22. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2019

Bemerkungen

Allgemeiner Niedergang

Hiobs-Botschaften klingen in etwa so: „Die SPD ist in der Auflösung begriffen. Ein neuer Vorsitzender wird das nicht ändern.“ Dies äußerte jetzt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa und selbst langjähriges SPD-Mitglied. Sofort keilte Partei-Vize Rolf Stegner – der mit den ewig nach unten weisenden Mundwinkeln – zurück: „Ich glaube, was sich auflöst, sind die Reste von demoskopischem Sachverstand bei Herrn Güllner […].“
Doch hat Güllner mindestens diese Zahlen auf seiner Seite: Seit 1990 hat sich die Mitgliederzahl der Partei von fast 950.000 auf unter 430.000 mehr als halbiert und – dramatischer noch – seit 1998 hat die SPD 13 Millionen Wähler verloren.
Damit liegt die SPD, was keine wirklich gute Nachricht ist, allerdings voll im westeuropäischen Trend:

  • Die spanischen Sozialdemokraten, die bei der Parlamentswahl 1982 noch bei 48 Prozent lagen, landeten in diesem Jahr nur noch bei 28,7 Prozent.
  • Die Partito Democratico in Italien lag 2008 noch bei 33 Prozent der Stimmen, aber 2018 schon bei unter 19 Prozent.
  • Die französische Sozialdemokratie krachte von 36 Prozent bei den Parlamentswahlen 1981auf 7,4 Prozent 2017 runter. (François Mitterrand rotiert wahrscheinlich im Grabe.)
  • Die niederländische Arbeiterpartei PvdA – 1977 bei 33,8 Prozent – landete 2017 bei gerade noch 5,7 Prozent.
  • Und im Nachbarland Österreich wurde die SPÖ von den Wählern von einst 51 Prozent (1979, an der Parteispitze stand der legendäre Bruno Kreisky) auf 21,1 Prozent bei den jüngsten Parlamentswahlen im September gestutzt.

Angesichts dieser allgemeinen Misere liegt auch in der einstigen Selbstermunterung Erich Honeckers („Totgesagte leben länger.“) kein Trost mehr …

Corbinian Senkblei

Film ab

Das Kino-Sequel der britischen TV-Erfolgsserie „Downton Abbey“ ist von den Kritikern nicht unbedingt wohlwollend goutiert worden. Petra Kohse befand in der Berliner Zeitung: „Ein warmes Fußbad für den gestressten Geist. […] und dazu die typische streicherunterlegte Klaviermelodie […], als poliere jemand unentwegt Kristall“. Und Hartwig Tegeler fragte sich angesichts dieses Films im Deutschlandfunk, „[…] wie überhaupt irgendjemand etwas gegen eine aristokratische Klassengesellschaft einzuwenden hat“.
Die Kollegen hatten beim Gang ins Kino womöglich so etwas wie ein Parteilehrjahr mit aufklärender, wenn nicht gar aufrührender Wirkung aufs Publikum erwartet. Das ist nicht illegitim, war aber nach den sechs Staffeln der TV-Serie schlechterdings nicht zu erwarten. Das passende Wort zu Kritiken wie den obigen hat daher im Streifen selbst die Countess of Grantham (wieder grandios – Maggie Smith) gesprochen: „Sarkasmus ist die niederste Form von Esprit.“
Nach ihren Erfahrungen mit der Rolle der Lady Cora, Hausherrin auf Dowton Abbey, befragt, äußerte Elisabeth McGovern: „Ich weiß noch besser zu schätzen, wie wir heute als Frauen leben und wie weit wir es mit der Frauenbewegung gebracht haben. Ich hoffe, meine Töchter und ich werden nie in einer Situation wie Cora sein, in der wir absolut keine Macht über die Gestaltung unserer Zukunft haben.“ Das Leben von McGoverns Großvater übrigens, so viel Klatsch und Abschweifung muss sein dürfen, soll das Vorbild für „Indiana Jones“ gewesen sein. Unvergessen geblieben von ihr ist dem Besprecher jene Szene aus „Es war einmal in Amerika“, in der sie als blutjunge, betörend schöne Frau allein und scheinbar selbstvergessen in einem staubigen Lagerraum in der Lower East Side von New York tanzt, aber sehr wohl den Spanner hinter der Wand bemerkt, den aussichtslos in sie verliebten „Noodles“ (Robert de Niro).
Doch zurück zu „Dowton Abbey. Der Film“. Geboten wird höchst unterhaltsames Kino – und zwar nicht nur of its best, sondern of its very best. Vorausgesetzt, man mag Kostümfilme.
Wer hingegen tatsächlich etwas darüber wissen will, was der Dienst in Haushalten des britischen Adels mit seinen angejahrten, ebenso steifen wie stupiden Regeln und Ritualen bei den Bediensteten mindestens in vergangenen Tagen anrichtete, der sollte sich besser – diesem Rat Hartwig Tegelers kann uneingeschränkt zugestimmt werden – James Ivorys „Was vom Tage übrig blieb“ von 1993 (mit Anthony Hopkins und Emma Thompson) ansehen.
„Dowton Abbey“, Regie: Michael Engler. Drehbuch: Julian Fellows. Derzeit in den Kinos.

