20. Jahrgang | Nummer 14 | 3. Juli 2017

Bemerkungen

In memoriam Hans Jendretzky

Am 2. Juli ist sein 25. Todestag und am 20. Juli wäre sein 120. Geburtstag, Grund genug an Hans Jendretzky zu erinnern.
Es geht dabei um eine Persönlichkeit, einen Jahrhundert-Zeugen, der an verantwortlicher Stelle die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung mitgestaltete. Aber er hatte nie Erinnerungen aufgeschrieben, wohl auch aus parteierfahrener Selbstzensur. Er war einer, der seine Reden weniger von Referenten schreiben ließ, sondern selbst formulierte oder mit unverwechselbarem Charisma äußerst anschaulich frei sprach, woran sich manche seiner Kampfgefährten noch nach Jahrzehnten erinnerten. Das war kein abgehobener Politiker, sondern einer zum Anfassen, kein Theoretiker oder Ideologe, eher ein Macher. Sein politischer Terminkalender war bis in sein 90.Lebensjahr immer prall gefüllt. Ein Vollblut-Politiker, der allerdings wenig Zeit für Persönliches hatte.
Als Sohn spielte ich eher die Rolle eines Zaungastes, wir lebten nie zusammen. Als Heranwachsender musste ich mir meine Geburtstagsgeschenke im Büro des Vielbeschäftigten abholen, nach vorheriger Terminvereinbarung mit seiner Sekretärin, die in seinen wechselnden Funktionen immer an seiner Seite blieb, wie auch sein Fahrer. Heute nennt man sowas Team, damals war es mehr eine Kampfgemeinschaft.
22-jährig trat er 1919 der USPD bei und begann ein Jahr später in der KPD seine politische Laufbahn. Er leitete den Roten Frontkämpferbund Berlin/Brandenburg und gehörte von 1928 bis 1932 dem Preußischen Landtag an. 1933/34 war er Mitglied der illegalen KPD-Bezirksleitung Berlin. 1934 Verhaftung und Verurteilung wegen „Hochverrats“ zu drei Jahren Zuchthaus. 1944 wieder verhaftet und erneut zu drei Jahren verurteilt wegen Mitarbeit in der Saefkow-Bästlein-Gruppe. Dann Mitunterzeichner des KPD-Aufrufs vom 11.Juni 1945. Wenig später erster Vorsitzender des FDGB.
Dieser Mann hat keine Bilderbuchkarriere absolviert, eher ein überaus wechselhaftes politisches Leben mit Höhen und Tiefen, steilen Aufstiegen (bis in die oberste Führungsriege der SED) und jähen Abstürzen durch Misstrauen und Intrigen der eigenen Genossen, wenn man sich nur an die dramatischen Ereignisse des Juni 1953 erinnert, als er aus dem Politbüro entfernt wurde.
Es machte mich auch betroffen, dass das MfS in den 1970ger Jahren hinter dem Rücken meines Vaters, der damals Staatssekretär war, ein von Misstrauen geprägtes „Streng Geheim“-Dossier über ihn angefertigt hatte, das ein Historiker erst 2012 in Archiven fand. Wer den Auftrag zu dieser ominösen MfS-Überprüfung gab und in wessen Hände die, außer in Mielkes, gelangte, wird nicht mehr aufzuklären sein und es ist gut, dass er selbst es nicht mehr erfahren musste.

