28. Jahrgang | Nummer 3 | 10. Februar 2025

Bemerkungen

Guter Rat von Thomas Müntzer

𝔑𝔦𝔢𝔪𝔢𝔫 𝔭𝔩𝔞𝔰𝔱𝔢𝔲𝔨𝔢𝔫,                  Nimmer betrügen,

𝔩ü𝔱𝔷𝔢𝔩 𝔊𝔢𝔰𝔭𝔢𝔦 –                           wenig Geschwätz –

𝔥𝔢𝔦𝔫𝔱 𝔭𝔢𝔯𝔢𝔰𝔱𝔯𝔬𝔦𝔨𝔢𝔫,                    heut’ umgestalten,

𝔡𝔢𝔦𝔫 𝔊𝔢𝔰𝔞𝔱𝔷 𝔰𝔢𝔦!                         sei dein Gesetz!

 

Mit Begeisterung und beinahe zur gleichen Zeit las ich die berühmte „Fürstenpredigt“ von Thomas Müntzer (1489-1525) und die Reden von Michail Gorbatschow (1931-2022) zu „Glasnost & Perestroika“. Das war im Spätherbst 1988.

Die „Fürstenpredigt“ habe ich im Original gelesen. Ein Glossar über die Sprache im Mittelalter half mir dabei, die Archaismen zu verstehen und zu übersetzen.

So entstand mein Vierzeiler, der die Überschrift trägt „Guter Rat von Thomas Müntzer“.

Ich habe ihn geschrieben, in Fraktur handgesetzt und hundertfach auf einer Tiegelpresse gedruckt.

Ich liebe visuelle und konkrete Poesie, also das Spiel mit Buchstaben und Worten. Alle Worte in meinem Gedicht – bis auf den Neologismus „perestroiken“ – stammen aus der Fürstenpredigt.

Die Feierlichkeiten, die anlässlich des 500. Geburtstages von Thomas Müntzer in der DDR vorgesehen waren, verblassten im Herbst 1989 oder fielen gänzlich aus. Mein Gedicht „Guter Rat von Thomas Müntzer, gegeben am 13. Juli 1524 zu Allstedt“ war über Nacht zu Makulatur geworden. Das Flugblatt lernte nie das Fliegen.

Ein Exemplar hat es aber in die Dauerausstellung für Thomas Müntzer in das Burg- und Schlossmuseum Allstedt geschafft und wird dort aufbewahrt.

Die Feierlichkeiten zu „500 Jahre Bauernkrieg“ sind eingeläutet. Und wieder einmal bleibt uns wohl nur die hoffnungsfrohe Botschaft und unsterbliche Zeile aus der letzten Strophe des Liedes „Wir sind des Geyers schwarzer Haufen“: „Uns’re Enkel fechten’s besser aus, heja hoho!“.

Das wollen wir doch hoffen! Denn vieles ist ja schon besser, aber noch nicht alles ist gut!

Heinz Freiberg

Der Text entstand aus einem Leserbrief des Autors an Das Blättchen.

An den 500. Jahrestag des Bauernkrieges erinnern 2025 Landesausstellungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.

Kalle, Karstadt, Männer-Coach

Nach der Pause gab es einen „Auftrittsapplaus“ für das Bühnenbild. In einem heruntergekommenen Weddinger Hausflur prangt zentral das Graffito „Weidel abschieben“. Auch sonst kann sich das Bühnenbild (Bühnengrafik: David Pfifferling) bei Folge 135 „Absturz mit Folgen“ aus der Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ wieder sehen lassen. Noch wichtiger ist, was auf der Bühne und in den witzigen Filmeinspielern (Raphael Howein) geschieht. Zwar gibt es vier Ideengeber dieses Stücks, aber viele Beiköche verderben den Brei nicht, wenn sie dem Chefkoch zuarbeiten. Der ist in diesem Falle wieder Philipp Hardy Lau, und zeichnet letztlich für Buch und Regie verantwortlich. Er gibt dem komödiantischen Ensemble viel Platz sich auszuspielen und für gelegentliche Extemporés. Das nutzen Karina Bauer, Noémi Dabrowski, Oliver Tautorat, Ryan Wichert (der sich manch Szenenapplaus erspielt) und Daniel Zimmermann in vielen Rollen mit schnellen Kostümwechseln weidlich aus, und ja – Zimmermann, einstiger Publikumsliebling des Hauses, ist als Gast zurückgekehrt und hat einige seiner eingeführten Figuren mitgebracht (Männer-Coach „Üwele“ und Kriminalist Hermann Schneider), mit denen – wie im Prime Time Theater üblich – wieder seltsame Typen unserer Gegenwart aus Wedding und Uckermark liebevoll auf die Schippe genommen werden. Tatsächlich ist die Pastorenfamilie Horwarth wieder mal in die gottlose Hauptstadt gekommen. Das Oberhaupt wird vom Hausherrn Oliver Tautorat gespielt, und auch als Post-Kalle und als „Prenzlwichser“ Claudio Fabriggio zelebriert er wieder herrlich komische Dialoge mit Daniel Zimmermann, die sowohl die beiden Komödianten als auch das Publikum genießen. Herrlich, wie auch die Weddinger Lokalpolitik am Beispiel des leerstehenden Karstadt-Kaufhauses aufs Korn genommen wird! Berliner und solche, die es werden wollen, sollten sich diese Aufführung nicht entgehen lassen, denn wenn sie vorüber ist, gibt es keine Wiederholungen.

