Über stehende Heere
Deutsche Arbeit von Karlchen Mießnick
Die stehenden Heere sind eine traurige Notwendigkeit, da sich niemand entschließen kann, sie abzuschaffen. Würde jedoch einmal damit der Anfang gemacht, so würden die anderen schon von selbst nachfolgen.
Der Name ist insofern unrichtig, als nur wenige auf Posten oder des Abends im Hausflur stehen, die übrigen jedoch in den Kasernen liegen, Tabak rauchen, Karten spielen, das Lederzeug putzen und im Tiergarten sich mit den Kindermädchen aufhalten, wodurch dem Staate die besten Arbeitskräfte entzogen werden.
Das stehende Heer verleiht dem Staate Sicherheit, so daß jeder Bürger ruhig schlafen kann. Jedoch findet auch das Gegenteil statt, indem das stehende Heer Mißtrauen hervorruft. Hebt nämlich eine Regierung tausend Mann mehr aus als die andere, so kann sich das die dritte nicht gefallen lassen und hebt zweitausend mehr aus, und so überbieten sie sich gegenseitig, bis sie so viel gehoben haben, daß sie nicht mehr wissen, wohin damit und die Grenzen überschreiten. Hieraus entsteht der sogenannte Krieg, der vieles Ungemach mit sich führt, indem eine Menge Menschenleben verlorengehen, welches von Zeit zu Zeit eine Wohltat für die europäische Überbevölkerung ist.
In früheren Zeiten dauerte er bis zu dreißig Jahre. Unter dem alten Fritz nur sieben, weil er auch in dieser Beziehung kurz und entschlossen war.
Die Freiheitskriege rechnet man schon nur drei Jahre. Sie tragen ihren Namen, weil wir uns von Napoleon befreiten, indem sich ganz Europa ein für allemal verschwor, diesen Mann nicht mehr über die Schwelle zu lassen.
Zu dem letzten Feldzuge brauchten wir nur sieben Tage, indem durch die Verbesserung der Schußwaffen in dieser kurzen Zeit eine hinlängliche Anzahl von Menschen getötet wurde.
Durch diesen Fortschritt des menschlichen Geistes werden die Kriege immer kürzer, da persönliche Gefechte nicht mehr stattfinden, sondern durch einfaches Auffahren der Kanonen die gegenseitige Vernichtung im bessern Sinne der Zivilisation schneller und sicherer herbeigeführt wird.
Dieses der Zweck der stehenden Heere im Kriege.
Im Frieden dient es zur Aufrechterhaltung der Ordnung und wird alsdann wieder um einige tausend Bajonette vermindert, so daß auf ungefähr zehn Bürger nur eins kommt. Hierfür zahlt dieser die Steuern, direkt sowohl als indirekt. Das letztere geschieht durch die Köchin oder das Hausmädchen, welche von jeder Speise etwas aufhebt und es dem im Hausflur stehenden Heere alsdann herunterbringt.
Ein anderer Übelstand ist die oft hierdurch entstehende Vermehrung der Staatsschuld, wonach die Regierung jeden Morgen mit einem dicken Kopf aufsteht, indem sie von einem Bankier borgen muß, um den andern zu bezahlen, welches wohl selten ein gutes Ende nimmt.
Da nun das stehende Heer meist von Frankreich ausgeht, so bleibt nichts übrig, als daß ganz Europa darüber herfällt, um endlich einmal Ruhe zu bekommen, wie es das vorgerückte Zeitalter erfordert.
David Kalisch
David Kalisch (1820–1872) war 1848 Mitbegründer des Kladderadatsch. „Über stehende Heere“ erschien 1870 in Lustige Hefte.