Hans Erxleben

Berliner Notizen – Tiere als Politikberater

Zu den liebenswertesten Erfindungen der Weltliteratur gehört der Dr. Dolittle des englischen Schriftstellers Hugh Lofting. Dr. Dolittle konnte mit Tieren sprechen. Ihm flogen und fliegen daher die Herzen aller Kinder und aller in ihrem Innersten kindgebliebenen Menschen zu.
Dass uns Tiere das Herz erwärmen, wissen auch Politiker, die gemeinhin auf der Liste der Unsympathen ziemlich weit oben stehen, und lassen sich daher mit diesen unverbrauchten Sympathieträger gern ablichten oder filmen. Das kann aber auch nach hinten losgehen. Wladimir Putin kann es sich noch erlauben, auf einem Wahlplakat mit bloßem Oberkörper und erlegtem Tiger zu posieren. In Russland bringt das Sympathiepunkte. Die spanische Monarchie hingegen schlitterte 2012 in eine Krise, weil König Juan Carlos in Botswana Elefanten jagte. Allerdings wurde er schon vor Ort von Ganesha, dem Elefantengott aus Indien, abgestraft: Der Bourbonen-König stürzte und brach sich die Hüfte. Die daraufhin veröffentlichten Safari-Details brachten den iberischen Volkszorn fast zum Überkochen: Majestät brauchte sieben großkalibrige Schüsse, um einen alten Elefantenbullen zur Strecke zu bringen!
Zu Tieren haben auch unsere Berliner Spitzenpolitiker, die in der Stadt keiner so richtig mag, eine gewisse Zuneigung entwickelt. Ende 1998 wagte der damalige Kreuzberger Bezirksbürgermeister Peter Strieder einen Elefantenritt im noch im Tiergarten beheimateten Tempodrom. Das sollte Spender für einen überteuerten Neubau animieren. Ganesha ist der Gott des Erfolges. Strieder und die damalige Tempodrom-Chefin setzten noch einen drauf und ließen 2000 zur Grundsteinlegung des Baus am Anhalter Bahnhof wieder Elefanten auftreten. Schließlich würden die in Indien zur Arbeit eingesetzt. Bis zur Eröffnung im Dezember 2001 rutschte der Laden in die Pleite und Strieder geriet unter massiven Beschuss wegen Missbrauch des Landeshaushaltes zugunsten des Kreuzberger Protzbaus. Ganesha hatte versagt. Ein Elefant musste dennoch zur Eröffnung ran – er trug die Regenbogen-Ikone Romy Haag auf seinen Stoßzähnen Richtung Klaus Wowereit. Das klappte nicht ganz so wie geplant. Romy fiel dem Regierenden Bürgermeister vor die Füße. Das Ende ist bekannt.
Auch Wowereits Amtsvorgänger Eberhard Diepgen hatte Pech mit Tieren. Am 7. Mai 2001 besuchte der Warschauer Stadtpräsident Pawel Piskorski Berlin. Im Gepäck hatte er als Geschenk der polnischen Partnerstadt drei Storchenpaare für den Tierpark in Friedrichsfelde. Beim fotogenen Auspacken biss einer der Störche dem Regierenden Bürgermeister in die Hand. Der versuchte die Kurve zu kriegen: „Diese Störche sind ein Zeichen an die Politik“, sagte er und setzte noch irgendwas mit Kindern dazu. Das mit dem Zeichen stimmte. Fünf Wochen später wurde er vom Abgeordnetenhaus abgewählt. Nachfolger Wowereit hielt sich mit Tieren zurück – er hatte die animalische Lektion begriffen.
Anders Wowereits Nachfolger Michael Müller. Der ließ es sich nicht nehmen, am 24. Juni 2017 die neuen Pandas für den Zoo, Herrn Meng-Meng („Schätzchen“) und Frau Jiao Quing („Träumchen“), höchstderoselbst auf dem BER (ätsch, da fliegt doch was!) in Empfang zu nehmen. Beim Auspacken der Frachtkiste fauchte „Schätzchen“ bösartig und fletschte die Zähne. Während der Rede des Regierenden gähnte er auch noch unübersehbar und „Träumchen“ rekelte sich gelangweilt auf dem Rücken. Wenn das mal kein Zeichen ist! Müllers Popularitätskurve geht nach unten, die Umfragewerte der Sozialdemokraten sowieso. Schade, dass Dr. Dolittle nicht zur Hand war, dann wüssten wir Genaueres über die Prophezeiungen der Riesen-Pandas an die Adresse der Berlin Regierenden. Eberhard Diepgen wird das Geschehen mit Interesse verfolgt haben…
Wir sind auf die nächsten tierischen Auftritte gespannt. Was werden „Schätzchen“ und „Träumchen“ am 5. Juli der Kanzlerin zu sagen haben? Welchem Zootier wird sich Martin Schulz mit sicher prägenden Worten zuwenden?

