23. Jahrgang | Nummer 18 | 31. August 2020

Bemerkungen

Die Causa Eckhart

Seit einiger Zeit – beginnend mit Beiträgen der Jüdischen Allgemeinen vom 30.04.2020 („Antisemitismus aus der WDR-Mediathek“) sowie vom 04.05.2020 („Judenhass unter dem Deckmantel der Satire“) und dann querbeet von Medien und Politik zustimmend aufgegriffen; FAZ (konservativ) und taz (progressiv?) unisono: „menschenfeindlich“ – wird ein Auftritt der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart in der WDR-Sendung „Mitternachtsspitzen“ vom September 2018 mit dem Vorwurf des Antisemitismus skandalisiert. Eckhart sagte dabei unter anderem folgenden Satz: „Den Juden Reparationen zu zahlen, das ist, wie dem Mateschitz ein Red Bull auszugeben.“, der – aus seinem Zusammenhang gerissen – den Vorwurf zu rechtfertigen scheint. Götz Aly, der Historiker, Antisemitismuskenner und Kolumnist der Berliner Zeitung, meint hingegen: Um zu verstehen, wie solche Sätze „als Teil eines Ganzen funktionierten, empfehle ich, den Clip (4:23 Min.) anzuschauen“.

Des Weiteren gab Aly zur Causa Eckhart zu Protokoll: „Zum Kreis der Eckhart-Fans zählt der Kabarettist Dieter Nuhr, den die politisch korrekt beschränkte Schwarmdummheit ebenfalls gerne guillotinieren würde. Nuhr erklärte zu den Vorwürfen: ‚Wir müssen nun endlich darüber diskutieren, was Freiheit der Rede heute noch bedeutet. Wer Lisa Eckhart Antisemitismus vorwirft, muss entweder geistesgestört sein oder böswillig. Ich fürchte, bei einigen ist es eine Mischung aus beidem.‘ Anders als der Hof-, Haus- und Familienbespaßer Oliver Welke streichelt Eckhart ihr Publikum nicht mit ziemlich vorhersehbaren links-sozialen Witzeleien, sondern stößt den geneigten Zuschauer in gut verdeckte Fallgruben. Sie verstört, zudem stammt sie aus Österreich. Glücklicherweise bekamen wir von dort nicht nur Adolf Hitler, Jan Marsalek und Markus Braun, die mutmaßlichen Chefkriminellen von Wirecard, sondern neben Senta Berger, Klaus Maria Brandauer auch die hoch begabte und blitzgescheite Lisa Eckhart.“ (Zu Alys Volltext hier klicken; siehe auch weiter unten: Aus anderen Quellen!)

Danke für dieses Statement.

P.S.: Noch etwas O-Ton Eckhart gefällig?
Über die Deutschen: „Sie jubeln mir zu, diese Deutschen! Einer an Kunstschulen abgelehnten, grantelnden Österreicherin. Sie lernen einfach nicht dazu!“

Über ihren vierten Förderpreis: „Jetzt fördern sie mich, und in 10 bis 20 Jahren will’s dann wieder keiner gewesen sein.“

Und über die Gefahr eines Shitstorms: „Wenn das nicht über mir schwebt, dann muss ich mich ernsthaft fragen, ob ich überhaupt noch Satire mache – und nicht Propaganda oder Wellness.“

Alfons Markuske

Nun heulen sie wieder …

Sirenen stammen ursprünglich aus der griechischen Mythologie – weibliche Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch, die durch ihren betörenden Gesang vorbeifahrende Seeleute anlockten, um sie zu töten.

In der DDR ertönten die Sirenen immer mittwochs, 13:00 Uhr, und zwar landesweit. Da konnte von „betörendem Gesang“ allerdings nicht die Rede sein. Schon eher von durchdringendem Gejaule, dienten die Geräte doch zur Warnung der Bevölkerung im Katastrophen- und im Kriegsfall, und der wöchentliche Probealarm prüfte die Funktionstüchtigkeit der „Heulbojen“.

Hat sich eigentlich schon herumgesprochen, dass es in Kürze mal wieder so weit sein wird?

