18. Jahrgang | Nummer 5 | 2. März 2015

Bemerkungen

Fritz J. Raddatz, 3.9.1931 – 26.2.2015

Grade erst durfte sich das Blättchen der wohlwollenden Mitwirkung Fritz J. Raddatzʼ an der Sonderausgabe zum 125. Geburtstag Kurt Tucholskys erfreuen, da hat uns nun die Nachricht von seinem Tod am 26. Februar ereilt, einen Tag vor der Präsentation seines nun ultimativ letzten Buches „Jahre mit Ledig“, ein Erinnerungsband über die Rowohlt-Jahre Raddatzʼ, in denen er maßgebliches für das Renommee dieses großen deutschen Verlages geleistet hatte.
Wir wollen an dieser Stelle nicht wiederholen, was mittlerweile in allen Medien ausführlich über FJRʼs Vita und vornehmlich über seine Stationen als Verlagsverantwortlicher, als Publizist, Literaturkritiker, Journalist und als Buchautor zu lesen, zu hören und zu sehen war.
Seiner besonderen Affinität zur legendären Weltbühne und dabei natürlich auch zu Kurt Tucholsky wegen soll im Blättchen an dieser Stelle vor allem des beispiellosen und bleibenden Verdienstes gedacht werden, das sich FJR um die Bewahrung des Tucholskyschen Erbes erworben hat. Gemeinsam mit Tuchos einstiger Ehefrau Mary Gerold-Tucholsky hatte Fritz J. Raddatz 1969 in Hamburg die Kurt-Tucholsky-Stiftung ins Leben gerufen, die bis Ende 2005 die Urheberrechte am Werk Tucholskys besaß und auf mannigfaltige Weise dessen Werk verbreiten half. FJR war dabei aber nie „nur“ Tucholskys Erbwalter. In gleich mehreren Büchern hat er den großen und ihm so nahen Publizisten selbst porträtiert; Raddatz´ Liebe zu dem Mann mit den fünf PS ist aus jeder Zeile herauszulesen.
Fritz J. Raddatz hat – eigenem Bekenntnis nach – ein intensives, ja auch exzessives, stets aber selbstbestimmtes Leben geführt; selten haben Literaten darüber so viel preisgegeben wie er. Nun hat er diesem selbstbestimmten Leben ein selbstbestimmtes Ende gesetzt; Raddatz ist sich treu geblieben.
Auch die Mannschaft des Blättchens trauert um Fritz J. Raddatz, ist aber durch die Gewissheit versöhnt, dass FJR nicht nur für das deutsche Feuilleton unvergessen bleiben wird.
Arno Widman hat in der Berliner Zeitung in wunderbarer Weise an ihn erinnert.

Die Redaktion

In memoriam

Ein nicht unpassender Spruch für sein Grabmal wäre etwa dieser:

„Wie schicksalhaft das Leben doch verfliegt.
Du blickst zurück, die Stimmung leicht gedämpft:
Nicht jeder, der gekämpft hat, hat gesiegt.
Nicht jeder, der gesiegt hat, hat gekämpft.“

Sein Metier, nicht das einzige zwar, aber ein Markenzeichen schon, war die Sprachkritik. Sein letztes, 2010 publiziertes Buch trug – nochmals folgerichtig – den Titel „Wörterbuch der Heuchelsprache“.
Ob er mit Sprachkritik bereits als Ensemble-Mitglied des damals von Peter Sodann geleiteten Leipziger Studentenkabaretts „Rat der Spötter“ den (in der DDR) Herrschenden ein Dorn im Auge war? Durchaus möglich – als quasi konterrevolutionärer „Rädelsführer“ jedenfalls wurde er zusammen mit Sodann und anderen den Organen zugeführt und abgeurteilt. Von 1961 bis 1962 saß er ein. Danach durfte er sich unter anderem beim Adel der Holzindustrie bewähren.
Das muss gelungen sein, denn er schaffte den Absprung zur DDR-Satirezeitschrift Eulenspiegel, die von 1965 bis 1997 – mit kurzen Unterbrechungen – auch seinen Stempel trug.
Der intelligent-scharfzüngige Stift blieb sein Werkzeug, bis Krankheit ihm diesen aus der Hand nahm.
Am 16. Februar 2015 ist der Kabarettist, Satiriker und Schriftsteller Ernst Röhl in Zepernick gestorben.
Der mögliche Spruch für sein Grabmal stammt – von ihm selbst.

