20. Jahrgang | Nummer 23 | 6. November 2017

Bemerkungen

Kurze Notiz zu Dieskau

Zwischen Halle und Leipzig finden sich einige Orte, die ihren Charakter, sofern sie überhaupt jemals einen hatten, durch eine Schnellstraße, die durch sie hindurchführt, verloren haben. Die größeren dieser Dörfer heißen Gröbers und Großkugel und laden mit ihren Gewerbegebieten und Kongresshotels herzlich zum Vorbeifahren ein.
Anders Dieskau, das einzige Dorf in der Gemeinde, das etwas im Abseits der großen Straßen liegt, direkt in der Aue. Hier, südöstlich von Halle, hat sich ein kleines Schloss erhalten. Es ist der Renaissance nachempfunden und erzählt die Geschichte von Enteignung, Zweckentfremdung und liebevoller Wiederherstellung. Heute ist es Wohnung, Veranstaltungsort und Café in einem. Sonntags schneidet hier der Schlossherr selbst den Kuchen an und serviert ihn den Besuchern in dem großen Saal mit Blick zum Garten.
Und dieses Stück Grün – größer als das übrige Dorf – ist das eigentlich Sehenswerte von Dieskau und der ganzen Gemeinde: Zwar wurde der Schlosspark mit englischem Teehaus, Statuen und Orangerie, vor allem aber mit einer ausgeklügelten Landschaftsgestaltung dem Wörlitzer Park der anhaltinischen Fürsten (immerhin Welterbe) bestechend deutlich nachempfunden. Doch bei aller Schönheit der geformten Natur scheint es nicht ganz gelungen zu sein, das freie Land um die drei Teiche restlos zu kultivieren. Um die Weiher ist der Wald wild und urig wie eh und je, der gewundene Graben führt ein schwarzes, fast stehendes Wasser und aus dem immerfeuchten Unterholz lugt die Unzähmbarkeit der slawischen Sumpflandschaft hervor.
Wer hier spazieren geht, gelangt fast zwangsläufig zu Stefan George: „Komm in den totgesagten park und schau“, rezitiert ein jeder Baum des Dichters wohl berühmtesten Vers. Ergriffenheit macht sich breit beim Gang durch den Park, und Verwunderung: So ein Kleinod, so nah und unvermutet bei der großen und plötzlich doch so fernen Stadt?

Thomas Zimmermann

Not me

Mein Gott, da lebe ich vor mich hin und muss auf einmal feststellen, dass ich offensichtlich völlig falsch empfinde. Nee, „Me too“-Anlass gab es nicht. Im Gegenteil – bitte entschuldigt liebe Opfer-Frauen (ich nehme jetzt mal ausdrücklich nur die des sogenannten Westens, andere Frauen haben wohl großes Recht zur Klage) – ich fand kleine Flirts und schlimmer noch Komplimente als wohltuende Nuance sowohl privat als auch im Arbeitsleben. Ich gebe zu, in jungen Jahren fand ich sogar Pfiffe nicht so schlimm. Ich hätte mich zwar nie umgedreht und geguckt, aber ich war bemerkt worden, ein Hochgefühl für das Girlie in mir – Mann fand meine Ansicht gut … Huch, ich weiß – wie furchtbar …
Warum nur habe ich Komplimente gern angenommen und kam gar nicht auf die Idee, dass mein damals kurzer Rock auch nur irgendwas mit der Anerkennung meiner Leistung zu tun haben könnte? Herrje. Wie naiv kann man denn sein? Ein berufliches Lob habe ich glatt als mir zustehend angenommen – und ein Kompliment als nettes Extra genossen. Ich habe doch glatt solcherart Kompliment von schmierigen Anmachen unterschieden und diese zurückgewiesen, ohne mich beschädigt zu fühlen. Wirklich, wie weltfremd. Dabei könnte ich heute richtig bei „me too“ punkten. Nach Jahren etwas herauszerren, wogegen man sich nicht zur Wehr gesetzt hat. Aber zugegeben – ich habe nie auf einer Besetzungsbank gesessen, oder gelegen.
Auch im reiferen Alter habe ich nichts begriffen, liebe Opfer_innen. Ich lege größten Wert darauf, dass mein Mann (gern auch andere!) mir die Tür öffnet, mir in den Mantel hilft. Es macht mein Leben einfach schöner – und ich fühle mich in keinster Weise in meiner Unabhängigkeit beeinträchtig, wenn mein Mann mich verwöhnt, Dinge erledigt, die ich sicher auch erledigen könnte. Und schwere Taschen tragen kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Ich akzeptiere auch nach wie vor Komplimente, wenn sie ehrlich sind. Und über Blumen freue ich mich immer noch. Ich bin also ganz offensichtlich ein schwerer Fall.
Vielleicht sollte ich mal einen Feminismuskurs besuchen. Lernen, überall die „-innen“ ranzuhängen, um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, dass meine Unabhängigkeit ohne das Anhängsel bedroht wird. In mich gehen, und endlich erkennen, dass meine sorglose Freude am Frau-Sein sowas von falsch war. Endlich Opfer_in sein. Und natürlich dabei endlich alles vergessen, was ich mal über das Zusammenleben von Mann und Frau gelernt habe, über gesellschaftliche Ursachen von Ungleichheit. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit wichtiger finden als Anhängsel_innen. Oder ich starte eine eigene „Me too“-Kampagne für Frauen, die den netten kleinen Unterschied zwischen den Geschlechtern mögen und sich im Fall der Fälle wehren. Das ist bei aller Kritik an unseren westlichen Gesellschaften nämlich möglich. Aber ich verfalle damit wohl schon wieder in meine alten Muster.

