19. Jahrgang | Nummer 24 | 21. November 2016

Bemerkungen

Es heißt …
– Fragen zur US-Präsidentenwahl

Es heißt, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sei vor allem auf weiße, verarmte und schlechter gebildete Arbeiter zurückzuführen.
Dass diese Gruppe so groß geworden ist, hat doch Trump nicht allein zu verantworten.

Es heißt, Trump habe die amerikanische Gesellschaft gespalten.
Es wäre immerhin auch möglich, dass er vorhandene Spaltungen nur überdeutlich öffentlich werden ließ.

Es heißt, man solle die Wähler von Trump nicht beschimpfen.
Andererseits wirft man ihnen vor, dass sie nur auf Emotionen gesetzt haben und nicht auf faktische Lösungen, die sie doch aber bräuchten, damit sie nicht weiter abgehängt werden.

Es heißt, die Wahl von Populisten sei ein Aufbegehren von Menschen, die sich abgehängt fühlen.
Wenn hinter diesem Gefühl kein tatsächliches Abgehängtsein steht, woher kommt dann bei so vielen Leuten dieses falsche Gefühl?

Ove Lieh

Dix bei Grünewald

Der im Dritten Reich künstlerisch als „entartet“ eingestufte Otto Dix hatte sich ab 1936 nach Hemmenhofen am Bodensee in die innere Emigration zurückgezogen. Das bewahrte ihn aber nicht davor, noch im April 1945, mit 53 Jahren, zum letzten Aufgebot, zum Volkssturm rekrutiert zu werden. Als dessen Angehöriger geriet er in französische Gefangenschaft und in ein Lager in Colmar-Logelbach, wo er zehn Monate ausharren musste.
Ein schicksalhafter Zufall – unglaubhaft im Film, möglich im Leben – macht aus dieser Konstellation etwas Bleibendes: Der Lagerkommandant erkennt den berühmten deutschen Maler, der den Franzosen im Allgemeinen bis heute weitgehend unbekannt ist, und lässt ihn tagsüber bei einem ortsansässigen Künstler, Robert Gall, arbeiten.
Dix inspiriert dabei eines der größten Kunstwerke der Renaissance, der überwältigende Isenheimer Altar des Matthias Grünewald, der zwischen 1512 und 1516 als Auftragswerk die Antoniter-Präzeptorei in Isenheim entstanden war und der seit 1853 in der großen Kapelle des säkularisierten einstigen Dominikaner-Klosters Unterlinden in Colmar beheimatet ist.
Insgesamt 75 Werke werden es am Ende von Dix‘ Lagerhaft sein – darunter auch jene „Maria mit dem Stacheldraht“, die ursprünglich für die Lagerkapelle entstand, nun aber bereits seit fast 40 Jahren als Eigentum des Landes Berlin in der Wallfahrtskirche Maria Frieden im Berliner Stadtteil Mariendort ihren Platz hat.
Jetzt ist sie ausgeliehen nach Colmar in die Ausstellung „Otto Dix – Isenheimer Altar“, die zahlreiche Werke aus Dix‘ dortiger Schaffensperiode zeigt, aber zum Beispiel auch das bekannte Anti-Kriegsgemälde „Flander“ von 1936 aus der Berliner Nationalgalerie.

am

„Otto Dix – Isenheimer Altar“, Musée d’Unterlinden de Colmar, noch bis 30.01.2017.

Gepflegte Tradition

9. November 1848: An einem Abgeordneten des durch die 1848er Revolution erzwungenen Paulskirchen-Parlaments erweist sich die Relativität des Wertes von Immunität: Der Mann wird von österreichischem Militär – umstandslos – ermordet („Erschossen wie Robert Blum“).
9. November 1913: Preußische Offiziere terrorisieren in einer elsässischen Kleinstadt die französischsprachige Bevölkerung. Die sog. Zabern-Affäre wird zu dem Skandal des Jahres 1913.
9. November 1918: Friedrich Ebert setzt sich an die Spitze der Revolution und lässt sie im Blut ersticken, u. a. in dem einer Frau.
9. November 1923: Adolf Hitler verschafft sich in München – der ewigen Hauptstadt am Fuße des Tellerrandes – mit der Vermarktung seines gescheiterten Bürgerbräu-Putsches den Ruf eines Hoffnung versprechenden Totschlägers.
9. November 1938: Der langen Geschichte der Pogrome wird eine staatliche Variante hinzugefügt. Das entschlossene Nichtstun der nicht-jüdischen Mitbürger nehmen die Zyklon-B-Verwender in spe als Ermutigung überrascht, aber keineswegs abweisend zur Kenntnis.
9. November 1989: Die Bastille-Mauern des oktroyierten Staatssozialismus bersten. Der Gedanke, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, wird zwar wieder denkbar, gilt aber für den Rest der Menschheitsgeschichte als blamiert.
9. November 2016: Endlich exportiert Deutschland wieder Ideen …

