19. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2016

Bemerkungen

Das war nur ein Moment …

1977 hatten schon viele gute Künstler die DDR verlassen, jeder Weggang war betroffen zur Kenntnis genommen worden, aber als 1977 Manfred Krug ging, war das ein Schock. Den konnte man doch nicht gehen lassen! Was dachte man sich denn da in der Parteiführung? Die Biermann-Ausweisung hatte schwere Folgen für das Kulturleben, die DDR war enger und muffiger geworden.
Ich war ehrlich traurig, seine Schallplatten liefen den ganzen Tag. „Das war nur ein Moment“, „Ein Hauch von Frühling“, „Greens“, ich tröstete mich mit der so wunderbar vorgetragenen „Kuh im Propeller“. Videos gab es noch nicht, ganz sicher hätte ich sonst auch seine Filme noch einmal angesehen. Vom König Drosselbart, über Parteisekretäre, Spanienkämpfer, Balla. „Mir nach, Canaillen“ – erhielt eine zweite Bedeutung. Dass auch Krug nicht glücklich war, konnte man den Interviews im Westfernsehen entnehmen. Und auch, dass er sich jeglicher Verteufelung der DDR enthielt.
Die Warnzeichen eines Niedergangs der DDR waren zumindest kulturpolitisch unübersehbar, aber sie zeigten wenig Wirkung bis zum schnellen Untergang 1989/90. Der Manne, den man kannte, kam aber nicht als Sänger zurück, sondern war als „Liebling Kreuzberg“ und als Tatortkommissar im Westen angekommen, ein Star, aber nicht Der Star, der er für das Ostpublikum gewesen war. Dennoch – das haben nur wenige der Künstlerkollegen geschafft. „Die Kuh im Propeller“ erwies sich in den Neunzigern auch als ein untrügliches Erkennungsmerkmal für „Ossis“. Wenn jemand auf den Fragefetzen „Auch Pferde?“ die richtige Antwort hatte, war der Gesprächspartner geortet.
Die Hoffnung, recht bald wieder das kreative Gespann Fischer und Krug musizieren zu hören, erfüllte sich nicht. Ganz offensichtlich gab es tiefe Gräben. Krug hatte das Thema in seinem Buch „Abgehauen“ allgemein thematisiert, ohne Günter Fischer zu nennen. Vermutungen, jedenfalls kam es zu keiner Zusammenarbeit mehr – schade für beide. Immerhin gab es in den letzten Jahren gemeinsame Konzerte mit Sängerpartnerin Uschi Brüning.
Manfred Krug fand, nachdem er seine Schauspielerkarriere beendet hatte, ein neues Betätigungsfeld. Sein erstes Buch „Mein schönes Leben“ war eine echte Überraschung – weil so gut, so warmherzig geschrieben – und nicht zuerst die Lobpreisung eigener Karriere, wie sonst nur zu oft in Autobiografien. Was für eine ehrliche, tiefe Verbeugung vor seiner Großmutter. Ein ganz anderer Manne kam zum Vorschein und passte so gut zum bekannten Manne Krug. Nun ist sein Moment vorbei. Gut, dass Filme, Bücher und Schallplatten bleiben und uns den „Hauch von Frühling“ spüren lassen.

Margit van Ham

Im falschen Film

Nun ist CETA also doch unterschrieben worden. Unklar bleibt, was daraus werden wird. Immerhin – für Belgien ist das zentrale Problem der privaten Schiedsgerichte ausgeschlossen worden.
Die letzten Tage und Wochen des CETA-Spektakels schienen surreal. Nachrichten auf allen Kanälen barmten, dass eine kleine Region wie die Wallonie das große Wollen der EU zerstören könne. All die Vorteile von CETA, die Beziehungen zu Kanada, der Ruf der EU seien in Gefahr. Es schien zumindest auf Medien- und Politikebene so, als ob ganz Deutschland um das CETA-Abkommen bange. Martin Schulz schloss in einem Interview aus der Zustimmung von SPD-Funktionären zum Abkommen gar auf eine breite Zustimmung in Deutschland. (Realität und Funktionärsdasein in Brüssel scheinen nicht kompatibel zu sein.)
Irgendwie lief da ein völlig falscher Film ab. Es gab keine Hinweise auf die Proteste gegen TTIP und CETA, den Widerspruch in großen Teilen der Bevölkerung, keine Hinweise auf die beiden großen Demonstrationen, die immerhin viele Zehntausende auf die Straßen gebracht hatten. Die Verantwortung der Medien für eine kritische Spiegelung der Fakten war nicht erkennbar, Verschweigen, Umdeuten ganz offenbar die Devise. Das böse Wort von der „Lügenpresse“ ist leider von rechts besetzt – aber der Wahrheitsfindung und Vertrauensbildung diente diese Berichterstattung nicht.