Clemens Fischer

Medien-Mosaik

Haben alle alles richtig gemacht? Dass das nicht geht, weiß Gregor Sander auch, und so meint er den Titel seines neuen Romans „Alles richtig gemacht“ ironisch-lakonisch. Der gebürtige Schweriner erzählt die Geschichte der ungleichen Rostocker Freunde Thomas und Daniel, die sich zu Beginn der achtziger Jahre in der Schule kennenlernen, und verfolgt sie bis in die Gegenwart. Daniel war eine Weile abgetaucht und ist jetzt plötzlich wieder da. Welches Geheimnis er mit sich herumträgt, interessiert immer weniger. Sander übt sich im Erzählen von Episoden und springt zwischen den Zeitebenen hin und her. Er hat einen trockenen Humor, der gelegentlich bei Wolfgang Kohlhaase abgekupfert ist. Seine Milieus sind realistisch beobachtet, oft anekdotisch erzählt und nicht ohne gesellschaftliche Brisanz. Da wird vom Selbstmord von Thomas‘ Vater berichtet, der als selbständiger Gewerbetreibender in der DDR als Kapitalist galt und nach der Wende ein Opfer des Kapitalismus wurde. Gerade diese neunziger Jahre schildert Sander bunt und spannend, und Leser, die damals Zeitgenossen waren, werden Verhältnisse, Orte und Menschen im turbulenten Berlin wiedererkennen. Bei all diesen funkelnden Farbtupfern fehlt dem Roman jedoch eine tragfähige Fabel, die die Spannung am Köcheln gehalten hätte.
Gregor Sander, Alles richtig gemacht, Penguin Verlag, München 2019, 240 Seiten, 20,00 Euro.

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Eine dichte, brisante Novelle nicht ohne Charme schrieb Friedrich Wolf 1941 im Moskauer Exil. „Lucie und der Angler von Paris“ wird der Aufbau-Verlag im kommenden Frühjahr neu auflegen. In der Erzählung, die Wolf selbst für eine seiner besten hielt, griff er Motive auf, die ihn zuvor in der Zeit im französischen Exil bewegt hatten. Ein Untergrundkämpfer und eine junge Malerin treffen aufeinander und wachsen aneinander. Die eher unpolitische Künstlerin lernt verstehen, was den politischen Aktivisten bewegt, und er, dass reiner Aktionismus ohne Blick auf die Schönheiten der Welt nicht funktioniert. Im Deutschen Fernsehfunk machten Autor Hans Müncheberg und Regisseur Kurt Jung-Alsen daraus einen Kammerspielfilm, der bis heute beeindruckt. Da damals Paris als Drehort tabu war, fungierte die Moldau als Seine, und bestimmte Prager Ecken ähnelten Paris durchaus. Ein intensives Spiel boten Jung-Alsens Hauptdarsteller Annekathrin Bürger und der Brite John Rees (der damals mehrfach in DFF-Filmen mitwirkte). Kongenial gab ihm Eberhard Mellies die Synchronstimme. Ebenso wie er blieb auch Ronald Paris im Abspann ungenannt, obwohl die Atmosphäre des Films seinen zahlreichen Bildern und Skizzen viel zu verdanken hat. Gut, dass es den Film jetzt digital restauriert auf DVD gibt!
Lucie und der Angler von Paris, Regie Kurt Jung-Alsen, 63 Miniuten, Edition DDR-TV-Archiv, 14,95 Euro.