Jörn Schütrumpf

Ob im Osten oder Westen …

Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass das Musikerduo Gerulf Pannach und Christian „Kuno“ Kunert das Album „Fluche Seele Fluche“ veröffentlichten.
Beide waren bei der „Renft“-Combo aktiv, bevor sie 1977 in den Westen abgeschoben wurden.
Für den Rezensenten mit westdeutscher Biographie war es schon damals, Anfang der 80er Jahre, unerklärlich, welch‘ kreatives Potential im Osten Deutschlands steckte und welch‘ Unvermögen eben dieser Staat an den Tag legte, mit solchem Potential fördernd statt bürokratisch ausgrenzend und ausweisend umzugehen.
Selbst 25 Jahre später wird dem aufmerksamen Hörer das musikalische wie auch textliche Können der beiden Künstler offenbar.
Sie sind keine klassischen Liedermacher, wenngleich ihre zum Einsatz kommenden Musikinstrumente (von Gitarre bis Akkordeon, von Mundharmonika bis Posaune) dies anzudeuten scheinen.
Neben Eigenkreationen adaptieren sie Lieder von Elton John oder den Rolling Stones (richtig gelesen!), auf Deutsche. Der Titelsong ist textlich inspiriert von einem Gedicht des Anarchisten Erich Mühsam. Und der Refrain hat leider immer noch Bestand:
„Ob im Osten oder Westen
Wo man ist, ist’s nie am besten…“
Pannach & Kunert präsentieren Welt- und Liebesschmerz, kluge Alltagsbeobachtungen und pathetische Anklänge, Anklagen gegen den bürgerlichen Mief und die so unerträgliche wie auch bequeme Mittelmäßigkeit in Deutschland-Ost und Deutschland-West.
„Such nur, hinter Gardinen
Lauern schadenfrohe Mienen.
Fluche Seele Fluche.“
Diese CD ist eine verdienstvolle Wiederveröffentlichung. Möge sie vielfach Gehör finden. Pannach & Kunert hätten es verdient – auch posthum, denn Gerulf Pannach ist leider schon 1998 verstorben.

Thomas Rüger

Pannach & Kunert: Fluche Seele Fluche, CD 2016, Label: Marktkram (Vertrieb über Buschfunk), 14,95 Euro.

Ja wo leben wir denn?

Die Meldung in der Berliner Zeitung vom 29./30.10.2016, Seite vier, stand unter der Überschrift: „Minister Maas will schärfere Regeln für Kinderehen“:
Da packte einen sofort das kalte Grausen: Wenn schon unser spillriger Justizminister für Kinderehen ist, ja wo leben wir denn da eigentlich?
Der nächste Gedanke galt schon dem Thema „Einpacken und Auswandern“.
Teilentwarnung dann beim Lesen der Meldung: „Kinderehen von Flüchtlingen sollen nach Plänen von Justizminister Heiko Maas (SPD) künftig von Gerichten aufgelöst werden können. Dies solle möglich sein, wenn das Wohl des minderjährigen Ehepartners gefährdet sei […].“
Na gottseidank – dann ist der Maas wohl doch eher gegen Kinderehen.
Die Panikattacke war nur der Sprachschluderei eines Redakteurs zu danken, und das ist natürlich kein Grund zum Exilieren, denn daran sind wir doch längst gewöhnt.

