19. Jahrgang | Nummer 3 | 1. Februar 2016

Bemerkungen

Probleme mit Bowie

David Bowie, eine der schillerndsten Erscheinungen der Pop-Kultur, wurde nicht sehr alt. Er starb zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag am 10. Januar 2016. Das ist schlimm. Er starb an Leberkrebs, das ist furchtbar. Jetzt ruiniert seine Fangemeinde auch noch seinen Ruf. Dieser Tage verpasste ihm der belgische Radiosender „Studio Brussel“ ein siebensterniges Sternbild, das irgendwie an den Blitz erinnern soll, den sich Bowie seinerzeit für das Cover-Foto des Albums „Aladdin Sane“ (1973) auf das Gesicht malen ließ.
Nun kann sich Berlin aber mitnichten von so einem wallonischen Nest in den Sternenschatten schieben lassen. Immerhin hatte Bowie in den Hansa-Studios in der Köthener Straße zwischen 1976 und 1978 zwei seiner Alben produziert: „Low“ und „Heroes“. Das dritte der als „Berliner Alben“ in die Musik-Geschichte eingegangenen Kollektion, „Lodger“, entstand 1979 allerdings in Montreux. Von Berlin selbst kann Bowie damals nicht allzu viel mitbekommen haben, er nannte es „die damalige Hauptstadt des Heroin“. Konsequenterweise taucht er in einer Deutschlandhallen-Konzertszene im Sozialkundelehrer-Kult-Film „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1981) auf.
Was tun? Wenn Berlin jemanden ehren will, kommt die „Hauptstadt der Kreativen“ (Selbstbeschreibung der hiesigen Schickeria) immer nur auf zwei Ideen: eine Gedenktafel (möglichst KPM-Porzellan mit blauer Inschrift) oder ein Straßenschild. Wenn es sein muss auch ein Ehrengrab, aber das ist teuer und Ehrenbürgern vorbehalten. David Bowie war kein Ehrenbürger. Und das mit den Tafeln und den Straßen ist auch irgendwie blöde: Man muss fünf Jahre tot sein, sonst kriegt man sowas nicht. Die Erfinder dieser Würden meinten, man brauche doch eine gewisse Zeit zum Nachdenken nach dem Abgang einer Kultfigur, um inflationäre Trauerrauschideen ein wenig abzubremsen … So viel Straßen hätte selbst Berlin nicht. Wäre es damals nach der Mehrheitsmeinung gegangen, so wäre eine Umbenennung der Budapester Straße in „Knut-Allee“ 2011 glatt durchgegangen. Sie wissen nicht mehr, wer Knut war? Sie haben den Berliner Kult-Eisbären vergessen? Eben darum gibt es die Fünfjahressperre.
Am 18. Januar nun hatte der Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) im Berliner Landesparlament aufgrund der Frage eines Piraten-Politikers hinreichend Gelegenheit, sich darüber auszulassen, dass man denn in diesem Falle „kreativ“ das Gesetz umgehen müsse. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Regierungsmitglied fordert das Parlament auf, von diesem erlassene Gesetze „kreativ zu umgehen“. Leuten wie dem Herrn Renner wird unter Garantie etwas einfallen. Schließlich geht es um eine Straße in Tempelhof-Schöneberg. In der dortigen Hauptstraße 155 hatte Bowie einst gewohnt. Der Bezirk braucht endlich wieder Positiv-Presse, nicht nur Berichte über Flughafen-Hangars, Flüchtlinge, Tempelhofer Feld, Wasserrohrbrüche und solche Dinge. Außerdem ist Wahlkampf und die Bezirksbürgermeisterin Parteifreundin des Staatssekretärs. Was scheren einen da die Gesetze …
Aber in Sachen Bowie braucht man Mut zum Risiko: Im vergangenen Jahr wurde ein Zwergplanet in 342843 Davidbowie umbenannt. Diese Dinger nähern sich manchmal auf beunruhigende Weise der Erde. Die NASA will diese Streuner künftig beschießen. Nicht auszudenken, die treffen 342843 wirklich. Tim Renner kommt aus dem Heulen nicht mehr raus.