bebe

Angestiegene Ungleichheit

In einer Gesellschaft, die zunehmend in Oben und Unten zerfällt, sei der Zusammenhalt gefährdet, behaupten Soziologen, manche Politiker und andere Experten. Wer solche Warnungen angesichts des Abdriftens wachsender Wählerschichten zur AfD immer noch als Befeuerung von billigem Sozialneid diffamiert, dem ist wahrscheinlich nicht zu helfen.
Der jüngste Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung jedenfalls spricht eine deutliche Sprache: Die verfügbaren Einkommen in Deutschland sind so ungleich verteilt wie noch nie. Der Bericht benennt zwei gegenläufige Faktoren: Gruppen mit hohen Einkommen hätten „von sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen profitiert und dadurch die große Mehrheit der Haushalte in Deutschland beim verfügbaren Einkommen“ abgehängt. Und am anderen Pol seien jene 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen weiter zurückgefallen. In diesem Zusammenhang hat Andreas Peichl vom Münchner Ifo-Institut auf folgenden Effekt des Zuzugs von Flüchtlingen hingewiesen: Zwischen 2014 und 2016 sei „eine ganze Gruppe von Personen mit niedrigem oder keinem Einkommen hinzugekommen. Da ist klar, dass die Ungleichheit ansteigt.“
Was notwendiges staatliches Gegensteuern anbetrifft, so fordert das WSI: „Haushalte am oberen Ende müssten über höhere Steuern einen größeren Beitrag zur staatlichen Umverteilung leisten.“ Und: „Um zu verhindern, dass Haushalte am unteren Ende den Anschluss an die Gesellschaft verlieren, sind vor allem die Erhöhung des Mindestlohns, eine Stärkung der Tarifbindung sowie arbeitsmarktpolitische Maßnahmen notwendig.“

Hans-Peter Götz

WeltTrends aktuell

Über den Begriff der Menschenrechte wird seit Jahrzehnten heftig gestritten; er wird genutzt, um politischen Druck auszuüben, in jüngster Zeit gar für militärische Interventionen. Die politische Instrumentalisierung der Menschenrechte sollte jedoch nicht dazu führen, den Ruf nach den Rechten des Menschen tatenlos verhallen zu lassen. Das betont Christoph S. Widdau, Gastherausgeber des Themas. Die Texte über die Kulturalisierung als „größte Herausforderung“ (Jörn Knobloch), die Wirkungsmächtigkeit des Begriffes in Afrika (Daniela Ringkamp) und über das Verhältnis zum „konstruktiven Konservatismus“ (Andreas Nix) buchstabieren dies aus.
Am Ende einigte man sich – in Italien. Die 5-Sterne-Bewegung, einst schärfste Kritikerin der „politischen Kaste“, fand sich mit der zuvor verteufelten Partito Democratico zusammen, um den Partner von einst, Lega-Führer Salvini, auszubremsen. Weiterhin geht es im WeltBlick um die Rolle der Frau in der Türkei und mexikanische Albträume angesichts Trumps neuen Zertifizierungssystems. „Nimmt China 17 auf einen Streich?“ fragt Tomasz Morozowski und analysiert Chinas Aktivitäten in Mittel- und Osteuropa im Format „17+1“.
Mit dem gescheiterten Versuch einer anderen DDR beschäftigt sich Dieter Segert in der Historie.
Angesichts der Lage in der Golfregion setzt sich im Kommentar Nils Schmid, Außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, für eine Deeskalation ein und betont, dass es keine deutsche Beteiligung an einer gegen den Iran gerichteten Militärintervention geben wird.

am

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 156 (Oktober) 2019 (Schwerpunktthema: „Des Menschen Rechte“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

In ihrem neuen Buch „Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute“ schreibt Daniela Dahn: „[…] 60 Prozent der US-Amerikaner bezweifeln die offizielle Version vom Geschehen am 11. September. YouGov spricht von 50 Prozent – wie auch immer, die meisten US-Amerikaner sind bis heute überzeugt, dass die US-Regierung zumindest entscheidende Kenntnisse verschweigt, wenn sie nicht sogar selbst direkt in die Anschläge verwickelt war.“ Und: „Angesichts der vielen Millionen Zweifler in aller Welt ist es bemerkenswert, wie wenig die etablierten Medien es wagen, die offenen Fragen auch nur zu erwähnen.“
Daniela Dahn: Der Tag, der die Welt veränderte,
rubikon.news, 21.09.2019. Zum Volltext hier klicken.

