21. Jahrgang | Nummer 14 | 2. Juli 2018

Bemerkungen

Fanwürste

In meinem Supermarkt um die Ecke stieß ich am Tag nach dem Spiel auf einen Pappständer mit ziemlich glibbrig aussehenden Würstchen im Glas. „Fanwürste“ stand da ganz groß dran geschrieben. Ignorieren wir einfach mal, dass es sich um ziemlich kranke Hirne handeln muss, die sich so etwas ausdenken, der Werbeslogan kündet von geradezu Heinescher Ironie: „Nur für kurze Zeit“.
Das nennt man wohl eine sich selbst erfüllende Prophezeiung…

G.H.

Kaiserdämmerung

Das Potsdamer Neue Palais ist einer der imposantesten barocken Schlossbauten nördlich der Alpen. Zu den schönsten gehört es sicher nicht, obwohl es einige Innenräume hat, die zu den Perlen des friderizianischen Rokokos zählen. Das Ding war von Anfang an pure Angeberei, eine „Fanfaronade“, wie Bauherr Friedrich II. selbst einräumte. Genutzt wurde der pompöse Kasten nur wenige Wochen im Jahr – als Sommerwohnung für fürstliche Gäste des Preußenkönigs. Er selbst hatte wie Bruder Heinrich in einem Seitenflügel ein Mehrzimmer-Appartement zur Verfügung, dessen Interieur dem Sanssoucis nicht nachsteht. Es ist aber ebenso wie die Heinrich-Wohnung und das bezaubernde Schlosstheater seit längerem nicht zugänglich. Niemand wagt zu sagen, wann die sich in einer Endlosschleife vollziehenden Restaurierungsarbeiten ein Ende haben werden.
Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten muss sich daher immer wieder Neues einfallen lassen, um die Besucher vom Weinbergschlösschen an das andere Ende des Parks zu locken. Von der Großen Fontäne bis zum Neuen Palais kann der Weg an heißen Sommertagen verdammt lang sein… In diesem Jahr besann man sich auf das Jubiläum der Ereignisse vom Spätherbst 1918 und implantierte in den Schlossrundgang eine Sonderausstellung „Kaiserdämmerung“. Das Wort „Revolution“ ging den Potsdamern schon immer schwer über die Lippen. Man sagt lieber etwas unverfänglicher „Abdankung Kaiser Wilhelms II.“ oder auch „Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches“. Dass die einigermaßen lieblos zusammengestotterte Schau im Neuen Palais präsentiert wird hat damit zu tun, dass Wilhelm II. und Gattin Auguste Victoria den monumentalen Bau schon 1889 zum Sommersitz der kaiserlichen Familie erkoren und ihn entsprechend modernisieren ließen. Dem Kaiser, dem schon Harry Graf Kessler einen „kranken Geschmack“ attestierte, muss der barocke Klotz der eigenen Persönlichkeit angemessen erschienen sein.
Da wirkt es wie einer der vielen bösen Scherze der Weltgeschichte, dass sich Wilhelm II. vom OHL-Chef Paul von Hindenburg am 29. Oktober 1918 ausgerechnet hier überreden ließ, Potsdam zu verlassen und sich in das Große Hauptquartier nach Spa zu bewegen. Hindenburg befürchtete, dass seine kaiserliche Marionette sich selbständig machen und ihn selbst ebenso wie drei Tage zuvor den Generalquartiermeister Erich Ludendorff abservieren könnte. Die Abreise des Kaisers war denn auch für die Residenzstadt der Anfang vom Ende imperialen Glanzes. Am 10. November musste Auguste Victoria erleben, dass selbst die Schlosswache einen Soldatenrat im Neuen Palais bildete. Am 27. November folgte sie dem Gatten ins Exil.
An den kaiserlichen Abgang erinnern die Ausstellungsmacher mit einer Rekonstruktion des Abendgedeckes vom 29. Oktober für drei Personen – Majestät, die Kaiserin und Sohn Oskar –: Ach, wie bescheiden, und schau an, sogar die Schrippen der Majestäten sind noch in die Servietten eingewickelt … Sonst gibt es einige nette Informationen zum Alltag im Schlosse. 167 Hofbedienstete umsorgten das Kaiserpaar und waren ab November alle arbeitslos. Man darf die Badewanne Auguste Victorias bestaunen und einige Uniformjacken des Chefs. Und darüber nachdenken, weshalb die Republik sich als „überaus großzügig“ erwies. Wilhelm ließ 1919 und 1920 63 Waggons Schlösserinventar in die Niederlande schaffen. Er ließ aber noch mehr zusammenraffen. Der staunende Besucher erfährt, dass „die Anzahl der Gegenstände, die das Neue Palais im Herbst 1925 verließen“, die Zahl der erwähnten 63 Eisenbahnwaggons bei Weitem überstieg. Das nennt man Ausplündern. Aber aus Sicht der Potsdamer Stiefelspitzenlecker hatte nur die Volksmarinedivision im Berliner Schloss geplündert – und natürlich 1945 die Russen. Das in dieser Schau (man kann sie noch bis zum 12. November 2018 besichtigen) vermittelte Geschichtsbild ist ebenso trübe wie die schludrige Ausleuchtung ihrer Exponate.

