28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 2025

Bemerkungen

Mosaik im Sturm der Zeiten

2025 ist ein wichtiges Jubiläumsjahr der Comic-Hefte in der DDR. Seinerzeit war der amerikanische Begriff verpönt, setzte sich aber nach und nach für die Bildergeschichten, die mitunter auch die typischen Sprechblasen verwendeten, durch. Um dem hinter den DDR-Grenzen grassierendem Trend etwas entgegenzusetzen, wurde 1955 im Verlag Neues Leben die Zeitschrift Mosaik aus der Taufe gehoben. Konzipiert wurde sie auf eigene Faust vom Grafiker und Pressezeichner Johannes Hegenbarth, der in den Zeitschriften Frischer Wind, Magazin und Eulenspiegel unter seinem Vornamen Johannes veröffentlicht und für den Staatlichen Altstoffhandel die Werbefigur „Rumpelmännchen“ geschaffen hatte. Er rannte damit offene Türen ein.

Anfangs erschien das Mosaik von Hannes Hegen vierteljährlich und nutzte auch antropomorphe Tierfiguren, ähnlich wie im Micky-Maus- oder Fix-und Foxi-Heft. Doch die drei Gnome Dig, Dag und Digedag, kurz die Digedags genannt, wurden die Lieblinge der Leser. Hannes Hegen, dem bald der Autor Lothar Dräger zur Seite stand, ließ seine Helden Abenteuer etwa im alten Rom, im Weltall, bei Erfindern der Gründerjahre und im Mittelalter erleben. Wie es zum Bruch mit dem Verlag kam – mittlerweile war das Mosaik zum FDJ-Verlag Junge Welt gewechselt – ist mittlerweile in einer Vielzahl von Büchern nachzulesen. Mir scheint das gerade in vierter, nochmals erweiterter und aktualisierter Neuauflage erschienene Werk des Salzwedeler Pfarrers Matthias Friske die Vorgänge am plausibelsten zu erklären. Lothar Dräger entwickelte gemeinsam mit Zeichnerin Lona Rietschel neue Gnome, die Abrafaxe, die Ende 1975 (weiteres Jubiläum!) an die Öffentlichkeit traten und noch immer existieren.

Hannes Hegen (Hegenbarth), dessen Digedag-Geschichten später auf Defa-Dia-Filmen und seit den neunziger Jahren als Nachdrucke im Tessloff-Verlag erschienen, wäre im Frühjahr 100 Jahre alt geworden und hat, bevor er im 90. Lebensjahr starb, seinen Vorlass dem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig übereignet. Hier wurde das Werk akribisch ausgewertet und stand im Mittelpunkt von Ausstellungen. Mit Hilfe der großen Fan-Szene stellt das Forum jetzt eine neue Exposition vor, die nicht nur vom fast enzyklopädischen Wissen Hegens (und seinem Side-Kick Dräger), sondern auch der Arbeit von Frau Edith Hegenbarth zeugt, die viele der Figurinen entworfen hat.

Fünfzehn Jahre lang in der DDR, und ab 1991 in dem neu gegründeten Verlag Mosaik – Steinchen für Steinchen (der Namenszusatz erinnert an einstige Heftbeilagen) reisten die Abrafaxe durch Raum und Zeit. Wechsel erfolgten wie durch Zauberkraft, und damit entstand der längste Comic-Roman der Geschichte. Momentan ist diese Kontinuität im Jubiläumsjahr unterbrochen. Jeden Monat wird eine neue Geschichte erzählt. Es begann mit Till Eulenspiegel, der aus gutem Grund aussieht wie Winfried Glatzeder, der Lieblingsschauspieler einer alten FDJlerin namens Angela Merkel.

