18. Jahrgang | Nummer 2 | 19. Januar 2015

Bemerkungen

Unglück nach eigener Façon

Zwei gefallene Engel, der eine hat im deutschen Gefängnis gesessen, der andere im russischen, sitzen in einem kleinen Park gegenüber der Kathedrale von Notre-Dame.
„Sie hatten die schweren Tropfen nicht beachtet, der Gußregen überraschte sie. Sie waren allein im Park, die Leute, die unter den Haustoren Schutz gefunden hatten, betrachteten belustigt und wohlwollend die beiden Männer, die sich einregnen ließen. ‚Immerhin ein Vorteil, die Freiheit hier‘, sagte Djura. ‚In einem totalitären Lande könnten wir nicht so sitzen bleiben, wir würden uns verdächtig machen. Die bürgerliche Demokratie erlaubt den Menschen, nach eigener Façon unglücklich zu sein.‘“
Ihr findet, daß das nicht sehr viel ist? Fragt doch unsere Genossen in Sibirien. Ihr findet, daß hier vielleicht der Verzicht auf unsere revolutionären Wünsche ausgesprochen ist? Da habt Ihr beinahe Menschheit.

Arthur Koestler

Aus – Arthur Koestler: Halbjungfrauen und gefallene Engel (Essay, 1949).
Koestler seinerseits zitiert aus – Manès Sperber: Der verbrannte Dornbusch (Roman, 1949).
Überschrift von der Redaktion.

Humanismus de luxe

Die Foto- und Filmaufnahme jener Spitzenpolitiker aus fast aller Welt, die – Arm in Arm – den Zug der Hunderttausende anführten, die in Paris einen Tag nach dem dortigen Attentat entschlossen Solidarität gegen den Terrorismus demonstrierten, ist, wie sich laut französischen Medien nun herausstellt, nicht an der Spitze besagter Massendemonstration sondern in einer ruhigen Nebenstraße aufgenommen. Die Aufnahmen hätten – aus Sicherheitsgründen – gegen 15:30 Uhr stattgefunden. Nach kurzer Zeit seien dann alle Spitzenpolitiker wieder in ihre Autos gestiegen und davongefahren, berichtet Le Monde. Wenn man bedenkt, dass die betreffende Dame und die Herren auch dort von verschlagenen Attentätern beschossen werden können, fragt man sich besorgt, warum das Ganze nicht gleich in die viel risikolosere Szene eines Filmstudios verlegt worden ist. Dem Vernehmen nach hat schon Mahatma Gandhi seine seinerzeitigen Protestmärsche von Bollywood faken lassen. Und auch „legendäre“ Filmaufnahmen wie die der Erstürmung des Petersburger Winterpalais´, der Rote-Fahne-Heissung auf dem Reichstag oder der Vereinigung von KPD und SPD zur SED sind schon diesem Erfolgsmuster gefolgt. Nur mehr Bekenntnismut zu den Umständen, wenn schon keiner dafür da ist, einer beschworenen Gefahr leibhaftig entgegenzutreten.

HWK 

Georg Katzer, ein unverzagter Tonsetzer

Eigentlich möchte er immer nur Komponieren, spannende Klänge finden. So erklärte Georg Katzer es dieser Tage gegenüber Deutschlandradio Kultur. Nur gehörte er nie zu den Appartement-Besitzern des Elfenbeinturmes, dadurch stößt man sich auch als Künstler immer an den harten Realitäten. Da ist die Dummheit in der Musik, gegen die er als Eisler-Schüler zeitlebens still aber beharrlich anrannte. Da ist das miserabler musischer Bildung des Publikums geschuldete Nichthören-Können: „Die Formerkennung, nämlich das Erfassen der formalen, und strukturellen Beziehungen […] ist abhängig von der Hörerfahrung, also vom musikalischen Bildungsstand“, postulierte er 2004. Und da sind die elenden Zustände dieser Welt, gegen die er immer wieder anschrieb. Mit seinen Kompositionen und in den, leider seltenen, verbalen Texten: „So flüchten die Gedanken aus diesem blutigen Jahrhundert und gleiten hinüber ins nächste in der vagen und leider durch nichts begründbaren Hoffnung, es möge weniger gewalttätig sein.“ So schließt Georg Katzers Aufsatz „Europa – die alte Kuh“ aus dem Jahre 1999. Mitnichten gab er trotz dieses depressiv scheinenden Befundes auf. Jetzt ist Georg Katzer 80 geworden – wir gratulieren ihm als Jubilar und verneigen uns vor einem der bedeutendsten kompositorischen Werke unserer Zeit!