cf

Herr Käthe und Martinus streiten im Schatten des Domes

Das muss man erst mal hinkriegen: Eine Premiere mit dem vollen Geläut des benachbarten Domes einzuleiten – eine geschlagene Viertelstunde lang! Das Berliner Theater im Palais hatte das am 31. Oktober geschafft. Es gab „Mein Herr Käthe“ von Uwe Hoppe. Der Berliner Dom läutete zeitgleich das Reformationsjahr ein. Chapeau!
Allerdings waren die Töne im kleinen Kammertheater dann doch etwas leiser. Für die Musik war Ute Falkenau zuständig. Sie hatte nur ein Klavier, und den Domglocken folgte das Evangelische Gesangbuch 362 „Ein feste Burg…“. Das ist Luthers Fassung des Psalms 46. Gabriele Streichhahn und Jens-Uwe Bogadtke swingten sich unter der Anleitung Frau Falkenaus förmlich in den schwierigen Text ein. Dieser Auftritt zählt zu den schönsten Momenten des Abends, der überhaupt seine starken Seiten hat, wenn die beiden in die Rollen der Katharina Luther und ihres Gatten Martin schlüpfen dürfen – und spielen können. Ich weiß nicht, warum Hoppe der Verführung erlegen ist, „Sie“ und „Er“ als kommentierende und miteinander diskutierende Personen aus dem Heute in sein Textbuch einzufügen. Das Ganze bekommt damit etwas oberlehrerhaft Belehrendes. Das ist schade und ziemlich überflüssig, zumal so sehr viel Neues an „Luther-Sichten“ auch Uwe Hoppe nicht bieten kann.
„Herr Käthe“ sollte ein Stück über Katharina werden. Luther nannte seine Frau in Briefen voller Respekt und Zuneigung selber so. Die Idee, die Ehefrau aus dem Schatten des Über-Gatten herauszulösen, ist gut – und der souverän agierenden Gabriele Streichhahn gelingt das auch. Jedenfalls soweit der Text das zulässt. Die historische Katharina hatte es schwer genug mit ihrem offensichtlich alltagsuntauglichen Martinus. Aber sie hat ihn geliebt, sehr geliebt. Die Sterbens-Szene sagt in der Interpretation von Bogadtke und Streichhahn mehr über die Tiefe der komplizierten Beziehung der Gatten zueinander aus, als so manch gelahrtes Palaver. Das war einfach schön, und man verlässt angerührt das Theater. Und dass am 17. November nun auch noch Ottilie Müntzer im Berliner Theater im Palais aus dem Vergessen geholt wird, kann nicht laut genug gerühmt werden!

Wolfgang Brauer

„Herr Käthe“ wieder am 6.12.2016, 14.1., 22.1. und 31.1.2017.

Kurze Notiz zu Teutschenthal

In Teutschenthal haben schon seit der Schöpfung Menschen gelebt. In langen Jahrtausenden haben sie die Zuckerrübe heimisch werden lassen, haben auf der Suche nach Kohle dutzende Löcher in die Erde gegraben und später ein paar Gewerbegebiete angelegt. Dürr bestandenes Brachland, weites Ackerland, trostloses Niemandsland zwischen Eisleben und Halle – das ist Teutschenthal: Für gewöhnlich fährt man lieber durch als hin.
Aber ganz so einfach ist das nicht mit diesem Teutschenthal. Weil es auf der Grenze zwischen dem Mansfelder Land im Vorharz, dem preußischen Halle und dem sächsisch geprägten Süden liegt – alles Eigentümlichkeiten, die noch stark wirken auf ihre Bewohner. Und Teutschenthal gehört zu allem so halb und zu keinem so richtig, ist immer das andere Dorf. Und genau diese Andersartigkeit wurde in Teutschenthal kultiviert.
Da gibt es zum einen das Teutsche Theater Teutschenthal, wo Carl Sternheim und Molière gegeben werden. In einer Scheune, unter fast schon primitiven Bedingungen, aber eben seit Jahrzehnten nun schon. Ein Dorf mit Anspruch, über die Dorfränder hinaus: Ein Theater weist nicht einmal die Kreisstadt Merseburg auf.
Und dann ist da die Motocross-Weltmeisterschaft, die alljährlich auch in Teutschenthal ausgetragen wird. Man könnte meinen: Klar, schadd ja nüschd, is ja dort eh alles forn Arsch vonner Landschaft her. Man könnte aber auch sagen: Sissde ma, selbsd off son kleenen Moockchen …
Und so scheiden sich die Geister an diesem Dorf Teutschenthal. Und das scheint zu begeistern. Daher leben noch heute in diesem Teutschenthal mehr Menschen als in den nahen und so verschlafenen Traditionskurorten Bad Lauchstädt und Bad Dürrenberg.