Margit van Ham

Die Muse der Mafia

Bisher war Thalia die Muse vom Dienst für komische Dichtung und, wie man heute sagen würde, Entertainment. Nun hat der gleichnamige Bücherkettenkrake dafür gesorgt, dass sich das ändert, wie der Kollege Andreas Platthaus am 30. Oktober auf FAZ.NET öffentlich machte.
Zahlreiche Buchhändler aus überwiegend süddeutschen Kleinstädten hatten ein Schreiben aus dem Hause Thalia erhalten – unter anderem folgenden Inhalts: „Aktuell suchen wir […] ein Mietobjekt, um im Rahmen unserer Expansionsstrategie eine Thalia-Buchhandlung zu realisieren. Alternativ zur Eröffnung einer neuen Filiale besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, mit lokalen Buchhändlern im jeweiligen Expansionsgebiet hinsichtlich einer Übernahme in Gespräche einzutreten. Vor diesem Hintergrund wende ich mich an Sie, ob ein Verkauf Ihrer Buchhandlung an Thalia für Sie derzeit eine prüfenswerte Alternative darstellt.“
Angesichts dieser nassforschen, man könnte auch sagen überfallartigen, Offerte fragte Platthaus: „Alternative wozu? Zu der Überlegung, mit einer in unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelten Filialbuchhandlung von gewohnt geringem inhaltlichen Anspruch, aber konzernbedingt langem finanziellen Atem die alteingesessene lokale Kleinkonkurrenz plattzumachen.“ Und fuhr fort: „Man glaubt sich in einem Szenario, wie man es sonst vom organisierten Verbrechen kennt: Überlegen Sie doch einmal, wie sehr wir Ihnen das Leben zur Hölle machen können.“
Platthaus erinnerte zugleich daran, dass Thalia auch das kreative Unternehmen ist, das Kleinverlage schon mal auffordert, sich mit einem Zuschuss an Thalias Werbekosten zu beteiligen, „sonst sei die langfristige Vertriebsleistung leider in Frage gestellt“. Da wurden für eine „Vertriebsleistung“ von drei verkauften Büchern 150,00 Euro gefordert …
Platthaus’ Fazit ist nichts hinzuzufügen: „Thalia ist fortan die Muse der Mafia.“