Wolfgang Brauer

Globaler Eigennutz

Nachdem Hans-Werner Sinn unlängst in der FAZ einer veröffentlichten Bertelsmann-Studie widersprochen hatte, der zufolge Ausländer Deutschland fiskalisch mehr einbringen als kosten, hat der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung nun noch einmal klargestellt, dass sich Ihr Widerspruch lediglich auf Berechnungsfragen bezog und auch er davon ausgehe, dass die Migration „trotz der vermeidbaren Fehlentwicklungen per Saldo immer noch einen großen Gewinn bedeutet“. Nun ist diese Klarstellung gerade bei Sinn sicher löblich und soll hier auch gar nicht diskutiert werden. Relevanter scheint eine Weiterung seiner Sichtweise hinsichtlich der künftigen und auch von ihm schon mit Hinweis auf den Bevölkerungsschwund unter den gebürtigen Deutschen als notwendig empfundenen Zuwanderung. „Meine Zweifel“, so hat Sinn nun in einem Spiegel-Interview ausgeführt, „beziehen sich allein auf den Umstand, dass wir von unserem Sozialstaat subventionierte Billiglöhner ins Land locken, die nach den Statistiken der OECD vergleichsweise gering qualifiziert sind. Das ist teuer und verschärft die sozialen Probleme. Wir brauchen auf jeden Fall hinreichend qualifizierte Zuwanderung aus Drittländern außerhalb der EU. Das sollten wir über ein Punktesystem regeln, so wie es zum Beispiel Kanada praktiziert.“
Staatsegoistisch ist dem nicht zu widersprechen. Nur dass diese Praxis besagten Drittländern gnadenlos eben jene qualifizierten und mit dortigen staatlichen Mitteln ausgebildeten Kräfte entzieht, die sie selbst zu ihrer Entwicklung benötigen – und zwar erheblich dringender als die Länder der Ersten Welt. Es ist die gleiche und mindestens langfristig verhängnisvolle Haltung des Eigennutzes, der seit vielen Jahrzehnten das Seine dazu getan hat, dass es in der Dritten Welt nur wenige beziehungsweise kleinteilige Weiterentwicklungen in Sachen selbständiger Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Gesundheit gegeben hat. Fortschritte wie in Indien oder Brasilien ändern wenig an diesem Befund. Es ist die virulente Perspektivlosigkeit, die Menschen aus der Dritten Welt nun trotz erwiesener hoher Lebensgefahr zu Tausenden nach Europa strömen lässt – in der Hoffnung, hier jene lebenswerten Umstände anzutreffen, die sie zu Hause nicht haben finden können.
Aber klar: Hieran etwas zu ändern, hätte schon seit langem heißen müssen, im reichen Teil der Welt in Sachen Wohlstand Opfer zu bringen, auch Verzicht zu üben. Das dürfte auch allen verantwortlichen Politikern klar sein. Nur wissen diese, dass sich für spürbare Einschnitte des mittlerweile für normal gehaltenen Lebensniveaus bei denen, die „das Volk sind“ wohl kaum Mehrheiten finden lassen.
Ökonomen wie auch Hans-Peter Sinn haben uns seit Jahren die Unumgänglichkeit und Notwendigkeit der Globalisierung verklickert. Dass globales Denken und Handeln aber mehr sein müssen, als aus der immer vernetzteren Welt noch mehr Einzelvorteile zu ziehen, ist diesem Denken nicht zu entnehmen. Dass dies der Ersten Welt zunehmend auf die Füße fallen wird, liegt auf der Hand.

