25. Jahrgang | Nummer 15 | 18. Juli 2022

Bemerkungen

Die Zeitbombe tickt …

„Weil die Bürgerinnen und Bürger müssen ja zurechtkommen mit ihrem Leben, und wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff“, ließ sich der Bundeskanzler bereits wiederholt vernehmen und gab dem Volk damit zu verstehen, dass er die (durch den vom Westen gegen Moskau als Antwort auf dessen Ukraine-Aggression vom Zaun gebrochenen Wirtschaftskrieg selbstverschuldete) Versorgungskrise bei Erdgas als solche im Blick hat.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Mitnichten. Wie die von Russland nicht mehr gelieferten Erdgasmengen kompensiert werden sollen und gar noch rechtzeitig vor dem kommenden Winter ist nach wie vor weitgehend offen, während die Gaspreise auf dem Weltmarkt unverändert erheblich über dem Niveau von vor einem Jahr zur gleichen Zeit liegen und Experten einen weiteren deutlichen Preisanstieg erwarten.

Im Übrigen verniedlicht Scholzens Prognose von der Heizkostenrechnung, die „um ein paar hundert Euro“ steigen könnte, die Dimension der Zeitbombe, die für über 20 Millionen deutsche Mieterhaushalte tickt und spätestens mit der nächsten Betriebskostenabrechnung platzen dürfte. Da werden wohl diejenigen, bei denen es dann nur um ein paar hundert Euro Kosten mehr geht, zu den glücklicheren zählen.

Die Sachlage könnte sich nämlich auch so darstellen, wie im folgenden Fall, zu dem alle zugehörigen Unterlagen der Autorin vorliegen: Im April 2022 teilte ein privater Mietshauseigentümer im Osten von Berlin seinen Mietern mit, dass er einen neuen Gasversorgungsvertrag für die Sammelheizung des Hauses abgeschlossen habe: „Damit lassen sich die Kosten auf den Jahresverlauf hochrechnen und ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Kostensteigerung enorm ist. […] Konkret belaufen sich die Kosten für den Betrieb der Heizung auf voraussichtlich 15.500,00 € im Jahr 2022. Im Vergleich zu 2021 mit 4.140,35 € ist das eine Steigerung auf Faktor 3,74.“ Diese Mitteilung verknüpfte der Hauseigentümer mit einer entsprechenden Erhöhung der Betriebskostenvorausszahlungsabschläge um den Faktor 3,74 – in einem konkreten Fall von zuvor 116 Euro monatlich auf nunmehr über 434 Euro. Aufs Jahr gerechnet läuft dies auf eine Mehrbelastung des betreffenden Haushaltes in Höhe von über 3800 Euro hinaus. (Eine Überprüfung durch die betroffene Mietpartei ergab, dass der Hauseigentümer einen der „preiswertesten“ Versorger gewählt hatte, der zum Zeitpunkt seines Vertragsabschlusses am Markt war.)

Bei dem betroffenen Haushalt handelt es sich um eine 130-Quadratmeter-Wohnung. Da kann jeder Blättchen-Leser selbst über den Daumen peilen, was auf ihn möglicherweise zukommt.

Und die Perspektive? Dazu der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller: In den derzeitigen hohen Endverbraucherpreisen für Erdgas seien bisher nur die Preissteigerungen des vergangenen Herbstes enthalten. „Der erste Schock ist da. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es eine zweite Preisrunde gibt, die wird sich über das Jahr 2023 verteilen.“

Mit anderen Worten – das Schlimmste steht eventuell erst noch bevor. Und wird vor allem auch Rentnerhaushalte betreffen, die bei allen bisherigen „Entlastungspaketen“ der Bundesregierung schlicht und ergreifend ausgespart worden sind …

