17. Jahrgang | Nummer 21 | 13. Oktober 2014

Bemerkungen

Zweifel

Frau von der Leyen muss sich derzeit – zu Recht oder zu Unrecht – zahlreicher Beschwerden und Kritiken in Bezug auf die Mängel bei der Ausstattung der Bundeswehr beziehungsweise der Funktionsfähigkeit ihrer Rüstungsgüter erwehren. Ich muss zugeben, dass mir ihr Umgang damit – also Licht auf das Beschaffungswesen der Bundeswehr zu werfen – einen gewissen Respekt abverlangt. Das hat vorher, wenn überhaupt, so nicht öffentlich stattgefunden. Dennoch habe ich Zweifel, wenn der öffentliche Fokus auf die scheinbar unqualifizierten Beschaffer der Bundeswehr / des Verteidigungsministeriums gerichtet wird. Juristen seien nicht in der Lage gewesen, ordentliche Verträge abzuschließen, die den Staat vor Abzocke durch die Rüstungsindustrie hätten schützen können… Das erinnert irgendwie an die Erklärungen zum NSU, an all die „Pannen“ bei der Ermittlung, unfähige Kriminalisten und Verfassungsschützer. Erst jetzt kommen so langsam tiefergehende Erklärungen, wie die des Thüringer Untersuchungsausschusses, die von einer organisierten Verantwortungslosigkeit sprechen.
Bisher hat niemand die Möglichkeit, dass die Verträge mit der Rüstungsindustrie vielleicht gar nicht perfekt sein sollten, thematisiert. Vielleicht gab es auch hier so eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“, vielleicht mit freundlichen Angeboten gefördert? Nein, nein – die Juristen waren einfach unfähig.
Transparency International, die internationale Antikorruptions-NGO, hatte bereits in den 1990er Jahren auf internationaler Ebene untersucht, welche Bereiche von Staat und Wirtschaft besonders korruptionsanfällig seien. Ganz vorn lagen Großprojekte des Staates, die Begehrlichkeiten auf Seiten der Unternehmen weckten und Bestechungen als bewährtes Mittel der Auftragsgewinnung erscheinen ließen. Unter der Großprojekten wiederum waren Rüstungsprojekte prominent – schon aufgrund der durch „nationale Sicherheitsinteressen“ begründeten Geheimhaltung von Ausschreibungsdetails. Aber in Deutschland ist das ganz sicher anders als anderswo auf der Welt… Es wäre schon nicht schlecht, da mal genauer hinzuschauen.

Margit van Ham

Film ab

Der neue Streifen von David Fincher, dessen Originaltitel viel treffender ist als der eher irreleitende deutsche Zusatz „Das perfekte Opfer“, ist überambitionierten Eltern nur dringlich zu empfehlen – als abschreckendes Beispiel dafür, was dabei herauskommen kann, wenn der eigene Nachwuchs rücksichtslos als Kinderstar vermarktet wird. Die Langzeitfolgen können im Wortsinne tödlich sein. Daneben wird das Werk gewiss in der Paartherapie Verwendung finden: Ein Happyend für Mann & Frau, die nach einer existenziellen Beziehungskrise mit dramatischen zwischenzeitlichen Zuspitzungen und diversen, nun ja, Unschönheiten dann doch zusammenbleiben, kann auch die schlechteste aller Möglichkeiten sein.
Wer immer noch unter pubertär-infantiler Bewunderung des american way of life, leidet, den wird selbst David Fincher wohl kaum kurieren, obwohl er opulent bebildert, dass es sich bei demselben lediglich um eine potjomkinsche Fassade handelt, hinter der das Grauen und das Nichts über einem gähnenden Abgrund lauern. Und by the way: In der amerikanischen Mittelschicht möchte man nicht mal tot überm Zaun hängen.
Ausgemachte Fincher-Fans schließlich, die nach des Meisters jüngsten Arbeiten für die durchaus brillante Serie „House of Cards“ schon befürchtet haben mögen, der Regisseur habe seinem seit „Se7ven“ evidenten Faible für die detailverliebte Darstellung schockierender bis Ekel erregender Tatorte und Handlungen endgültig entsagt, werden sich bestätigt sehen – allerdings nur etwa bis zur, gefühlt, 125. von 145 Minuten. Dann kommen sie voll auf ihre Kosten, und das ist wahrlich nichts für zarte Nerven. Wer aber als Zuschauer in keine dieser vier Kategorien gehört, der kann sich „Gone Girl“ auch einfach als abwechslungsreich konstruierten, spannenden Thriller mit einigen Handlungsvolten ansehen, mit denen nicht unbedingt zu rechnen ist. Dass die männliche Hauptrolle dabei mit Ben Affleck besetzt ist, sollte niemanden vom Kinogang abhalten, denn Affleck tut zwar das, was er am besten kann: grottenschlecht schauspielern. Aber da er fast permanent einen Mann zu geben hat, der in der Öffentlichkeit als ein ganz anderer rüberkommen will, als er ist, passt das Unglaubhafte seiner Schauspielerei hier kongenial zur Rolle. Man nimmt ihm den gemimten besorgt-geläuterten Gatten einfach nicht ab.

