28. Jahrgang | Nummer 7 | 7. April 2025

Bemerkungen

Längst vergessen?!

Fundstücke aus DDR-Jahrgängen der Weltbühne, die dank einer Spende aus Leserhand nunmehr im Blättchen-Archiv stehen.

Die Redaktion

Langemark

von Werner Neubert

Vor dem naßkalten, nebligen Herbst 1914 galt Langemark (Langhemarcq) in Flandern nur als ein Ort unter vielen. Weniger als zehn Kilometer nordöstlich von Ypern gelegen, umgaben Wiesen, Flachs- und Rübenfelder den Landflecken mit seinen bei Kriegsausbruch 5500 Einwohnern. Nichts kündete davon, daß von hier aus ein dunkler deutscher Mythos aufsteigen sollte, installiert von einem preußisch-deutschen General namens Schubert, forciert von einnem Divisionskommandeur namens Fuchs, publiziert von der OHL (Obersten Heeresleitung) mit dem allerhöchsten Segen Seiner Majestät des Kaisers.

Was geschah hier? Nach dem Scheitern der preußisch-deutschen Blitzkriegsstrategie in der Version von 1914 entbrannten im Oktober und November desselben Jahres in Belgien schwerste Kämpfe. Beide Seiten betrachteten die zum Meer gewandte belgische Flanke als entscheidend für den weiteren Verlauf des Krieges; mit gewissem strategischem Recht. Als die deutschen Angriffsdivisionen zermürbt waren, forderte man Reserven an. Woher nehmen? Nun, dann die Kriegsfreiwilligen!

Diese Achtzehn- bis Zwanzigjährigen hatten gerade das ordentliche oder auch das Not-Abitur hinter sich, sie bereiteten sich auf das Studium von Philosophie, Philologie, Medizin, Ingenieurwissenschaften, Theologie vor. Im Sprachgebrauch ihrer militärischen Ausbilder galten sie als „Monats-Soldaten“. Das hieß: sie hatten mehrfach exerziert, den Karabiner gehandhabt und auf Scheibe geschossen. („Kriegsmäßige Ausbildung? Unmöglich, meine Herren, keine Zeit vorhanden, lernen die Jungen draußen …“)

So geschah es: In Viehwagen kamen sie per Schiene an. Man öffnete die Schiebetüren. Kurzer Halt. Bereitstellung. „Zu Sturm-Angriff vorwärts!“ Die französischen und englischen MGs mähten sie weg wie hohes Gras unter der Sense. Einer hatte den offenkundigen Wahnsinn abgelehnt, General von Carlowitz (einer seiner Ahnen hatte übrigens Gotthold Ephraim Lessing das erste Stipendium gewährt), worauf er prompt das Kommando los wurde. – Vor zwei Jahrzehnten sprachen in London englische Kriegsveteranen von 1914 ihre damaligen Eindrücke auf Tonband Sie hatten geglaubt, Verrückte vor sich zu haben, einen Haufen von Selbstmördern …

Das Schlimmste aber ist, was nun einsetzte – die Allianz von Lüge und Verbrechen: Der Heeresbericht meldete, deutsche Freiwilligen-Regimenter hätten unter dem Gesang von „Deutschland, Deutschland über alles“ die feindlichen Stellungen bei Langemark gestürmt – bei einem Sturmangriff über nasse Äcker und Rübenfelder geschlossen singen!

Es gibt auch ein interessantes literarisches Nachspiel. Ein Jahrzehnt nach dem Ende des ersten Weltkrieges suchte Professor W. Witkop für seinen Band „Kriegsbriefe gefallener Studenten“ (erschienen 1928 im Verlag Georg Müller, München) auch Briefe von bei Langemark Gefallenen; er fand keine und konnte sie gar nicht finden, denn sie hatten über keine Minute verfügt, noch eine Zeile zu schreiben, vor ihrem sinnlosen Tod im Wahnsinnstanz des deutschen Militarismus.

Jahrelang wurde uns, den zwischen den beiden Weltkriegen Geborenen, gerade Langemark als heldisches Beispiel des Opfermuts vor Augen geführt. Der Mythos von Langemark, geboren aus Lüge und Skrupellosigkeit des deutschen Militarismus, ist mitschuldig an unzähligen Totenhügeln, darunter an denen bei Halbe im Märkischen vor den Toren Berlins, wo Tausende begraben sind, die im April 1945 nicht älter waren als fünfzehn und sechzehn Jahre.