Die Blättchen-Redaktion hat jedenfalls gerade erst davon erfahren, obwohl die entsprechende Pressemeldung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bereits auf den 2. Juni 2020 datiert. Die Meldung informiert: „Am 10. September 2020 wird pünktlich um 11.00 Uhr erstmals seit der Wiedervereinigung ein bundesweiter Probealarm mit allen vorhandenen Warnmöglichkeiten, wie Radio, Fernsehen, sozialen Medien, der Warn-App NINA, Sirenen, Lautsprecherwagen sowie auch digitalen Werbetafeln durchgeführt.“ In nicht so ganz verständlichem Deutsch heißt es dann weiter, der Warntag solle „dazu beitragen, die Akzeptanz und das Wissen um die Warnung der Bevölkerung in Notlagen zu erhöhen und damit deren Selbstschutzfertigkeiten zu stärken“.

Wie?
Sirenengeheul stärkt Selbstschutzfertigkeiten?

Da darf man gespannt sein.

Und natürlich – wie könnte es auch anders sein – stehen „Wichtigkeit und Aktualität des Themas“ in direktem „Zusammenhang mit dem Corona-Virus in diesem Jahr“.

Beschlossen hat das Ganze übrigens die Konferenz der Innenminister: ab jetzt jährlich an jedem zweiten Donnerstag im September.

Hannes Herbst

Münchner NSU-Urteil – Überlegungen zur Revision

Zum Beitrag „Muss der Münchner NSU-Prozess neu aufgerollt werden?“ in Ausgabe 15/2020 erreichte uns eine Leserzuschrift von Dr. Peter A., deren wesentlichste Inhalte nachfolgend widergegeben werden.

Gabriele Muthesius

Bei der rechtlichen Begründung eines Revisionsantrages, so schreibt Peter A., seien zwar „sachlich-rechtliche Fragen theoretisch möglich, werden aber kaum vom Revisionsgericht gewürdigt. Der Grund, es könnte ein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit sein. Deshalb sind Verfahrensfehler das Mittel der Wahl […].

[…] Einer von vielen Verfahrensfehlern, ist das Fehlen einer wirksamen Anklage. Ein weites Feld, aber in unserem Fall interessant.

Die Anklage unterstellt die Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Die TV ist aber juristisch definiert und hat Merkmale zu erfüllen. Fehlen die, ist die Anklage falsch.

Zu diesen Merkmalen gehört unter anderem die Werbung für die Ziele, verbunden mit der Maßgabe, dass die Straftaten die Bevölkerung in erheblicher Weise einschüchtern.

Also wie bei der RAF.

Für den NSU fehlt nicht nur das Bekennerschreiben zur jeweiligen Tat, das notwendige Merkmal Werbung für die politischen Ziele fehlt komplett.

Hätte der NSU jeden Monat ein politisches Lebenszeichen in der Szene oder anonym gegen den Staat oder seine Vertreter gepostet, hätten wir 120 Aktivitäten.

Wenigstens jedes halbe Jahr wären auch noch 24 registrierte Terrordrohungen, na ja und einmal im Jahr …

Warum der lange Anlauf?

Weil die Lebenszeichen zu Lebzeiten des NSU aktenkundig nicht existieren!

Die Betonung für aktenkundig liegt auf Lebzeiten. Das wenige, was die Anklage hat, ist ausschließlich nach dem 4.11 (2011, Tag der Auffindung der Leichen von Mundlos und Böhnhardt in Eisenach-Stregda – G.M.) ‚entdeckt‘ worden.

Während der vermeintlichen Existenz hatte der VS (Verfassungsschutz – G.M.) in seinen Büchern und Computern keinen NSU.

Das gibt er auch zu. Allerdings meinen einige, er lügt in dem Punkt.

Spannender ist daher jemand ganz anderes, die Antifa und ihre Publikationen.

Aus Prinzip wird hier jede Bewegung im rechten Lager registriert und publiziert.

Die gesammelten Werke von 2000 bis 2010 kann man in der Nationalbibliothek durchforsten.

Das Ergebnis, nichts.

