19. Jahrgang | Nummer 10 | 9. Mai 2016

Bemerkungen


Frank Viehweg besingt den Herbst im Pankower Frühling

Am Vorabend des 1. Mai begegnete mir der Herbst im Pankower „Zimmer 16”. Frank Viehweg gab mitten im Frühling Herbst-Verse von Louis Fürnberg und Lieder nach seinen Gedichten. Dieser Dichter ist wohl von den meisten vergessen. Den einen fällt vielleicht noch das Lied von der Partei ein, die „immer recht“ hat. Und noch seltener fragt jemand, was denn eigentlich hinter diesen unsäglichen Versen steckt. Andere, ältere, erinnern sich an das verlorengegangene „Ziel vor den Augen“ aus dem Liederbuch der FDJ – und wenige werden wissen, dass die „Puhdys“ … Frank Viehweg hat sein Programm „Herbsteskommen“ genannt. „Er liebte den Herbst“, zitiert er zu Beginn Lotte Fürnberg, die 2004 verstorbene Frau des Dichters. Und Viehweg stellte vor allem Gedichte zusammen, in denen der Herbst die Hauptrolle zu spielen scheint. Texte mit einem sehr elegischen Grundton, leise Texte, die der Sänger und Komponist auf behutsamste Weise erklingen lässt. Die Poesie hat eine merkwürdige Eigenschaft: Je leiser sie daherkommt, desto unüberhörbarer wird sie, entfaltet in der Stille ihre ganze Kraft:
„Jedes Jahr, um das ich älter werde, / singt mein Herz mit größrer Innigkeit / Liebeslieder auf die gute Erde / und das Leben unsrer neuen Zeit. // Immer tiefer such ich sie zu fassen, / die als Jüngling ich weit von mir stieß, / und ich ängste mich, sie zu verlassen, / eh genug ich ihre Schönheit pries.“
Alt werden, die Jahre reifen lassen – die Früchte einfahren, nicht um des eigenen Ichs willen… nein, um sie weiterzugeben. Ganz zufällig scheinbar schleicht sich ein Vers in die Idyllik des Abends ein: „Es darf nicht Krieg werden, denke ich.“ Das ist der Schluss-Vers aus dem Gedicht „Der Wald“. Viehweg setzt ihn sehr gezielt. Und er hat den Mut, „Alt möchte ich werden“ in eigener Vertonung zu bringen:
„Aus sagenhaften Zeiten möcht ich ragen, / durch die der Schmerz hinging, ein böser Traum, / in eine Zeit, von der die Menschen sagen: / Wie ist sie schön! O wie wir glücklich sind.“ Das ist etwas ganz anderes als der Ohrwurm der „Puhdys“ , die den Dichter zitieren, ohne ihn zu nennen und seinen Text entschieden verflachen. Zu den anrührendsten Momenten des Abends gehört Frank Viehwegs Interpretation des „Liebesliedes“ des Dichters an seine Gefährtin Lotte:
„Was weiß ich denn, wie lang mein Herz noch schlägt, im süßen Klang / des Lerchenlieds mein Herz erbebt, was weiß ich denn, wie lang … / An manchen Tagen bin ich müd und arm und frag mich bang: // Wie lang bleibst du bei mir, mein Lied? // Wie lange noch, wie lang?“
Louis Fürnberg schrieb es im Jahre 1950. 1957 starb er am gebrochenen Herzen. Auch dieser Tod gehört in die Bilanz einer Weltbewegung, in die der Dichter so große Hoffnungen setzte. „ Es ist so viel Blut umsonst geflossen”, sagte Lotte Fürnberg 2001. Es ist gut, dass Frank Viehweg an diesen großen Menschenfreund erinnert und Fürnbergs Poesie in doppeltem Wortsinne erklingen lässt. Dass dies am Vorabend des Tages geschah, der in Berlin immer mit großem Getöse vonstattengeht, mag Zufall sein. Von einer gewissen Bildmächtigkeit ist es allemal.

Wolfgang Brauer

Termine im Internet.

