18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Bemerkungen

Wanderers Gemütsruhe

Übers Niederträchtige
Niemand sich beklage!
Denn es ist das Mächtige,
Was man dir auch sage.

In dem Schlechten waltet es
Sich zu Hochgewinne,
Und mit Rechtem schaltet es
Ganz nach seinem Sinne.

Wandrer! – Gegen solche Not
Wolltest du dich sträuben?
Wirbelwind und trocknen Kot,
Laß sie drehn und stäuben!

Johann W. Goethe, West-östlicher Divan. Buch des Unmuts

Barbaren unter sich

Nachdem die Terrormiliz „Islamischer Staat“ afghanische Gefangene mit Sprengstoff in die Luft gejagt hat, werfen die Dschihadisten der Taliban ihrer brüderlichen Konkurrenz nun Barbarei vor.
Das veranlasst wieder einmal zu einer Adaption Tucholskys: Nichts ist verächtlicher, als wenn Barbaren Barbaren Barbaren nennen.

HWK

Fröhliche Urständ

Dass ein DDR-Medium je auch nur in die Nähe der Möglichkeit geraten wäre, echte oder vermeintliche Staatsgeheimnisse zu veröffentlichen, weiß ein jeder als absurde Phantasie zu werten, der als aktiv Beteiligter oder passiver Konsument der damaligen Informationspolitik einschlägige Erfahrungen gesammelt hat. Interessant nun ist, wie man im heutigen Skandal in Sachen der Netzpolik-Veröffentlichungen und dem diesbezüglichen Gehabe von Justiz und Politik an eben jenen Duktus erinnert wird, mit dem zu DDR-Zeiten selbst solche Informationen aus den Medien ferngehalten wurden, die in irgendeiner Weise auf Schwächen des Systems hindeuteten, von Fehlern ganz zu schweigen, denn die wurden zumindest auf der Königsebene ja nie gemacht. Das konnte damals mit technologischen Rückständen ebenso zu tun haben, wie mit der löchrigen Bevölkerungsversorgung etwa mit Senf, Ketchup oder Feinstrumpfhosen. „Der Klassenfeind“, so die warnenden und verhindernden Hinweise, wenn doch mal eine diesbezügliche Meldung infolge „fehlender ideologischer Wachsamkeit“ in eine Zeitungsspalte oder auf einem Sender zu geraten drohte, liest, hört und sieht mit, und er verwendet das in seiner Hetzpropaganda gegen uns. „Dafür liefern wir ihm keine Munition!“
Nun sind Themen wie die eben beispielweise (!) genannten heute keine, die man in Zeitungen vergeblich oder auch nur zwischen den Zeilen suchen muss. Interessant ist indes, dass jene Kräfte in der Bundesanwaltschaft, die den Webpolitik-Leuten nun allzu gern „Landesverrat“ anhängen wollten, zum grundsätzlich gleichen „Argumentations“muster greifen und so fröhliche Urständ feiern. „Insbesondere ausländische Nachrichtendienste“, so heißt es in der Expertise der Bundesanwaltschaft mit Bezug auf netzpolitik.org, könnten „weitreichende Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des BfV in sachlicher, finanzieller und personeller Hinsicht ziehen“. Damals wie heute mutet das Gehabe der (nicht nur)deutschen „Geheimnisträger“ nahezu putzig an, meinten diese es nicht so ernst damit, die eigenen Bürger mehr und mehr zu überwachen, ihr eigenes Tun und Lassen indes zu Landegeheimnissen zu erklären – auch dann, wenn „ausländischen Nachrichtendienste“ nicht nur längst über die Methoden der Verfassungsschützer informiert sind – durch deren Überwachung nämlich.