Alfred Askanius

38 Minuten – das war der Gipfel

Die Kollegen Christoph Giesen, Arne Perras und Kai Strittmatter von der Süddeutschen Zeitung brachten die 38 Minuten (so lange währte der Nettogesprächskontakt) der „historischen“ Begegnung der beiden Ausnahmepolitiker Donald Trump und Kim Jong-un in Singapur auf den Punkt: „Treffen sich ein Wahnsinniger und ein Tattergreis und basteln an den Atomwaffen Nordkoreas herum. Klingt nicht sehr beruhigend? Nun, mit einem Mal heißen sie einander ja gar nicht mehr ‚wahnsinnig‘ (Donald Trump noch vor ein paar Monaten über Nordkoreas Herrscher Kim Jong-un) und ‚senil‘ (Kim über Trump). Schauen einander stattdessen tief in die Augen. Speisen an einem Tisch. Ziehen sich für ein Tête-à-Tête ganz ohne Berater zurück in den Wandelgang des Tagungshauses. Tätscheln einander beruhigend Unter- und Oberarme. Loben einander über den grünen Klee. Donald Trump ist wie berauscht, wenn er von seinen Stunden mit Kim berichtet, berauscht von seiner Erzählung, berauscht von sich selbst, er tänzelt am Ende dieses Tages beseelt vor den ihm sonst so verhassten Journalisten, lässt immer noch eine Frage zu […]. Er schwärmt von dem ‚ganz besonderen Band‘, das Kim und ihn nun verbinde. Von der ‚großen Persönlichkeit’ des Koreaners, was für ein ‚talentierter Mensch‘ der sei, und ‚wie klug‘. Vor allem: was für ein ‚würdiger Verhandlungspartner‘. Ritterschlag.“
Ein Klassiker der westdeutschen Fernsehwerbung aus dem – gefühlt – Barock lautet: „Wenn einem so viel Gutes widerfährt, das ist schon einen Asbach Uralt wert.“ Vor allem dann, wenn man gar nicht so viel saufen könnte, wie man reihern möchte …

hh

Kriegsdienst als Lebensversicherung?

Frage: Wo überlebt man als Angehöriger der US-Streitkräfte am ehesten?
Antwort: Auf jeden Fall im Ausland und am besten im unmittelbaren Kriegseinsatz!
Klingt wie eine besonders makabere Pointe – oder?
Ist aber keine, wie man einem jüngst veröffentlichten Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses entnehmen kann. Der besagt, dass von knapp 16.000 seit 2006 im Dienst verstorbenen Streitkräfteangehörigen der USA lediglich 28 Prozent durch Kriegsgeschehen zu Tode kamen. 72 Prozent der Gesamtverluste gingen auf Unfälle, selbst zugefügte Verletzungen oder Krankheiten zurück, von denen sich wiederum 93 Prozent in den USA selbst ereigneten.
Wem die 28 Prozent Letalitätsrisiko in Kriegsgebieten allerdings immer noch zu hoch sind, der könnte natürlich grundsätzlich einen Bogen um die Uniform machen und auf die durchschnittliche Lebenserwartung männlicher US-Bürger vertrauen. Die lag Anfang 2017 immerhin bei knapp 79 Jahren.