Clemens Fischer

„Gone Girl – Das perfekte Opfer“, Regie: David Fincher; derzeit in den Kinos

Oktober

von Renate Hoffmann

Herbstluft
Asternduft
Vogelzug
Wein im Krug.
Blätterwonne
matte Sonne.
Regenschauer
Leise Trauer …

Gar nicht beachten –
bald ist Weihnachten!

Der Wendriner unter und in uns

Wer Kurt Tucholsky je mit Herz und Verstand verfallen ist, kennt jenen Herrn Wendriner, dem Tuchos alter ego Kaspar Hauser in der Weltbühne eine allemal rühmliche Heimat verschafft hatte. Jener Herr Wendriner, der sozusagen als dessen Abziehbild dem klassischen – und nicht nur Berliner – Spießbürger den Spiegel vorhielt. Jenen kleinbürgerlichen Typus, der im Grunde dumm ist „wie Stulle“, um im hauptstädtischen Jargon zu bleiben, der aber allweil und über alles lautstark und pseudophilosophisch zu räsonieren weiß: Selbstbewusste Dummheit – wie Dummheit eigentlich immer selbstbewusst ist. Amüsierend für nicht ganz so schlichte Gemüter, solange jedenfalls solcherart Dummheit nicht irgendwann staatstragend wird und die Wendriners also nicht als nährender Bodensatz für noch weitaus Schlimmeres dienen. Früh schon gab es das seitens der verlegerisch tätigenden Witwe von Tucholskys früh verstorbenem Freund und Mentor, dem Weltbühnen-Begründer Siegfried Jacobsohn, betriebene Projekt, die Wendriner-Texte in einer gesonderten Ausgabe zu publizieren, was indes scheiterte. Dem Engagement der Literaturwissenschaftler Peter Böthig und Carina Stewen, letztere im Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum Schloss Rheinsberg tätig, ist es zu danken, dass die 16 Wendriner-Texte aus den Jahren 1922 bis 1926 sowie fünf über Tucholskys ähnlich bekanntes Lottchen nun in einer kleinen aber feinen Edition gedruckt vorliegen – zeitlich passend zum bevorstehenden 125. Geburtstag Tucholskys. Erhellend und erheiternd zugleich ist der ebenfalls beigegebene Briefwechsel zwischen Edith Jacobsohn und Tucholsky, der sich um das seinerzeitig angedachte Buchprojekt rankt.


Petra Rudloff

Kurt Tucholsky: Herr Wendriner und das Lottchen, Verlag für Berlin und Brandenburg, Berlin 2014, 96 Seiten, 14,99 Euro.