 

„Wurst mordet“ – oder: exakt lügen

Mancher erinnert sich bestimmt noch an den Medienaufreger vom Herbst vergangenen Jahres: Plötzlich sollte der Verzehr von nur 50 Gramm Wurst pro Tag das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent erhöhen. 18 Prozent! Da ist mancher schon tot! Eine einschlägige Gazette brachte die Botschaft mit der Headline „Wurst mordet“ unters Volk. Manche blieben sachlich, klangen aber auch nicht wirklich besser: „Wurst und Schin­ken als krebserregend eingestuft!“.
Der ganze Hype ging auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück, die ihre Erkenntnis auf rund 800 wissen­schaftliche Studien stützte. Trotzdem löste sich die Sache in einem Wohlgefallen auf, das es allerdings nicht bis zu vergleichbaren Schlagzeilen schaffte. Der 18-Prozent-Meldung lag nämlich nur ein typischer Fehler im Umgang mit statistischen Werten zugrunde, wie er in der Politik und in den Medien häufig anzutreffen ist und keineswegs nur aus Versehen passiert, sondern immer wieder zur gezielten Irreführung und Manipulation eingesetzt wird.
Im Falle der WHO-Story lag die Sache so: Jeder Mensch trägt ein Risiko in sich, an Darmkrebs zu erkran­ken, und das liegt bei etwa fünf Prozent. Für Wurstesser, so die Botschaft der WHO, liegt dieses Ri­siko bei 5,9 Prozent, also 0,9 Prozent­punkt höher.
0,9 Prozent – für Betroffene immer noch zu viel, aber als absoluter Wert eine absolute Petitesse. Trotzdem kann man daraus eine Nachricht generieren, unter der das Land in Panik verfällt und die Anti-Fleisch-Lobby hyperventiliert. Man muss nur die absoluten Werte – fünf und 5,9 Prozent – ins relative Verhältnis zueinander setzen: Eine Steigerung von fünf auf 5,9 ist eine Steigerung um 18 Prozent!
Wer sich für weitere solche Tricks und praktische Anwendungsbeispiele interessiert, für den gibt es zum Beispiel ein Büchlein von Walter Krämer. Das heißt sinnigerweise „So lügt man mit Statistik“.

Alfons Markuske


Die Drohne. Volksvers

von Eckhard Mieder

Flieg, Drohne, flieg,
Der Papa ist im Krieg.
Die Mutter ist im Niemandsland,
Und Niemandsland wird abgebrannt,
Flieg, Drohne, flieg.

 

Streifzüge

Die Wiener Streifzüge, Untertitel: Magazinierte Transformationslust, blicken in ihrer Frühjahrsnummer auf 20 Jahre Arbeit zurück. Sie nennen das Heft daher „Nabelschau“. Gehofft hatte die Redaktion auf eine differenzierte und vielschichtige Rückschau, auf eine Wertkritik, Zwischenbilanz der Autoren, die das Blatt über die Jahre begleitet haben. Die Einladung zu solcherart Beiträgen blieb jedoch ohne Echo, so dass der Rückblick aus Sicht der Redaktion erfolgt. Die Beiträge beschäftigen sich mit Kommunikationsproblemen und Schmerzgrenzen der Diskussion im Kreis der „wertkritischen Szene“ sowie mit der „Kritik der Kritik“. Franz Schandl schreibt: „Als grundlegende Richtung verweist das Impressum der Streifzüge auf ‚Kritik–Perspektive–Transformation‘. Ob wir nun wollen oder nicht, der Schwerpunkt liegt bei uns nach wie vor bei ersterer. Bisher ist es nicht gelungen, Perspektive und Transformation eine ähnliche Relevanz zuzuweisen wie der Kritik.“ Das ist eine Feststellung, die wohl das gesamte linke Spektrum betrifft, und man wünscht sich mehr solch ehrlicher Analysen der Lage – sowohl hinsichtlich der Theorie als auch der praktischen Politik. „Wir sind Baustein und Ahnung einer besseren Welt, nicht mehr. Was aber nicht wenig ist.“
Ausführliche Beiträge werden zudem der europäischen und speziell der deutschen Flüchtlingspolitik gewidmet. „Aus dem Ruder, an die Wand“ …
Das Blättchen gratuliert den Kollegen zum 20. und wünscht Kraft für weitere „inhaltliche Offensiven“ der Streifzüge.

mvh

Streifzüge. Magazinierte Transformationslust, Nr. 66 Frühling 2016, Nabelschau, Wien, 7,00 Euro, auch im Internet.