Gabriele Muthesius

Wandel durch Annäherung …

… – das mutmaßlich erfolgreichste außen- und sicherheitspolitische Konzept des vergangenen Jahrhunderts wird vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges derzeit von jenen Zeitgenossen in die Tonne getreten, die es a) schon immer besser wussten, und es b) lieber ganz anders gehabt hätten. Geflissentlich übersehen wird dabei, dass der Ansatz von Bahr und Brandt entscheidend mit dafür gesorgt hat, dass, als der eine der Antipoden des Kalten Krieges ob seiner ebenso grundlegenden wie unerledigten gesellschaftlichen Defizite in den Orkus fuhr, dies friedlich geschah, obwohl die materiell-technischen Voraussetzungen für einen Abgang mit Aplomp in Gestalt eines Atomwaffenarsenals mit vielfacher Overkill-Kapazität durchaus gegeben waren.
Leider kann Wandel durch Annäherung trotzdem auch nach hinten losgehen, wie der Fall eines gewissen Joschka Fischer zeigt.

Der hatte im Jahre 1983 erklärt: Es sei „sicher richtig […] die Einmaligkeit des Verbrechens, das die Nationalsozialisten am jüdischen Volk begangen haben, nicht mit schnellen Analogieschlüssen zu überdecken“. Aber, so fuhr der damalige Bundestagsabgeordnete fort, „ich finde doch moralisch erschreckend, daß es offensichtlich in der Systemlogik der Moderne, auch nach Auschwitz, noch nicht tabu ist, weiter Massenvernichtung vorzubereiten – diesmal nicht entlang der Rassenideologie, sondern entlang des Ost-West-Konflikts“.

Der gleiche Joschka Fischer, der wegen der nachfolgenden Äußerung derselbe wohl nicht mehr genannt werden kann, ermahnte uns 2020: Auf die US-Atomwaffen im rheinland-pfälzischen Büchel dürfe Deutschland nicht verzichten.

Wandel durch Annäherung – des Herrn Fischer an die Glaubensdoktrin der sogenannten nuklearen Abschreckung, vulgo der vorbereiteten „Massenvernichtung […] entlang des Ost-West-Konflikts“.

So kann es halt auch gehen oder, wie es im Volksmund so schön euphemistisch heißt: „Das Leben ist bunt und vielfältig.“

Sarcasticus

„Wat – Se ham een Radierjummi?!“

Max Liebermann (1847–1935) war einer der bedeutendsten Künstler der Moderne, auch für seine pointierten, in schönstem Berliner Jargon vorgebrachten Aussprüche bekannt. Legendär ist sein Kommentar „Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!“, als am Abend des 30. Januar 1933 die braunen Kolonnen an seiner Wohnung vorüber durchs Brandenburger Tor marschierten. Die Reaktion der neuen Machthaber ließ nicht lange auf sich warten. Liebermann erhielt Malverbot, erklärte am 2. Mai 1933 seinen Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste und legte die Ehrenpräsidentschaft nieder.

Von Max Liebermann gibt es viele witzige Anekdoten, belegte und nicht belegbare, mehr oder minder zutreffend. Meist sind sie von Reportern, Kunstliebhabern oder Schriftstellern notiert worden; manche wurden auch nur durch Hörensagen weitergetragen. Vielfach ab- und umgeschrieben. Mit seiner Schlagfertigkeit und seinem Mutterwitz war Liebermann bei den Berlinern sehr beliebt, während ihn die Deutsch-Nationalen und Völkischen als Juden und undeutschen Künstler verunglimpften. Doch Liebermann wusste sich zu wehren. Als er einmal in seinem Garten am Wannsee malte, schaute ein SA-Mann über den Zaun eine Weile zu und meinte: „Für einen Juden malen Sie gar nicht schlecht.“ Liebermann konterte: „Für einen Nazi haben Sie gar keinen schlechten Kunstverstand.“

Den 175. Geburtstag von Max Liebermann (20. Juli) würdigt der Eulenspiegel Verlag mit einer Auswahl von Anekdoten, die der Autor und Lektor Walter Püschel zusammengetragen und aufgefrischt hat. Daneben enthält das Bändchen eine Reihe von Aussprüchen, Briefstellen und Notizen von Liebermann, die das künstlerische und politische Credo des Malers verdeutlichen.