Weltbühne, 43/1984

Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.

 

Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor ausfindig zu machen. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.

 

Ein kurzer Text über den Anfang

Vor einigen Jahren trat eine Prominentenjury zusammen, die den schönsten ersten Satz in der deutschsprachigen Literatur finden sollte. Die Jury kürte den Eingangssatz aus dem Roman Der Butt von Günter Grass: „Ilsebill salzte nach.“ Franz Kafka und Siegfried Lenz landeten auf den Plätzen.

Ich habe andere Favoriten. Fünf will ich nennen.

„Wir liegen neun Kilometer hinter der Front.“ Mit diesem Satz beginnt der erfolgreichste (und einer der folgenreichsten) deutsche Romane der Zwischenkriegszeit, Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues.

Heinrich Mann stand 1925 in einem Pulk von Touristen vor dem Schloss zu Pau am Fuß der Pyrenäen. Er besichtigte die Räume, die einmal die Räume des „guten Königs Henri“ gewesen waren. Sieben Jahre später schrieb er den ersten Satz seines Romans Die Jugend des Königs Henri Quatre nieder: „Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer.“ Der Roman erschien 1935 bei Querido in Amsterdam. Vielleicht war den deutschen Lesern dieser historische Roman allezeit zu kompliziert, zu beziehungsreich, zu französisch, um ihn lesen, genießen und lieben zu können.

Es geht auch deutscher. „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ Der erste Satz aus Thomas Manns Joseph und seine Brüder. Als zweiter Satz folgte eine Frage, die es nicht leichter macht: „Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?“ Bei diesem Einstieg ahnt man, dass das Folgende nicht unter vier Bänden abgehen wird.

Meine beiden letzten Favoriten: Der erste ist ein Satz der Verweigerung: „Ich will aber nicht Minister werden!“ Mit solch einem Satz brachte sich Hermann Kant seinerzeit – mit dem Roman Das Impressum – in Schwierigkeiten, obwohl sich der Satz als Scheinverweigerung entpuppte und sein Autor doch noch etwas wurde in der DDR. Schön ist dieser Satz gleichwohl.

Der andere Satz stammt von einem Autor, der vom Feuilleton als trivial verflüstert, nicht gelobt und erhoben, aber nichtsdestotrotz fleißig gelesen worden ist: „Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, aber keinen Salat.“ Sein Autor heißt Johannes Mario Simmel und man darf dabei getrost an Kaviar denken.

Eine Bilanz der neueren deutschen Geschichte sind beide Sätze. Und so etwas muss man erst einmal erfinden können.

 

Thomas Weyrauch

Ein Buch, auf das wir uns freuen:
„Bär, Bock und andere“ von Habert Robeck

Der Nebenberuf des unter dem Pseudonym Habert Robeck schreibenden Kinderbuchautors ist kein Geheimnis mehr. Rund drei Jahre war er als Experte für Ampeln und Heizungen in Berlin tätig.

Dies ist vorüber, und er legt ein Buch vor, das ohne Erfahrungen in der Hauptstadt nicht entstanden wäre. Überdeutlich sind die Parallelen zwischen dem politischen Geschehen in Deutschland und den Abenteuern von Bär, Bock und anderen am Hofe des an Gedächtnisverlust leidenden Königs der Tiere.

Dieser weitgehend untätige Löwe Alof hält sich für einen coolen Typ, und Hyänen sowie Schakale loben ihn als besonnenen Herrscher. Der Autor deutet allerdings an, dass die Untätigkeit des Löwen keineswegs auf Besonnenheit beruhe, sondern auf verlängertem Winterschlaf.

Den nutzt seine Umgebung weidlich aus. Bär und Bock lassen sich auf Kosten des zusehends verarmenden Tierreichs aufwendig das Fell putzen und fahren hinaus in alle Welt. Dort belehren sie die Gastgeber darüber, wie man im Dschungel oder in der Savanne zu herrschen habe. Auf Gegenliebe stößt das nirgendwo, so dass der Leser bangt, den Weltreisenden könne etwas zustoßen. Doch es geht glimpflich ab, auch wenn manch ein Wüstenherrscher murmelt: „Die beiden habe ich gefressen!“

Der Autor stellt den Schatzmeister Lindwurm als Abtrünnigen dar, als der nach einem Streit übers Schuldenmachen zurücktritt, was die Herrschaft Alofs beendet. In Wahrheit hat das kluge Tier viel zu lange die falsche Politik mitgemacht.

