Über Angela Merkel
Im Oktober 2001 gelangte am Berliner Maxim-Gorki-Theater die Text-Collage „Merkels Brüder“ von Hajo Kurzenberger und Stephan Müller zur Uraufführung. Das Stück schockierte seinerzeit und trug wohl ebenso zur Absäbelung des damaligen Intendanten bei wie das ebenfalls von ihm verantwortete „Bankenstück“ Lutz Hübners, das die moralische Verkommenheit der Hauptstadt-„Elite“ vorführte. „Merkels Brüder“ zeigt, wie eine karrierebewusste, scheinbar farblose Frau, die niemand, aber auch wirklich niemand auf dem Schirm hat, step bei step die den Platzhirsch mimenden Alpha-Männchen beiseite räumt. Die Assoziationen zur frisch gekürten CDU-Vorsitzenden waren unübersehbar. Aber die brauchte noch gute vier Jahre, um den Kanzlerinnenstuhl zu erklimmen. Noch hat sie ihn. Und es fehlen zu dem Zeitpunkt, an dem ich diesen Text schreibe, nur noch 35 Tage – dann wäre sie die am längsten amtiert habende Kanzlerin der bundesdeutschen Geschichte und nach Otto von Bismarck auf Platz zwei der Dienstjahre deutscher Regierungschefs überhaupt. Noch ist sie auch die gefühlte Parteichefin der Konservativen. Vom tatsächlichen weiß man ja kaum noch den Vornamen.
Der Kampf der Satrapen um ihre Nachfolge in der Partei geht mittlerweile in die dritte Runde. Die besten Aussichten als Sieger die Walstatt zu verlassen, hat wohl ein Politiker aus dem Sauerland, den Merkel bereits 2004 aus dem Wege räumte und der seitdem auf seine Stunde lauert …
Wie auch immer, seit gut 21 Jahren wetzen sich Freund und Feind – selbst da wechseln immer mal wieder die Positionen – an ihr die Hörner. Auch für Das Blättchen ist sie noch ein Lieblingsthema. Davon zeugt auch dieses Heft. Aber irgendwie ist diese Frau nicht richtig zu fassen. Versucht es jemand dennoch, geht es ihm (oder ihr) zumeist wie unerfahrenen Bergsteigern in unbekannten Wänden: Man versteigt sich schneller im Kamin, als man wahrhaben möchte. Götz Aly erging das jüngst so mit einem Text, den er „Die irdische Angela“ nannte. Auch das noch, mochte man da beim Lesen abwinken, eine protestantische Seligsprechung … Aber Aly hat zwei bemerkenswerte Feststellungen zur Erklärung des Phänomens Merkel getroffen: „Erstens hatte sie als Physikerin einen politikfernen Beruf gelernt und ausgeübt und so ihr klares, Tatsachen respektierendes Denken trainiert; zweitens hatte sie als Bürgerin der DDR erlebt, was ihren westlichen Kollegen völlig fehlt, dass nämlich ein stabil erscheinendes politisches Gefüge binnen weniger Monate in sich zusammenbrechen kann.“
Aly hat recht. Diese Erfahrungen fehlen allen ihren tatsächlichen oder auch potenziellen Nachfolgern in jedwedem Amte, egal aus welcher Partei auch immer. Entsprechend kurzsichtig und verstandesfern kommt deutsche Politik derzeit auch daher. Wir werden wohl alle noch unser blaues Wunder erleben. Bleibt nur zu hoffen, dass es kein blutiges wird. Die gloriosi milites nehmen auf beängstigende Weise zu …
George Orwell als Kriegsberichterstatter