Helge Jürgs

Ein Mann hat seine Arbeit getan

E. L. Doctorow ist gestorben. In New York geborener Schriftsteller russisch-jüdischer Abstammung. Er war 84 Jahre alt. Studierte Literatur an der Universität von Ohio, verbrachte den Militärdienst in Deutschland nahe Darmstadt, kam 1955 zurück, war Lektor, Dozent und schrieb und schrieb. Das erste Buch, das man von ihm las, war Ragtime. Das kam mit soviel Lob auf uns zu, dass wir es eher ernüchtert lasen; es gibt keine Wunderwerke in der Literatur, alles ist Arbeit, Talent und das Glück und die Erfahrung, es richtig zu machen.
Doctorow mochte es nicht, wenn man ihn als Autor historischer Romane sah. Was heißt, er mochte es nicht – er hielt es für ein Missverständnis. Er schrieb in der Tat über Ereignisse und Leute, die es vor langer und auch gar nicht so langer Zeit gegeben hatte, aber er sagte: „… wir müssen vergessen, wie die Wirklichkeit aussah. Das interessiert mich nicht, das ist nichts Besonderes.” Es ging ihm um die Ideen, die er – wie alle – mit sich herum trug, und die sich irgendwann durchsetzten. Darauf musste man warten. Deshalb sind seine Bücher so echt, so kunstvoll und nie künstlich. Der letzte Roman, den ich von ihm las, war „Homer & Langley”, zwei Brüder aus der besseren Gesellschaft, die, wie Doctorow im Gespräch mit Jordan Mejias (FAZ) sagte, zur New Yorker Stadtfolklore gehörten, als er noch ein Kind war. Ihn interessierte, warum diese Collyer-Brüder aus dem Leben um sie herum ausgestiegen waren. „Aber ich habe sie nun nicht als Außenseiter beschrieben, sondern wie einen Mythos behandelt. Also habe ich auch viel erfunden, denn man interpretiert einen Mythos, man erforscht ihn nicht.”
Wenn man Doctorow liest oder ihm wie hier zuhört, erfährt man unweigerlich viel über die Geheimnisse des Schreibens und des Lebens. Er ist ein Mann, der seine Arbeit getan und sein Leben gemeistert hat. Wenn er nun gestorben ist, können wir mehr Dankbarkeit als Trauer empfinden. Und in wenigen Wochen wird bei Kiepenheuer & Witsch sein letzter Roman, „In Andrews Kopf”, erscheinen. Ein Schriftsteller kann sterben, aber nicht vergessen werden.

Fritz-Jochen Kopka
kopkas tagebuch

Landschaft und Nachlandschaft

Ein Vierteljahrhundert ist der historische Bruch her, jene für diesen Kontinent unübliche, friedliche Übergabe eines Staatswesens zunächst in die Verantwortung der Hoffnung, dann ins treuhänderische Verwesen durch eine kräftigere Ordnung: die 89er Revolution. Wie ist die Hinterlassenschaft der ostdeutschen Landstriche, hier explizit in literarischer Hinsicht, zu bewerten, was ist in den 25 Jahren aus dem Ansehen ihrer ‚Leitfossilien‘ wie auch den immer noch im Nachklang des Phänomens DDR Lebenden geworden?
Dieser elementaren Frage geht Ulrich Kaufmann in seinem umfänglichen Kompendium, das Aufsätze, Gespräche, Auszüge aus Briefwechseln und Rezensionen zur Literatur der DDR wie vor allem ostdeutschen Autoren bis zur unmittelbaren Gegenwart enthält. Etwas anders als in den ‚gebrauchten‘ geht die Literaturöffentlichkeit der neuen Bundesländer mit einer Verschiebung der Wahrnehmung einher; jenseits der Metropole Berlin auch mit einem mühsamen Erhalten des Status quo, was seine Gründe auch in der geringeren ‚Wirkkraft‘ der Literatur in den heraufkommenden Iden der Nachwende hat.
Kaufmann, Mitglied einer renommierten Wissenschaftlerfamilie, gibt Einblicke in diesen ostdeutschen Literaturbetrieb – sichtbar wird dabei eine reiche Szene auch jenseits der großen Triftwege, wenngleich der Bestand an bedeutenden Autoren, der zu verhandeln ist, auffällt. So wird Brechts „Ur-Faust“-Rezeption verdeutlicht; Seghers, Becher, Strittmatter, Kant, Loest werden, als Antagonisten wie in der ihnen gemeinsamen Verlorenheit an die Literatur, gewürdigt wie die großen Erzählerinnen Christa Wolf und Brigitte Reimann; Wulf Kirsten, Harald Gerlach, Gisela Kraft, Volker Braun, Heiner Müller.
Einiges ist dabei einer aufregend persönlichen Wichtung (der man sich im Umgang mit Literatur, wenn man nicht aus Holz ist, nicht entzieht) untergekommen; nicht weniges ist Neuland, einiges diskutabel. Der Ulbricht-Becher-Aufsatz zum Beispiel birgt wohl auch heute noch manches an Diskussionsstoff. Eine Fundgrube ist überdies Kaufmanns Beschäftigung mit Wulf Kirsten, der als Dichter und nicht zuletzt Mentor sichtbar wird. Die Coverabbildung wie auch die einzige Innengrafik, zwei Arbeiten von Susanne Theumer, sind einem Werk wie der Person des bedeutenden Wahl-Weimarers gewidmet.
Was bleibt zu sagen? Dass es aus einem verschollenen Land über sein Ende hinaus Schreiber gibt, die es wert sind, gelesen zu werden. Dazu leistet dieses Buch, das mit Sichten zu Sigrid Damm, zur jüngsten Prosa Brauns ausklingt, einen Beitrag. Die Literatur in wieder ‚fiebriger Zeit‘, sie möge Existenz und Auskommen haben.

