26. Jahrgang | Nummer 9 | 24. April 2023

Antworten

Christoph Hein, Beobachter der Zeitläufte und bedachtsamer Warner – Am 3. April 2023 hielten Sie in der Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt eine Rede zum Thema: „Was steht Deutschland und der Welt in den nächsten Jahrzehnten bevor?“ Darin äußerten Sie mit Blick auf die Ukraine Ihre „Sorge ist, dass dieser von der NATO unterstützte Verteidigungskrieg den Dritten Weltkrieg“ auslösen könnte und des Weiteren: „Ein deutscher Professor eines Bundeswehrinstituts teilte uns vor einigen Tagen mit, dass die gesamte bisherige Unterstützung der NATO für die Ukraine kein Eintritt dieses Bündnisse in den Krieg sei. Ein solcher Satz ist allerdings nur wahr und gültig, wenn auch die andere Seite diese Ansicht teilt; anderenfalls ist das eine hohle Phrase, eine friedensgefährdende Plattheit.“ Und Sie unterstrichen: „Ja, die Ukraine führt einen gerechten Verteidigungskrieg, aber ich stimme Marcus Tullius Cicero zu, der hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung schrieb: ‚Der ungerechteste Friede ist immer noch besser als der gerechteste Krieg.‘“

Es lohnt einmal mehr, Ihren Text in Gänze zur Kenntnis zu nehmen; dazu hier klicken.

 

Annalena Baerbock, Außenministerin – Sie waren gerade in China und bezeichneten im Bundestag als das Zentrum Ihrer Chinastrategie, „dass wir auf Dauer Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sichern“ und „mit klarer Haltung für die internationale Ordnung eintreten“.

Wohl gesprochen, aber, wie Ihnen in Beijing schon erklärt wurde, wartet man dort nicht auf Belehrungen, und, ferner, was ist denn angesichts des Zustandes dieser Welt deren „Ordnung“? Meinen Sie das von Präsident Macron thematisierte Abhängigkeitsverhältnis Europas von den USA? Die Idee, die aufstrebende Weltmacht China als „systemischen Rivalen“ Deutschlands oder auch Europas darzustellen, ist nicht nur eine anmaßende Fehleinschätzung, sondern auch ein Schritt hin zur Auflösung der Partnerschaft mit China, was Sie unter Verweis auf Russland offenbar für wünschenswert erachten. Im Jahre 2022 führte China mit knapp 300 Milliarden Euro die Rangfolge der deutschen Ex- und Importe an.

Die Beendigung großer Partnerschaften führt das eigene Land in große Krisen und neue Abhängigkeiten, vielleicht ist das eine Lehre aus den kaum wirksamen Sanktionen gegen Russland.

Wir ermutigen Sie, sich zu bewegen – hin zu weniger Selbstgewissheit, zu verlässlicher, dauerhafter Kooperation auch mit China und stillerer Diplomatie, ohne die Sie der Komplexität unserer „Ordnung“ nicht gerecht, geschweige denn Änderungen im Reich der Mitte werden erreichen können.

 

Alexander Dubowy, Berliner Zeitung – In Ihrem Beitrag vom 21. April 2023 haben Sie wieder einmal Ihr bekanntes Mantra im Kontext des Ukraine-Krieges (siehe Das Blättchen 6/2023) ausgebreitet: „Die einzige realistische Chance auf einen nachhaltigen […] Waffenstillstand und Friedensverhandlungen würde sich nur im Falle eines klaren militärischen Erfolges der Ukraine, der Befreiung wesentlicher Teile der besetzten Gebiete und eines drohenden Zusammenbruchs der russischen Verteidigungslinien eröffnen.“ Und für die besonders Begriffsstutzigen im selben Beitrag dann gleich nochmal: „Ohne eindeutige militärische Erfolge der Ukraine wird Russland nicht verhandlungsbereit sein […].“

Diese Betrachtungsweise stützt zweifelsohne all diejenigen, die für eine weitere Verstärkung westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine und für einen Sieg Kiews im Krieg plädieren. Letzteres ist eine gegenüber einem Aggressor wie Russland durchaus angemessene Sicht- und Vorgehensweise.