mvh

Ernst Ludwig Kirchner

Kaum ein Museum in Deutschland kann die Vielfalt im Schaffen Ernst Ludwig Kirchners so eindrucksvoll präsentieren wie die Nationalgalerie zu Berlin mit ihrem Bestand. Dem Besucher aber erschließt sich dies normalerweise nicht, denn ein Teil der Werke wie Zeichnungen ruht meist in den Schüben des Kupferstichkabinetts.
Umso verdienstvoller ist die derzeit im Hamburger Bahnhof laufende Ausstellung „Ernst Ludwig Kirchner: Hieroglyphen“, die den Berliner Bestand von 17 Werken erstmals geschlossen zeigt. Dabei fesselt Kirchners Porträt-Zeichnung seines Kollegen Max Liebermann von 1926 ganz besonders.
Mit dabei sind auch so großartige Gemälde wie das „Porträt Erna Schilling“ (1913) der Berliner Nachtclubtänzerin und Frau an der Seite des Künstlers, und Kirchners „Selbstbildnis mit Mädchen“, das ein Jahr später entstand.
Nicht zuletzt darüber, dass der Künstler die Rezeption seiner Werke ebenso wie deren mediale Vermarktung nicht dem Zufall überließ, informiert die Exposition: Sie zeigt kunstkritische Zeitschriftenaufsätze, die Kirchner seit Anfang der 1920er Jahre unter dem Pseudonym Louis de Marsalle über sein eigenes Schaffen publizierte. Er trieb das Spiel mit dem fiktiven Zeitgenossen so weit, dass er ihn selbst gegenüber realen Zeitgenossen popularisierte. In einem Brief an den Kunsthistoriker Ernst Gosebruch vom 21. Januar 1920 vermerkte Kirchner: „Ich habe hier einen französischen Dichter kennen gelernt. Ich staune und freue mich, wie der ruhig, sachlich, anspruchlos, verständlich über Kunst denkt und schreibt. Er interessiert sich sehr für meine Arbeit und wird über meine Zeichnungen schreiben.“
Ergänzt wird die Ausstellung durch Werke zweier zeitgenössischer Künstler. Rudolf Stingel, in New York lebend, hat Gemälde nach fotografischen Vorlagen Kirchners geschaffen, und die Italienerin Rosa Barba hat die Kirchner-Sammlung im Depot der Neuen Nationalgalerie gefilmt.

Alfons Markuske

Ernst Ludwig Kirchner: Hieroglyphen. Mit Beiträgen von Rosa Barba und Rudolf Stingel“, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, noch bis 26.02.2016.

Erinnerungen an den Ostseeurlaub

Mecklenburgische Fischsuppe
Wismarer Heringsröllchen
Zingster Steckrübeneintopf
Stralsunder Störtebeker Bier
Rügener Karpfen
Hiddenseer Sanddornkuchen
… und zur Verdauung
Rostocker Kümmelschnaps …

Martin Grobe

Kurze Notiz zu Wolmirstedt

Das Wappen von Wolmirstedt zeigt die Heilige Katharina, Nothelferin bei Zungenbeschwerden und Sprachproblemen. Und diese Dame wird sicher auch von ungläubigen Besuchern der Stadt oft angerufen, denn Wolmirstedt macht unglaublich sprachlos.
Könnte sich Magdeburg einen Speckgürtel leisten, läge das benachbarte Wolmirstedt darin. So aber befindet es sich in jenem Zipfel der Börde, der an die Altmark und das Jerichower Land grenzt. Dort ist es landschaftlich sehr schön: saftige Felder, recht flaches Heideland, die Elbe, der Mittellandkanal – aber dann eben Wolmirstedt, das dieses schöne Panorama versaut und in den Besuchern panische Fluchtgedanken aufkommen lässt, zugleich aber auch die beklemmende Befürchtung, dass es hinter dieser Stadt noch ähnlich deprimierende Löcher geben könnte.
Die Stadt hat einfach keinen Charakter, das macht sie so unerträglich. Dörfliche Behausungen und Plattenbauten ergeben kein stimmiges Bild, so eng beieinander. Halb saniert, halb verfallen, weiß die Stadt nicht, was sie eigentlich will. Das Flair fehlt.
Der Wochenmarkt in der Triftstraße bietet Glückwunschkarten, polnischen Käse und Toilettenbürsten, dazwischen sind subtropische Amphibien aus Beton in die Straße eingelassen – so bezugslos wie Muscheldeko im Gäste-WC.
Die Schlossdomäne passt so übermäßig aufgehübscht nicht zum Rest der Stadt, der sie umgibt. Das dort in der gewesenen Hofscheune untergebrachte Museum zeigt das Inventar einer Scheune und verdeutlicht die historische Bedeutungslosigkeit, in der Wolmirstedt nach wie vor verhangen ist.
Auf dem Schlosshof davor stehen Hirte, Schafe und Hütehund aus Bronze. Genauso erstarrt wie sie erscheint die ganze Stadt. Wer noch nicht abgewandert ist, bewegt sich ein Müh langsamer als anderswo. Oder scheint es nur so? Man möchte nicht darüber nachdenken – man möchte nur weg.