Absturz mit Folgen, Folge 135 der Theater-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, bis 8.3. mittwochs bis sonnabends; Prime Time Theater, Müllerstraße 163, Berlin-Wedding.

Frank Burkhard

 

„Drum links zwei, drei!“

Bertolt Brecht fragt in diesem bekannten Arbeiterlied von 1934 nach dem Platz des einzelnen Genossen – Michael Brie fragt nach dem Platz der Partei DIE LINKE in der deutschen Gesellschaft. Wenn sie sich weiter in fruchtlosen Streitereien und Grabenkämpfen verliere, habe sie bald keinen Platz mehr, weil sie keiner brauche.

In mehr als drei kurzen Texten (einige gemeinsam mit Heinz Bierbaum und Ines Schwerdtner verfasst) analysiert der Sozialphilosoph den gegenwärtigen Zustand der Partei und gesellschaftliche Debatten (vor allem) zu Krieg und Frieden in der BRD. Die Texte sind in den letzten zwei Jahren entstanden und Ausdruck einer „dreifachen Verzweiflung“: Erstens angesichts der Kriege in der Ukraine wie in Nahost und dem Fehlen einer wirksamen Friedensbewegung, zweitens der Blockade einer notwendigen ökologischen Revolution und drittens dem Fehlen einer starken politischen Gegenkraft, die dem liberalen Mainstream und der neuen extremistischen Rechten eine solidarische Alternative entgegenstellt.

Auch mit der Gründung des BSW habe sich die Lage innerhalb der Linken nicht geklärt. Diese Aussage beruht auf der Analyse Bries „Wie man eine Partei zerstört“: Erstens durch den (vor allem 2015 mit der Migration) erfolgten Bruch mit den Lohnabhängigen und den Gewerkschaftlern; zweitens durch eine fehlende Stimme in der Pandemie, die sowohl die Ängste und Befürchtungen aufgenommen hätte, als auch für einen Ausbau des solidarischen Gesundheitswesens eingetreten wäre und drittens durch Profillosigkeit in der Haltung zum Krieg in der Ukraine.

Michael Brie dagegen formuliert klar: „Wenn das Hauptziel des Krieges aus westlicher Sicht mittlerweile die Ausschaltung Russlands als geopolitische Kraft ist und die Aufrüstung der Ukraine das Mittel dazu, dann muss […] die Linke sich gegen diese Aufrüstung, also gegen weitere Lieferungen immer schwererer Waffen ohne Ende und gegen die Spirale der Sanktionen wenden“. Und weiter deutliche Worte dazu, dass, wenn sich dieser Krieg lange Zeit fortsetzt, wirksamer Schutz der Lohnabhängigen, sozial-ökologische Transformation und Wirtschaftsdemokratie und ein resilientes Gemeinwesen nur leere Phrasen sind. Mit Bertha von Suttner könne die Losung nur sein „Die Waffen nieder!“ – der erste Schritt dazu müsse ein unverzüglicher Waffenstillstand sein ohne jede weitere Vorbedingung. Weiterhin müsse DIE LINKE der Unterordnung der Sicherheitspolitik der EU und Deutschlands unter die imperialen Vormachtsansprüche der USA eine klare Absage erteilen.