Es gibt kein Happy End. Zwar können Bär und Bock infolge einer üblen Intrige einen gutdotierten Posten in Amerika antreten. Das Tierreich aber fällt unter die Herrschaft eines übergeschmeidigen Sauerländer Luchses, der allen anderen Tieren das Lügen gesetzlich verbietet, weil sie das nicht halb so gut beherrschen wie er.

Habert Robeck lässt offen, welche Folgen dies alles für das Tierreich hat. Für Optimismus ist wenig Platz, weil durch Auszehrung geschwächte Beutetiere die Macht eilfertig mit dem Luchs teilen wollen. In sumpfigen Niederungen hingegen harren ungeschlachte blaue Drachen ihrer Stunde.

Rainer Rönsch

Altusried hat gewählt

Der 13. Fall des bei seinen Fans beliebten Kommissars Kluftinger beschäftigt sich wie immer neben der Aufklärung eines Mordfalls mit aktuellen politischen Themen. Diesmal wird der Kommissar von seiner Partei als Kandidat für den Gemeinderat zur Wahl gestellt. Gewohnt satirisch werden im Verlaufe der Handlung Mittel und das Zustandekommen von Aussagen zur Wahl beschrieben. Ein Highlight ist dabei die Darstellung der „Erarbeitung“ von Kluftingers Statements zu notwendigen politischen Aufgaben für seine Gemeinde Altusried. Dies muss mensch einfach selbst hören. Oder lesen – auch diesem Hörbuch liegt ein gedrucktes Buch zugrunde. Hören ist jedoch ein doppeltes Vergnügen.

Neben dem aktuellem Thema Wahlen geht es auch um Corona-Maßnahmen und deren Auswirkungen, um den Einsatz von KI, das Heizungsgesetz, um die Berechtigung diverser Protestformen und so ganz nebenbei um einen Mord während einer Anti-Terrorübung.

Wie immer wird der Mord natürlich am Ende völlig anders als erwartet aufgeklärt (unter anderem wegen der Esslust des Kommissars). Was bleibt und durchaus zur Diskussion anregt sind die Überlegungen zum Zustandekommen von Wahllisten, zum Umgang der Bevölkerung mit sich zur Wahl stellenden Kandidaten und jener auch untereinander. Das überraschende Ende der Gemeinderatswahlen ist ein Lehrstück für unsere Demokratie.

Viola Schubert-Lehnhardt

Volker Klüpfel / Michael Kobr: Lückenbüßer. Hörbuch, gelesen von den Autoren und Martin Umbach, Hamburg HHV GmbH, Hamburg 2024, 21,99 Euro.

 

Der Dichter*, was spricht er?

Merkts euch, ihr tränenreichen Sänger,

Im Katzenjammer ruft man keine Götter.

Eduard Mörike

 

Ein Mann steht gewöhnlich sehr lange unter dem Eindruck,

den er auf eine Frau gemacht hat.

Julian Tuwim

 

Ich ziehe von einem Menschen seine Eitelkeit ab

und rechne mit dem Rest.

Curt Goetz

 

Wer nicht den Mut hat, Sozialist zu sein,

wird notwendig Reaktionär.

Georg Herwegh

 

Nicht gutmütig, sondern gut müssen wir sein.

Jewgeni Schwarz

 

Bekanntlich ist man auf nichts so stolz wie auf das,

was man seit zwei Minuten weiß.

Kurt Tucholsky

 

Seit ich auf der Welt weile,

trage ich ständig eine leere Stelle mit mir herum,

wo eigentlich der Fleiß sitzen sollte.

Mark Twain

 

Liebe bezahlt sich als einzige Leidenschaft

mit einer Münze, die sich selbst prägt.

Stendhal

 

Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde:

– alle dummen Männer.

Marie von Ebner-Eschenbach

 

Tage, an denen nichts,

aber absolut nichts los ist,

sind nicht die schlechtesten.

