27. Jahrgang | Nummer 3 | 29. Januar 2024

Bemerkungen

Borchert: Sätze zum Krieg

Alle Leute haben eine Nähmaschine, ein Radio, einen Eisschrank und ein Telefon.
Was machen wir nun? fragte der Fabrikbesitzer.
Bomben, sagte der Erfinder.
Krieg, sagte der General.
Wenn es denn gar nicht anders geht, sagte der Fabrikbesitzer.

Wolfgang Borchert in „Lesebuchgeschichten“

*

Du. Mann an der Maschine und Mann in der
Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe
mehr machen – sondern Stahlhelme und
Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!

Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen
befehlen, du sollst statt Puder und Kakao
Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!

Wolfgang Borchert in „Dann gibt es nur eins“

 

„Die Dummheit der Demokratie“

Die Geschichte, die in diesem Buch erzählt wird, beginnt nicht im Frühsommer 1944, auch nicht 1933, sondern Jahre davor: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945“, schrieb Erich Kästner, „hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät … Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten.“ Zwei Jahre, nachdem sich die Weimarer Republik ihren Feinden ergeben und ihnen die Zukunft Deutschlands und Europas überlassen hatte, bedankte sich Goebbels auf seine Weise. 1935 erschien im Franz-Eher-Verlag, dem Zentralverlag der NSDAP, eine Auswahl seiner Hetzartikel aus der „Kampfzeit“. Unter der Überschrift „Die Dummheit der Demokratie“ wird kurz und höhnisch erklärt, wie es gelingen konnte, das demokratische System und „die alten Esel“ (Goebbels) – gemeint sind die Parlamentarier – in nur wenigen Jahren auszuschalten. Die Leser dieses Buchs waren nicht die verachteten Demokraten: die Liberalen, die Konservativen, die Sozialdemokraten. Sie waren seit 1933 zu Tausenden in Gefängnisse oder Konzentrationslager geworfen worden, kaltgestellt und mundtot gemacht, sofern sie nicht ermordet worden waren. Mitglieder und Anhänger der NSDAP aber durften sich an der hämischen Rückschau erfreuen: „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, daß sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde. Die verfolgten Führer der NSDAP traten als Abgeordnete in den Genuß der Immunität, der Diäten und der Freifahrtkarte. Dadurch waren sie vor dem polizeilichen Zugriff gesichert, durften sich mehr zu sagen erlauben als gewöhnliche Staatsbürger und ließen sich außerdem die Kosten ihrer Tätigkeit vom Feinde bezahlen. Aus der demokratischen Dummheit ließ sich vortrefflich Kapital schlagen.“

Die „demokratische Dummheit“, politische Gegner nicht als Feinde zu betrachten, gehört zum Wesen der Demokratie. Aber der Selbstmord gehört nicht dazu. Wer nicht gezwungen sein will, irgendwann den Todeswalzer zu tanzen, kann nicht aufmerksam genug sein. Wir sind gewarnt.

Christian Bommarius

Nachbemerkung aus Christian Bommarius: Todeswalzer. Der Sommer 1944 (© Bommarius, „Todeswalzer“. 2024 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG) München 2024, 320 Seiten, 26,00 Euro.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.

 