Thomas Zimmermann

Fürsorgliche Warnung

Bevor staatlich berufene einschlägige Experten
ein weiteres Mal die Simplifizierungsaxt
an die deutsche Interpunktion legen
und der Beistrich dabei womöglich
endgültig unter die Räder kommt,
sei darauf hingewiesen,
dass in einem solchen Falle
gewisse sinnstiftende Nuancierungen
zwar vielleicht noch gesprochen,
gar nicht jedoch mehr geschrieben werden könnten:

Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt. (Friedrich Schiller)
Der brave Mann denkt an sich, selbst zuletzt.

Was willst Du schon wieder?
Was, willst Du schon wieder?

Oder in Sachen GZSZ:
Bemühe dich, nicht unter Deiner Zeit zu sein. (Georg Christoph Lichtenberg)
Bemühe dich nicht, unter Deiner Zeit zu sein.

Und in Fragen auf Leben und Tod
sollten Botschaften vorsichtshalber
immer schriftlich übermittelt werden.
Aber ohne Beistrich?
Da schriebe der König
im Falle eines verurteilten Bösewichts
an den Henker nur Unverständliches:
„Ich komme nicht köpfen.“
Der Beistrich muss her.
Trotzdem – Vorsicht!
Seine Stellung markiert
einen schmalen Grat
– den zwischen Aufschub,
vielleicht gar Begnadigung,
und Exitus:
„Ich komme, nicht köpfen.“
„Ich komme nicht, köpfen.“

Ein letztes Beispiel:
Die Hochzeit ist geplatzt.
Wer war schuld?
Er oder sie?
It depends.
Und zwar vom Beistrich:
Er wollte sie nicht.
Er wollte, sie nicht.

All diese Beispiele verraten überdies:
Das deutsche Komma
– es gibt weder eine kürzere,
noch eine trefflichere Exemplifizierung
des sprichwörtlichen Schmetterlingseffektes!

Alfons Markuske

Wirsing

Weil mich Rezensionen aus dem Blättchen neugierig gemacht haben und mir der Weg nach Berlin ins Prime Time Theater zu weit ist, freue ich mich auf die Mini-Serie „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, die der RBB zwischen Weihnachten und Neujahr ausstrahlen wird. Auf der Homepage des Senders kann man sich schon Appetit holen. Ob man aber immer alles glauben kann? Über Carl Heinz Choynski, der einen Opa spielt, wird über sein knapp drei Jahrzehnte währendes Engagement im Berliner Ensemble informiert, und es heißt, er habe „unter anderem auch in Inszenierungen von Helene Weigel“ gespielt. Von der großen Schauspielerin und mütterlichen Theaterleiterin ist viel bekannt, nicht aber, dass sie jemals inszeniert hätte. RBB-Redakteure kennen die Vergangenheit aber genauer.
Besser noch – sie können auch in die Zukunft schauen. Von Marcus Glauche, der mehrere Rollen übernommen hat, erfahren wir: „Er war an zwei Produktionen beteiligt, die 2017 den Grimmepreis erhielten.“ Vielleicht ist es ja sogar „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, wofür man im nächsten Jahr den Adolf Grimme-Preis erhielt! Dann aber fürs Spiel und nicht für die redaktionelle Verwurstung.