Das aktuelle Heft „Die Fehde“ widmet sich der Gründerzeit der heutigen deutschen Hauptstadt, also vor etwa 850 Jahren. In der Nähe von Spandau tobt eine „besondere Kampfoperation“ zwischen dem Wendenfürst Jacza von Copnic (später Köpenick) und dem Askanierfürsten Albrecht der Bär. Die Abrafaxe können einen Krieg verhindern, indem sie ihm schmeicheln, so dass die neu gegründete Siedlung „Bärlin“ nach ihm benannt wurde. Leider stehen die Freunde nicht im Mittelpunkt der vom langlährigen Autor Jens U. Schubert entwickelten Handlung. Sprachlich ist er nicht immer sicher. Sagte man damals „Cousine“, nicht „Base“? Egal! Auch wenn der Endlos-Comic-Roman unterbrochen ist, können neue Fans gerade jetzt sehr gut einsteigen.

F.-B. Habel

Matthias Friske: Die Geschichte des „Mosaik von Hannes Hegen“. Lukas Verlag, Berlin 2024, 181 Seiten, 19,80 Euro.

Mythos Mosaik? Hannes Hegen, sein Werk und die Fans. Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, bis 31. Mai 2026.

„Die Fehde“, Mosaik 597 (September), 52 Seiten, 3,65 Euro.

 

Sommerausklang

von Renate Hoffmann

Warme Winde wehen.

Es färben sich die Schlehen.

Weiße Wolken wandern

von dem einem Ort zum andern.

Hafer stehet hoch im Halm.

Die Herden sind noch auf der Alm.

Reift etwa schon die Traube?

Allein, mir fehlt der Glaube!

 

Die Stare und die Schwalben,

sie drängen allenthalben.

Hört ihr Lieben, hiergeblieben,

zum Reisen ist es viel zu früh,

das ferne Ziel erreicht ihr nie.

 

Es sömmert doch noch überall,

man sieht auch keinen Blätterfall.

Wenn‘s herbstelt bleibt noch Zeit genug,

verschiebt mal euren großen Flug.

Verzehrt in allen Ehren

vom Holunderbusch die Beeren,

und keiner braucht mitnichten

auf diese Köstlichkeit verzichten.

 

Sicher ist, das weiß ein Jeder,

im nächsten Jahr, da sömmerts wieder.

(Und sollte was dazwischenkommen,

so wird es eben hingenommen.)

 

Das Wettern der Woche: Plastik im Hirn

Gratulation! Wir haben jetzt nicht nur Plastik im Meer, im Fisch, im Salz – wir haben es im Kopf. Unser Gehirn, manchmal größer, manchmal kleiner., also das Ding, mit dem wir denken, fühlen, handeln, ist mittlerweile mit Polyethylen versetzt. Studien zeigen: In den letzten Jahren hat sich die Plastikmenge im Hirn verdoppelt. Wir sind die erste Spezies, die ihren eigenen Verstand in Plastik einwickelt. PFAS, fass!

Während wir langsam zum Sondermüll auf zwei Beinen werden, mühen sich die Vereinten Nationen um ein weltweites Abkommen – und scheitern. Die Geld- und Plastikmacher blockieren ein globales Abkommen. Ergebnis: Kein Schutz für die Meere, kein Schutz für uns, kein Schutz für die Kinder, die schon mit Mikroplastik im Blut zur Welt kommen. Das ist ein Verbrechen – nicht weniger.

Jede Minute kippen wir weltweit 21.000 Kilo Plastik in die Ozeane. Jede Minute! In Deutschland alleine 300.000 Tonnen Mikroplastik pro Jahr. Es kommt nicht zurück. Es zerfällt, es vergiftet, es tötet – Tiere, Natur, uns. Und die Politik? Die verbietet Plastikstrohhalme. Toll. Währenddessen sind Brot und Shampoo, Chips, Fleisch, Käse und Konsumenten dreifach eingewickelt.

Nu ja ja, nu ne ne, tät‘ jetzt meine Omi Glimbzsch in Zittau rufen. „Das is doch alles keen Zufall, das is bolitisches Kalkühl!“. Es ist so oder so das Ergebnis der „schlafenden Gesellschaften“ (Oskar Negt), die wir wach zu küssen haben. Es ist das und Ergebnis raffinierter, schlauer Lobbyarbeit. Das Recherche-Netzwerk Correctiv nennt es brainwashing, Gedankenkontrolle, Bewusstseinskontrolle oder Mind Control – ein hervorragend funktionierendes Konzept zur psychologischen Manipulation.