Nationale Sicherheitsstrategie

Am 14. Juni 2023 war der deutschen und internationalen Öffentlichkeit die erste Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) in der Geschichte der Bundesrepublik präsentiert worden; Das Blättchen berichtete (siehe Ausgabe 14/2023). In der aktuellen Nummer der Zeitschrift WeltTrends kommt der frühere langjährige Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung und heutige sicherheitspolitische Publizist Wulf Lapins in einem Essay, den er „Keine Trittsicherheit im außenpolitischen Strategiegebirge“ betitelt hat, zu folgendem NSS-Befund: „Zu nahezu jedem Buchstaben im Alphabet wird ein sicherheitsrele­vanter Politikbereich aufgeführt. Es kommen damit insgesamt 129 Akti­onsfelder zusammen […]: Armut, Biodiversität, Cyber/China, Desinformationskampagnen, Dürren, Extremismus, Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen, fragile Staa­ten, Gewalt gegen Frauen, illegale Finanzflüsse, Hunger, Klimakrise, Kriege-Krisen-Konflikte in Europas Nachbarschaft, kritische Infrastruk­tur/Krankheiten, Lieferketten, Mikrochiplieferungen, Naturkatastro­phen, Organisierte Kriminalität, Ökosystemkrise, Rohstoffversorgung/Russland, systemische Rivalität, Terrorismus, Ukraine/Unterernährung, Versorgung mit Energieträgern und Rohstoffen, Zerstörung natürlicher Lebensräume. Wenn alles zur Gefährdung erklärt wird, resultiert daraus verwirrende Ratlosigkeit. […] Eine Strategie, die ihren Namen verdient, legt angesichts limitierter Res­sourcen vor allem Rangordnung wie auch Präferenzen fest, gefolgt von Umsetzungsdispositiven. Das wird nicht geleistet. So wundern nicht die unverbindlichen Hauptschlüsselwörter der versprechenden Bedrohungs- und Sicherheitsbearbeitungen wie: ‚stärken, streben, prüfen, fördern, ein­treten, weiterentwickeln, intensivieren‘. Zu Recht kritisierte deshalb Die Zeit: ‚Alles und jedes für machbar und erreichbar zu erklären und dann das Label Strategie draufzukleben, ist ein Widerspruch in sich. Halten wir fest: Dies ist kein Strategiedokument, sondern eine Bekräftigung, dass wir die Guten sind, uns für lauter gute Dinge einsetzen und entsprechend allen Menschen alles Gute wünschen.‘“

Ws

 

10 Jahre Klaviermusik vom Allerfeinsten

Erfreuliches gibt es aus der Gemeinde Wandlitz zu berichten, die nördlich der Hauptstadt und inmitten des Naturparks Barnim gelegen ist. Wandlitz? War da nicht mal was? Lebte da nicht „Der Alte, der immer so schallte“? So beschrieb es jedenfalls seinerzeit der Leipziger Dichter Andreas Reimann in seinem Gedicht „Die Greise“. Wie lange ist das her? Hundert Jahre?

Erfreulich ist, dass Wandlitz sich langsam zu einem kulturellen Kleinod wandelt, dessen Angebot mittlerweile dem der Kreisstädte Bernau und Oranienburg den Rang abläuft. Denn Wandlitz hat ein Kulturamt, kulturinteressierte Einwohner und tatkräftige Menschen, die etwas auf die Beine stellen. Und diesen günstigen Bedingungen ist es zu verdanken, dass seit Februar 2014 im „Goldenen Löwen“ Wandlitz hochkarätige Klassik- und Jazzkonzerte mit in- und ausländischen Solisten und klug ausgewählten Programmen zu hören sind. Trafen sich zu Anfang ein paar Dutzend Liebhaber klassischer Klaviermusik, wird der Saal nun bei jedem Konzert voller und wohl bald zu klein werden. Das ist eine Entwicklung, die inmitten der vielen schlechten Nachrichten, gerade auch aus dem Kulturbereich, nicht unbedingt zu erwarten war. Den Machern vor und hinter den Kulissen, allen voran Birgit Ribbe als Veranstalterin, sei großer Respekt für ihren Wagemut und ihr Durchhaltevermögen gezollt.

Der Pianist und künstlerische Leiter der Konzertreihe Ulugbek Palvanov wurde 1974 in Urganch (Urgentsch) in Usbekistan geboren. Er erhielt mit fünf Jahren ersten Klavierunterricht, studierte am Konservatorium in Taschkent und am Tschaikowski-Konservatorium in Moskau. Ab 1997 folgten Studien in Berlin bei Klaus Bäßler an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ und anschließend bei Klaus Hellwig an der Universität der Künste Berlin. Palvanovs internationale Kontakte sind maßgeblich für Solisten und Ensembles der Konzertreihe, die allesamt Preisträger bei internationalen Musikwettbewerben sind und durch ihr virtuoses Können das Publikum in ihren Bann ziehen.

Der Berliner Komponist Werner Langrock schrieb nach dem ersten Konzert am 16. Februar 2014 an die Interpreten und die Veranstalter: „Im Saal des Goldenen Löwen in Wandlitz ist […] eine neue Konzertreihe eröffnet worden, die sich zwar nicht ausschließlich, aber doch besonders der klassisch-romantischen Klaviermusik widmen will. Den Veranstaltern – Pianowerke – ist nach dem großartigen ersten Konzert auch für die Zukunft Anerkennung und eine strahlende künstlerische Zukunft zu wünschen.“ Ulugbek Palvanov habe den Saal in den „intimen Musiksalon einer vergessen geglaubten Zeit verwandelt“.