Hilfspolizisten
Die Polizeieinheiten der Länder sind hoffnungslos unterbesetzt. Die Löhnung ist schlecht, der Dienst hart und lang. Besonders geliebt wird man vom landläufigen Publikum, gemeinhin Volk genannt, auch nicht. Desto heftiger fällt die Kritik aus, wenn mal wirklich in brenzligen Situationen kein Polizist nirgends nicht zu sehen ist. Kein Wunder, wenn da von den jungen Leuten keiner mehr hin will. Aber wenn das Elend am größten, ist die Erlösung am nächsten. Im Freistaat Sachsen schien am 20. Februar ein kleines Licht am Ende des finsteren Personaltunnels auf. Auf vollkommen verfassungswidrige Weise wurde wieder einmal die traditionelle friedliche Dresdner Bürgerkundgebung gegen die Islamisierung des Abendlandes durch Links-Chaoten (verharmlosend „Blockierer“ genannt) gestört. Das notwendige Wegtragen Letzterer erwies sich als schwierig – die polizeilichen Kräfte reichten offenbar nicht aus. Desto dankbarer war man über die uneigennützige Hilfe eines Bürgers, der bereitwillig mit zu griff. Weshalb nun ein Sprecher der sächsischen Landespolizei von einem „unglücklichen Umstand“ sprach, können wir weiß Gott nicht nachvollziehen! Nur weil der Mann zu einer Vereinigung namens PEGIDA und damit einem anderem politischen Lager als der Weggetragene gehört? „Im Nachgang betrachtet, stellt sich das Handeln der Einsatzbeamten als unglücklich dar und wird mit ihnen nachbereitet.“ Das wird aber auch Zeit! Zumindest eine Armbinde „Hilfspolizist“ und eine gewisse leichte Bewaffnung zum Selbstschutz – Schlagstock und Pfefferspray dürften fürs erste genügen – müssten doch drin sein. Da wollen sich Bürger engagieren und werden dann so schnöde abgewiesen. Das geht nicht! Schließlich gibt es da gute historische Erfahrungen.
G.H.
Feininger in Halle
In seiner Zeit als Bauhaus-Meister erhielt Lyonel Feininger 1926 auf Anregung des Halleschen Museumsdirektors Alois J. Schardt den Auftrag, elf großformatige Halle-Bilder zu malen. Man richtete ihm dazu in der Moritzburg extra ein Atelier ein. Feiningers expressiv-geometrischem Empfinden kam die mittelalterliche Stadtlandschaft an der Saale offenbar sehr entgegen. Seine Halle-Bilder gehören heute zu den Ikonen der klassischen Moderne. Halle gingen sie allerdings infolge der Kunstpolitik der Nazis – die seinerzeit in der Moritzburg durchaus willige Unterstützer fand – verloren. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, wenigstens die 1930 entstandenen Bilder „Marienkirche mit dem Pfeil“ (1948) und „Der Dom in Halle“ (1957) zurück zu erwerben. 2009 gelangte auch der „Rote Turm I“ (ebenfalls 1930 entstanden) wieder in die Sammlung. Das Kunstmuseum Moritzburg hat Feininger eine eigene Abteilung eingerichtet, die „Lyonel-Feininger-Empore“. Derzeit sind „Marienkirche“ und „Dom“ in Madrid zu sehen. Dafür kann die Moritzburg aktuell eine Perle Feiningerscher Aquarellkunst zeigen: „Zwei Yachten“, in fahlem Gelb gehalten, 1929 wahrscheinlich während des Sommeraufenthaltes in Deep entstanden. Das Aquarell ist ein Geschenk der Sammlerin Angelika Fischer, geb. Dombrowski, an das Museum. Die Stiftung Moritzburg weist darauf hin, dass mit dieser Schenkung der Sammlungsverlust durch die „Aktion Entartete Kunst“ wiederum ein kleines Stück ausgeglichen werden konnte. Die Moritzburg verlor neben den Gemälden des erwähnten Halle-Zyklus‘ fünf von zehn im Jahre 1929 von Alois J. Schardt erworbenen Aquarellen.
Übrigens gehört seit 2013 zur „Stiftung Moritzburg Halle (Saale) – Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt“ auch die Quedlinburger „Lyonel-Feininger-Galerie“. Das Werk des Meisters lässt sich also auf einer kleinen Reise durch das nördliche Sachsen-Anhalt trefflich studieren.
