Der Nagelkünstler
Dieser Künstler war ein einzigartiges, originäres Phänomen: Er hämmerte Nagel für Nagel in ein Brett – und das Ergebnis wurde ein Kunstwerk. Entscheidend war die Regelmäßigkeit der Wiederholung, in der der aus Mecklenburg stammende, in Düsseldorf lebende Maler und Objektkünstler Günther Uecker seine Nägel in den Untergrund hineintrieb. Der Nagel, ein Sinnbild des Werkzeugs schlechthin – denn wer bauen will, braucht Nägel –, ist aber auch – wie in der Kreuzigung sinnfällig – ein Symbol des Leidens. Ueckers rasterartig gestalteten Nagelbilder verwandelten sich bald in licht- und schattenspielhafte „Energiefelder“. Gleichzeitig verließ der Künstler das Bild, indem er es mit einem Alltagsgegenstand – dem Nagel – zum Objekt machte. Als eine Metapher für Verletzbarkeit und Aggressionsbereitschaft ließen die Nägel zudem sichtbar werden, was der Mensch dem Menschen antut. Das überarbeitete fotografische Selbstporträt (1963) gehört zu seinen „Nagelporträts“, „an denen ich meinen inneren Zustand erkennen kann“. Beim „Fadenstuhl“ (1969) wiederum hängen Bindfäden den Stuhl herunter, verdecken ihn völlig, geben dem statischen Gegenstand eine fließende Form. Zudem versinnbildlicht das Weiß Klarheit und Reinheit. Jedes Herstellen ist aber auch mit einem Akt der Zerstörung verbunden. Der Akt des Zerstörens ist gewissermaßen das Negativ des schöpferischen Aktes. So hat Uecker eine Axt in einen mit einem Nagelraster bedeckten Baumstamm eingerammt („Lohengrin“, 1978). Sein Werk demonstriert das Verhältnis zwischen kreativem Tun und Zerstörung.
Von den Nagelbildern über die Nagelskulpturen („Spikes Prototyp“, 1972) und die Übernagelungen banaler Gegenstände (Stühle, Türfassungen …), „Kulturfetische“ (Piano, Televisor) oder Lichtobjekte ging Uecker 1965 zu kinetischen, klingenden Objekten über. Im „Elektrischen Garten“ (1966) ragt ein überdimensionaler Nagel in einem vergitterten Gehäuse empor, während die installierten Hochfrequenzaggregate in regelmäßigen Abständen Blitze entladen. Die aggressiv aufgeladenen Gegenstände sind Metapher für die Zerstörung von Natur und Kultur, des menschlichen Lebensraums. Im „Tisch der Austreibung“ sind die Nägel nicht mehr von außen in das Objekt eingeschlagen worden, sondern von der Rückseite, und zwar so, dass sie mit ihren Spitzen an der Sichtseite wieder austreten. Wenn man das Objekt wie ein Tor durchschreiten will, besteht Verletzungsgefahr – und das lässt unwillkürlich an die Austreibung der Händler aus dem Tempel in den Evangelien denken. Die motorbetriebene kinetische Arbeit „Sandspirale“ (1972) wiederum hinterlässt Spuren im Sand, die einander ähnlich scheinen und sich trotzdem immer wieder verändern. Wiederholung und Veränderung, Vergänglichkeit und Gegenwärtigkeit werden so erfahrbar.
Ruhe und Bewegung, die sich im Zusammenspiel dieser stehenden, liegenden, an der Wand oder von der Decke hängenden Arbeiten einstellen, verführen zu einer rhythmischen Durchdringung der Zeit. Es war nur noch ein Schritt zum Aktionsraum, in dem sich alle Objekte und Medien zu einem „Totalspektakel“ vereinen. Auf verschiedenen Ebenen sollen sie zusammen ein Porträt der Gesellschaft andeuten.
Mit 95 Jahren ist Günther Uecker, der auch Bühnenbildentwürfe, Installationen und Kirchenfenster (2022 für den Schweriner Dom) gestaltete, am 10. Juni verstorben.
Klaus Hammer
Basilikumhuhn trifft Herzversagen
Seit 1985 ist das Basilikumhuhn unbestritten das Lieblingsgericht unserer Familie. Wir fanden das Rezept in der Monatszeitschrift Das Magazin, und zwar in der Rubrik „Liebe, Phantasie und Kochkunst“. Autorin: Ursula Winnington.
