21. Jahrgang | Nummer 11 | 21. Mai 2018

Bemerkungen

Über allen Wipfeln herrscht Ruh’

Die letzte Nachricht, die man via Google zum Thema Giftmord an Skripal findet, stammt vom 12. April. Sie verweist auf das Untersuchungsergebnis der „Organisation für ein Verbot chemischer Waffen“ (OPCW), das den Einsatz des Nervengiftes Nowitschok bestätigt hatte, allerdings keine Hinweise auf die Drahtzieher zu geben vermochte. Dass dies zuvor die politischen Lautsprecher des gesamten Westens nicht daran gehindert hatte, diese Untat Moskau als „höchstwahrscheinlich“ zu unterstellen und daraus stante pede politische und diplomatische Strafmaßnahmen einzuleiten, die das ohnehin gespannte Verhältnis beider Seiten weiter verschärft haben, ist bekannt.
Fast noch aufschlussreicher jedoch ist das eingangs genannte Datum. Denn seit jenem Apriltag ist das Thema Skripal komplett aus Politiksprech und Medien verschwunden. Nun, wo die Gesundung Skripals und zuvor schon seiner Tochter wohl doch tiefere Untersuchungsergebnisse zeitigen könnte, herrscht absolute Funkstille; „Über allen Wipfeln herrscht Ruh’“. Bis auf eine ganz neue Meldung, die aufhorchen lässt. Ihr zufolge hatte sich der BND schon vor über 20 Jahren Proben besagten Nowitschoks beschafft und deren Analyse auch den wichtigsten westlichen Verbündeten übermittelt. SpiegelOnline dazu: „Spätestens seit diesem Zeitpunkt, laut den Artikeln in den späten Neunzigerjahren, verfügten also nicht nur Deutschland, sondern auch die USA, Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Kanada über die Zusammensetzung und eine Probe des neuen Kampfstoffs. Möglicherweise stellten sie ihn sogar selber in kleinen Mengen her und tüftelten an Schutzmaßnahmen für die eigenen Truppen im Fall einer Konfrontation mit Russland.“ Nun wird dieser Verdacht gewiss mit Empörung zurückgewiesen werden, denn Schweinereien sind westlichen Geheimdiensten und Regierungen bekanntlich wesensfremd. Ebenso gewiss bleiben wird der Vorwurf an Moskau, der – wiewohl theoretisch möglich, wenn denn beweisbar – weiter gebraucht wird als Gift einer Russenphobie, die zum derzeit finstersten Arsenal des neuentflammten Kalten Krieges gehört und an noch finsterere Zeiten davor erinnert.

HWK

BRD: Streben nach Massenvernichtungswaffen

Dass die Bundeswehr und Politiker wie etwa Franz Josef Strauß bereits in den 1950er Jahren nach Verfügungsgewalt über Kernwaffen strebten, ist hinlänglich bekannt.
Laut jüngsten Medienberichten auf Basis jahrzehntelang geheim gehaltener Akten der Bundeswehr und der US-Regierung hätten Bundesregierung und Bundeswehr darüber hinaus in den 1960er Jahren aber auch sehr aktiv die Beschaffung und den Einsatz von Chemiewaffen geplant, obwohl sich die BRD in internationalen Verträgen verpflichtet hatte, diese weder herzustellen noch zu anzuwenden.
1963 habe der damalige Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU) die US-Regierung um die Bereitstellung von Chemiewaffen ersucht. Rund 14.000 Tonnen sollten beschafft werden – zum Einsatz mittels Artillerie und Luftwaffe gegen Truppen des Warschauer Paktes. Dazu der damalige Generalinspekteur Friedrich Foertsch: „Wir können auf solche Mittel nicht verzichten.“
Erst 1966 habe die US-Regierung dieses Ansinnen zurückgewiesen.
Bundesregierung und Bundeswehr hatten in der damaligen Zeit entsprechende Ambitionen immer bestritten. Diesbezügliche Berichte, etwa seitens der DDR 1968 sowie von Günter Wallraff und Jörg Heimbrecht 1969/70 in Konkret und 1979 im ARD-Magazin Monitor waren als haltlos zurückgewiesen worden.

