 24,80 Euro.

Also spricht ein Verwirrter

Vorweg: Mein geistiges Vermögen ist ungefähr so überschaubar wie mein finanzielles. Ich meine sogar, es ist geschrumpft. Oder runzlig geworden, faltig, einfältiger?

Es gibt Tage, an denen ich behaupte, diese Welt ist simpel. Es hat keinen Sinn, sie zu deuten, über sie zu debattieren, sie auf den Obduktionstisch zu legen und an ihr herum- oder sie aufzuschnippeln und Teil für Teil zu messen, zu wiegen (wie man das so in Thrillern liest). Noch ein Film, noch ein Buch, noch eine Aufführung in den Medien und im Theater. Was für eine verquirlte Oper. Wenn es doch einfach ist, zwischen Bösen und Guten zu trennen. Denke ich an diesen guten Tagen. Gut ist gut, Böse ist böse, das lässt sich durchaus unterscheiden.

Es gibt andere Tage, an denen ich behaupte, diese Welt ist komplex. Auweia. Dann bin ich kurz vorm Durchdrehen. Ich erwache, und ich möchte nicht aufstehen. Bleiben. Im Bett. Wo es warm ist, trocken, sicher. Ich denke an Ameisen und Saurier. Ich trinke um elf Uhr ein erstes Glas Wein. Ich weiß, dass ich diese Welt nicht durchschaue, dass ich auf dieser Welt keinen Platz habe (außer dem auf dem Stuhl grad). Ich weiß, diese Welt ist am Arsch, und alle, die auf ihr weilen, sind schuld daran. Wirklich alle, ausnahmslos, auch ich. Denke ich an diesen üblen Tagen.

Und? Was ist das nun? Die Welt? Ich auf ihr? Kurze Zeit nur, weiß ich, und ich weiß auch, dass der Welt (also: dem Planeten) mein Draufsein auf ihr so egal ist wie einer Schneeflocke, die einer Lawine nachschaut, die gleich ein Dorf zermalmt.

Das Bild stimmt nicht ganz. Die Schneeflocke bin ich, die Lawine ist die Katastrophe. Und ich bin geschmolzen, bevor sie trifft. So ungefähr ist die Lage. Hin ist hin.

Ich bin des Lebens nichts überdrüssig. Ich möchte glauben, dass es nach mir weitergeht. Andererseits: Es kann doch nicht sein, dass die Flüsse, in denen ich schwamm, die Wälder, durch die ich wanderte, die Berge, die ich erklomm, – es kann doch nicht sein, dass das alles plötzlich ohne mich ist?

Ist es natürlich, naturmäßig, naturgegeben. Ohne mich, na klar. Was ich meine: Aber das alles darf doch nicht ohne Menschen sein?

Und warum denn nicht?

Ohne Menschen, na klar; vermisst etwa jemand den Tyrannosaurus?

Wem liegt am Menschen? Der Eidechse nicht, nicht dem Affen, nicht dem Maulwurf und nicht der Birke vor meinem Fenster. Wespen sind sowieso irre, und Sonnenblumen wiegen ihre schweren, symmetrischen Häupter im Wind – ohne Menschen.

Schade ist es allerdings um die Trauben, die an den Hängen reifen. nicht gepflückt werden und in der Sonne verkokeln zu Rosinen. Die auch niemand braucht. Ist ja niemand da, der nach ihnen langt. Und dann sehe ich die Eichhörnchen, die von Baum zu Baum springen, und ich weiß die Antwort auf die Frage, was ich (der Mensch, oha!) ihnen bin: etwas, das da ist, und wenn es nicht mehr da ist, dann ist es eben niemals dagewesen. Pumpe. Pompidou.

Ich befinde mich in einer beschissenen Lage.

Aber nicht mehr lange, was mich beruhigt.