Bücher von ihr befinden sich bis heute in unserer Kochbuchsammlung, zum Beispiel „Ein Leib- und Magenbuch. Kulinarische Notizen“, 1981 im Verlag für die Frau Leipzig in der DDR erschienen. Hier lesen wir, dass Essen und Trinken nicht nur satt machen, sondern mitunter auch dick. Wie man dem vorbeugt oder abhilft, dazu gab die Hobbyköchin und Autorin von Koch- und ernährungskundlichen Publikationen viele Tipps. So fanden wir in diesem Buch das Rezept für „Sibirische Pelmeni“ nicht nur gesund, sondern auch überaus schmackhaft.
Die Rezeptkünstlerin hatte Ende der 1960er Jahre den in der DDR lebenden britischen Autor und Journalisten Alan Winnington geheiratet. Er war ein exzellenter Kenner Chinas und der asiatischen Küche, so dass er großartige Rezepte für die Bücher seiner Frau beisteuern konnte. Seine Texte, die sich immer wieder mit Genuss lesen lassen, sind leider etwas in Vergessenheit geraten – worauf Uli Jeschke schon im Blättchen (2/2024) hinwies. Der in Großbritannien als Vaterlandsverräter geschmähte Alan Winnington hatte in der DDR eine neue Heimat gefunden.
Vor kurzem erreichte mich die Nachricht, dass Ursula Winnington am 4. Mai 96-jährig in Berlin verstarb. Ich las gerade – welch ein Zufall! – den Kriminalroman „Herzversagen“ von Alan Winnington, in der Kriminalinspektor Percy Gullet von Scotland Yard klug ermittelt. Er meinte, der halbe Erfolg bestehe nur darin, dass man die richtigen Fragen stellt …
So schließen sich immer wieder die Lebenskreise. „Das Leben ist voller launischer Zufälle, Watson“, sagte der berühmte Sherlock Holmes überaus treffend zu seinem Freund und Begleiter – in der Erzählung „Der Mazarin-Stein“ von Arthur Conan Doyle.
Frank-Rainer Schurich
Nah am Wasser
Am 1. Juni 2025 kamen rund 100 Gäste in die Räume der KulturTribüne des Ortsvereins Grünau in der Berliner Regattastraße 191, eingeladen von der Malerin Judith Merkushev, um ihre Ausstellung „Nah am Wasser“ zu erleben. Der erste Eindruck war überwältigend, denn die Bilder waren auf Stelen so platziert, dass man das Gefühl hatte, durch einen Bildergarten zu gehen, der am Wasser liegt.
Das Publikum war voller Spannung darüber, was für eine malerische Botschaft erzählt wird in dieser ersten Vernissage, zu der Judith Merkushev sich ermutigte.
Für jeden Maler ist es ein Risiko, mit seinen Bildern in die Öffentlichkeit zu gehen. Armin Mueller-Stahl wagte es erst zu seinem 70. Geburtstag, im Potsdamer Film-Museum zum ersten Mal seine Bilder und Zeichnungen vorzustellen. Aber ohne Risiko kein Erfolg. Die Bilder von Judith Merkushev erinnerten mich an einen schönen Gedanken William Shakespeares: „Ein fröhliches Herz lebt am längsten!“
Judith Merkushevs Augen erfassen den Fluss Dahme am Morgen, wenn er noch im Dunst des Nebels liegt, am Tag, wenn die Sonne das Wasser aufblitzen lässt, und am Abend, wenn die hereinbrechende Nacht das Wasser beruhigt. Es gibt Bilder, die eine mediterrane Wärme ausstrahlen, die vergessen lassen, dass die Malkunst Merkushevs eine Wasser-Landschaft gestaltet. Nicht zu glauben, dass sie nur wenige hundert Meter weiter den Park vom Schloss Köpenick berührt.
Schaut man genauer hin, fasziniert das Erkennen, dass fast alle Bilder von einem einzigen Standpunkt aus in den Blick genommen wurden. Aber jede malerische Perspektive ist voller Kontraste. Eine blühende Weide im Sommer, die sich zum Wasser neigt – diesem malerischen Dialog setzt Judith Merkushev eine von Schnee und Eis verzauberte Winterlandschaft dagegen.
Ihre Bilder haben eine magische Tiefe, die zarte Gestaltung des Lichtes fesselt den Betrachter. Ihre Sicht auf die sie umgebende Welt sind Gedanken wie Herbstblätter, die sie in einen blauen Fluss wirft, um ihnen zuzuschauen: Wo fallen sie hin und wie treiben sie davon? Um es im nächsten Augenblick zu vergessen?