am

Gestörtes Geschichtsbild

Die Friedrich-Naumann-Stiftung „für die Freiheit“ – das ist die politische Stiftung der FDP – hat am Himmelfahrtstag den 60. Jahrestag ihrer Gründung gefeiert. Im Event-Ort „Station Berlin“, einer umfunktionierten alten Fabrikhalle am Berliner Gleisdreieck. Der Saal war gut gefüllt, die Quote der Anzugträger mit Fliege oder Schlips sowie Einstecktuch wie erwartet höher als im Durchschnitt anderer politischer Richtungen. Die eigentliche Festrede hielt die Bundeskanzlerin, ansonsten redeten der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert, jetzt Chef der CDU-nahen Adenauer-Stiftung, FDP-Chef Christian Lindner und Wolfgang Gerhardt, früherer FDP-Chef und jetzt Vorsitzender der Naumann-Stiftung. Es war viel von Freiheit die Rede. Und der deutsche Liberalismus machte deutlich, dass zwar die SPD die am längsten in Kontinuität bestehende politische Partei sein mag, er sich jedoch auf eine ältere Tradition bezieht, die Revolution von 1848. In diesem Sinne sang zur Eröffnung das Ensemble Nobile a cappella das Heckerlied, das aus der Badischen Revolution stammt und in dem gefordert wird, es müsse Fürstenblut fließen und die Guillotine mit Tyrannenfett geschmiert werden. Zum Schluss ertönte das alte „Die Gedanken sind frei“.
Die FDP-Redner betonten, dass ihre Freiheit vor allem die der Märkte ist, während Angela Merkel kluge Sätze über den Namenspatron Friedrich Naumann sagte, dass die Menschen nicht nur Verantwortung tragen sollten und dazu befähigt werden müssten, sondern der Staat der Großindustrie auch Grenzen setzen müsste. Vieles klang, als hätte ihr das Heinrich August Winkler aufgeschrieben.
Ein Problem hat die Lindner-FDP aber offenbar mit ihrer jüngeren Geschichte. Jürgen Morlok, Vorsitzender des Stiftungskuratoriums, hielt eine ellenlange Begrüßungsrede, in der er bemüht war, alle „wichtigen“ Gäste protokollarisch korrekt zu aufzuzählen. Darunter waren auch die ehemaligen Bundesminister Rainer Brüderle und Dirk Niebel, die in der Merkel-Regierung mit der FDP von 2009 für Wirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit zuständig waren. Und damit maßgeblich mitverantwortlich für den Herauswurf der FDP aus dem Bundestag durch den Wähler 2013.
Drei andere Anwesende dagegen wurden nicht erwähnt: Gerhart Baum, Bundesinnenminister 1978-1982 unter Kanzler Helmut Schmidt, Burkhard Hirsch 1975-1980 Innenminister in Nordrhein-Westfalen und 1994-1998 Vizepräsident des Deutschen Bundestages, sowie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die unter Helmut Kohl 1992 bis 1996 Bundesjustizministerin war und die Regierung aus Protest gegen den „Großen Lauschangriff“ verlassen hatte; unter Merkel arbeitete sie 2009 bis 2013 nochmals erfolgreich in diesem Amt. Sie haben auch weiterhin den Schutz der Bürgerrechte, vor allem gegen deren Einschränkung durch staatliche Überwachungsmaßnahmen im Blick. Alle drei hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt, dass große Teile des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Großer Lauschangriff) verfassungswidrig sind – das Bundesverfassungsgericht hatte 2004 in diesem Sinne entschieden. Baum, Hirsch und andere hatten auch gegen das Luftsicherheitsgesetz geklagt und wurden vom Bundesverfassungsgericht 2006 ebenfalls bestätigt: Ein Abschuss von Passagiermaschinen im Entführungsfall verstößt gegen das Grundgesetz; er wäre weder mit dem Grundrecht auf Leben noch mit der Garantie der Menschenwürde vereinbar. Passen Hüter der Bürgerrechte nicht zur jetzigen FDP?

