22. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2019

Bemerkungen

Bauhaus im Brandt-Haus

Seit 2009 reist der Berliner Fotograf Jean Molitor durch die Welt – auf der Suche nach architektonischen Spuren des Bauhauses und des Werkbundes. Fündig wurde er – außer in Europa – auch in Afrika, Asien, ganz Amerika und im Nahen Osten. Vornehmlich Wohnhäuser und Villen, aber auch Industrie- und Sakralbauten sowie Gebäude für Freizeit und Sport, Mobilität sowie für öffentliche Aufgabenträger gerieten ihm vor die Linse. Zu den exotischen Fundorten zählen Casablanca, Havanna, Guatemala City und Bukavu in Kongo. Das weltweit größte Konglomerat an Bauhaus-Zeugnissen findet sich in Tel Aviv: etwa 4000 Gebäude sind dort erhalten. Das einzige Zeugnis in der afghanischen Hauptstadt, ein früheres Kino, ist eine vom Krieg zerstörte Ruine …
Molitors Schwarz-Weiß-Aufnahmen stellen ganz die sachlich nüchterne und funktionale Ästhetik der Bauhaus- und Werkbund-Architektur in den Mittelpunkt. Zu sehen sind die Arbeiten derzeit im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Berlin, im Erdgeschoss sowie im dritten Obergeschoss.

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„bau1haus – Die Moderne in der Welt“ – Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, 10963 Berlin, Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr. Eintritt frei. Ausweis erforderlich. Noch bis 14. März.

Comics über Künstler

Entdeckt habe ich die Oktavhefte vor einigen Jahren in einem Museumsshop: knallbunte Comic-Biografien über Künstler wie Picasso (Nr. 1), Bosch (Nr. 5), Schiele (Nr. 10) oder Magritte (Nr. 25). Keine Graphic-Novels, sondern tatsächliche Lebensgeschichten. Ich gestehe gern, dass mich die gleichermaßen professionelle wie liebevolle Handschrift, mit der dabei zu Werke gegangen wurde (und wird), von Anfang an in ihren Bann schlug.
Schöpfer der Heftchen zu je 3,00 Euro ist der Aachener Zeichner Willi Blöß, dem seine Frau Beatriz López-Caparrós beim Kolorieren zur Hand geht. Seit über 20 Jahren erscheint etwa alle acht Monate eine weitere Ausgabe. Gerade kam mit der Post Nr. 32 ins Haus – „Goya. Wenn die Vernunft schläft“.
Willi Blöß: „Goya. Wenn die Vernunft schläft“, Aachen 2018, 24 Seiten, 3,00 Euro. Zu bestellen direkt über den Verlag: www.kuenstler-biografien.de.

Thaddäus Faber

Musikalischer Angelhaken aus Skandinavien

Mirja Klippel stammt aus Finnland, wo sie diverse Musikschulen besuchte und dabei lernte, eine imposante Anzahl an Instrumenten zu spielen: von der Gitarre bis zum Klavier, von der Rahmentrommel bis zur Waldzither. Inzwischen lebt sie schon seit einigen Jahren in Dänemark, wo sie es schaffte, mit ihrer Debüt-Veröffentlichung „Lift your Lion“ gleich eine Ehrung als beste Sängerin/Songwriterin 2016 entgegennehmen zu können.
Mit ihrem ersten Album „River of Silver“ hat Mirja Klippel nun ein sehr ausgereiftes Werk vorgelegt. Silber steht als Element symbolisch für vieles – unter anderem für Klarheit, Transparenz und Hellseherei.
Die Künstlerin zeigt in ihren Texten intensive Gefühle, die von ihrer tiefen, sehnsüchtigen Stimme authentisch übermittelt werden. Klippel singt von Liebe und Krieg, von starken Gefühlen. Es geht um Blutsbande und Großväter, die für ihr eigenes Land kämpfen. Um Wälder, Seen und Tiere. Sie singt vom nomadischen Leben und davon, dass sie nirgendwo ganz hingehört. Dabei greift sie auf ausdrucksstarke, teils vieldeutige, teils verstörende Sprachbilder zurück.
Im Titellied heißt es:
“We’re stranded up here
On the plateau of our olden dreams
Take a deep breath
It’s a long, long painful fall down.”