Alfons Markuske

Mitnichten nur DDR-Klassiker

Ist ein Regisseur zu verliebt in seine Ideen, verfällt auch ein erfahrenes Publikum leicht in Irritationen. Armin Petras lässt zu Beginn seiner Inszenierung von Christa Wolfs Erzählung „Der geteilte Himmel“ an der Berliner Schaubühne eimerweise Kristallbrocken auf eine laufstegähnliche Spielfläche kippen. Ein Kritiker schrieb etwas von einem eisigen Grund – der Mann saß sicher weiter hinten und konnte die Aufschriften auf den Blecheimern nicht lesen. Auf denen standen die Namen zerbombter deutscher Städte. Auf deren Trümmern wollte man unter einem großen gemeinsamen Himmel das jeweils bessere Deutschland aufbauen. Eine Illusion, beiderseits, wie wir heute wissen. Und der Himmel, der große gemeinsame Himmel? „’Den Himmel wenigstens können sie nicht zerteilen’, sagte Manfred. ‚Der Himmel teilt sich zuerst’, erwiderte Rita.“ So steht es bei Christa Wolf, und das zieht sich als Leitmotiv durch Petras’ atmosphärisch sehr dichte Inszenierung. Das Spiel von Jule Böwe (Rita) und Tilman Strauß (Manfred) fesselt. Kay Bartholomäus Schulze kehrt als Arzt gelegentlich zu stocksteif den besserwisserischen deus ex machina heraus. Es gibt einige Albernheiten – weshalb die Protagonisten mit Bohrhämmern die Spielfläche traktieren müssen, ist kaum nachvollziehbar und zieht den Aufbauwillen, der die Wolfsche Erzählung auch prägt, unverdienterweise ins Lächerliche. Die Tragik der Geschichte nimmt dadurch Schaden. Dennoch eine sehenswerte Inszenierung und es ist gut, Armin Petras wieder in Berlin zu erleben. Nützlich ist es, vor dem Theater die Erzählung zu lesen. Der Riss im Himmel ist immer noch da.

Schaubühne am Lehniner Platz, wieder am 28. und 29. März.

Im Maxim-Gorki-Theater nahm sich Sebastian Baumgarten Heiner Müllers „Zement“ (nach Fjodor Gladkows Roman) vor. Gehen Sie hin! Die Inszenierung schmerzt. Sie ist laut, sie ist schrill, sie überzieht gelegentlich Blutigstes bis zum Slapstick. Aber wie soll man die Blutorgien der Revolutionstribunale sonst ernstnehmen können? Baumgarten inszeniert erbarmungslos. Für Müller-Puristen ist das sicher nichts. Die Ästhetik dieser Aufführung ist mitnichten eine intellektuell grundierte. Baumgarten setzt auf eine Dramaturgie zerstörerischster Bauchgefühle. Oberflächlich gesehen könnte man sagen, so die Berliner Zeitung, es werde aufgezeigt, wie der Kommunismus an seiner Unmenschlichkeit ersticke. Der Rezensent hätte genauer auf die leiseren Stellen der Inszenierung achten sollen: den Bericht Daschas (großartig: Sesede Terziyan) über ihre durchlittenen Vergewaltigungen, die Erzählung über den „weißen Terror“. Das alles entschuldigt nicht den nachfolgenden „roten“. Aber es ist notwendiger Teil der Erklärung. Die Geschichte ist nicht tot. Die Toten können jederzeit aus ihren Gräbern hervorkommen. Und wenn die Lebenden keine besseren Antworten haben als sie hatten – dann geht das Drama von vorne los. Müllers „Zement“ wurde von Sebastian Baumgarten vom Zementstaub befreit. Darunter kam Blut hervor. Was unbedingt zu erwähnen ist: Die Lichtregie ist optimal. Peter Jordans (Gleb Tschumalow) exzessives Spiel wird von ihr förmlich getragen.