Bernhard Romeike

Remember the „Maine“

An geschichtsrelevante Geschehnisse wird bevorzugt erinnert, wenn diese auf ein rundes Jubiläum zurückblicken können. Nun ist nicht jeder solcher Jahrestage des unbedingten Erinnerns wert, wenn aber sein Gegenstand Assoziationen zu Heutigem auslöst, dann schon.
120 Jahre ist es her, als sich im Hafen von Havanna eine folgenschwere Explosion ereignete: Das US-amerikanische Schlachtschiff „Maine“, dort stationiert, um unter den angespannten Verhältnissen zwischen den USA und Spanien per „Kanonenbootpolitik“ Stärke zu demonstrieren sowie die amerikanische Handelsschifffahrt von und nach Kuba vor den Folgen des seinerzeit aufgeflammten Unabhängigkeitskrieg der Kubaner gegen die spanische Kolonialgewalt zu schützen, flog in den Abendstunden des 15. Februar 1898 in die Luft und das Schiff versank mit zerstörtem Bug auf den Grund des Hafenbeckens.
Der daraufhin ausgebrochene Krieg endete mit der Inbesitznahme Kubas, Puerto Ricos, Guams und der Philippinen durch die USA.
Das Gemetzel selbst soll aber nicht im Zentrum dieser Reminiszenz stehen, vielmehr war es sein Zustandekommen, das geradezu abziehbildartige Assoziationen dazu auslöst, wie gerade derzeit wieder Kriege angezettelt, mindestens aber Kriegspsychosen geschürt werden. Waren es doch zwei der größten Pressetycoone der USA, William Randolph Hearst und Joseph Pulitzer, die ihre Zeitungen massiv dafür einsetzten, in den USA mit Blick auf das Geschehen in Kuba die antispanische Stimmung anzuheizen. Da ihre Korrespondenten allerdings über die apostrophierten Gräueltaten der Spanier gegenüber den Kubanern aus Havanna nichts berichten konnten, da sich die inkriminierten Kampfhandlungen noch weit von der Hauptstadt abspielten, beauftragte Hearst seinen Korrespondenten Remington, ihm einschlägig erwartete Bilder zu schicken, die die USA zwingen würden, in den Krieg einzutreten. Seine Order an Remington ist seither legendär geworden: You furnish the pictures. I’ll furnish the war.
In dieser Situation nun flog die „Maine“ in die Luft, was 266 Mann der Besatzung das Leben kostete, und besagte US-Presse brauchte täglich nur noch mit der permanent wiederholten Losung Remember the Maine zu operieren, um die US-Regierung schließlich zum Eintreten in einen Krieg zu bewegen. Formell sollte der als „Antwort” auf den umgehend Spanien unterstellten Anschlag verstanden werden, letztlich indes diente er der Machtausdehnung des zum politökonomischen und militärischen Global Player herangereiften Nordamerika. Dem militärisch unterliegenden Spanien nahm Washington nach Kriegsende neben Kuba auch noch Puerto Rico, Guam und die Philippinen ab; welch attraktiver Ertrag eines Krieges, den allen voran die Presse – mit dem „Nebeneffekt“ fantastischer Steigerungsraten ihrer Auflagen – herbeigeführt hatte.
Wie das bei inszenierten Attentaten so ist, gelang es den Hintermännern der Maine-Explosion jahrzehntelang, die von ihnen ausgestreute Behauptung eines von Spanien zu verantwortenden Anschlages zu halten. Erst 1976 konnte ein Untersuchungsteam belegen, dass ein unentdeckter Schwelbrand im Schiffsinnern zu dieser Detonation geführt hat; ob dieser nun auf „natürliche“ Weise entstanden war oder nicht, war zu diesem Zeitpunkt freilich nicht mehr zu klären. Musste auch nicht, denn das Prinzip, einem Gegner eine Untat einfach zu unterstellen und dies ohne Beweisführung als Anlass zu einem Krieg, mindestens aber Militärschlag zu nutzen, hatte damals so funktioniert, wie es das in unseren Tagen wieder tut: Remember the Maine zieht immer, auch dann, wenn der Begriff Maine mit einem anderen Begriff gemäß jeweilig aktueller Interessen ausgetauscht wird.

