„Wir sind nicht mehr im Frieden. […] Denn wir befinden uns tatsächlich in einer strategischen Konfrontation mit Russland.“
Alexander Sollfrank, Generalleutnant,
Kommandeur des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr,
Januar 2025
„Ein vollumfänglicher Angriff Russlands auf einen NATO-Staat könnte trotz anhaltender Bindung russischer Truppen im Ukrainekrieg […] bereits in 2029 erfolgen […].“ Und: „Es liegt […] in unseren Händen, ein realistisches Kriegsbild als Maßstab anzulegen […]. Denn ein Verschließen der Augen vor der Gefahr eines ‚Kampfes heute Nacht‘ können sich die Soldatinnen und Soldaten des Deutschen Heeres nicht leisten.“
Harald Gante, Generalleutnant,
Kommandeur Feldheer im Kommando Heer,
Dezember 2024
„Wir müssen am Mindset der Bevölkerung arbeiten.“ Man erlebe aktuell „eine Angriffsphase des Gegners“ – Russlands –, „die schon läuft“.
Michael Giss, Kapitän zur See,
Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg,
Januar 2025
Und schon 2020, also Jahre bevor Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius durch seinen Auftritt im Deutschen Bundestag am 5. Juni 2024 den Begriff kriegstüchtig gegenüber der breiten Öffentlichkeit salonfähig machte, hatte Generalleutnant Alfons Mais, Heeres-Inspekteur der Bundeswehr, postuliert: „Ziel des Heeres ist Kriegstüchtigkeit, einsatzbereite Kräfte allein genügen nicht! Wir müssen einstecken, wiederaufstehen, gegenhalten und letztendlich gewinnen können!“
Es ist also förmlich mit Händen zu greifen: In den Führungsetagen der Bundeswehr wird Morgenluft gewittert – nämlich jene eines Krieges mit Russland, dessen Ob nicht mehr infrage zu stehen scheint, nur noch dessen Wann und Wie.
Und nicht wenige haben sich bereits eingereiht in den spätestens seit dem 24. Februar 2022 regierungsamtlichen Kurs einer allgemeinen Militarisierung und Kriegsvorbereitung, der neben einer außerordentlichen Intensivierung militärischer Hochrüstung nicht nur krakenartig immer weitere Bereiche der Gesellschaft einbezieht, sondern dort offenbar verbreitet auf willige Gefolgschaft stößt. Die lässt fatale Erinnerungen an das wilhelminische Deutschland aufkommen: „Der Kaiser rief und Alle, Alle kamen“.
Bereits im November 2024 hatte die FAZ berichtet, dass die Bundeswehr Unternehmen seit Kurzem mit dem Ernstfall konfrontiere. Grundlage sei der von der Politik beschlossene „Operationsplan Deutschland“, um die hiesigen Gefilde für einen Krieg mit Russland zu wappnen. Das Strategiepapier umfasse bereits 1000 Seiten und sei im Detail geheim. Doch immerhin wusste die FAZ, dass die „Rolle der Wirtschaft […] in dem Plan klar umrissen“ sei. In der Handelskammer Hamburg habe es bereits eine Veranstaltung gegeben, in der Unternehmen direkt angesprochen worden seien. Oberstleutnant Jörn Plischke, Chef des Landeskommandos Hamburg, habe konkrete Ratschläge erteilt: „Bilden Sie auf hundert Mitarbeiter mindestens fünf zusätzliche Lkw-Fahrer aus […].“ Denn: „70 Prozent aller Lastwagen auf Deutschlands Straßen werden von Osteuropäern bewegt. Wenn dort Krieg ist, wo werden dann diese Leute sein?“ So werde mit Blick auf den Ernstfall versucht, Unternehmen in Handel, Industrie und Landwirtschaft „aufzurütteln“. Veranstaltungen wie die in Hamburg, so die FAZ, gäbe es schon im ganzen Land.
Wie‘s scheint – mit Erfolg. Denn zunehmend, so Die Zeit ebenfalls bereits im November 2024, würden sich einheimische Unternehmen darauf einstellen, dass Deutschland wieder als potenzielles Kriegsziel gelte. „Wir sehen, dass wir für Russland Feinde sind, auch die Unternehmen“, so Günther Schotten, Geschäftsführer der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft e.V., der zugleich begrüßt, dass die „zivil-militärische Zusammenarbeit“ zunehme. Die Bundeswehr kommuniziere vermehrt mit Industrie- und Logistik-Unternehmen.
