Jede Glorifizierung eines Menschen,
der im Kriege getötet worden ist,
bedeutet drei Tote im nächsten Krieg.
Peter Panther
Die Weltbühne, 25/1932
Durch militärische Hochrüstung und eine allgemeine Militarisierung der Gesellschaft soll Deutschland binnen weniger Jahre kriegstüchtig gemacht werden.* Dieser Kurs der herrschenden politischen Elite wird von einschlägigen Think Tanks und von der universitären sicherheitspolitologischen Community ebenso wärmstens begrüßt und unterstützt wie vom Militär, den Geheimdiensten, maßgeblichen Bereichen der Wirtschaft und von deren Lobbyverbänden sowie von nahezu der gesamten Bandbreite der etablierten analogen und elektronischen Medien.
Zugleich erfordert dieser Kurs eine mentale Konditionierung der Öffentlichkeit, um sicherzustellen, dass seine quasi Naturnotwendigkeit angesichts eines angeblich pathologisch aggressiven Russlands mehrheitlich zumindest nicht infrage gestellt, besser aber noch aktiv mitgetragen wird.
Eine auffällige Rolle bei dieser Konditionierung spielen hohe und höchste aktive Bundeswehrmilitärs, die in Vorträgen, Namensbeiträgen in den Medien, gern auch in Interviews, die russische Bedrohung durchbuchstabieren, um den Soldaten wie dem wehrfähigen Rest der Bevölkerung mindsetmäßig – oder, wie man früher gesagt hätte: politisch-ideologisch – auf die Sprünge zu helfen:
- General des Heeres Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr: Putin werde nicht bei der Ukraine haltmachen, sondern weiter nach Westen marschieren. Aber: „Abschreckung muss nicht immer reaktiv sein, sie hat auch aktive Komponenten.“ (Heißt, man könnte auch präventiv oder präemptiv angreifen?) Und: „Allen Soldaten ist klar, dass wir kämpfen können und gewinnen wollen, weil wir gewinnen müssen.“ (Berliner Zeitung, 25.03.2025)
- General der Luftwaffe Christian Badia, der zweithöchste General des NATO-Planungsstabs: „Russland testet Europa und die NATO, wie weit es gehen kann.“ (Merkur.de, 15.02.2025)
- Generalleutnant Harald Gante, Kommandeur Feldheer im Kommando Heer: „Ein vollumfänglicher Angriff Russlands auf einen NATO-Staat könnte trotz anhaltender Bindung russischer Truppen im Ukrainekrieg […] bereits in 2029 erfolgen […].“ Mehr noch: „[…] ein Verschließen der Augen vor der Gefahr eines ‚Kampfes heute Nacht‘ können sich die Soldatinnen und Soldaten des Deutschen Heeres nicht leisten.“ (Defence-Network.com, 26.12.2024)
- Generalleutnant André Bodemann, stellvertretender Befehlshaber des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr und Kommandeur Territoriale Aufgaben: „Wir hatten auch einen Fall, bei dem ein Fahrradfahrer auf militärischem Sperrgebiet aufgegriffen wurde. Der Mann hatte einen russischen Pass, hatte laut einer App auf seinem Smartphone eine ungeheure Strecke auf dem Truppenübungsplatz zurückgelegt, sich sehr viel angesehen – und gab keinen vernünftigen Grund an, warum er dort unterwegs war.“ (DIE ZEIT, 8/2025)
Häufig werden bereits eingeleitete oder als dringend erforderlich dargestellte militärische, infrastrukturelle und sonstige Gegenmaßnahmen begründet und erläutert. Dabei sollte von hochdotierten (siehe in dieser Ausgabe auch Antworten / Hartmut Renk …) Kriegshandwerkern jedoch erwartet werden dürfen, dass sie der Komplexität ihres Arbeitsgegenstandes einigermaßen gewachsen sind. Zweifel in dieser Hinsicht werfen immer wieder Fragen auf, die von den Betreffenden selbst ausgeklammert oder von interviewenden Journalisten gar nicht erst gestellt werden. Ob von letzteren aus Unkenntnis oder mit Vorsatz trotz Kenntnis mag dahingestellt bleiben.