Auch die Linie der Parteiführung „sich auf den Osten zu konzentrieren“ hält er für falsch. Osten und Westen seien jetzt überall. Stattdessen müsse DIE LINKE drei Aufgaben erfüllen: Sie müsse bei Hegel in die Schule gehen und Widersprüche der Herrschaft zum Zwecke ihrer Überwindung nutzen, sie müsse die Überzeugung in größeren Teilen der Gesellschaft verankern, dass es eine wirkliche Alternative zum Kapitalismus gibt und schließlich an einem klassenverbindenden Bündnis arbeiten.

„Was tun?“ heißt eine der bekanntesten Schriften Lenins, dessen Gedanken Brie nicht nur mehrfach aufgreift, sondern den er auch gegen das Vergessen exzellent verteidigt. Möge seine Antwort auf diese Frage nicht auf taube Ohren stoßen!

Viola Schubert-Lehnhardt

Michael Brie: Linksliberal oder dezidiert sozialistisch? Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise. Eine Flugschrift. VAS Verlag, Hamburg 2024, 122 Seiten, 12,00 Euro.

 

Nachruf – Hans Poerschke im Roten Kloster

Wer in der DDR mit Journalismus zu tun hatte, vielleicht auch vom Studium an der Leipziger Fakultät/Sektion Journalistik kam, die übrigens ironischerweise als Rotes Kloster tituliert wurde, dem werden wenige bedeutsame Namen einfallen. Allenfalls den des bekannten antifaschistischen Weltbühnen-Publizisten Hermann Budzislawski als Begründer des Faches oder den des umtriebigen Politnik Emil Dusiska oder auch von Franz Knipping als farblosen Historiker der Arbeiterpresse.

Aber es gab immerhin genügend junge Leute, die den politisch benötigten Studiengang entwickeln sollten.

Einer von ihnen war Hans Poerschke, der den Forschungs- und Lehrbereich „Wesen und Funktion des sozialistischen Journalismus“ für die Studenten schmackhaft machen musste und es dabei schließlich zum anerkannten und geachteten Professor schaffte. Aber wie konnte man wissenschaftlich begründen, was bei den Zeitungen und Sendestationen in der DDR journalistischer Alltag war? Poerschke trug dazu, in Ermanglung anderer realsozialistischer Quellen stets seinen Lenin in der Aktentasche, mit dessen Verdikt, dass der sozialistische Journalist nur „Rädchen und Schräubchen“ des einheitlichen Parteiapparates zu sein habe. Dies steigerte sich später zu dem Theorem, wonach der sozialistische Journalismus als Instrument der politischen Leitung der Gesellschaft durch die Partei funktionieren müsse. Auch das kam konsequenterweise von der Lenin’schen Weisung, dass der Journalismus nicht nur als Agitator und Propagandist, sondern auch als kollektiver Organisator zu agieren habe.

Poerschke hat das durchaus nicht einfach nachgeplappert, er hat versucht, die Zusammenhänge zu ergründen und historisch zu begründen. Oft widersprach er sich als Antwort Suchender in Selbstkorrektur dabei selbst. Seine wissenschaftliche Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit machten ihn dadurch zu einer von den Studenten und Kollegen geachteten Autorität, was dazu führte, dass er bei der Auflösung und beim Übergang der Fachrichtung noch 1989 basisdemokratisch zum kurzzeitigen Sektionsdirektor gewählt wurde.

Auf Lenin kommt er dann in seinem abschließenden Spätwerk zurück und erkennt – ohne seine früheren Interpretationen zu leugnen: „Das von Lenin inspirierte und unter seiner Führung verwirklichte Regime des Umgangs der Partei mit der Presse war durch und durch undemokratisch. Das Prinzip der Parteiliteratur zerstörte.“

Hans Poerschke war auf dem schwierigen und verminten Feld der Theorie zur Massenkommunikation ein unruhig und kreativ Suchender. Jetzt ist er im Alter von 87 Jahren verstorben.

Karl Röhr

Zinnober

In der jüngst erschienenen 29. Auflage des Dudens stehen nicht nur rund 3.000 neue Wörter. Die Redaktion hat viele Wörter auch neu bewertet. Bisher waren die kursiv gesetzten Angaben „gehoben“, „umgangssprachlich“, „veraltet“, „derb“ und „abwertend“ üblich. Nun heißt es: „teilweise oder gelegentlich diskriminierend“ („Eskimo“), „häufig diskriminierend“ („Flittchen“), „stark diskriminierend“ („zwergwüchsig“), „derb diskriminierend“ („Fettsack“) oder „vulgär diskriminierend“. Letzteres an dieser Stelle ohne Beispiel. Wer beim Duden darüber als Diskriminierungsbeauftragter bestimmt, wo diese Diskriminierungsskala im Wörterkorpus anfängt und wo sie aufhört, bleibt allerdings unklar.