Mitunter drastisch konnte Liebermann zu Künstlerkollegen sein. Bei einem Besuch im Atelier von Lovis Corinth, wanderten seine Augen neugierig über den Zeichentisch des Kollegen. Plötzlich rief er entsetzt: „Wat – Se ham een Radierjummi?!“ Oder … Als sich Gerhart Hauptmann, unzufrieden mit der Ähnlichkeit seines Porträts, kritisch äußerte, entgegnete Liebermann ärgerlich: „Ich habe Sie ähnlicher gemalt als Sie sind!“. Auch Kunstsammler bekamen gelegentlich ihr Fett weg. Zu einem Käufer, der ihn zur Vielmalerei überreden wollte, sagte Liebermann: „Mein Herr, ich bin nicht mit der Kunst verheiratet, ich habe ein Verhältnis mit ihr.“

In seinem Nachwort beleuchtet der Herausgeber Liebermanns Biografie vom „Schmutzmaler“ (so wurde er nach seinem Gemälde die „Gänserupferinnen“ apostrophiert) zum Wegbereiter der Moderne, der am 8. Februar 1935 vereinsamt und verzweifelt starb. Weder Künstler, deren Vertreter er fast fünfzig Jahre lang gewesen war, noch Würdenträger, die in seiner Wohnung als Gäste ein und aus gegangen waren, erwiesen ihm die letzte Ehre.

Zum Schluss noch einmal Liebermann: Als der bekannte Dirigent Oskar Fried Beethovens Neunte aufführte und Liebermann nach dem Konzert um seine Meinung bat, antwortete dieser nur „Wissen Se, die is nicht totzukriegen.“

Manfred Orlick

Walter Püschel (Hrsg.): Ick bin Max Liebermann. Det is jenug! – Anekdoten, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2022, 125 Seiten, 12,00 Euro.

Blom II

Nun doch! Die Franzosen machen den Anfang. Schluss mit der irreführenden Bezeichnung vegetarischer Lebensmittel als Wurst oder Steak. „Die Verwendung von Begriffen, die traditionell mit Fleisch und Fisch in Verbindung gebracht werden, zur Bezeichnung von Erzeugnissen, die nicht zum Tierreich gehören, wird nicht mehr möglich sein“, heißt es in einer am 30.06.2022 veröffentlichten Verordnung. Gelten soll diese ab 1. Oktober.

Wir haben es ja immer gesagt. Und bereits im Blättchen 4/2017 war ein entsprechender Vorschlag unterbreitet worden: Entsprechende Produkte sollten künftig „Blom“ heißen! Begründung: Das Wort ist laut Duden noch nicht mit einer anderen Bedeutung besetzt. Es ist mündlich und schriftlich gut verständlich, auch die meisten Fremdsprachler können es lernen und aussprechen und es lässt sich wunderbar mit erklärenden Vor- oder Nachsilben ergänzen: Kräuterblom, Blomrösti et cetera.

Der Autor hatte diesen Begriff seinerzeit an das zuständige Bundesministerium weitergeleitet und auch dem führenden deutschen Hersteller, Rügenwalder Mühle, uneigennützig angeboten.

Kein Interesse. Mal sehen, ob sich das nun auch in der Bundesrepublik endlich mal ändert …

Werner Krumbein

Auf den Punkt gebracht

Im Krieg müssen wir vom Zeitalter des Überflusses
zum Zeitalter der Knappheit zurückkehren.
John Maynard Keynes

Wer ständig im feindlichen Feld nach Anzeichen
des Beifalls Ausschau hält, macht seine Feinde
zu Schiedsrichtern des eigenen Redens.
Hans Magnus Enzensberger

Gesundheit? – Was nützt einem Gesundheit,
wenn man sonst ein Idiot ist?
Theodor Adorno

Wenn alle Leute nur dann redeten,
wenn sie etwas zu sagen hätten,
würde die Menschheit sehr bald
den Gebrauch der Sprache verlernen.
William Somerst Maughan

Wenn du Privilegien gewohnt bist,
fühlt sich Gleichstellung wie Unterdrückung an.
Tobias Haberl

Der Blick auf mögliche Vorteile ist der Todfeind
der Bildung menschenwürdiger Beziehungen.
Theodor W. Adorno

Die Politik ist das Paradies
zungenfertiger Schwätzer.
George Bernard Shaw,
der dies sagte,
ohne Anton Hofreiter zu kennen