Als die siegreichen Armeen der Alliierten zu Beginn des Jahres 1945 immer weiter in das deutsche Reichsgebiet vordrangen, folgten ihnen zahlreiche Reporter, Schriftsteller und Fotografen. Unter ihnen befand sich auch der britische Schriftsteller George Orwell (1903-1950). Orwell kam im März 1945 im Auftrag der angesehenen Sonntagszeitung Observer nach Deutschland. Zunächst reiste er nach Köln. Was er sah, schockierte ihn. London und andere britische Städte hatten schwere deutsche Luftangriffe erlebt, doch das Ausmaß der Zerstörungen durch die alliierten Bombengeschwader überstieg seine Vorstellungskraft. So berichtete er in einer Reportage aus der Domstadt: „Das Zentrum, das einmal berühmt für seine romanischen Kirchen und seine Museen war, ist nur noch ein Chaos von gezackten Ruinen, umgestürzten Straßenbahnen, zerbrochenen Standbildern und riesigen Trümmerbergen, aus denen wie Rhabarberstangen rostige Stahlträger herausragen.“
Während seines Köln-Aufenthaltes ereilte ihn die Nachricht, dass seine Frau Eileen bei einer eigentlich harmlosen Operation verstorben war. Umgehend reiste er nach London und kehrte erst Mitte April über Paris nach Deutschland zurück. In Nürnberg war er Zeuge, wie sich der militärische Ring um die zerbombte „Stadt der Reichsparteitage“ schloss. In den ländlichen Regionen Süddeutschlands fand er dagegen relativ wenig Zerstörungen vor. In der scheinbaren Idylle stellte er sich aber immer wieder die Frage: „In welchem Maße können diese einfachen, offenbar harmlosen Bauern, die sonntags in ehrbarem Schwarz zur Kirche gehen, für den Horror der Nazis verantwortlich sein? Die Nazi-Bewegung hat ja sogar in diesem Teil Deutschlands begonnen.“ Zwar beteuerten die meisten, von den Verbrechen des Regimes nichts gewusst zu haben. Doch gewusst hatte jeder etwas – zum Beispiel von der grausamen Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen.
Von Nürnberg reiste Orwell am 22. April nach Stuttgart, das tags zuvor von französischen Truppen eingenommen worden war. Von Süddeutschland aus begleitete er dann den amerikanischen Vormarsch nach Österreich. Bis November 1945 war er noch als Kriegsberichterstatter der alliierten Streitkräfte tätig, sodass er noch über die ersten Nachkriegsmonate informierte. Ein wiederkehrendes Thema dieser Reportagen war das Problem, wie man mit dem besiegten Gegner verfahren solle. Auch das heikle Ernährungsproblem („Jetzt steht Deutschland der Hunger bevor“) bedrückte ihn. Insgesamt stellte Orwell in seinen Reportagen für die Zukunft Europas eine düstere Prognose. Und er sollte Recht behalten, denn eine zukunftsträchtige Friedensordnung, wie sie sich viele erträumt hatten, blieb aus.
Im C.H. Beck Verlag sind seine Reportagen erstmals geschlossen in deutscher Übersetzung erschienen. Der Historiker Volker Ullrich betont in seinem Nachwort, dass Orwells Beiträge „nüchterne Urteile, differenzierte Analysen und hellsichtige Reflexionen“ miteinander verbinden. Die Beobachtungen und Erfahrungen, die Orwell 1945 in Deutschland und Österreich machte, beeinflussten sicher auch seine Dystopie „1984“, die er nach dreijähriger Arbeit kurz vor seinem Tod beendete.
George Orwell: Reise durch Ruinen – Reportagen aus Deutschland und Österreich 1945, übersetzt von Lutz-W. Wolff, C.H. Beck Verlag, München 2021, 111 Seiten, 16,00 Euro.