Heinz Knobloch

 

Du willst von Anfang an ein Held sein, und ich sage dir,

Helden halten bloß den Betrieb auf.

Wegen denen dauert alles viel länger.

Jurek Becker

 

Wenn du viel redest,

brauchst du nichts zu sagen.

Jurij Brězan

 

Eine der verbreitetsten Krankheiten ist die Diagnose.

Karl Kraus

 

Vermeide die letzte Mode,

sonst bist du in einem halben Jahr hoffnungslos unmodern

Oscar Wilde

 

Wenn’s danach ginge, was die Leute reden,

könnte man auch Hühner melken.

Mykolas Sluckis

cf

* – „Der Dichter“ in dieser Rubrik ist durchaus wörtlich, doch zugleich nicht minder als Metapher zu verstehen, denn es können auch Maler, Komponisten und andere originell formulierende Künstler zu Wort kommen …

 

Zinnober

Wo findet man Orte des Gedenkens und der Trauer um Verstorbene – auf Friedhöfen. Mancher sucht dort auch Trost. Und genau hierbei bietet das Erzbistum Berlin eine innovative Lösung. Auf dem katholischen Friedhof in Berlin-Hohenschönhausen steht ein Prototyp in der Startphase. Vorerst ist es ein Experiment, aber mit finanziellem Potential.

Zwei Mitarbeiter des Erzbistums entwickelten einen „Kiosk der Kostbarkeiten“. Der Automat enthält fünf verschiedene Schatzkästchen. Die hören auf so schöne Namen wie Bauchgefühle-Box, Sternstunden-Box, Lichtblick-Box, Weggefährten-Box und Trostgold-Box. Bei der Entwicklung und Befüllung arbeiteten die Entwickler nach eigenen Angaben mit Trauerbegleitern zusammen.

Die Trostboxen gibt es nicht unentgeltlich. Für zwei Euro – bar oder mit Karte – enthält der Bedürftige seine Wunschbox. Die eingenommenen Gelder sollen als Spende an einen Hospizverein gehen.

Das ist einerseits ein Fortschritt für die katholische Kirche, denkt man einige Jahrhunderte zurück: Martin Luthers fundamentale Infragestellung des Ablasses war einst der Anlass für die Verfassung der 95 Thesen und gilt als ein Auslöser der Reformation. Denn der Ablasshändler Johann Tetzel predigte damals: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“

Ob andererseits mit Hilfe eines Automaten die seelsorgerische und tröstende Arbeit ohne persönliche Begegnung geleistet werden kann, bleibt allerdings fraglich. Einige Friedhofsbesucher sind irritiert, andere vermuten gar Blasphemie.

Bei 32000 Friedhöfen allein in Deutschland, darunter sind 3600, die von der katholischen Kirche geführt werden, öffnet sich ein weites Betätigungs- und Einnahmefeld. An andere Orte für Kioske der Kostbarkeiten wird auch schon gedacht.

Wie zu vernehmen ist, enthalten die Boxen keine Schokolade, wiewohl diese auch tröstlich sein kann, aber andere nützliche kleine Dinge wie Streichhölzer, Chips für Einkaufswagen oder tröstende Worte. Wer will, gehe auf Entdeckungstour.

Klein Zaches

Kassandra

Friedrich Schiller

Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel,
Jubelhymnen hört man schallen
In der Saiten goldnes Spiel.
Alle Hände ruhen müde
Von dem tränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.

 

Und geschmückt mit Lorbeerreisern,
Festlich wallet Schar auf Schar
Nach der Götter heilgen Häusern
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpferbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchantsche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur eine traurge Brust.

 

Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:

 

„Alles ist der Freude offen
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt.
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh ich das Verderben nahn.

 

Eine Fackel seh ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand,
Nach den Wolken seh ichs ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.

 

Und sie schelten meine Klagen,
Und sie höhnen meinen Schmerz,
Einsam in die Wüste tragen
Muß ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden,
Pythischer, du arger Gott!

 

Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden
Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht wenden kann?
Das Verhängte muß geschehen,
Das Gefürchtete muß nahn.

 

Frommts, den Schleier aufzuheben,
Wo das nahe Schrecknis droht?
Nur der Irrtum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traurge Klarheit,
Mir vom Aug den blutgen Schein,
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.