 

Film ab

Meine Enkel Felipe (sieben) und Leo (acht) kennen den tiefbegabten Rico und den hochbegabten Oskar schon aus den vorangegangenen beiden Filmen mit diesem gelungenen Duo (Buchvorlagen: Andreas Steinhöfel). Teil eins, „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, ängstigte sie ein wenig, denn es gab Szenen, die hatten Suspense wie bei Altmeister Hitchcock. Natürlich auf nachwuchskompatiblem Niveau, und sie wurden denn auch – gegebenenfalls mit tapferem Augenzuhalten – durchgestanden. Ansonsten führten beide Streifen zu völlig ungetrübter Vorfreude auf den jeweils nächsten Teil. Das war dieses Mal nicht möglich, denn „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ war mangels weiterer Steinhöfel-Vorlagen von vornherein als letzte Verfilmung in dieser Reihe angekündigt. Es hätte allerdings auch anderenfalls wohl nicht erneut stattgefunden, denn der jetzige Film war „nicht so schön wie die anderen“, so Felipes eindeutiges, wenn auch ein wenig undifferenziertes Diktum. Und Leo auf die Frage, was ihm besonders gefallen habe: „Och, eigentlich alles.“ Was ja nur bedeutet – eigentlich nichts so ganz besonders … Ob es daran lag, dass Milan Peschel als herrlich mürrisch-fieser Nachbar Fitzke die meiste Zeit der 94 Minuten Filmlänge tot ist? Oder daran, dass sich präpubertärem Publikum die prickelnde Wirkung eines FKK-Strandes noch nicht wirklich erschließt? Oder daran, dass aus Kindersicht vielleicht doch nicht so ganz gelungen ist, was der vermutlich erwachsene Kritiker der Neuen Osnabrücker Zeitung vermeldete: „An vermeintlich schwierige Themen wie Inklusion, Armut und Psychosen führen die beiden Hauptdarsteller Anton Petzold und Juri Winkler leichthändig aus ihrer Kindersicht heran, sodass der Krimiplot sogar zweitrangig werden kann.“?
„Rico, Oskar und der Diebstahlstein“, Regie: Neele Leana Vollmar. Derzeit in den Kinos.

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„Ich trete Dir meine Freundin ab. Als Geschenk zum (17.) Geburtstag. Aber nur unter der Bedingung, dass Du sie zurückgibst, wann immer ich will.“ Und sei es 30 Jahre später. Wenn aus dieser jugendlichen Schnapsidee ein späterer Albtraum wird, sich die Übereinkunft als Pakt mit dem Teufel herausstellt, dann kann die Verfilmung durchaus buñuel-artig werden: Man versteht zwar nicht alles, schon gar nicht, wenn man es mit Logik versucht, kann sich der suggestiver Wirkung der Bilder und Dialoge jedoch trotzdem nicht entziehen – und das umso weniger, wenn Abgründiges so teuflisch gut mimen könnende Ausnahmeschauspieler wie Sophie Rois und Silvester Groth zu den Protagonisten zählen und der Thrill demzufolge vor allem im Kopfe des Zuschauers stattfindet beziehungsweise ihm nach shakespearescher Art („I have a faint cold fear thrills through my veins, / That almost freezes up the heat of life.“*) durch die Gefäße fröstelt. So endet es, wie jeder Pakt mit dem Teufel, zwangsläufig in einem Gau.
„Zum Geburtstag“, Regie: Denis Dercourt (2013). Als DVD oder in guten Videotheken.

* – „Kalt rieselt matter Schau’r durch meine Adern, / Der fast die Lebenswärm erstarren macht.“ Julia, in Romeo & Julia, 4. Akt, 3. Aufzug.