Die Konzertreihe ist mittlerweile aufgrund der Qualität der Programme und der Interpreten ein leuchtender Stern am Konzerthimmel Brandenburgs geworden. Das Angebot kann sich mit dem der großen Konzertveranstalter Berlins durchaus messen, die Tickets sind bezahlbar und der Weg ist nicht so weit.

Am 16. Februar 2024 feiern die Pianowerke ihr zehnjähriges Jubiläum. Das Duo „Azart“, bestehend aus Ulugbek Palvanov am Klavier und Andrej Lakisov am Saxophon, wird dem Publikum unter dem Motto: „Zwei Instrumente, zwei Meister, zwei Freunde“ einen Musik-Mix präsentieren, der von der Klassik bis zum Tango Nuevo reicht. Wer die beiden Ausnahmetalente schon einmal gehört hat, weiß, dass sie stilistisch vielfältig, ungezähmt und risikofreudig aufspielen werden. Und danach wird es heißen: „Auf die nächsten 10 Jahre, Prost, Pianowerke!“

Walter Thomas Heyn

 

Kant und sein Diener

Vierzig Jahre lang war Martin Lampe dienstbarer Geist im Hause des Philosophen Immanuel Kant, dessen 300. Geburtstag 2024 begangen wird. Zwei Jahre vor seinem Tod jedoch entließ Kant den Diener, weil der – so heißt es – der Trunksucht verfallen war. In seinem Roman „Der Diener des Philosophen“ entwirft Felix Heidenreich ein tiefgründiges und zugleich spannendes Verwirrspiel um Leben und Denken Kants. Die Beziehung zwischen Herr und Diener nimmt darin einen paradoxen Verlauf.

Zu Beginn scheinen die Rollen besetzt und die Handlung gesellschaftlich vorgegeben. Diener Lampe, frei von akademischer Vorbildung, hat die Aufgabe, als unauffälliger Akteur hinter seinem Herrn die praktischen Dinge des Alltags für Kant zu regeln. Kant hingegen, der berühmte Denker und Philosoph, umgeben von einem engen Kreis von Freunden, die ihn zutiefst zu bewundern scheinen, brilliert bei Tischgesellschaften und versteht auch die Damenwelt zu beeindrucken. Dem Selbstverständlichen wird indes nach und nach der Boden entzogen: Der Diener folgt intuitiv dem Programm der Aufklärung, arbeitet sich aus seiner Unwissenheit empor, will sich intellektuell mit Kant messen und kann dem Aufklärer nach und nach die Stirn bieten.

Lampes direkter Gegenpol ist Ehregott Andreas Wasianski, der engste Freund des Philosophen. Der verfolgt das eigennützige Ziel, Kant subtil in seinen philosophischen Studien zu beeinflussen. Kant soll Wasianskis Ideen popularisieren, im Glauben, es seien seine eigenen.

Der Hausherr selbst ist seinem Freund gegenüber arglos, sieht sich aber von seinem Diener Lampe zunehmend herausgefordert. Sein Unbehagen wächst, zumal ihn auch die empirische Theorie Humes unter Druck setzt. In Heidenreichs Roman sucht der Philosoph bis zu seinem Tode (1804) verzweifelt nach überzeugenden Argumenten gegen Humes empiristische Weltauffassung. Die Vergeblichkeit seiner Bemühungen macht ihn umso verletzbarer gegenüber den Argumenten seines Dieners, die in dieselbe Richtung zielen. Und je mehr sich Kant von Lampe bedroht fühlt, desto herabwürdigender verhält er sich ihm gegenüber.

Der Handlungsbogen des Romans ist spannend angelegt und stilistisch treffsicher ausgeführt. Der Autor versteht es, Kants Ideen gegen den Strich zu bürsten und Denkfiguren anderer Philosophen anklingen zu lassen. Unschwer ist in der Darstellung des Verhältnisses zwischen Kant und Lampe ein Verweis auf Hegels Dialektik von Herr und Knecht zu erkennen. Heidenreich löst das spannungsreiche Verhältnis aber keineswegs im Hegelschen Sinne auf. Es endet im Roman abgründiger.