Helge Jürgs

Ohne Kommentar

Titel einer Seminarreihe für Unternehmer und Personalchefs:
„Der Umgang mit schwierigen Betriebsräten – So reagieren Sie richtig auf blockierende, übereifrige oder fremdgesteuerte Betriebsräte.“
„Die einseitige Änderung von Arbeitsverhältnissen; So flexibilisieren Sie ihre Arbeitsverhältnisse.“
„Die Kündigung störender Arbeitnehmer – So gestalten Sie kreativ Kündigungsgründe.“
„So weisen Sie ihren Betriebsrat in die Schranken.“
„In Zukunft ohne Betriebsrat“.

mvh

Brücke im Grunewald

Am Rande des Grunewalds und eines Ausläufers von Berlins Villenviertel Dahlem, wo Reichtum auf Anwesen residiert, deren Eigentümer sich in auffälliger Häufung hinter der Anonymität unbenamster Briefkästen verbergen, befindet sich das Berliner Brücke-Museum – architektonisch reizvoll eingepasst in die umgebende Natur wie auch in das zivilisatorische Ambiente.
Das Museum, eröffnet im Jahre 1967, nimmt mit seinen Namen Bezug auf die expressionistische Künstlergruppe „Die Brücke“, die 1905 in Dresden von den vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet worden war, und hat seinen Ursprung in der Anfang der 1960er Jahre getroffenen Entscheidung Schmidt-Rottluffs, dem Land Berlin 74 seiner Werke zu schenken und darüber hinaus weitere nach seinem Tode in Form einer Stiftung zur Verfügung zu stellen. Der „randständige“ Standort war eine sehr bewusste Wahl, an der auch Schmidt-Rottluff selbst maßgeblichen Anteil hatte: Für die „Brücke“-Künstler hatten die Harmonie von Mensch und Natur ebenso wie die Einheit von Kunst und Natur zentrale Bedeutung.
Die Intention der Museumsgründer – vor allem Leopold Reidemeisters, des damaligen Generaldirektors der Staatlichen Museen zu Berlin, der zu den aktiven Verfechtern der Klassischen Moderne, die während der Nazizeit als „entartete Kunst“ geächtet worden war, in der Bundesrepublik zählte – bestand dabei von Anfang an darin, Werke aller vier Mitglieder der Gruppe zu zeigen. Schmidt-Rottluff war von dieser Idee sehr angetan: „Dieser Vorschlag hätte auch die Historie für sich: alle Maler der ,Brücke‘ haben einmal in Berlin gelebt und gearbeitet und haben von Berlin aus gewirkt“, schrieb er. Auch Erich Heckel teilte diese Ansicht und stellte umfangreiche Schenkungen in Aussicht; eine erste im Umfang von immerhin 800 Werken wurde bereits 1966 realisiert. Weitere Werke Heckels kamen nach dessen Tod 1970 hinzu.
Derzeit zeigt das Museum einen liebevoll kuratierten, sehr schönen Querschnitt durch das malerische Œuvre Karl Schmidt-Rottluffs.
An den Museumsrundgang lässt sich, so das winterliche Wetter mitspielt, ein Spaziergang zum nahegelegenen Jagdschloss Grunewald anschließen. Dort kann der Kunstgenuss fortgesetzt werden: In der dortigen Dauerausstellung sind 30 Werke Lucas Cranachs des Älteren, des Jüngeren sowie ihrer Werkstatt zu sehen.

Alfons Markuske

„Karl Schmidt-Rottluff. Landschaft – Figur – Stilleben“. Noch bis 16. März 2015; Brücke-Museum Berlin, Bussardsteig 9, 14195 Berlin-Dahlem. Öffnungszeiten: täglich 11-17 Uhr; dienstags geschlossen.