Clemens Fischer

 

Blätter aktuell

Ob Venezuela oder Brasilien, Argentinien oder Bolivien: Über mehr als zwei Jahrzehnte strahlte Lateinamerika im Glanze seiner linken Regierungen. Doch spätestens seit 2015 neigen sich die verschiedenen Erfolgsgeschichten ihrem Ende entgegen. Die neoliberale Rechte formiert sich zum wirtschaftspolitischen Umschwung – und die Linke scheint unfähig, sich neu zu erfinden. Der Politikwissenschaftler und Blätter-Mitherausgeber Ulrich Brand analysiert die entscheidenden Fehler der progressiven Regierungen und macht zugleich Vorschläge zu deren Revitalisierung.
Seit gut fünf Jahren herrscht Krieg in Syrien – mit Hunderttausenden von Toten und massiven Zerstörungen in Städten wie Aleppo oder Homs. Letztere sind jedoch nicht lediglich die Kollateralschäden eines brutalen Bürgerkrieges, sondern Teil einer umfassenden Strategie des Assad-Regimes, durch Zerstörung des Landes die Opposition zu schlagen. Die Geographin Leïla Vignal analysiert detailliert Ziele, Durchführung und Auswirkungen dieser perfiden Strategie, wie auch die hoffnungslose Unterlegenheit der Bevölkerung – und ihre Unmöglichkeit, dem Krieg zu entkommen.
Nach dem Tod des langjährigen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher wurden vor allem seine großen politischen Verdienste für die Bundesrepublik gewürdigt. Doch sein Tod steht auch exemplarisch für das Abtreten der letzten Kriegsgeneration, der Flakhelfer und jungen Frontsoldaten. Umso drängender stellt sich die Frage, wie eine Gesellschaft ohne Zeitzeugen zukünftig mit der NS-Geschichte umgehen wird. Der Historiker Norbert Frei diagnostiziert bereits jetzt viel nachgetragene Empathie – nach dem schon längst erteilten Selbstfreispruch der ehemaligen Flakhelfer nun auch durch eine jüngere Generation der Post-68er. Diese neue Nachsichtigkeit dürfe jedoch nicht, so Frei, zu einem Ende des selbstkritischen Umgangs mit der Geschichte des „Dritten Reiches“ führen.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Türkei: Merkels schmutziger Deal“, „Panama Papers: Der Kampf gegen die Geldwäsche“ und „Vattenfall: Kohle versus Klima“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Mai 2016, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

 

Medien-Mosaik

Die kalkulierte Provokation – in der Berliner Szene funktioniert sie nicht mehr. Hier hat man alles schon gesehen. Regisseur Yoni Leyser spielt in seinem Film „Desire Will Set You Free“ (Lust macht frei) selbst die Hauptrolle, einen amerikanisch-palästinensischen Wahl-Berliner, der den schwul-lesbischen Underground erkundet. Wer sein filmisches Vorbild ist, bemerkt man am Stilwillen des Unvollkommenen, und der Meister spielt selbst eine kleine Rolle: Rosa von Praunheim. Leider muss man Leyser bestätigen, dass man das, was er zeigt, alles schon in den achtziger Jahren in Praunheim-Filmen gesehen hat. Immerhin hat er für seinen handlungsarmen Streifen Szene-Stars wie Blixa Bargeld, Nina Hagen und Wolfgang Müller vor die Kamera bekommen. Erstaunlich bleibt, dass die Milieustudie über provokanten Sex ziemlich prüde ins Bild gesetzt wurde.
Desire Will Set You Free, Verleih missingFILMS, in ausgewählten Programmkinos.