Wolfgang Brauer

Kurze Notiz zu Memleben

Memleben ist ein recht merkwürdiger Ort. Wer hierher kommt, in diese etwas abseits gelegene Ecke vom Unstruttal, die Kaiserpfalz genannt wird, darf staunen: Denn von der Kaiserpfalz ist in Memleben nichts zu sehen. Und auch von dem so großartig beworbenen Kloster fehlt jede Spur. Einzig wenige Mauerreste einer Kirche ragen aus den Rapsfeldern empor. Man ist fast versucht, dem über das Feld zuckelnden Traktor mehr Aufmerksamkeit zu schenken als diesem kümmerlichen Rest historischer Größe.
Nun gibt es viele Orte, an denen mal etwas Bedeutendes war, von dem heute kaum noch etwas zeugt. Orte, für die man viel Verständnis und noch mehr Fantasie haben muss. Mit Memleben aber ist es noch vertrackter: Denn hier weiß man eigentlich gar nicht so genau, wie bedeutend und vor allem wo das einst hier Gewesene tatsächlich war.
Stichwort Kaiserpfalz: Ja, die Ottonen kamen oft hierher, zwei Könige starben auch hier, aber wo sie hausten und beurkundeten, wenn sie von Memleben aus die Geschicke des Reichs lenkten, das ist unbekannt. Bislang jedenfalls fand sich keine Spur von einer Pfalz, weder im Boden noch in den Schriften.
Ähnlich steht es um das von den Ottonen gestiftete Benediktinerkloster aus dem 10. Jahrhundert – immerhin im Rang einer Reichsabtei – und dem Neubau aus dem 13. Jahrhundert: Bekannt ist, dass in Memleben nacheinander zwei Klöster existiert haben. Aber wo nur? Nicht einmal die Namen der Abte sind bekannt.
Bleibt also nur die ruinöse Kirche, die aber trotz ihrer Imposanz kaum interessiert, weil ja so eindeutig ist, wo sie sich befindet. Und selbst wie sie früher aussah, ist hinlänglich bekannt.
Aber Kaiserpfalz und Kloster – die geben Rätsel auf. Der Hobbyhistoriker mag sich im Ort umschauen und Vermutungen anstellen. Jeder andere aber bekommt im kleinen Memleben einen großartigen Eindruck von der Vergänglichkeit. Und die Möglichkeit eines spurlosen Verschwindens selbst bedeutender Zeugnisse beschäftigt den Besucher – zumindest bis zur nächsten Biegung der Unstrut.

Thomas Zimmermann

Luther

„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, wusste bereits Goethe. Und Luther muss solch ein Bringer gewesen sein, denn er hat „viel Nachbereitung erdulden müssen. Die Na­zis riefen ihn zum Kerngermanen aus, die Deutschen Christen zu ihrem Sturmbannführer. 1983, zum 500. Geburtstag, ent­deckten ihn die SED-Kommunisten als frühbürgerlichen Re­volutionär und nannten ihn nicht länger Fürstenknecht.“
Das hatte Christoph Dieckmann in seinem bereits 2005 erschienenen Sammelband „Rückwärts immer. Deutsches Erinnern“ vermerkt. Darauf gerade jetzt zurückzukommen liegt nahe, weil er, also Luther, dieses Jahr schon wieder besonders ausgiebig erdulden muss – wie man landauf, landab allenthalben und unschwer feststellen kann.
Dieckmann – im Haushalt eines evangelischen Geistlichen aufgewachsen – erinnerte sich seinerzeit auch ganz persönlich: „Der Luther meiner Kinderstube galt nahezu als Wiedergänger Jesu, als showstopper der Weltgeschichte von Feuer und Schwert. […] Dieser Kinderluther war ein Friedensritter bis zu seinem Ende.“
Das war allerdings immer schon bloß die besonders vorzeigbare Seite an Luther. Anderes wurde bei den diversen Nachbereitungen zu allen Zeiten stets gern in den Skat gedrückt. Der studierte Theologe Dieckmann gab von Luthers keineswegs lässlichen Sünden ebenfalls Kenntnis: „Wahr ist, daß Luthers weiße Weste dunkle Flecken trägt. Er hat wüste Antisemitismen aufgeschrieben, er hat, bei allem Frie­denslob, auch dem Kriegsknecht ein gutes Gewissen gemacht: Ein Christenmensch dürfe nicht aus eigener Ermächtigung ans Schwert, aber wenn es Gott will von ihm geführt haben und ihm in die Hand gibt, soll er […] frisch hinrichten und würgen. 1525, zum Ende des Bauernkriegs, befeuert Luther die Fürsten wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern mit einer Prosa des Nun-haut-und-schlaget-alles-tot. ‚Drumb sol hie zuschmeyssen würgen vnd stechen heymlich odder öf­fentlich wer da kan vnd gedencken das nichts gifftigers schedlichers teuffelischers seyn kan denn eyn auffrurischer mensch gleich als wenn man eynen tollen hund todschlahen mus schlegstu nicht so schlegt er dich vnd eyn gantz land mit dyr. […] Denn hundert todte sollt eyn frumer Christ leyden ehe er eyn harbreyt ynn der bawren sache bewilliget. […] Drumb lieben herren […] Steche schlahe würge hier wer da kan […].‘ […] Die Obrigkeit war für Luther gottgegeben; sie zu bekriegen hieß Gott angreifen […]. Jede bestehende Ordnung schien damit sanktioniert.“
Da möchte man doch glatt drei Kreuze schlagen und sich den Stoßseufzer entringen: Wenigstens war er nicht auch noch IM!

