von Wolfgang Schwarz
… zumindest wenn es nach einem Möchtegern-Strategen namens Berthold Kohler ginge, seines Zeichens einer der Herausgeber der FAZ. Der hat sein Gebot der Stunde vor kurzem der Öffentlichkeit kundgetan: Donald Trump wolle „den Rückzug Amerikas aus der Welt befehlen“ und werde „die Verteidigung Europas in einem Maße den Europäern überlassen, das sie seit 1945 nicht mehr kennen“. Die Erhöhung der Militärausgaben und die Wiedereinführung der Wehrpflicht – Kohler fordert beides, warnt aber im selben Atemzug – würden zur Bewältigung dieser Herausforderung nicht ausreichen. Es stelle sich vielmehr „die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit, welche die Zweifel an Amerikas Garantien ausgleichen könnte“. Und Kohler liefert die Größenordnung, die ihm vorschwebt, gleich mit: acht nukleare Träger-U-Boote und 60 Luft-Boden-Raketen mit etwa 360 einsatzbereiten Sprengköpfen wären keinesfalls genug. Auf diese Zahlen summieren sich derzeit die Nuklearpotenziale Frankreichs und Großbritanniens, die, so Kohler, „in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schwach“ seien. Denn: „Moskau […] rüstet auf.“
Seit Franz-Josef Strauß als bundesdeutscher Verteidigungsminister mit seinem Vorhaben, die Bundeswehr unmittelbar mit Atomwaffen auszustatten – entsprechende Pläne legte Strauß 1957 vor – gescheitert war, mussten sich bekanntlich alle west- und gesamtdeutschen Regierungen damit bescheiden, dass die Bundesrepublik nur bei Kriegsausbruch gegebenenfalls Atommacht würde. Dann nämlich, wenn deutsche Trägersysteme (derzeit: ein Geschwader Tornado-Kampfbomber) mit US-amerikanischen Sprengköpfen armiert und eingesetzt würden. Das meint der Fach-Euphemismus nukleare Teilhabe. Mutmaßlich bis zu 20 Atombomben hält das US-Militär dafür auf dem Bundeswehrfliegerhorst Büchel in der Eifel vor.
Für Kohler scheint mit Trump auch diese Teilhabe zur Disposition zu stehen, denn der FAZ-Mann hält sich gar nicht erst damit auf, sondern spricht gleich Klartext: Deutsche Kernwaffen müssen her! Und den Gegnern solcher Überlegungen meißelt er gleich noch mit ins Stammbuch: Es sei Ergebnis der Abschreckungspolitik, „dass sich der Kalte Krieg nicht in eine nukleare Apokalypse verwandelte“.
Kohler kalkuliert dabei offenbar mit der Vergesslichkeit respektive Unwissenheit des Publikums. Oder er weiß es selbst nicht besser. Das eine wie das andere spräche nicht für ihn.
Auch nach Beendigung des Kalten Krieges und nach Öffnung diverser Archive im Osten hat sich kein Beleg dafür gefunden, dass Moskau und der Warschauer Pakt jemals substanzielle Angriffsabsichten gegen den Westen gehegt oder gar Operationspläne geschmiedet hätten, um einen Angriffskrieg vom Zaun zu brechen. Aus der Tatsache, dass es zu keinem Krieg zwischen den Pakten gekommen ist, also auf einen Erfolg der westlichen Abschreckungspolitik zu schließen, stellt den dergestalt Gläubigen in die Reihe der wahren Gläubigen: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ (Johannes 20,29)
Andererseits hat die Abschreckungspolitik mit dem im Wesentlichen durch sie verursachten Wettrüsten dazu geführt, dass es zeitweise über 60.000 Atomsprengköpfe auf der Welt gab. Auch heute noch bestehen solche Overkillkapazitäten, dass sich jede auf die nukleare Ebene eskalierende militärische Ost-West-Auseinandersetzung nahezu zwangsläufig in eine „nukleare Apokalypse“ verwandeln würde. Mit deutschen Kernwaffen noch draufzusatteln, gliche dem Versuch, die Krankheit quasi zu ihrer eigenen Therapie zu machen. In der Alternativmedizin mag man das in nicht lebensgefährlichen Fällen ja durchaus versuchen …
Wenn Kohler behauptet, nukleare Abschreckung sei im Kalten Krieg „die Basis für eine friedliche Koexistenz und […] Abrüstungsinitiativen“ gewesen, und damit implizit den Gedanken nahelegt, dass Kernwaffen in deutscher Hand unsere Sicherheit erhöhen würden, liegt er damit ein weiteres Mal daneben: Vor einer nuklearen Supermacht sicher wäre man nicht einmal dann, wenn man selbst diesen Status hätte – bestenfalls stürbe man im Falle des Falles als zweiter –, sondern nur, wenn man mit ihr möglichst verbündet, auf gar keinen Fall aber verfeindet ist. Alles andere, so hat der Kalte Krieg hinreichend unter Beweis gestellt, ist Augenwischerei – mit je mehr Geld fürs Militär, desto sinnloser, ob nun mit Kernwaffen oder ohne.
Kohlers Befürchtungen hinsichtlich Trump sind allerdings durchaus ein Grund mehr, das Verhältnis zu Russland endlich prinzipiell anders anzugehen und Moskau eine Sicherheitspartnerschaft anzubieten.
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