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Die Debütantin auf dem Gebiet des Romans ist Ende sechzig und durchaus eine erfahrene Autorin. Christa Mühl hat seit den siebziger Jahren viele Fernsehfilme inszeniert – nach Vorlagen von Brecht, Fontane, Anna Seghers –, aber auch eigene Stoffe hat sie zu vieldiskutierten Filmen geformt. Ihre Geschichte von Katharina Schick, der pensionierten Leipziger Kriminalkommissarin, ihrer Raumpflegerin Mira und dem Pathologen a.D., Professor Herr, sollte ebenfalls ein Film werden. Als sich jedoch keine Fernsehredaktion für den originellen Plot interessierte, weil die Protagonisten vom Alter her nicht in werberelevante Zielgruppen fallen, machte Christa Mühl kurzerhand einen Roman daraus. In „Seniorenknast – wir kommen“ wird die Tatsache aufgegriffen, dass es tatsächlich altersgerechte Gefängnisse gibt, da Straftäter immer älter werden. Die Autorin macht es dem Leser leicht, sich Orte, Personen und Vorgänge vorzustellen. Und wer Christa Mühls Lieblingsschauspieler kennt, hat sofort Ursula Karusseit, Madeleine Lierck oder Dieter Mann vor Augen. So ist dieser Krimi gleichzeitig auch anregendes Kopf-Kino!
Christa Mühl, Seniorenknast – wir kommen!, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2015, 188 Seiten, 12,00 Euro.

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Ein etwas moppeliger ängstlicher Familienvater, ein kürzlich noch junger, sexuell interessierter Bursche, und ein mit Komplexen beladener Besserwisser, der gern die anderen führen möchte: könnten das nicht Kjeld, Benny und Egon von der „Olsenbande“ sein? Weit gefehlt – es sind Hans-Christian, Nic und Wolfgang, die sich Franz Müller für seinen Film „Happy Hour“ ausgedacht hat, nachdem er vermutlich ein Handbuch der Dramaturgie (nicht zu Ende) gelesen hat. Es genügt nicht, drei unterschiedliche Freunde über 40 mit Weltschmerz bei einem Urlaub auf die Leinwand zu bringen – sie sollten doch auch echte Charaktere mit einem sozialen Hintergrund sein, Probleme angehen, und es sollte mehr als ein Nichts an Handlung erkennbar sein. Und wenn man schon in Irland dreht, könnte bei aller Abneigung gegen ZDF-Liebesfilme denn doch mehr als ein bisschen Landschaft zu sehen sein. In diesem Film sitzt man meist im Ferienhaus oder im Pub und führt sinnreiche Gespräche. „Es geht um unsere Unvollkommenheit, darum, dass wir nicht aus unserer Haut rauskönnen, und dass wir es trotzdem versuchen“, schildert Regisseur Müller seine Intention.
Der nicht vollkommene Franz Müller kann offenbar keine Spielfilme drehen und versucht es trotzdem. Aber warum soll sich das irgendjemand im Kino ansehen? Auf diese Frage gibt es keine plausible Antwort.
Happy Hour, Real Fiction Filmverleih, ab 12.5. in ausgewählten Programmkinos.

bebe

Welchen Harfenklang hat die Farbe Weiß?

Gibt es Harfenmusik jenseits klassischer Stücke oder gefühlsduseliger Anbiederung an die keltische Musik?
Die in Berlin geborene und in Nürnberg aufgewachsene Maja Taube hatte bereits mit acht Jahren ihre erste Begegnung mit diesem Musikinstrument. Nach dem Studium sammelte sie Erfahrungen in mehreren im Frankenland beheimateten Orchestern sowie in regionalen Musikgruppierungen.
Ihre zweite Solo-CD „Klanggewebe“ entstand als Crowdfunding-Projekt. Man darf den Schwarmfinanziers dankbar sein, denn Maja Taube besticht mit einer beeindruckenden Fingerfertigkeit.
Es sind dreizehn Klangperlen, die vielschichtige Melodiebögen aufweisen, mal in zurückhaltendem, mal in treibendem Tempo. Die Harfenistin offenbart kein Fast Food für die Ohren und auch keinen esoterischen Klangbrei. Es sind vielmehr ungekünstelte, klar vorgetragene Stücke, die man „nur“ genießen kann, die aber auch dazu animieren, die Titelassoziationen der Künstlerin aufzugreifen. Welchen Klang hat die Farbe Weiß, wie klingen Spiegelungen? Maja Taube findet hierauf mit ihrer Harfenmusik bezaubernde Antworten …

Thomas Rüger

Maja Taube: Klanggewebe, CD 2015, Label: Edition Metropolmusik, 15,00 Euro; direkt bestellbar über die Homepage: www.majataube.de.