[…]

Wenn keine terroristische Vereinigung in der Öffentlichkeit erkennbar aktiv war, kann sie auch nicht Gegenstand einer Anklage sein.“

Als Vertreter unterwegs (1990)

Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, ich hatte die Ehre, mit ihm vor allem in sicherheitspolitischen Dingen zusammenzuarbeiten, nutzte unsere freundschaftliche Beziehung mitunter dadurch schamlos aus, dass er mich als Minenhund missbrauchte. Er ließ mich nämlich Kurztrips zu Anlässen unternehmen, bei denen ihm, obwohl er dabei erwartet wurde, seine Präsenz nicht opportun oder ganz koscher erschien. Ich war’s zufrieden: damals mit mehr verfügbarer Zeit gesegnet, als sie ein sehr aktiver Abgeordnete hat(te), und aus genetischen Gründen neugierig. Um hier nur über zwei von etlichen Einsätzen zu berichten: Einmal (es war wohl im Winter 1983/84) entsandte er mich in den heimischen SPD-Unterbezirk, irgendwo im Schwäbischen, wo ich vor den Delegierten der Jahreskonferenz seine Position zu Fragen der atomaren Abrüstung zu vertreten hatte. Dort stieß ich auf eine kritische, selbstverständlich ganz enorm viel radikalere Fraktion, die mich nach allen Regeln der Geschäftsordnung zerfleischte.

Ein anderes Mal (es war wohl im Frühjahr 1990) hatte ich für ihn auf einer Tagung zu sprechen, die in einem nüchternen Saal des riesigen, heruntergekommenen Rathauses von Manchester stattfand, im zerfallenen Zentrum des Hochkapitalismus von dunnemals: der Zeit des Friedrich Engels. Es ging um Frieden und Sicherheit im Neuen Europa (oder sowas).

Ich war etwas zu früh erschienen und wandte mich, zuvor von einem würdigen Herren willkommen geheißen, einem Tisch im Vorraum zu, an dem entzückende Omas Sandwiches eigener Herstellung anboten (very British). Dazu diverse Getränke, darunter auch Rot- und ungekühlten Weißwein einfacher, aber gerade noch trinkbarer Qualität.

Die Damen waren zutiefst beeindruckt, als ich Rot- und Weißwein mischte und das Ergebnis „Rosé“ nannte. „I didn’t know they make Rosé that way“, bemerkte eine besonders liebenswürdige, uralte Lady.

Es stellte sich heraus, dass die allermeisten Teilnehmerinnen der Tagung Seniorinnen waren und der Kommunistischen Partei Großbritanniens angehörten, einer wohl reichlich verstaubten Organisation, die zu dem Treffen eingeladen hatte. Deswegen also meinte Hermann, nicht selbst erscheinen zu müssen.

Ich hielt meinen Vortrag, bekam sehr freundlichen Beifall, wurde aber keiner sonstigen Reaktion gewürdigt.

Als ich mich nach meiner Show verabschieden wollte, wurde mir der nächste Redner vorgestellt: ein kleiner Mann, der es geflissentlich vermied, mir die Hand zu geben: „Haerr Gregory Gheesie, a compatriot of yours.“

Der machte sich vor Schüchternheit fast in die Hose (was im Nachhinein ziemlich verwundert) und hielt dann eine Rede, von der ich nicht weiß, worum es ging und in welcher Sprache sie gehalten wurde, denn ich hatte mich in die nächstgelegene Hotelbar zurückgezogen. Pubs waren noch nicht geöffnet.

Lutz Unterseher

Entnommen dem jüngsten Buch des Blättchen-Autors Lutz Unterseher: Geschichten aus dem Diesseits, LIT Verlag, Berlin 2020, 95 Seiten, 19,90 Euro.

Mit Schlagstock zur sofortigen Mobilmachung

Wehrdienst in der DDR fand nicht immer mit der Waffe in der Hand statt, Wehrdienst in der DDR konnte auch bedeuteten: Gummiknüppel in die Hand! Ich war so ein armer „Pops“, so die Bezeichnung für jene Soldaten im ersten Diensthalbjahr, die zeitweise ein Ding aus Hartgummi am Koppel hängen hatten. Als eine Art Volkspolizist, bloß mit unberührten grünen Schulterklappen und ganz ohne Dienstgrad, gab ich 18 Monate meiner Jugend für die innere Sicherheit der DDR (und den Massensport) hin.