Hannes Herbst

Medien-Mosaik

In der Weltbühne war Ursula Madrasch als Redaktionsmitarbeiterin unter drei Chefredakteuren für drei Nachkriegs-Jahrzehnte einerseits ruhender Pol, nicht selten auch treibende Kraft. Ab 1965 hieß sie Madrasch-Groschopp. Warum? Zu Beginn der sechziger Jahre drehte DEFA-Regisseur Richard Groschopp den Fernsehfilm „Carl von Ossietzky“, für den er und seine beiden Autoren Lothar Creutz und Carl Andrießen (beide schrieben damals auch für die Weltbühne) im Redaktionsarchiv recherchierten. „Die wichtigsten Hinweise, Vermittlungen und Anregungen für die Bucharbeit aber kamen von der unstreitig besten Kennerin des Lebens Ossietzkys und seines Wirkens in der Weltbühne, von der stellvertretenden Chefredakteurin Ursula Madrasch. Sie war der ehrenamtliche Fachberater – ohne Honorar“, berichtete Groschopp in einem Interview über die Frau, die er dann heiratete.
Der Film mit Hans-Peter Minetti in der Titelrolle ließ die Auseinandersetzungen des damaligen WB-Chefredakteurs mit Militär und Justiz der Weimarer Republik, die ihn ins Gefängnis brachten, und schließlich mit der Nazi-Pest noch einmal lebendig werden. Creutz und Andrießen orientierten sich an Ossietzkys Weltbühnen-Jahren 1926-33, und gestalteten die Dialoge mit Originaläußerungen oder zumindest in Ossietzkys Wortschatz. Eine Schar erstklassiger Schauspieler waren um Minetti herum gruppiert: Christine Laszar als Maud von Ossietzky und Blanche Kommerell als Tochter Rosalinde, Gisela May als Verlegerin Edith Jacobsohn, Fritz Diez als Oss´ Stellvertreter Hellmut von Gerlach und Erhard Köster als Tucholsky. Der Regisseur ließ Köster berlinern, aber ob der frankophile Autor diesen Zungenschlag wirklich verwendete, ist fraglich. Eine Frage war auch, ob der Realismus so weit gehen sollte, dass bei der Zentralfigur eine Porträtähnlichkeit erreicht werden sollte. Darum wurde zunächst die für Ossietzky typische Nase aus Gummi an Minetti ausprobiert, die dann aber nur in der Sterbeszene zum Einsatz kam.
In der verdienstvollen Reihe „DDR TV-Archiv“ ist der Film über ein Stück antifaschistischen Kampfes seit kurzem in einer digital restaurierten Fassung erhältlich und bietet Geschichtsaufarbeitung mit hohem künstlerischen Niveau.
Carl von Ossietzky, Deutscher Fernsehfunk 1963, Studio Hamburg Entertainment, 93 Minuten, 14,95 Euro.