Maxim Gorki Theater Berlin, wieder am 10. und 14. März 

Wolfgang Brauer

Fehler & Vertrauen

Leben bedeutet, Fehler zu machen.
Sollen wir Menschen unser Vertrauen schenken, die noch nie einen Fehler begangen haben?
Wie sonst sollten sie Dinge lernen?
Und wir wollen doch, dass sie sich die Welt aneignen und sie begreifen.

Arne Dahl

Aus – Arne Dahl: Neid, Piper Verlag GmbH, München 2014.
Überschrift von der Redaktion.

„Sprüche aus der Asche 1986 / 1996“

„Der Sozialismus siegt“ … „Vorwärts zum XI. Parteitag“ – Ältere kennen diese Losungen und Spruchbänder, die das Straßenbild der Städte und Dörfer während der vierzigjährigen DDR-Zeit prägten. Egal ob vor Werkseingängen, in Schaufenstern, auf maroden Häuserfronten oder separaten Plakatwänden. Sie dienten der Agitation und Propaganda. Die politischen Losungen gehörten quasi zum DDR-Alltag, so dass die meisten ihnen kaum eine Beachtung schenkten. Nur wenn sich kuriose Zusammenhänge (wie die Losung „Heraus zum 1. Mai“ an der Friedhofsmauer) ergaben, nahm man das Ganze schmunzelnd oder kopfschüttelnd wahr.
Hans-Jörg Schönherr, der damals Mitglied in einem Dresdner Fotoklub war, hat 1986 innerhalb weniger Tage diese „Sichtagitation“ in zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos festgehalten. Und zwar vor ihrer Entfernung nach dem Besuch des sowjetischen Staatschefs Michael Gorbatschow, der daran Kritik geübt haben soll. Schönherr reichte damals die Fotoserie zur Aufnahme in den Verband Bildender Künstler ein, was natürlich abgelehnt wurde.
Zehn Jahre später nahm Schönherr das Thema wieder auf und fotografierte die ehemaligen Standorte neu, dieses Mal mit den Werbeplakaten des freien Marktes. Und wieder ergeben sich im Zusammenspiel von lokalem Umfeld und Wohlstandspropaganda humorvolle und hintersinnige Absurditäten.
Im Mitteldeutschen Verlag ist nun ein schmaler Bildband mit diesen vergleichenden Bildserien herausgekommen, der die Schwarz-Weiß-DDR-Losungen den bunten Werbetafeln gegenüberstellt. Wo früher „Das Programm der SED“ als Programm des ganzen Volkes gelobhudelt wurde, wirbt heute „Erotik exklusiv“ um Kunden oder wo 1986 die Losung „Je stärker der Sozialismus, desto sicherer der Frieden!“ prangte, hat heute jeder „das Recht auf eine lila Pause“.
Der Schriftsteller Christoph Kuhn, damals Mitglied im „Zirkel schreibender Arbeiter“ hat die fotografischen Gegenüberstellungen kritisch, aber durchaus amüsant kommentiert. Dabei reflektiert er auch die deutsche Geschichte der letzten dreißig Jahre. Am Ende resümiert er: „Nun hängen sie wieder …“ – die Werbeversprechen und bei Wahlen die Phrasen und Köpfe. Ein wirklich interessanter Bildband zur Erinnerung und zum kritischen Nachdenken … und natürlich zum Schmunzeln.

Manfred Orlick

Hans-Jörg Schönherr (Fotografie) / Christoph Kuhn (Text): „Sprüche aus der Asche 1986 / 1996“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014, 112 Seiten, 14,95 Euro.

Amtliches

Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er Verstand.
Der Spruch ist bekannt.
Im heutigen Leben
wird kein Amt von Gott mehr vergeben.
Es sind die politischen Parteien,
die jetzt die Ämter verleihen.
Jedoch den Verstand
behielt Gott in seiner Hand.
Deshalb haben manche, die ein Amt innehaben,
keine besonderen Geistesgaben.
Sie gehen sozusagen unverzagt
mit einer Stecknadel auf Elefantenjagd.