Günter Hayn

Drei vor zwölf

„Wir haben zu Beginn des Jahres 2016 die gefährlichste Weltlage seit dem Ende des Kalten Krieges.“ Diese Einschätzung äußerte vor wenigen Tagen der ehemalige Spitzendiplomat und Staatsminister im Auswärtigen Amt, Wolfgang Ischinger. Er leitet seit einigen Jahren die Münchner Sicherheitskonferenz.
Dazu passt, dass die berühmte Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) im Bulletin of the Atomic Scientists auf drei Minuten vor zwölf steht, wie am 26. Januar verkündet wurde.
Diese Uhr war 1947 von dem Künstler Martyl Langsdorf geschaffen worden, um zu zeigen, was die Glocke im Hinblick auf eine mögliche, vom Menschen verursachte nukleare Vernichtung unserer Zivilisation geschlagen hat. Gestellt wurde die Uhr anfangs auf sieben vor zwölf. Seither ist diese Einstellung 21 Mal geändert worden, wobei in die Entscheidungen seit 2007 neben der nuklearen Kriegsgefahr auch die Einschätzung der Risiken des Klimawandels einfließt. Getroffen werden die Entscheidungen vom Science and Security Board des Bulletins in Verbindung mit dessen Board of Sponsors, dem unter anderem 16 Nobelpreisträger angehören.
Noch 2012, also vor dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts, stand die Uhr auf fünf vor zwölf. Ihre beste Zeit zwischen 1947 und heute hatte die Menschheit 1991: siebzehn vor zwölf. Noch dichter vorm Abgrund als derzeit stand sie 1953: zwei vor zwölf. Und auf drei vor zwölf stand die Doomsday Clock auch 1949 und 1984. Es ändert sich halt alles, wie es war …

hh

Eisiges

Kinder lieben Herbstlaub. Sie laufen gerne durch die bunten Blätterhaufen, wirbeln die auf und finden das ungeheuer aufregend. Kinder lieben Schnee. Sie laufen gerne durch den frischen Pulverschnee, wirbeln ihn auf und finden das ungeheuer aufregend.
Erwachsene finden das eher weniger aufregend als mehr zum Aufregen.
Unsere Straße beispielsweise interessiert die Berliner Stadtreinigung überhaupt nicht. Also halten wir die weitestgehend selbst von Schnee und Eis frei. Seit einigen Jahren wird auch ein breiter Streifen für die Fußgänger – soweit das dauerparkende Autos zulassen – sehr gründlich frei gefegt. Es gibt nämlich auch keinen Bürgersteig.
Kürzlich begegneten sich auf diesem schneefreien Pfad in der Nähe unseres Hauses zwei ältere Frauen. Die eine in Begleitung des Enkelkindes. Der Knabe spurte fröhlich durch den frischen Schnee, wirbelte ihn auf und schob alle paar Schritte jauchzend einen kleineren Haufen des weißen Zeugs auf den gefegten Fußweg. Großmutter ignorierte das, der Junge war schließlich beschäftigt.
Die Frau, die ihr entgegen kam, knurrte das Kind an: „Das ist aber blöde, was du da machst!“ Kein Wort mehr.
Die Großmutter griff die Hand des verdutzten Knaben, zerrte ihn weiter und giftete zurück: „Was is’n da blöde!“ Kein Wort mehr.
Auch so funktioniert Erziehung.