Ebenfalls unklar bleibt für mich, die Sinnhaftigkeit der immer wieder auftretenden Versuche, den Wortschatz durch doppelt gemoppelte Wörter zu erweitern. Bisher konnte mir noch niemand erklären, was der semantische Unterschied von speichern und abspeichern am Computer oder von verteidigen und wegverteidigen beim Fußball ist. Der Trend macht auch vor Politikern nicht halt. Laut Berliner Zeitung prognostizierte der Wirtschaftssachverständige Robert Habeck: „Die Unternehmen werden da nicht mehr hingehen, nicht reininvestieren“. Kann man auch rausinvestieren? Aktuelle Zeitungsüberschriften lauten: Weggekürzter Museumssonntag oder Künstliche Intelligenz überhypt? Über die letztgenannte Perle des Journalismus lässt sich trefflich sinnieren. Da kommt einiges zusammen.

Klein Zaches

Damals,

bevor es das Internet gab,
dachten wir,
der Grund für die menschliche
Dummheit wäre der Mangel
an Informationsmöglichkeiten.

Ich sag’ mal so:

Das war’s nicht.

hes

Film ab

Gemessen am erfolgreichsten deutschen Film aller Zeiten („Der Schuh des Manitu“, 2001, 11,7 Millionen Zuschauer) war „Kundschafter des Friedens“ (berentete Ex-DDR-Spione zeigen ihren westlichen Nachfolgern noch einmal, wo der Hammer hängt; 2017, knapp 400.000 Zuschauer – siehe Blättchen 4/2027) nachgerade ein Flop. Doch offenbar nicht flopig genug, um dem Streifen jetzt nicht doch ein Sequel folgen zu lassen.

Eine alte Hollywood-Weisheit, die sich seit Klassikern wie „Die glorreichen Sieben“ oder „Dirty Harry“ immer wieder bestätigt hat, besagt: Fortsetzungen sind nie besser als das Original.

Davon hat sich Regisseur und Drehbuch-Mitautor Robert Thalheim, der schon bei Teil I das Heft des Handelns in der Hand hatte, allerdings nicht abhalten lassen. Leider. Denn dieses Mal verlegt er den Ort des Geschehens zwar nach dem exotisch reizvollen Kuba, doch kombiniert er die Agententhriller-Persiflage („Mischung aus James Bond und Olsenbande“, Stuttgarter Zeitung), die den ersten Teil durchaus zwerchfellerschütternd trug, mit einer sich gefühlig ernst nehmenden revolutionsromantischen Hommage an Fidel Castro und seine Barbudos, jene Bärtigen, die 1959 aus den Bergen der Sierra Maestra in Richtung Havanna vorstießen und das mafiöse, US-hörige Batista-Regime stürzten.

Beide Ansätze – die Persiflage wie die Hommage (letztere immer mal mit Sequenzen, die, wenn schon nicht den Zuschauer, so doch den Besprecher zum Fremdschämen animierten) – kommen sich in den 136 Minuten des Films ständig in die Quere, so dass keiner von beiden zu überzeugen vermag.

Das Ganze geht weit weniger subtil, dafür deutlich klamottiger über die Leinwand als Teil I. Wie gesagt: Fortsetzungen sind nie …
Das lässt für „Das Kanu des Manitou“ (der Kinostart ist für den 14. August 2025 avisiert; ein Trailer läuft bereits in den Kinos) das Schlimmste befürchten.

 

PS bezüglich „Kundschafter …“: Wer allerdings Bock darauf hat, DDR-Stars wie Henry Hübchen, Katharina Thalbach, Winfried Glatzeder, Corinna Harfouch und Thomas Thieme noch einmal dabei zu erleben, wie sie ihrem cineastischen Affen Zucker geben, und zwar gehörig, der dürfte beim Kinobesuch allemal auf seine Kosten kommen. Mindestens auf die der Eintrittskarte.

Clemens Fischer

„Kundschafter des Friedens II“, Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Robert Thalheim; derzeit in den Kinos.

