18. Jahrgang | Nummer 8 | 13. April 2015

Bemerkungen

„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“

Buchenwald, April 1945

Ein Weltenöffner

Am 31. März starb in Leipzig der Germanist und Verleger Roland Links. 1931 geboren gehörte Links eher zu den in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannten Büchermachern der DDR. Dennoch hat er die Literaturlandschaft der Republik geprägt wie nur wenige andere. Über 20 Jahre war er Lektor im Berliner Verlag Volk und Welt. Hier verantwortete er (gemeinsam mit Fritz J. Raddatz) die Kurt-Tucholsky-Werkausgabe, einschließlich einer von ihm behutsam redigierten Brief-Auswahl. Links brachte die mitnichten von der Kulturpolitik der DDR sonderlich geschätzten Werke von Alfred Döblin und Karl Kraus heraus. Roland Links ist es zu verdanken, dass fast das komplette Werk von Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch in der DDR erschien. Von 1979 bis 1990 war er Chef der Leipziger Verlagsgruppe Kiepenheuer, die den Gustav Kiepenheuer Verlag, den Leipziger Insel-Verlag, den Paul List Verlag und die Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung umfasste. Dieses schwer zu steuernde Schiff brachte er souverän durch (fast) alle Klippen von kulturpolitischen, zensurbedingten und copyright-determinierten Idiotien.
Die von Roland Links verantworteten Verlagsprogramme waren auf eine noch heute Staunen erweckende Weise welthaltig. Neben Heinrich Böll hätte er sehr gern die Grass’sche „Blechtrommel“ herausgebracht. „Aber jedesmal, wenn ich die (er meinte die ZK-Zensoren, ’seine’ Verlagsgruppe war in SED-Besitz – W.B.) so weit hatte, hat der Kerl sich doch wieder über die DDR geäußert“, erzählte er mir einmal. Das hielt ihn nicht davon ab, es wieder und wieder mit Grass zu versuchen. Dass ihm dann Fritz Marquardt das „Treffen in Telgte“ für Reclam wegschnappte, muss Links zutiefst verärgert haben.
Zu den wohl bemerkenswertesten Editionen der deutschen Verlagsgeschichte in den Jahren der Teilung zählen die von seinem Leipziger Verlagshaus gemeinsam mit C.H. Beck München realisierten 25 Bände der „Orientalischen Bibliothek“ und die über 40-bändige Ausgabe der „Bibliothek des 18. Jahrhunderts“. Letztere ist durchaus in einem kulturpolitischen Kontext zu sehen. Zusammen mit seinem Cheflektor Friedemann Berger vertrat er die Ansicht, man dürfe doch das Jubiläum der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ 1989 nicht allein dem Westen überlassen… Ergebnis war eine Kulturbundkonferenz zur europäischen Aufklärung im Winter 1985 in Wiepersdorf, die den Protagonisten einigen Ärger einbrachte. Ebenso Veranstaltungen zur lateinamerikanischen Literatur und zu den Problemen junger Künstler in der DDR, die auf die Initiative des Vorsitzenden der Zentralen Kommission Literatur des Kulturbundes, Roland Links, zurückgingen. In dieser Zeit durfte ich ihn näher kennenlernen. Roland Links half mir aus mancher Bedrängnis, er ermutigte mich zum Schreiben. Ich habe ihm persönlich viel zu verdanken – und viele Leser in der DDR das Öffnen nicht nur eines Fensters zur Welt.
Es schmerzt sehr, diesen leidenschaftlichen Menschen- und Bücherfreund nicht mehr unter uns zu wissen.