Eckhard Mieder

Keine Nazis. Nirgendwo

97 Prozent der Anteile des Nachrichtenportals Business Insider gehören der Verlagsgruppe Axel Springer, einer Haupttäterin der Lügenpresse. Rechercheuren des Portals fiel offenbar auf, dass in den letzten Monaten in der Bundesrepublik etliche Netzwerke und Chatgruppen von Polizisten rechtsextremer Neigungen verdächtigt wurden – aber niemals von der Feuerwehr die Rede war. Wer finden will, der findet. Jeder Pilzsammler weiß das. Diese angeblichen Journalisten aus Berlin-Kreuzberg (sic!) stießen nun auf eine WhatsApp-Gruppe, in der zum Beispiel ein Hitler-Foto mit dem Kommentar „Geh wählen!!!“ verbreitet wurde, auch ein KZ-Foto mit der Anmerkung „Richtigen Aufstellplatz gefunden?” fischte man heraus, nebst Sätzen wie „Das ist doch abartig, die ganzen Neger fressen uns die Haare von Köpfen und vergewaltigen unsere Frauen…. Das ist das aller letzte“ [O-Ton des Originales – G.H.].

Die zitierten Chatter – man wird doch wohl noch seine Meinung sagen dürfen! – sind Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Bad Lobenstein. Darunter auch ein gewisser Kay H., der ist Jugendwart der dortigen Brandbekämpfer. Gegen ihn, er ist laut Ostthüringer Zeitung – noch so ein Verbreiter von Un- und Halbwahrheiten! – „den Behörden als ‚Prepper‘ und Anhänger der Reichsbürgerszene bekannt“, lief bereits im Frühjahr 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen rechtsextremer Umtriebe und illegalen Waffenbesitzes ins Leere. Nur eine legale Schreckschusspistole soll gefunden worden sein. Was werden die Kameraden da abgelacht haben! Zu recht! Immerhin müssen sie auf den viel befahrenen Straßen des Ostthüringer Oberlandes tagtäglich kilometerlange Ölspuren ausländischer Spediteure beseitigen. Warum soll man dann die jungen Menschen, die sich für die deutsche Wehr interessieren, nicht über die viel gefährlicheren Chemikalienspuren am Himmel aufklären? Die Lügenpresse berichtet schließlich weder über Chemtrails noch über die Gefahren durch die auf Hochtouren laufende Umvolkung! Und wie immer ist es die Feuerwehr, die am Ende gerufen wird.

Aber dann brennt die Hütte zumeist schon lichterloh. Zur Aufgabe der Jugendfeuer- wie der Freiwilligen Wehren an sich gehört nun einmal die Prävention. Warum soll die Stadt dann so verdienstvolle Kameraden rauswerfen? Gut, das mit den Negern ist ein wenig übertrieben. Allerdings ist ein Begriff wie „Menschen mit äquatorialafrikanischem Migrationshintergrund“ für einen Chatroom zu sperrig. Und nicht alle vergewaltigen, manche klauen auch nur, wie man weiß. Aber den Aufruf wählen zu gehen als verfassungsfeindlich hinzustellen, das ist schon ein starkes Stück! Wenn der Verfassungsschutz deswegen aktiv wird, kann man den linken Chaoten, die seine Auflösung fordern, nur zustimmen.

Und apropos Business Insider: Wie sind diese Typen überhaupt an die Chat-Beiträge rangekommen? Hätten die nicht erst anfragen müssen, ob sie die überhaupt veröffentlichen dürfen? Das ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft, mindestens für den Datenschutzbeauftragten des Landes. Aber der ist Sozi und verärgert lieber Lehrer.

Wer will denn unter solchen Bedingungen noch Feuerwehrmann sein?

Noch dazu in Bad Lobenstein.

Ihr Völker dieses Landes, schaut auf diese Stadt!