am

50 Jahre „Prager Frühling“

2018 ist ein Jahr mit etlichen historischen Jahrestagen. Dreißigjähriger Krieg … Karl Marx … Ende des Ersten Weltkriegs … Studentenunruhen 1968. Sie alle haben bereits im Vorfeld ihren Niederschlag in zahlreichen Publikationen gefunden. Über den 50. Jahrestag des „Prager Frühlings“ sind solche Dokumentationen allerdings sehr, sehr rar gesät.
Woran das liegt, darüber soll hier nicht spekuliert werden. Vielmehr soll auf die bisher fast einzige Neuerscheinung zu diesem Thema aufmerksam gemacht werden. Im Reclam Verlag hat der Historiker Martin Schulze Wessel eine ausführliche und detaillierte Geschichte des „Prager Frühlings“ vorgelegt, die bisher nur als Ideologiegeschichte erzählt wurde. Diese Herangehensweise greift nach Ansicht des Autors allerdings zu kurz, weil es auch um eine Auseinandersetzung um die kulturellen Grundlagen einer Nation ging. Gleichzeitig war es der Versuch, den Sozialismus „von seiner chauvinistischen Imprägnierung zu befreien“.
Die Darstellung greift weit zurück und beginnt mit der Vorgeschichte, mit den politischen Verfolgungen in den 1950er Jahren und deren fehlender Aufarbeitung. Die Prager Bewegung, die vor allem von den Zukunftsvorstellungen einer neuen Generation beflügelt wurde, führte daher auch einen Kampf gegen Ressentiments und schuf damit die Bedingungen für die Möglichkeit von umfassenden politischen Reformen. Nach diesem Rückblick widmet sich der Autor den politischen und gesellschaftlichen Zielen des „Prager Frühlings“, der eine Neuausrichtung des Sozialismus „mit menschlichem Antlitz“ in der Tschechoslowakei anstrebte. Umfänglich werden die einzelnen Reformziele nicht nur analysiert, sondern auch dargelegt, inwieweit sie schließlich Eingang in die Programme des „Prager Frühlings“ fanden.
Die anschließenden drei Kapitel sind dann der Chronologie des „Prager Frühlings“ gewidmet – von den ersten Studentenprotesten und Novotnýs Sturz bis zur bitteren Rücknahme der schon errungenen Freiheiten. Trotzdem war mit 1968 deutlich geworden, dass sich die Verhältnisse ändern lassen. Auch mit der globalen Dimension des „Aufbruchs in eine neue Welt“ setzt sich der Autor auseinander, vor allem mit den Reaktionen in den Staaten des Warschauer Pakts. Ebenso werden die vielfältigen Gründe für das Scheitern der Reformbewegung beleuchtet. Die 325 Seiten sind eine prall gefüllte und anschauliche Darstellung mit vielen Hintergrundinformationen, auch der Nachgeschichte des „Prager Frühlings“.
Übrigens war meine Lektüre von vielen Erinnerungen begleitet. Schließlich weilte ich als junger Student (mit meiner Verlobten) Anfang August 1968 eine Woche in Prag. Beatles-Film „Help“ … Zeitschriften und Bücher westlicher Verlage … Zusammensitzen mit jungen Leuten aus Holland und Jugoslawien im U Fleků-Biergarten. Fast übermütig schlossen wir uns einer Studentendemonstration mit Dubček- und Hồ Chí Minh-Rufen an. Doch zwei Wochen später wurden auch viele ostdeutsche Hoffnungen zerschlagen. Aber, so noch einmal Schulze Wessel, „der Prager Frühling brach das Gehäuse der sozialistischen Zeitordnung auf, die mit ihrem schematisch vorgezeichneten Fortschritt keine Vorstellung von Kontingenz und Spontaneität zuließ.“ Die Aufbruchsstimmung und die Ideale der Frühjahrs- und Sommermonate 1968 haben jedoch ein halbes Jahrhundert überdauert – zumindest bei den jungen Leuten von damals.

Martin Schulze Wessel: Der Prager Frühling – Aufbruch in eine neue Welt, Verlag Philipp Reclam jun. Stuttgart 2018, 325 Seiten, 28,00 Euro.