Rüstungsexporte – die Bilanz der Ära Merkel
In ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben hatte sich die soeben sang- und klanglos abgewählte GroKo auch einen Abschnitt über „Abrüstung und restriktive Rüstungsexportpolitik“, in dem es hieß, man sei dafür. Also auch für „restriktive Rüstungsexportpolitik“. Insbesondere wurde festgehalten: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO- noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt.“ Und: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“
Was dann in den vier Regierungsjahren tatsächlich angesagt war, hat dankenswerterweise Kollege Jakob Reimann für die NachDenkSeiten recherchiert: „In 16 Jahren unter Angela Merkel als Kanzlerin wurden Rüstungsexporte im Wert von 92.166.460.000 Euro an 165 Länder genehmigt […]. Hinzu kommen Verkäufe an 17 Territorien, die (teil-)autonom sind oder deren Status völkerrechtlich ungeklärt oder umstritten ist und die in den Berichten der Bundesregierung daher separat aufgeführt werden; dazu zählen etwa Kosovo, Taiwan, die Westsahara, Grönland, Hongkong, die Caymans oder das nur von der Türkei anerkannte Nordzypern.“
Zur Entwicklungstendenz stellt Reimann fest: „Im statistischen Mittel gehen die Verkäufe von 2006 bis 2020 klar nach oben. Aus der berechneten Trendlinie geht hervor, dass über den Zeitraum der Merkel-Ära statistisch jedes Jahr Waffen im Wert von über 100 Millionen Euro mehr exportiert wurden. […] Genehmigte Waffenverkäufe an sogenannte Drittländer steigen statistisch gar um 120 Millionen Euro jährlich […]. Der Anteil an Verkäufen an diese Drittländer lag in mehreren Jahren bei über 60 Prozent und beträgt im Mittel über die Merkel-Jahre 49 Prozent […].“
Da wundert es nicht, was aus der Jemen-Selbstverpflichtung der GroKo wurde: Die „acht Länder der gegen den Jemen Krieg führenden Saudi-Emirate-Koalition“ erhielten „allesamt in jedem Kriegsjahr Genehmigungen“ zum Empfang deutscher Rüstungsgüter.
In einem Punkt allerdings muss Reimann klar widersprochen werden. Er schreibt, „Angela Merkel [Hervorhebung – A.M.] verkaufte Waffen im Wert von über 92 Milliarden Euro“. Und: „Der Kassenschlager ist […] der Leopard-Kampfpanzer, von dem Merkel [Hervorhebung – A.M.] über 1.700 verkauft hat.“ Schließlich: „Angela Merkel [Hervorhebung – A.M.] hat in Länder, die über 98 Prozent der Weltbevölkerung stellen, Waffen verkauft.“
Die Bewilligung von Rüstungsexporten fällt hierzulande allerdings nicht in die Zuständigkeit des Kanzleramtes sondern des Bundessicherheitsrates, und dem gehörten neben der Regierungschefin, um hier nur an die letzte Legislaturperiode zu erinnern, unter anderem auch an – der Außenminister (Heiko Maas, SPD), der Finanzminister (Olaf Scholz, SPD), die Justizministerin (Christine Lambrecht, SPD). Ohne deren Mitabnicken hätte Angela Merkel gar nichts verkaufen können …
Nicht einsilbig …
„Most“, „Pflug“, „Luft“, „Song“, „Sun“, „Dog“, „Flux“ und „Spot“ sind die bisherigen Titel der Alben von Attwenger, einer österreichischen Zwei-Mann-Band, die seit Anfang der 1990er Jahre existiert. Und die Herren Markus Binder (Drums, Electronics und Maultrommeln) und Hans-Peter Falkner (elektrische Knopfharmonika) bleiben auch beim neunten Albumtitel einsilbig: „Drum“. Die Mundart-Band liebt den kreativen Umgang mit Sprache. Schon die genannten Titel können größtenteils als englische und als oberösterreichische Dialektwörter gelesen werden. So ist „Drum“ das englische Wort für Trommel/Schlagzeug wie auch das Dialektwort für Darum. Textlich sind die Attwenger-Songs eine bunte Mischung aus Sprachspielereien (sie erweisen sich als würdige Nachfolger der Dadaisten aus dem vorigen Jahrhundert) wie auch drastischer Zustandsbeschreibungen privater wie gesamtgesellschaftlicher Zustände. Im Beziehungsdrama „vagismi“ (Vergiss mich) heißt es beispielsweise: „sie attackiert mi immer wieder / und zu wos i kapiers nie / sogt sie vapiss di“. Noch eine Spur drastischer tönt es im versteckten Schlusssong „my friend“: „scheiss di ned au my friend / olles wird guad aum end.“ Musikalisch sind Attwenger radikale Erneuerer der mitteleuropäischen Volksmusik, die bei ihnen häufig zum Dialektpunk oder Hiphop mutiert.