André Schinkel

Ulrich Kaufmann: Wir hatten Fieber. Das war unsre Zeit. Äußerungen zur ostdeutschen Literatur von Brecht bis Braun, Format Druckerei und Verlagsgesellschaft mbH, Jena 2014, 278 Seiten, 14,90 Euro.

Neuer Rüstungsexportrekord in Sicht

Vor einigen Wochen war an dieser Stelle vermeldet worden, dass die Bundesregierung die Lieferung von 200 Kampfpanzern „Leopard“ an Saudi-Arabien via Spanien unterbunden hatte. Dieser Schritt war – trotz wiederholter vollmundiger Erklärungen von Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Siegmar Gabriel: „Als Bundeswirtschaftsminister sorge ich dafür, dass Deutschland eine restriktive Rüstungspolitik verfolgt und die strengen Politischen Grundsätze, die unter Rot-Grün eingeführt worden waren, vollumfänglich angewendet werden.“ – nicht als Indiz für einen grundlegenden Wandel in der deutschen Rüstungsexportpolitik gewertet worden. Und das war gut so. Denn bereits bis Ende Juni hatte der Bundessicherheitsrat, dem Gabriel angehört, mehr Rüstungsexporte genehmigt als im gesamten Vorjahreszeitraum – im Wert von insgesamt 6,35 Milliarden Euro. Darunter ein nuklear umrüstbares weiteres U-Boot der „Dolphin“-Klasse für Israel und zwölf Spürpanzer „Fuchs“ für Kuweit. Es sieht also nach einem neuen deutschen Rekordjahr in Sachen Waffen für die Welt aus.