Manfred Orlick

Medien-Mosaik

Zu den großen georgischen Filmregisseuren zählt Otar Iosseliani, der schon seit 1982 in Frankreich lebt. Sein Frühwerk „Die Singdrossel“ ist jetzt endlich wieder auf DVD erhältlich. In dem 1970 uraufgeführten Schwarzweißfilm (der bald auch in die DDR kam) griff Iosseliani offenbar eigene Erfahrungen so allgemeingültig auf, dass sich junge Männer seit Generationen mit dem recht unsteten Helden Gija identifizieren können – und durchaus nicht nur in Georgien! Gija ist Orchestermusiker, der Pauke spielt, und da dieses Instrument nur gelegentlich in den Musikstücken zu tun hat, kommt er meist knapp vor dem Einsatz oder verlässt das Orchester vor dem Finale. Er ist voll ausgelastet mit Flirten und mit Feiern, ein charmanter Schlawiner!
Iosseliani selbst hat Musik studiert, bevor er zur Mathematik wechselte und schließlich an der Moskauer Filmhochschule das Regiediplom erlangte. Dass er danach erst als Matrose und dann als Metallarbeiter wirkte, war vielleicht nicht ganz freiwillig, denn ihm war Formalismus vorgeworfen worden. Sein erster Film wurde 1967 in Cannes ausgezeichnet, und sein zweiter, eben „Die Singdrossel“ zeigte so viel Alltagsleben typischer junger Leute in Tbilissi, dass er damit weithin berühmt wurde.
Die Hauptrolle spielt Gela Kandelaki, der hier zum einzigen Mal in einer Kinorolle hervortrat. In der DEFA-Synchronisation gibt ihm Jaecki Schwarz die Stimme und passt sich der Rolle des Bruders Leichtfuß hervorragend an.
Die Singdrossel, Regie Otar Iosseliani, 1970, DVD bei Icestorm, 14,95 Euro.

*

Vor 50 Jahren wurde der erste Film mit der dänischen Olsenbande gedreht. Verschiedene Sender wiederholen die Spielfilmserie, und das Potsdamer Filmmuseum bietet eine opulente Ausstellung auf. Morten Grunwald (Benny) und Jes Holtsø (Børge) als letzte Überlebende der Stammbesatzung geben Interviews. Dabei sollte der Erfinder der Reihe, Erik Balling, nicht vergessen werden. Er führte bei 13 der 14 Filme Regie und schrieb die Drehbücher gemeinsam mit dem Szenenbildner Henning Bahs. Ihm widmete er ein Kapitel in seinen 1998 in Kopenhagen erschienenen Erinnerungen, die vor anderthalb Jahren endlich in einer deutschen Übersetzung von Guido Herda herauskamen.
Der Band mit dem Titel „Gedächtnisbilder – Über ein Leben, die Olsenbande und all die anderen schönen Filme“ lässt nicht nur viele Blicke hinter die Kulissen der Olsenbande-Filme zu. Der Rückblick stellt auch durch die umfangreichen Erläuterungen ein Gesellschaftsporträt des Nachkriegs-Dänemark dar. So ist die Olsenbande nur ein Teil der umfangreichen Memoiren des Regisseurs, der auch zahlreiche Folgen der TV-Serie „Oh, diese Mieter!“ inszenierte, die bei uns viele Freunde gewann. Balling, der in seiner Jugend aktiver Antifaschist war und sich später kritisch mit der Globalisierung auseinandersetzte, starb 2005 mit 81 Jahren.
Erik Balling: Gedächtnisbilder, übersetzt und lektoriert von Guido Herda, Mosamax-Verlag, Dresden 2016, 294 Seiten, 25,00 Euro.