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Was die Schlagzeilen zu den Bränden in Amazonien „prägt“, so Sandra Weiss, „sind verkohlte Gürteltiere, lodernde Bäume und ein polternder Präsident, der auf sein souveränes Recht zur Zerstörung pocht, egal wie wichtig der Regenwald für das Weltklima auch sein mag. Doch was hinter dem Feuerfanal steckt, haben wenige erkannt: ein minutiöser Plan zur wirtschaftlichen Erschließung“.
Sandra Weiss: Endspiel um den Amazonas, ipg-journal.de, 30.09.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Man kann“, so SWP-Chef Volker Perthes, „argumentieren, dass die Spirale des Konflikts (im Persischen Golf – die Redaktion) im Mai 2018 in Gang gesetzt wurde, als die USA ihren Rücktritt von dem 2015 mit dem Iran geschlossenen Nuklearabkommen erklärten und erneut Sanktionen gegen das Land verhängten. Seitdem haben die USA diese Sanktionen im Rahmen einer Strategie „maximalen Drucks“ mehrmals verschärft. Die Wirtschaftstransaktionen des Iran mit der übrigen Welt wurden infolge dieser Strategie drastisch reduziert, seine Öleinnahmen ausgehöhlt, eine Währungsabwertung ausgelöst und das Land in die Rezession getrieben.“ Trotzdem: „Der Iran hat es bisher geschafft, die asymmetrische Machtverteilung in einen taktischen Vorteil zu verwandeln.“
Volker Perthes: Gefährliche Spieler, ipg-journal.de, 04.10.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Die Berichterstattung vieler großer Medien zu China ist von Selektion und Scheuklappen geprägt. Um das Land zu verstehen, muss es anders dargestellt werden, ohne es dabei generell zu ‚entlasten‘. Das läge auch im Interesse des ‚Westens‘“, meint Tobias Riegel.
Tobias Riegel: Die Medien und Chinas „Machtdemonstration“, nachdenkseiten.de, 02.10.2019. Zum Volltext hier klicken.

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„Wer die Pläne der USA gegen Russland beim Namen nennt, der wird in Deutschland gerne als ‚Verschwörungstheoretiker‘ bezeichnet“, konstatiert Thomas Röper. „Dabei sagen US-amerikanische Geostrategen und Think Tanks die Dinge in den USA ganz offen, nur findet sich darüber kein Wort in der deutschen Presse.“ Konkret analysiert Röper eine aktuelle Studie der Rand Corporation mit dem Titel: „RAND Corporation ein neues Strategiepapier mit dem Titel „Overextending and Unbalancing Russia“ („Russland überdehnen und aus der Balance bringen“).
Thomas Röper: Russland hat keine aggressiven Absichten – US-Strategiepapier erklärt die wahren Gründe der US-Politik, anti-spiegel.ru, 26.07.2019. Zum Volltext hier klicken.
Zum Volltext der Rand-Studie – hier klicken.

Letzte Meldung

Seit Anfang 2014 sind bei der Bundeswehr 39 Waffen, darunter sechs Maschinengewehre vom Typ MG3, elf Gewehre vom Typ G3, vier Gewehre vom Typ G36 sowie zwei Pistolen vom Typ P8, 39 Waffenteile und 19.445 Schuss Munition verschwunden. Nur zwei Waffen, ein Waffenteil und 3474 Schuss Munition sind bislang wiederaufgetaucht. Dies listet eine Verschlusssache des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg) auf, die an die Medien durchgestochen wurde.
Ein Sprecherin des BMVg wiegelte ab: Angesichts von mehr als 300.000 Handwaffen der Bundeswehr lägen die Zahlen lediglich im „Promille-Bereich“.
Ob bei den Verschwindungen zerebral rechtslastige Bundeswehrangehörige oder ähnlich strukturiertes Personal jener privaten Sicherheitsdienste im Spiel waren, die heute fast sämtliche Bundeswehrobjekte bewachen (sollen), darüber darf noch spekuliert werden.
Fakt aber ist auf jeden Fall bereits: Sollten durch diese Waffen eines (un)schönen Tages Menschen verletzt werden oder gar zu Tode kommen, so werden – gemessen an der Gesamtbevölkerung – die Opferzahlen gottseidank ebenfalls nur im „Promille-Bereich“ liegen.

Alfons Markuske