Wolfgang Brauer

Mein Dekalog. Genesis

Es geschah auf der diesjährigen lit.Cologne im März.
Das üppige internationale Literaturfest in Köln widmet sich fast ausschließlich Neuerscheinungen. Wie die beiden großen deutschen Buchmessen auch.
Andererseits habe ich im Kontakt mit jungen Menschen schon wiederholt feststellen müssen, dass denen Schriftsteller und andere Autoren sowie deren Bücher, die ich zum Teil vor Jahrzehnten kennen gelernt habe und die mich seither begleiten, überhaupt kein Begriff mehr sind.
Das Phänomen ist bekannt: Immer aufs Neue fallen die Mehrheit der Autoren einer Epoche und ihre Bücher dem Vergessen anheim – darunter auch solche, die zu ihrer Zeit zu den besonders bedeutenden, geschätzten, beliebten gezählt hatten.
Soll man dagegen etwas tun? Kann man das überhaupt? Vielleicht durch vorsätzliches (nicht nur sich, sondern vor allem auch andere) Erinnern? Wahrscheinlich wird man, wenn überhaupt, damit nicht viel bewirken. Aber wenn es ein Blättchen-Motto gäbe, wäre es dem Lutherschen vom Apfelbäumchen nicht unähnlich. Und im Übrigen: Dem vollständigen Scheitern anheim gegeben sind nur Versuche, die gar nicht erst unternommen werden.
All dies ging mir durch den Kopf, während auf der lit.Cologne der nigerianische Schriftsteller Chigozie Obioma vor ausverkauftem Saal aus seinem Erstling „Der dunkle Fluss“ las. Sich nicht darauf zu konzentrieren, war gewiss höchst unhöflich, und ich kann mich allenfalls mit meinen mangelnden Sprachkenntnissen teilexkulpieren: Obioma las in einem englischen Idiom, dessen Intonation und Rhythmus mir jegliches Verständnis verunmöglichte. Daher lauschte ich lediglich der Melodie seines Vortrages und ließ ansonsten meine Gedanken von der Leine.
Dabei flog mir, noch ehe der Vortrag geendet hatte, auch die Idee zu, Autoren und Freunde des Blättchens nach einem Dekalog jener Bücher zu befragen, die sie auswählten, müssten sie für den Rest ihres Lebens, aus welchen Gründen auch immer, mit diesen Titeln auskommen.
Die Idee an sich ist ja ein alter Hut, erschien mir aber sofort für den Zweck des vorsätzlichen Erinnerns als gut adaptierbar …

Alfons Markuske

Mein Dekalog

1. Peter Edel: Wenn es ans Leben geht
2. Ilja Ehrenburg: Menschen Jahre Leben
3. Lew Tolstoi: Tagebücher
4. Albert Sánchez Piñol: Im Rausch der Stille
5. Ambrose Bierce: Des Teufels kleines Wörterbuch
6. Juri Trifonow: Der Alte
7. Per Walhöö: Das Lastauto
8. Jack Kerouac: Unterwegs
9. Wolfgang Hildesheimer: Mozart
10. Georg Büchner: Lenz

Frank-Rainer Schurich

1. Thomas Mann: Joseph und seine Brüder
2. Leo Tolstoi: Anna Karenina
3. E. L. Doctorow: Billy Bathgate
4. Tomas Tranströmer: Sämtliche Gedichte
5. Die Bibel
6. Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands
7. Pablo Neruda: Aufenthalt auf Erden
8. John Irving: Garp und wie er die Welt sah
9. Thomas Mann: Der Zauberberg
10. Fjodor Dostojewski: Schuld und Sühne

Eckhard Mieder

Von Büchern und Lesern (II)

Mir war die konsequente Rechtschreibung immer ziemlich gleichgültig. Wie dieses oder jenes Wort geschrieben wird, darauf kommt es doch eigentlich nicht an, sondern darauf, daß die Leser verstehen, was man damit sagen wollte.
J.W. Goethe

Seine Tiefen soll man nicht an der Oberfläche tragen. Sie erscheinen dem Leser tiefer, wenn er sie erst entdecken kann.
Curt Goetz

Traurig macht mich, daß auch die besten und liebevollsten Leser eines Dichters ihn nur immer so weit verstehen, als es ihnen passt und bekömmlich erscheint.
Hermann Hesse

Wenn man alles gelesen und alles wieder vergessen hat – was dann übrigbleibt, das ist Bildung.
Carl Larsson

Was mich wirklich umhaut, ist ein Buch, wo du dir wünschst, wenn du es ausgelesen hast, daß der Autor ein toller Freund von dir wäre, und du könntest ihn einfach anrufen, wenn dir danach ist.
Jerome David „J.D.“ Salinger

Weil die Leute statt des Besten aller Zeiten immer nur das Neueste lesen, verschlammt das Zeitalter im eigenen Dreck.
Arthur Schopenhauer