hh

Medien-Mosaik

Dieser Zufall ist keiner. Mit „Mathilde“ kommt zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution ein Film in russische und nun auch deutsche Kinos, der dem letzten Zaren Nikolaus II. „Gerechtigkeit“ widerfahren lassen soll. Regisseur Alexej Utschitel zeigt den jungen Nicky (wie er bei Familie und Freunden genannt wurde) als liebenswürdigen, leutseligen jungen Mann (mit dem 40-jährigen Lars Eidinger spielstark, aber nicht altersgemäß besetzt), der sich in die leichtlebige Ballerina Mathilde (Michalina Olszanska) verliebt. Natürlich ist die Familie dagegen und zwingt ihn, die ungeliebte deutsche Prinzessin Alix (Luise Wolfram) zu heiraten. Damit ist die Geschichte aus. Nur schriftlich wird dem Zuschauer mitgeteilt, dass die Ehe doch noch glücklich wurde, fünf Kinder hervorbrachte, die mit den Eltern 1918 ermordet wurden. Die Worte Revolution oder Bolschewiki fallen nicht.
Utschitel ist ein Film gelungen, der sich vor keiner Fernsehschnulze verstecken muss, im Gegenteil, die prachtvolle Ausstattung hat Schauwert, edle Roben werden nur ganz selten ausgezogen (was besonders bei Eidinger verwundert). Der Zar hat zwar andere Sorgen, denkt aber auch ans Volk, und als bei seinen Krönungsfeierlichkeiten 1389 Menschen ums Leben kommen, bezahlt er für alle Särge, damit sie nicht einfach so ins Massengrab kommen. Abends geht er zum Ball. Normal. Dass dieser bunten Eloge auf den Autokraten Nikolaus II. in Russland aus reaktionären Kreisen Hass entgegenschlägt, ist nur mit der erschreckenden geistigen Verfassung des Landes zu erklären.
Mathilde, Regie Alexej Utschitel, Verleih Kinostar, seit 2. November in zahlreichen Kinos.

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Wie hat sich das Leben russischer Filmemacher nach dem Ende der Sowjetunion verändert? Diese Frage interessierte die Publizistin, DEFA-Regisseurin und Kuratorin Ingrid Poss. In den 90er Jahren wollte sie einen Film darüber machen, der aus Finanzierungsgründen nicht zustande kam. Sie hatte viele Freunde in der Sowjetunion, und ihre Erfahrungen von Begegnungen seit den späten 80ern hat sie nun in dem Buch „Meine Russen“ veröffentlicht – als Oberbegriff auch für kirgisische oder baltische Künstler. „Eine Collage, die mit ihrem nicht selten lakonisch-bissigen Humor die Augen öffnet. Lesenswert in Zeiten einer zerrissenen Welt, in der Kenntnisse über unterschiedliche Kulturen, Lebensweisen und Empathien von außerordentlicher Wichtigkeit sind“, urteilt Matthias Platzeck im Vorwort. Den Dokumentarfilmer Jefim Utschitel, Vater des „Mathilde“-Regisseurs, hat Poss nicht mehr treffen können, weil er 1988 starb. Dafür gibt es Gespräche mit dem Aitmatow-Regisseur Bolot Schamschijew, mit Tolomusch Okejew. Andere, wie Viktor Jerofejew haben eigene Texte beigesteuert, und die Autorin lässt auch die deutschen Fernsehkorrespondenten Gert Ruge, Gabriele Krone-Schmalz und Peter Scholl-Latour zu Wort kommen. Sie können jedoch nicht so schön formulieren wie der Russe Jerofejew: „Um Russland zu verstehen, muss man vernünftiges Denken unterlassen und sich im Strom des russischen Lebens auflösen wie ein Stück Würfelzucker.“
Ingrid Poss, Meine Russen – Lebensläufe aus dem Umbruch. Neues Leben, Berlin 2017, 304 Seiten, 19,99 Euro.