Derjenige, der zum ersten Mal
an Stelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte,
war der Begründer der Zivilisation.
Sigmund Freud

Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand,
das Außergewöhnliche ihren Wert.
Oscar Wilde

Früher fielen die Frauen
bei meinem Anblick fast in Ohnmacht.
Heute sagen sie eher:
Ach, den gibt es auch noch?
Robert Redford

Wir dürfen jetzt nur nicht
den Sand in den Kopf stecken.
Lothar Matthäus

Das Schreiben ist kein Genuss. Es ist das Quälende.
Etwas, was man tut, wie Kotzen.
Man muss es tun, obwohl man es eigentlich nicht will.
Elfriede Jelinek

Dass die EU ohne Atomstrom
CO2-neutral werden kann, ist eine Lüge.
Thierry Breton

Kleine Stationen sind stolz darauf,
dass die Schnellzüge an ihnen vorbei fahren müssen.
Karl Kraus

Ändern sich die Fakten,
ändere ich meine Meinung.
John Maynard Keynes

cf

Klangvolle Liebeserklärungen an eine Grenzregion

Die musikalische Wiege von Calexico liegt im Grenzgebiet zwischen Kalifornien, respektive dem US-amerikanischen Südwesten und dem südlichen Nachbarstaat Mexiko. Mit ihrem Bandnamen verschmelzen die Künstler sozusagen beide Pendants dieser eher unwirtlichen Grenzregion. Ihr Musikstil changiert zwischen melancholischem Wüstenrock und lateinamerikanischer Lebensfreude.

Mit ihrem zehnten Studioalbum wechselt die Perspektive aber deutlich mehr auf die Sonnenseite des Lebens. Die beiden Masterminds der Band, der Sänger und Gitarrist Joey Burns und der Schlagzeuger John Convertino, die beide übrigens schon seit über dreißig Jahren musikalisch kooperieren, haben im Vorjahr das Bandmitglied Sergio Mendoza (Piano, Synthesizer, diverse Rhythmusinstrumente) in dessen heimischen Tonstudio in Tucson in Arizona besucht.

Entstanden sind zwölf eher kurze Stücke, kleine Songjuwelen, die ihren wahren Glanz erst beim mehrmaligen Hören entfalten. Der Titel der Scheibe, „El Mirador“, kann ins Deutsche als „Hingucker“, als „Aussichtspunkt“ oder „Leuchtfeuer“ übersetzt werden.

Calexico setzt sich weiterhin über (musikalische) Grenzen hinweg. Ob Cumbia oder Mariachi – der Sound klingt authentisch. Und auch in den Texten zeigt sich die Band grenzenlos. Sie verbinden englische und spanische Textzeilen. Entstanden sind in ihren eigenen Worten „Poems in the night – like it or not“.

„El Mirador“ ist eine musikalische Liebeserklärung an eine durchaus konfliktträchtige Grenzregion. Es ist aber auch Denkstoff für Menschen mit wachem Verstand.Im Lied „Cumbia Peninsula“ heißt es eingangs: „It’s easy to look for an enemy outside yourself / Pass the blame and pin it on somebody else […].“. („Es ist leicht, einen Feind außerhalb seiner selbst zu suchen / Die Schuld auf jemand anderen zu schieben […].“)

Thomas Rüger

Calexico: El Mirador, CD 2022, Label: City Slang, ab 16,17 Euro.

Wie Nachrichten gemacht werden

Am Rande ihres Gipfeltreffens in Wien (3./4. Juni 1961) veranstalteten Kennedy und Chruschtschow einen Wettlauf.

Kennedy wurde Erster.

