28. Jahrgang | Nummer 15 | 8. September 202

Ansichten eines globetrottenden Grantlers*

von Samuel Langhorne Clemens**

In zweiundsiebzig Jahren ist mir keine ähnliche Herde von Eseln begegnet,

wie die menschliche Rasse es ist.

 

Wunderbar war die Entdeckung von Amerika,

aber noch wunderbarer wäre es gewesen,

wenn man es verpasst hätte.

 

Satan (ungeduldig) zu einem Neuankömmling:

Das Problem mit euch Leuten aus Chicago ist,

dass ihr denkt, ihr seid hier unten die Besten;

dabei seid ihr nur die Zahlreichsten.

 

In Wahrheit ist der Mensch unheilbar dumm.

 

Es ist sehr anstrengend, gut zu sein.

 

Wir lassen meist jemand anderen für unsere Schwächen büssen,

wenn wir Gelegenheit dazu haben

– aber so ist das eben.

 

Wenige Dinge sind schwerer zu verkraften

als das Ärgernis eines guten Beispiels.

 

Wenige von uns können Erfolg ertragen.

Den der anderen, meine ich.

 

Die Kenntnisse, die die Alten nicht besaßen,

waren sehr umfangreich.

 

Der Mann mit einer neuen Idee ist ein Spinner,

bis sich die Idee durchsetzt.

 

Es gibt viele Mittel, sich vor Verführungen zu schützen,

aber das sicherste ist Feigheit.

 

Es gibt 869 verschiedene Arten zu lügen,

aber nur eine davon wurde eindeutig verboten.

Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nachbarn.

 

Der grundsätzliche Unterschied zwischen einer Katze

und einer Lüge ist, dass eine Katze nur neun Leben hat.

 

Ich mag Arbeit nicht.

Auch nicht, wenn sie ein anderer erledigt.

 

Ich aber habe vor langer Zeit den Glauben an die Unsterblichkeit verloren

– und auch das Interesse daran.

 

Unter keinen Umständen wird je von einer Kanzel herab

dem Schöpfer ein Kompliment gespendet,

das auch nur eine Spur von Wahrheit in sich hat.

 

Anmerkungen zur deutschen Sprache

 

Jedes Substantiv hat sein grammatisches Geschlecht,

und die Verteilung ist ohne Sinn und Methode.

 

Im Deutschen hat ein Fräulein kein Geschlecht, wohl aber ein Kürbis. Welch übermäßige Hochachtung vor dem Kürbis und welch kaltherzige Missachtung der unverheirateten jungen Dame sich hier verrät! Ein Baum ist männlich, seine Knospen aber sind weiblich und seine Blätter sächlich; Pferde sind geschlechtslos, Hunde sind männlich, Katzen weiblich; Mund, Hals, Busen, Ellenbogen, Finger, Nägel, Füße und Rumpf eines Menschen sind männlichen Geschlechts; was auf dem Hals sitzt, ist entweder männlich oder sächlich, aber das richtet sich nach dem Wort, das man dafür benutzt, und nicht etwa nach dem Geschlecht des tragenden Individuums, denn in Deutschland haben alle Frauen entweder einen männlichen „Kopf“ oder ein geschlechtsloses „Haupt“. Nase, Lippen, Schultern, Brust, Hände, Hüften und Zehen eines Menschen sind weiblich, und sein Haar, seine Ohren, Augen, Beine, Knie, sein Kinn, sein Herz und sein Gewissen haben gar kein Geschlecht. Was der Erfinder der Sprache vom Gewissen wusste, muss er vom Hörensagen gewusst haben.

 

Ich verstehe Deutsch so gut wie der Wahnsinnige, der es erfunden hat,

aber ich spreche es am besten mit Hilfe eines Dolmetschers.

 

Wenn der literarisch gebildete Deutsche sich in einen Satz stürzt,

sieht man nichts mehr von ihm, bis er auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans

mit dem Verb zwischen den Zähnen wieder auftaucht.

 

Zuschreibungen ohne belastbare Quellen

 

Alle klagen über das Wetter.

Aber es findet sich niemand,

der etwas dagegen tut.

 

Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat.

Aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt.

 

Tatsachen muss man kennen,

bevor man sie verdrehen kann.

 

Schlagfertigkeit ist etwas,

worauf man erst 24 Stunden später kommt.

 

Verschiebe nichts auf morgen,

was genausogut auf übermorgen verschoben werden kann.

 

Männer, die behaupten,

sie seien die uneingeschränkten Herren im Haus,

lügen auch bei anderer Gelegenheit.

 

Zivilisation ist die unablässige Vermehrung unnötiger Notwendigkeiten.

 

Kein Breitengrad, der nicht dächte,

er wäre Äquator geworden,

wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre.

 

Immer wenn man die Meinung der Mehrheit teilt,

ist es Zeit, sich zu besinnen.

 

Es ist besser, den Mund zu halten und dumm zu erscheinen,

als ihn zu öffnen und allen Zweifel zu beseitigen.

 

Nun wieder verbürgtes Original

 

Wirklich, es gibt Zeiten,

da könnte man das gesamte Menschengeschlecht aufhängen

und der Farce ein Ende machen.

 

* – Überschrift von der Redaktion.

 

** – Manchen geläufiger unter seinem Künstlernamen Mark Twain.

 

Bereits erschienen – Ansichten von Georg Kreisler, Friedrich Nietzsche, Karl Kraus, Wilhelm Busch, George Bernard Shaw, Oscar Wilde, Karl May, Kurt Tucholsky I, II, III und Karl Valentin.