En passant spielt der Autor mit zentralen Elementen der Kant’schen Philosophie. Mit leichter Hand streut er beispielsweise Zweifel an der synthetischen Erkenntnis a priori ein, ohne sie ermüdend zu vertiefen. Den Widerspruch zwischen Kants vorkritischer Anthropologie und seiner späteren Begründung universeller Menschenrechte stellt er kurz und unterhaltsam vor. Leser ohne philosophische Vorkenntnisse seien allerdings gewarnt, denn Heidenreich führt sie aufs Glatteis: Am Ende des Romans erscheint Kants Bild wie in einem Zerrspiegel. So wie die eindrücklich dargestellten Nebelschwaden das Denken des vergreisenden Kant durchziehen, so dürfte auch das Bild des Lesers von der historischen Person am Ende ein vernebeltes sein. In der Darstellung Heidenreichs zertrümmert Hume jegliche Selbstgewissheit in Kants Denken. Für den historischen Kant jedoch war Humes empirische Theorie der Anstoß, aus seinem „dogmatischen Schlummer“ aufzuwachen. Dank intensiver Auseinandersetzung mit Hume formulierte Kant eine Theorie des Erkennens, die empirische Daten und abstrakte Vernunft aufeinander verwiesen: „Begriffe ohne Anschauung sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“
Bleibt zu hoffen, dass der Leser des Romans, neugierig geworden, sich auch für Kants Philosophie interessiert. Sie hätte es verdient.

Burkhard Kühnemund

Felix Heidenreich: Der Diener des Philosophen. Wallstein, Göttingen 2023, 149 Seiten, 22 Euro.

 

Das schmalere Ich

Nach acht Jahren hatte es das Prime Time Theater mit seiner Bühnen-Sitcom „Gutes Wedding – schlechtes Wedding“ im Jahre 2012 geschafft: Es wurde sogar vom Blättchen wahrgenommen! Sporadisch sind wir immer wieder in das Haus an der Berliner Müllerstraße zurückgekommen, und inzwischen kann das 20. Jubiläum gefeiert werden. Das ist nicht selbstverständlich, denn es gab ein Auf und Ab, etwa, als nach mehr als 100 Folgen Autorin und Mitbegründerin Constanze Behrends ausstieg und einige der von ihr kreierten Figuren mitnahm. Es kam zu einer glücklicherweise gemeisterten Insolvenz und die Pandemie war auch nicht gerade dazu angetan, regelmäßig das Pop- oder auch Volkstheater zu besuchen. Glücklicherweise blieb der bühnenfüllende Hausherr Oliver Tautorat von Beginn an eine Konstante, die das Publikum liebt.

Mit den verbliebenen und hinzugekommenen Figuren spielen verschiedene Autoren. In der Jubiläumsproduktion ist es Philipp Hardy Lau, der nun schon seit mehr als zehn Jahren als Autor und Regisseur immer wieder dabei ist. Seine besondere Spezialität ist das Spiel mit den optischen Einspielungen, die nicht nur das Bühnenbild ergänzen, sondern auch die Handlung vorantreiben. In der neuen Folge geht der Postbote Kalle (Oliver Tautorat), der unvermittelt seinem jüngeren Ich begegnet (Ryan Wichert ist ähnlich schmal, wie es Tautorat in alten Originalaufnahmen war), auf Exkursion in seine Vergangenheit. Da Ausschnitte aus alten Dokumenten der Soap von neuen Aufnahmen mit früheren Prime-Time-Lieblingen wie Cynthia Buchheim, Julia Franzke und Daniel Zimmermann kontrastiert werden und auch Tautorat in einigen seiner alten Rollen (etwa als der verheiratete katholische Pfarrer Horwarth aus der Uckermark oder als pop-versessene Tina Tonne) auftritt, wird aus der Inszenierung eher eine Revue mit etwas rotem Faden, als ein Stück. Nichtsdestotrotz macht diese freche Parodie auf bornierte Kleinbürger und liebenswürdige Frotzelei auf Bewohner vom Wedding und dem „Prenzlauer Württemberg“ wieder viel Spaß. Alt-Zuschauer der letzten zwei Jahrzehnte kommen ebenso auf ihre nostalgischen Kosten wie Neu-Besucher, die anhand der Figurenfülle auf Fortsetzungen gespannt sein können. Das ist im April so weit, wenn der zweite Teil des Jubiläumsprogramms Premiere haben und bisherige Geheimnisse um Kalles Geschichte aufdecken wird.