Journalisten fragten: „Mister Chruschtschow, wie beurteilen sie den Wettlauf?“

Chruschtschow: „Ich werde erst einmal abwarten, was die Prawda schreibt.“

Am nächsten Tag stand in der Prawda: „Beim gestrigen Wettlauf belegte Nikita Sergejewitsch Chruschtschow einen hervorragenden Zweiten Platz. Kennedy wurde nur Vorletzter.“

cf

WeltTrends aktuell

Der Ukrainekrieg und mit ihm verbundene Ereignisse und Konferenzen stehen derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit von Politik und Medien. Aber auch in anderen Regionen vollziehen sich wichtige Entwicklungen, die jedoch in Europa nur marginal, wenn überhaupt, wahrgenommen werden. Die pazifische Inselregion erlebe derzeit „eine gravierende Zuspitzung von Machtkämpfen um Einfluss“, konstatiert Gastherausgeber Oliver Hasenkamp im Thema. Dabei nehmen die USA und China eine Schlüsselrolle ein, gefolgt von Staaten wie Australien, Frankreich und Großbritannien. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit den Folgen früherer Atomtests im Pazifik und setzen sich mit den Gefahren des Tiefseebergbaus wie auch seinen völkerrechtlichen Aspekten auseinander.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt seit mehr als hundert Tagen. Die Debatte hierzulande ist emotional, moralisierend, teilweise hysterisch. Es geht auch anders, wie die Analysen in diesem Heft zeigen: In einem bisher unveröffentlichten Papier aus dem Jahr 1997 skizzierte Ludger Volmer ein Konzept von gemeinsamer Sicherheit statt NATO-Erweiterung. Ein enormer Stresstest für die deutsche Außenpolitik ist die Zeitenwende. Deutschland müsse sein außenpolitisches Bezugsfeld erweitern, um sich neue Machtressourcen zu erschließen, bekräftigt Günther Maihold (SWP). Dabei gibt er wertvolle Denkanstöße, die Zeitenwende nicht ausschließlich militärisch zu gestalten, sondern ein umfassendes Herangehen in Betracht zu ziehen.

Im WeltBlick geht es um die Chancen der Wiederwahl von Lula de Silva bei den in Brasilien bevorstehenden Präsidentschaftswahlen und den Ausgang der Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftswahlen auf den Philippinen, die der Sohn des früheren Präsidenten Marcos und die Tochter des scheidenden Präsidenten Duterte gewannen.

am

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 189 (Juli) 2022 (Schwerpunktthema: „Pazifik in der Weltpolitik“), Potsdam, 5,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

Gerade erschienen ist der erste Band der Memoiren von Egon Krenz („Aufbruch und Aufstieg. Erinnerungen“). Im Vorfeld stand Krenz der Neuen Zürcher Zeitung in einem Interview Rede und Antwort. Auf die Frage, warum er nicht im Westen geblieben sei, als seine Mutter mit ihm 1947 deren Schwester besuchte, die auf Sylt lebte, erwiderte Krenz: „Dort hatten schon wieder einige ehemalige Nazis das Sagen.“ Und: „Ich glaube nicht, dass ich im Westen die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten wie in der DDR gehabt hätte. Ich kam ja aus einfachsten Verhältnissen, und solche Leute wurden gefördert.

Lucien Scherrer: „Jede Waffenlieferung ist eine neue Lizenz zum Töten“, nzz.ch, 27.06.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

Zum Ukraine-Krieg bezieht der Politologe Johannes Varwick folgendermaßen Position: „Was die Ukraine betrifft, haben wir schwere Schuld auf uns geladen. Auf der einen Seite waren wir nicht bereit, dem Land harte Sicherheitsgarantien zu geben, auf der anderen Seite haben wir aber das Signal gesendet, dass wir die Ukraine unterstützen würden. Wir haben die Ukraine verheizt.“

Miriam Hollstein / Daniel Mützel: „Wir haben schwere Schuld auf uns geladen“, t-online.de, 06.07.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

Auf die Frage, ob „der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine einen Vernichtungskrieg [führt]“, antwortet der Historiker Ulrich Herbert: „Nein. Mit diesem Begriff wird der Krieg von Nazideutschland in der Sowjetunion bezeichnet. Das Ziel war es, alle jüdischen Teile der Bevölkerung und größere Teile der slawischen Bevölkerung zu ermorden und das Land zu zerstören. Das ist in unfassbar hohem Maße gelungen, Millionen Menschen sind getötet worden. Das meint der Begriff Vernichtungskrieg.“