Wir trennen weiter Müll, wettern wöchentlich gegen Kapitalismus und Kriege, streiten über die korrekte Beurteilung völkermordender Staaten und setzen auf Strohhalme. Schade, dass sich die Forschung so selten übers Ohr hauen lässt. Sie pocht darauf: Plastik setzt sich in Blutgefäßen fest, erhöht Schlaganfall- und Herzinfarktrisiken, lagert sich in Gehirnen von Demenzkranken ab, selbst in meinem. Und PFAS ist nicht abbaubar. Kurz: Es macht uns krank und dumm. Aber Hauptsache, die Kohle stimmt, die Dividenden sprudeln. Wenn’s blöd läuft, landen wir alle mit Polyethylen oder sonstewas im Koppe im Pflegeheim – nur dass es dann keine Pflegerinnen mehr gibt, weil auch die krank sind. Die Pfleger auch.

Es sind Gesetze, Verträge, Subventionen, die dieses System weltweit am Leben halten. Sie können geändert werden.

Peter Grohmann

Krokodilstränen

Seit einigen Jahren kommt es vermehrt zu Vandalismus an und in katholischen wie evangelischen Kirchen: gezielte Verschmutzung, aufgebrochene Opferstöcke, zerbrochene Kerzen, zerstörte Bildwerke, beschädigte Altäre. Für den Sprecher der katholischen Bischofskonferenz sind das nicht mehr nur dumme Streiche, sondern gezielte Angriffe – damit dürfte er recht haben. Recht haben dürfte er auch damit, dass für viele Kirchgänger solche Zerstörungen mehr sind als bloße Sachbeschädigungen: In religiösen Bildwerken, an den Orten des Sakramentsempfangs wie Altar und Taufstein manifestiert sich das Heilige in der alltäglichen Welt, wird das Unendliche im Endlichen erfahrbar. So jedenfalls empfinden es viele Gläubige in der katholischen wie in der evangelischen Kirche, und zwar unabhängig davon, wie es die jeweilige theologische Lehrmeinung sieht. Auch eine Sprecherin der Evangelischen Kirche in Deutschland – so die Welt – schmerzt es dementsprechend, wenn Kirchen beschädigt werden: „Denn das trifft nicht einfach Mauern und Steine, es trifft vor allem die Glaubenden, die sich dort geborgen fühlen.“

Die Dame sollte weniger vollmundig reden. Sie sollte sich vor allem in ihrer eigenen Kirche umschauen, wie pietätlos man dort mit Altären und zentralen Bildwerken umgeht, wenn eine Kirche aufgegeben wird. Ich nenne allein aus meiner Heimatstadt Wuppertal – ehedem Hochburg evangelischer Erweckung – drei Beispiele:

Im Jahre 2016 wurde die Michaelskirche im noblen Briller Viertel abgerissen; dabei wurde die überlebensgroße Christusfigur über dem Altar vor aller Augen durch einen Bagger zerstört. Als ein Bild von der zertrümmerten Figur in der regionalen Tageszeitung erschien, war die Empörung groß – die Gemeindeleitung reagierte verhalten und wies auf die bilderkritische Tradition im reformierten Protestantismus hin, in der diese Kirche, einst von einer lutherischen Gemeinde erbaut, freilich gar nicht verortet war.

Im vergangenen Herbst wurde die zweitälteste evangelische Kirche im Stadtteil Elberfeld aufgegeben; vor einigen Wochen wurden Altar, Kanzel und Taufstein, allesamt aus einer Art Travertin gefertigt, abgeräumt und dabei durch die von der Gemeindeleitung beauftragte Firma zerstört. Angeblich war der Stein brüchig – wer sich aber die Stelle anschaut, wo die Kanzel stand, sieht, mit welcher Brutalität hier vorgegangen wurde. Steinmetze – die für solche diffizilen Unternehmungen doch wohl zuerst in Frage kommenden Fachleute – können es anders.