Alfons Markuske

Strahlende Aussichten

Atommüll, wir wissen es, sendet seine verhängnisvollen Strahlen noch Millionen Jahre aus – egal, wo er sich befindet. Seit Jahrzehnten nun sucht die deutsche Regierung nach Endlagerstätten, die diesen Zustand zwar nicht ändern aber doch für die Schöpfung ungefährlich machen können. Meint man.
Gemessen an besagter Strahlungsdauer sind diese Jahrzehnte natürlich durchaus eine kurze Zeit. Und auch, dass besagtes Endlager bis 2031 festgelegt sein und dort ab 2050 eingelagert werden soll, ist in atomaren Zusammenhängen ein temporärer Fliegenschiss.
Nur eines an diesen löblichen Bemühungen ist problematisch, und schon jetzt sicher: Dass jede Lagerstätte von den davon betroffenen Länder und Kommunen abgelehnt werden wird, und der dann folgende Rechtsweg durch alle global vorhandenen Instanzen weitere Jahrzehnte dauern wird.
EON als Deutschlands größer Energiekonzern ist gerade dabei, durch eine gesetzliche Lücke zu schlüpfen. Er versucht, durch die Ausgliederung seiner Atomsparte in ein neues Unternehmen die bisherig unbegrenzte Haftung für seine Atomkosten auf dadurch gerade mal fünf Jahre zu begrenzen, sie sich also zu Lasten der Gesellschaft vom Halse zu schaffen.Und was eben diese Gesellschaft betrifft: Bereits jetzt hat der Freistaat Bayern sein Territorium für ein solches Endlager ausgeschlossen, jene werden folgen, die dann in Betracht kommen: Not in my backyard – wetten?
Der Fluch jener Tat der Energiegewinnung aus der Kernkraft, die einst als segensreiche und finale Lösung aller einschlägigen Sorgen galt, ist realiter das, was sonst so im modischen Sprachgebrauch als „nachhaltig“ bezeichnet wird. Dass das Abschalten der deutschen Kernkraftwerke nach Fukushima eine richtige und in Anbetracht des mit Milliarden Euro untersetzten Widerstandes der Atomlobby sogar mutig war, ist unbenommen. Dennoch haben unsere Nachkommen nun auszulöffeln, was entgegen jahrzehntelanger Warnungen munter weiter betrieben worden ist.
„Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“, weiß die Bibel in Genesis 1,31 zu berichten. Nun ist nicht belegt, ob der HERR damit auch die Erfindung der Kernkraft gemeint hatte, dass aber diese sehr gute Schöpfung schon bald von der Masse der Erdenbewohner missbraucht wurde, nahm er sehr wohl war. Und er griff zu einem Mittel, dass radikaler nicht hätte sein können: Er überflutete die Erde und ließ – außer einer kleinen Zahl ausgewählter Geschöpfe in der Arche, alles vernichten. Bedenkt man, zu wie viel weniger Missetaten die biblischen Menschen – gemessen an den heutigen – in der Lage waren, fragt man sich, ob Gott mittlerweile seiner Schöpfung überdrüssig geworden ist, oder – was dann Nietzsche bestätigen würde, ob Gott tot ist.

Hella Jülich

Film ab

Wer wissen willen, wie es im Wilden Westen wirklich zugegangen ist, der hat derzeit mindestens drei Möglichkeiten.
Er kann sich die völlig unheroische, dafür aber bis ins goldgräberische, kriminelle und reichlich mörderische, prostituierte, korrupte und sonstige Alltagsdetail naturalistische Serie „Deadwood“ (drei Staffeln) ansehen, die überdies ein eindrucksvolles Wiedersehen mit Brad Dourif beschert, der 1975 mit seiner überhaupt erst zweiten Filmrolle einen beeindruckenden Billy Bibbit in Miloš Foremans „Einer flog übers Kuckucksnest“ gegeben und 1980 schon einmal in einem realistischen Western mitgewirkt hatte, in Michael Ciminos „Heavens Gate“.
Er kann aber auch zu John Williams gerade auf Deutsch erschienenen Roman „Butcher’s Crossing“ über die Ausrottung der großen Büffelherden in den amerikanischen Prärien greifen, womit nicht zuletzt die Lebengrundlage der dortigen Indianerstämme vernichtet wurde.
Oder er kann mal wieder ins Kino gehen, denn dort geht mit „Slow West“ – nach „The Homesman“ – in diesem Jahr bereits der zweite Western über die Leinwände, der nichts mit Mythen am Hut hat, dafür umso mehr mit den abstoßenden Seiten der „Zivilisierung“ Nordamerikas durch europäische Einwanderer – vom Abschlachten der Indianer bis zur Kopfgeldjagd. „Unter jedem Stein wird ein Desperado hervorkriechen und dir ein Messer ins Herz stechen, so lange ein Dollar dabei herausspringt“, sagt Silas (Michael Fassbender), ein abgerissener Glücksritter, und bringt damit das Credo des realen Wilden Westens auf den Punkt.
Der Film wartet überdies mit ein paar überraschend skurrilen, surreale Momenten auf. Etwa wenn ein dreiköpfiges Trio farbiger Musiker mitten im Nirgendwo Lieder und noch dazu auf Französisch anstimmt oder später einer der Kopfgeld-Halunken zum Banjo greift und eine Ballade anstimmt, wie sie Bob Dylan in Sam Peckinpahs „Pat Garett jagt Billy the Kid“ auch nicht besser hätte darbieten können.
Und am Ende – ein ordentlicher Showdown, der irgendwo zwischen solchen Klassikern wie „12 Uhr mittags“ (Fred Zinnemann) und „The Wild Bunch“ (Sam Peckinpah) rangiert und sich hinter beiden nicht zu verstecken braucht – mit einem Happy End, wie man es dem jugendlichen Helden Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee), der als 16-Jähriger von Schottland aufbrach, um seine Angebetete in den Weiten Nordamerikas wiederzufinden, gegönnt hätte.
Dass auch der reale Wilde Westen andererseits grandiose Naturkulissen aufzubieten hatte, von den Plains, den endlosen Graslandschaften, über Monument Valley bis zu den Rocky Mountains, ist bekannt. Doch nach diesem Film steht der Westernfan vor der Gewissensfrage: Was war schöner? Das Original oder Neuseeland? Denn dieser Streifen wurde komplett dort realisiert. Kiwis oder Wombats huschen jedoch nicht durchs Bild.