W. Brauer
100 Jahre Jazz
Die Geburtsstunde des Jazz festzulegen, ist gewagt. Laut Wikipedia erstreckt sich seine Geschichte über fast 150 Jahre. So reichen die Anfänge wohl bis zum Sezessionskrieg, zu volkstümlichen Musikformen der amerikanischen Sklaven zurück. Die Musik, die wir heute Jazz nennen, hieß in der Frühzeit Ragtime oder Dixieland. Das Wort „Jazz“ tauchte zum ersten Mal 1913 in einer Zeitung aus San Francisco auf. Ans Licht der Öffentlichkeit kam der musikalische Terminus Jazz aber durch die Original Dixieland Jass Band des Kornettisten Dominic James La Rocca, die am 26. Februar 1917 die Titel „Livery Stable Blues“ und „Dixieland Jass Band One-Step“ für ein Plattenlabel aufnahmen. Fortan galt dieser Tag gemeinhin als die Geburtsstunde des Jazz. Seitdem hat der Jazz zahlreich Entwicklungsetappen durchlaufen, wobei sich unterschiedliche Stilrichtungen entwickelten. Die Musik der frühen Phase zeichnete sich durch einen rauen, rhythmisch akzentuierten Musik-Stil aus, der vorwiegend in den Kneipen, Bars und Bordellen des Vergnügungsviertel Storyville (New Orleans) gespielt wurde. Nach der Schließung des Viertels wurde Chicago zum neuen Mekka des Jazz, wo King Oliver, Johnny Doods oder Louis Armstrong ihre Karriere fortsetzten. Es entstand der Chicago Style, eine Vermischung der Hot Music von New Orleans mit der Musik des europäischen Impressionismus (Debussy und Ravel).
Nach den 1920er Jahren folgte die Swing-Ära mit Duke Ellington, Benny Goodman, Count Basie oder Glenn Miller. Über Nacht verschwanden die ursprünglichen Jazzformationen, an ihre Stelle traten die Big Bands, durch die sich der Jazz zu einer äußerst populären Musik entwickelte. Sie waren gewissermaßen eine musikalische Antwort auf die Weltwirtschaftskrise. Um die Attraktivität der Big Bands zu erhöhen, wurde ihnen gelegentlich eine weibliche Sängerin hinzugesellt. Die großen Jazzsängerinnen wie Ella Fitzgerald, Mahalia Jackson oder Billie Holiday traten aber bald als Solosängerinnen auf. Mit Beginn der 1940er Jahre hatte sich der Swing überlebt. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wollten junge, wilde Musiker etwas Neues entwickeln, so entstanden die verschiedensten Stilrichtungen wie Bebop, Cool Jazz, Hard Bop oder Soul Jazz, die von solch bekannten Jazz-Musiker wie Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Miles Davis, Ray Charles oder Quincy Jones geprägt wurden. Ab den 1970er Jahren übernahm der Jazz dann sogar Elemente von Rock’n’Roll, Pop, Funk, Techno oder Hip Hop, was völlig neue Klangwelten hervorbrachte. Erinnert sei hier an Jazz-Musiker wie Herbie Hancock, Miles Davis oder Keith Jarrett, die immer wieder mit verschiedenen Stilen experimentierten.
Zum Jazz-Jubiläum ist im Delius Klasing Verlag ein repräsentativer Bild-Text-Band erschienen, der die 100 Jahre Jazz noch einmal Revue passieren lässt – und das anhand von 63 Porträts der bekanntesten Jazz-Musiker und -Musikerinnen, jeweils mit einer Kurzbiografie und meist großformatigen Fotos. Bei den über 400 Seiten kommt jeder Jazzfreund garantiert ins Schwelgen – natürlich dabei eine Jazzplatte auflegen…
M. Orlick
Philippe Margotin: 100 Jahre Jazz, Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2017, 424 Seiten, 59,90 Euro.
Klaviere & Konzerte im Depot
Die Uferhallen im Berliner Stadtteil Wedding haben in ihrer Geschichte schon einiges gesehen. Ursprünglich ein Pferdebahnhof, wurden sie von 1926 bis 1931 vom Architekten Jean Krämer zu einem Straßenbahnbetriebshof umstrukturiert und erheblich erweitert. (Krämer hat für Berlin etliche solcher Depots entworfen.) Danach dienten die Hallen bis zum Jahr 2006 den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) als Zentralwerkstatt für die Wartung und Instandsetzung ihrer Transportmittel. Seit 2007 schließlich wurde aus dem Gelände ein Kulturzentrum in privater Trägerschaft, das heute eine gemeinsame Plattform für Bildende Künstler und Musiker, für Theaterinszenierungen und Ausstellungen bietet.
Von daher verwundert es nicht, dass unter den dortigen Ansiedlungen auch der „Piano Salon Christophori“ von Christoph Schreiber zu finden ist.