Frank Burkhard

In einem Wedding vor unserer Zeit, Teil 1. Prime Time Theater, Müllerstraße 163, bis 19. März in der Regel mittwochs bis sonnabends 20.15 Uhr.

 

Ein Lapsus kommt selten allein

Als „Lapsus“ bezeichnet der Duden einen „(geringfügigen) Fehler, Versehen“. Marco Tschirpke hat mit seinen „Lapsusliedern“ eine kabarettistische Kunstform entwickelt und zur Perfektion gebracht. Es handelt sich um Kurz- und Kürzeststücke, bei denen der skurrile (Wort-)Witz im Vordergrund steht.

1975 in Rathenow geboren, studierte Tschirpke Klavier und Komposition an der Folkwang-Hochschule in Essen. Dass er nicht einfach seinem klavierspielenden Vater folgen wollte, zeigte er bereits in einem seiner ersten Lapsuslieder, betitelt „An meinen Vater“, das noch nicht mal eine Minute lang ist:

„Ob Du Klavier spielst oder Holz hackst,
der Unterschied ist klein,
Und es immer eine Freude,
nicht dabei zu sein.“

Tschirpke konnte der väterlichen Leidenschaft für Beethoven nichts abgewinnen. Stattdessen verband er in seinen Miniaturliedern Klangkunst und Klamauk, mal tief-, mal hinter- und mal eher unsinnig:

„Mutti, warum hast du dich liften lassen?

Papa sucht schon nach dir.“

Auf seiner neuesten CD (er nummeriert schlicht seine CD-Veröffentlichungen) finden sich 42 Lieder mit einer Gesamtlänge von 55 Minuten. Das abrupte, unvorhergesehene Ende ist sozusagen ein Markenelement des künstlerischen Schaffens von Tschirpke. Zwei Auszüge von seinem neuen Album seien als Kostproben zitiert. Das Stück „Nächtliche Statistik“ besteht nur aus dem Vierzeiler:

„Zu Weilen zähl ich Schafe
Und bin ein guter Schläfer
Wenn ich mal wenig Zeit hab

Dann zähl ich nur den Schäfer.“

Ein schwarzhumoriges Ende findet dagegen „Der Held meiner Kindheit“:

„Der Held meiner Kindheit war stämmig und stark.

Heut schiebt ihn ein Pfleger im Stuhl durch den Park.“

Ein besonderes Erlebnis ist es, den Künstler live auf der Bühne zu verfolgen.

Mit seinem Programm „Empirisch belegte Brötchen“ ist er unter anderem am 24. Februar in Bremerhaven und am 9. März in Köln zu erleben; mit dem poetischen Programm „Dichten, bis ich Dresche kriege“ gastiert er am 16./17. Februar auch in Berlin.

Thomas Rüger

Marco Tschirpke: Lapsuslieder 5. CD, Label Reptiphon/Broken Silence, etwa 16 Euro.                                             

Aus anderen Quellen

„Die Bundesrepublik dürfte nach der Ukraine der größte Verlierer dieses Krieges sein – schon jetzt“, konstatiert Gabor Steingart und fährt fort: „Unser Land verliert im Zuge dieses militärischen Schlagabtausches an Sicherheit, an Wohlstand und an Reputation in der Welt.
– Deutschland hat mit Russland seinen preisgünstigen und über Jahrzehnte zuverlässigen Gaslieferanten verloren. 2020 und 2021 kamen 65 Prozent des importierten deutschen Gases aus Russland.
– Deutschland hat sein osteuropäisches Hinterland verloren. Das Handelsvolumen lag in der Hochphase der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen bei mehr als 80 Milliarden Euro oder vier Prozent unseres Außenhandels.
– Die gefestigte Allianz zwischen Russland und China bedeutet für die deutsche Exportindustrie nichts Gutes. Amerika drängt weiter auf Entkopplung – durchaus auch im Interesse der eigenen Industrie.“

Gabor Steingart: Nach der Ukraine ist Deutschland der größte Verlierer des Krieges, focus.de, 09.01.2024. Zum Volltext hier klicken.