Günter Hayn

Angepasst

Dass Krähen kluge Vögel sind, wissen wir inzwischen. Wie viel sie gelernt haben, erlebte ich vor kurzem. Ich ging auf eine kleine Kreuzung zu, den Kopf voller Gedanken. Die Ampel an der Kreuzung leuchtete rot, kein Mensch war weit und breit zu sehen. Nur eine Krähe hüpfte auf dem Bordstein von links nach rechts, bis sie in der Mitte ganz ruhig stand. Sie wartete auf etwas, ihr Blick ging zur Ampel. Die Schaltung schien ewig zu dauern. Aber die Krähe wartete. Als es schließlich grün wurde, flog sie über die Straße auf den nächsten Baum… Meine Gedanken waren verschwunden, ich konnte kaum glauben, was ich da gesehen hatte – und den Rest des Weges kicherte ich vor mich hin. Was wäre das nächste Stadium der Anpassung dieser Krähe, überlegte ich. Über die Straße „gehen“ bei grün, sprich hüpfen? Menschen, die die rote Ampel übersehen, mit lautem Gekrächz verwarnen? Dass sie eine Maske tragen könnte, ginge dann vielleicht doch zu weit …

mvh

Villa Größenwahn

Seit Pyramiden und andersgestaltige Mega-Mausoleen aus der Mode gekommen sind, müssen Herrscher architektonisch zu anderen Mitteln greifen, um sich für die Ewigkeit in Erinnerung zu halten. Helmut Kohl ist das mit seinem Berliner Büro, vom Volksmund gern als „Kohlosseum“ bespöttelt, schon ganz gut gelungen: Das Bundeskanzleramt ist seither mit 25.347 Quadratmetern Nutzfläche die größte Regierungszentrale der westlichen Welt – zehnmal größer als Downing Street No. 10, rund achtmal größer als das Weiße Haus und immerhin noch dreimal größer als der Élysée-Palast in Paris. Der Protzklotz kam seinerzeit auf über 500 Millionen D-Mark. Nach heutigen Maßstäben – ein Schnäppchen; siehe unten.

Doch die Bundeskanzlerin will noch einen draufsetzen: Bis 2028 soll die Nutzfläche durch einen Ergänzungsbau auf der anderen Spreeseite auf 50.000 Quadratmeter praktisch verdoppelt werden!

Der Bundesrechnungshof hat das Projekt unter die Lupe genommen und fand unter anderem, dass

  • ein Kindergarten für 12 bis 15 Kinder entstehen soll; Kostenpunkt: 2,8 Millionen Euro – obwohl der nahe gelegene Bundestag über eine ausreichend dimensionierte Kita verfügt.
  • neun Wintergärten auf fünf Etagen geplant sind, für deren Verglasungen, Sonnenschutz und Befahranlagen zur Glasreinigung über 14 Millionen Euro veranschlagt sind.
  • eine 176 Meter lange Brückenverbindung über die Spree das jetzige Kanzleramt mit dem Erweiterungsbau fußläufig verbinden soll, wofür 18,1 Millionen Euro ausgewiesen werden.
  • ein zusätzlicher Hubschrauberlandeplatz – Plattform auf einem 23 Meter hohen Sockel – für zehn Millionen Euro mit dabei ist und dass
  • sich die Kosten pro Quadratmeter auf unfassbare 18.529 Euro belaufen werden. Allerdings nur wenn die Kostenplanung eingehalten wird. (Andererseits sind das auch nur 3264 Euro pro Quadratmeter mehr als im Falle der Schloss-Attrappe, die unter dem Namen Humboldt-Forum firmiert.)

Doch der eigentliche Knüller, wenn man den bei einer solchen Nummer überhaupt noch suchen will: Der Neubau wird eine zweite Kanzlerwohnung (allein Möblierungskosten: circa 225.000 Euro) erhalten, 250 Quadratmeter groß.

Warum das ein Aufreger ist?

Die erste Kanzlerwohnung im „Altbau“ (bloß 200 Quadratmeter) hat Angela Merkel nie bezogen. Sie wohnt auch seit Amtsantritt immer noch vis-à-vis der Berliner Museumsinsel.

Das gesamte Neubauprojekt wird derzeit übrigens auf 600 Millionen Euro taxiert.

Doch der Bundesrechnungshof kennt seine regierungsamtlichen Pappenheimer sowie die üblichen Verläufe beim Großbauen in Berlin und hat daher mit vornehmer Zurückhaltung schon mal formuliert: Er habe „Zweifel, dass alle zu erwartenden Kosten bekannt sind. Dadurch besteht ein erhebliches zusätzliches Kostenrisiko.“

Da wird der Steuerzahler wohl einmal mehr die geduldige Cash Cow vom Dienst abgeben dürfen …

Alfons Markuske

Wie teuer wird die Corona-Krise?