 

Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunkeln Sinn,
Nimmer sang ich freudge Lieder,
Seit ich deine Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben,
Nimm dein falsch Geschenk zurück!

 

Nimmer mit dem Schmuck der Bräute
Kränzt ich mir das duftge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Not der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.

 

Fröhlich seh ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt,
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!

 

Selig preis ich Polyxenen
In des Herzens trunkenem Wahn,
Denn den besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne faßt sie kaum,
Nicht euch Himmlische dort oben
Neidet sie in ihrem Traum.

 

Und auch ich hab ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt,
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Glut beseelt.
Gerne möcht ich mit dem Gatten
In die heimsche Wohnung ziehn,
Doch es tritt ein stygscher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.

 

Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina,
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle,
Nimmer kann ich fröhlich sein.

 

Und den Mordstahl seh ich blinken
Und das Mörderauge glühn,
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schrecknis fliehn,
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden,
Fallend in dem fremden Land.“ –

 

Und noch hallen ihre Worte,
Horch! da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Tot lag Thetis‘ großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.

 

Aus anderen Quellen

Die Redaktion erreichte folgende Mail von Johannes Varwick: „Kriegstüchtig? Der Spiegel titelt […] mit der Frage, ob wir bereit sind, unsere Kinder in den Krieg zu schicken. Kollegen wie Sören Neitzel sehen den letzten Sommer im Frieden und die üblichen Verdächtigen wie Carlo Masala trommeln seit Monaten für Aufrüstung und nennen bereits Termine, zu denen Russland angreifen werde. Kurzum: über Sicherheitspolitik wird derzeit so intensiv diskutiert, wie seit Jahrzehnten nicht. Das ist einerseits notwendig und entspricht einer grundlegenden veränderten und gefährlichen sicherheitspolitischen Lage. Andererseits läuft meines Erachtens dabei einiges in eine falsche und sogar gefährliche Richtung, nicht zuletzt auch in der öffentlichen Debatte. Ich habe daher mit einigen gleichgesinnten Kollegen – allesamt Experten mit jahrzehntelanger Erfahrung in diesem Politikfeld – die Stellungnahme ‚Rationale Sicherheitspolitik statt Alarmismus‘ verfasst. Bitte verstehen Sie dies als Beitrag zu einer lebendigen sicherheitspolitischen Diskussionskultur.“

Johannes Varwick et al.: Rationale Sicherheitspolitik statt Alarmismus, johannes-varwick.de, 30.03.2025. Zum Volltext der Stellungnahme hier klicken.

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Erich Vad, früherer militärpolitischer Berater der deutschen Regierungschefin im Kanzleramt, gibt mit Blick auf den Ukraine-Krieg zu bedenken: „Das jetzt politisch und medial bemühte Narrativ ist […], dass die Russen, die gerade Mühe haben, den Donbass zu besetzen und nur sehr langsam vorrücken, auf dem besten Weg seien, die gesamte Ukraine zu besetzen, um dann die NATO und Europa anzugreifen. Das sind ‚Dominotheorien‘, die gefährlich sind, die zu einer ‚self-fulfilling prophecy‘ und damit zu fatalen Fehlentwicklungen führen können. Der zehn Jahre dauernde Vietnamkrieg der USA beispielsweise, der zur weitgehenden Zerstörung des Landes und zu rund drei Millionen Toten führte, ist auf eine solche Dominotheorie zurückzuführen.“

Marcus Klöckner: Erich Vad – „Teile einer politischen, intellektuellen und medialen Klasse scheinen zum Krieg bereit“, nachdenkseiten.de, 17.03.2025. Zum Volltext hier klicken.

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In seinem bereits 2022 publizierten Buch „How The West Brought War to Ukraine“, das jetzt auf der Homepage des American Committee for US-Russia Accord zum freien Downloaden zur Verfügung steht (zur deutschen Fassung hier klicken) war der Verfasser Benjamin Abelow zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es „beim Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht um die ungezügelte Erweiterungspolitik eines in böser Absicht handelnden russischen Anführers [geht], sondern um eine gewaltsame und zerstörerische Reaktion auf die fehlgeleitete Politik des Westens: ein Versuch, rund um die Westgrenze Russlands herum wieder eine Zone herzustellen, die keiner offensiven Bedrohungen durch die Vereinigten Staaten und deren Verbündeten ausgesetzt ist“.