Die Christusfigur über dem Altar dieser Kirche – eine kleinere Fassung des Christus in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche vom selben Bildhauer – wurde immerhin in eine andere Kirche der Gemeinde verbracht und ersetzt nun hinter deren Altar eine ebenfalls überlebensgroße Darstellung von geringerem künstlerischem Wert. Diese letztere Figur wurde allerdings beim Entfernen von ihrem alten Platz zerbrochen – aber auch an diesem Christus hingen die Herzen von Menschen, die davor seit mehr als sieben Jahrzehnten gebetet hatten. Auf ihre Nachfragen erhalten sie die Antwort, die Figur sei nun woanders. Das Foto der zerstörten Figur wurde mir nur hinter vorgehaltener Hand gezeigt.

Solange die Kirche selbst, unbekümmert um die Gefühle ihrer Gläubigen, derartigen Vandalismus in ihren Sakralräumen betreibt, sollten ihre Vertreter ihre scheinheilige Betroffenheitslyrik mäßigen: Das sind Krokodilstränen.

Hermann-Peter Eberlein

 

Gereimte Ungereimtheiten aus Regierungskreisen

von Rainer Rönsch

Wenn manche Kleinstrentner darben,

dann nur, weil sie noch nicht starben.

Von den Rentenmoneten

kaufen wir jetzt Raketen,

für die die Amis so warben.

 

Die Rente, die muss sich lohnen.

Einigt euch, Generationen!

Nur lasst die Reichen in Ruhe!

Die öffnen nie ihre Truhe,

weil wir sie von oben schonen.

 

Man evakuiert Leute für Stunden,

werden alte Bomben gefunden.

Man sucht noch viele,

doch auch neue Ziele – 

ob „Kriegstüchtige“ jemals gesunden?

 

Elfenbeauftagte, Trolle und Geysire

Der Autor dieser Gebrauchsanweisung für Island ist nicht nur Sohn deutsch-isländischer Eltern und lebt(e) immer wieder in Island, sondern hat bei seinen Ahnenrecherchen auch festgestellt, dass er von dem legendär erfolglosen norwegischen König namens Harald dem Barfüßigen abstamme.

In das vorgelegte Buch fliesen daher nicht nur zahlreiche Fakten und Erläuterungen zu geschichtlichen Ereignissen ein, sondern auch Beschreibungen vieler persönlicher Erlebnisse und Gespräche, die gleichfalls Aufschluss über Mentalität und Wertvorstellungen der isländischen Bevölkerung geben. Sie leben in einem Land, das es eigentlich nicht geben dürfte, und sind ein Volk, das längst hätte evakuiert werden sollen. Alle vier, fünf Jahre bricht ein Vulkan aus.

Das Land hat keine Nachbarländer und sei auch nicht mit anderen Vulkaninseln vergleichbar. Die Sprache habe sich über 700 Jahre kaum verändert (es gibt auch keine Grabenkämpfe um die „richtige“, politisch korrekte Sprache), so dass man heute noch die alten Sagas lesen könne und alle duzen sich nach wie vor, auch den Präsidenten. Nur wenige Dörfer hätten eine Dorfkneipe, aber alle dafür ein Schwimmbad. Vom Flughafen Keflavik gibt es einen Bustransfer zur blauen Lagune.

Die Isländer haben nicht nur eine ausgeprägte Nachbarschaftshilfe (man ordert in der Regel keinen Handwerker, sondern forscht in seinem Bekanntenkreis, wer notwendige Arbeiten beherrscht), sondern auch einen ausgeprägten Nationalstolz. Deshalb werden u.a. weiterhin Wale gefangen, weil man sich vom Ausland nicht bevormunden lassen will.