Als der Co-Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, das von der Bundesregierung wissen wollte, antwortete das Bundesfinanzministerium bis auf drei Stellen nach dem Komma: 1,446 Billionen Euro, mit denen die öffentlichen Kassen belastet werden. Also nur 2020 und 2021. Wenn noch was nachkommt …

Hauptposten in der Krisenrechnung: Kosten für das Gesundheitssystem, für Stützungsprogramme für die Wirtschaft, für internationale Hilfszahlungen und

wegbrechende Einnahmen und für staatliche Garantien in Form von Bürgschaften, Schnellkrediten sowie der Beteiligung des Bundes am europäischen Wiederaufbauprogramm.

Der Ex-Herausgeber des Handelsblattes, Gabor Steingart, mahnte an: „Es ist an der Zeit, die ökonomischen und finanziellen Folgen der Corona-Politik genauer in den Blick zu nehmen. Nicht, dass es später heißt: Operation gelungen, Patient ruiniert.“

cf

Eine erstaunliche Dreifaltigkeit

„Gegensätze ziehen sich an“, weiß der Volksmund. Einerseits. Doch andererseits gilt nicht minder: „Gleich und Gleich gesellt sich gerne.“

Ein hübsches Beispiel dafür, dass beides gelegentlich auch gleichzeitig passiert, hat jetzt Konrad Schuller in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung aufgetan: FDP, Grüne und Linke seien „offiziell ja Gegner“, doch bildeten sie im Bundestag ein „Dreieck […], das man selten sieht“, denn es liege meist „unter Wasser, wie ein Eisberg im Meer“. Aber: „Wer […] auf die feineren Spannschnüre achtet, erkennt ein dichtes Gewebe“, durch das so einiges zustande gebracht werde – wie jüngst „gegen den Willen der großen Koalition ein[…] Untersuchungsausschuss zur Wirecard-Affäre“, in dem sowohl „Angela Merkel als auch Olaf Scholz […] bald die Glut des Grillfeuers spüren [könnten]“. Und vorher schon den Untersuchungsausschuss zur Maut.

Auch sitzen da schon mal Feuer (wie der Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch) und Wasser (wie der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki) gemeinsam in der Kuppel des Reichstages und frotzeln einander vor Medienvertretern launig an: Er möge den Bartsch ja, obwohl der Kommunist sei, so Kubicki. Viel schlimmer wäre, hielt Bartsch dagegen, dass Kubicki permanent Wein schlürfe, während er doch als Vizepräsident des Deutschen Instituts für Reines Bier fungiere. Und das Ganze im trautesten „Du“.

Doch was soll’s: Auf ähnlich familiäre Weise verkehrt der Dietmar ja auch mit Grünen-Co-Fraktionschef Hofreiter (dem „Toni“) und selbst mit FDP-Chef Christian Lindner. Letzteres allerdings offenbar mit höchstem Segen, denn schließlich, so Bartsch, habe ja „schon der „Genosse Engels“ gewusst, „dass der Liberalismus eine wesentliche Quelle des Sozialismus ist“.

Schuller hat auch hinter die Kulissen geschaut: „Damit diese Kooperation trotz aller Gegnerschaft auch funktioniert, sind geölte Verfahren nötig, Akteure, die sich vertrauen. Im Alltag sind das die Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, die Chefmaschinisten in der Turbinenhalle des deutschen Parlaments. Die ‚Pe-Ge-Effs‘ sitzen praktisch dauernd quer durch die Fraktionen zusammen. Sie verhandeln über Tagesordnungen, über die Themen aktueller Stunden sowie über Uhrzeiten, und natürlich sind in diesem Trupp wie auf jeder zünftigen Baustelle auch wieder alle (außer Bernd Baumann von der AfD) mit allen per du.“