Günter Krone

Bühne West-Berlin 

Da muss doch mehr gewesen sein, als die von Polit-Figaros immer noch gern frisierte Geschichte, die uns West-Berlin hauptsächlich als nimmermüden Kämpfer gegen die russische Unfreiheit des Ostens darstellt… 2002 schlug Olaf Leitner mit seinem Gesprächsbuch „West-Berlin! Westberlin! Berlin (West)!“ ein erstes Loch in diese Mauer in den Köpfen. 2006 brachte das Kreuzberg Museum den Fotografen der Wahrheit, Jürgen Henschel, wieder in die Öffentlichkeit. Von ihm stammt das zur Ikone gewordene Foto des sterbenden Benno Ohnesorg. Jetzt nahm sich die „Stiftung Stadtmuseum Berlin“ der fast vergessenen Geschichte von zwei Dritteln des Berliner Stadtgebietes an. Bis Ende Juni läuft im Ephraim-Palais die Sonderschau „West:Berlin“, und parallel dazu ist im Märkischen Museum die Ausstellung „Bühne West-Berlin. Fotografien von Harry Croner aus vier Jahrzehnten“ zu besichtigen. Croner (1903-1992) übergab noch zu Lebzeiten sein gewaltiges Bildarchiv dem Berliner Stadtmuseum: 100.000 Positive und 1,3 Millionen Negative! Immerhin hatte er vierzig Jahre lang die Geschicke der Stadt als freier Bildjournalist begleitet. Er dokumentierte das zertrümmerte Berlin, fotografierte die Stadt bewegende Ereignisse wie den Prozess gegen die Gladow-Bande 1950, begleitete den Wiederaufbau in West wie Ost, in den 1950er Jahren eigentlich nur noch im Westen – und er tauchte mit seiner Kamera überall da auf, wo Theater, Kino und „Kleinkunst“ in ihrer ganzen Bandbreite zu finden waren. Damit wurde Harry Croner zu dem Chronisten der Berlinale und des Westberliner Theatergeschehens. Von seinen großartigen Fotos sind neben der erwähnten Ausstellung rund 300 in einem vom Stadtmuseum herausgegebenen Fotoband zu bewundern. Alle, aber auch alle sind sie vertreten: Helene Weigel, Conny Froboess und Bubi Scholz. Horst Buchholz, Hanna Schygulla und Tilla Durieux. Katharina Thalbach, Romy Schneider und Inge Keller. Und, und, und … Großer Glanz und auch so manche Erbärmlichkeit: Am 3. Mai 1960 wurde vor dem Titania-Palast an der Steglitzer Schloßstraße demonstriert. Marlene Dietrich trat auf, und es erschollen Rufe wie „Marlene go home!“ Mitten im amerikanischen Sektor demonstrierte man gegen die „Vaterlandsverräterin“. Auch das war West-Berlin. Der kleine Museumsverlag gab ein großes Buch heraus!

Alfred Askanius

Peter Schwirkmann u.a. (Hrsg.): Bühne West-Berlin. Fotografien von Harry Croner aus vier Jahrzehnten, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Berlin 2014, 288 Seiten, 29,90 Euro. Die gleichnamige Ausstellung im Märkischen Museum Berlin noch bis zum 28. Juni 2015.