 

WeltTrends aktuell

Nicht nur angesichts jüngster Entwicklungen in Argentinien, Brasilien und Venezuela stellt sich die Frage: Schlägt das politische Pendel in Süd- und Mittelamerika wieder nach rechts? Wahlniederlagen, zunehmende Protestbewegungen und verschärfte Wirtschaftsprobleme deuten darauf hin, dass die „rosarote Welle“ auf dem Subkontinent vorüber ist. Die Gründe für den Niedergang sowie generelle politische und soziale Trends diskutieren die Autoren im Thema.
Im WeltBlick analysiert Ralf Havertz neue Entwicklungen in den Beziehungen zwischen Südkorea und Japan, während Hartmut Elsenhans die Euro-Politik von EZB-Präsident Mario Draghi kritisiert und Gerd-Rüdiger Hoffmann der Frage nachgeht, ob auf der nächsten Biennale in Venedig ein „Ausbruch aus dem neoliberalen System“ zu erwarten ist.
Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen, der im Dezember-Heft eine EU-Debatte im Rahmen von WeltTrends eröffnete, zieht ein Resümee und fordert dringend eine Kurskorrektur.
Zwei Nachrufe erinnern an die jüngst verstorbenen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle. Exklusiv für WeltTrends berichtet dabei Botschafter a.D. Frank Elbe, ehemaliger enger Mitarbeiter Genschers, über die Brüsseler Nacht“ vom 29. auf den 30. Mai 1989, als Genscher einen NATO-Beschluss über die Modernisierung der nuklearen US-Kurzstreckenraketen auf deutschem Boden verhinderte. („Je kürzer die Reichweite, desto toter die Deutschen“ brachte es Alfred Dregger seinerzeit auf den Punkt!)
Im Kommentar plädiert Mathias Platzeck für ein Ende der Sanktionspolitik und fordert eine Wiederannäherung zwischen Russland und Deutschland.

am

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 115 (Mai) 2016 (Schwerpunktthema: „Lateinamerikas Linke im Abschwung?“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

 