Da ist es bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr vielleicht doch nicht mehr ganz so entscheidend, wo man seine Kreuze macht – außer natürlich bei CDU-CSU, SPD und den braunen Schmuddelkindern von der AfD …

Alfons Markuske

Polizistenwitze – damals und heute

Die zerebrale Konditionierung einfacher Streifenpolizisten galt zu DDR-Tagen in der Wahrnehmung der Bevölkerung als eher am unteren Ende einer imaginierten Skala angesiedelt. Das war der Nährboden für Polizistenwitze – meist mehr denn weniger grobschlächtig – wie die folgenden:

  • a) lyrisch: Hast du einen Sohn, der nicht besonders schlau / dann schicke ihn zum Bau. / Hast du hingegen zwei, / schick’ sie zur Polizei.
  • b) in Prosa: Zwei Polizisten im Dienst-Wartburg rasen mit Blaulicht zum Einsatz. Sagt der Fahrer: „Schau mal aus dem Seitenfenster, ob das Ding heute funktioniert.“ Gesagt, getan. Antwortet der andere: „Nee, ist derselbe Mist wie gestern: Jetzt geht’s, jetzt nicht, jetzt geht’s, jetzt …“
  • oder c): ultimativ: Es gibt keine Polizistenwitze. Und wieso nicht? – … die sind alle wahr.

Das ist natürlich lange her und mit der DDR im Orkus der Geschichte versunken. Doch im heutigen Indien scheint eine ähnliche Gemengelage zu bestehen:

Ein Ausbilder in Neu-Delhi will drei Polizistenanwärter auf ihre Fähigkeiten zur Identifikation von Verdächtigen testen. Er zeigt dem ersten fünf Sekunden lang die Fotografie eines Manns. „Das ist dein Verdächtiger“, sagt er zu ihm. „Woran würdest du ihn wiedererkennen?“

„Das ist einfach“, ruft der Anwärter. „Er hat nur ein Auge, den haben wir gleich!“

„Dummkopf!“, ruft der Ausbilder. „Das liegt daran, dass du ihn auf dem Foto im Profil gesehen hast.“

Nun hält der Ausbilder dem zweiten das Foto fünf Sekunden lang hin und fragt auch ihn: „Das ist dein Verdächtiger. Woran würdest du ihn wiedererkennen?“

„Ha!“, ruft der Anwärter und lächelt. „Der wäre zu leicht zu schnappen, wo er doch nur ein Ohr hat!“

Der Ausbilder wird wütend. „Vollpfosten! Natürlich ist nur ein Ohr zu sehen, schließlich ist das ein Profilbild.“

Frustriert und ohne viel Hoffnung zeigt er das Bild dem dritten: „Das ist ein Verdächtiger. Woran würdest du ihn wiedererkennen?“

Der Anwärter schaut konzentriert auf das Bild und sagt: „Der Verdächtige trägt Kontaktlinsen.“

Der Ausbilder ist kurz ratlos, weil er nicht weiß, ob der Mann auf dem Bild Kontaktlinsen trägt oder nicht. „Nun, das ist eine interessante Antwort“, sagt er. „Warte hier, ich überprüfe das in den Akten und komme dann zurück.“

Er verlässt den Raum, geht in sein Büro, checkt im Computer die Akte des Verdächtigen und kehrt freudig lächelnd zu den Anwärtern zurück. „„Wow! Ich kann es gar nicht fassen. Du hast Recht. Der Verdächtige trägt in der Tat Kontaktlinsen. Super Arbeit! Wie hast du es geschafft, das so gut zu beobachten?“

„Das war ganz leicht“, erwidert da der Anwärter: „Der Verdächtige kann keine Brille tragen, weil er ja nur ein Auge und ein Ohr hat.“