Der große Herr und der Philosoph

Ein großer Herr, der einst in müß’ger Stunde
mit einem Weisen allerlei besprach,
sagt’ ihm: „Du kennst die Welt doch aus dem Grunde,
und dir liegt alles offen wie der Tag.
So gib mir Kunde,
wie’s kommt, daß, was wir immer gründen,
Akademien, Tribunale, Kunstverbände,
sofort, wenn trocken kaum die Wände,
die ärgsten Ignoranten sich drin finden?
Gibt es dagegen keinen Bann?“ –
„Ich glaube kaum“, versetzt der weise Mann,
„mit solchen Körperschaften, nur ich sag’s nicht laut,
ist’s wie mit Häusern, die von Holz gebaut.“ –
„Wie das?“ – „Ja, sieh, ich habe jüngst eins aufgeführt,
und ehe ich noch selber es bezogen,
da hatten längst schon, ungelogen,
die Schaben sich drin einquartiert.“

Iwan Krylow

Brass – par excellence

Einmal mehr brachten sie den Saal zum Kochen. Dieses Mal nicht im Berliner Ensemble sondern im Admiralspalast: Mnozil Brass – die sieben gnadenlos schrägen und virtuosen Blechbläser aus Wien, seit 2012 mit ihrem Programm „Happy Birthday“ auf Jubiläumstour. Was 1992 einmal im Monat als lose Musikantenstammtisch-Spielerei von Musikstudenten jeglicher Couleur in der Schankstätte von Josef Mnozil im Ersten Wiener Bezirk – quasi vis-à-vis der dortigen Dependance der Universität für Musik und darstellende Kunst auf der Wiener Seilerstätte – begann, hat sich schnell zum formidablen Konzertbetrieb mit heute bis zu 130 Auftritten pro Jahr gemausert. Die fanden auch schon in Russland, China, Japan, Kanada und anderen Ausländern statt.
Gespielt wird angewandte Blechmusik für alle Lebenslagen – von Pop über Volksmusik bis Klassik. Kein Ton ist zu hoch, keine Lippe zu kess, keine Musik zu trivial oder zu anspruchsvoll, um nicht eine großartige Performance daraus zu improvisieren. So wirkt es jedenfalls, denn gespielt wird grundsätzlich ohne Noten. Wobei jeder Ton sitzt. Dieses Mal zweieinhalb Stunden lang – mit nur einem Päuschen. Und spielen tun diese: an der Trompete – Thomas Gansch, Robert Rother, Roman Rindberger; an Basstrompete und Posaune – Leonhard Paul; ebenfalls an den Posaunen – Gerhard Füssl und Zoltan Kiss sowie an der Tuba – Wilfried Brandstötter. Bisher geblasen und gesungen (!) wurden gefühlte 1.934 Konzerte und dafür mindestens 14.821.613,4 Kilometer zurückgelegt sowie an die 10.003 Wurstsemmeln verzehrt. Hektoliterweise wurden dazu sprudelnde, vergorene, gebrannte und gebraute Flüssigkeiten getrunken und zu etwa 50 Prozent sofort wieder aus den Instrumenten auf diverse Bühnenböden verklappt – CO2-neutral, nämlich in Form von Kondenswasser.
Was die Konzerte von Mnozil Brass so einzigartig macht, ist nicht zuletzt ihre geniale Komik. Ausgefeilt bis ins Letzte. Vergleichbar Spitze war bisher eigentlich nur Monty Python. Einige ältere, teils äquilibristische Kabinettstückchen waren jetzt, wie es sich für ein Jubiläumskonzert gehört, wieder einmal dabei – etwa das Flötensexstett, der gehabte Kamerad und die schwebende „Jungfrau“.

Hans-Peter Götz

Tourneetermine im Internet.

WeltTrends aktuell

Schottland hat gewählt – und sich gegen die Unabhängigkeit entschieden. Für den November ist ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens geplant. Der Nationalstaat, wie wir ihn kennen, wird auch hier in Westeuropa, von wo er vor zirka 600 Jahren seinen globalen Siegeszug begonnen hatte, zunehmend zur Disposition gestellt. Die aktuelle Ausgabe von WeltTrends diskutiert Ursachen und Chancen dieses „neuen“ Sezessionismus. Fallstudien widmen sich den Entwicklungen in Südtirol, Flandern und Schottland sowie Quebec. Auch um Pro und Kontra zur Unabhängigkeit Kataloniens geht es.
In Fortsetzung der Debatte über die deutsche Außenpolitik folgt in der Rubrik Weltblick der Offene Brief ehemaliger Pfarrerkollegen an Bundespräsident Joachim Gauck, in dem sie sich kritisch mit dessen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz auseinandersetzen.
Weitere Beiträge thematisieren den Vertrag über die Eurasische Wirtschaftsunion zwischen Belarus, Kasachstan und Russland sowie den Beginn der Regierung Modi in Indien. In der Analyse wird die Rolle der OSZE in der Ukrainekrise diskutiert, und Sergey Birukov untersucht Probleme der Transformation in Russland.