Hajo Jasper

Was immer man tut…

Im wunderbar renovierten Pankower Schloss Schönhausen wird museal auch ein Raum präsentiert, in dem der erste Präsident der DDR in deren Frühzeit residierte. Sein Interieur ist von denkbarer Schlichtheit, allein die Nachkriegsumstände hätten Protz und Prunk nicht einmal dann zugelassen, wenn einem Wilhelm Pieck daran gelegen gewesen wäre. Damit keiner, der einen Blick in Piecks Arbeitszimmer wirft, nun auf falsche Gedanken kommt, wird er per Schrifttafel an der Tür darauf hingewiesen, dass die kleinbürgerliche Schlichtheit des zu betrachtenden Ambientes nicht die Unseligkeit der von hier aus mit harter Hand regierenden Diktatur vergessen lassen möge – aufgepasst, liebe Kinder!…
Erinnert an Schloss Schönhausen hat mich die Art und Weise der dieser Tage medial dargebotenen globalen Charts der Rüstungsetats. In der dortigen Pole Position wie schon ewig die USA, zwischenzeitlich immerhin mal ohne Etatanstieg. Ihnen folgen China mit einem relativ kleinen und Saudi Arabien mit einem relativ großen Zuwachs. Aber nun Platz vier: Russland. Dort sind die Militärausgaben also um 20 Prozent gesunken (!!). Wer nun auf irgendeine, selbst misstrauische Anerkennung für eine solche Entwicklung gerechnet haben sollte, er wurde – zuverlässig – enttäuscht. Denn während die vorgenannten Positionen im TV unkommentiert verlesen wurden, so folgte in Sachen Russland umgehend der Hinweis, dass diese Rüstungssenkung auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zurückzuführen sei, Punktum.
Nun dürften die nicht unerheblichen Wirtschafts- und Sozialprobleme Russlands zu ihrer Lösung in der Tat auch Mittel benötigen, die im Rüstungsetat frei werden. Aber wann hätte man dort je ökosoziale Obliegenheiten als Hinderungsgründe angesehen: Sicherheit um jeden Preis war die bisherige Devise. Und auch heute wird die Sicherheit nicht preisgegeben, der dafür für nötig befundene Aufwand indes reduziert. Das geht offenbar, wie es gewiss auch in den USA, China, Saudi Arabien und durchaus auch Deutschland ginge – wenn man wollte…
Da kann ein Putin machen was er will (und dass er bei seinen geopolitischen Ambitionen keineswegs blindes Vertrauen verdient, sei vermerkt), aber bei der antirussischen Grundierung offizieller – und im Gleichklang medialer – Wahrnehmung und Urteilsfindung könnte er die Rüstungsausgaben auch auf null fahren und den Bestand verschrotten lassen: Den Vorwurf eines arglistigen Motives würde ihm das nicht ersparen. Man weiß das hierzulande einfach.