Fabian Ärmel

Aus anderen Quellen

Diejenigen, die nach der Wahl Donald Trumps meinen, „es sei doch vielleicht alles gar nicht so ernst“, erinnert Andreas Rüesch an die außenpolitische Machtfülle eines US-Präsidenten: „Er kann als Oberkommandierender das Militär in Kriege schicken oder auch zurückziehen, wie er will. Er legt die Leitlinien der Diplomatie fest und ernennt die Botschafter im Ausland. Völkerrechtlich bindende Verträge beengen seinen Spielraum, aber viele sind kündbar, und niemand kann die USA zwingen, internationale Abmachungen einzuhalten. Sowohl aus dem Klimavertrag von Paris als auch aus dem Atomabkommen mit Iran könnte Trump mit einem Federstrich aussteigen, was er auch bereits angedroht hat. Der Kongress kann einem Präsidenten dank seiner Budgethoheit das Leben erschweren, aber es ist eine stumpfe Waffe, wie die Demokraten vor einem Jahrzehnt erfahren mussten, als sie vergeblich versuchten, den Geldhahn für den Irakkrieg zuzudrehen.
Andreas Rüesch: Trump und die Aussenpolitik: Die liberale Weltordnung wird erschüttert. Neue Zürcher Zeitung (online), 10.11.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Am 9. September 2016 […] führte Nordkorea seinen bislang größten Nukleartest durch“, vermerkte Herbert Wulf, auch Blättchen-Autor, und fährt fort: „Scheinbar unaufhaltsam beschleunigt das Regime von Kim Jong-un sein Atomwaffenprogramm: Allein im Jahr 2016 testete Nordkorea zweimal Nuklearsprengsätze […], und trotz der Verurteilung durch die Vereinten Nationen und der Verschärfung von Sanktionen schoss es mehrfach ballistische, U-Boot-gestützte oder Mittelstreckraketen ab.“ Zeit für ein Umdenken gegenüber Pjöngjang. Wulf nennt fünf konkrete Ansatzpunkte
Herbert Wulf: Bi Bim BUMM. Fünf Schritte, wie Nordkoreas Atomprogramm gestoppt werden könnte, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 09.11.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Schaue sorgfältig hin, und es ist klar“, so der redaktionelle Anmacher für einen Beitrag von Aditya Chakrabortty, des indisch-stämmigen „senior economics commentator for the Guardian“, „dass der raubgierige Kapitalismus uns alle im Visier hat – nicht bloß die Arbeiterklasse.“ Der Autor selbst sieht eine historische Parallele zu dem, „was, vor 170 Jahren, Engels ‚den Krieg aller gegen alle‘ nannte“: „In ‚Die Lage der arbeitenden Klasse in England‘ schrieb er, dass‚ ein Krieg um das Leben, um die Existenz, um alles, also auch im Notfalle ein Krieg auf Leben und Tod, besteht nicht nur zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft, sondern auch zwischen den einzelnen Mitgliedern dieser Klassen; jeder ist dem andern im Wege, und jeder sucht daher auch alle, die ihm im Wege sind, zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu setzen. Die Arbeiter konkurrieren unter sich, wie die Bourgeois unter sich konkurrieren. Der mechanische Weber konkurriert gegen den Handweber, der unbeschäftigte oder schlecht bezahlte Handweber gegen den beschäftigten oder besser bezahlten und sucht ihn zu verdrängen.‘ Ich denke, dass wir bereits an einem solchen Punkt sind – abgesehen von der Epoche kann man die Weber ersetzen durch die Uber-Fahrer, die nach Stundensatz bezahlten Universitätsdozenten, sogar durch die freien Journalisten.“
Aditya Chakrabortty: Rust-belt romantics donʼt get it: the middle class is being wiped out too, The Guardian (online), 15.11.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Dass auch Nationalmannschafts-Kicker rein menschlich und intellektuell nicht die wärmsten Kerzlein am Baum, von den hellsten ganz zu schweigen, sein müssen, hat uns Thomas Müller gerade wieder einmal auf den Schirm gerufen. Das Spiel gegen San Marion in der WM-Qualifikation habe mit „professionellem Fußball […] nichts zu tun“ gehabt, beschied er.
Alan Gasperoni vom Nationalen Olympischen Komitee in San Marino hat dem Schnösel in einem offenen Brief geantwortet: „1. Das Spiel war nützlich, weil es gezeigt hat, dass du nicht mal gegen so dürftige Teams wie das unsere ein Tor schießen kannst. Und jetzt sag nicht, dass du nicht total angepisst warst, als Simoncini verhindert hat, dass du zum Torschützen wurdest. 2. Das Spiel war nützlich, weil es deinen Managern […] gezeigt hat, dass der Fußball nicht ihnen gehört, sondern all denen, die ihn lieben, ob ihr wollt oder nicht – darunter sind auch wir. […] 4. Es war nützlich, weil es gezeigt hat, dass ihr Deutschen euch nie ändern werdet und dass die Geschichte euch nicht gelehrt hat, dass Überheblichkeit nicht immer die Garantie für den Erfolg ist.“
„Ihr seid immer noch die, die weiße Socken in Sandalen tragen“, SPIEGEL ONLINE, 15.11.2016. Zum Volltext hier klicken.