Schreiber ist seines Zeichens Mediziner und übt diese Profession als Krankenhausarzt zumindest halbmonatlich auch aus. Den Rest seiner Zeit lebt er seine Leidenschaft – für Flügel, vor allem für historische Hammerflügel. Die sammelt er seit 17 Jahren einerseits – früher aktiv, seit längerem jedoch, allein aus Platzgründen, nur noch passiv, durch Entgegennahme von Schenkungen. Und andererseits – Schreiber ist Autodidakt – restauriert, repariert und bespielt er sie. (Sein Jugendtraum war, Organist zu werden.) Erst im Prenzlauer Berg, später anderenorts und nun bereits seit ein paar Jahren im Wedding. Über 120 Instrumente hat er mittlerweile beisammen und konzediert ohne Umschweife: „Sammler zu sein ist immer ein Zeichen profunden Wahnsinns.“ Der sich im Übrigen aus sich selbst speist: „Wenn man erst einmal 20 hat, dann finden die nächsten 100 ihren Weg ganz automatisch.“
Apropos Bespielen der Instrumente: Letzteres lässt Schreiber schon seit Anbeginn seiner Flügelei immer wieder auch von professionellen Musikern besorgen – in Gestalt von regelmäßigen Kammermusikabenden in seiner jeweiligen Werkstatt. Inzwischen summieren sich diese Konzerte schon mal auf über 180 pro Jahr, und ein Geheimtipp sind die Abende längst nicht mehr. Als etwa am vergangenen 14. Februar das „Berlin Piano Quartet“ Klavierquartette von Mozart, Mahler und Schuhmann zu Gehör brachte, war die etwa 600 Quadratmeter große Halle mit über 200 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt.
Viele kommen regelmäßig, denn was geboten wird, ist „Kammermusik auf Weltniveau in einer vollgerümpelten Halle“. Wie eine Kritikerin im Tagesspiegel bereits vor längerem befand. Ihrem Urteil muss auch heute nicht widersprochen werden.
Alfons Markuske
Pianosalon Christophori − nächste Termine: www.konzertfluegel.com.
Medien-Mosaik
Auf Plakaten und Schaukastenfotos, natürlich in der Presse und in Büchern findet man regelmäßig Standfotos aus Filmen, auch aus älteren. Wer aber denkt, der Fotograf stand neben dem Kameramann und hat mal kurz „Klick“ gemacht, der kann sich beispielsweise von Waltraut Pathenheimer eines Besseren belehren lassen. Die Standfotografin und Kameraassistentin kam 1954 zur DEFA und entwickelte sich bis zur Entlassung 1991 zu einer der Besten ihres Fachs. Mitte Februar ist sie 85 Jahre alt geworden, und an diesem Tag wurde die ihr gewidmete Ausstellung in Potsdam mit einer Finissage beendet. Zum Glück ist aber ein Buch mit ihren besten Arbeiten entstanden, in dem man nachvollziehen kann, wie sie arbeitete. In der Regel (bei Action-Szenen in ihren vielen Indianerfilmen ging das natürlich nicht) stellte sie die interessanten Szenen nach dem Drehen noch einmal mit den Darstellern nach, wählte gegebenenfalls eine für die Fotografie günstigere Konstellation und auch oft ein etwas anderes Licht. Damit entstanden kleine Kunstwerke, die das Bild der jeweiligen Schauspieler für Generationen prägten: Annekatrin Bürger und Armin Mueller-Stahl, Jutta Hoffmann und Manfred Krug, Katrin Saß und Martin Seifert, Wolfgang Kieling, Götz George, Angelica Domröse und so viele andere. Es fällt auf – gerade im strengen Schwarzweiß – wie Frau Pathenheimer mit Kontrasten arbeitete. Grafische Strukturen fanden ebenso in ihre Fotos Eingang, wie die spontane Aufnahme mit gelegentlich verwischter Bewegung. Dieser schöne Bildband, den die Medienwissenschaftlerin Anna Luise Kiss und der Spielfilmkameramann Dieter Chill gemeinsam gestalteten, hat viel über die Ausstrahlungskraft von DEFA-Filmen zu erzählen.
Dieter Chill und Anna Luise Kiss (Hrsg.): Pathenheimer: Filmfotografin, Ch. Links Verlag, Berlin 2016, 200 Seiten, 20,00 Euro.