Frank, der Franke

Das inzwischen weithin bekannte Prime Time Theater im Berliner Wedding hat sich offenbar für das neue Jahr Großes vorgenommen – es eifert der Berliner Schaubühne nach: zum ersten Mal sieht man jetzt einen nackten Mann auf der Bühne. Welcher der drei Herren Philipp Lang, Oliver Tautorat oder Daniel Zimmermann sich dafür einen Extra-Applaus abholen darf, soll hier nicht verraten werden. Ansonsten bleibt das Prime Time mit seiner seit elf Jahren laufenden Theater-Sitcom „Gutes Wedding – schlechtes Wedding“ auch in der aktuellen Produktion „Flirtschule“ (auf Publikumswunsch eine Wiederholung von 2010) dem angestammten Prinzip des Volkstheaters treu. Um moderner zu sein, sprechen die Theatermacher auch gern vom Pop-Theater, und diesmal hat es auch mit Poppen zu tun. Sabrina, eingeführt als fröhliche Kiezschlampe (Alexandra Marinescu), bringt schüchternen Herren gegen einen Obulus bei, wie man sich dem anderen Geschlecht unkompliziert nähert. Dass der erste Klient Frank ein unbedarfter Franke ist, ist doppelt komisch, wenn sich zuvor ein Zuschauer als solcher geoutet hat. Hausherr Tautorat spielt ihn genauso komisch wie die dicke Tina, die auch in die Flirtschule kommt. Alle Mitwirkenden spielen wie immer mehrere Rollen, darunter auch die erstaunlich wandlungsfähige Cynthia Buchheim und Constanze Behrends. Die Autorin und Regisseurin des Ganzen tritt allerdings nur in den witzigen Filmeinspielern auf, was sich hoffentlich bald wieder ändern wird! Diesmal sind ihr besonders viele Kalauer eingefallen, und das Premierenpublikum war schier aus dem Häuschen.

Frank Burkhard

Gutes Wedding – schlechtes Wedding, Wunschfolge „Flirtschule“, Prime Time Theater Wedding, Müllerstraße 163, donnerstags bis montags 20.15 Uhr (bis 9. Februar)

Jiddische Weltmusik aus Nürnberg

Mit Klezmer wird üblicherweise die Musik der Juden Osteuropas assoziiert. Das NS-Terrorregime bedeutete nicht nur millionenfachen Mord an diesen Menschen, sondern drohte auch deren Kultur – ihre spezifische Alltagskultur, aber auch ihre Musik und Literatur – komplett auszulöschen.
Im Gefolge der Weltmusik konnte auch Klezmer in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten (wieder) aufnahmebereite Ohren finden. Die Global Shtetl Band aus Nürnberg hebt seit 2006 solche musikalischen Schätze.
Sie richtet dabei den Fokus nicht nur auf das „klassische“ jiddische Liedgut osteuropäischer Provenienz, sondern greift auch dessen lateinamerikanischen Varianten auf, wo es ja schließlich auch jüdische Communities gibt.
Interessanterweise ist der in Nürnberg beheimatete Bandleader Markus Milian Müller selbst gar kein Jude, hat aber Jiddisch studiert und beherrscht, wie sich unschwer heraushören lässt, diese Sprache perfekt.
Und er beschränkt sich mit seinen Bandkollegen, dem Akkordeonisten Bartlomiej Stanczyk und dem Perkussionisten Daniel Piccon nicht auf eine professionelle, aber eklektische Musikdarbietung. Denn auf ihrem neuen Album „7 Glezer“ (7 Gläser) präsentieren sie überwiegend eigenkomponierte Stücke, die den Klezmer etwa mit Latino-Rhythmen einen frischen Drive geben. Es geht in ihren Liedern um die Liebe, die Einsamkeit, die Freuden des Rausches (im Titellied) und um andere süße Leiden des Lebens.
Melancholische Poesie in Wort und Ton – nicht nur für trübe Wintertage…