Stefan Reinecke: „Mit Hitler hat das nichts zu tun“, taz.de, 01.0 7.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

Der Schweizer Ex-Geheimdienstoberst Jacques Baud zum Ukraine-Krieg: „Ich habe das Gefühl, dass wir, weil wir den Realitäten vor Ort keine Aufmerksamkeit schenken, dazu neigen, die Ukrainer für andere Zwecke zu missbrauchen oder auszunutzen, als nur der Ukraine zu helfen. Tatsächlich neigen wir dazu, die Ukrainer zu benutzen, um Putin zu bekämpfen, anstatt der Ukraine zu helfen. Und ich glaube, das ist es, was mich an diesem Konflikt am meisten stört.“

Ukraine gut, Russland schlecht? Schweizer Geheimdienstler erzählt eine andere Geschichte, uncutnews.ch, 26.05.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

Die missratene Mischung aus üblem Bubenstück und widerlicher Schmierenkomödie, die in der deutschen Hauptstadt seit Jahren Wellen schlägt und den Ruf sowie die Substanz der einst international hoch renommierten Staatlichen Ballettschule weitgehend ruiniert hat, scheint zur Never Ending Story zu werden. Über das aktuelle Kapitel hat wiederum Birgit Walter berichtet: „‚Die Berliner Zeitung verhöhnt die Opfer sexuellen Missbrauchs. Sie veröffentlicht einseitige, verzerrende Gefälligkeitsartikel mit falschen Behauptungen, durch die die Funktionsfähigkeit des Landes Berlin stark beeinträchtigt wird.‘ So lauten im Kern die Beschuldigungen, die das Land Berlin in Gerichtsverfahren seit August 2021 gegen die Berliner Zeitung vorträgt. […] Gedroht wurde mit einem Bußgeld bis zu 250.000 Euro. Offenbar sollte das Blatt in der Auseinandersetzung um die Kündigung des künstlerischen Leiters der Staatlichen Ballettschule Gregor Seyffert zum Schweigen gebracht werden. Um es vorwegzunehmen: Der Versuch ist gescheitert.“

Birgit Walter: Keine Gegendarstellung: Wie der Senat die Berliner Zeitung einschüchtern wollte, berliner-zeitung.de, 06.07.2022. Zum Volltext hier klicken.

Letze Meldung

Presseberichten zufolge sieht der Entwurf des Finanzministeriums für den Bundeshaushalt 2023 starke Kürzungen bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen vor. Das geht aus dem Haushaltsentwurf für 2023 hervor. Konkret sollen die „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ von derzeit gut 4,8 Milliarden auf 4,2 Milliarden Euro gekürzt werden – ein Aderlass von rund 600 Millionen Euro. (Doch bevor jetzt gegen Bundesfinanzminister Lindner/FPD gleich wieder scharf durchgeladen wird: dessen Mannen hätten die Kürzung ohne Zustimmung der Mannen von Bundesarbeitsminister Heil/SPD gar nicht in den Entwurf schreiben können.)

Das ist für potenziell Betroffene nun zwar keine wirklich gute Nachricht, doch andererseits – wegen der Pandemie und dem Ukraine-Krieg, wegen der Versuche, Russland wirtschaftlich zu „ruinieren“ (O-Ton Baerbock), wegen der Energie- und Zeitenwende sowie wegen der wieder zum Leben erweckten Inflation und demnächst womöglich noch wegen zunehmender Feindseligkeiten des Westens gegenüber China müssen wir schließlich alle den Gürtel enger schnallen.

Und dann soll das Geld ja auch noch für anderes reichen. Etwa für Dinge, für die selbst in Zeiten knapper Haushalte das Beste gerade gut genug ist. Wie den G7-Fototermin vor Alpenkulisse auf Schloss Elmau. Für die zwei – also gut, sagen wir, mit An- und Abreise, drei – Tage haben sich allein die Kosten für den Sicherheitsaufwand laut Handelsblatt auf 170 Millionen Euro zusammengeläppert. Da ist es doch schön, wenn durch die Einsparungen bei den Langzeitarbeitslosen bald noch Geld für zwei weitere solche Treffen übrigbliebe …

am