Wolfgang Brauer

Beobachtungsflüge zur Vertrauensbildung

Das Blättchen zählt üblicherweise nicht zu dem Medien, die bei Großgerätebeschaffungen für die Bundeswehr lobende Kommentare abgeben. Doch auch hier gilt: Keine Regel ohne …
Als Rudiment aus entspannteren Zeiten im Verhältnis zwischen den NATO- und den damaligen Warschauer Pakt-Staaten hat der Vertrag über den Offenen Himmel (Open Skies) von 1992 – Teilnehmer sind heute auch neutrale Länder wie Schweden und Finnland – die Zeitläufte und jüngsten Zuspitzungen überdauert; er kommt in Gestalt gemeinsam durchgeführter, gegenseitiger Kontrollflüge über die Territorien anderer Mitgliedstaaten (einschließlich Russland) bis heute zur Anwendung. Die Flüge erfolgen auf festgelegten Routen und mit dem ausdrücklichen Recht, Aufnahmen (Foto, Radar und seit 2006 auch Infrarot) zu machen. Gerade in der aktuellen Beziehungskrise zu Russland stellt der Vertrag ein nicht zu unterschätzendes Element der Vertrauensbildung und Prävention gegen ungewollte militärische Zuspitzungen dar.
Vor diesem Hintergrund ist die im vergangenen Jahr erfolgte Bewilligung von 60 Millionen Euro durch den Bundestag für die Beschaffung eines deutschen Open Skies-Flugzeuges (Träger der entsprechenden Aufklärungstechnik soll eine gebrauchter Airbus A319 sein) ein sinnvoller Akt – zumal, wenn damit Überlegungen verbunden sind, wie sie Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Außenpolitik und in seiner Fraktion zuständig für das Thema Abrüstung, erläutert hat: „Ausschlaggebend war, dass die Bundesrepublik Deutschland (2016 – gm) den OSZE Vorsitz führt […] und das Thema ‚konventionelle Rüstungskontrolle‘ wieder auf die […] Tagesordnung geschrieben hat. […].“ Der Vertrag über den Offenen Himmel wird über die OSZE betreut. Und Kiesewetter weiter: „Gerade in dem sehr sensiblen militärischen Umfeld ist ein Austausch äußerst selten; weil der NATO-Russland-Rat nicht aktiv ist, weil die Delegationen der Russischen Föderation bei der NATO sich sehr zurückhalten und wir natürlich auch. Aber gerade im Bereich der Rüstungskontrolle, der Verifikation sind die persönlichen Kontakte nicht zu unterschätzen. Und gerade Militär-Diplomatie ist ein guter Anfang, von dort aus auch die Hand zu reichen, für andere Bereiche.“
Zur Vorgeschichte: Ab 1995 hatte die Bundesrepublik zwei aus der Erbmasse der DDR übernommene Passagiermaschinen vom Typ TU-154M für entsprechende Flüge vorbereitet. Bis 1997 waren erste Umrüstungsmaßnahmen und Testflüge realisiert, als eine Maschine über dem Südatlantik, unweit der Küste von Namibia, mit einer Lockheed C-141 Starlifter der US-Luftwaffe zusammenstieß und abstürzte. Danach hatte die Bundesregierung Abstand von einem eigenen Open Skies-Flugzeug genommen, derartige Flüge aber gleichwohl an Bord einer schwedischen Maschine realisiert.