Ihre Kompetenz, werter Kollege, wollen wir im Übrigen gar nicht in Zweifel ziehen. Ihre Expertise hingegen krankt gleichwohl trotzdem an einer potenziell suizidalen Sichtverkürzung: Eine Atommacht – zumal mit einem nuklearen Arsenal wie dem russischen –, deren Führung entschlossen ist, sich keine Niederlage beibringen zu lassen, kann auf dem Schlachtfeld nicht besiegt werden, weil …? Richtig – weil deren Atomwaffen allemal dafür sorgen könnten, dass es zumindest keinen Sieger gibt.

Also vor dem nächsten Beitrag vielleicht doch noch eine Drehung weiter denken und auch mal nach anderen Ansätzen Ausschau halten?!

 

Clemens Wergin, WELT-Erklärer – Als Chefkorrespondent Außenpolitik des Blattes DIE WELT haben Sie den Überblick und also erkannt: „Der Ukraine-Krieg hat […] gezeigt, dass Moskau nicht gereizt werden muss, um einen unprovozierten Angriffskrieg gegen eines der größten europäischen Länder zu führen. Es reicht, dass der Anführer im Kreml glaubt, sein Land sei stark genug, um wieder auf koloniale Erweiterung umzuschalten und seinen Expansionsdrang wieder auszuleben, der Russlands Politik seit dem Ende des Mongolensturms bestimmte.“ Und folglich: „Eine neue Friedensordnung in Europa, die sich mit den neuen Nato-Mitgliedern [Finnland und Schweden – die Redaktion] herausbildet, muss deshalb auch die ‚Finnlandisierung‘ der Ukraine anstreben. Und zwar nach dem Vorbild des neuen Finnlands, das seine 1340 Kilometer lange Landgrenze zu Russland nun auch mithilfe der Nato verteidigen kann.“

Doch genügt das wirklich?

Wir finden, man sollte noch einen Schritt weitergehen und direkt an den erfolgreichen Mongolensturm anknüpfen. Zwar war im sogenannten Interventionskrieg (1918 bis 1922), als Großbritannien, Frankreich, die USA, Japan, Italien und fünf weitere Staaten militärisch in Sowjetrussland einfielen – britische Verbände etwa besetzten die Erdölfelder um Baku –, der Versuch, das neue Regime „bei der Geburt zu erdrosseln“ (Churchill), noch gescheitert, doch mit etwas mehr Nachdruck sollte das heute doch zu schaffen sein!

 

Thomas de Maizière, Bundesminister diverser Ressorts a. D. und Präsident des nächsten evangelischen Kirchentages – Kürzlich fragten und antworteten Sie: „Ist Frieden oder Freiheit wichtiger? Für mich ist Freiheit wichtiger als Frieden. Das ist mein Vorwurf an den Pazifismus.“
Als persönliches Statement sei Ihnen diese Attitüde selbst mit Blick auf den Ukraine-Krieg und einen möglichen direkten militärischen Konflikt mit Russland völlig unbenommen. Obwohl – wir fragen uns schon: Welche Form von Freiheit könnte nach einem nuklearen Inferno eigentlich noch wichtiger sein als Frieden?