Clemens Fischer

„Slow West“, Regie: John Maclean; derzeit in den Kinos.

Medien-Mosaik

In den Urlaub fährt man gern, um etwas über den Landstrich, in dem man sich befindet, zu erfahren. Um so besser, wenn man nachvollziehen kann, wo man die Orte bereits gesehen haben könnte und sich gar prominente Geschichten daran ranken. Der Rostocker Marco Voss hat sich gleich ganz Mecklenburg-Vorpommern vorgenommen, viel darüber geschrieben und auch einige Spezialisten herangeholt. Nach einem Filmtitel von Andreas Dresen nannte er sein Buch „Stilles Land und großes Kino“. Geografisch geordnet kann man hier nachschlagen, welcher Kino- oder Fernsehfilm wann und wo gedreht wurde und erfährt viel über die beteiligten Künstler und ihr Leben.
So erfährt man, dass der Mecklenburger Landtag 1920 die Einrichtung einer (bezuschussten) Filmproduktion beschloss. Bis 1923 drehten die Schweriner mehrere Spielfilme. Berühmtester Stummfilm aus Mecklenburg war allerdings F. W. Murnaus Gruselfilm „Nosferatu“, der 1921 hauptsächlich in Wismar gedreht wurde. Über die Jahrzehnte entstanden zahlreiche Filme an der Ostsee und der Mecklenburger Seenplatte, in Rostock, Güstrow oder Feldberg. Unvergessen bleiben DEFA-Filme wie „Heißer Sommer“ oder „Der Baulöwe“.
Seit den Jahren der Privatisierung gibt es Krimi-Serien aus MV, wovon die ZDF-Serie „SOKO Wismar“ nur die Spitze des Eisbergs ist. Voss und seine Mitstreiter haben herausgefunden, dass in den siebziger Jahren ein ungarischer Film im Land gedreht wurde, und seit den 90ern lässt sich auch manche Hollywood-Produktion für einige Zeit in MV nieder. So verschlug es in „Eurotrip“ (2004) drei Studenten aus Ohio nach Europa an einen französischen Nudisten-Strand. Der wurde aber in Markgrafenheide gefunden. Diese und andere Geschichten machen Lust, das Land auf den Spuren bekannter Filme neu zu entdecken.

Marco Voss (Herausgeber): Stilles Land und großes Kino, Hinstorff-Verlag, Rostock 2015, 256 Seiten,16,99 Euro.