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WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 98 – September / Oktober 2014 (Schwerpunktthema: Nation sucht Staat), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet: www.welttrends.de.

Aus anderen Quellen

Dmitri Trenin, der Direktor des Moskauer Carnegie-Zentrums, hat für die Haltung Russlands gegenüber dem Westen folgende Prognose abgegeben: „Im Kern sieht der Kreml Russlands Zukunft getrennt vom übrigen Europa. Wladimir Putins Vorschlag für einen größeren europäischen Wurf von Lissabon bis Wladiwostok […] ist […] von seinem Autor endgültig zurückgezogen worden. Stattdessen will Russland sich weitgehend auf seine eigenen Kräfte stützen, während es danach strebt, seine Wirtschaft zu entwickeln, sein politisches System zu konsolidieren und starke Streitkräfte aufzubauen.“ Dies zitiert Ottfried Nassauer, um dann die Ursachen für diese Trendwende und die Gefahren der gegenwärtigen Konfrontation zwischen der NATO und Russland aufzuzeigen.
Otfried Nassauer: Russland und die NATO – Zu den Auswirkungen der Ukraine-Krise, spw: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Nr. 203/2014. Zum Volltext hier klicken.

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Die Linke definiert sich als „eine ‚Friedenspartei‘ ist, die sich dem Gebot der Gewaltfreiheit unterstellt und daraus ihr ‚Engagement gegen militärische Logiken im Umgang mit Konflikten‘ ableitet“, schreibt Michael Jäger. Und: „Dieser negativen Bestimmung steht als positive nur gegenüber, dass ‚Konfliktursachen‘ im Vorhinein aus der Welt geschafft werden müssen.“ Die Linke erachte „soziale wie ökonomisch und ökologisch nachhaltige Bedingungen als Voraussetzung für dauerhafte friedliche Entwicklungen“. Was aber, so fragt der Autor, „verstehen die allermeisten Parteimitglieder unter ‚ökonomisch nachhaltigen Bedingungen‘ […], wenn nicht das Ende des Kapitalismus?“ Das ist allerdings allem linken Engagement zum Trotz kurzfristig nicht zu erwarten: „Deshalb würde man gern auch lesen, wie in einer vorläufig bestehenden Welt der Kriege selbst dann für Frieden gesorgt wird, wenn klar ist, dass ein Krieg vielleicht nur vertrieben werden kann, seine Rückkehr aber nicht auszuschließen ist. […] wenn vielleicht nichts möglich ist, als den schon eingetretenen Übergang von der Ursache zur Kriegswirkung rückgängig zu machen. Was heißt ‚Engagement gegen militärische Logiken im Umgang mit Konflikten‘, wenn sich der Konflikt der Hutus und Tutsis in einem Völkermord entlädt, der nicht nur Ursachen hat, sondern schon stattfindet?“
Michael Jäger: Weil sie uns befehlen zu helfen, der Freitag, 10.09.2014. Zum Volltext hier klicken.

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„Im Gegensatz zu Europa“, vermerkt Svenja Blanke, „wurden die meisten südamerikanischen Länder im letzten Jahrzehnt von linken Parteien bzw. von Parteien mit einer progressiven Agenda regiert. Die Sorgen der Gesellschaften Lateinamerikas kreisten nach dem Privatisierungs- und Flexibilisierungsprogramm der neoliberalen Ära um die soziale Frage. 2014 ist nun ein wichtiges Wahljahr, und in Ländern wie Brasilien, Bolivien und Uruguay wird über die Zukunft der Linken an der Regierung entschieden.“ Um Systemsturz geht es dabei offensichtlich nicht, aber um den „ewigen“ Versuch des Systemwandels im Rahmen der bestehenden Ordnung allemal: „Die lateinamerikanischen Kritiker sind sich einig: Die Bändigung und Ordnung des Marktes und die Schaffung öffentlicher Güter, die Grundthemen der sozialdemokratischen Tradition, sind aktueller denn je.“
Svenja Blanke: Das Denken der Anderen. Argumente und Positionen progressiver Think Tanks aus Lateinamerika, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 08.09.2014. Zum Volltext hier klicken.