Eines ist gewiss: Die Bilder von Judith Merkushev haben eine emotionale Langzeitwirkung. Sie mahnen uns unruhige Menschen: „Warum in die Ferne reisen, sieh, das Schöne ist so nah!“ Eine Mahnung, die so berühmte Maler wie Ludwig Richter, Gustav Carus oder Caspar David Friedrich in ihren Gemälden verewigt haben.
Jede Zeit öffnet einen neuen Blick auf die Schöpfung. Sie ist ein Geschenk der Götter. Dieses Geschenk zu erkennen und es für immer festzuhalten, ist Judith Merkushev in ihren Bildern beeindruckend gelungen!
Eberhard Görner
Neu arrangiert und in kleinerer Auswahl werden die Bilder Judith Merkushevs bis zum 4. Juli im Café am Wasser direkt in der Grünauer Regattatribüne, Regattastr. 191, 12527 Berlin, gezeigt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, wenn möglich auch am Sonntag von 14 bis 18 Uhr.
Dorfkirche im Sommer
Schläfrig singt der Küster vor,
Schläfrig singt auch die Gemeinde.
Auf der Kanzel der Pastor
Betet still für seine Feinde.
Dann die Predigt, wunderbar,
Eine Predigt ohnegleichen.
Die Baronin weint sogar
Im Gestühl, dem wappenreichen.
Amen, Segen, Türen weit,
Orgelton und letzter Psalter.
Durch die Sommerherrlichkeit
Schwirren Schwalben, flattern Falter.
Detlev von Liliencron (1844-1909)
Film ab
Der obrigkeitliche Bannstrahl, mit dem Michail Bulgakows grandiose Gesellschaftssatire „Der Meister und Margarita“ in der UdSSR, der DDR und anderen Ostblockstaaten jahrzehntelang belegt war oder besser geadelt wurde, resultierte vor allem daraus, dass Bulgakow die konkrete Umsetzung der Utopie eines von Ausbeutung und Unterdrückung freien Gemeinwesens von Marx und Engels in der Sowjetunion in den 1920er und 30er Jahren als absurdes gesellschaftspolitisches Theater – einhergehend mit allgemeinem Opportunismus, Zynismus und insbesondere staatlicher Willkür – karikierte und so als Verrat an den (vorgeblich) eigenen Idealen bloßstellte. Ein volles Erfassen von Bulgakows Fundamentalkritik am sozialistisch-kommunistischen Macht- und Sozialexperiment sowjetischer Prägung setzte daher ein gerütteltes Maß an Kenntnis dieses gesellschaftlichen Hintergrundes voraus.
Wesentlich leichter als Leser des Buches haben es die Zuschauer der aktuellen russischen Verfilmung des Romans. Auch wenn sie keinen blassen Schimmer von den Deformationen des untergegangenen, selbsternannten realen Sozialismus haben sollten, selbst wenn sie das Wort Sowjetunion noch nie gehört hätten – sie sehen zumindest einen Fantasyfilm von hohen Graden. Googles KI antwortet auf die Frage „Was ist Fantasy?“: „[…] ein literarisches Genre, das sich durch übernatürliche, märchenhafte und magische Elemente auszeichnet. Es spielt oft in einer fiktiven Welt, die oft von fantastischen Wesen und Zauberei bevölkert wird.“ Wow, besser könnte man den Streifen nicht einer Gattung zuordnen.
Die Crew hierzulande durchweg unbekannter russischer Schauspieler ist eine cineastische Offenbarung – einer besser als der andere. Und der deutsche Mime August Diehl gibt einen weit mehr abgeklärten denn teuflischen Satan.
Am Rande – ein von der Welt aufgespießter Treppenwitz: „Die Ironie ist beißend: Der lebenslang verfolgte Bulgakow ist längst zum nationalen Kulturschatz avanciert, und so gab es für die Verfilmung Millionen an Zuschuss vom Kulturministerium. Dann kamen Krieg und Gleichschaltung der öffentlichen Meinung. Plötzlich schien nicht mehr Stalins, sondern Putins Russland das Ziel der Totalitarismus-Satire. Dennoch wurde schließlich der Kinostart gestattet.“ Und der Film avancierte in kürzester Zeit zum umsatzstärksten, der jemals in Russlands Lichtspielhäusern lief.