Hans Jahn

Ovid-Eleve Trump

Man kann von Trump halten, was man will – in hochessenziellen Angelegenheiten stützt er sich immerhin auf die Weisheiten ältester politischer Denker. Das, was später, römisch grundiert, in das Sprichwort: Si vis pacem para bellum („Wenn du (den) Frieden willst, bereite (den) Krieg vor.“) eingeflossen ist, hat schon Ovid, in etwas ausgedehnterer Form in den Nomoi, formuliert: „Die vornehmste Grundlage eines glückseligen Lebens aber ist dies, dass man weder Unrecht tut noch von anderen Unrecht erleidet. Hiervon ist nun das Erstere nicht so gar schwer zu erreichen, wohl aber so viel Macht zu erwerben, dass man sich gegen jedes Unrecht zu sichern vermag, und es ist unmöglich auf eine andere Weise vollkommen zu derselben zu gelangen als dadurch, dass man selber vollkommen tüchtig dasteht. Und ebenso ergeht es auch einem Staate, ist er tüchtig, so wird ihm ein friedliches Leben zuteil, ist er es nicht, so bedrängt ihn Fehde von innen und außen. Steht es aber so damit, so muss sich jeder nicht erst im Kriege, sondern schon in Friedenszeiten auf den Krieg einüben, und darum muss eine verständige Bürgerschaft in jedem Monat nicht weniger als einen Tag Kriegsdienste tun, wohl aber noch mehrere, wenn es den Behörden nötig erscheint, und dabei weder Frost noch Hitze scheuen.“
Nun ist das beileibe kein spinnertes Gedankenspiel eines antiken Dichters, eine Frage bleibt indes: Wann bedroht wer wirklich wen? Und die Antwort darauf liegt in den falschesten aller Hände, jenen von mehr oder weniger machtbesessenen Politikern. Auch bleibt sachlich festzuhalten, dass es leider echte Kriegsdrohungen und -vorbereitungen gibt und ebenso Vorbereitungen zur Gegenwehr. Inwieweit diese aber auf objektiven Tatsachen beruhen, sei nicht nur dahingestellt: Die Geschichte lehrt, dass Kriegsgründe nahezu immer in politischen, und mehr noch ökonomischen Interessen begründet sind. Und um diese zu verschleiern, ist man sich auch nicht der offenkundigsten Lügen zu fein; siehe Blättchen 9/18. Und – noch schlimmer – fast immer ist eine Mehrheit bereit, diese Interessen auch für die ihren zu halten, jedenfalls dann, wenn man sich in der Rolle des Stärkeren weiß.
„Wenn es den Behörden nötig erscheint…“ – Ovid hat eine frühe Steilvorlage und Handlungsanleitung auch für das gegeben, was neuerlich an kalten und heißen Kriegen läuft oder vorbereitet wird – mit dem Sittenwächter Trump allen voran. Mal sehen, wer später wieder mal von alledem nichts gewusst haben wird, wenn der Nahe und Mittlere Osten zum Flächenbrand wird, dessen Grenzen völlig unklar bleiben.

Helge Jürgs

Wie es euch nicht gefällt

Die Verneinung hat bei Reißverschluss Tradition. Schon vor 25 Jahren gab Regisseur Joachim Stargard seiner besonderen Shakespeare-Aneignung den Titel „Was ihr (nicht) wollt“. Nun endlich nahm er sich das Stück vor, das mit ersterem gern in einem Atemzug genannt wird, aber doch ganz anders ist. „As You Don’t Like It“ nennt er seine Fassung, die er mit der sich ständig verjüngenden freien Gruppe Reißverschluss erarbeitete, die er vor über 30 Jahren in Berlin-Mitte gegründet hatte. Wie stets klopfte er verschiedene Übersetzungen auf Brauchbarkeit ab und fügte auch einen Monolog von Heiner Müller dazu, den der Prinzipal selbst spricht.
Im Stück werden politische Ränkespiele unter Adligen gegen wahre Liebe gesetzt. Stargard hebt in seiner Inszenierung vor allem Motive wie Wahrheitsliebe und Freundestreue hervor, betont aber auch die ironischen und komischen Momente der Handlung, wenn etwa der vorerst glücklose Held Orlando (Albert Tallski) den eigentlich unschlagbaren Kraftsportler Charles (Mohamad Fawaz) im Ringkampf besiegt.
Wer die 90-minütige Aufführung an der Spree verpasst hat, kann ihr immerhin zum Main nachreisen, wo Reißverschluss traditionell für ein jugendliches Publikum spielt.