Einige prominente Beispiele aus jüngster und jüngerer Zeit:
- Generalleutnant Alexander Sollfrank, Befehlshaber des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr: Der General äußerte sich Anfang April 2025 darüber, dass wir uns zwar noch nicht im Krieg, „doch schon in einer Auseinandersetzung mit Russland“ befänden: „Wir sehen diverse Formen von hybriden Angriffen, des Ausspähens, der Sabotage oder etwa Einflussnahmen durch Desinformation. Diese Formen von ‚hybrid warfare‘ nennen die Russen nicht lineare [sic!] Kriegführung.“ Die Welt am Sonntag (WamS) wollte wissen: „Die Gerasimow-Doktrin?“ Daraufhin Sollfrank: „Dem russischen Generalstabschef wird ein entsprechendes Konzept zugesprochen, ja.“
Nein, Fake News: Der Begriff Gerasimow-Doktrin geht auf den britischen Russland-Experten Mark Galeotti zurück, der seinerseits bereits 2020 im von der DGAP publizierten Berlin Policy Journal klargestellt hatte: „Was ist die jüngste teuflisch komplexe, rücksichtslos listige Bedrohung, die uns vom Kreml droht? Natürlich ist es die ‚Gerasimow-Doktrin‘.“ Doch die westliche „Verwirrung darüber, was genau diese ‚Doktrin‘ beinhaltet, verrät den grundlegenden Punkt: Sie existiert nicht. […] Ich sollte es wirklich wissen, denn ich war derjenige, der unvorsichtig und unbeabsichtigt die ‚Gerasimow-Doktrin‘ lanciert hat.“ (Zum Volltext Galeottis hier klicken; zu einer maschinellen Übersetzung hier.) Genützt hat das freilich nichts. Die „Doktrin“ passt westlichen Russophobikern einfach zu gut in den propagandistischen Werkzeugkasten. - Generalinspekteur Carsten Breuer: Um Kiew unter Druck zu setzen, hatte Washington durch Ferneingriff die Nutzung der von den USA gelieferten Himars-Raketenwerfer durch die Ukraine eingeschränkt. Medien-Berichten zufolge sei die automatische Echtzeiterfassung von Zielen abgeschaltet worden. Vor diesem Hintergrund wurde debattiert, ob Ähnliches auch bei F-35-Kampfbombern zu gewärtigen sei. (Berlin hat 35 Maschinen bestellt; Kosten: 8,3 Milliarden Euro; siehe auch Blättchen 16/2022.) Die WamS befragt Breuer im März 2025: „Gibt es wasserdichte Garantien, dass die für den Betrieb des US-Kampfjets F-35 nötigen Software-Updates auch tatsächlich verlässlich kommen?“ Breuer wiegelte ab: „Zunächst mal gibt es für den F-35 keinen Kill-Switch [Ausschalter – S.], es wird kein Luftfahrzeug vom Himmel fallen oder plötzlich nicht mehr eingesetzt werden können.“
Diese Antwort klingt unterschwellig nach – lächerliche Frage. Doch hat Jan Opielka, Berliner Zeitung, im F-35-Kaufvertrag folgende Passage gefunden: „Wenn es das nationale Interesse der USA verlangt“, sei es Washington erlaubt, „die Leistungserbringung ganz oder zum Teil zu kündigen oder auszusetzen.“ Die Recherche des Kollegen hat überdies ergeben, dass die Klein-Fritzchen-Vorstellung von einem Kill-Switch in die Irre führt. Denn: „Bei den F-35 kommen als Systeme das Autonomic Logistics Information System (ALIS) oder das neuere Operational Data Integrated Network (ODIN) zum Einsatz.“ Diese Systeme „indes sind cloudbasiert, Daten werden direkt aus der Cloud in den Flieger gespeist. Wer also die Cloud kontrolliert, kontrolliert den Einsatz der Waffe.“ Und die dafür benötigte Cloud-Infrastruktur für die deutschen F-35 stellt wer bereit? Amazon Web Service … - Generalstabsarzt Ralf Hoffmann, Leiter des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Für den Fall eines Krieges rechnet der Sanitätsexperte in einer umfänglichen Stellungnahme, publiziert von der Frankfurter Allgemeine am 31.12.2024, damit, „dass wir schlimmstenfalls [Hervorhebung – S.] bis zu 1000 Patienten zusätzlich am Tag versorgen müssen. Das geht mit den bestehenden Strukturen nicht. Eine meiner Kernaufgaben ist es aktuell, mit den Partnern im zivilen Gesundheitswesen festzulegen, wie wir das organisieren können.“
Nach Hoffmanns Annahme wären also in nur 100 Tagen Kriegsdauer schlimmstenfalls 100.000 zusätzliche Patienten zu gewärtigen. Bei insgesamt lediglich 26.200 Krankenhausbetten zur intensivmedizinischen Versorgung im Lande (Stand: 2023) muss man kein Schwarzseher sein, um zu befürchten, dass ein mehr oder weniger großer Teil der am schlimmsten Verletzten via Triage von vornherein von jeglicher medizinischen Versorgung ausgeschlossen werden müsste.