„Der Meister und Margerita“, Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Michael Lokshin. Derzeit in den Kinos.
Clemens Fischer
Gysi und Diestel im Gespräch mit Schütt
„Willst Du den Kapitalismus abschaffen oder reformieren?“ So lautet eine der Fragen des von Hans-Dieter Schütt moderierten Gesprächs zwischen Gregor Gysi und Peter-Michael Diestel. Beide waren oder sind Anwälte. Mehr Gemeinsamkeiten scheint es auf den ersten Blick zwischen den beiden Gesprächspartnern nicht zu geben – zumal sich der eine als links, der andere als konservativ bekannt. Schon auf den zweiten Blick eint sie zumindest ihr Humor, die Ironie, mit der sie auf gesellschaftliche Entwicklungen in der DDR und der BRD (zurück-)blicken. Klischees werden ebenso benannt. Diestel: „Westdeutsche Sozialisation, das heißt vermeintlich Weltoffenheit, Umweltbewusstsein, Freiheitsempfinden, Unternehmungslust. Ostdeutsch heißt gemeinhin: weibliches Selbstbewusstsein (gut), staatshöriges Denken (schon weniger gut), dazu eine gewisse Gehemmtheit (schlecht) und ein versteckter bis offener Rassismus (ganz schlecht).“ Ebenso wie ihre (enttäuschten) Hoffnungen auf gesellschaftspolitische Entwicklungen nach der Wende.
Es sind Sätze wie „In der Politik geht es um Mehrheiten, nicht um Wahrheiten“, die sich einprägen. Aber auch Fragen, die sie an sich selbst stellen wie: „Wann habe ich geschwiegen oder gesprochen, als es nötig war, wann habe ich geschwiegen oder gesprochen, als es völlig unnötig war?“. Ebenfalls hochaktuell: „Man blieb auch in der DDR …, weil Solidarität für die DDR zwar oft ein leeres Portemonnaie, aber dennoch nie ein leeres Wort war.“ Oder: „Der eine oder andere Großvater war in der Widerstandsbewegung, die Enkel sind in der Bewegung des geringsten Widerstandes.“ Letzterer Satz ist von Schütt – dem widerspricht Gysi allerdings sofort.
Neben diesen politischen Wertungen erfährt die Leserschaft viel über die Familien der beiden Protagonisten, ihre Kindheit und Jugend sowie Gründe für die Berufsentscheidungen. In diesem Zusammenhang geht es auch um Begriffe wie Heimat, Deutschland, Flaggen, Zeitungen et cetera und unterschiedliches Verständnis und Verhalten der Einwohnerschaft. Noch heute lese man in Westberlin eher den Tagespiegel und die BZ, in Ostberlin vorwiegend die Berliner Zeitung und den Berliner Kurier.
Fazit für mich ist ein längerer Absatz von Gysi: „Der Kapitalismus kann keinen Frieden sichern, solange so viel an Kriegen verdient wird und die Rüstungsindustrie privat bleibt. Er kann nicht sozial gerecht sein, daran ändern Demokratien und liberale Grundgesetze nichts. Auch hat der Kapitalismus Schwierigkeiten mit der ökologischen Nachhaltigkeit, ganz einfach, weil die Drosselung eines Produktionsprozesses aus Gründen, die gegen das Wachstum gerichtet sind, antikapitalistisch ist. Und letztendlich behindert der Kapitalismus die Emanzipation des Menschen“.
Peter-Michael Diestel und Gregor Gysi – Zwei Unbelehrbare reden über Deutschland und ein bisschen über sich selbst. Im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt. Aufbau Verlag, Berlin 2025, 287 Seiten,22 Euro.
Viola Schubert-Lehnhardt
Längst vergessen?!