Clemens Fischer

Aus anderen Quellen

Am 4. Oktober ist der Schriftsteller Günter de Bruyn, 93-jährig, in Bad Saarow verstorben. Die Berliner Zeitung widmete dem feinsinnigen Literaten und Historiker einen Nachruf, in dem es unter anderem heißt: „Die große Kunst seiner literarischen Genauigkeit schien zuletzt auch noch einmal auf in dem Roman ‚Der neunzigste Geburtstag‘, in dem Günter de Bruyn es sich nicht nehmen ließ, auf die längst auch in der brandenburgischen Provinz sichtbar werdenden Folgen der bundesrepublikanischen Flüchtlingspolitik anzuspielen und diese in aller Vorsicht auch zu kommentieren. Nach mehr als 30 Jahren belletristischer Abstinenz legte er 2018 einen Zeitroman vor, in dem auch die dörfliche Abgeschiedenheit […] von der politischen und sozialen Großwetterlage erfasst wird.“

Harry Nutt: Der Berliner Schriftsteller Günter de Bruyn ist tot, berliner-zeitung.de, 08.10.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Inzwischen gibt es relativ zuverlässige Zahlen zur Letalität von Covid-19“, heißt es in einer Stellungnahme, die das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin Berlin (EbM-Netzwerk), das von 56 Fachgesellschaften, Instituten, Verbänden und Organisationen gefördert wird, herausgegeben hat. Torsten Harmsen berichtet darüber: EbM-Netzwerk verweise auf „auf die sogenannte Infection Fatality Rate (IFR), die Todesfälle unter allen Infizierten erfasst – auch jene mit leichten oder asymptomatischen Verläufen. Diese habe in den vergangenen vier Wochen in Deutschland zwischen 0,1 und 0,4 Prozent gelegen […]. Es könne […] mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden, dass die Corona-Sterblichkeit ‚weit unter den ursprünglichen Befürchtungen‘ liege. Dem müsse endlich auch ein Wandel in der öffentlichen Risikokommunikation folgen, lautet die Forderung“ des EbM-Netzwerks.

Torsten Harmsen: Mediziner fordern dringend eine neue Strategie beim Umgang mit Corona, berliner-zeitung.de, 17.09.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Nachrichtendienste“, so Experte und Blättchen-Autor Erich Schmidt-Eenboom, „kennen weder Freund noch Feind, sondern nur Zweckbündnisse auf Zeit. Eine Reihe von Geheimdiensten wird von der Regierung mit der Lizenz zum Töten ausgestattet, unabhängig davon, ob es sich um Demokratien oder Diktaturen handelt. Allein Barack Obama hat der CIA mehr als 500 bewaffnete Drohneneinsätze zur Ausschaltung von Talibankämpfern in Afghanistan genehmigt. Der Mossad blickt auf eine lange Tradition politischer Morde zurück. Er hat seit den 1950er Jahren regelmäßig Waffenhändler ausgeschaltet, die feindliche Regierungen belieferten und selbst wissenschaftliches Forschungspersonal, das an der Entwicklung islamischer Nuklearwaffen arbeitete, ermorden lassen.“

Marcel Malachowski: „Die Vermutung, der Giftanschlag auf Nawalny sei ohne Wissen Putins erfolgt, ist wenig plausibel“, heise.de, 14.09.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Literaturnobelpreise sind selten unumstritten“, beginnt Ulrike Draesner, und „es ist ein Zeichen dafür, dass man Literatur ernst nimmt, wenn Streit entsteht. In der Süddeutschen Zeitung wurde nach der Verkündung der 2020er-Preisträgerin Louise Glück ‚Kitschalarm, Stufe: Rot‘ ausgerufen, im Literarischen Quartett sah Thea Dorn eine Lyrikerin, ‚die sich in der Tradition von Naturromantik bewegt‘ und ‚dezidiert keine Literatur, die engagiert ist oder sich in ein Diskursgetümmel wirft‘.“ Diesen Verdikten hält Draesner entgegen: Louise Glücks „Werk handelt von Gängen in die Unterwelt. Es handelt von Gewalt und deren Nachwirkungen. Es handelt von den Möglichkeiten des Zusammenlebens: mit anderen Menschen, mit Pflanzen, mit ‚Natur‘, auch mit Geschichte. Es erzählt von Verwüstung und Zerstörung. […] Es handelt von der Möglichkeit und der Unmöglichkeit zu dichten.“