Thomas Rüger

Global Sthetl Band: 7 Glezer, CD 2014; 15 Euro.
Bezug über wwwglobalshtetlband.com

Film ab

„Der Krieg endet nie leise“, lautet der Obertitel auf einem Filmplakat zu David Ayers Weltkriegs-zwei-Streifen „Fury“ (Furie, Wut). Realistisch endet er in diesem Hollywood-Spektakel über fünf amerikanische Panzersoldaten (ohne Hund!) und ihre letzten Kämpfe auf deutschem Boden im Frühjahr 1945 allerdings auch nicht, sondern in einer teilweise ballettartig choreographierten Tötungsorgie, wie man sie cineastisch schon sehr viel eindrucksvoller im Showdown von Sam Peckinpahs Western „The Wild Bunch“ von 1969 gesehen hat. Ayers scheut dabei selbst vor der unwahrscheinlichsten Volte nicht zurück, damit seine Crew vor dem eigenen Tod noch gehörig in eine 60fache Übermacht hineinmetzeln kann und Protagonist Brad Pitt alias Staff Sergeant Collier alias „Wardaddy“ am Maschinengewehr gleich mehrere Fangschüsse kassieren muss, bevor er endlich sterbend in seinen Sherman-Panzer („meine Heimat“ – O-Ton Collier) hinabsinken darf, wo er noch Zeit für ein zünftiges Schlusswort findet, bevor zwei vom fiesen Feind durch die Turmluke hereingeworfene Panzerhandgranaten zu seinen Füßen explodieren, was seiner Leiche allerdings hernach nicht anzusehen ist. Diese Handgranaten haben üblicherweise Aufschlagzünder. Das würde aber den einzigen Überlebenden der Blechsarg-Equipe hindern, die Todesfalle gerade noch rechtzeitig durch den Fluchtausstieg am Boden zu verlassen. Und so gehen die Granaten halt erst hoch, nachdem …
Aber keine Bange – Schlachteplatte in Reinkultur wird in den zwei Stunden zuvor hinreichend serviert, und wer partout scharf darauf ist zuzuschauen, was MG- und Panzergeschosse mit menschlichen Körpern anzurichten vermögen, der wird bestens bedient – naturalistisch bis in die zerfetzt-blutigen Details – und somit voll auf seine (Kino-)Kosten kommen.
Zwischen diesen Vorführungen jede Menge ebenso martialischer wie klischeehafter Heroismus plus eine Portion rührselig-sentimentaler Gefühlskitsch und ein paar Exempel für die in Kriegen auf allen jeweiligen Seiten unvermeidliche Verrohung der Beteiligten.
Der Kritiker der Berliner Zeitung sprach von „Landser-Schmonzes“ und traf damit den Kern. Höchst passend dazu verpasste der Verleih dem Film den deutschen Titel: „Herz aus Stahl“.
Prädikat: Muss man keinesfalls gesehen haben.

Clemens Fischer

„Herz aus Stahl“, Regie: David Ayers; derzeit in den Kinos.

Frühe Einsichten

Der Mensch ist weder Engel noch ein Tier, und sein Unglück ist, daß er umso mehr vertiert, je mehr er Engel sein will.

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Es gibt nur zwei Arten von Menschen: die Gerechten, die sich für Sünder halten, und die Sünder, die sich für Gerechte halten.

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Ich behaupte: Wenn alle Menschen wüßten, was sie voneinander sagen, gäbe es keine vier Freunde auf der Welt.

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Niemals tut man so vollständig und so gut das Böse, als wenn man es mit gutem Gewissen tut.

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Die Menschen rufen niemals so viel Leid hervor, als wenn sie aus Glaubensüberzeugung handeln.

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Die Welt wird durch Gewalt beherrscht, nicht durch Meinung; aber Meinung verwendet Gewalt.