Dabei geht es nicht nur um die Rüstungsindustrie, sondern auch um Kraftwerksbetreiber, Speditionen, Raffinerien oder Lebensmittelkonzerne – um all jene Bereiche, die ineinandergreifen müssten, damit Deutschland im Falle eines Krieges mit Russland als Drehscheibe für Truppen-, Großwaffen- sowie Nachschubtransporte nach Osten fungieren könnte. In einschlägigen Quellen ist von mindestens 70.000 Soldaten samt sämtlicher Ausrüstung die Rede.
Praktisch nie thematisiert wird in diesem Zusammenhang allerdings, dass Deutschland damit zum vorrangigen Ziel für russische Angriffe würde, um die logistische Infrastruktur für Militärtransporte an ihren verletzlichsten Stellen (zum Beispiel Hafenanlagen, Flughäfen, Großdepots sowie Brücken über Rhein, Elbe, Oder) möglichst frühzeitig, gegebenenfalls auch präventiv, zu zerstören. Dass Moskau sich dafür den Ersteinsatz von Atomwaffen ausdrücklich vorbehält, war unter anderem Gegenstand der jüngsten Veränderungen der russischen Nukleardoktrin (siehe Blättchen 21/2024 und 25/2024).
Vielleicht hülfe in solchem Falle eine engere Kooperation der Bundeswehr mit der Berliner Charité? Beide Seiten, so ist einer Pressemitteilung vom 29. Januar 2025 zu entnehmen, wollen „ihre Kompetenzen zur Bewältigung von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen [Hervorhebung – S.] Gefahrenlagen erweitern, vorhandenes Wissen austauschen und ihr Personal zur Bewältigung komplexer Lagen fachlich befähigen“.
Bedacht werden sollte in diesem Kontext jedoch – und darüber liegen internationale Studien seit Beginn der 1980er Jahre vor, die inzwischen womöglich in Vergessenheit geraten und jedenfalls heutigen Akteuren nicht präsent sind –, dass bereits die humanmedizinischen Folgen eines einzigen Kernwaffeneinsatzes gegen ein städtisches Ballungsgebiet jedes nationale Gesundheitssystem heillos überfordern würden – infolge der schieren Anzahl (zumindest zeitweise) überlebender ziviler Opfer mit Verstrahlungen, Verbrennungen unterschiedlicher Schweregrade, multiplen Frakturen, Schädigungen der Atmungsorgane, psychischen Traumata. Ein Rückblick auf die gesundheitlichen Konsequenzen der US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 vermittelt zumindest einen Eindruck von den zu erwartenden Dimensionen. Im Kampf gegen die zunehmende atomare Kriegsgefahr in der ersten Hälfte der 1980er Jahre war daher „Die (Über-)Lebenden werden die Toten beneiden!“ ein gängiger Slogan.
Doch zurück zu den Kriegsvorbereitungen gegen Russland. Einen Beitrag dazu geleistet, das Mindset der Öffentlichkeit – hier im Sinne der Bereitschaft der Bevölkerung, einen Krieg mit Russland aktiv mitzutragen oder doch zumindest passiv hinzunehmen – zu schärfen, hat mittlerweile auch das Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, ein als eingetragener Verein mit Sitz in Berlin, dem Gemeinnützigkeit attestiert ist. Dessen Vorstand gehören Vertreter mehrerer Bundes- und Landesministerien, der Feuerwehr und des Malteser Hilfsdienstes an sowie diverse private Securityfirmen und – last but not least – Marieluise Beck, eine langjährige Ex-Bundestagsabgeordnete (Bündnis 90/Die Grünen), die aktuell das mit Geldern aus dem Bundeshaushalt mitfinanzierte Zentrum Liberale Modeme (LibMod) betreibt.