Ulrike Draesner: Die Verzweiflung der Schneeglöckchen, zeit.de, 12.10.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Indien“, schreibt Blättchen-Autor Wulf Lapins – an sich bereits im verdienten Ruhestand, doch von der Friedrich-Ebert-Stiftung reaktiviert, weil kurzfristig der Stuhl des Leiters des Stiftungsbüros in Indien neu zu besetzen war, „ist ein Paradebeispiel von Gegensätzen oder von Pluralität, je nach Perspektive und Standpunkt: Es ist ein Großstaat, unterteilt in 28 Bundesstaaten und neun zentralverwaltete Unionsterritorien, mit acht Religionen sowie 22 offiziell anerkannten Sprachen, von denen keine mehrheitlich im Land gesprochen wird. Das Sozialsystem ist starr in ein vierstufiges, hierarchisches Kastenraster gegliedert. Darunter stehen die etwa 200 Millionen Dalits, die Unberührbaren. Völlig außerhalb der Kastenordnung sind die Adivasi, „die ersten Bewohner“. Sie sind die am stärksten sozial diskriminierte und exkludierte Schicht und stellen rund sieben Prozent der Gesamtbevölkerung.“

Wulf Lapins: Indische Visionen, ipg-journal.de, 15.10.2020. Zum Volltext hier klicken.

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Und zum Schluss noch ein Blick voraus auf – alle Jahre wieder. „Wie still wird die Stille Nacht“ in Corona-Zeiten, fragt Heribert Prantl. Und: „Müssen die Nikoläuse und Weihnachtsmänner unter ihrem falschen Bart einen Mundschutz tragen? Das ist wohl von allen Corona-Problemen das kleinste. Aber: Die Nikoläuse, die von Familie zu Familie gehen, werden von den Ordnungsämtern zur Risikogruppe gezählt werden. Wie viel Distanz braucht, wie viel Distanz verträgt Weihnachten? Womöglich wird Weihnachten zum Fest und zum Anlass, an dem das bisher allgemeine und große Verständnis selbst für unsinnige Corona-Bekämpfungsmaßnahmen endet? Das inflationäre Aussprechen von Reisewarnungen gehört dazu; und der Wirrwarr von Geboten und Verboten, die sich kaum noch jemand merken kann und die sich jede Woche ändern.“

Heribert Prantl: Prantls Blick – die politische Wochenvorschau, sueddeutsche.de, 18.10.2020. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldung

Unter der Überschrift „Luftwaffe trainiert für Atomkrieg“ teilte die Berliner Zeitung ihren Lesern in der Ausgabe vom 14. Oktober auf – für ein Event wie Atomkrieg durchaus angemessen – Seite 1 mit: „Die deutsche Luftwaffe trainiert mit Nato-Partnern die Verteidigung (Hervorhebung – am) des Bündnisgebiets mit Atomwaffen.“

Diese Meldung demonstriert, dass auch Qualitätsmedien teilweise so horrenden Blödsinn verbreiten, dass, täte Dummheit weh, die verantwortlichen Redakteure, die dergleichen ins Blatt setzen, den ganzen Tag vor Schmerzen schreien müssten.

Mit Nuklearwaffen kann gewiss sehr vieles vernichtet werden. Doch da die auf dem Bundesluftwaffenstützpunkt in Büchel in der Eifel lagernden US-Atombomben, mit denen jetzt wieder geübt wurde, in Ermangelung jeglichen anderen infrage kommenden Feindes im Falle des Falles gegen Russland eingesetzt würden, also gegen eine atomare Supermacht, muss davon ausgegangen werden, dass deren Gegenschläge in Deutschland zur Zerstörung all dessen führen würden, was eigentlich verteidigt werden soll.

Oder anders gesagt: „Der Einsatz nuklearer Waffen in der Absicht der Verteidigung der Bundesrepublik würde zur nuklearen Selbstvernichtung führen.“

Das ist übrigens spätestens seit 1971 bekannt, denn diese Feststellung war Ergebnis der seinerzeit von Carl Friedrich von Weizsäcker herausgegebenen interdisziplinären Studie „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“.

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