gm


Medien-Mosaik

„Vielleicht lebst du anders, wenn du weißt, du hast nicht alle Zeit der Welt. Chopin starb mit 39 Jahren. Ein Leben, das sich gelohnt hat.“ Das sagt Franziska Linkerhand, die Heldin des gleichnamigen Hauptwerks der DDR-Autorin Brigitte Reimann. Szenaristin Regine Kühn und Regisseur Lothar Warneke ließen die Worte Simone Frost sagen, die die Franziska in dem DEFA-Film „Unser kurzes Leben“ 1980 verkörperte. Tatsächlich musste die Schriftstellerin 1973 mit 39 sterben, und die Schauspielerin starb 2009 mit nur 51 Jahren den Krebstod.
Als sie ihre erste große Filmrolle spielte, war die zierliche Simone Frost erst 22, spielte die Linkerhand als geschiedene 26-Jährige, und es gab unterschiedliche Auffassungen, ob sie wirklich die nötige Reife der jungen Architektin ausstrahlen könne. Warneke, der lange mit Brigitte Reimann an gemeinsamen Projekten zusammengearbeitet hatte, wollte aber erzählen, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankommt, wenn jemand innerlich stark ist. Tatsächlich setzt sich die kleine Person mit Energie und Phantasie für eine bessere Architektur in Neubaugebieten ein (hier am Beispiel des nicht ausdrücklich benannten Hoyerswerda). Die Handlung des Romans ist 1964 angesiedelt, aber die Übertragung in die Gegenwart von 1980 ist glaubhaft, weil sich an der Situation (aus ökonomischen Gründen) nicht viel geändert hatte. Franziska hat viele Beziehungen auf menschlich-kollegialer Ebene, aber zu einer erfüllenden Liebe ist es ein weiter Weg.
Mit Hermann Beyer, Christian Steyer, Gottfried Richter, Barbara Dittus und Helmut Straßburger hatte Simone Frost gestandene Partner, die sie in ihrem mitreißenden Spiel vehement unterstützten. Gut, dass es diesen Film voller skeptischer Fragen und hoffnungsvollem Optimismus jetzt auf DVD gibt!
Unser kurzes Leben, Regie Lothar Warneke, DEFA 1980/81, absolut MEDIEN, 14,95 Euro.

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Mit mehr oder weniger Phantasie erzählen sich Autoren aus Ost und West in den letzten Jahren verstärkt gegenseitig ihre Jugend. Da macht der Comic keine Ausnahme. „Kinderland“ von dem Ostberliner Mawil (geboren 1976) war 2014 ein vielbeachteter Erfolg. Auch Tomas Bunk, der drei Jahrzehnte älter ist, in Dalmatien geboren wurde und seit 1955 in Hamburg sowie in Westberlin lebte, hat seine Laufbahn in zwei Serien für die FAZ verewigt. Die sind nun in Buchform erschienen und geben einen Einblick in ein Künstlerleben, das offenbar nur nebenbei von politischen Ereignissen tangiert wurde. Der Häuserkampf in Kreuzberg spielt mit hinein, Hausbesetzungen in Schöneberg, kiffen mit Wolfgang Neuss. Bunks Berliner Phase endet 1983, als sich sein Leben wendet. Und hier muss man das Buch umwenden, denn Bunk als Berliner in New York liest man dann von der anderen Seite her. Er schildert seine Zusammenarbeit mit Art Spiegelman und Harvey Kurtzman, seine Arbeit für das MAD-Magazin und nicht zuletzt seinen Übertritt ins Judentum, der nicht allein familiäre Gründe hatte. Tatsächlich spielt Bunks Sozialisation durch Maler und Zeichner in seinen gezeichneten Erinnerungen eine größere Rolle als Zeitereignisse. Grafisch sind die Geschichten allzu eng an den Comicstrip-Stil geknüpft. Man hätte sich gewünscht, er wäre da gelegentlich ausgebrochen. Denn wie phantasievoll Bunk auch sein kann, zeigt das Vorsatzpapier mit herrlich bunten Wimmelbildern!
Tomas Bunk: Comixzeichner in Berlin / Ein Berliner in New York, Verlag comicplus+, Leipzig 2015, 64 Seiten, 15,00 Euro.