Damit des Dialekts nicht Kundige auch die subversiven Botschaften der Lieder verstehen können, sind die Texte im Booklet abgedruckt Und wer sich auf Attwenger einlässt, wird schnell erkennen, dass ihre Lieder alles andere als einsilbig sind.
Attwenger: „Drum“, Label Trikont 2021, 15,00 Euro.
Vielschwatz und Sprachverfall
Der immer wieder gern beklagte – und seit einigen Jahren auf die Neuen Medien geschobene – Niedergang der deutschen Sprache als Ausdruck der Verluderung der geistigen Kultur des Landes ist nichts Neues. Franz Blei hatte den schon 1923 thematisiert, als an Twitter & Co. und die dazu kontrapunktisch wuchernden Bleiwüsten des „Edel“-Feuilletons noch nicht zu denken war: „Wohl mit Recht macht man heute vornehmlich die Zeitung für den Verfall der deutschen Prosa verantwortlich, und der Gründe sind genug dafür. Und doch war es wieder die Zeitung, die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Bildung der neuen deutschen Prosa am stärksten förderte, indem sie die schwerfällige Weitschweifigkeit zur Kürze zwang, vom Worte Deutlichkeit und Schärfe verlangte und die Schriftsteller mehr auf die Mitteilung schöner Bildung und eigener Meinung wies, als auf das Ablagern von allgemein gelehrten Kenntnissen.“
Mir scheint, wir stehen in dieser Frage wieder am Beginn des achtzehnten Jahrhunderts …
Zwischenhalt in Xylokastro
Einer meiner Bahnträume, fast schon ein Trauma, geht folgendermaßen: Ich stehe hilflos auf einem sehr seltsamen Bahnhof und soll irgendwo hinfahren, kann aber auf der verwitterten Abfahrtstafel keine Zeiten erkennen.
Während ich auf dem Bahnsteig stehe, fährt auf einem anderen ein Zug ein. Da die Station so beschaffen ist, dass man sich wundert, dass überhaupt hier jemals ein Zug kommt, egal aus welcher Richtung, stolpere ich mühsam über die Schienen und erreiche in letzter Minute diesen Zug. Er hat sehr seltsame, völlig verzwickte Abteile und ist mit merkwürdigen Passagieren besetzt, die mich misstrauisch mustern. Mit einem alten Mann, der zwischen zwei kurzberockten, wild geschminkten Frauen sitzt, komme ich jedoch ins Gespräch. Er macht mir klar, dass es die genau entgegengesetzte Richtung ist, in die ich fahren müsste: Bald lande ich auf einem noch einsameren Bahnhof am Ende der Welt und warte und warte …
Vom richtigen Fliegen, also in einem Metallkäfig mit kleinen Gucklöchern und der sonoren Stimme des Kapitäns kurz vor dem Absturz habe ich noch nie geträumt… aber in meine Bahnträume fließen wohl auch echte Erfahrungen aus dem „wirklichen“ Leben ein.