bebe

Forever young

Man muss kein Lehrer gewesen sein, um sich jener Unterrichtsstunden zu erinnern, in denen Themen verhandelt wurden, mit denen sich bei den kindlichen Scholaren eigene oder zumindest familiäre Erfahrungen verbinden. Kaum finden einschlägige Stichworte durch den Lehrer Erwähnung – umgehend entspinnen sich Dia-, Tria- oder Multiloge in den Sitzreihen, wobei jeder das zum Besten gibt, was seine spontane Eingebung auslöst. Lehrern fordert es in diesen Fällen einige Energie ab, die Ruhe wiederherzustellen, um im Vortrag fortfahren zu können; Kinder sind halt nun mal so.
Wer aber etwa im Rahmen einer Reha – und das ausdrücklich nur als Beispiel diverser Anhäufung von älteren Semestern – an den dort verbindlich zu absolvierenden Vorträgen über Gesundheitsthemen teilnimmt, macht indes die zuverlässige Erfahrung, dass sogenannte Erwachsene auch nichts anderes sind als Kinder… Weder weiße Häupter noch mitgeführte Krücken oder Rollatoren vermögen diesen Eindruck zu entkräften. Geschnatter über Geschnatter im Saal, kaum dass ein Mediziner, Therapeut oder Ernährungsberater erwähnt, was alle an Problemen haben oder kennen, oder von denen sie zumindest schon gehört, ferngesehen oder in der Super-Illu gelesen haben: „Das ist bei mir auch so.“ „Das hat ja mein Mann schon gehabt, ich sage Ihnen…“. „Wir essen Fisch ja nun gar nicht.“ „Das habe ich schon mal bei RTL gesehen, war ja ganz furchtbar.“ „Der Arzt von meiner Schwägerin hat da ja ganz was anderes gesagt.“ „Der Sohn von unserem Gartennachbarn ist ja auch Arzt“ …
Interpatientielle Mitteilsamkeit allüberall, mit dem Nebeneffekt, dass der Dozent nach irgendwann wieder eingekehrter Ruhe verlässlich nach dem gefragt wird, über das er in das Geschnatter hinein zu informieren versucht hatte.
Was also lehrt uns solcherart Erlebnis? Forever young – von der Erfüllung dieses alten Menschheitstraums sind wir viel weniger weit entfernt, als wir gemeinhin vermuten!

PS: Da Gender 2.0 ff berechtigter Weise einfordern, die Rolle der Frau ausdrücklich und gegebenenfalls separat zu würdigen, sei hier –nicht nachtragend – nachgetragen, dass die geschilderten Erfahrungen sehr, sehr oft vom schönen Geschlecht verkörpert werden …

Helge Jürgs

Limericks: Einer kommt selten allein …

Dank Wifi nahezu allüberall kann man sich heute Das Blättchen selbst dann reinziehen, wenn man gerade ein paar Wandertage im Hotzenwald, einer eher abgelegenen Ecke des Südschwarzwaldes nahe der Schweizer Grenze, verbringt. So scrollte ich mich dieser Tage – physisch nicht unangenehm ermattet, nachdem sich der Rundkurs des Tages infolge permanenter Inkontinenz, das Lesen von Karten und Wandertourmarkierungen im dunklen Tann betreffend, gefühlt mal wieder locker auf das Doppelte der geplanten Strecke gelängt hatte – durch die Ausgabe 13 und war besonders erfreut, dabei auf ein kleines Konvolut von Limericks zu stoßen.
Mir selbst sind schon seit einigen Jahren keine rechten mehr eingefallen.
Auch alles Dichten hat eben offenbar seine Zeit.
Doch einen kleinen initialen Kick muss es wohl doch gegeben haben, denn kaum war am nächsten Tag der betreffende Ort durchschritten, flogen mir aus den Tiefen meiner grauen Zellen folgende Zeilen zu:

Ein Schwarzwaldbauer aus Rickenbach
lag nächtens sinnend im Bette wach:
„Von draußen tönt’s – Muh!
Da ruft mich die Kuh,
doch geh’ ich, schlägt wieder die Alte Krach.“

Und auf der Rückfahrt aus dem Schwarzwald nach Berlin synapsierte es auf der Autobahn weiter:

Ein Kleinkrimineller aus Geyern
ging statt klauen viel lieber feiern,
hatte wenig Geschick
und auch sonst selten Glück.
Den hatten sie rasch – am Schlafittchen.

Ein todkranker Siecher aus Triptis,
den jedes Organ schnöd’ im Stich ließ,
hatte trotz seiner Qual
natürlich die Wahl:
zwischen Scylla oder Charybdis.

Und was die Limericks von Heinz Hermann Michels anbetrifft:
Bitte mehr davon!