Zünd an, es kommt die Feuerwehr

In der lediglich durch einen Fluss von russischem Territorium entfernten estnischen Grenzstadt Narva haben die USA eine Militärparade abgehalten; gewiss doch, um die brüderliche Solidarität des Westens mit dem durch Moskau existenziell bedrohten Baltikum zu demonstrieren. Nun sind in Estland – anders als auf der Krim – lediglich 25 Prozent der Bevölkerung ethnische Russen und eine Heim-ins-Reich-Holung ist zumindest mit einem solchen Szenario nicht zu erwarten. Denn an Moskaus Friedfertigkeit mag noch glauben, wer will: Eine pure Okkupation ohne jeden formellen Vorwand hat sich selbst ein Hitler in Sachen Sudeten 1937/38 verkniffen, und Putin (noch immer kein Hitler!) in Sachen Krim und Ostukraine ebenfalls. Das, was Obamas Truppen – in trauter Begleitung von Militärs aus Britannien, Holland, Spanien, Litauen und Estland – in Narva also demonstriert haben, ist pures Zündeln, das Spiel mit einer Flamme, die zum Übergreifen so förmlich eingeladen wird. An Putins Vernunft noch zu glauben, fällt derweil sehr schwer, an die der USA allerdings auch. Es steht zu vermuten und zu hoffen dass der europäische Westen, der – wiewohl an der Genese des derzeitigen Ukrainekonfliktes ebenfalls nicht unbeteiligt – sich gerade bemüht hat, einen Beitrag zur Eindämmung des Krieges im Osten des Landes zu leisten. Wenn sich jemand also darum sorgt, dass das transatlantische Bündnis gespalten werden könne, dann hält Washington mit Demonstrationen wie obiger und/oder Waffenlieferungsplänen in die Ukraine daran eine erhebliche Aktie.

HWK

Nullitäten

Es ist beängstigend, was seit geraumer Zeit der Presse über die Bundeswehr zu entnehmen ist. „Die Hälfte aller deutschen Marine-Helikopter ist kaputt“. „Wehrbeauftragter sieht gravierende Missstände…“. Es „sitzen 150 Soldaten wegen eines Problems am Truppentransporter in Afghanistan fest“. Die Soldaten scheinen nicht einmal mehr ordentlich flüchten zu können. SPD-Fraktionschef Oppermann spricht von einem „desolaten Gerätezustand der Bundeswehr“. Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, lässt sich so zitieren: „Frau von der Leyen hat keine Ahnung vom Militär.“ Wo es nun mit der Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch nicht so richtig geklappt hat und jetzt auch im Irak nicht recht vorangeht, kann man nur hoffen, dass die Bundeswehr Deutschland nicht mal zu Hause verteidigen muss.

Günter Krone

His Masterʼs Voice

Benjamin Netanjahu, den man selbst bei viel Sympathie für Israels Selbstbehauptungswillen nicht in die Kategorie der Polittauben einordnen kann, ist nun von seinem eigenen Geheimdienst der Lüge überführt worden. Als er bei seinem Auftritt vor dem UN-Plenum 2012 dramatisch ein Bomben-Plakat vorzeigte, das ausweisen sollte, wie nahe Iran bei seiner A-Waffen-Entwicklung bereits jener roten Linie ist, ab der der Bau einer Atombombe nicht mehr zu stoppen sei, was spätestens im Sommer 2013 der Fall sein werde, hat der Premier wissentlich die Unwahrheit gesagt. Wissentlich, weil der Mossad zuvor analysiert hatte, dass Iran „nicht bereit scheint, Uran auf ein ausreichendes Niveau anzureichern, um Atombomben zu bauen“.
Derzeit sind die Beziehungen zwischen Washington und Tel Aviv derart abgekühlt, dass Obama und seine engsten Regierungsrepräsentanten für Netanjahu nicht zu sprechen sein werden, wenn dieser auf Einladung der Republikaner am 3. März vor dem US-Kongress über die Bedrohung Israels durch das iranische Atombombenprogramm sprechen wird.
Eine innige politfamiliäre Verwandtschaft mit dem großen Bruder in Washington lässt Netanjahus Verlogenheit indes doch erkennen. Man erinnere sich an Colin Powells (G.W. Bushs Außenminister) „dokumenten“bewehrten Auftritt betreffs Saddams Massenvernichtungswaffen vor dem UN-Sicherheitsrat, mit dem 2003 der folgenden Krieg gegen den Irak völkerrechtlich legitimiert werden sollte.
Zumindest was Bush und Netanjahu betrifft, ist das Sprichwort von den gleichen Brüdern mit gleichen Kappen wohl kaum an den Haaren herbeigezogen, und ein weiterer Bush in den Startlöchern zur nächsten Präsidentschaft könnte diese Bruderschaft ungünstigenfalls neuerlich auffrischen.
Immerhin: Powell hat sich zwei Jahre später tief beschämt über seine Rolle an diesem in der Folge ebenso blut- und zerstörungsreichen wie eben verlogenen US-Feldzug gezeigt. Ob ein Netanjahu je zu einer solchen Einsicht fähig ist, bleibt abzuwarten, scheint aber wenig wahrscheinlich.