Dass ich zur kasernierten Bereitschaftspolizei musste, erfuhr ich erst beim Einfahren in die Kaserne. Nun bedeutete es für mich: Bei jedem Fußballspiel der heimischen Mannschaft mit dem Rücken zum Spielfeld, die Fans beobachten, bei Staatsbesuchen Feldwege bewachen und bei Staatsjagden die betäubten Hasen aus dem LKW schmeißen, die Honecker, Mielke & Co dann doch verfehlten.

Mit weiteren Grundwehrdienstlern saß ich in einem unfreundlichen Speisesaal der Deutschen Reichsbahn und wartete auf den Einsatzbefehl, denn es war Oberligaspielzeit. Auf dem Gehweg vor unserem Aufenthaltsort vergnügten sich einige unscheinbare Jugendliche bei Vita Cola und Bockwurst, lustige Sprüche machten die Runde. Plötzlich stürmte unser Zugführer, ein frisch zum Leutnant „geschlagener“ Dödel, in den Raum und befahl mit lauter und eindringlicher Stimme die sofortige Mobilmachung. Schlagstöcke wurden ausgegeben, die Koppel enger geschnallt und die Haltegurte der Mützen unter das Kinn gezogen. Noch an nichts gewöhnt, wurde es meinen Kameraden und mir Himmelangst. Was wollen wir denn da draußen? Sollen wir wirklich Fußballfans mit diesem unheimlichen „Gummidings“ auf den rechten Weg zurückführen? Und wohin darf man schlagen?

Es kam der Befehl, die fröhlichen Jugendlichen vor unserem Fenster zur Ruhe zu bringen. Ein LKW „W50“ fuhr vor, wir stürzten aus allen Türen und Fenstern auf die Gruppe und rangen eine Weile mit ihr. Unsere „Argumente“ waren stärker und die Jugendlichen ziemlich verängstigt. Zack, alle verschwanden auf der Ladefläche des Einsatzfahrzeugs und dieses gleich um die Ecke zu den extra bei Fußballspielen eingerichteten Arrestzellen. Nicht lange danach sickerte die Wahrheit durch, der Schreiber vom Spieß konnte nicht dichthalten: Unser Leutnant und Zugführer hatte uns die zivile Ordnungsgruppe verhaften lassen, die sich gerade sammeln wollte.

Da schwor ich still und leise für mich: Niemals setzt du dieses Hartgummi-Kampfgerät ein. Ich brauchte meinen Schwur nicht zu brechen, denn kurz nach diesem ersten Einsatz versetzte man mich zur Sportkompanie und ich trainierte nur noch für das nächste nationale Sportfest in Leipzig.

Thomas Behlert

Journalismus & Corona

Zwei wissenschaftliche Studien haben die journalistische Begleitung und Behandlung der Corona-Krise in den Medien untersucht. Die eine Studie – „Qualität der Berichterstattung zur Corona-Pandemie“ – stammt vom Schweizer Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) und kommt zu einer Einschätzung ähnlich der, die der Journalistikprofessor Klaus Meier von der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt bereits im April zu Protokoll gegeben hat: „zu wenig Einordnung, zu wenig Recherche, zu behördennah“.

Die andere Studie – „Zur medialen Konstruktion Deutschlands unter Covid-19 anhand der Formate ARD Extra – Die Coronalage und ZDF Spezial“ – haben die Medienforscher Dennis Gräf und Martin Hennig von der Universität Passau erarbeitet. Sie haben mehr als 90 Sendungen untersucht und erheben den Vorwurf, es werde nicht genügend differenziert; die Sender hätten einen massenmedialen „Tunnelblick“ erzeugt. Schon die Häufigkeit der Sondersendungen habe den Zuschauern ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario vermittelt. Die immer wieder gezeigten Bilder kenne man „aus Endzeiterzählungen und Zombiegeschichten“, so Gräf. Und: „Sondersendungen wurden zum Normalfall und gesellschaftlich relevante Themen jenseits von Covid-19 ausgeblendet.“

In den ersten Märztagen umfasste der tägliche Anteil journalistischer Beiträge mit Bezug auf Covid-19 der fög-Studie zufolge zwischen 20 und 50 Prozent der gesamten Berichterstattung, von Mitte März bis Ende April waren es pro Tag zwischen 50 und 75 Prozent aller Beiträge.