Ausführlich beschrieben werden sowohl die Wege zur Unabhängigkeit Islands, als auch die Wege aus der Finanzkrise. Ebenso erwähnt werden typische Gerichte, wie Schafshoden und Trinkgewohnheiten. Bier war bis 1915 verboten. Das Verbot wurde auf eine Weise zu Fall gebracht, mit der niemand gerechnet habe – durch die Einführung des alkoholfreien Bieres. Die Menschen hätten es wie verrückt gekauft und zwei Schnäpse hineingeschüttet. Der folgende hässliche Kater nach diesem Gepansche habe die Regierung dazu gebracht, das Bier zu legalisieren. Skál!

Viola Schubert-Lehnhardt

Kristof Magnusson: Gebrauchsanweisung für Island. Piper Verlag,  München 2025, 205 Seiten, 16,00 Euro.

 

Die Macht des Systemischen …

… gebiert ja oftmals Ungeheuerliches. Zur Zeit ist dies mal wieder gut zu beobachten. Denn das „System Zeitenwende“, das ein Redenschreiber für und mit Herrn Olaf Scholz auf die Agenda gesetzt hat, feiert allenthalben schreckliche Urständ und nimmt uns tagtäglich den Atem. Die Flagge, die dafür als Erkennungsmerkmal gehisst wurde, heißt „Kriegstüchtigkeit“. Sie flattert allem voran, was derzeit von der politisch-wirtschaftlichen Elite unserer Republik ins militaristische Auge gefasst wird.

In diesem systemischen Kontext kommen die seltsamsten Blüten zum Vorschein und ein überholt oder altbacken scheinender Vers aus Schillers Glocke macht urplötzlich wieder nachdenklich. Er lautet: „Da werden Weiber zu Hyänen!“

Heutzutage eigentlich eine in jeder Hinsicht unwoke Aussage. Doch schaut man sich die Wirklichkeit um uns herum an, kommen einem viele Fragen angesichts dieser ganz bestimmt auf dem Index der Wokeness stehenden Aussage.

Die „Hyänerei“ nahm so richtig Fahrt auf mit der ehemaligen Außenministerin Annalena Baerbock, die im Rahmen einer von ihr so postulierten „feministischen Außenpolitik“ alles daran setzte, kriegerisches Gehabe und entsprechendes Gerede in die Welt zu setzen statt friedenspolitischen Initiativen den Vorrang zu geben. Sie setzte sich fort mit der „Kriegsoma“ Agnes Strack-Zimmermann, die keine Gelegenheit ausließ, Kriegstüchtigkeit zu ihrem Wappenemblem zu machen und sie ist bis heute ungebrochen zu verfolgen in der permanent eurobellizistischen Performance der ehemaligen deutschen Militärministerin Ursula von der Leyen.

Und damit die „Heimatfront“ nicht wackeln möge, meinte die eine der derzeitigen Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, schon vor 2 Jahren, wir(!) müssten acht geben, dass wir(!) nicht „kriegsmüde“ würden.

Dass die Grünen inzwischen eine kriegsaffine Partei geworden sind, ist allgemein bekannt. Dass aber auch Frauen aller Couleur ohne Rücksicht auf Verluste kriegerisch daher schwadronieren, gar zu Speerspitzen des Militarismus werden statt mit allen friedlichen Mitteln für Frieden und Verständigung zu kämpfen, will mir nicht in den Kopf. Irgendwas ist da anscheinend schief gelaufen mit der Feministerei.

Wie auch immer. Systemisch gesehen passt der Verweis auf Kriegsmüdigkeit ins Bild. Dieser Verweis erfolgt immer mal wieder im Verlaufe kriegerischer Auseinandersetzungen und soll meist, so auch im Fall Haßelmann, ein Argument dafür sein, den inneren Schweinehund aufkommender Kriegslethargie zu überwinden und tapfer weiter zu machen, für was und für wen auch immer. Meist jedoch nicht im Sinne der auf dem Feld der Kriegsmüdigkeit Krepierenden.

Es wäre ratsam, wenn sich die, die mit dem Begriff Kriegsmüdigkeit bellizistische Politik machen wollen, vor Augen führen, was mit dieser Begrifflichkeit alles so einhergeht.