Bebe

WeltTrends aktuell

Meldungen über Australien oder Neuseeland schaffen es öfters bis in die hiesigen Medien, solche über die kleinen pazifischen Inselstaaten eher selten. Dort hat sich aber eine ganz eigene Staatenwelt herausgebildet. Wer kennt schon das Pazifische Inselforum oder hat etwas von außenpolitischen Aktivitäten kleiner Inselstaaten wie Kiribati gehört? Doch gerade ihnen steht das Wasser buchstäblich bis zum Halse, daher auch ihr aktives Auftreten auf der kürzlichen Pariser UN-Klimakonferenz. Im Thema untersuchen Autoren aus Deutschland und der Region die Rolle der kleinen pazifischen Inselstaaten in der Weltpolitik, aber auch die Politik Australiens und Fidschis sowie die Bedeutung des Seevölkerrechts und der Klimaanpassung für die Staaten des Südpazifik.
Eine erste Bewertung der Pariser Klimakonferenz gibt Jürgen Scheffran im WeltBlick. Mit den deutsch-polnischen Beziehungen steht es derzeit nicht zum Besten, umso nötiger erscheint es, einen Blick auf den Nachbarn zu werfen. Polnische Autoren beleuchten die Behandlung des Flüchtlingsthemas und erinnern an frühere Initiativen zur nuklearen Abrüstung.
Um Osteuropa geht es auch im Forum: Wolfram Wallraf und Vladimir Handl (Tschechien) diskutieren, ob die aktuelle Ukrainekrise mit den Zerfallsprozessen der Sowjetunion und Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre vergleichbar ist.
Trotz allen politischen Streits um die „Beutekunst“ habe sich im Rahmen des Deutsch-Russischen Museumsdialogs eine fruchtbare Kooperation zwischen deutschen und russischen Wissenschaftlern entwickelt, konstatiert Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, im Kommentar.

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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 112 (Februar) 2016 (Schwerpunktthema: „Südsee real“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Diesseits und jenseits des Rheins

von Heinrich Heine

Sanftes Rasen, wildes Kosen,
Tändeln mit den glühnden Rosen,
Holde Lüge, süßer Dunst,
Die Veredlung roher Brunst,
Kurz, der Liebe heitre Kunst –
Da seid Meister ihr, Franzosen!

Aber wir verstehn uns baß,
Wir Germanen, auf den Haß.
Aus Gemütes Tiefen quillt er,
Deutscher Haß! Doch riesig schwillt er,
Und mit seinem Gifte füllt er
Schier das Heidelberger Faß.

Aus einem Brief vom am 27. Januar 1841 an Gustav Kolb, Redakteur der Allgemeinen Zeitung, für die Heine Korrespondent in Paris war.

Isländische Zerbrechlichkeiten

Island?
Eine Insel im hohen Norden mit weniger Einwohnern als beispielsweise Leipzig.
Island?
Für Fußballanhänger ein Land, das im vergangenen Herbst die durchaus sporthistorische Qualifizierung für die kommende Europameisterschaft erreicht hat.
Und das musikalische Potential Islands?
Der Sänger und Liedermacher Svavar Knútur gilt zwar als ein großer Fan der deutschen Sprache, aber sein jüngst erschienenes Album hat er trotzdem nicht nach einem Grundnahrungsmittel benannt. „Brot“ heißt auf Isländisch „das Zerbrechen“.
Im Titelsong der CD geht es darum, dass der Barde und sein kleines Boot es trotz widriger Winde und wuchtiger Wellen heil zurück an das Ufer geschafft haben. Um einen kurzen Moment des Atemholens zu genießen, bevor wieder die Segel zu neuen Abenteuern gesetzt werden.
Svavar Knútur zeigt sich durchaus bewandert in unterschiedlichen Musikstilen – von langsamen, getragenen bis zu rockigen Nummern. Sozusagen stilsicher zwischen den Stilen: mal ein sanfter Barde, mal ein unberechenbares Springteufelchen.
Sprachlich wechselt er zwischen Isländisch und Englisch. In „Girl from Vancouver“ gibt er sich, um des Reimes willen, eher albern, während er in „Little Things“ ein lyrisches Liebesbekenntnis abliefert, das die kleinen Besonderheiten der Liebsten in Augenschein nimmt.
Die musikalischen Variationen der zehn Lieder sind nicht nur in den wechselnden Tempi begründet. Sparsam dosierte Begleitung reiht sich an eine orchestrale Instrumentierung.
Der finale Song „Slow Dance“ hat durchaus Anklänge an bekannte Stadionrockhymnen. Wie er dies im Livekonzert dann umsetzt, kann zum Beispiel am 12.02. in Berlin, am 13.02. in Leipzig und am 18./19.02. in Dresden verfolgt werden.
Svavar Knútur hat jedenfalls ein unüberhörbares Talent fürs Songschreiben.