Angesichts dieser „Schräglage“ hat Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung gefragt: „Wann je in den vergangenen Jahrzehnten hat ein Thema so dominiert und andere wichtige Themen verdrängt?“

Die fög-Studie hebt überdies hervor: Vor allem in der Phase vor dem Lockdown hätten „die Medien geholfen, den Lockdown kommunikativ vorzubereiten, aber wenig dazu beigetragen, mögliche […] Folgen des Lockdown im Vorfeld kritisch abzuwägen“.

Prantl war dies Veranlassung, die eigene Zunft und Branche daran zu erinnern: „Die Presse ist nicht Lautsprecher der Virologie, sondern der Demokratie.“

Darauf ein Prosit!

In des Wortes ursprünglichster Bedeutung: Es möge nützen.

cf

Menschenversuch

Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL berichtete in seiner Ausgabe 32/2020: „Seit mehr als einem Jahr läuft auf den Straßen der deutschen Großstädte ein Experiment am Menschen. Den Versuchsaufbau hat Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ausgetüftelt […] Das Experiment geht so: Was passiert, wenn alle, die über 14 Jahre alt sind, von heute auf morgen ohne Einweisung, ohne Erläuterung, ohne Helmpflicht ein neuartiges motorisiertes Verkehrsmittel benutzen dürfen, das in vielen Innenstädten plötzlich vieltausendfach herumsteht und spontan angemietet werden kann? Seit dem 15. Juni 2019 wird das ausprobiert. Da wurde der E-Scooter in Deutschland legal […].“

Was in solchem Falle passiert, darüber weiß man inzwischen bereits einiges. Zwar gab es hierzulande mit diesem ausgewachsenen Nonsens noch keine Toten wie etwa in London, Paris, Singapur oder Los Angeles, doch das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Denn schwere Unfälle gab es bereits zur Genüge. Mit ins Auge springenden Auffälligkeiten. Von 90 von einem leitenden Mediziner dokumentierten Fällen etwa hatten 87 Prozent der Opfer ihren Crash selbst verschuldet – ohne Unfallgegner, unsachgemäße Handhabung reichte völlig aus. Jeder Dritte, der medizinisch versorgt werden musste, verunfallte bei seiner ersten Fahrt. Mehr als 40 Prozent zogen sich Kopfverletzungen bis zu schweren Schädel-Hirn-Traumata und Frakturen am Gesichtsschädel zu.

Offizielle Zahlen aus dem Hause Scheuer liegen allerdings noch keine vor. Der Minister will erst Ende des Jahres einen Zwischenbericht darüber offerieren, was sein Versuchsaufbau an Folgen für die Verkehrssicherheit gezeitigt hat.

Hans-Peter Götz

Blätter aktuell

Wie kommunizierende Röhren vollzogen sich nach dem Mauerfall die deutsche und die europäische Einigung – und beide gerieten durch den Aufstieg des Rechtspopulismus in eine fundamentale Krise. Doch die EU-Politik infolge der Coronakrise, so der Philosoph und Blätter-Mitherausgeber Jürgen Habermas, habe beiden Prozessen eine zweite und vielleicht letzte Chance beschert, die es unbedingt zu nutzen gelte. Nur wenn wir unsere nationalen Kräfte für den entscheidenden Integrationsschritt in Europa bündeln, werde die Europäische Union als globaler Akteur eine Zukunft haben.