 

Populäre Songs und Gedichte

Songcomics mit Rasenmähermann-Ende

Anfang der 1980er Jahre fanden sich drei Musiker im Norden der Bundesrepublik, um der populären Musikrichtung Neue Deutsche Welle den richtigen Kick zu verpassen. Mit minimalistischen Texten und herrlich einfacher Musik stiegen sie in die Hitparaden ein, brachten ironische Momente in manch tröge Fernsehshow. Die Band nannte sich „Trio“ und bestand aus dem Sänger, Texter um Komponisten Stephan Remmler, dem Gitarristen Kralle Krawinkel (gestorben 2014) und dem Schlagzeuger Peter Behrens (gestorben 2016). Bis heute sind „Trio“-Songs („Los Paul“, „Broken hearts for you and me“, „Sabine, Sabine, Sabine“, „Herz ist Trumpf“) immer wieder im Radio zu hören und zählen eindeutig zum Besten in der deutschen Musik. Nun wurden die Lieder mit Bildern geehrt. Der kleine und verdammt feine Verlag Ventil hat die Lieder von Comiczeichnern darstellen lassen. Nach Songcomics über Texte von Ton Steine Scherben, Tocotronic, Schleimkeim und Fehlfarben nun endlich Trio. Zehn Comic-Künstler beschäftigten sich intensiv mit den Hits und interpretierten in Comicstrips ihre Sicht der Dinge. So gibt es neben den bereits genannten das geniale „Da Da Da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht“ von Dominik Wendland, der sich auf Strichmännchen konzentrierte und dabei alles karg, sehr bunt und mit einem Rasenmähermann-Ende anging. So geht es weiter, z.B. mit dem herrlich verrückten Trennungs- und Fremdgeh-Comic „Anna – lassmichrein lassmichraus“ von Mawel / Gregor Hinz. Das Buch „Ab dafür“ sollte man langsam und intensiv genießen und dabei die Songs unbedingt anhören. Allerdings muss ich zum wiederholten Mal Sandra Rummels Beitrag „Out in the streets“ anschauen, denn mir fehlt noch der „intellektuelle Zugang“.

Gunther Buskies und Jonas Engelmann (Hrsg.): Ab dafür – 10 Trio-Songcomics. Ventil Verlag, Mainz 2024, 112 Seiten, 25,00 Euro.

 

Lyrische Leistungen in mutigen Zeitungen

Es ist schade, dass sich Tageszeitungen und Wochenblätter nur noch selten mit Lyrik beschäftigen. Ein tägliches Gedicht, wie es in der Jungen Welt zu lesen ist, stände auch der Thüringer Allgemeinen, der Freien Presse usw. gut zu Gesicht. Falls sich die Redakteure dann doch an gereimte oder ungereimte Lyrik wagen, dann nur an Bekanntes von Rilke, Goethe oder auch mal Ringelnatz. Nun gibt es den Autor und Lyriker Thomas Gsella, der in einigen mutigen Zeitungen vormacht, wie es gehen könnte. Gsella ist so eine Art Reimkolumnist beim Stern, dem Schweizer Magazin und in der konkret. So richtig bekannt geworden ist Thomas Gsella, der mit Familie in Aschaffenburg lebt, als Redakteur und Chefredakteur der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic. Wer nun Gedichte lesen möchte und dann noch komische und satirische, der greife zum neuen Gsella-Buch „Hereimspaziert“. Ach wie sind die lyrischen Leistungen herrlich, sie könnten für Menschen, die ihr Lachen verloren haben, als Rezept verschrieben werden. Wieder greift Gsella, der mit Recht Robert-Gernhardt und Joachim-Ringelnatz-Preisträger ist, alle möglichen und unmöglichen Themen auf. So dichtet er über Tischkerzen, bringt Reime über Hund und Herrchen zustande, erwähnt Fußball und Zölibat und beschimpft mit Fleiß das hässliche Autohupen. Wer ganz genau die Gedichte liest, wird merken, dass Thomas Gsella diesmal einen tiefen Einblick in sein Leben gewährt, die Familie mit Reimen ehrt, über Erlebnisse während der Lesetouren berichtet und sich Gedanken über Bier und/oder Wein macht. „Hereimspaziert“ ist ein wunderbares Buch geworden, das man unbedingt während einer Zugfahrt lesen sollte, denn Lachen steckt an und man muss sogar bei drei Stunden Verspätung zitieren (selbst erlebt).