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Man muss kein Philosoph sein und schon gar nicht die MEGA gelesen haben, um Gefallen an dem neuen Film „Der junge Karl Marx“ zu finden. Aber geschichtliche Kenntnisse, besonders über die Anfänge der Arbeiterbewegung können nicht schaden. Regisseur Raoul Peck erzählt in der deutsch-französisch-belgischen Produktion vom Beginn der Freundschaft von Marx und Engels bis zur gemeinsamen Erarbeitung des „Kommunistischen Manifests“. Insofern ist der nur auf Marx gerichtete Titel nicht korrekt. Auch sind die Hauptdarsteller August Diehl und Stefan Konarske nicht mehr die Mittzwanziger, die Marx und Engels zur Zeit der Handlung waren, aber hinter ihren Bärten können sie die Illusion herstellen. Dritte Hauptdarstellerin ist die Luxemburgerin Vicky Krieps als Jenny Marx, die ihrem Mann eine ebenbürtige Partnerin ist.
Vielen historischen Personen begegnet man hier, seien es Arnold Ruge, Pierre-Joseph Proudhon, Wilhelm Weitling oder auch Lenchen Demuth. Es wird auf Französisch, Deutsch und Englisch parliert, und wer trotz der Untertitel nicht immer mitkommt, für den gibt es aufgelockerte Szenen dazwischen. Nach anderen Filmen über Marx und Engels, etwa aus der DDR und der Sowjetunion, ist das ein neuer achtbarer Versuch, den beiden Sozialisten näherzukommen. Noch aber bleiben ein paar Wünsche offen.
Der junge Karl Marx, Regie Raoul Peck, 118Minuten, Verleih Neue Visionen, ab 2. März in ausgewählten Kinos.
bebe
Vom Lebensmotto der Spargelkönigin
Die CSU repräsentiert gemeinhin als omnipräsente Staatspartei den Freistaat Bayern und das bayerische Lebensgefühl, so zumindest das Credo der christsozialen Protagonisten. Es ist bedauerlich, dass speziell der „Rest“ der Republik nicht so recht wahrzunehmen mag, dass es eben auch ein anderes Bayern gibt. Nicht jeder Landwirt und jeder Dorfbewohner in diesem Bundesland ist ein lebenslänglicher CSU-Wähler – und was Denken und Alltagshandeln betrifft, so finden sich häufig reichlich anarchische Momente im tiefschwarzen Süden. Ein vorzüglicher Vertreter dieses „anderen Bayern“ ist der Liedermacher Georg Ringsgwandl. Seine Vita allein – vom Oberarzt der Kardiologie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen bis hin zum professionellen Musiker – determiniert ihn für schräges Kulturgut, das er mit seinen selbst komponierten und getexteten Liedern seit vielen Jahren auch praktiziert. Eine kleine Anekdote zu seinen musikalischen Anfängen: Zur Musik kam er durch das Zitherspiel, das Musikinstrument bekam er im Alter von acht Jahren von einer Tante.
Was andere Rockmusiker als „Unplugged“-Musik verkaufen, hat er nun als „Wohnzimmerfunk“ realisiert und sich damit im abgelaufenen Kalenderjahr einen lang gehegten Wusch erfüllt: die simpel anmutende Idee, ein Musikalbum in einem Wohnzimmer aufzunehmen. Ohne Schallschutzmaßnahmen entstand so die CD „Woanders“ in einer Altbauwohnung. Es bedurfte dann auch nur einer knappen Woche, bis die Aufnahmen abgeschlossen waren. Die Lieder auf dieser CD handeln unter anderem von der „Spargelkönigin“ (deren Lebensmotto lautet: „…Es könnte schlimmer sein…“), von dem Wunsch „In mein‘ nächsten Leben wer‘ i a Koda (Kater)“ und von vielen negativen Vorfällen, die laut Titelsong „woanders“ passieren („…aber net bei uns dahoam“).
Ein sehr ruhiges Album, aber mit vielen schrägen Tiefsinnigkeiten garniert, wenn ein Kardiologe den bayerischen Alltag seziert…
Thomas Rüger
Georg Ringsgwandl: Woanders, Blanko Musik, circa 15 Euro.