Helge Jürgs

Von Film-Menschen

Für mich ist die Erfahrung eines vollständigen gesellschaftlichen Umbruchs von unschätzbarem Wert. Man erfährt viel über andere Menschen und sich selbst in Zeiten der Veränderung, über Courage, über Feigheit, auch die eigene.
Andreas Dresen

Das Credo des heutigen Menschen lautet: „Ich glaube an das Image, an den Computer und an die Demoskopie.“
Vittorio De Sica

Das Militär ist eine Pflanze, die man sorgfältig pflegen muß, damit sie keine Früchte trägt…
Jacques Tati

Ideale sind das Größte und Schönste und Wertvollste im Leben – außer, wenn wir versuchen, danach zu leben.
Charles Chaplin

Der Künstler ist ein Exhibitionist aus Demut vor der Wahrheit.
Tilla Durieux

Unsere Sprache ist reich an Sprichworten… Wir haben in unseren Filmen oft mit solchen Wendungen gearbeitet, haben sie wörtlich genommen. Wenn zum Beispiel ein Mensch in Panik gerät, sagt man, er habe den Kopf verloren; im Trickfilm kann man das im Bild darstellen.
Kurt Weiler

Auswahl fbh

Musikalische Fangnetze

„Casting Nets“ sind die von Fischern verwendeten Wurfnetze. Wenn man diesen Begriff auf die gleichnamige CD der neuen Musikband Distance, Light & Sky anwendet, dann kann man die berechtigte Frage stellen: Welches neue Wurfnetz setzt der seit gut drei Jahrzehnten musikalisch aktive Chris Eckman ein?
Kurze Rückblende: 1983 lernt der Student Chris Eckman beim Jobben in einer Fischfabrik in Alaska die bisher als Straßenmusikerin aufgetretene Carla Torgerson kennen. Im Folgejahr ziehen sie beide nach Seattle, der damaligen heimlichen musikalischen Hauptstadt der USA, und gründen „The Walkabouts“. Diese Gruppe arbeitet im Lauf der kommenden Jahre und Jahrzehnte mit verschiedenen Gastmusikern (etwa Peter Buck von R.E.M. oder Brian Eno) zusammen und durchlebt als eine der führenden „Alternative Rock“-Bands die Höhen und Tiefen des Musikgeschäfts, mal bei einem kleineren unabhängigen Label, mal beim großen Musikkonzern Virgin Records.
Chris & Carla treten auch als Duo oder in anderen Besetzungen auf, sie sind eine Zeit lang nicht nur musikalische Partner…
Und nun? Der etwas spröde anmutende Bandname „Distance, Light & Sky“ vereint Chris Eckman, die niederländisch-britische Sängerin Chantal Acda und den belgischen Percussionisten und Komponisten Eric Thielemans.
Wohl wissend um ihren höchst unterschiedlichen biografischen wie musikalischen Hintergrund vertreten sie den Anspruch, als drei gleichberechtigte Musiker mit einer gemeinsamen Vision und auf Dauer aufzutreten, eben kein neues Seitenprojekt der Walkabouts darzustellen.
Dieser musikalische Ablösungsprozess ist ihnen noch nicht vollständig gelungen Denn wenn Chris und Chantal im Duett singen, dann werden unweigerlich die Parallelen zu Chris und Carla gezogen. Hat sich Mister Eckman rettungslos im altbewährten Netz der Walkabouts verheddert?
Das erste Fangergebnis von Distance, Light & Sky sollte aber nicht zu gering geachtet werden. Aufgenommen in den Prager Sono Studios, ist dem Trio eine zeitlose Musik im Genrebereich Alternative-Rock/Folk-Rock gelungen, die durch ihren harmonischen Sound eine große Entspanntheit ausstrahlt und den Zuhörenden zunehmend gefangen nimmt. In solch einem Netz zappelt man einfach gerne…

Distance, Light & Sky: Casting Nets, CD 2014, Label Glitterhouse, circa 15 Euro.