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Rainer Rupp berichtet über eine Studie der RAND-Corporation (Titel: Joining NATO Is Not Enough to Defend Ukraine: Allies Must Step Up – Ein NATO-Beitritt reicht nicht aus, um die Ukraine zu verteidigen: Verbündete müssen sich engagieren): „Der Aufsatz der vier hochkarätigen RAND-Mitarbeiter […] geht davon aus, dass nach einem Waffenstillstand die Ukraine Mitglied der NATO wird. Als Sicherheitsgarantie zur Untermauerung des Beistandsartikels 5 der NATO-Charta müssten dann auch NATO-Truppen in der Ukraine stationiert werden, wie es derzeit bereits in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten der Fall ist. Aber auch schon vor der NATO-Mitgliedschaft sollte man überlegen, bereits NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken.“

Rainer Rupp: Auch 2024 keine Aussichten auf Waffenstillstand in der Ukraine, RT DE, 04.01.2024. Zum Volltext hier klicken.

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„Dass die USA einen Wirtschaftskrieg gegen Europa führen, sollten auch die treuesten Gefolgsleute 2022 bemerkt haben, als die Vereinigten Staaten den ‚Inflation Reduction Act‘ im Umfang von rund 400 Milliarden Dollar verabschiedeten“, macht Oskar Lafontaine zum Ausgangspunkt einer Betrachtung. „Der Wettbewerb wurde verzerrt, amerikanische Firmen wurden stark subventioniert und europäische Unternehmen in die Vereinigten Staaten gelockt oder dazu veranlasst, ihre Produktion nicht in Europa, sondern in den USA auszuweiten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete dieses Wirtschaftsprogramm als superaggressiv und sagte, diese Politik werde den Westen spalten.“
Oskar Lafontaine: Krieg der USA gegen Europa, nachdenkseiten.de, 22.01.2024. Zum Volltext hier klicken.

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„Voriges Jahr haben die deutschen Rüstungsexporte ein Allzeithoch erreicht“, vermerkt Jürgen Wagner, doch damit nicht genug: „Gleichzeitig startet die Bundesregierung mit einem exportpolitischen Paukenschlag ins neue Jahr: Die bisherige Blockade des Exports britischer Eurofighter soll beendet werden […]. Interessierte Kreise nutzen diese Ankündigung nun auch gleich noch als Steilvorlage, um auch die Waffenlieferungen an die Ukraine noch weiter zu eskalieren.“

Jürgen Wagner: Waffen ohne Wenn und Aber. Rüstungsexportrekorde und Eurofighter-Ausfuhren, imi-online.de, 08.01.2024. Zum Volltext hier klicken.

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Keine einzige Oscar-Nominierung für „Barbie“ in den wichtigsten Kategorien, weder als Bester Film noch für die Beste Hauptdarstellerin (Margot Robbie), noch für die Beste Regie (Greta Gerwig), wohl aber für „Oppenheimer“, einen Film über einen weißen Mann und seine toxische Atombombe, in allen diesen und zehn weiteren Kategorien nominiert. Ist das die Rache des Patriarchats für die cineastische Zerschlagung desselben, für die „Barbie“ von Enthusiasten gefeiert wurde? Fans äußern in den sozialen Medien wahlweise Enttäuschung oder Wut oder beides Selbst Hillary Clinton musste der Welt mitteilen: „Greta und Margot, you’re both so much more than Kenough“. („Greta und Margot, ihr seid beide so viel mehr als Kenough“; letzterer ist die männliche Figur an „Barbies“ Seite; Darsteller Ryan Gosling immerhin als Bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert.)

Also – Kritik von allen Seiten? Nicht nur. Franziska Zimmerer etwa meint: „Kritik wie diese sagt wie immer viel über die Absender aus. Sie offenbart ein ungewöhnliches Verständnis von Feminismus, den anderen fünf nominierten Darstellerinnen, unter anderem der Deutschen Sandra Hüller für ‚Anatomie eines Falles‘, ihren Platz streitig machen zu wollen, weil sie sich auf das Handwerk der Schauspielerei konzentriert und nicht mit dem pinken Vorschlaghammer Feminismus kommerzialisiert haben.“

Franziska Zimmerer: Das unbequeme Problem des pinken Vorschlaghammer-Feminismus? Die Realität, welt.de, 25.01.2024. Zum Volltext hier klicken.

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.

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Seit dem Erscheinen der Probeausgabe im Jahre 1997 ist diese Blättchen-Nummer die insgesamt 700. Ausgabe.

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