Aus anderen Quellen
„Auf dem Höhepunkt des Irakkriegs war nur ein Fünftel der Anzahl Soldaten im Einsatz wie in Vietnam, und die US-Luftwaffe flog achtmal weniger Einsätze. Die Waffen kosten zwar mehr, aber es werden immer weniger produziert“, schreibt Andrew Cockburn und fährt fort: „Das mag für alle, die Angst vor einem Krieg haben, durchaus tröstlich sein. Doch die überzogenen Bedrohungsszenarien, die den Rüstungskomplex am Laufen halten, können in eine Katastrophe münden. Von den Kriegsschiffen, die zur Beruhigung der osteuropäischen Nato-Länder in der Ostsee und im Schwarzen Meer patrouillieren, sind zwei oder drei mit dem Aegis-Kampfsystem ausgestattet, einem elektronischen Leitsystem für den Einsatz von Luftabwehrraketen. Diese defensiven Systeme können jedoch ganz einfach durch Marschflugkörper mit konventionellen oder atomaren Sprengköpfen ersetzt werden, ohne dass ein Beobachter den Unterschied erkennen würde. Das kann schreckliche Folgen haben […].“
Andrew Cockburn: Rüsten wie im Kalten Krieg, Le Monde diplomatique, 09.02.2017. Zum Volltext hier klicken.
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„Seit dem Jahr 2014 steht das Thema NATO-Mitgliedschaft ganz oben auf der außenpolitischen Agenda des jüngsten europäischen Staates, Kosovo“, so beginnen Wulf Lapins und Fanny Schardey ihren Beitrag, an dessen Ende es heißt: „Kosovo sollte andere Optionen der sicherheitspolitischen Kooperation nicht von vornherein ausschließen, sondern alle sich bietenden Möglichkeiten abwägen und ausloten. Statt eine Vollmitgliedschaft anzustreben, könnte Kosovo nach dem Vorbild der Schweiz, Österreichs, Schwedens, Finnlands und Irlands an der NATO-Partnerschaft für den Frieden in vielen Bereichen teilnehmen und kooperieren. […]Für Regierung und Think Tanks sind dies aber Rezepturen einer Art sicherheitspolitischer Palliativmedizin. Sie halten vielmehr unbeirrt am Ziel NATO-Mitgliedschaft fest. Doch zur dafür erforderlichen parlamentarischen Zweidrittelmehrheit werden die mit Belgrad eng verbundenen zehn Abgeordneten der serbischen Minderheit benötigt. Es kann somit nicht überraschen, dass Serbien mit deren Hilfe die politische Ampel erst einmal auf Rot stellt.“
Wulf Lapins / Fanny Schardey: Kosovo will um jeden Preis in die NATO, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 14.12.2016. Zum Volltext hier klicken.
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Wie steht es eigentlich um die Beziehungen zwischen Moskau und Weißrussland? Nicht zum Besten, Artyom Shraibman, Politik-Redakteur des unabhängigen belarussischen Nachrichtenportals tut.by schreibt: „Die skandalöse Pressekonferenz von Alexander Lukaschenko Anfang Februar hat die Seiten der russischen Medien gefüllt. Was vielleicht wie ein plötzlicher Wutausbruch erschien, war wohl eher ein ziemlich erwartbares Ereignis in der Abwärtsspirale der russisch-belarussischen Beziehungen. Der aktuelle Streit zwischen Minsk und Moskau ist vielschichtig wie nie. Wie in einen Strudel werden jeden Monat neue Bereiche der bilateralen Beziehungen hineingezogen, angefangen bei Gas und Öl bis hin zu Grenzfragen und Streitereien um Lebensmittelbestimmungen. Diese Krise speist sich aus sich selbst. Das Negative in der Berichterstattung und wechselseitige Verärgerungen erzeugen neue, unnötige Skandale […].“
Artyom Shraibman: „Wolodja, verdirb nicht den Abend“, Carnegie.RU, 06.02.2017. Zum Volltext hier klicken.
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„Die westliche Hegemonie ist so tief verwurzelt und allgegenwärtig, dass […] sie […] unsere Fähigkeit mindert, die Konsequenzen ihres Niedergangs objektiv zu bewerten“, schätzt Oliver Stuenkel ein und setzt dagegen: „Doch während der Übergang zur Multipolarität – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch – für viele verwirrend sein wird, kann er zu einem weitaus ausgeglicheneren System führen als bisher, und dabei helfen, einen Dialog darüber aufzubauen, wie die globalen Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten angegangen werden können.“
Oliver Stuenkel: Die postwestliche Ordnung. Die BRICS-Staaten bauen an einer neuen Weltordnung. Das muss kein Grund zur Sorge sein, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 04.01.2017. Zum Volltext hier klicken.
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