Klaus-Dieter Kolenda: Ukraine-Krieg – Wer ist für diese Katastrophe verantwortlich?, nachdenkseiten.de, 22.03.2025. Zum Volltext hier klicken.

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„In Krisenzeiten ist offenbar Dezisionismus* gefragt“, so Stephan Hensell und Klaus Schlichte: „Doch weder ein Angriff Russlands auf die NATO noch eine dauerhafte Abkehr der USA von Europa sind ausgemacht oder auch nur absehbar. Eine fundierte wissenschaftliche und politische Analyse zu beiden Szenarien fehlt bisher ebenso wie eine offene Debatte darüber, worauf genau und mit welchen Mitteln überhaupt zu reagieren wäre. Stattdessen dominiert das Denken in Worst-Case-Szenarien, das Frontstellungen verstärkt und offenbar keinen anderen Gedanken zulässt als den der massiven Aufrüstung. Die daraus resultierende Hysterie lässt sich mit drei ineinandergreifenden Logiken erklären.“
Stephan Hensell / Klaus Schlichte: In der Hysterie-Falle, ipg-journal.de, 25.03.2025. Zum Volltext hier klicken.

* – „Dezisionismus ist eine politische und juristische Theorie, die die Entscheidung und den Entscheider in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Sie hält weniger den Inhalt und die Begründung einer Entscheidung für wichtig als die Entscheidung an sich.“ (Wikipedia)

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Wie frei ist die Presse? Wer und was lenkt den Journalismus? Zu diesen Fragen fand am 21.03.2025 im thüringischen Zella-Mehlis eine von der Berliner Zeitung veranstaltete Podiumsdiskussion statt. Es debattierten Albrecht Müller, Autor und Mitherausgeber der Nachdenkseiten, Jochen Fasco, Direktor der Landesmedienanstalt Thüringen, Holger Friedrich, Verleger der Berliner Zeitung, Markus Ermert, Journalist und Redaktionsleiter von Freies Wort, Meininger Tageblatt und Südthüringer Zeitung, sowie Alexander Teske, ehemaliger Mitarbeiter des ARD-Tagesschau-Teams und Autor des Bestsellers „Inside Tagesschau“. Friedrich, medialer Seiteneinsteiger und durch sehr erfolgreiche Unternehmertätigkeit im IT-Bereich finanziell in der Lage, die Berliner Zeitung nicht nur käuflich zu erwerben, sondern zu einem der am differenziertesten informierenden Blätter des Landes zu machen, berichtete: In 35 Arbeitsjahren in der Industrie, in der Arbeitskultur habe er noch nie erlebt, wie selbstnormierend und ängstlich gegenüber dem Werturteil anderer Kollegen Journalisten agierten: „Selbstregulierungskräfte scheinen nicht existent.“

„Presse. Freiheit. Verantwortung.“ – Podiumsdiskussion in Zella-Mehlis, 21.03.2025. Zum Video hier klicken.

 

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.

Letzte Meldung

Einem Bericht der Zeit (online, 27.03.2025) unter Bezug auf die Denkfabrik Ember zufolge habe die EU – ungeachtet des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – im vergangenen Jahr mehr Gas aus Russland importiert. Das Plus läge im Vergleich zu 2023 bei 18 Prozent. Die Berechnung bezöge sowohl durch Pipelines transportiertes als auch Flüssiggas (LNG) mit ein.

Besonders Italien, Tschechien und Frankreich hätten vermehrt Gas aus Russland bezogen. Auch 2025 nähmen die Importe weiter zu – obwohl die Nachfrage nicht steige und die Gaspreise 2024 um mehr als die Hälfte gestiegen seien. Demnach wäre allerdings die Versorgung nicht sichergestellt, wenn die EU kein russisches Gas mehr einführen würde.

EU-Energiekommissar Dan Jørgensen habe im Handelsblatt das Verhalten der Mitgliedsstaaten kritisiert: „Seit Kriegsbeginn haben wir so viel Geld für fossile Brennstoffe aus Russland ausgegeben, wie 2.400 F-35-Kampfjets kosten würden.“

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