Aus diesem Grund möchte ich mit dem Auszug eines Textes von Karl Kraus aus dem Jahr 1918 noch einmal verdeutlichen, was das Beklagen von Kriegsmüdigkeit einerseits an schrecklichen Aussagen bellizistischer Wirklichkeit beinhaltet, andrerseits aber auch Förderliches für Leib und Leben.

Karl Kraus schrieb im Mai 1918 – das sinnlose Sterben auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges hielt noch an – in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Fackel:

„Kriegsmüde – das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? So wäre Kriegsmüdigkeit wahrlich ein Zustand, der keine Rettung verdient. Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt, nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat. Aus Kriegsmüdigkeit werde der Krieg nicht beendet, sondern unterlassen, […].“

Siehe da: Manchmal gibt’s bei genauerem Hinsehen auch im Systemischen ungeahnte Volten!Ein Hoch auf das Kraus’sche Fazit zur Kriegsmüdigkeit!

Jürgen Scherer

Ohne billigen Gefühlskitsch

Er ist ein wahres musikalisches Stehaufmännchen und hat mit seinen Liedern persönliche Krisen wie auch Probleme mit seinem Heimatland USA kreativ verarbeitet.

Vor genau sechs Jahrzehnten landete der Sänger Mitch Ryder aus Detroit mit dem Song „Jenny take a Ride!“ einen größeren Hit.

Doch seit einem fulminanten Auftritt beim WDR-Rockpalast war die Resonanz auf seine Musik in Europa größer als in Amerika. „Er ist nicht mein Präsident …“, sang er – witzigerweise auf Deutsch – im Jahr 1983 über den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Ein Grund mehr, sich im alten Europa heimisch(er) zu fühlen. Insofern dankt er im Booklet seiner neuen CD „With Love“ auch ausdrücklich seinen Fans hierzulande.

In seinem jahrzehntelangen Schaffen gab es eine Vielzahl an Kooperationen mit namhaften musikalischen Zeitgenossen. So war er 1967 der letzte Künstler, der mit der Soul-Legende Otis Redding auftrat, und 2017 wurde er als erster lebender weißer Musiker in die R&B Hall of Fame aufgenommen. Im letzten Jahrzehnt gab es auch zahlreiche Gastspiele und Aufnahmen mit der (Ost-)Berliner Bluesrockband Engerling.

In seinem Lied „Ain’t nobody white“ geht Mitch Ryder sogar so weit, zu behaupten, dass kein weißer Sänger den Blues richtig singen könne, denn den Weißen mangele es an den Leidenserfahrungen der afroamerikanischen Community.

Auf seinem neuen Studioalbum „With Love“ präsentiert sich der Musiker wieder als Sänger mit unverkennbarer Stimme – leidenschaftlich, rau und mit einer Prise Whiskey. Autobiografische Erlebnisse und Reflexionen stehen eindeutig im Mittelpunkt.

„One Monkey“ handelt von seiner Drogensucht und wie er sie überwunden hat. „The Artist“ ist eine künstlerische Selbstanalyse und der Song „Just the Way it is“ thematisiert die Unausweichlichkeit von Leben und Tod.

Und seine Musik changiert zwischen Soul-Pop, Rhythm’n’Blues und Latin Rock. Auch in seinem achten Lebensjahrzehnt verkörpert er einen Musikstil, der Seele hörbar werden lässt, ohne in billigen Gefühlskitsch abzudriften.

Thomas Rüger

Mitch Ryder: With Love. CD, Ruf Records 2025, ca. 16,00 Euro.

 

Film ab

Auf der Website des ZDF-Magazins „Kulturzeit“ wird behauptet: „François Ozon liefert einen Thriller in herbstlichen Farben“. Im Hinblick auf die Farben ist das durchaus zutreffend. Ansonsten aber thrillt nichts in diesem behäbig dahinplätschernden Streifen, der handwerklich überdies wirkt, als wäre er die Diplomarbeit eines allenfalls mäßig begabten und an seinem Job nicht übermäßig interessierten Regiestudenten.
„Perfekte Verbrechen oder verkorkste Familienbande – letztlich entscheidet das Publikum selbst, was es sieht“, meint NDR kultur. Eher sieht das Publikum etwas Drittes – einen Langweiler, der wiederum, sollte dies Ozons Intention gewesen sein, ziemlich gelungen ist.