Vorsicht mit der Behauptung von einem vergessenen Autor! Dichter sind nicht vergessen. Dichter praktizieren nur die Profession des Wartens, das tun sie über ihren Tod hinaus.
Hans-Dieter Schütt

Die nützlichsten Bücher sind diejenigen, welche den Leser zu ihrer Ergänzung auffordern.
Voltaire

Sammlung fbh

Sturmtief

Die Pannen bei der Bundeswehr
werden tatsächlich immer mehr.
Ein Haufen Geld wurde verbraten
für Drohnen, die nicht fliegen taten.
Soldaten fochten bei Manöverspielen
nach Pressemeldungen mit Besenstielen.
Bei manchen Helikoptern lief
vor kurzem leider etwas schief.
Und nun hört man vom Sturmgewehr,
es ballert auch nur ungefähr.

Zur Stillung von globalen Militärgelüsten
empfehlen Kenner nunmehr sachbezogen,
die Bundeswehr zweckmäßig umzurüsten
auf Wurfspieße und Pfeil und Bogen.

Günter Krone

Film ab

Regelmäßige Konsumenten der „Sendung mit der Maus“ kennen und lieben Shaun, das frech-gewitzte Knet-Schaf britischer Provenienz, und seine Familie samt ihrem insgesamt nicht ganz so hellen Farmer plus bemütztem Hütehund, dessen Loyalität nicht immer hundertprozentig nur seinem Herrchen gilt, schon seit langem. Mein Enkel Felipe gehört ebenso zu diesem erlauchten Konsumentenkreis wie sein Großvater. Als die beiden vor kurzem erfuhren, dass Shaun nun endlich seinen ersten nachmittagfüllenden Kinofilm bekommen hat, bedurfte es folglich keiner längeren Debatten: Den mussten wir sehen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Attacken aufs Zwerchfell bis zum Showdown, der (natürlich ganz unblutig) in punkto Spannung manchen Western in den Schatten stellt. Darüber hinaus haben wir gelernt, dass man, will man mal eine Auszeit vom immer gleichen Alltagstrott nehmen, Chaos droht, wenn man mit den Obertrottern (Farmern, Eltern oder ähnlichen Zeitgenossen) zwar den Hauptstörfaktor aus dem Verkehr zieht, aber an der falschen Stelle parkt. Dann wird aus dem Alltagstrott keine gemütliche Mußestunde, sondern untere Umständen eine atemlose Hetzjagd.
„Shaun das Schaf. Der Film“, Regie: Mark Burton, Richard Starzak; derzeit in den Kinos.

Clemens Fischer

Chopin in der ersten Reihe hören…

Musikalische Projekte zu Poeten wie Rilke oder Poe sind mit teilweise beträchtlichem Erfolg in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden. Etwas stutzig macht dagegen der Albumtitel „The Chopin Project“. Wie kann die Chopinsche Klaviermusik, verewigt in unzähligen Einspielungen, neu interpretiert werden, ohne sich von den klassischen Wurzeln völlig zu trennen?
Der junge isländische Komponist Ólafur Arnalds hat mit der deutsch-japanischen Pianistin Alice Sara Ott eine geeignete musikalische Partnerin gefunden, um Chopins Werke aus dem konventionellen Konzertflügel-Ambiente zu lösen.
Zu Beginn ihres Projekts machten sich Arnalds und Ott in Islands Hauptstand Reykjavik auf „Piano-Jagd“ und fanden Instrumente mit „Persönlichkeit“. Manche wurden mit Filz bearbeitet, um überweltliche Effekte zu erzielen. Mit einem Equipment aus vergangenen Zeiten nahm dann Arnalds das Pianospiel von Ott auf und erzielte damit ein sehr dichtes, intimes Setting für ihre Darbietung. Manchmal hört man ein Quietschen, Atemgeräusche, das Klirren von Saiten oder raschelndes Papier, mit anderen Worten: Geräusche des alltäglichen Lebens, die aus sonstigen Chopin-Einspielungen gnadenlos herausgefiltert würden.
Für Arnalds hat das Projekt eine sehr persönliche Dimension, Seine Großmutter machte ihn mit Chopins Melodien bekannt, als er noch ein kleiner Junge war, der Schlagzeug zu spielen und Punk oder Heavy Metal zu hören viel interessanter fand als klassische Musik. „Aber schließlich wuchs mir Chopin ans Herz. Und ich möchte diese Musik all denen nachbringen, die ihr sonst womöglich nicht begegnen würden. Ich halte es für meine Aufgabe, klassische und die nicht klassische Welt zusammenzuführen.“
Ott war von dem Projekt sogleich angetan: „Ich spiele schrecklich gern auf verstimmten Kneipenklavieren und finde, dass Chopins Musik sehr gut dazu passt.“
Auf der CD enthalten sind das magische Regentropfen-Prélude, der melancholische Walzer des Nocturne in g-Moll und der leidenschaftliche, langsame Satz der Sonate Nr. 3. Ein besonderer Ohrenschmaus ist das Nocturne in cis-Moll für Geige und Klavier, das mit der norwegischen Violinistin Mari Samuelson eingespielt worden ist.
Arnalds möchte ein Akustikerlebnis quasi aus der ersten Reihe offerieren: „Die Zuhörer sollen dem vortragenden Musiker so nahe sein, dass sie hören können, wie er atmet und die Tasten berührt.