Und die Grenze zwischen Friedfertigkeit und Gewalt ist manchmal schnell überschritten:
„I have tried it all
Being sweet
Being fierce
I’ve killed butterflies
Pushing needles through their
Soft, wiggling bodies.”
(aus dem Lied „Superior”)

Enttäuschte Hoffnungen und enttarnte Illusionen sind genauso wie unverarbeitete Erfahrungen und Erlebnisse in der Vergangenheit ein schwieriger Ballast und sind doch bedeutend und maßgeblich, um das Leben in der Gegenwart meistern zu können. Aber am Horizont nimmt sie auch Hoffnung wahr:
„The world is stretching its long arms
Over the horizon
Different stars will shine on me
From the unknown dark.”
(aus dem Lied „Stargazing”)

Ein Sprichwort besagt, dass ein Fisch am liebsten in einen silbernen Angelhaken beißt. Wer sich von den musikalischen Angelhaken Mirja Klippers im „River of Silver“ gefangen nehmen lässt, wird mit unglaublich vielen Metaphern und Visionen beschenkt.
Mirja Klippel: „River of Silver”. Stargazer Records/Broken Silence 2018, ca. 16 Euro

Thomas Rüger

WeltTrends aktuell

Außenpolitik feministisch? Frauen haben doch aber schon seit 100 Jahren das Wahlrecht, stellen in vielen Ländern Regierungschefinnen und Außenministerinnen. Allerdings sind derzeit nur 13 Prozent der deutschen Botschafter weiblich. Dass aber Außenpolitik weltweit feministischer gedacht wird, zeigen die Autorinnen im Thema des neuen WeltTrends-Heftes.
Frauen waren im Auswärtigen Dienst auch in beiden deutschen Staaten eine Seltenheit. 1950 traten Aenne Kundermann für die DDR und 1969 Ellinor von Puttkamer für die BRD als erste Botschafterinnen ihren Dienst an. Schon 1923 begann die diplomatische Laufbahn der weltweit ersten Botschafterin überhaupt, Alexandra Kollontai, für die Sowjetunion. Die Stationen ihres politisch bewegten Lebens sind in der Historie nachzulesen.
Im WeltBlick diskutiert Hans-Jürgen Misselwitz die weitreichenden Folgen der Aufkündigung des INF-Vertrags für die weltweite Sicherheit.
Am anderen Ende der Welt stimmte Neukaledonien gerade über die Unabhängigkeit von Frankreich ab. Die lange Entkolonialisierungsgeschichte des Überseegebietes zeichnet Matthias Kowasch in der Analyse nach.
WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 149 (März) 2019 (Schwerpunktthema: „Feministische Außenpolitik“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

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Blätter aktuell

Brasiliens neuer Präsident inszeniert sich als erfahrener Soldat, politischer Außenseiter und konservativer Christ. Damit jedoch beschönigt der langjährige Berufspolitiker seine wenig glanzvolle, aber hoch gefährliche Biographie, schreibt der Schriftsteller und Journalist Luiz Ruffato. Er analysiert Herkunft wie Gedankenwelt des Rechtsextremisten und warnt: Bolsonaro will das Rad der Geschichte zurückdrehen, bis in die Zeiten der Militärdiktatur.
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter und Formen. Aber alle dienen dazu, eine patriarchalische Ordnung aufrecht zu erhalten, argumentiert die Philosophin Kate Manne. Genau das bedeute Misogynie für viele Frauen: Gewalt erleiden und nicht darüber sprechen zu dürfen. Mit allen Mitteln bis hin zur Strangulation werden Frauen von Frauenfeinden wie Donald Trump zum Schweigen gebracht.
Das Ende des Kalten Krieges trug die Hoffnung in sich, dass nun auch die Ära der blutigen Stellvertreterkriege beendet sein würde. 30 Jahre später muss jedoch bilanziert werden, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Speziell die Konflikte des Nahen Ostens werden durch eine neue Gemengelage internationaler Interessen hochexplosiv. Der Kulturanthropologe Jonas Ecke zeigt, wie Deutschland als weltweit viertgrößter Waffenexporteur wesentlich zur Verschärfung dieser Konflikte beiträgt.
Dazu weitere Beiträge, unter anderem: „Atomarer Schutzschirm? Ein Damoklesschwert!“, „Honduras im Strudel der Straflosigkeit“ und „Zankapfel Libyen: Die italienisch-französische Eskalation“.
Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, März2019, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

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Aus anderen Quellen

Im Kalten Krieg galt zwischen der UdSSR und den USA, dass „sich keine Seite einen Vorteil vom Einsatz der Bombe erhoffen kann, weil die andere Seite in der Lage ist, atomare Vergeltung zu üben“, schreibt Paul-Anton Krüger in der Rückschau. Mit Blick auf die derzeitige militärische Eskalation zwischen Indien und Pakistan in der Region Kaschmir allerdings gibt Krüger zu bedenken: „Ob diese Logik sich jedoch auf Indien und Pakistan übertragen lässt, ist äußerst umstritten.“
Paul-Anton Krüger: Wir können auch anders, sueddeutsche.de, 27.02. 2019. Zum Volltext hier klicken.