Thomas Rüger

Svavar Knútur: Brot, CD 2015, Label: Nordic Notes, 16,00 Euro.

Blätter aktuell

Kaum zwei Jahre nachdem die CSU rumänischen und bulgarischen Arbeitsmigranten mit einer Hetzkampagne unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt!“ begegnet ist, sind nun die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Irak in den Fokus der deutschen Armutsdiskussion gerückt. Wenngleich die genauen Flüchtlingszahlen des vergangenen Jahres und kommender Jahre noch nicht bekannt sind, ist bereits heute absehbar, dass die neuen Wanderungsbewegungen erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis von Reichtum und Armut im Lande haben werden. Christoph Butterwegge, auch Blättchen-Autor, analysiert vier besonders markante Entwicklungen.
Nach Griechenland erleben derzeit zwei weitere südeuropäische Krisenländer einschneidende politische Veränderungen. In Spanien hat der Wunsch nach Wandel das etablierte Zweiparteiensystem hinweggefegt, mit starken Ergebnissen sind zwei Newcomer ins Parlament eingezogen: die linke Podemos und die liberalen Ciudadanos. In Portugal wiederum scheint ein fast 40 Jahre altes Schisma vorerst überwunden zu sein: Erstmals seit den Jahren der Nelkenrevolution von 1974 kooperieren der sozialistische PS und der kommunistische PCP auf Regierungsebene. In beiden Ländern, so das Fazit von Steffen Vogel ist damit die Linke massiv erstarkt.
Mit dem Caucus im Bundesstaat Iowa am 1. Februar und der ersten Primary am 9. Februar in New Hampshire ist das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur von Demokraten und Republikanern in den USA offiziell eröffnet. Doch unabhängig von dessen Ausgang steht schon heute fest, dass der Vorwahlkampf die herrschende US-Politik in ihren Grundfesten erschüttert hat. Bei den Demokraten geschieht Ungeheuerliches: Ausgerechnet ein selbst erklärter demokratischer Sozialist, der Senator aus Vermont, Bernie Sanders, hat gute Aussichten, die Favoritin des Establishments, Hillary Clinton, in Iowa und New Hampshire hinter sich zu lassen und zu einer ernsten Bedrohung für die ehemalige First Lady zu werden. Albert Scharenberg beleuchtet die Entwicklung.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Das chinesische Menetekel“, „Al Qaida als Partner: Die fatale Taktik“ und „Zeitenwende in Venezuela“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Februar 2016, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

„Was ist so fürchterlich schiefgelaufen im Verhältnis zwischen Russland und dem Westen?“, wurde Wladimir Putin unlängst in einem sehr ausführlichen Interview gefragt. Seine Antwort: „Wir haben es von Anfang an nicht geschafft, die Spaltung Europas zu überwinden. Vor 25 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen, aber es sind unsichtbare Mauern in den Osten Europas verschoben worden. Das hat zu gegenseitigen Missverständnissen und Schuldzuweisungen geführt, aus denen all die Krisen seitdem erwachsen sind.“ Ob Russland selbst seit Ende des Kalten Krieges keine Fehler gemacht habe? „Doch, wir haben Fehler gemacht: Wir waren zu spät. Hätten wir von Anfang an unsere nationalen Interessen viel deutlicher gemacht, wäre die Welt heute noch im Gleichgewicht. Nach dem Untergang der Sowjetunion hatten wir damals sehr viele eigene Probleme, für die niemand außer wir selbst verantwortlich waren: für den Niedergang der Wirtschaft, den Zerfall des Sozialsystems, den Separatismus und natürlich die Terror-Anschläge, die unser Land erschütterten. Da müssen wir nicht nach Schuldigen im Ausland suchen.“
Interview mit dem russischen Präsidenten. BILD (online), 21.01.2016. Zum Volltext jeweils hier – Teil I und Teil II – klicken.