Thomas Zimmermann

Medien-Mosaik

Der oft als „Kavalier der heiteren Muse“ bezeichnete Tenor Heiko Reissig hat jetzt ein „großes Jubiläumsalbum“ herausgebracht. In diesem Jahr ist er 50 geworden und feierte dazu auch sein 40. Bühnenjubiläum, denn schon als Kind wirkte er bei „Hänsel und Gretel“ mit. Sein Doppelalbum verbindet die Leidenschaft für die anspruchsvolle Unterhaltungsmusik mit der Oper – wobei ja auch Opern zur Unterhaltung geschaffen werden! Darum hat er eindrucksvolle Arien von Händel und Gluck ausgewählt, und auch Chopins Melodie „In mir klingt ein Lied“ singt er Anneliese Rothenberger überzeugend nach. Das Gros bilden aber Operettenmelodien von Kálmán und Lehár, Filmmelodien von May, Heymann und Grothe, Schlager von Loewe, Natschinski bis zu Holger Biege, und auch Reissigs eigene Kompositionen fügen sich gefällig in diesen Reigen. Wer den charmanten Wirbelwind auf der Bühne erlebt hat, kennt seinen Humor, seine komödiantischen Einlagen, die in diesem Album leider fehlen. Was ist er für ein herrlicher Duett-Partner! Aber es gibt auch keine gesangliche Zweisamkeit in dieser Auswahl, die dadurch zwar stilistisch gekonnt auf einem hohen Niveau verharrt, aber Überraschungen bleiben weitgehend aus. Seine instrumentalen Partner sind aber nicht zu verachten: das Filmorchester Babelsberg, Kurt Fritsche am Akkordeon, Jihua Sun am Klavier und vor allem Startrompeter Walter Scholz, der einen eigenen, von Reissig getexteten Titel begleitet.

Heiko Reissig: Melodie der Liebe, Doppel-CD, bei Berolina-Musica und Europäische Kulturwerkstatt, 20 Euro.

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Bevor zum Jahreswechsel die neue Ausgabe erscheint, sei auf den Band 2016 (bereits den 12.) der verdienstvollen Reihe „Deutsche Comicforschung“ hingewiesen. Herausgeber und Hauptautor Eckart Sackmann forscht akribisch der Geschichte der Bildgeschichten in Deutschland nach und lässt damit einem unterschätzten populären „Trivialgenre“, das sich gegenwärtig immer mehr Leser erobert, Gerechtigkeit widerfahren. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die Zeit seit Urvater Wilhelm Busch, dessen britische Nachahmer aus der Zeit des Ersten Weltkriegs er mit zahlreichen Beispielen vorstellt. Im jüngsten Band stellt er beispielsweise Friedrich Schiller als Zeichner der Bildgeschichte „Avanturen des neuen Telemachs“ von 1786 vor. Der Kunstprofessor Dietrich Grünewald weiß darüber viel zu erzählen.
Während Schillers Originale heute in New Haven zu finden sind, befindet sich Moritz von Schwinds Zyklus „Die sieben Raben“ in einem Weimarer Museumsdepot. Sie sind öffentlich nicht zu sehen und werden nun immerhin in Sackmanns Jahrbuch in beeindruckendem Farbdruck vorgestellt.
Doch die Überraschungen der Frühzeit der Bilderzählungen bilden nicht den Hauptteil. Der gehört dem 20. Jahrhundert. Da findet man Beispiele für frühe Zeitungs-Strips mit Micky Maus, teils von deutschen Zeichnern unter Umgehung des Copyrights verfertigt. Besonders interessant ist Sackmanns Analyse der im Völkischen Verlag Düsseldorf seit 1932 erschienenen „Braunen Post“, in der auch mit Sprechblasen-Comics die Nazi-Agitation humorvoll begleitet wurde. In einem anderen Beitrag erinnert Guido Weißhahn an die Auseinandersetzungen um Comics in der DDR und die bei den Staatlichen Museen in Berlin angesiedelte „AG für die Freunde der Bildgeschichte“ des Kunstwissenschaftlers Paul Thiel in den siebziger Jahren.

bebe

Eckart Sackmann (Hrsg.): Deutsche Comicforschung 2016. comicplus+ Verlag Sackmann und Hörndl, Leipzig 2015, 144 Seiten, 39 Euro.