Ólafur Arnalds & Alice Sara Ott: The Chopin Project, Deutsche Grammophon/Universal Music, 2015, circa 15,00 Euro.

Thomas Rüger 

Langfristige Investitionen? – Privatisierung!

„Langfristige Investitionen“ – das klingt vernünftig, gerade angesichts der Spekulationsexzesse der Finanzkrise. Doch was EU-Kommission und Bundesregierung – wie auch G20 und Weltbank – unter diesem Stichwort planen, ist alles andere als vernünftig: Es geht oftmals darum, öffentliche Infrastruktur in völlig neuem Ausmaß für private Investoren wie Fonds, Banken und Versicherungen zu öffnen. Diese sollen unter anderem über neuartige Investmentfonds oder Projektanleihen leichter in Autobahnen, Wassernetze oder Gefängnisse „investieren“ können – trotz vieler negativer Erfahrungen mit der Privatisierung solcher Strukturen. In Deutschland hat dazu Wirtschaftsminister Gabriel eine Kommission einberufen.
WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung) klärt gemeinsam mit Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) in einem neuen Film über diese Vorgänge auf und bittet, eine Petition zu diesem Thema zu unterstützen.

Paula Weber

Blätter aktuell

Längst findet der Dschihad nicht nur in Syrien oder Irak, sondern auch in Deutschland statt. Die Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor hat erlebt, wie einige ihrer Schüler in Dinslaken zu „Heiligen Kriegern“ wurden. Die Salafisten erkennen die Orientierungslosigkeit der Jugendlichen und bieten ihnen einen Heimatersatz. Doch statt „Dschihad-Romantik“ erwartet diese eine ideologische Rosskur: Die Welt in Gut und Böse eingeteilt – und am Ende sind die Jugendlichen zu allem bereit.
Otto von Bismarck, dessen Geburtstag sich am 1. April zum 200. Mal jährt, ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Erzkonservativ von Herkunft wurde er doch zum „Revolutionär von oben“ und zum Gründer des deutschen Nationalstaats. Der Historiker Ernst Engelberg analysiert Bismarcks Werk und Wirkung. Obschon hoch aggressiv in der Einigungspolitik, gelang es Bismarck, die widerstreitenden Interessen der europäischen Nachbarstaaten auszugleichen. Bis heute bleibt seine Bündnis- und „Entspannungspolitik“ damit hoch aktuell.
Vor 100 Jahren ereignete sich der erste Genozid des 20. Jahrhunderts: die systematische Vernichtung der Armenier durch das Osmanische Reich. Doch die türkische Regierung erkennt den Völkermord bis heute nicht an. Der Kulturhistoriker Rolf Hosfeld arbeitet die Hintergründe des Massenmords auf. Ganz gezielt wurde der Erste Weltkrieg ausgenutzt, um den vermeintlichen inneren Feind auszulöschen. Mit nachhaltigen Folgen: Mit dem Verbrechen an den Armeniern beginnt auch der Versuch, Genozide international unter Strafe zu stellen.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Versprochen, gebrochen. Die SPD und das Aufstiegsversprechen“, „Großbritannien in der Nationalismusfalle“ und „Argentinien: Das Ende des Kirchnerismus?“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, April 2015, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