Thaddäus Faber

Aus anderen Quellen

In einem zusammenfassenden Beitrag zu den Plädoyers der Anwälte von Beate Zschäpe im Münchner NSU-Prozess zitiert Andreas Förster den Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, der „gleich zu Beginn seines Schlussvortrages einen Freispruch und die umgehende Freilassung Zschäpes [fordert]. ‚Frau Zschäpe ist keine Terroristin, keine Mörderin und keine Attentäterin‘ […].“ Förster resümiert: „Die Angeklagte war nachweislich an keinem der Tatorte, auch konnten keine Spuren von ihr an den Tatwaffen und Tatmitteln nachgewiesen werden. Allerdings hat sie eingeräumt, jeweils nach den Morden und Bombenanschlägen davon erfahren und darüber mit ihren Lebensgefährten gesprochen zu haben. Das aber könne – so sieht es Grasel (einer der Wahlverteidiger von Zschäpe – die Redaktion) – laut BGH ebenso wenig als Beihilfe gelten wie ‚neutrale Handlungen‘, zu denen er etwa das Führen einer Haushaltkasse zählt. Weil die Todesschützen Mundlos und Böhnhardt nicht mehr am Leben sind und einzig Zschäpe vom Trio übrig sei, dürfe nun nicht nach dem Motto ‚Den Letzten beißen die Hunde‘ Recht gesprochen werden, mahnte Grasel noch und beendete sein Plädoyer mit dem ungeheuerlich klingenden, aber juristisch korrekten Satz: ‚Der Rechtsstaat wird es aushalten müssen, dass es Verbrechen gibt, für die die eigentlichen Täter nicht mehr belangt werden können.‘“
Andreas Förster: Zschäpe-Plädoyer im NSU-Prozess. Die Pflicht des verschmähten Trios, Berliner Zeitung (online), 05.06.2018.Zum Volltext hier klicken.

*

 „[…] in keinem Land gibt es so viele Amokläufe wie in den USA. Allein im vergangenen Jahr waren es 346 Schießereien mit vier oder mehr Toten. Fast jeden Tag ein Vorfall“, schreibt Nicola Meier und fährt fort: „Orte und Motive der Amokläufe mögen variieren. […] Was nicht variiert, ist die Waffe, derer sich die Täter bedienten. San Bernardino, Sutherland Springs, Las Vegas, Parkland: An jedem dieser Tatorte fand die Polizei hinterher ein ganz bestimmtes Gewehr. Das AR-15. Es ist die mit Abstand meistgenutzte Waffe bei Amokläufen in den USA. […] ist ein sogenanntes halbautomatisches Gewehr.“ Und die Autorin erläutert: „Bevor ein Soldat ein M16 (Standardgewehr der US-Streitkräfte – die Redaktion) benutzen darf, muss er ein langes Training absolvieren. Bis zu 100 Stunden allein im Einstiegskurs. Die Gebrauchsanweisung der U. S. Army für das M16 ist 400 Seiten lang. […] Wenn ein Zivilist ein AR-15 benutzen möchte, geht er einfach in einen Laden und kauft sich eines. Juristisch zählt das AR-15 in den meisten US-Bundesstaaten als Langwaffe – genauso wie eine relativ harmlose Flinte für die Jagd. Und wer eine Langwaffe besitzen möchte, der muss deutlich weniger Hürden überwinden als etwa bei einer Pistole. Für deren Kauf ist eine Schusswaffen-Genehmigung vorzuweisen, außerdem muss der Kunde mindestens 21 Jahre alt sein. Aber jeder Bürger kann, sobald er 18 wird, ohne weitere Beschränkung eine Langwaffe kaufen. Oder zwei. Oder drei.“
Nicola Meier: Sturmgewehr AR-15: Die Massenvernichtungs-Waffe, Zeit Online, 04.04.2018.Zum Volltext hier klicken.

*

Knapp 30 Jahre nach der Implosion des real existierenden Sozialismus ein Blick zurück: „Gorbatschow“, so schreibt Neal Ascherson, „hat nie begriffen – oder sich eingestanden –, dass die Partei nicht das Instrument für die angestrebten Veränderungen sein konnte. Dieser gigantische Apparat war so verkommen und demoralisiert, dass alle Versuche, ihm demokratischen Geist einzuflößen, seinen Tod nur beschleunigt haben.“ Und: „Michail Sergejewitsch gilt ja gemeinhin – wir erinnern uns an die ‚Gorbi, Gorbi‘-Rufe – als der Befreier der ‚gefangenen Nationen‘ des ‚sozialistischen Lagers‘. Tatsächlich war ihm weitgehend egal, was in den Warschauer-Pakt-Staaten passierte, solange es seinen Plänen nicht in die Quere kam. Mit Mrs. Thatcher zu streiten oder mit ketzerischen italienischen Kommunisten über Andrei Sacharow zu diskutieren, das machte ihm Spaß.“
Neal Ascherson: Die Gorbatschow-Story, Le Monde diplomatique, 08.03.2018. Zum Volltext hier klicken.