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Zu runden Geburtstagen bringt DDR-Nachrichtensprecher Klaus Feldmann stets ein neues Buch heraus. Zum 80. im vergangenen Jahr hieß es „Verhörte Hörer“ und behandelt mitnichten das Aushorchen durch Geheimdienste. Vielmehr hat Feldmann von seinem Lehrer und Kollegen Helmut Pietsch ein Büchlein mit Rundfunk-Versprechern geerbt, aus dem er schöne Exemplare ausgewählt und kommentiert hat. Nicht jeder ist ein Kracher, aber Feldmann verknüpft die Beispiele mit Erinnerungen an die damalige Zeit und ruft uns beliebte Rundfunk- und Fernsehsprecher ins Gedächtnis zurück, seien es Ingeborg Chrobok, Irmgard Düren, Christel Kern, Peter Bosse, Sergio Günther, Herbert Küttner oder Siegfried Loyda, um nur ganz wenige zu nennen. Die Versprecher sind gesprochen natürlich besser als gelesen, und so kann man das Buch zwar nicht in einem Ritt bewältigen, dafür aber immer wieder für ein Viertelstündchen vor sich hinkichern.
Klaus Feldmann, Verhörte Hörer, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2016, 160 Seiten, 9,99 Euro.

bebe

Musikalische Gänsehautmomente

„Gentle Giant“ war der Name einer britischen Progressive Rockband in den 70er Jahren. Und als ebensolchen Gentle Giant, also einen freundlichen Riesen, kann man auch den niederländischen Pianisten Joep Beving bezeichnen.
Der Zweimetermann mit wallendem Haar und Rauschebart scheint einem magischen Buch entsprungen. Aber wenn er sich den schwarzen und weißen Klaviertasten widmet, entlockt er diesem Instrument magische Melodien.
Die Nachrichtensender quellen über von Anschlägen und Unruhen. Joep Beving liefert hierzu das musikalische Kontrastprogramm. Er selbst konstatiert: „Die Welt ist zurzeit ein hektischer Ort. Ich habe den dringenden Wunsch, auf ganz einfache menschliche Weise mit den Leuten in Kontakt zu treten. Musik als universelle Sprache hat die Macht zu verbinden. Ich bin davon überzeugt, dass wir, ungeachtet der kulturellen Unterschiede, ein angeborenes Verständnis davon haben, was es heißt, ein Mensch zu sein. Unsere Gänsehaut zeugt zum Beispiel davon …“
Bereits als Jugendlicher trat er öffentlich auf, doch eine Verletzung des Handgelenks zwang ihn dazu, musikalisch kürzer zu treten. Und so begab er sich nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften auf den konventionellen Karriereweg. Private Zufälle brachten ihn wieder zurück auf die künstlerische Bahn.
Er komponierte ein Stück für die Beerdigung eines unerwartet verstorbenen Freundes. Wenige Zeit später erschien in Kleinstauflage „Solipsism“ als Vinylveröffentlichung. Das darauf enthaltene Stück „Sleeping Lotus“ wurde zu einem millionenfach angeklickten Hit im Internet.
Die Deutsche Grammophon wurde auf Beving aufmerksam. Und so erschien sein Album „Prehension“ nun auf diesem renommierten Label.
Es sind gefühlvolle Melodien, die Joep Beving seinen Zuhörern offeriert – aber deutlich jenseits von Kitsch. Den Verrücktheiten dieser Welt setzt er die Schönheit seiner musikalischen Kompositionen entgegen – Gänsehautmomente für empfindsame Ohren!

Thomas Rüger

Joep Beving: „Prehension“, Deutsche Grammophon 2017, 15,99 Euro.

Blätter aktuell

Die Trump-Regierung plant massive Kürzungen im Sozialstaat und Steuervergünstigungen für Milliardäre. Das aber verschärft die ohnehin dramatische soziale Spaltung in den USA, so der ehemalige demokratische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders. Gerade die Jugend müsse sich gegen diese oligarchischen Bestrebungen zur Wehr setzen — nicht nur in den USA.
Angela Merkel fordert angesichts der unberechenbaren Außenpolitik Donald Trumps die Selbstbehauptung Europas. Doch diese Strategie droht an ihrer eigenen Politik zu scheitern, warnt der Soziologe Hauke Brunkhorst. Denn ihr rigoroser Austeritätskurs verschärft das ökonomische Machtgefälle innerhalb der EU und befördert so deren Spaltung.
Seit dem Austritt der USA aus dem Klimaabkommen steht fest: Der Multilateralismus ist in der Krise. Doch diese Krise ist nur eine von vielen, analysiert der Friedensforscher Wolfgang Zellner. Das Atomwaffenprogramm Nordkoreas, die Instabilität der EU und der Konflikt in der Ukraine sind Ausdruck einer komplexen globalen Multikrise, die es einzudämmen gilt.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Ein Meer aus Plastik: Die Vermüllung unserer Ozeane“, „Wider das Einheitsdenken. Plädoyer für Pluralismus in der Wirtschaftswissenschaft“ und „Foodora & Co.: Die Revolte der neuen Dienstbotenklasse.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Juli 2017, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