Aus anderen Quellen

Die Panama Papers – ein genialer Coup Putins zur Destabilisierung des Westens? Das meint jedenfalls Clifford G. Gaddy, der an der renommierten Washingtoner Brookings Institution immerhin einen Ruf als Europa- und Russland-Experte hat. Und dass die Papiere auch auf das Umfeld des russischen Präsidenten verweisen, ist Gaddy dabei ein besonders perfider Winkelzug, die Durchstichquelle der Papiere zu verschleiern: „Die Medienvorwürfe gegen Putin stehen in keinem Verhältnis zu den vorgelegten Beweisen. […] Diese Enthüllungen werden Putin nicht schaden. […] Naheliegender ist es, dass die durchgesickerten Daten Skandale im Westen provozieren, wo Korruption durchaus ein Thema ist. So gesehen profitieren die Russen von der Enthüllung. Die Frage ‚Cui bono?‘ ist die Frage nach dem Zusammenhang von Gewinn und Motiv.“ Gaddys Text ist ein Muss für Freunde fein gewirkter Verschwörungstheorien.
Clifford G. Gaddy: Die Panama-Papiere sind ein Liebesgruß aus Moskau, Die Welt online, 24.04.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Seit der Annexion der Krim und der Unterstützung der Aufständischen in der Ost-Ukraine wird Russland vom Westen sogenannte hybride Kriegführung nachgesagt – laut Samuel Charap vom International Institute for Strategic Studies in Washington, D.C., „eine Mischung aus herkömmlichen und unkonventionellen Taktiken zur Erreichung politisch-militärischer Ziele“, die „als neue russische Bedrohung für die europäische Sicherheit“ gelte. Dieser Sicht der Dinge widerspricht Charap: „Bei […] unliebsamen Aktivitäten Russlands innerhalb von NATO- und EU-Mitgliedstaaten, wie etwa der Finanzierung politischer Parteien oder der Herausgabe von Medien in der jeweiligen Landessprache, kann keine Rede sein von ‚hybrid‘, ganz zu schweigen von ‚Krieg‘. Schließlich haben westliche Länder viele dieser Dinge auch jahrelang in Russland betrieben.“ Charap bestreitet, „dass Moskau die hybride Kriegsführung zur Doktrin erklärt hat, die wirksam gegen die NATO eingesetzt werden könnte. Einige Experten meinten, aus einem von Generalstabchef Valerij Gerassimow Anfang 2013 verfassten Artikel eine solche Doktrin herauslesen zu können. […] Allerdings beschreibt Gerassimow in seinem Artikel tatsächlich das, was er für die neue US-Kriegsführung hält, und keine neue russische Doktrin.“
Samuel Charap: Das Gespenst Hybrider Krieg – Russland hat keine Doktrin für eine hybride Kriegsführung, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 25.04.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Mit dem iranischen Atomabkommen gebe es für die Staaten am Persischen Golf es „nun keinerlei Gründe mehr, nuklear aufzurüsten, um ein Gegengewicht zu einer potenziellen nuklearen Hegemonialmacht Iran zu schaffen“, schreibt Rolf Mützenich. „Deshalb ist es an der Zeit, sich an den Vorschlag einer massenvernichtungsfreien Zone Persischer Golf zu erinnern […].“ Mützenich ich resümiert Inhalt und Praxis derartiger Zonen: „Kernwaffenfreie Zonen sind eine wichtige Ergänzung und wertvolle Unterstützung des globalen nuklearen Nichtverbreitungssystems und tragen zu Stabilität und gemeinsamer Sicherheit bei. Derzeit existieren weltweit sechs kernwaffenfreie Zonen (Antarktis, Mittel- und Lateinamerika, Südpazifik, Südostasien, Afrika und Zentralasien). Deren Mitglieder dürfen weder im Geltungsbereich noch anderswo Kernwaffen entwickeln, bauen, erwerben oder kontrollieren. Sie verzichten ferner auf die Stationierung, den Transport oder den Test von Nuklearwaffen und dürfen auch keinem anderen Staat vergleichbare Aktivitäten auf ihrem Territorium gestatten. Dies zeigt: Massenvernichtungswaffenfreie Zonen sind keine Utopie.“
Rolf Mützenich: Vom Atomabkommen zur atomwaffenfreien Zone?, Die Zeit online, 01.05.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Bezogen auf die Lage in Europa vermerkt Joseph Grim Feinberg: „Die politische Reaktion auf die Sparpolitik war ein – mittlerweile gescheiterter – Aufstieg der radikalen Linken; die Migrationswelle dagegen führte zu einem – bislang ungebremsten – Aufstieg der radikalen Rechten.“ In Mitteleuropa, in Ungarn und Polen, sei sie bereits an der Macht. Die „neue Rechte“ sei allerdings „– im Gegensatz zu den Faschisten und Nationalsozialisten der 1930er Jahre – eine durch und durch bürgerliche Bewegung, verankert vor allem in den Mittelschichten. Ihr Thema ist nicht die Wiederherstellung nationaler ‚Größe‘, sondern die Wahrung bestehender Privilegien auch unter Bedingungen einer zunehmend vernetzten Welt. Deshalb kommt in ihren Verlautbarungen das ‚Volk‘ viel seltener vor als das Wort ‚Freiheit‘.
Joseph Grim Feinberg: Die Verteidiger Europas. Warum die neue radikale Rechte in Ost und West so erfolgreich ist, Le Monde diplomatique, 07.04.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Der ehemalige Stabschef im Pentagon, Lawrence Wilkerson, sieht weder in Russland noch in China eine reale Bedrohung für die USA. Die US-Politik müsse sich von ihrem imperialen Denken verabschieden, weil die Ansprüche nicht mehr finanzierbar seien. Wilkerson rechnet allerdings damit, dass die USA unter einer Präsidentin Clinton die Gangart noch einmal verschärfen würden. In ein paar Jahren werde aber der Status Quo nicht mehr aufrechtzuerhalten sein.
Top-Militär: Die USA werden ihre Rolle als Imperium verlieren. Interview mit Lawrence Wilkerson, Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 17.04.2016. Zum Volltext hier klicken.