20. Jahrgang | Nummer 26 | 18. Dezember 2017

Ansichten eines couragierten Charakters*

von Kurt Tucholsky

Mit Lammsgeduld und Blöken kommt man gegen den Wolf nicht an.

Dürfen darf man alles – man muss es nur können.

Wenn ein Mann weiß, dass die Epoche seiner stärksten Potenz
nicht die ausschlaggebendste der Weltgeschichte ist – das ist schon viel.

Man sage in seherischem Tonfall dummes Zeug,
und man wird eines gewissen Erfolges nicht entraten.

Zur Masse gehört immer einer mehr, als jeder denkt.

Eine Regierung ist nicht der Ausdruck dessen, was ein Volk will,
sondern der Ausdruck dessen, was es erträgt.

Nur der Unbegabte stiehlt, der Kluge macht Geldgeschäfte.

Um eines der besten Worte zu variieren, das ursprünglich auf die Philosophie gesagt worden ist:
„Soziologie ist der Missbrauch einer zu diesem Zweck erfundenen Terminologie.“

Wenn zwei Ärzte derselben Meinung sind, dann ist einer davon überhaupt kein Arzt.

Lass Dir von keinem Fachmann imponieren, der dir erzählt: „Lieber Freund, das mache ich
seit zwanzig Jahren so!“ – Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.

Ein Diplomat, mein liebes Kind, ist ein Mann, der den Geburtstag einer Frau kennt
und ihr Alter vergessen hat.

In der Ehe pflegt gewöhnlich immer einer der Dumme zu sein. Nur wenn zwei Dumme heiraten –:
das kann mitunter gut gehen.

Nichts als Pazifist zu sein – das ist ungefähr so, wie wenn der Hautarzt sagt: „Ich bin gegen Pickel.“
Damit heilt man nicht. Ich weiß Bescheid, denn ich habe diesen Irrtum hinter mir.

Hering ist gut. Schlagsahne ist gut. Wie gut muss erst Hering mit Schlagsahne sein –!

Mensch, wenn du so lang wärst, wie de dumm bist, könntste aus der Dachrinne saufen!

Eine gute alte Freundin von mir hat einmal das Gebot geprägt:
Du sollst nicht alles mit der Sexu-Elle messen –!

Man sollte gar nicht glauben, wie gut man ohne die Erfindungen des Jahres 2500 auskommen kann!

[.:.] es ist ein bemerkenswerter deutscher Aberglaube, eine Sache damit zu entschuldigen,
dass man ihren technischen Hergang erklärt.

Die Presse wäre viel weniger unausstehlich, wenn sie sich nicht so grauslich wichtig nähme.

Die Engländer sind die Römer der Neuzeit. Die Franzosen sind die Chinesen des Westens.
Die Japaner sind die Engländer des Ostens. Die Belgier sind die Polen des Westens.
Nur was die Bayern eigentlich für ein Volksstamm sind – das hat noch kein Mensch herausbekommen.

Die Damen fliegen ihm zu, und worum ich ihn besonders beneide, sie fliegen auch wieder davon.

Keine Zeit schreit nach Satire, so masochistisch ist keine.

Was tut der Deutsche, wenn er schon durchaus eine geliebte Dienststelle auflösen muss?
Er wickelt ab.

Neben manchem andern sondern die Menschen auch Gesprochenes ab.
Man muss das nicht gar so wichtig nehmen.

Golf, sagte einmal jemand, ist ein verdorbener Spaziergang.

Der geschickte Journalist hat eine Waffe: das Totschweigen
– und von dieser Waffe macht er oft genug Gebrauch.

Kausalität, mein Junge, ist, wenn man dran glaubt.

Denn es gibt eine kommunistische Theologie, die so unleidlich zu werden beginnt, wie die
der katholischen Theologen: Missbrauch des Verstandes, um einen Glauben zu rechtfertigen.

Langweilig ist doch nicht ernsthaft.

Der Zustand der gesamten menschlichen Moral lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen:
We ought to. But we don’t.

Politik kann man in diesem Lande definieren als die Durchsetzung wirtschaftlicher Zwecke
mit Hilfe der Gesetzgebung.

Wird fortgesetzt.

* – Überschrift von der Redaktion.

Bereits erschienen – Ansichten von Georg Kreisler, Friedrich Nietzsche, Karl Kraus, Wilhelm Busch, George Bernard Shaw, Oscar Wilde und Karl May.