Thomas Rüger

Aus anderen Quellen

Der frühere Chef des Stockholmer Internationalen Friedenforschungsinstitutes (SIPRI), nachmalige Staatssekretär im BMVg und heutige Publizist Walther Stützle war mit Vorschlägen für eine neue Entspannungspolitik erst vor einigen Wochen Gegenstand eines Blättchen-Beitrages. Jetzt hat er weitere Vorschläge unterbreitet. Sein Ausgangspunkt: „Falsche Diagnosen und eben solche Therapien haben das Ukraine-Problem zu einem bösartigen Tumor entarten lassen, dem mit homöopathischen Mitteln nicht mehr beizukommen ist. Eine dauerhafte Lösung des Problems verlangt bisher gescheute Konsequenzen.“ Unter anderem regt der Publizist an: „[…] Moskau und Kiew sollten ermutigt werden, ein bilaterales Gewaltverzichtsabkommen auszuhandeln, das alle Kernelemente einer europäischen Friedensordnung neu verbrieft.“ Und: „[…] die zahlreichen russischen Vorschläge für die Fortentwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur verdienen Prüfung, Diskussion und Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen.“
Walther Stützle: Der wundeste Punkt, der Freitag, 19.02.2015. Zum Volltext hier klicken.

*

„Russischer Machtpolitik darf nicht nachgegeben werden“, postuliert Blättchen-Autor Wulf Lapins und ergänzt: „Russland darf aber auch nicht als legitim mitgestaltende Kraft in Europa aufgegeben werden. Deutschland ist der stärkste Akteur im integrierten Europa. Es muss deshalb weiterhin Mittler und Makler sein.“ Daher sollte Deutschland Russland „gerade jetzt zu einem strategischen ‚herrschaftsfreien Diskurs‘ über Politik und Werte in Europa auffordern“.
Wulf Lapins: Die Illusion einer Ostpolitik 4.0. Es geht um Russland, Werte – und die unbequeme Wahrheit des K-Wortes. IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 16.02.2015. Zum Volltext hier klicken.

*

Dass gute Gründe bestehen, die im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) vorgesehene private Schiedsgerichtsbarkeit strikt abzulehnen, weil sie die Souveränität der Staaten aushebelt und den Steuerzahler Milliarden kosten kann, legt bereits die heutige internationale Schiedsgerichtsbarkeit unter der Glocke der Weltbank und unter anderen Schirmherrschaften mehr als nahe. Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen entgangener Gewinne aus Atomstrom lauten solche Verfahren. Einen detailreichen Überblick darüber gibt Werner Rügemer. Sein Fazit: „Forderungen nach einer Milliarde Schadensersatz sind inzwischen keine Seltenheit.“ Und: „In diesen Schiedsgerichten ist das Recht des Privateigentums auf die Spitze getrieben, gilt als alleiniges Recht, ohne Demokratie, Menschen-und Arbeitsrechte.“
Werner Rügemer, Das jüngste Weltgericht, Hintergrund, 14.01.2015. Zum Volltext hier klicken.

*

Auf die Frage, wie sicherzustellen wäre, dass neue Technologien uns keinen Schaden zufügen, antwortet der britische Experte Noel Sharkey: „So wie die Menschenrechte universell gelten, müssten sich die Regierungen auch auf digitale Grundrechte verständigen, die international gültig sind. So dass jeder Mensch sofort auf einen Blick sieht, welche Rechte er hat, wenn es um den Schutz seiner Privatsphäre oder den Einsatz von Robotern geht.“
Noel Sharkey : „Wir brauchen digitale Grundrechte“,
fr-online.de, 12.02.2015. Zum Volltext hier klicken.