Thomas Gsella: Hereimspaziert. Neue komische Gedichte. Verlag Antje Kunstmann, München 2024, 272 Seiten, 22,00 Euro.

Thomas Behlert

Mein Tanzlied

Aus mir braust finstre Tanzmusik.
Meine Seele kracht in tausend Stücken.
Der Teufel holt sich mein Mißgeschick,
um es ans brandige Herz zu drücken.

Die Rosen fliegen mir aus dem Haar
Und mein Leben saust nach allen Seiten,
So tanz ich schon seit tausend Jahr,
Seit meinen ersten Ewigkeiten.

 

Else Lasker-Schüler (1869-1945)

Ein musikalisch tiefgründiger Spaziergang

Mit „one, two, three, four“ zählt der Sänger und Gitarrist Chris Eckman seine neue CD ein. Und es dauert wohl nur vier weitere Sekunden, und man ist als Hörer gefangen in und mit einer hypnotischen Melodie.

Der tiefmelancholische und herzzerreißende Opener „Genovieve“ besingt und beklagt das Liebesleid, ausgelöst durch die Frau gleichen Namens und ihrer melodramatisch beschworenen, aber letztendlich doch ausbleibenden Rückkehr.

Über drei Jahre nach seiner letzten Veröffentlichung „Where the Spirit rests“ präsentiert der Künstler ein sehr kompaktes, fast intimes Album, das jetzt nicht mehr von den verwahrlosten Landschaften des amerikanischen Westens, sondern von den Landschaften seiner Wahlheimat Slowenien bestimmt ist. Inspiriert hat ihn Ljubljana wie auch die bergige und dicht bewaldete Region im unmittelbaren Umfeld dieser Stadt: „I wanted that specific sense of place in these songs.“ Deshalb finden sich in diesen atmosphärisch dichten Liedern sternenübersäte Gipfel, neblige Landschaften oder von der Abenddämmerung geprägte Bergkämme.

Und auch die Gastmusiker auf seinem neuen Album stammen aus der slowenischen Musikszene. Sie bereichern u.a. mit Harfe, Violine oder Saxophon diese CD. Der Musikstil changiert zwischen Südstaatenrock, Blues und Country Musik.

Gebannt lauscht man der markanten, tiefen Stimme, fühlt sich verstanden und leidet mit.

„We’re drunken angels in the snow

With nowhere else to go

Town lights, fading slow.“

Es ist ein sehr reflektiertes Werk, das Erinnern und Hoffen, Leiden und Genießen beinhaltet – ein musikalisch tiefgründiger Spaziergang durch slowenische wie auch seelische Landschaften.

Chris Eckman: „The Land We knew the Best“.CD, Label: Glitterhouse/Indigo, 2025, ca. 15 Euro.

Thomas Rüger

Aus anderen Quellen

Friedrich Merz (CDU) will erklärtermaßen Bundeskanzler werden und schien quasi schon auf der Zielgeraden. Bis er mit der Bundestagsabstimmung über das von der CDU eingebrachte sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz am 31. Januar 2025 das Tabu brach, sich eine Mehrheit dafür gegebenenfalls auch durch die Stimmen der AfD zu verschaffen.

Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, kommentierte: So „einen wie Merz gab es noch nie. […] Er benimmt sich drei Wochen vor der Wahl so, als sei so etwas wie eine Koalitionsbildung nicht nötig, als brauche er keine Regierungspartner. Er geht nicht auf seine künftigen eventuellen Partner zu, sondern lässt sich von der AfD akklamieren – ohne sich dafür zu genieren. Er bricht mit all seinen Versprechungen, Gemeinsamkeit und Miteinander mit der AfD zu vermeiden.“

Heribert Prantl: Prantls Blick. Die politische Wochenschau, sueddeutsche.de, 02.02.2025. Zum Volltext hier klicken.

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In der vorangegangenen Blättchen-Ausgabe ging ein Beitrag der Frage nach: „Sicherheit und Frieden – durch Abschreckung?“ In der aktuellen Ossietzky-Ausgabe befasst sich Jürgen Rose mit entsprechenden Positionierungen des Vatikans: „In jüngerer Zeit haben sich der Heilige Stuhl und der Papst persönlich in die Abschreckungs-Debatte eingebracht, indem sie im Einklang mit der überkommenen Lehre und mit Blick auf die veränderte Situation eine uneingeschränkte moralische Ächtung und ein völkerrechtliches Verbot aller Kernwaffen forderten.“

Jürgen Rose: Nuklearwaffendelirium, Ossietzky 2/2025. Zum Volltext hier klicken.