So bin ich einmal auf der für mich schönsten Bahnstrecke, nämlich der Schmalspurlinie zwischen Piräus und Patras auf einem winzigen Bahnhof einfach ausgestiegen, weil es mir im Waggon zu heiß und das Meer zum Greifen nah war. Halb benommen von der brütenden Nachmittagshitze torkelte ich eine Schlaglochstraße zum rettenden Wasser hinunter und legte mich solange hinein, bis ich allmählich wieder zu mir kam, und das mit einem Schlag; denn neben mir schwammen zwei tote Katzen in dem bei näherem Hinsehen auch sonst nicht gerade appetitlichen Golf von Korinth. So zog ich mich an und ging die Straße zurück zum Bahnhof in der naiven Absicht, mit dem nächsten Zug weiterzufahren. Doch einen nächsten Zug gab es nicht vor dem Abend und mein Schiff würde nicht auf mich warten. Während ich noch ziemlich verzweifelt im dürftigen Schatten der Ortstafel überlege, wie ich auf andere Weise nach Patras kommen könnte (rundherum gab es weder Telefon noch eine Menschenseele), hielt plötzlich doch ein Zug vor mir an. Rasch ging ich in den Barwagen und bestellte etwas sehr Teures. Das war mein Glück. Noch vor dem Anfahren kam nämlich ein erboster Schaffner auf mich zu, der mich unbedingt wieder hinauswerfen wollte, weil ich – da sind die Griechen wie die Preußen – an einer Station eingestiegen war, in der dieser Zug – es war der „Schnellzug“– nur gehalten hatte, weil er auf den Gegenzug warten musste! Gemeinsam wiesen wir, der Barkeeper und ich, das Ansinnen dieses vor Zorn roten Bürokraten ab. Zum Glück setzte sich in diesem Moment der Schnellzug wieder in Bewegung, ein Schaffner kam mit Souflaki-Spießen durch die Gänge und wir fuhren ohne weiteren Halt bis Patras, wo ich mein Schiff schon im Hafen liegen sah.
Bahnhöfe! Komischerweise verlieren die Reiseführer kaum ein Wort über diese echten Sehenswürdigkeiten – zum Beispiel den einmalig schönen Jugendstilbahnhof von Valencia oder den kleinen, romantischen Kopfbahnhof von Toledo. Stattdessen ergehen sie sich in endlosen Tiraden über dunkle Kirchen. Dabei sind architektonisch bedeutsame Bahnhöfe echte und flirrend lebendige Persönlichkeiten – wie der ehemalige Gare d’Orsay am Pariser Seine-Ufer, aus dem man unter Erhaltung der Außenmauern ein wunderbares Museum gemacht hat. Selbst der Frankfurter Hauptbahnhof hat noch seinen wilhelminischen Charme.Leipzig dagegen ist trotz gewaltiger Investitionen nur groß und eine Art Supermarkt geworden, in dem man/frau nur mit Mühe noch den Reiz des Bahnfahrens erleben kann, nicht einmal eine Thüringer oder notfalls auch Sächsische Rostbratwurst ist da zu finden!
Outing
Im November 1985 hatte X. (Name ist der Redaktion bekannt) in einem nicht ganz unbekannten Hamburger Nachrichtenmagazin der Öffentlichkeit, also auch mir, einem nachmaligen Blättchen-Autor, folgendes kund und zu wissen getan: „Im Genre des diskursiven Pop-Essays […] werden die Drehungen und Wendungen der Subkultur im nach-68-er Zeitalter einer ‚maximalen Permissivität‘ beschrieben; Positions-Verzwirbelungen, deren Dynamik unweigerlich jenen inzwischen automatisierten Teufelskreis spiraliger Paradigmen-Verflüchtigung heraufbeschwören mußte; der es wiederum jedem poststrukturalistischen Mode-Geck erlaubt, sich mit Hilfe einer mystifizierten Meta- und Simulations-Begrifflichkeit auf einer Wendeltreppe der Meinungen beliebig hinauf und hinab, jedenfalls im Kreis zu bewegen.“
Nunmehr ist es an der hohen Zeit, mich als gescheitert zu outen: Es ist mir in den nachfolgenden Jahrzehnten nicht nur nicht gelungen, diesem linguistischen, vor allem jedoch nachgerade intellektuellen Höchstniveau je auch nur nahezukommen, sondern ich habe überdies weder seinerzeit begriffen noch erschließt sich mir gar heute, was X., wenn überhaupt, uns allen damit zu verstehen zu geben gedachte oder – er weilt nach wie vor unter uns – womöglich immer noch intendiert. Erschwerend tritt hinzu – wie uns X.‘ Diktum obschon unterschwellig, doch gleichwohl ziemlich direkt zuzuraunen scheint –, dass das Erstere, das Nicht-heranreichen-Können, mit dem Zweiteren, dem Gar-nicht-begriffen-Haben, zwar ursächlich zusammenhängen könnte, aber keineswegs zwangsläufig muss. Dies zu entscheiden ist im vorliegenden Falle wegen des erkennbar extrem abstrakten Sinngehaltes von X.‘ Einlassung leider völlig unmöglich. Das gibt der ganzen Angelegenheit einen zusätzlichen Stich ins Unbefriedigende.