„Neueste Klimastudien zeigen […]“, so Alexander Kmentt, Leiter der Abteilung für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nonproliferation im österreichischen Außenministerium, „dass die langfristigen Auswirkungen von Nuklearwaffenexplosionen über die auf die 1980er Jahre zurückgehenden Annahmen eines ‚nuklearen Winters‘ hinausgehen. Selbst ein sogenannter ‚limitierter Atomkrieg‘, wie er etwa für ein hypothetisches Szenario zwischen Indien und Pakistan berechnet wurde, ergibt die Gefahr eines dramatischen globalen Temperaturabfalls mit schwerwiegenden Einbrüchen der Nahrungsmittelproduktion. Weltweite Hungernöte, Flüchtlingsbewegungen, der Zusammenbruch der globalen Wirtschaft und der sozialen Ordnung wären die Folge.“ Daher könne die „Annahme über den Sicherheitsgewinn, den die Existenz von Atomwaffen mit sich zu bringen behauptet, […] kaum aufrecht erhalten werden“. Das widerspiegelt auch die Neupositioniuerung des Vatikans zu Kernwaffen: „Der Zeitpunkt ist gekommen, nicht nur die Unmoral der Verwendung von Nuklearwaffen zu betonen, sondern auch die Unmoral ihres Besitzes, um damit den Weg zur Abschaffung von Nuklearwaffen zu ebenen.“
Alexander Kmentt: Der pragmatische Realismus des Wahnsinns. Sicherheit durch nukleare Abschreckung war und ist eine Schimäre, IPG. Internationale Politik und Gesellschaft, 23.03.2015. Zum Volltext hier klicken.

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Dass der Trauergottesdienst am 17. April für die Opfer der Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen auch ein staatlicher Trauerakt sein soll, ist Dirk Pilz ein grundsätzliches Ärgernis. Der Staat verfalle „offenbar einer Logik, die es sonst so nur in den Medien gibt und auch hier schon verheerende Folgen hat: die allgemeine gesellschaftliche Erschütterung wird zur Beglaubigung des eigenen Tuns instrumentalisiert.“ Und weiter: „Der Staat versucht, sich als seelsorgerischer Beistand seiner Bürger zu beweisen und spekuliert auf wachsende Staatsbindung dieser Bürger. Genau hierin besteht die Übergriffigkeit, auch Schamlosigkeit: Der Bürger wird in Gefühlshaft genommen. Es kann nicht gut um einen Staat stehen, der zu solchen Mitteln greift.“ Auch der Betroffenheitstourismus maßgeblicher Politiker an den Unglücksort demonstriere „lediglich politisches Gespür für Stimmungen“. Das alles mache „umso sichtbarer […], in wie vielen anderen Fällen dieser Staat nicht in Trauer ausbricht, sei es angesichts der toten Flüchtlinge im Mittelmeer oder der Kriegstoten in Syrien“.
Dirk Pilz: Der Staat soll kein Seelsorger sein, Berliner Zeitung, 29.03.2015. Zum Volltext hier klicken.

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Die (vorgebliche) Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein gesellschaftlicher Dauerbrenner, und die Debatten darüber sitzen der Illusion auf, es sei alles nur eine Frage der Organisation, oder sie zielen – je nachdem, wer sie führt, – auch direkt darauf ab, diese Illusion zu erzeugen, respektive aufrechtzuerhalten. Marc Brost bringt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in dieser Frage auf den Begriff „Vereinbarkeitslüge“ und konstatiert: „Wir haben nie genug Zeit für unsere Kinder. Wir haben nie genug Zeit für unsere Partner. Und wir haben nie genug Zeit für unseren Job.“ Und das sei keineswegs „nur ein Problem der Karrieregeilen und Überehrgeizigen“, es treffe vielmehr „auch die Supermarktangestellten, Busfahrer oder Krankenschwestern“. Dabei sei er nicht frustriert, aber „verärgert […]über eine Politik, die hartnäckig behauptet, mit wenigen Monaten Elternzeit und ein paar Kita-Plätzen mehr lasse sich Deutschland in ein Familienparadies verwandeln.“
Marc Brost: Gehetzte Eltern leiden unter Vereinbarkeitslüge, Deutschlandradio Kultur, 27.03.2015. Zum Volltext hier klicken.