Am 31. Januar 2025 veröffentlichte das Forum das „Grünbuch ZMZ 4.0“, das sich mit der Heranziehung von Zivilpersonen in die militärische Logistik im Krisen- und Kriegsfall befasst. Im Frühjahr 2030, so das Grünbuch, könnte es zwischen der NATO und Russland soweit sein. Dann müssten, weil die regulären Bundeswehreinheiten weitgehend für Kampfhandlungen benötigt würden, landesweit in großer Anzahl Zivilisten herangezogen werden, etwa zur Einrichtung sogenannter Convoy Support Center – einer Art „Rast- und Sammelplätze für die mit Kraftfahrzeugen marschierenden Truppen“. Bereitgestellt werden müssten unter anderem Verpflegung, Treibstoffe, Übernachtungs- und Abstellkapazitäten; zu leisten seien Unterstützung bei Wartung und Sicherung des militärischen Geräts sowie die medizinische Versorgung.
In letzterer Hinsicht müsste das gesamte öffentliche Gesundheitswesen – sämtliche Akteure, also nicht nur einschlägige Rettungsdienste, Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen, sondern auch ambulante Versorgungseinrichtungen, Arztpraxen und Apotheken – prioritär dem Militär zur Verfügung stehen. Denn es sei „mit bis zu 1.000 Patientinnen und Patienten pro Tag zu rechnen, von denen 33,6 Prozent intensivpflichtig, 22 Prozent vermehrt pflegebedürftig und 44,4 Prozent leichter verletzt sind“. Das Grünbuch moniert in diesem Zusammenhang: „Eine öffentliche Diskussion über eine daraus folgende Reduzierung des Versorgungsniveaus [der Zivilbevölkerung – S.] findet nicht statt, die Bevölkerung ist auf diese nötige Priorisierung nicht ausreichend vorbereitet“. Oder drastischer formuliert: Wenn es für Kassenpatienten schon heute vielfach ein Kunststück oder ein Glücksfall ist, einen Arzttermin zu ergattern – wenn der Krieg mit Russland erst ausgebrochen ist, hat sich auch diese Frage erledigt.
Und apropos 33,6 Prozent [der täglichen Verwundeten von der Ostfront – S.] intensivpflichtig: Laut Intensivregister der deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gab es Anfang Januar 2025 bundesweit 11.822 belegte Intensivbetten. Die Zahl der belegbaren, also noch freien Intensivbetten belief sich auf 1977. Bei, die Annahmen des Grünbuchs zugrunde gelegt, täglich 336 Intensivverwundeten von der Ostfront wären diese freien Betten nach sechs Tagen ebenfalls belegt. Und was folgte dann? Eine Triage, die Intensivbetten von zivilen Patienten zugunsten von Militärangehörigen „freiräumt“?
Zur Vollständigkeit gehört, dass für Anfang Januar 2025 zusätzlich eine Notfallreserve von 5215 Intensivbetten ausgewiesen wurde. Für die wird einschlägigen Quellen zufolge allerdings keine Personalreserve vorgehalten.
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Immerhin gibt es noch gesellschaftliche Kräfte, die sich mit bockiger Renitenz den Zeichen der Zeit verweigern. So der Stadtrat von Zwickau, der Anfang Februar mehrheitlich beschlossen hat, Werbung für die Bundeswehr auf städtischen Liegenschaften, bei städtischen Veranstaltungen, in städtischen Schulen sowie an städtischen Fahrzeugen nicht länger zu gestatten. Anlass für den betreffenden Antrag des BSW war eine in Tarnfarben gehaltene Straßenbahn der Zwickauer Verkehrsbetriebe, auf der für den Dienst bei der Bundeswehr geworben wird.
Der BSW-Fraktionschef Bernd Rudolph begründete den Antrag damit, dass die Bundeswehr ihre Werbung hauptsächlich an Minderjährige und Heranwachsende richte und dabei auf Mittel setze, die teilweise irreführend seien: „Krieg ist kein Videospiel. Krieg bedeutet Zinksarg, Verstümmelung und Traumatisierung.“ Und: „Wir denken, unser Land sollte eher friedenstüchtig gemacht werden und eine aktive Rolle bei der Gestaltung einer europäischen Friedensordnung einnehmen, die alle Interessen angemessen berücksichtigt.“
*- Bisherige Beiträge zum Fragenkomplex „kriegstüchtig“ – siehe: Blättchen 23/2024, 24/2024 und 1/2025.
Schlagwörter: Bundeswehr, Drehscheibe, Krieg, kriegstüchtig, Logistik, Nachschub, Operationsplan Deutschland, Russland, Sarcasticus, Transporte