Frank Burkhard

William Shakespeare: As You Don’t Like It, Regie Joachim Stargard, Gruppe Reißverschluss gastiert im Gallus-Theater Frankfurt am Main 27.-29. Mai 2018

Spötter Tolstoi

„Pfuel* war einer jener hoffnungslos, unerschütterlich, fanatisch selbstbewußten Menschen, wie man sie eben nur unter Deutschen findet, und zwar weil nur unter den Deutschen das Selbstbewußtsein auf einer abstrakten Idee basiert, nämlich der Idee der Wissenschaft, das heißt des vermeintlichen Besitzes der vollkommenen Wahrheit. Das Selbstbewußtsein des Franzosen beruht auf dem Glauben, daß er geistig wie körperlich unwiderstehlich bezaubernd auf Männer und Frauen wirkt. Das Selbstbewußtsein des Engländers beruht auf der Überzeugung, Bürger des besteingerichteten Staates der Welt zu sein und daher, eben als Engländer, immer zu wissen, was er zu tun habe, und desgleichen zu wissen, daß derjenige, was er, eben als Engländer, tut, ohne Zweifel gut und richtig ist. Das Selbstbewußtsein des Italieners gründet sich darauf, daß er von Haus aus aufgeregt ist und leicht sich selbst und andere vergißt. Das Selbstbewußtsein des Russen hat seine Wurzeln darin, daß er nichts weiß und nichts wissen will, weil er nicht glaubt, daß man überhaupt etwas wissen könne. Das Selbstbewußtsein des Deutschen aber ist schlimmer, hartnäckiger und unangenehmer als das aller anderen Völker, eben weil er sich einbildet, er kenne die Wahrheit, das heißt die Wissenschaft, die er sich selbst ausgedacht hat, aber für die absolute Wahrheit hält.“

* – Deutscher Militär, als Generalleutnant und Generalquartiermeister im Dienste des russischen Zaren gegen Napoleon
Aus: Leo Tolstoi: Krieg und Frieden, Endfassung 1868/69.

Aus anderen Quellen

„Heißt mehr (internationale – die Redaktion) Verantwortung“, fragt Herbert Wulf, „dass Deutschland in aktuellen Krisen aktiver werden soll, auch militärisch? Betrachtet man die Ergebnisse der militärischen Interventionen der letzten beiden Jahrzehnte, dann kann die Antwort nur ein klares Nein sein. Ob in Afghanistan, in Libyen, in Mali, im Irak, in Syrien, die Ergebnisse sind deprimierend, weil keines der vorgeblichen Ziele wirklich erreicht wurde.“ Vor diesem Hintergrund sowie im Kontext der von der GroKo beschlossenen weiteren Erhöhung der Militärausgaben verweist Wulf auf Folgendes: „Natürlich kann die Bundeswehr mehr finanzielle Mittel gebrauchen, um Panzer, Hubschrauber, Schiffe, Kampfflugzeuge oder Drohnen zu beschaffen. Aber für welchen Zweck? Um die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu erweitern oder effizienter zu gestalten? Um den baltischen Ländern bei einem befürchteten Übergriff Russlands beizustehen? Oder etwa zusammen mit den USA die chinesischen Marineaktivitäten im Südchinesischen Meer zu stoppen? Die Protagonisten dieser sogenannten Realpolitik lassen die Frage nach Sinn und Zweck, nach sicherheits- und friedenspolitischen Zielen der erhöhten Militärausgaben weitgehend unbeantwortet.“
Herbert Wulf: Das permanente Jein. Mehr deutsche Verantwortung in der Welt sollte eine konsequente Politik der militärischen Nichteinmischung bedeuten, IPG. Internationale Politik und Gesellschaft, 15.05.2018. Zum Volltext hier klicken.