WeltTrends aktuell

Frankreich hat einen neuen Präsidenten. Wie steht es um das Land, was will und kann Macron bewirken? Im Thema diskutieren die Autoren die Herausforderungen, die den wichtigsten Partner Deutschlands in Europa erwarten – und welche Chancen sich bieten. Es geht um außenpolitische und wirtschaftliche Fragen ebenso wie um die umgewälzte Parteienstruktur, die der Fünften Republik den ersten Präsidenten jenseits von Konservativen und Sozialisten beschert hat.
Mit dem Machtkampf in Venezuela, den jüngsten Wahlen in Ecuador und dem auf dem G20-Gipfel anstehenden Gesundheitsproblem beschäftigt sich der WeltBlick.
Schritt für Schritt zeichnen sich die Konturen der Außenpolitik der Trump-Administration ab. Was „America First” auf diesem Gebiet heißt, untersucht Erhard Crome in der Analyse.
Während diese Außenpolitik Deutschland vor neue Probleme stellt, ist es auch dringend erforderlich, das Verhältnis zu Russland nicht weiter zuzuspitzen, sondern einvernehmlich zu regeln, mahnt deshalb Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzender und außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, im Zwischenruf.

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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 129 (Juli) 2017 (Schwerpunktthema: „Frankreich im Umbruch“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