Blaise Pascal, 1623 – 1662, französischer Religionsphilosoph und Naturwissenschaftler,

Tucholskys Berlin

Wer den grade 125 Jahre jungen Kurt Tucholsky kennt und mag – was für denkende Menschen eigentlich pleonastisch oder gar tautologisch sein sollte – dem ist eine nagelneue Schrift zu empfehlen, die das Kleist-Museum in der Reihe „Frankfurter Buntbücher“ soeben herausgegeben hat. Wenn auch auf „nur“ knapp 30 Seiten, so beschäftigt sich die Autorin unbedingt gewinnbringend mit all jenen Wohnorten, die Tucholsky in Berlin einst hatte – von Moabit, dem Tiergarten-Viertel und die Dorotheenstadt über den Neuen Westen und Friedenau bis Charlottenburg. Versehen mit faksimilierten Dokumenten und Fotos, wird nicht nur die später fast schon nomadische Berliner Lebens-Logistik abgearbeitet, sondern Tucholskys ambivalentes Verhältnis zu seiner Geburtsstadt beschrieben und erklärt, was er dazu selbst hinterlassen hat. Wie gesagt: Für Tucho-Verehrer ein kleines, aber unverzichtbares „Muss“

Sunhild Pflug, „Da stehn die Häuser, und lassen in sich hausen …”. Kurt Tucholskys Wohnorte in Berlin, Frankfurter Buntbücher 56, herausgegeben von Wolfgang de Bruyn und Hans-Jürgen Rehfeld im Kleist-Museum- Frankfurt(Oder). Verlag für Berlin-Brandenburg 2015, 8,00 Euro.

HWK

Wirsing

Die Regionalnachrichten sind ein Grund, Annoncenblätter wie die Berliner Woche zu lesen, die ungefragt in unsere Briefkästen gesteckt werden. In der Ausgabe von Pankow-Süd stand unter der Überschrift „Erinnerungen an den Vater der Gemeinde“ die Unterzeile „Vor 100 Jahren starb Wilhelm Kuhr“. Erstaunlich, wie der Artikel begann: „Am 23. Dezember wäre Pankows ehemaliger Bürgermeister Wilhelm Kuhr 100 Jahre alt geworden.“ In den offenbar wenigen Tagen, die Kuhr lebte, gelang es ihm, ein erfolgreicher Bürgermeister zu werden. Da hat er es sich auch verdient, dass eine Pankower Straße nach ihm benannt ist!

Fabian Ärmel 

Aus anderen Quellen

„Weltweit liegen Nationalisten in der Wählergunst vorne“, schreibt Michael Bröning: „Sie bedienen ein Sicherheitsbedürfnis, das in einer entgrenzten Welt immer weiter wächst. Die traditionellen Antworten der politischen Linken hingegen werden nicht mehr als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems wahrgenommen.“ Der Autor gelangt zu dem Fazit: „Eine Linke, die Wahlen wieder gewinnen will, muss […] die Quadratur des Kreises versuchen. Sie muss sich bemühen, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen, selbst wenn dies ein inhaltliches Abrücken von den Monstranzen der reinen Lehre erforderlich macht.“
Michael Bröning: Triumph der Nationalen, sueddeutsche.de, 02.01.2015. Zum vollen Wortlaut hier klicken.

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„Asien und der pazifische Raum werden für die USA immer wichtiger. Bislang war Australien ihr verlässlichster Verbündeter in der Region – vor allem im Hinblick auf China und sein aggressives Vorgehen im Südpazifik“, beginnt Olivier Zajec seine Analyse der der neuerdings immer engeren Zusammenarbeit der Chinesen und der Australier sowohl in wirtschaftlicher wie auch in politischer Hinsicht.
Olivier Zajec: Eine pazifische Affäre, Le Monde diplomatique, 09.01.2015. Zum vollen Wortlaut hier klicken.