bebe

Film ab

Mit seinen teils spektakulären Aufnahmen vom Leben einer Gepardin mit einem Wurf von sechs Jungen, von denen nur zwei zu ausgewachsenen Raubkatzen heranwachsen, hätte dieser Streifen ein grandioser Dokumentarfilm werden können. Über eine bedrohte Tierart, von der es in Afrika nur noch 7000 Exemplare geben soll.
Leider aber hatte – wie im Vorspann mitgeteilt wird – Macher Matto Barfuss die Gelegenheit, einige Zeit vor den Arbeiten an diesem Film mehrere Wochen mit Geparden in freier Wildbahn zu verbringen, „als akzeptiertes Familienmitglied“. Dabei muss er sich wohl etwas eingefangen haben. Und sei es nur die fixe Idee, dass der Gepard von nebenan – mit seinen Herausforderungen und Nöten, seinen Siegen und Niederlagen – auch nur ein Mensch ist wie du und ich. So jedenfalls ist der Text zum Film angelegt, der dadurch zur kitschigen, bitter-süßen Schnulze wird, die unter naturwissenschaftlichen Aspekten schlicht unerträglich ist. Das beginnt damit, dass die Gepardin ständig mit dem ihr verpassten Namen Maleika angesprochen wird und ihre Jungen, dazu passend, als Martha, Malte, Mirelèe, Marlo, der so gern klettert, Mia und Tollpatsch Majet firmieren. Das setzt sich fort mit menschelndem Schwachsinn wie, dass Geparden für die Freiheit und die Liebe lebten, und endet noch längst nicht damit, dass es, wenn wieder ein Junggepard zu Tode gekommen ist – etwa bei einer Flussquerung von einem Krokodil gerissen, was abzulichten Barfuss gelang –, aus dem Off heißt, dass die Überlenden begriffen hätten, dass dieses Familienmitglied „nun für immer gegangen“ sei. Den Text spricht Dieter, der sich seit 2013 Max nennt, Moor, was die Sache nicht besser macht; Moor mit seinem Timbre hätte auch einen passablen Pastor abgegeben.
Zur Machart von Barfuss passt es im Übrigen, dass neben den edlen, tief empfindenden Geparden alle anderen Spezies bloße Staffage sind – entweder als tückische Feinde (Löwen, Hyänen, Schakale) oder bloße Nahrungslieferanten, für die Barfuss nicht die geringste Empathie durchscheinen lässt. Deren Bestimmung wird vielmehr launig kommentiert – im Stile von „Mutti serviert Impala“. Dazu gibt es die Mitteilung: „Natürlich müssen Geparden jagen, denn sie haben keinen Metzger um die Ecke, der das anonym für sie erledigt.“ Der Vergleich mag vielleicht etwas weit her geholt erscheinen, aber genau so eine Attitüde sprach einst aus Filmen, wie sie nicht nur Leni Riefenstahl drehte.
„Maleika“ ist ohne Altersbeschränkung eingestuft. Wie könnte es anders sein – bei „einer der berührendsten Geschichten aus der Welt der Tiere“ (Camino Filmverleih). Wer mit seinem jüngeren oder gar jüngsten Nachwuchs ins Kino eilt, sollte allerdings wissen, dass die Jagd der Gepardin mehrfach in Großaufnahme gezeigt wird – bis zum blutigen Ende. Und dass die Jägerin aus ihrem Beutespektrum auch gezielt Jungtiere auswählt, um sie ihrem Nachwuchs unverletzt vorzusetzen: Auf dass dieser spielerisch das Ergreifen, Niederwerfen und den finalen Kehlbiss üben kann. Immer wieder …
„Maleika“, Regie: Matto Barfuss. Derzeit in den Kinos.

Clemens Fischer

Musikalische Erkundung des offenen Horizonts

Aller guten Dinge sind drei. Der sattsam bekannte Spruch findet im Bereich des Jazz-Trios noch eine spezifische Besonderheit. Denn die Kombination Klavier-Bass-Schlagzeug ist die am häufigsten anzutreffende Jazz-Kombination.
Jazzkenner nehmen als Vergleichsmaßstab häufig die nach dem Pianisten Esbjörn Svensson benannte Formation „e.s.t.“. Dieses skandinavische Trio war von 1993 bis 2008 für den europäischen Kontinent stilbildend. Nach dem Unfalltod des Pianisten lautet die immer wiederkehrende Frage für Jazzfans: Wer kann in die Fußstapfen von „e.s.t.“ treten?
Der im Frankenland lebende Pianist Jens Magdeburg hat mit seinen beiden Partnern Gunther Rissmann (Bass) und Jens Liebau (Schlagzeug) soeben eine zweite CD-Veröffentlichung realisiert. Die Formation „Landscape“ kombiniert Versatzstücke verschiedener musikalischer Richtungen zu einem kammermusikalischen Ganzen. Auch wenn Jens Magdeburg alle Stücke komponiert hat, so sind Bassist und Schlagzeuger bei keine Statisten, sondern haben ihren gleichberechtigten Part. Und gerade die Interaktion der Musiker bewahrt die dargebotenen Stücke vor fader Routine und schafft beim Zuhörer atmosphärisch dichte Klangbilder. Nicht nur mit dem titelgebenden Stück „open horizon“ belegt Landscape, dass sie die Jazzmusik nicht neu erfinden, aber auch nicht als bloße Plagiatoren der großen Trio-Matadore fungieren wollen. Mit ihrer Spielfreude werden sie sich hoffentlich noch lange ihren offenen Horizont bewahren.
Jens Magdeburgs Landscape: Open Horizon. Whope Hope Records, circa 16 Euro.