Was aber noch mehr frappiert: Die Möglichkeit, dass ein Krieg zwischen der NATO und Russland auf die nukleare Ebene eskalieren könnte und dass bereits der Einsatz einer einzigen Kernwaffe gegen ein Ziel in einem großstädtischen Ballungsgebiet eine solche Anzahl an Schwer- und Schwerstverletzten mit multiplen Schädel-Hirn-Traumata, Verbrennungen, Brüchen, Gliedmaßenverlusten und dergleichen mehr nach sich ziehen würde, dass damit jedes nationale Gesundheitssystem sofort heillos überfordert wäre, kommt in der ansonsten sehr detailreichen Fachsimpelei des Generalstabsarztes gar nicht vor. Doch vielleicht ist das ja bereits die jetzt so häufig beschworene Resilienz: Das Unbeherrschbare einfach konsequent ausklammern …
Mit der Art und Weise des Auftretens der hier exemplarisch zitierten Generäle korrespondiert nicht zuletzt eine allgemeine mediale Berichterstattung, zu der abschließend eine Leserzuschrift von Norbert G. in der Print-Ausgabe der Berliner Zeitung vom 20. März 2025 ausführlich zitiert werden soll: „Warum fällt eine realistische Kriegsberichterstattung unter den Tisch? Warum zeigen Sie [die Vertreter der journalistisch schreibende Zunft – S.] nicht, was es wirklich bedeutet, ‚kriegstüchtig‘ zu sein? Ich meine Kriegstüchtigkeit nicht vom Konferenztisch oder Sofa aus, sondern vom Schützengraben aus betrachtet. Natürlich ist es kein schöner Anblick, wenn ukrainische, russische, israelische oder palästinensische Soldaten oder Zivilisten durch den Fleischwolf gedreht wurden. […]
Im Gegensatz zu den exponentiellen Kursverläufen für Rheinmetall zeigt aber keine Zeitung, wie es auf einem Schlachtfeld aussieht nach aktiver Friedenssicherung und Demokratieverteidigung durch Himars, ATACMS, Oreschnik, Taurus und wie diese Friedensstifter alle heißen. Egal, auf welcher Seite! Es ist an der Zeit, den Krieg als das zu zeigen, was er ist: ein menschenschlachtendes Großereignis, das tötet, verstümmelt, Witwen und Waisen produziert und nichts als Elend bringt.
[…] Zeigen Sie, was es heißt, wenn eine Gleitbombe oder Kamikazedrohne in eine Schule eingeschlagen hat. Wo sind die Bilder von den wirklich Betroffenen und Leidtragenden? Wo sind die Bilder von Menschen im Dreck, von abgerissenen Gliedmaßen, von toten Vätern, Müttern, Geschwistern und Kindern?
[…] Ich würde von Ihnen als Journalisten erwarten, dass Sie und Ihre Kollegen zeigen, was Krieg für die Betroffenen bedeutet. Zeigen Sie die Bilder des Gemetzels, nicht nur Hofreiter, Strack-Zimmermann, […] Papperger und all die Kriegsgewinnler in ihren sauberen Anzügen.
Zeigen Sie die namenlosen Leichen und Fleischhaufen von Soldaten und Zivilisten, die nicht das Glück haben, den Krieg vom Sitzungssaal oder vom Sofa aus betrachten zu können. Das ist kein Sensationsjournalismus, sondern Berichterstattung. Veröffentlichen Sie Bilder, die erschüttern! Bevor wir sie hautnah erleben müssen. Wenn nicht Sie, wer dann?“
PS: Der Titel dieses Beitrages wurde übrigens durch die Erinnerung des Autors an die „Generale für den Frieden“ inspiriert, eine Gruppierung westlicher Ex-Militärs, die in der internationalen Friedensbewegung gegen den NATO-Raketenbeschluss von 1979 eine maßgebliche Rolle spielte. In einer Editorische[n] Notiz in dem 1983 bei Hoffmann und Campe erschienenen Buch „Generale gegen Nachrüstung“ hieß es: „Die Gruppe ‚Generale für Frieden und Abrüstung‘ ist eine Vereinigung ehemaliger Generale und Admirale aus NATO-Ländern, die sich im Jahr 1981 zusammengeschlossen haben. Die Mitglieder der Gruppe verbinden gleichartige Ansichten über die Gefahren des nuklearen Wettrüstens, die Notwendigkeit von Rüstungsbegrenzung und Abrüstung und über Fragen der europäischen Sicherheit. In den vergangenen Jahren hat sich die Gruppe mehrfach zu sicherheitspolitischen Fragen geäußert, so:
- in einem Memorandum an die KSZE-Folgekonferenz in Madrid vom Mai 1981,
- in einem Memorandum an die Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsländer und an die Stabsoffiziere der NATO vom November 1981,
- in einem Memorandum an die Delegationen der 2. UN-Sondersitzung zur Abrüstung vom Juni 1982.
Die Gruppe besteht aus folgenden Mitgliedern: General a.D. Gert Bastian (Bundesrepublik Deutschland), General a.D. Johan Christie (Norwegen), Marshall Francisco da Costa Gomes (Portugal), General a.D. Michael N. Harbottle (England), General a.D. Georgios Koumanakos (Griechenland), General a.D. Michiel Herman von Meyenfeldt (Niederlande), General a.D. Antonios Papaspyrou (Griechenland), Admiral a.D. Miltiades Papathanassiou (Griechenland), General a.D. Nino Pasti (Italien), Admiral a.D. Antoine Sanguinetti (Frankreich), General a.D. Michaiis Tombopoulos (Griechenland), General a.D. Günter Vollmer (Bundesrepublik Deutschland).“
* – Siehe auch Blättchen 23/2024, 24/2024, 1/2025, 4/2025 und 8/2025.
Schlagwörter: Bundeswehr, Generale, Krieg, kriegstüchtig, Sarcasticus