„Immer wenn es sich um eine Veranstaltung zur Digitalisierung handelte“, so fasst der Soziologe Harald Welzer jüngste Erlebnisse zusammen, „und meine Gesprächspartner zur kritischen Netzgemeinde zählten, bekam ich spätestens nach einer halben Stunde zu hören, man müsse bei allen Problemen aber auch mal die positiven Seiten der Digitalisierung sehen […].“ Welzer hält dagegen: „Fehlende Zustimmung zur Digitalisierung vermag ich nicht zu erkennen, Mangel an Folgenabschätzung hingegen schon.“ Und erinnert an eine historische Parallele: „Populärkultur und Wissenschaft feierten das anbrechende Atomzeitalter in exakt jener Einvernehmlichkeit, wie das heute mit der Digitalisierung geschieht. Aus der damaligen Euphorie ist man nach Tschernobyl erschrocken und nach Fukushima ernüchtert aufgewacht. Noch bis in die achtziger Jahre hinein galt man als Fortschrittsfeind, wenn man nicht allen Heilsversprechen glauben mochte und den einen oder anderen Einwand erhob gegen unseren Freund, das Atom.“ Welzers Fazit: „Überall schlägt Hype sachliche Abwägung. Die Frage, wozu man überhaupt wollen soll, was da jeweils als innovativ annonciert wird, wird nicht gestellt. Am Beispiel des autonom fahrenden Autos lässt sich sehen, wie der eigentlich überfällige Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs durch die nächste Runde von Individualverkehr ausgebremst und einer falschen Mobilitätskultur über ihr Verfallsdatum hinaus neues Leben eingehaucht wird. Das heißt: Wir brauchen statt beständiger gedankenloser Umsetzung sogenannter Innovation eine Verständigung darüber, ob man sie erstens überhaupt haben will und was zweitens ihre kollateralen Folgen sind.
Harald Welzer: Schluss mit der Euphorie, ZEIT ONLINE, 26. April 2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Regelmäßig werde ich gebeten“, so der bekannte US-amerikanische Soziologe und Historiker Immanuel Wallerstein, „vorherzusagen, wie lange er sich im Amt wird halten können. Meine Standard-Antwort lautet: von zwei Tagen bis zu acht Jahren. Diese Antwort stellt die Fragenden nie zufrieden. Sie können einfach nicht glauben, dass das eine ernsthafte Einschätzung ist. Sie sehen in Trump einen bösen Menschen und tun sich schwer damit zu glauben, dass diese Ansicht nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird, die Trump-Wähler inbegriffen.“
Wallerstein schreibt seit Jahren auf seinem Blog Kommentare zum Weltgeschehen. Seit wenigen Wochen erscheinen diese nun in deutscher Übersetzung auf der Plattform Rubikon.
Immanuel Wallerstein: Oberste Priorität in der Trump Ära: Die Suche nach einem Posten, Rubikon, 21.06.2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Bei einem Blick in die internationale Presse fällt auf, dass Kim Jong-un sehr häufig mit so wenig schmeichelhaften Adjektiven wie ‚irrational‘ oder ‚paranoid‘ beschrieben wird“, konstatiert Andrei Lankov und erinnert an folgendes: „Die meisten haben vergessen, dass die früheren Herrscher der Kim-Familie auch als ‚irrational‘ bezeichnet wurden. Man hatte ihnen empfohlen, den Beispielen der rationalen und pragmatischen kommunistischen Führer János Kádár oder Michail Gorbatschow zu folgen. Doch heute sehen wir, was mit jenen passiert ist, die als Verkörperung der Vernunft galten: Sie wurden vor langer Zeit gestürzt und im Papierkorb der Geschichte entsorgt – vergessen und verschmäht, während die Kim-Familie […] nie ihr wichtigstes Ziel aus den Augen“ verlor. „Ihr Handeln ist in erster Linie darauf ausgerichtet, am Leben und an der Macht zu bleiben. Bisher hat das perfekt funktioniert.“
Andrei Lankov: Kims tödliche Berechnung. Warum Nordkoreas Diktator Kim Jong-un kein Verrückter ist, IPG. Internationale Politik und Gesellschaft, 31.05.2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Ein ewiger Krieg. Endlos zieht er sich hin – geschürt von religiösem Fanatismus, vom Ehrgeiz einzelner Machthaber, von der Furcht vor Fremdherrschaft und wechselseitigem Argwohn. Nach und nach sind sämtliche benachbarten Mächte in den Sog der Gewalt geraten. Waffenstillstände unterbrechen dann und wann das Kampfgeschehen, doch sie scheitern allesamt. Unfassbares Leid bringt dieser Krieg, Abertausende Flüchtlinge treibt er vor sich her. Nein, nicht von Syrien ist die Rede, sondern vom Dreißigjährigen Krieg, der die deutschen Lande im frühen 17. Jahrhundert in das Schlachthaus Europas verwandelte.“ So beginnt ein Beitrag von Brendan Simms und Michael Axworthy, der der Frage nachgeht, was aus dem Prozess der damaligen Kriegsbeendigung für Ansätze und Lehren gegebenenfalls für eine Beilegung der Konflikte im Nahen Osten zu lernen wäre.
Brendan Simms / Michael Axworthy: Ein Westfälischer Friede für Nahost, ZEIT ONLINE, 10.05.2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Warum beherrschen ausgerechnet Krimiserien das öffentlich-rechtliche Fernsehen so sehr, völlig konkurrenzlos, was die Häufigkeit ihres Vorkommens im Programm und die Reichweite ihrer Wirkung angeht?“, fragt Mark Siemons und meint, dass jeder, der schon einmal „Tatort“ gesehen habe, wisse, „dass das mit einer womöglich morbiden Grundstimmung in der Bundesrepublik nichts zu tun hat und auch nichts mit einer uneingestandenen kollektiven Lust an Mord und Totschlag“. Denn im Mittelpunkt der Filme stehe ja nie das Verbrechen, sondern stets „das komplizierte Leben der ermittelnden Hauptkommissare und dessen stets neu zu erringende Stabilisierung im Beruf. Kaum verhohlen sind es Büroparabeln, mit denen die durch Gebühren finanzierten Sender da ihrem staatlichen Integrationsauftrag nachkommen.“
Mark Siemons: Berufsleben im „Tatort“. Büro und Verbrechen, FAZ.NET, 04.06.2017. Zum Volltext hier klicken.