Wirsing

In einem aus Sorge um die Volksverräter in unserem Lande geschriebenen Artikel zitierte der Journalist Christian Bommarius in der Berliner Zeitung (vgl. Antworten in Nr. 22) den „Weimarer Journalisten Kurt Tucholsky“. Zweifellos ist der in Berlin geborene, in Stettin eingeschulte und in Jena promovierte Autor irgendwann auch mal in Weimar gewesen. Leserin D.W. fragte bei der Berliner Zeitung an, warum der Berliner Tucholsky, der seit 1924 überwiegend in Frankreich, der Schweiz und in Schweden lebte, ein Weimarer sein soll. In der Antwort hieß es, Tucholsky sei „der Journalist der Weimarer Republik“ gewesen und daher würde er heute „allgemein als Weimarer Journalist bezeichnet“. Vielleicht waren dann Rudolf Augstein und Henri Nannen Bonner Journalisten? Auch Bommarius aus Frankfurt am Main ist dann einer, denn er begann seine Laufbahn in der Bonner Republik.

Fabian Ärmel

Aus anderen Quellen

Am 26. Oktober 2016 war den Medien zu entnehmen, dass sich die Munitionsexporte deutscher Unternehmen im ersten Halbjahr 2016 auf 283,8 Millionen Euro mehr als verzehnfacht hatten. Das war die passende, wenn auch makabre Begleitmusik zu einer Studie mit dem Titel „Hemmungslos in alle Welt. Die Munitionsexporte der Rheinmetall AG“, die am Abend desselben Tages in Berlin vorgestellt wurde. Autor ist der Gründer und Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), Blättchen-Autor Otfried Nassauer.
„Munition ist ein Grundnahrungsmittel für Kriege“, hieß es in einer Ankündigung. Und weiter: „Ohne Munition kein Krieg. Dem Export von Waffen stehen über 80 Prozent der Deutschen kritisch gegenüber. Daher muss es erstaunen, dass der größte in Deutschland ansässige Rüstungskonzern, die Rheinmetall AG, in den letzten 10 Jahren ohne öffentliche Debatte zu einem der größten Munitionslieferanten der Welt aufsteigen konnte. Rheinmetall liefert in laufende Kriege, an autoritäre Regime, die, wie Saudi-Arabien, die Menschenrechte missachten. Der Konzern hat gezielt Strategien entwickelt, um nationale und europäische Beschränkungen für Waffenexporte zu umgehen.“
Otfried Nassauer: Hemmungslos in alle Welt. Die Munitionsexporte der Rheinmetall AG, BITS-Research Report 16.01. Zum Download der Studie hier klicken.

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„Es heißt heute immer wieder, der Islam bedürfe einer Reformation“, schreibt Arno Widmann und fährt fort: „Darin drückt sich ein völliges Missverständnis dessen aus, was die Reformation war. Die Reformation war der Islamismus des Christentums. Sie war der fanatische Versuch der Wiederherstellung der reinen Lehre. Luther war kein kritischer Kopf. Er war entflammt. Und er setzte andere in Flammen.“
Arno Widmann: Der Islamismus des Christentums, Frankfurter Rundschein (online), 30.10.2016. Zum Volltext hier klicken.

WeltTrends aktuell

Die riesige Region im Inneren Asiens findet nur selten die Aufmerksamkeit der Massenmedien. Während die fünf ehemaligen Unionsrepubliken der Sowjetunion – Kasachstan, Kirgistan, Tadshikistan, Turkmenistan und Usbekistan – noch nach ihrem Weg suchen, ringen Russland, China und die USA um Einfluss in der geopolitisch wichtigen Region, in die der islamistische Terrorismus zunehmend eindringt. Im Themenschwerpunkt analysieren Experten aus Zentralasien und Europa innen- und außenpolitische Probleme der fünf jungen Staaten.
Mit neuen Akzenten der japanischen Sicherheitspolitik, dem Konflikt in der Westsahara und der Gewalt im bolivianischen Bergbausektor beschäftigen sich die Weltblicke.
In der Analyse zieht Klaus Larres (University of North Carolina) eine Bilanz der Außenpolitik von Präsident Barack Obama.
Für einen Neustart der EU plädiert Gregor Gysi im Zwischenruf, während Kerstin Kaiser (RLS Moskau) sich im Kommentar mit den Ergebnissen der russischen Duma-Wahlen auseinandersetzt.

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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 121 (November) 2016 (Schwerpunktthema: „Zentralasien – 25 Jahre Unabhängigkeit“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.