Clemens Fischer

„Wenn der Herbst naht“, Regie: François Ozon; derzeit in den Kinos.

 

Aus anderen Quellen

Wer das Trump-Projekt und das mögliche Abdriften der USA in eine Diktatur (oder Monarchie mit J. D. Vance als erstem König) verstehen will, der kommt an Peter Thiel nicht vorbei. Der war der einzige Tech-Milliardär aus dem Silicon Valley, der Trump bereits während dessen erster Wahlkampagne unterstützt hat, und als die anderen Größen von Amazon, Apple, Microsoft, Google & Co. nach dem Amtsantritt 2016 im Weißen Haus ihre Aufwartung machen durften – wie eine Riege von Erstklässlern –, hatte Thiel die Auswahl getroffen und saß als einziger neben dem Präsidenten. Thiel verfolgt seit langem sehr systematisch seine eigene politische Agenda, bei der die Abschaffung der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung und die Vollkontrolle ganzer Bevölkerungen höchste Priorität hat.

Thiel hat J. D. Vance mit Millionensummen gefördert – bis zur aktuellen Vizepräsidentschaft und für die Nachfolge Trumps im Weißen Haus. Das Kontrollinstrument liefert die von Thiel mitbegründete IT-Firma Palantir, wo er als Vorsitzender des Verwaltungsrates (seit 2003) die Strippen und einen Freund seit Jugendzeiten, Alex Karp, als CEO installiert hat.

Ein sechsteiliger Podcast und eine Dokumentation liefern detailreich Fakten und Hintergründe.

Fritz Espenlaub et al.: Die Peter Thiel Story, ARD 2025. Zum Podcast hier klicken.

Klaus Stern: Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp, ARD 2025. Zur Dokumentation hier klicken.

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Ralf Stegner (MdB-SPD) konstatiert: „Es ist ein Zeichen von ‚Normalisierung‘, dass Deutschland wieder militärische Führungsmacht werden soll, und nicht einmal mehr unsagbar, dass deutsche Soldaten (im Nato-Bündnisfall, versteht sich) russische Soldaten töten. Die Rüstungsausgaben explodieren weltweit, Waffenexporte ‚Made in Germany‘ sind auf Rekordniveau […]. Demgegenüber werden die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfen und Klimaschutz zusammengestrichen und die sozialen Sicherungssysteme infrage gestellt. […] Es wirkt fast so, als ob statt der menschlichen Fähigkeit, Probleme zu lösen, die Fähigkeit zur Selbstzerstörung der zivilisierten Menschheit nach Holocaust und Atombombe unter Beweis gestellt werden soll.“

Ralf Stegner: Wider den Zeitgeist der Kriegstüchtigkeit, Weltbühne 4/2025. Zum Volltext hier klicken.

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Der Beitrag von Gabriele Muthesius zur „Weiterverbreitung von Kernwaffen“ in dieser Ausgabe wurde, wie die Autorin bei einem Gespräch mit der Redaktion durchblicken ließ, nicht zuletzt von einem Essay des langjährigen (1997 – 2009) Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed El Baradei, inspiriert. Der schrieb: „Man höre sich nur die Äußerungen russischer Spitzenpolitiker an. Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine verweisen sie auf ihr Atomwaffenarsenal als Zeichen ihrer Unbesiegbarkeit. Ihnen ist bewusst, dass die Gefahr eines atomaren Holocausts alle anderen Mächte davon abhalten wird, sie direkt herauszufordern. Aus ähnlichen Gründen haben die USA gegenüber Nordkorea, das sich mit Atomwaffen ausgerüstet hat, einen gemäßigteren Kurs eingeschlagen und setzen auf Diplomatie und wirtschaftliche Anreize. Im Gegensatz dazu erklärte sich Muammar al-Gaddafi in Libyen bereit, sein noch junges Atomprogramm aufzugeben. Er starb nach einem Luftschlag der Nato gegen sein Regime.“

Mohamed El Baradei: Bombe um Bombe, ipg-journal.de, 03.07.2025. Zum Volltext hier klicken.