Der eskalierende Handelskrieg zwischen China und den USA weckt Befürchtungen vor einem endgültigen Bruch zwischen beiden Ländern – und gar einem neuen Kalten Krieg. Jedoch wäre dieser Konflikt so neu keineswegs, argumentiert der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Vielmehr könne vom Sieg des Westens nach 1989 mit Blick auf Asien keine Rede sein. Unter Führung der Kommunistischen Partei hat sich in China ein Regime gebildet, das sich radikal vom amerikanischen Modell unterscheidet und sich auf einer welthistorischen Mission sieht. Unter Donald Trump versucht Washington nun, den Rivalen aggressiv in die Schranken zu weisen. Daher sei es höchste Zeit für eine neue Entspannungspolitik.

Immer mehr Finanzmanager ziehen sich aus Geschäften mit Kohle, Öl und Gas zurück – aus Angst, durch den Klimawandel Rendite zu verlieren. Erleben wir also einen Kipppunkt in der Beziehung zwischen Finanzwelt und fossiler Wirtschaft? Der Geograph Jörg Haas und die Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüssig, stellen fest: Es gibt deutliche Anzeichen für eine solche Trendwende, doch könnten die aktuellen Hilfspakete das angeschlagene fossile Imperium erneut stabilisieren.

Dazu weitere Beiträge, unter anderem: „Die machtlose WHO: Der Wettlauf um den Corona-Impfstoff“, „Polen: Kaczyński vor dem Durchmarsch?“ und „Der planetarische Klassiker aus Ostberlin“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, September 2020, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

Geht bei der beschleunigten, übliche Verfahrensschritte abkürzenden oder ganz übergehenden Entwicklung von Impfstoffen gegen das aktuelle Coronavirus alles mit rechten Dingen zu? Ein Bericht von Michael Maier gibt begründete Veranlassung zu zweifeln. So gebe es, zitiert Maier einen Vertreter der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), „ein atemberaubendes Maß an Geheimnistuerei im Prozess der Verhandlungen mit der Pharmaindustrie“.

Michael Maier: Corona-Impfung: Wer zahlt für mögliche Schäden?, berliner-zeitung.de, 26.08.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„In den gegenwärtigen Debatten um das Abgehängtsein des Ostens“, so beginnt Ulrich van der Heyden, „[…] wird kaum noch der Frage nachgegangen, warum und auf welche Weise damals die Geistes- und Sozialwissenschaftler aus der DDR ‚abgewickelt‘, also in den meisten Fällen ihrer Berufe und ihrer Existenz beraubt wurden. In keiner Etappe der deutschen Geschichte wurde so viel „Humankapital“ auf den Müll geworfen. Dafür konnten nun die ‚unhabilitierten Sitzenbleiber‘, ‚frischgebackene Anfänger‘ und Leute mit ‚drittklassiger Begabung‘ auf die frei gewordenen Lehrstühle und festen Stellen strömen. So jedenfalls formulierte es der 1990 in den Osten entsandte und nach Kenntnisnahme der Realitäten geläuterte Vorsitzende des Wissenschaftsrates Dieter Simon. […] Dieser rigorose Elitenaustausch ist mit Sicherheit ein Grund dafür, warum bis heute so viele Missverständnisse zwischen Einwohnern Ost- und Westdeutschlands herrschen.“ Und: „höchstens drei bis fünf Prozent der Geistes- und Sozialwissenschaftler aus […] DDR-Lehr- und Forschungsinstitutionen“ hätten im vereinigten Deutschland beruflich Anschluss gefunden.

Ulrich van der Heyden: „Nie zuvor wurde so viel Humankapital auf den Müll geworfen“, berliner-zeitung.de, 12.08.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Gregor Gysi ist jetzt 72 Jahre alt“, setzt uns Robert Pausch ins Bild. Es ist ein Alter, in dem sich andere ein E-Bike kaufen oder eine Kreuzfahrt zum Nordkap unternehmen. Gregor Gysi hat weder ein E-Bike, noch geht er auf Kreuzfahrt. Er hat einen neuen Job. Seit gut zwei Monaten ist er außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Auf den ersten Blick wirkt das so, als würde Volkswagen-Chef Herbert Diess nun die VW-Niederlassung in Baunatal leiten.“

Robert Pausch: Er schon wieder, zeit.de, 05.08.2020. Volltext hier klicken.