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Die Grünen: „‚Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei‘ wollten sie sein“, rufen Antje Vollmer und Ludger Volmer, frühere führende Köpfe der Partei, in Erinnerung. Sie konstatieren: „Diese einstigen Grundwerte sind zerbröselt und abgeschliffen, einige sind ganz verschwunden.“ Der Befund kommt nicht überraschend, denn schon um „die Jahrtausendwende waren die Grünen in ihrem Funktionärskader so gentrifiziert wie die Stadtteile, in denen sie bevorzugt wohnten. Sie setzten sich lieber für Spitzenpositionen von Frauen in Dax-Konzernen ein als für die Lebensbedingungen alleinerziehender Mütter mit Hartz IV. Noch schlimmer erging es dem vierten Grundwert, der Gewaltfreiheit. […] Die heutigen Mandatsträger sind in der Mehrheit Anhänger der sogenannten menschenrechtsgestützten Außenpolitik der Ära Merkel, die in Wahrheit eine moralgestützte Sanktions- und Aggressionspolitik ist. […] Wenn es um den edlen Kampf um ‚unsere Werte‘, um das Glücksversprechen des Westens, die individuelle Freiheit, geht, gelten Menschenrechte mehr als Menschenleben.“
Antje Vollmer / Ludger Volmer: Die Grünen? Sie sind kraftlos und mutlos, Berliner Zeitung (online), 12.04.18. Zum Volltext hier klicken.

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Geoengineering „steht in einer Reihe mehr oder weniger surrealer Ideen, wie das Weltklima manipuliert werden könnte“, so Andreas Sieber. „Wissenschaftler der University of Edinburgh hatten die Idee, riesige Schiffe zu entwickeln, die Meerwasser in Tropfenform in die Luft schießen. Das sollte Wolken aufhellen und mehr Sonnenstrahlen ins All zurück reflektieren. Die Kosten liegen bei mehreren hundert Millionen Euro. Vor allem ist aber unklar, wie sich ein solches Projekt auf Wetter und Klima auswirken würde. Forscher aus Arizona wollten ebenfalls die Sonneneinstrahlung reflektieren: Ihre Idee war, 16 Billionen Silizium-Teilchen mit speziellen Kanonen ins All zu schießen. Die Auswirkungen auf Wetter und Klima sind bislang ebenso unklar wie die praktische Umsetzung. […] Alle existierenden Geoengineering-Technologien leisten entweder keinen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz, bergen katastrophale Risiken oder beides.“
Andreas Sieber: Wie wir die Welt doch noch retten können, IPG. Internationale Politik und Gesellschaft, 26.03.2018. Zum Volltext hier klicken.

Das ist umso bedenklicher, weil leider allenthalben zu beobachten ist, dass ein Phänomen, auf das im Hinblick auf die vorsätzlichen Tätigkeiten der Gattung Homo sapiens bereits Friedrich Engels gestoßen war, unverändert wirkt, dass nämlich „noch immer ein kolossales Missverhältnis besteht zwischen den vorgesteckten Zielen und den erreichten Resultaten, daß die unvorhergesehenen Wirkungen vorherrschen, daß die unkontrollierten Kräfte weit mächtiger sind als die planmäßig in Bewegung gesetzten. Und dies kann nicht anders sein, solange die wesentlichste geschichtliche Tätigkeit der Menschen, diejenige, die sie aus der Tierheit zur Menschheit emporgehoben hat, die die materielle Grundlage aller ihrer übrigen Tätigkeiten bildet, die Produktion ihrer Lebensbedürfnisse, d.h. heutzutage die gesellschaftliche Produktion, erst recht dem Wechselspiel unbeabsichtigter Einwirkungen von unkontrollierten Kräften unterworfen ist und den gewollten Zweck nur ausnahmsweise, weithäufiger aber sein grades Gegenteil realisiert.“
Friedrich Engels: Dialektik der Natur, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Band 20. – Berlin: Dietz Verlag, 1975, S. 311-327, hier S. 323. Zur Quelle hier klicken.