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„Da auch weitere Länder Interesse an einem Beitritt bekunden, sieht es so aus, als könnte sich die BRICS-Gruppe tatsächlich als Anführer des Widerstands gegen die von den USA dominierte internationale Ordnung präsentieren“, schreibt der Havard-Professor und frühere US-Staatssekretär Joseph S. Nye und fährt fort: „Einige sehen in ihr sogar den Nachfolger der Bewegung der Blockfreien Staaten aus der Zeit des Kalten Krieges, deren Mitglieder sich weigerten, sich zwischen den USA und der Sowjetunion zu entscheiden. […] In jedem Fall ist es unwahrscheinlich, dass es der BRICS-Gruppe gelingen wird, den ‚Globalen Süden‘ formell zu organisieren. Nicht nur liegen ihre größten und wichtigsten Mitglieder – China, Indien und Russland – allesamt nördlich des Äquators, sondern die drei konkurrieren auch um die Führungsrolle.“

Joseph S. Nye: Leitstern der Weltpolitik?, ipg-journal.de, 30.01.2025. Zum Volltext hier klicken.

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Am 14. Januar 2025 wiederholte 3sat eine Dokumentation von Christine Rütten (Hessischer Rundfunk) aus dem Jahre 2022 mit dem Titel „Mörder bevorzugt – Wie der BND NS-Verbrecher rekrutierte“. Dazu hieß es in einem Text, den die ARD zur Erstausstrahlung am 10.10.2022 online gestellt hatte: „Der BND hat nicht nur einzelne schwer belastete NS-Täter beschäftigt. Die Anwerbung und Einstellung von Mördern und Schreibtischtätern hatte von Anfang an System. Gerhard Sälter, Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission [die beim BND zur Aufklärung der NS-Verstrickungen von Mitarbeitern beauftragt worden war – die Redaktion], kann das bis weit in die 1960er Jahre nachweisen. Er hat zehn Jahre lang geforscht, dabei zahlreiche Akten und Personalakten des Nachrichtendienstes einsehen können. Sein Fazit öffnet historisch eine neue Dimension zum frühen BND. […] Die Organisation Gehlen, ab 1956 dann der BND, habe zahlreiche Täter des Holocaust nicht trotz ihrer Verbrechen rekrutiert, sondern wegen ihres nachweislichen Einsatzes für das NS-Terrorregime. Hauptamtliche Mitarbeiter des Dienstes konnten seinen Erkenntnissen nach sogar aus den Mitgliedern und leitenden Offizieren der Einsatzgruppen rekrutiert werden, die während des Zweiten Weltkrieges den Holocaust in Osteuropa durchführten.“

Zwar kann die jetzige Wiederholung auf 3sat nicht online abgerufen werden, doch auf YouTube ist die Dokumentation verfügbar.

Christine Rütten: „Mörder bevorzugt – Wie der BND NS-Verbrecher rekrutierte“, ARD, 10.10.2022. Zum Video hier klicken.

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Thomas Wendrich hat eine Filmbiografie über den Dichter Thomas Brasch („Vor den Vätern sterben die Söhne“) geschrieben und dabei (womöglich als erster) zu dessen existenziellem Konflikt mit seinem Vater, dem stellvertretenden DDR-Kulturminister Horst Brasch, recherchiert, der seinen Sohn bei der Stasi denunziert haben soll: „Der Vater verrät den Sohn – das ist der Sprech, den wir kennen. […] Aber ich habe dann versucht, diesen Moment zu recherchieren. Bis dahin habe ich nicht auf Stasiakten zurückgegriffen, weil sie zu viel Gift enthalten und oft mehr über den Berichtenden erzählen als über den, der beobachtet wurde. Anderes Thema. Aber auf der Suche nach Spuren für diesen einen Moment habe ich dann doch darin nach einem Beleg dafür geforscht, dass der Vater die Behörden angerufen hat. Darüber müsste es ein Protokoll, zumindest eine Telefonnotiz geben. Jeder Schritt von Brasch ist da belegt und protokolliert, aber davon findet sich nichts.“

Ulrich Seidler: „Wir wollten einen neuen Blick auf die DDR ermöglichen“, berliner-zeitung.de, 02.02.2025. Zum Volltext hier klicken.

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.