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Selbstverständlich hat auch DEFA-Regisseur Siegfried Kühn Filme in MV gedreht. So wurde die Herbert-Otto-Verfilmung „Zeit der Störche“ mit Heidemarie Wenzel und Winfried Glatzeder 1971 zum ungewollten Karrierestart von Peter Hick als Kaskadeur und späterer Leiter der Störtebeker-Festspiele in Ralswiek. Der Film gehört zu einer großen Kühn-Edition, die im Frühjahr erschienen ist, und in der immer zwei seiner Filme miteinander gekoppelt sind. Passenderweise komplettiert „Zeit der Störche“ Kühns andere Herbert-Otto-Adaption „Der Traum vom Elch“. Im Milieu von Krankenschwestern führte der Regisseur mit Katrin Saß, Marie Gruber und Dagmar Manzel 1986 drei Schauspielerinnen zusammen, die noch heute zu den Publikumslieblingen gehören.
Mit Katrin Saß, Gudrun Ritter und Ulrike Krumbiegel stand in „Heute sterben immer nur die anderen“ 1990 wieder ein exzellentes Frauentrio vor Kühns Kamera. Dieser Gegenwartsstreifen wurde mit dem antifaschistischen Film „Die Schauspielerin“ (1988, mit Corinna Harfouch) gekoppelt. Eine weitere Paarung bildet der phantasievolle Film „Kindheit“ (19xx, mit Carmen-Maja Antoni und Fritz Marquardt) mit der Geschichte der Midlife-Crisis eines Opernregisseurs (Hilmar Thate) unter dem sperrigen Titel „Don Juan, Karl-Liebknecht-Straße 78“ (1980). Alle DVDs haben lesenswerte Booklets und Interviews mit mitwirkenden Künstlern.

bebe

Siegfried-Kühn-Edition, Icestorm 2015, alle DVDs jeweils 12,99 Euro.

Kluge Sprüche

Das Hauptproblem dieser Welt besteht darin, daß die Fanatiker so selbstsicher sind, während die Klugen ständig zweifeln.
Bertrand Russell

Lebensklugheit bedeutet: alle Dinge möglichst wichtig, aber keines völlig ernst zu nehmen.
Arthur Schnitzler

Der Kluge lernt aus allen und von jedem, der Normale aus seinen Erfahrungen und der Dumme weiß alles besser.
Sokrates

Interessante Selbstgespräche setzen einen klugen Partner voraus.
H.G. Wells

Ausgewählt von fbh

Euromaso

Die von der Europäischen Union gegen Russland verhängten Sanktionen tragen masochistische Züge. Die Leipziger Volkszeitung titelt „Russland-Sanktionen treffen Ost-Wirtschaft immer härter“ und zitiert den Präsidenten des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft mit den Worten: „Vielen ostdeutschen Betrieben […] steht deshalb das Wasser bis zum Hals“ und „das gefährdet in Deutschland mehr als 300.000 Arbeitsplätze […] “. Gleichzeitig schreibt SPIEGEL online: „Handel zwischen USA und Russland floriert“ und, unter Anführung von Beispielen, „Im vergangenen Jahr hat der amerikanisch-russische Warenaustausch laut russischen Statistiken um knapp sechs Prozent zugelegt“. Cervantes muss umdenken. Zwar existieren noch Don Quijote und die von ihm zu Feinden erklärten Mühlen. Aber er selbst attackiert die nicht mehr. Er lässt das jetzt Sancho Panza tun.

Günter Krone

Wirsing

Glücklicherweise gibt es genügend politische Skandale, mit denen sich das „Sommerloch“ füllen lässt. Ein paar Politiker halten Stallwache, um sich äußern zu können. Zu ihnen gehört Bernd Riexinger von den LINKEN, der auf PHOENIX geistreich den Angriff auf die Freiheit des Journalismus kritisierte. Aber auch, wenn seine Partei im Bundestag Oppositionsführer ist, nutzt ihm das gar nichts. Die Journalisten der RTL-Gruppe nehmen sich die Freiheit, die LINKEN zu ignorieren. Auf n-tv hieß es: „Die FDP und der Rest der Opposition verlangt volle Aufklärung.“ Weitere Parteien kamen in dieser Meldung nicht vor. So redet man die FDP geschickt in den Bundestag zurück.