Fundstücke aus DDR-Jahrgängen der Weltbühne, die dank einer Spende aus Leserhand nunmehr im Blättchen-Archiv stehen:
Schwarze Winke
Herr Professor Hans-Peter Schwarz ist u. a. Vorsitzender des Lenkungsausschusses des „Arbeitskreises für Ost-West-Fragen“ beim Auswärtigen Amt der BRD, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Direktoriums des Forschungsinstituts der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ in Bonn, Mitglied des Vorstands der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Ein wichtiger politischer Berater der Bundesregierung also. Um so interessanter, welche Positionen er in seinem 1985 erschienenen Buch „Die gezähmten Deutschen. Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit“ anbietet: Schwarz läßt keinen Zweifel, daß er – eben auch für die Außenpolitik der BRD – den „gelegentlichen Wink mit dem Zaunpfahl eigener Stärke“ der „permanenten Verhandlungsbereitschaft“ vorzieht. Von einer besonderen Verantwortung der beiden deutschen Staaten, zu der sich auch sein Kanzler bekannt hatte, hält er nichts, zumindest, was die BRD betrifft: „Was Legitimität oder Illegitimität von Machtpolitik angeht, so ist die heutige Bundesrepublik ein Staat wie jeder andere.“
Entspannungspolitik nennt er „Laster der Lauheit, wenn nicht gar der Unzuverlässigkeit“. Winke mit dem Zaunpfahl.
pem
Weltbühne, 10/1987
Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.
Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor oder Inhaber der Rechte an dessen Wb-Publikationen ausfindig zu machen. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.
Soul mit alevitischem Hintergrund
Das Quartett Aylin’s Soundgarden gruppiert sich um die gebürtige Augsburgerin Aylin Yildirim, die sich schon in ihrer Kindheit für alevitische Folk-Musik begeisterte.
Ihre Band gründete sich vor etwa drei Jahren und besteht neben der namensgebenden Sängerin aus ihrem Bruder Eren Yildirim (Saz, Tenbur), dem Produzenten Girisha Fernando (Gitarren, Bass) sowie Paul Etschberger (Synthesizer, Keyboard).
Traditionelle Texte aus dem alevitischen Kulturraum wurden in durchaus gefällige Popsongs transferiert, die aus einer hörenswerten Melange aus traditionellen Melodien und modernem Pop- oder Jazzsound bestehen.
Die 2024 erschienene CD verströmt anatolische Seele, ohne im ritualisierten, immergleichen Musikstil zu erstarren. Nicht zuletzt der lebendige Gesang von Aylin Yildirim sorgt für mitreißende Melodiebögen. Wer Soul bisher mit schwarzer Musik in Verbindung brachte, kann hier neue Bekanntschaft mit einem alten Kulturkreis in Südosteuropa schließen.
Aylin’s Soundgarden: Bu bir demdir. CD, Label CPL-Music, 2024, circa 16 Euro.
Thomas Rüger
Aus anderen Quellen
Die derzeit in Deutschland und anderen NATO-Staaten außerordentlich intensivierte konventionelle Hochrüstung wird von ihren Befürwortern in Politik, Geheimdiensten, Medien und Wirtschaft mantraartig mit einer angeblich zunehmenden militärischen Bedrohung durch Russland begründet. Stimmen, die sich an der Realität orientieren, sind nur selten zu vernehmen – wie etwa die von Wolfgang Richter, ehemaliger Bundeswehroberst und langjähriger Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, derzeit Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP). „Die russischen Anstrengungen reichen offenbar auch nach drei Jahren Krieg nicht aus, um die Ukraine entscheidend zu bezwingen. Sie reichen schon gar nicht aus, um sich mit dem immer noch stärksten Militärbündnis der Welt mit 32 Staaten, der NATO, darunter drei Atommächten, anzulegen.“ Und: „Die russischen Streitkräfte bleiben konventionell denen der europäischen Staaten weiterhin deutlich unterlegen, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Zudem werden sie langfristig in der Ukraine gebunden bleiben. Sie werden Jahre benötigen, um den jetzt sinkenden Ausrüstungsstandard wieder anzuheben.“
Thomas Sabin: Putins Rüstungsanstrengungen „reichen nicht aus, um sich mit der NATO anzulegen“, focus.de, 27.04.2025. Zum Volltext hier klicken.