Thomas Rüger

Blätter aktuell

Mit dem Brexit und Donald Trump sehen viele (west-)deutsche Beobachter das Ende der politischen Kultur des Westens gekommen. Jedoch ist die Vorstellung von einem geeinten Westen geschichtsvergessen, schreibt der Theologe Edelbert Richter. Denn das Verhältnis der angelsächsischen Staaten zu Deutschland war schon immer von strategischen Kalkülen geprägt. Statt in enttäuschter Liebe zu erstarren, gilt es, die zwischenstaatlichen Beziehungen realistischer zu bewerten.
Die Sondierungen zu „Jamaika“ haben begonnen, das linke Projekt Rot-Rot-Grün ist bis auf Weiteres arithmetisch unmöglich. Wie aber geht es weiter mit seinen einzelnen Bestandteilen? Dazu schreiben Blätter-Mitherausgeber Claus Leggewie (Die Grünen in Jamaika: Verantwortungsbewusste Bürgerlichkeit), die beiden Strategen der Rosa Luxemburg Stiftung Michael Brie und Mario Candeias (Linkspartei: Gegen das politische Vakuum) und der Journalist Claus Heinrich (SPD: Der Absturz einer Volkspartei).
Zu den weiteren Beiträgen zählen: „Estland zwischen Ost und West“, „Portugal: Mit links aus der Krise“ und „Hamas und Fatah: Aussöhnung in Gaza?“
Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, November 2017, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

WeltTrends aktuell

Die USA kürzen ihre Mittel für die Vereinten Nationen und treten aus der UNESCO aus. Der neue UN-Generalsekretär ist dabei, den Apparat der Organisation zu reorganisieren. Die UNO ist nach wie vor eine einzigartige Plattform für die Lösung von Konflikten und Verhandlungen über globale Herausforderungen wie Abrüstung, wirtschaftliche Entwicklung oder Klima- und Umweltfragen. Dabei gilt noch immer die vom zweiten Generalsekretär Dag Hammarskjöld popularisierte Maxime, die UNO sei nicht geschaffen worden, um uns den Himmel auf Erden zu bringen, sondern uns vor der Hölle zu bewahren.
Im Thema untersuchen Experten die Rolle des Sicherheitsrates und die ersten Maßnahmen des Generalsekretärs wie auch die Agenda 2030 und die Probleme der UNESCO.
Mit dem am 20. September von einer großen Staatenmehrheit in New York verabschiedeten Vertrag über das Verbot von Kernwaffen hat die Weltorganisation bewiesen, dass sie die Grundfragen unserer Zeit im Blick hat. Leo Hoffmann-Axthelm, Vertreter der kürzlich mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Anti-Atomwaffenbewegung ICAN, erläutert Zustandekommen und Inhalt des Vertrages. Im Kommentar setzt sich Botschafter Alexander Kmentt (Österreich), der eine wesentliche Rolle im Vertragsprozess spielte, insbesondere mit der Rolle der Kernwaffenstaaten und der nuklearen Abschreckung auseinander.
WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 132 (November) 2017 (Schwerpunktthema: „UNO – fit für die Zukunft?“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

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Aus anderen Quellen

Die nukleare Zusammenarbeit, sagte der russische Präsident Wladimir Putin am 19. Oktober vor dem Waldai-Club, sei „der wichtigste Bereich der Interaktion zwischen Russland und den Vereinigten Staaten“. Im Rahmen bilateraler Verträge hätten die USA in den zurückliegenden Jahren „620 Überprüfungsbesuche in Russland unternommen, um die Einhaltung der Abkommen zu überprüfen. Sie besuchten die heiligsten Heiligtümer des russischen Kernwaffenkomplexes, nämlich die Unternehmen, die sich mit der Entwicklung von nuklearen Sprengköpfen und Munition sowie waffenfähigem Plutonium und Uran beschäftigten. […] Die mächtigste nukleare Anreicherungsanlage der Welt – das Uraler Elektrochemische Kombinat – verfügte sogar über einen permanenten amerikanischen Beobachtungsposten. In den Werkstätten diese Kombinats, in denen die amerikanischen Spezialisten täglich zur Arbeit gingen, wurden direkt feste Arbeitsplätze geschaffen.“
Waldai-Club 2017: Putins gesamte Rede in deutschem Wortlaut, NPR.NEWS, 22.10.2018. Zum Volltext hier klicken.