Wir halten es daher wohl doch besser weiter mit einem etwas durchdachteren Motto: „Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ (Willy Brandt)

 

Friedrich Küppersbusch, Dauernörgler – Die Deutsche Bahn siecht sich seit Jahren einem Zustand entgegen, für den bei Lebewesen der Begriff moribund nicht ungebräuchlich ist. Nur noch um die 60 Prozent der Züge, so sie denn überhaupt fahren, sind pünktlich, und laut SPIEGEL rechnet das Unternehmen in diesem Jahr wieder mit einem Milliardenverlust. Doch nun hat sich die Union beherzt zu Wort gemeldet – mit dem Vorschlag einer Heilung per Rosskur: Der Konzern soll zerschlagen, Schienennetz, Bahnhöfe und Energiesparte sollen in einer Infrastruktur GmbH gebündelt und vom Transportbereich getrennt werden. Sie allerdings finden wieder bloß das Haar – oder in diesem Fall vielleicht besser das Haarteil – in der Suppe: „Worauf der Vorschlag der Union leider hinausläuft ist, dass das Lukrative an dem Geschäft, die Strecken, die viel befahren sind, wo viele Passagiere sich bewegen wollen, da können private Anbieter dann sagen, Mensch, super, liegt ja alles schon hier rum, fahr’n wir drüber und kassieren. Der Bund wird diese Strecken dann bauen, er wird sie sanieren und instand halten, und dann werden wir jede Bahnfahrt dreimal bezahlen: Einmal haben wir dieses komplette Unternehmen dahin gestellt – als Steuerzahler […]. Ein zweites Mal bezahlen wir als Passagiere, und ein drittes Mal werden wir bezahlen, weil beim Bund […] die nichtattraktiven Strecken [hängenbleiben], da wo kein privater Wettbewerber fahren will. […] Die Idee, den Konzern immer weiter zu zerschlagen und aufzusplittern in profitable und nichtprofitable Bereiche ist keine Wende, sondern das ist die Medizin, die die Bahn seit 25 Jahren bekommt. Und wenn sie denn nun sehr krank ist, und das ist sie, zu sagen, gleiche Medizin, Dosis erhöhen – so kriegt man sie ganz kaputt.“

Etwas mehr Optimismus, und sei er auch völlig unbegründet, scheint Ihr Ding nicht zu sein. Aber man weiß ja: Allen Menschen recht getan …

 

Cem Özdemir (Die Grünen), Herr über Ställe, Äcker und Scheuern – Sie haben (und nicht zum ersten Male) an einer viertägigen „Dienstlichen Veranstaltung zur Information in der Streitkräftebasis“ (hieß früher einfach Wehrübung) teilgenommen und lernten unter anderem die Feldjägertruppe kennen, halfen beim Verladen von Fahrzeugen, absolvierten Schieß- und Fahrtrainings und erlebten, wie die ABC-Abwehr arbeitet, denn Sie wollten „einfach wissen, worüber ich abstimme, wenn ich als Abgeordneter junge Menschen in Einsätze schicke“. Presseberichten zufolge wurden Sie dafür mit dem Rang eines Oberleutnants der Reserve dekoriert.

Das war höchst löblich.

Also Ihre Teilnahme.
Leider aber die absolute Ausnahme unter den höheren Funktionsträgern Ihrer Partei. Eigentlich schade, denn wäre das anders, könnte man sich – in Adaption des zu DDR-Zeiten gern erzählten politischen Witzes mit den Chinesen auf dem Mond – folgenden Dialog bei der Morgenlage im Kreml vorstellen:
Peskow (Pressesprecher): „Gospodin Präsident, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“

Putin: „Zuerst die schlechte.“

Peskow: „Die deutschen Grünen mischen jetzt auch bei der Bundeswehr mit!“

Putin: „Ach du grüne Neune. Und die gute?“

Peskow: „Alle.“

 

Tobias Haberl, tolldreister Redakteur der Süddeutschen – Ihnen ist, wie wir jüngst einem „Der Mythos vom besseren Geschlecht“ betitelten Beitrag aus Ihrer Feder entnahmen, aufgefallen, dass folgendes Narrativ „seit Jahren mit Elan befeuert [wird]: Männer haben die Welt an den Rand des Abgrunds geführt, Frauen werden sie retten, vorausgesetzt, sie gelangen schnellstmöglich an die Spitze von Staaten, Unternehmen und internationalen Institutionen. Nur Frauen könnten den Weltuntergang noch verhindern, ja wenn erst genug Frauen die Geschicke der Menschheit in ihre Hände nähmen, sei eine Welt ohne Krieg, Klimakatastrophe und Ungleichheit möglich.“