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Zur sogenannten Operation Spinnennetz, dem ukrainischen Angriff mit mutmaßlich weit über 100 Drohnen auf russische Luftwaffenbasen tief im Inneren des Territoriums des Aggressors, fassen Alexey Yusupov und Simon Weiß zusammen: „Zeitweise fühlte sich der 1. Juni an wie eine Rückblende in das ereignisreiche Kriegsjahr 2022: Der unterlegen geglaubten Ukraine gelang ein unerwarteter, asymmetrischer und aufsehenerregender Schlag gegen die russischen Streitkräfte. Jubel und Genugtuung begleiteten die mediale und politische Kommentierung, unter russischen Militärexperten herrschte blankes Entsetzen über das geheimdienstliche Versagen auf der eigenen Seite.“
Oberst Markus Reisner, österreichischer Militärexperte, zu Details der Operation: Offenbar sind die Drohnen noch in Teilsegmenten über Kasachstan nach Russland gelangt. Es kam zu keiner Kontrolle an der Grenze, wo die Drohnen als solche zu erkennen gewesen wären. Erst hinter der Grenze auf russischem Grund, in einer alten Werkstatt in Tscheljabinsk, wurden die Drohnen schließlich zusammengebaut, und das liegt vermutlich noch nicht sehr lange zurück. Man hat sie dann mit Sprengstoff bestückt, in Holzcontainern auf Lastwagen verladen und zeitlich synchronisiert in Position gebracht. Per Fernsteuerung haben die Ukrainer das jeweilige Dach der Container geöffnet und eine Drohne nach der anderen starten lassen.“
Harald Kujat, ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr, schätzt ein: „Bei der Bewertung dieser Angriffe wird oft übersehen, dass sich in unmittelbarer Nähe der Flugplätze der strategischen Bomberflotte auch Nuklearwaffenlager befinden. Obwohl diese stark geschützt sind, besteht immer das Risiko, dass eine Drohne fehlgeleitet wird und ein solches Lager trifft. Jeder kann sich ausrechnen, welche Folgen dies hätte. Insofern ist dies ein höchst riskantes Spiel, das hier betrieben wird.“
Petra Erler ist aufgefallen: „Merkwürdigerweise, und darauf macht der Australier John Helmer, der aus Moskau kommentiert, aufmerksam, gab es bereits im April 2024 eine Diskussion auf X darüber, dass die ungetarnten strategischen Bomber Russlands ein gutes Ziel für ukrainische Drohnen darstellen würden. Es folgten enthusiastische Vorschläge, wie das bewerkstelligt werden könnte.“
Alexey Yusupov / Simon Weiß: Von wegen Pearl Harbor, ipg-journal.de, 03.06.2025. Zum Volltext hier klicken.
Frauke Niemeyer: „Der Angriff ist eine Blamage für die Russen“, n-tv.de, 02.06.2025. Zum Volltext hier klicken.
Éva Péli: „Ein höchst riskantes Spiel“ – General a. D. Kujat zu den Drohnenangriffen auf strategische Bomber Russlands, nachdenkseiten.de, 02.06.2025. Zum Volltext hier klicken.
Petra Erler: Geheimdienst-Coups der Ukraine beschädigen die internationale Sicherheit, petraerler.substack.com, 03.06.2025. Zum Volltext hier klicken.
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Im European Union Institute für Strategic Studies macht man sich Gedanken darüber, wie der gegenwärtige EU-Kurs einer dauerhaften verschärften Konfrontation gegenüber Moskau weiter intensiviert werden könnte. Zur Zielstellung heißt es in der Einführung einer jüngst dazu veröffentlichten Studie: „Die EU muss Russland entmachten“.
European Union Institute für Strategic Studies: Unpowering Russia. How the EU can counter and undermine the Kremlin, Chaillot-Paper 186, o.O., Mai 2025. Zum Volltext hier klicken. Zu einer maschinellen Übersetzung hier.
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„Militärexperten warnen vor einer etwaigen Unterlegenheit europäischer Kampfjets gegenüber chinesischen Modellen“, heißt es auf der Plattform german-foreign-policy.com. Und weiter: „Wie es in Analysen des kurzen Waffengangs zwischen Indien und Pakistan übereinstimmend heißt, konnte die pakistanische Luftwaffe mit einem chinesischen Jet vom Typ J-10C und einer chinesischen Rakete vom Typ PL-15 einen oder sogar mehr indische Jets des Typs Rafale abschießen; die Rafale wird in Frankreich gebaut. In Manövern habe sich die J-10C bereits zuvor sehr klar gegen den Eurofighter durchsetzen können, wird berichtet.“
Dimensionen der chinesischen Aufholjagd, german-foreign-policy.com, 26.05.2025. Zum Volltext hier klicken.
Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz
Schlagwörter: Alan Winnington, Aylin Yildirim, Bedrohung, China, Clemens Fischer, Der Meister und Margerita, Eberhard Görner, Frank-Rainer Schurich, Gregor Gysi, Judith Merkushev, Michail Bulgakow, Operation Spinnennetz, Peter-Michael Diestel, Russland, Thomas Rüger, Ursula Winnington, Viola Schubert-Lehnhardt, Weltbühne