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Die äußerst scharfzüngige Kabarettistin Lisa Eckhart, die von sich selbst sagt, es sei ihr „Beruf zu verstören, nicht mein Hobby“, erinnert daran: „Schon Kant hielt das Meinen zwischen Glauben und Wissen für eine relativ überflüssige Kategorie.“ Sie stellt Fragen: „Wie viele schämen sich für einen fülligen Körper und wie wenige für einen schmalen Geist?“ Gibt Antworten: „Man muss sich mit einem gewissen Maß an Dummheit in der Menschheit abfinden, ein Mindestmaß werden wir nicht wegkriegen.“ Befundet: „Die Macht hat sich dahingehend geändert, dass wir nicht mehr zum Schweigen gebracht werden, sondern zum Reden gezwungen. Der Zwang des unentwegten Plapperns ist das Machtinstrument von heute.“ Und sie gesteht: „Der Dekadenz entsage ich mittlerweile zugunsten einer dionysischen Lebensbejahung.“

Ute Cohen: Lisa Eckhart: „An dieser Moralkathedrale muss ich nicht mitbauen“, berliner-zeitung.de, 16.08.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Das Steele-Dossier, auch Trump-Russland-Dossier genannt, welches dem US-Präsidenten enge persönliche Beziehungen zu Russland und eine angebliche russische Einmischung in die Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahr 2016 beweisen sollte, ist […] einem Bericht der New York Times zufolge weitgehend falsch und irreführend“, heißt es auf der Homepage von Deutsche Wirtschaftsnachrichten. „Das Dossier wurde vom ehemaligen britischen Agenten Christopher Steele erstellt, welcher das Dokument mit Falschinformationen gefüllt hat, um Trump zu diskreditieren.“ Und: „Steele hat bereits vor einem Londoner Gericht ausgesagt, dass er beauftragt wurde, Hillary Clinton eine Grundlage zu schaffen, um die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2016 für den Fall, dass Trump gewinnt, in Frage zu stellen.

„Gesamte ‚Russland-Affäre‘ als Fälschung entlarvt: Kronzeuge belastet Hillary Clinton schwer“, deutsche-wirtschafts-nachrichten.de, 11.08.2020. Zum Volltext hier klicken.

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Die graue Eminenz im Kulturbetrieb der deutschen Hauptstadt ist Monika Grütters (CDU), ihres Zeichens Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und als solche direkt der Bundeskanzlerin beigeordnet. Mit Grütters’ Rolle bei einigen fatalen kulturpolitischen Fehlentwicklungen in Berlin befasst sich Nikolaus Bernau: „Auch die Planung für das Museum des 20. Jahrhunderts mitten auf dem Kulturforum – die international höchst umstrittene, inzwischen auf skandalös teure 450 Millionen Euro kalkulierte und als ökologisches Desaster bezeichnete ‚Scheune‘ nach den Plänen der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron – geht wesentlich auf Grütters’ Initiative zurück. Die Museen wünschten sich eigentlich nur einen effizienten, kleineren Erweiterungsbau […]. Es war Grütters, die das Geld für den weit größeren Neubau organisierte, die – einigen Berliner Kunstsammlern folgend – den betriebswirtschaftlich extrem ineffizienten […] Bauplatz festlegte.“

Nikolaus Bernau: Museumsdirektoren fordern mehr Mitsprache bei Reform, berliner-zeitung.de, 09.08.2020. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldung

Das Homeoffice – als Ausnahme von der Regel ein alter Hut, doch erst Corona hat es uns massenhaft beschert. Selbst die Kanzlerin hat es absolviert. Manche frohlockten: „Weil Arbeiten für Trottel ist, lob ich mir das Homeoffice.“ Andere fordern inzwischen gar einen Rechtsanspruch darauf.

Tom Erdmann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sprach jetzt ein rechtes Wort zur rechten Zeit: „Homeoffice und Kinderbetreuung ist wie Zähneputzen mit Nutella.“

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