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„Götz Aly“, fasst Michael Maier zusammen, „hat jahrelang über den Nationalsozialismus, den Holocaust und das Judentum in Europa geforscht und geschrieben“, und fährt fort: „Der Auschwitz -Prozess habe gezeigt, dass für den organsierten Massenmord ab 1941 nicht nur fanatische Rassisten und Ideologen zuständig waren. ‚Ein großer Teil des KZ-Personals ist über die Arbeitsämter gekommen‘, sagt Aly. Viele der Täter waren ‚umgesiedelte junge Männer aus den südosteuropäischen deutschen Minderheiten, die jeden Sonntag in die Kirche gehen‘. Die hätten ‚sofort funktioniert‘. Das System ‚Hitlerdeutschland‘ […] habe im Wesentlichen darauf beruht, dass Millionen Menschen von ihm profitiert hätten.“

Michael Maier: Der Weg in die Diktatur – „Nicht mitmachen ist kein Widerstand“, berliner-zeitung.de, 24.08.2025. Zum Volltext hier klicken.

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„‚Vor den Augen der Öffentlichkeit einen Menschen zum Problem machen – das ist der erste Akt der Entrechtung.‘ Dieser Satz, der Hannah Arendt zugeschrieben wird, trifft mit brutaler Präzision auf die sprachpolitische Praxis zu, mit der in Europa das Phänomen der Migration behandelt wird“, so beginnt Emile Sagan und fährt fort: „Wer heute in Parlamentsreden, Talkshows oder Boulevardmedien aufmerksam zuhört, stößt auf ein Vokabular, das weniger beschreibt als verurteilt, weniger erklärt als verunglimpft. Im Zentrum dieser diskursiven Eskalation steht ein Begriff, der mit fast magischer Wirkung ganze Existenzen delegitimiert: ‚illegal‘.“

Emile Sagan: Über den Missbrauch des Wortes „illegal“, Ossietzky, 15-16/2025. Zum Volltext hier klicken.

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Ausgesorgt haben dürfte Robert Habeck. Dem Ex-Wirtschaftsminister stehen für seine Bundesministerjahre zwei Jahre Übergangsgeld zu: die ersten drei Monate das volle Amtsgehalt von rund 18.000 Euro (brutto), danach die Hälfte. Macht laut BILD zusammen 243.000 Euro. Für jedes Jahr als Bundestagsabgeordneter (seit 2021) steht ihm weiteres Übergangsgeld zu. Und seine Altersversorgung ab 67 summiert sich auf etwa satte 6900 Euro. Pro Monat.

Dirk Hoeren: Tschüss, Bundestag! – So viel Geld kriegt Habeck jetzt noch, bild.de, 01.09.2025. Zum Volltext hier klicken.

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.

Letzte Meldung

Unmittelbar nach dem westlichen Gipfeltreffen in Washington im August hat Bundeskanzler Friedrich Merz einen möglichen Einsatz von Bundeswehrsoldaten in einer Friedenstruppe in der Ukraine ins Spiel gebracht.

Dazu äußerte BSW-Chefin Sahra Wagenknecht: „Wenn dieser Krieg begonnen wurde, um NATO-Militär an der russisch-ukrainischen Grenze zu verhindern, dann sind NATO-Soldaten kein Beitrag zum Frieden. Dass Merz sogar erwägt, die Bundeswehr in die Ukraine zu schicken, ist Wahnsinn. Das wäre der direkte Weg in einen Krieg mit Russland. Wie verantwortungslos muss ein Kanzler sein, dass er unser Land einer solchen Gefahr aussetzen will.“

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