Leider lässt jedoch bereits Ihr Duktus befürchten, dass Sie Unernstes im Sinn haben. Was sich umgehend bestätigt. Denn Sie erfrechen sich doch tatsächlich, in diesem existenziellen Zusammenhang Pillepalle aufs Tapet zu heben: „Zuletzt haben Frauen erfolgreich imitiert, was ihnen Männer 5000 Jahre lang vorgemacht haben: Annalena Baerbock hat ihren Lebenslauf aufgeblasen, Franziska Giffey ihre Doktorarbeit mit unautorisierten Sätzen anderer dekoriert. Die frühere Umweltministerin Anne Spiegel hat sich nach der Flutkatastrophe im Ahrtal mehr Sorgen um ihr Ansehen als um die Opfer gemacht. Der früheren RBB-Intendantin Patricia Schlesinger wurde ihr Hang zu luxuriösen Dienstfahrzeugen und ihr sorgloser Umgang mit Spesenabrechnungen zum Verhängnis. Die frühere britische Premierministerin Liz Truss trat angesichts einer verheerenden Regierungsbilanz gleich von selbst zurück. Die frühere Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili sitzt wegen des Verdachts auf Bestechung im Gefängnis. Und Christine Lambrecht hat, man muss es leider so deutlich sagen, während ihrer kurzen Amtszeit eigentlich nur ihren Rücktritt einigermaßen hinbekommen.“

Aber Vorsicht: Sie sind zwar erst Jahrgang ’75. Doch Unreife der Jugend ist kein Garant für mildernde Umstände. Gehen Sie besser und am besten sogleich in sich, bevor es zu spät ist: Jegliche weibliche Fehltritte sind ausnahmslos durch das Patriarchat verursachte Ausnahmen, die die völlig anders geartete Regel („Nur Frauen könnten den Weltuntergang noch verhindern …“) lediglich ein ums andere Mal bestätigen.

Bei Männern – und zwar bei sämtlichen, nicht nur bei alten, weißen, sondern auch bei solchen wie Ihnen – ist es im Übrigen ebenso grundsätzlich wie unvermeidlich umgekehrt.

Ist das wirklich so schwer zu begreifen?

 

John Lukas Witte, 18, Schüler aus Berlin-Charlottenburg – Jüngst hatte die CDU die Führungsspitzen der öffentlich-rechtlichen Sender zur Auseinandersetzung über den Reformbedarf in deren Häusern ins Konrad-Adenauer-Haus, die Berliner Unions-Zentrale, geladen und die üblichen Verdächtigen – ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten, der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke und Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunks, – leierten ihre gewohnt uninspirierten Statements herunter, in denen sie einmal mehr jeden selbstreflexiven Bezug auf die verbreitete öffenttliche Kritik an ihren alljährlich Milliarden an Steuergeldern verbrennenden Oldtimern vermissen ließen. Auch die Diskussion im Adenauer-Haus war eher – lau.

Da warfen Sie aus dem Auditorium folgende Frage in die Diskussion: „Wie passt die Neutralität in der Berichterstattung [den öffentlich-rechtlichen Sendern quasi gesetzlich verordnet –  die Redaktion] mit einer nicht neutralen Sprache, dem Gendern, zusammen?“ Ob das nicht eine „Belehrung der Bevölkerung“ sei.

Donnernder Beifall.

Und dann legte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, noch eine Kohle nach: Er glaube nicht, dass der Deutschlandfunk die gesellschaftliche Realität abbilden wolle, „wenn er mich zum Gendern bewegen will“.

Ob die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkzampanos wenigstens diesen Schuss jetzt gehört haben?

Bisher deutet leider nicht das Geringste darauf hin.