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„Wenn die Sozialdemokraten und die politische Linke in Europa ihre aktuelle Krise und ihre Schwächephase überwinden wollen, müssen sie zwei Bedingungen erfüllen“, meint Antje Vollmer in einem Beitrag gegen das seit über 100 Jahren bestehende Schisma zwischen den Hauptströmungen der Linken. Nämlich: „Sie müssen ihre Angst vor den permanenten medialen Folterwerkzeugen ihrer politischen Gegner besiegen – und sie müssen endlich ihre eigene ewige Spaltungsgeschichte beenden.“ Dafür sieht die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages auch historische Anknüpfungspunkte: „Die USPD, die spanische Republik, der Kampf gegen die griechische Militärjunta, der Prager Frühling, Willy Brandts und Olof Palmes Entspannungspolitik, Gorbatschows Glasnost und Perestroika, das sind die gemeinsamen Traditionen in Ost- und Westeuropa, in denen eine neue Einheit der politischen Linken sich gründen ließe.“
Antje Vollmer: Welche Zukunftsperspektiven hat eine linke Opposition? Berliner Zeitung, 22.10.2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Russland habe eine neue Front eröffnet, heißt es aus NATO-Kreisen. Angeblich greife das russische Militär nun die Smartphones der in Polen und den baltischen Staaten stationierten Nato-Soldaten an“, schreibt Florian Rötzer. „Als Beleg für die Geschichte wird auf einen Soldaten aus Estland verwiesen, der an der russischen Grenze stationiert war und auf dessen Handy plötzlich Hip-Hop-Musik lief, die er nicht heruntergeladen hatte. Zudem seien Kontakte verschwunden.“ Allerdings werde „nicht weiter der Umfang der ‚Kampagne‘ erörtert und schon gar nicht berichtet, welchen Cyberaktivitäten die Nato nachgeht, die […] nur als Opfer einer russischen Kriegsführung dargestellt wird. Offenbar soll weiterhin die Angst vor Russland geschürt und die Bedrohungskulisse verstärkt werden.“
Florian Rötzer: Wie das Wall Street Journal einen Cyberwar mit Russland herbeischreiben will, heise.de, 06.10.2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Eine atomwaffenfreie Welt wird kommen“, ist Sascha Hach überzeugt und fährt fort: „Die Frage ist, ob mit oder ohne Knall. Die Inkohärenz der deutschen Atomwaffenpolitik droht die abrüstungspolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands zu erodieren. Während die Bundesrepublik die Ächtung von Bio- und Chemiewaffen seit langem unterstützt, unterminiert sie die Ächtung von Atomwaffen.“
Sascha Hach: Was der Friedensnobelpreis an ICAN für die deutsche Nuklearpolitik bedeuten sollte, IPG. Internationale Politik und Gesellschaft, 09.10.2017.

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„Parlamentswahlen spielen offenkundig in kapitalistischen Demokratien für alle grundlegenden politischen Entscheidungen keine Rolle mehr“, befindet Rainer Mausfeld: „Die großen politischen Entscheidungen werden zunehmend von Instanzen und Akteuren bestimmt, die nicht der Kontrolle der Wähler unterliegen. […] Diese Entwicklung war bereits in der Erfindung der repräsentativen Demokratie angelegt und wurde seitdem strukturell, prozedural und ideologisch konsequent und systematisch vorangetrieben.“ Als maßgebliche Ursache dafür benennt Mausfeld: „Nur unter der Voraussetzung, dass auch in einer Demokratie der Status herrschender Eliten nicht gefährdet wird, konnte Demokratie zu einer auch von den jeweiligen Zentren der Macht anerkannten Herrschaftsform werden. In einer geeignet konzipierten ‚Demokratie ohne Demokratie‘ sollte […] die Kontrolle über alle relevanten Entscheidungsprozesse weiterhin bei den jeweiligen Machteliten verbleiben. Dazu war es erforderlich, die Demokratie in geeigneter Weise umzudefinieren und […] so abzusichern, dass die Eigentumsordnung nicht gefährdet werden konnte.“
Rainer Mausfeld: Die Wahrheit über die Demokratie,
Rubikon, 15.09.2017. Zum Volltext hier klicken.