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Im DGB gab es in seinen Anfangsjahren, wer weiß das heute noch oder würde es auch nur vermuten, kämpferische Linke, die vor grundsätzlicher Systemkritik nicht zurückschreckten. Die DGB-Führung, aber auch die SPD reagierten mit Ausgrenzung, der Staat gar mit Strafverfolgung. Einer dieser Linken war Viktor Agartz, an den Rudolf Walther erinnert: „Seinen wichtigsten und zugleich wohl auch folgenreichsten Auftritt hatte“ Agartz „vor 60 Jahren auf dem DGB-Bundeskongress […] 1954“; er spricht „dort über das neue Aktionsprogramm der deutschen Gewerkschaften und reiht nicht einfach Forderungskataloge aneinander, sondern beurteilt schonungslos die Lage: Gewerkschaften und Linke hätten im Kampf um den Neuaufbau von Wirtschaft und Gesellschaft schon fünf Jahre nach Gründung der Bundesrepublik verloren. […] Agartz nennt die Währungsreform von 1948, die für viele der Grundpfeiler für das Wirtschaftswunder ist, eine ‚kapitalistische Expropriation‘, die Rentner und Sparer mit ihren Guthaben ungerührt zur Kasse gebeten, Besitzer von Häusern oder anderen Sachwerten aber geschont habe. […] Im Gegensatz zur Mehrheit der führenden deutschen Gewerkschafter sieht Agartz in der Mitbestimmung keine sakrosankte ‚Lehre‘. Die Sozialpartnerschaft von Kapital und Arbeit ist für ihn kein erstrebenswertes Ziel. Agartz warnt vor den Illusionen von ‚betrieblicher Sozialpolitik‘ und ‚Gewinnbeteiligung‘, mit denen Interessengegensätze nur verschleiert, die Solidarität der Arbeitenden untergraben und ‚Betriebsegoismus‘ gefördert würden.“
Rudolf Walther: Verdrängt, verfemt, der Freitag, 01.10.2014. Zum Volltext hier klicken.

Blätter aktuell

Eine Gesetzgebung, die die Wahlteilnahme gezielt erschwert, horrend teure Wahlkämpfe, die Kandidaturen nur den Begüterten ermöglichen, sowie schlimmste mediale Diffamierungen politischer Gegner: Diese beunruhigenden Entwicklungen prägen den gegenwärtigen Zustand der US-amerikanischen Demokratie. Der Publizist und Washington-Korrespondent der US-amerikanischen Wochenzeitschrift The Nation, John Nichols, diagnostiziert deren Niedergang und fordert einen Kurswechsel – durch einen zivilgesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Aufbruch.
Das aktuelle Säbelrasseln zwischen Russland und der Nato im Ukrainekonflikt ruft immer wieder Erinnerungen an den Kalten Krieg hervor. Allerdings würden vorschnelle Analogien den realen Kriegsgefahren der frühen 80er Jahre nicht gerecht, so der Historiker Bernd Greiner. Damals schürten beide Seiten extreme Kriegsangst, und tatsächlich konnte eine nukleare Konfrontation nur knapp vermieden werden. Eine Lehre aus dieser Zeit bleibt dagegen brandaktuell: Zur Abwendung der direkten Konfrontation gibt es nur ein Mittel – das der Kommunikation zwischen den Konfliktparteien.
Herbert Marcuse war der wohl wichtigste intellektuelle Vordenker der Studentenrevolte – von Linken verherrlicht, von Konservativen verteufelt. Heute, da sein bekanntestes Werk „Der eindimensionale Mensch“ 50 Jahre alt wird, ist Marcuse relevanter denn je – so die Ansicht des US-amerikanischen Historikers Eric D. Weitz. Staatliche Massenüberwachung und privatwirtschaftliche Datensammlung machten seine Warnungen vor einem liberalen Totalitarismus und vor der unterdrückenden Macht technologischer Rationalität brandaktuell.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Frankreich à la Schröder?“, „Klaus Johannis: Rumäniens ‚deutscher Retter‘“ und „Rechtsextreme Frauen: Verharmlost und verkannt?“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Oktober 2014, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Die Müll-Ecke