Weswegen ich von nun an die Finger davon lasse.
Vom Geiste gar nicht zu reden!
Aus anderen Quellen
Mit Blick auf die galoppierende Coronakrise vermerkt Theo Sommer: „Die Unzulänglichkeit unseres politischen Prozesses erstreckt sich jedoch nicht nur auf die derzeitige Gesundheitspolitik. Sie gilt für die Art der Regierungsbildung überhaupt. Das Monsterverfahren, in dem die drei Ampel-Parteien seit Wochen einen Koalitionsvertrag austüfteln, ist ein bürokratisches Ungetüm. Erst Sondierungsgespräche, jetzt 300 Politikerinnen und Politiker in 22 Arbeitsgruppen, die sich wochenlang um Spiegelstriche, eckige Klammern und sperrige Details raufen – wo bleibt da die Essenz von Politik: Führung?“
Theo Sommer: Wo bleibt die Führung?, zeit.de, 16.11.2021. Zum Volltext hier klicken.
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Es soll ja immer noch Deppen geben, die das neoliberale Märchen, Wettbewerb mache den Strom billiger, für bare Münze nehmen. Denen ist nicht mehr zu helfen. Doch wer wissen will, was am Energiemarkt gerade abgeht, für den hat Aurelien Bernier einiges zusammengetragen: „Vor kurzem kam aus Brüssel der Vorschlag für eine neue Variante ‚dynamischer‘ Strompreisbildung, bei der die Börsenbewegungen in Echtzeit (stündlich aktualisiert) an den Verbraucher weitergegeben werden. Die Europäische Richtlinie vom 5. Juni 2019 beschränkt sich nicht darauf, diese Methode zu genehmigen, sondern macht sie sogar zur Pflicht für ‚jeden Lieferanten mit mehr als 200.000 Endkunden‘. Mit dieser Berechnungsmethode wird das Börsenrisiko an alle Haushalte, Kommunen und Unternehmen weitergereicht.“
Aurelien Bernier Der Preis der Energie, monde-diplomatique.de, 11.11.2021. Zum Volltext hier klicken.
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Bei der Caritas in der Schweiz, so Andres Eberhard, mache „man sich keine Illusionen: ‚Irgendwann im Verlauf des nächsten Jahres werden die Kriseninstrumente auslaufen. Dann stehen wir wohl wieder am selben Punkt wie vor der Krise‘ […].“ Dies meint: „Tatsächlich nahm die Armut in der Schweiz schon vor der Coronakrise seit Jahren zu. 2019 waren gemäß Zahlen des Bundes über 700.000 Menschen von Armut betroffen, weitere 600.000 lebten nur knapp über der offiziellen Armutsgrenze.“ Zum Vergleich: Die Schweiz zählt nur etwas über 8,5 Millionen Einwohner (Stand: 2019).
Andres Eberhard: Ungleichheit – Vielen Daten folgen wenige Taten, infosperber.ch, 09.11.2021. Zum Volltext hier klicken.
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Die Rüstungsschmiede „Rheinmetall hat vor Gericht verloren“, informiert Jacqueline Andres. „Der italienische Staatsrat, in etwa zu vergleichen mit dem Bundesverwaltungsgericht, hat am 10. November 2021 die Baugenehmigungen, die Rheinmetall […] für den Ausbau ihrer berüchtigten Bombenfabrik auf Sardinien erhalten hat, als ungültig erklärt und aufgehoben.“
Jacqueline Andres: Schlechte Nachrichten für Rheinmetall, imi-online.de, 14.11.2021. Zum Volltext hier klicken.
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