*

„Je perfekter unsere Abfallwirtschaft, desto größer das Problem mit dem Plastik. Wie ist das möglich?“, fragen Dirk Asendorpf und Kollegen und geben eine ausführliche, empirisch breit untersetzte Antwort. Deren Quintessenz könnte folgendermaßen zusammengefasst werden: Einerseits – „Beim Plastik fühlen sich die Deutschen aufgrund ihres technologischen Vorsprungs über die Folgen des Konsums erhaben. Sie verschmutzen den Planeten nicht gewissenlos – es ist schlimmer. Sie verschmutzen ihn mit gutem Gewissen.“ Weil sie „[…] glauben, dass das Recycling-System einwandfrei funktioniert. Doch das stimmt nicht.“ Denn tatsächlich werden „noch nicht einmal 20 Prozent (der jährlich in Deutschland anfallenden Plastikverpackungen – die Redaktion) wiederverwendet […]. Das ganze deutsche Plastik-Recycling ist eine Mogelpackung.“ Und andererseits – „der Verbrauch von Kunststoff steigt in Deutschland an – von Jahr zu Jahr.“
Dirk Asendorpf et al.: Plastikmüll: Für immer Dein, Zeit Online, 19.04.2018. Zum Volltext hier klicken.

*

„Camp Castor“, berichtet Charlotte Wiedemann von einem Besuch bei der Bundeswehr in Mali, das „Lager des deutschen Kontingents in der weltweit gefährlichsten UN-Mission überrascht durch seine Ruhe. Ein jeder geht mit zügigen und gemessenen Schritten von A nach B; die einen mit Maschinenpistole, die anderen mit Akten. Dies ist ein bürokratischer Apparat, in dem jeder seine Aufgabe hat und jeder Handgriff eine Regel. Die meisten der knapp tausend Soldaten verbringen ihren gesamten viermonatigen Aufenthalt ausschließlich im Inneren dieses Apparats. Ein umfriedetes Areal, von dem aus Mali nicht zu sehen ist.“ Und: „Es ließen sich eine Reihe von politischen Gründen anführen, warum die UN-Mission Mali bisher nicht sicherer, sondern eher unsicherer gemacht hat. Ethnografisch betrachtet passen allein schon die Linien nicht zueinander und die mit ihnen korrespondierenden Sichtweisen.“
Charlotte Wiedemann: Auf fremder Erde. Zu Besuch bei der Bundeswehr in Mali, Le Monde diplomatique, 07.06.2018. Zum Volltext hier klicken.

*

Berthold Kohler gehört zum Herausgeberkreis der FAZ. Vor einiger Zeit gab er Veranlassung, im Blättchen einen geharnischten Strauß mit ihm auszufechten. Aber natürlich verfasst auch dieser konservative Kollege keineswegs ausschließlich Unsinn. Dieser Tage machte er sich Gedanken über die Kanzlerinnendämmerung im Lande und eine mögliche Selbstzerlegung der Union: „Die Zerstrittenheit, die Verbitterung und das politische Chaos aber, mit denen nach einer Scheidung von CDU und CSU zu rechnen wären, kann nur jenen egal oder sogar recht sein, die hoffen, dass der Kernschmelze die Sintflut folge. […] Die Lust auf Zerfall und Zerstörung ist auch in diesem Land wieder erschreckend groß geworden. Ein erhebliches Ausmaß nahm auch die Leichtfertigkeit an, mit der für billigen Beifall zur Demontage freigegeben wird, was nach dem letzten großen Krieg in Europa mühsam aufgebaut wurde, um den Absturz oder auch das schleichende Hineingleiten in eine weitere europäische Katastrophe zu verhindern.“ Und: „Wer die Kanzlerin aber als den einen bösen Geist erscheinen lässt, der hinter allem steckt, was in Deutschland und in der EU katastrophal falsch läuft – also nicht nach den jeweils eigenen Vorstellungen –, der macht es nicht nur sich selbst zu einfach, sondern auch all jenen, die eine ganz andere Republik wollen und ein ganz anderes Europa.“
Berthold Kohler: Nach der Kernschmelze die Sintflut, Frankfurter Allgemeine(online), 24.06.2018. Zum Volltext hier klicken.