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Der Berliner Senat will Freiheits-Luftballons (von innen beleuchtet und ökologisch abbaubar) aufsteigen lassen. Er denkt nicht darüber nach, dass die auch – wenn sie beim Aufsteigen platzen – ein treffliches Symbol für geplatzte Hoffnungen und Träume sein können. Jedenfalls sucht er jetzt „Ballon-Paten“. Sicherheitshalber hat er „Paten-Pakete“ an Kirchen, Medien und Schulen (Kinder machen sich immer gut) verteilen lassen. Die verteilen weiter. Jeder Pate darf einen Zettel mit seinem „persönlichen Traum von Freiheit“ anbinden, auch „Teilungsgeschichten“ sollen erzählt werden. Was denn nun? Um peinlichen Dingen vorzubeugen dürfen nicht alle mitmachen: „Wir behalten uns vor, Ballonpaten von der Teilnahme auszuschließen, wenn es Grund zu der Annahme gibt, dass der Teilnehmer seine Aufgabe nicht ordnungsgemäß ausüben kann oder dass er den Ablauf der Veranstaltung stören könnte.“ Wie das? Aus „organisatorischen Gründen“ gibt es eine Anmeldefrist. Wird die für eine Regelanfrage bei der Jahn-Behörde oder beim Staatsschutz gebraucht? Sicherheitshalber gibt es am Tag des Ballonaufstieges auch noch Strecken- und Gruppenleiter. Das kennen Ältere noch von der FDJ: Die hatte zu den diversen Events immer Zehnergruppenleiter. Jetzt werden es wohl Sechsergruppen, man ist vorsichtiger geworden. Aber eines beruhigt immerhin. Die Lottostiftung hat 1,9 Millionen Euro für die Kautschukkugeln locker gemacht. In Worten: eine Million, neunhunderttausend Euro. Von wegen, Berlin habe kein Geld! Im Berliner Festzelt zu den Hannoveraner Einheitsfeiern am 3. Oktober soll es Currywurst mit Blattgold gegeben haben. Blattgold ist bekanntlich geschmacklos…
Mit dem Feiern hat es auch der regierungsferne RBB: Am 9. November lädt der für den „symbolischen Eintritt“ von nur 25 Euro in den Potsdamer „Lindenpark“ zur „Deutschen Rocknacht“. Uff! Deutsche Rocknacht! Allerdings ist es gut, dass der Mauerfall erst 25 Jahre her ist. Man stelle sich vor, die wäre schon vor 100 Jahren gefallen… Die Einheit wird von Jahr zu Jahr teurer! Jedenfalls wirbt der Sender fleißig in allen Programme für seinen Event. Auch der unvermeidliche Heinz Rudolf Kunze wird als Zeitzeuge dabei sein: „Tolle Musiker sind auf der Bühne“, ließ er über mein Küchenradio verlauten. Kunzes Zeitzeugentum? Am 9. November trat HRK im Stadttheater Würzburg auf. Allerdings schon 1980. Aber das macht nichts. Der Musikredakteur meines Senders muss jedenfalls ein Witzbold sein. Nach dem Kunzeschen Eigenlob („toller Musiker“) ging Ulla Meineckes „Wir passen nicht zusammen“ in der Äther. Ohne Kommentar. Ich lobe den Moderator. Meinecke wird bei der „Deutschen Rocknacht“ auch dabei sein. Weshalb hat der Sender eigentlich die ebenso wie der Herr Kunze für den Dudel-Funk unverzichtbare Sentiment-Röhre Nena nicht mit eingeladen? Die hat doch ein für diesen Abend passendes Luftballon-Lied…

Günter Hayn