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Der am 28. Oktober 2018 mit 55,1 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang gewählte neue Präsident Brasiliens, der ehemalige Hauptmann der Artillerie Jair Bolsonaro, so Raúl Zibechi, „vergab gleich nach seinem Amtsantritt […] einige der wichtigsten Regierungsämter an Militärs: der Vizepräsidentenposten und 7 der 22 Minister gingen an Militärs, darunter das Verteidigungsministerium, das Ministerium für Forschung und Technologie und das für Bergbau und Energie; dazu das wichtige Sekretariat, das für die Beziehungen zum Parlament zuständig ist. Damit ist das Militär in der Regierung Bolsonaro kompakter vertreten als in manchen Kabinetten in der Zeit der Diktatur (1964–1985).“
Raúl Zibechi: Bolsonaro und das Militär, Le Monde diplomatique, 07.02.2019. Zum Volltext hier klicken.

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Eine völlig neue Dynamik, vermerkt Karl-Heinz Brunner „entfaltet sich derzeit im Bereich der letalen autonomen Waffensysteme (LAWS). […] Auch wenn die Staatenwelt seit 2013 im Rahmen der in Genf tagenden UN-Abrüstungskonferenz über LAWS diskutiert, bleiben einige zentrale Fragen nach wie vor unbeantwortet. Das betrifft die Frage nach einer allgemeingültigen Definition von LAWS ebenso wie die Frage nach der Haftung bei von autonomen Maschinen begangenen Fehlern.“ Und: „Die Verantwortung für die Anwendung von Gewalt, mithin für die Tötung eines anderen Menschen, darf nicht an Maschinen delegiert werden.
Karl-Heinz Brunner: Wenn Roboter Kriege führen. Warum wir ein Verbot autonomer Waffensysteme brauchen, ipg-journal.de, 19.02.2019. Zum Volltext hier klicken.

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Seit Anfang der 90er Jahre, konstatiert Arezki Metref, „liegt die algerische Linke […] in Trümmern. Das liegt auch daran, dass die politische Landkarte seit dem ‚schwarzen Jahrzehnt‘ (dem Bürgerkrieg in den 1990er Jahren) komplett neu gezeichnet wurde: Der neue Graben verläuft zwischen konservativ-islamistisch und progressiv-republikanisch. Der Klassenkampf, oder zumindest der Kampf gegen die Ungleichheit, durch den sich die Linke definierte, wurde so in den Hintergrund gedrängt. Heute sind die verschiedenen linken Strömungen außerstande, ein gemeinsames Ziel zu formulieren, was auch jede mögliche Allianz verhindert.“
Arezki Metref: Die Melancholie der algerischen Linken, Le Monde diplomatique, 07.02.2019. Zum Volltext hier klicken.

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Wie sehr sich der Westen in seinen Annahmen im Hinblick auf die Entwicklung in China vertan hat, verdeutlicht Franka Lu mit folgender Anekdote: „‚Wir wissen, wie stark das Internet Amerika verändert hat, und dabei waren wir schon eine offene Gesellschaft. Man stelle sich vor, wie stark es China verändern kann … China versucht, das Internet kleinzukriegen, keine Frage. Na, viel Glück.‘ Nachdem das herzhafte Gelächter im Saal verklungen ist, hört man, wie der Redner, Bill Clinton, seinen launigen Kommentar fortsetzt: ‚Da könnte man ja genauso gut versuchen, Wackelpudding an die Wand zu nageln.‘“ Das war im März 2000. „Die Menschen, die damals im Saal mit ihm gelacht haben, wissen es heute besser: China hat den Wackelpudding an die Wand genagelt.“
Franka Lu: Die Demütigung eines uralten Reichs, zeit.de, 18.02.2019. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldung

Vor kurzem ist – auch in deutscher Übersetzung – Michel Houellebecqs neuer Roman „Serotonin“ erschienen. Cornelia Geißler von der Berliner Zeitung meint, der lasse sich „gut lesen, wenn man es schafft, über einige eklige Stellen hinwegzukommen“. Und sie warnt: „Wer nichts über Sex mit Hunden wissen will, sollte Seite 50 überspringen.“

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Dazu die allerletzte Meldung

Bis zu Seite 50 von „Serotonin“ schafft es Houellebecqs Landsmann Èdouard Louis („Das Ende von Eddy“, „Wer hat meinen Vater umgebracht“) nach eigenem Bekunden gewiss nicht. In einem Freitag-Interview äußerte er jüngst: „Houellebecq interessiert mich überhaupt nicht. Er ist ein sehr schlechter Schriftsteller, ein Reaktionär. Wenn ich dieses rassistische, homophobe Geschreibsel lese, dann habe ich nach drei Seiten die Nase voll.“ Entschiedener geht’s kaum.

ddp