Fabian Ärmel

Aus anderen Quellen

Die Frage, wie das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland sich auf eine dem Kalten Krieg nicht unähnliche Weise verschlechtern konnte, ist keineswegs eine akademische, weil die Suche nach Ursachen von Problemen schon häufig zu Ansätzen für ihre Lösung geführt hat. Dabei können auch ältere Beiträge hilfreich sein. Vor bereits fast einem Jahr schrieb Antje Vollmer: „Vor 25 Jahren waren wir das ‚glücklichste Volk der Welt‘. Ein geeintes Europa lag wie ein einziges Glücksversprechen vor uns. Die ganze Welt schien in eine friedlichere Epoche unter der Führung einer gestärkten UNO hinüberzugleiten, multipolar geordnet, mit wachsender Attraktivität von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Toleranz. Das war der Traum einer ganzen Generation. Es kam anders – und das lag nicht nur an den Ereignissen des 11. September 2001. Es lag auch am Triumphalismus, mit dem der Westen den ideologischen Sieg im Kalten Krieg über den früheren Gegner, die Sowjetunion, auskostete. Die Lehren aus dem Misslingen des Versailler Vertrages blieben unberücksichtigt. An einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu arbeiten, die auch den Unterlegenen in diese Ordnung mit einbezieht, schien überholt, irrelevant. Dabei geriet dann auch das gesamte diplomatische Wissen aus der Zeit der Ost-, Entspannungs- und Abrüstungspolitik in Vergessenheit – als gäbe es kein Morgen mehr. […] Wie konnte es dazu kommen? Was machte den Westen eigentlich so leichtfertig? Entscheidend dafür war eine Mischung aus Geschichtsvergessenheit, mangelnder sozialer Verantwortung für die Verlierer der historischen Umwälzungen und einem erschreckenden Narzismus der neuen Eliten in Ost und West.“
Antje Vollmer: Das gemeinsame Haus Europa – eine bittere Bilanz.
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„Die Gründung der Vorgänger-Organisation des ‚Islamischen Staats‘ 2003 durch Al Zarkawi war die Antwort extremistischer Fanatiker auf 200 Jahre Unterdrückung und Erniedrigung, die im US-Bombenterror des Irakkrieges ihren dramatischen Höhepunkt fanden“, hält Jürgen Todenhöfer fest und fährt fort: „Zarkawis terroristische Antwort war zwar rechtswidrig und unmoralisch. […] Aber keiner der Kämpfer Al Zarkawis war als Terrorist zur Welt gekommen. Unsere Kriege haben sie dazu gemacht.“
Jürgen Todenhöfer: Eine Fünf-Säulen-Strategie zur Bekämpfung des IS, Berliner Zeitung Online, 21.07.2015. Zum Volltext hier klicken.

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„Dem Kapital“, so beginnt David Harvey seine Ausführungen über den Katastrophenkapitalismus, „geht es immer um Wachstum, und es wächst notwendigerweise exponentiell. Diese Bedingung der Kapitalreproduktion stellt einen extrem gefährlichen, aber bis heute weitgehend unbeachteten und vernachlässigten Widerspruch dar.“ Dem geht der amerikanische Humangeograph und Sozialtheoretiker auf den Grund und gelangt zu dem Fazit: „Das Kapital wird weder mit einem großen Knall noch einem großen Wimmern enden, sondern zum Geräusch zahlloser platzender Blasen in der ungleichen geographischen Landschaft eines müde akkumulierenden Kapitals.“
David Harvey: Wachstum bis zum Untergang. Katastrophenkapitalismus, Teil I, Blätter für deutsche und internationale Politik, Juli 2015. Zum Volltext hier klicken.