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1972 erfolgte erstmals eine „Gemeinsame Erklärung“ beider Koreas, die eine mögliche „Wiedervereinigung“ erwähnte, schreibt Martine Bulard. „Doch erst nach dem Ende der Diktatur im Süden und vor allem nach dem Fall der Berliner Mauer zeigte Seoul, dass man es ernst meinte.“ Präsident Roh Tae Woo (1988 bis 1993), der trotz seiner militärischen Vergangenheit kein fanatischer Antikommunist war, habe auf Wandel gesetzt. Am 21. September 1991 traten beide Staaten der UNO bei und unterzeichneten kurz darauf ein „Abkommen über Versöhnung, Nichtaggression, Austausch und Zusammenarbeit“. Das war kein Friedensvertrag, beendete aber den Kriegszustand. Im Januar 1992 entsandte Kim Il Sung einen Emissär zur UNO nach New York, der einem US-Sonderbeauftragen ein geheimes Angebot unterbreitete: „Wir bestehen nicht länger auf dem Abzug der US-Truppen aus dem Süden, wenn ihr im Gegenzug versprecht, die Existenz unseres Landes nicht mehr infrage zu stellen.“ Als George Bush senior eine Antwort schuldig blieb, startete Nordkorea seine Atompolitik.
Martine Bulard: Koreanische Wiedervereinigung – Prinzip und Praxis, Le Monde diplomatique, 07.01.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Der Umgang mit Muslimen war bisher eher neurotisch denn normal“, konstatiert Samuel Schirmbeck und plädiert alternativ dafür, man solle sich bei einer „Neuorientierung ein Beispiel an jenen muslimischen Intellektuellen in der arabischen Welt nehmen, die längst begriffen haben, dass Islamkritik nicht Angriff auf Muslime bedeutet, sondern Schutz vor seinen menschenverachtenden Auswüchsen, die sich gegen Frauen, Homosexuelle, eigenständig Denkende und sogenannte ‚Ungläubige‘ richten, also auch gegen Millionen von Musliminnen und Muslimen“.
Samuel Schirmbeck: Sie hassen uns, FAZ.net, 11.01.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Trotz zahlreicher Belege für das böse Ende der jüngsten US-Interventionen – siehe Afghanistan, Irak, Libyen – wird derzeit in Washington über weitere Militäraktionen nachgedacht“, vermerkt John Feffer und fährt fort: „Diese militärischen Aktivitäten verändern die strategische Weltkarte. Seit dem 11. September 2001 haben die USA mit ihren Invasionen, Angriffen und Besatzungsarmeen einen Krisenbogen geschaffen, der sich von Afghanistan über den Mittleren und Nahen Osten bis nach Afrika erstreckt. Zerbrechliche Staatsgebilde wie Somalia und der Jemen sind im Chaos versunken. Syrien und der Irak wurden zu Brutstätten für die gefährlichsten Formen des Extremismus. In Ägypten und den Golfstaaten machen sich autoritäre Führer das Chaos zunutze, um ihre Politik der eisernen Faust zu rechtfertigen.“
John Feffer: Captain Kirk, der chinesische Admiral und SpaceX. Statt den Mars zu kolonisieren, sollten wir die Suche nach innerterrestrischer Intelligenz verstärken, Le Monde diplomatique, 07.01.2016. Zum Volltext hier klicken.