27. Jahrgang | Nummer 5 | 26. Februar 2024

Münchner Einerlei

von Sarcasticus

Während einer besonders zugespitzten Phase des damaligen Kalten Krieges, im Jahre 1981, prägte Willy Brandt, Friedensnobelpreisträger von 1971, das Wort: „Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ Er hatte dabei insbesondere die seinerzeit merklich zunehmende Gefahr eines Atomkrieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt im Blick, der zur Auslöschung der menschlichen Zivilisation hätte führen können, und Brandt blieb seiner Überzeugung treu, dass diese Bedrohung nur durch Kooperation und Interessenausgleich zwischen Ost und West beherrscht und sukzessive beseitigt werden könnte.

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Die turnusmäßige Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hat vom 16. bis 18. Februar stattgefunden. Traditionsgemäß im Nobelhotel Bayerischer Hof.

Die beiden Protagonisten, die das Geschehen, folgt man Medienberichten, maßgeblich prägten, brauchten selbst gar nicht anzureisen:

  • „Die wichtigste Person der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz war weder anwesend noch hielt sie eine Rede“ – Donald Trump (net). Dies bezog sich auf dessen kurz zuvor für den Fall seiner erneuten Präsidentschaft ausgesprochene Drohung, künftig NATO-Partner mit zu niedrigen Militärausgaben kurzerhand „Russland zum Fraß vorzuwerfen“ (faz.net).
  • „Wladimir Putin hat es geschafft, ohne anwesend zu sein, zum bestimmenden Akteur in München zu werden. Pünktlich zum Auftakt der Konferenz kamen die Nachrichten vom Tod Nawalnys und vom Fall Awdijiwkas.“ (SÜDKURIER)

Das in der medialen Berichterstattung skizzierte Stimmungsbild der Tagung war wenig euphorisch:

  • „Diese Konferenz, in früheren Jahren ein Hochamt transatlantischer Einheit und westlicher Zuversicht, war geprägt von Zweifeln und Zaghaftigkeit.“ (stern)
  • „So verunsichert, ja so verzweifelt wie auf der Sicherheitskonferenz 2024 hat man den Westen noch nie erlebt.“ (Münchner Merkur)
  • „Tatsächlich standen Experten wie Politiker in München vor dem Scherbenhaufen westlicher Unentschlossenheit.“ (de)

Die große „Kakofonie“ in München, die Stefan Kornelius, Süddeutsche Zeitung, konstatierte, dürfte in erheblichem Maße Ausfluss des Dilemmas gewesen sein, in das sich der Westen im Hinblick auf den Ukraine-Krieg und das Verhältnis zu Russland selbst hineinmanövriert hat. Einerseits soll der Krieg durch eine russische Niederlage beendet werden, weswegen jegliche westliche Initiative für eine politische Konfliktbeilegung bisher unterblieben ist. Andererseits soll ein direkter militärischer Zusammenstoß zwischen der NATO und Moskau wegen des damit verbundenen Nuklearkriegsrisikos unter allen Umständen vermieden werden. Dieser Ansatz läuft auf eine Quadratur des Kreises hinaus, denn inzwischen ist nicht mehr zu ignorieren, dass ein Sieg Kiews auf dem Schlachtfeld völlig außerhalb der ukrainischen Möglichkeiten liegt und dass in dieser Hinsicht allein mangels Reserven an Manpower kein grundlegender Wandel mehr zu erwarten ist. Dies umso mehr, als die Kombination von westlichem Unwillen und westlicher Unfähigkeit selbst in Fragen elementaren militärischen Nachschubs für Kiew (Stichwort: eklatanter Mangel an Artilleriemunition, Luftabwehrflugkörpern et cetera) inzwischen selbst die weitere defensive Durchhaltefähigkeit der ukrainischen Streitkräfte infrage stellt. Solange man sich aber dieser Realität verweigert und sich damit die Hände bindet, statt, wie der frühere Obama-Berater Charles Kupchan – Professor für Internationale Beziehungen an der renommierten Georgetown University und auch in diesem Jahr wieder MSC-Teilnehmer – angeregt hat, endlich einen Plan B für die Ukraine zu entwickeln, was soll da anderes herauskommen als das Non-Resultat der diesjährigen MSC? Kupchan hatte schon vor Monaten gefordert, Möglichkeiten für einen Waffenstillstand auszuloten.

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Einen Auftritt bei der Sicherheitskonferenz hatte auch der deutsche Bundeskanzler. Wenn Nico Fried, stern, schreibt, dessen Darbietung habe „einmal mehr“ gezeigt: „Olaf Scholz will sich nicht schlecht reden lassen“, dann darf wohl davon ausgegangen werden, dass Scholz mal wieder eine seiner bräsig-selbstgefälligen Sternstunden hatte. En passant setzte er dabei dem eingangs zitierten Diktum Willy Brandts ein eigenes entgegen und nährte durch seine Wortwahl zugleich den Verdacht, dass er sich sicherheitspolitisch in den Fußtapfen des großen Vorgängers wähnt: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts!“

Scholz demonstrierte damit nicht zum ersten Mal sein bemerkenswertes intellektuelles Gefälle im Vergleich zu Brandt, denn der amtierende Kanzler betreibt ja spätestens seit seiner Zeitenwende-Rede vom Februar 2022 eine Politik, respektive folgt einer Strategie, die Sicherheit erneut auf dem Wege von Abschreckung, Aufrüstung und darüberhinausgehender Militarisierung der Gesellschaft zu gewährleisten vermeint. Dabei wird – wie im ersten Kalten Krieg – das permanente Risiko selbst eines Atomkrieges (nicht zuletzt durch die fortgesetzte nukleare Teilhabe Deutschlands im Rahmen der NATO) nicht nur in Kauf genommen, sondern quasi zur condicio sine qua non der Gewährleistung der äußeren Sicherheit hochstilisiert. Das ist ein strikt konfrontativer Ansatz. Den damit bestenfalls erreichbaren Zustand eines Nicht-Krieges im Verhältnis zu Russland dem Publikum als Sicherheit zu verkaufen, würdigt den Begriff zum Euphemismus herab. Allerdings ließen sich damit durchaus schon einmal 40 Jahre Kalter Krieg organisieren. Und in solchen Zeiträumen scheint der Kanzler inzwischen zu denken, denn in München erklärte er ebenfalls: „Deutschland investiert dieses Jahr und auch in den kommenden Jahren, in den 20er-, den 30er Jahren und darüber hinaus, zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung.“ (Deutschlands beliebtester Minister, Wehrressortchef Boris Pistorius, sekundierte: „Nun werden wir für die kommenden Jahrzehnte bedauerlicherweise mit Trennlinien in Europa leben müssen: Das freie und demokratische Europa einerseits, das autoritäre und kriegstreiberische Russland andererseits.“) Das ist, wenn man sich daran erinnert, dass der erste Kalte Krieg nicht durch Konfrontation, sondern durch Entspannung, militärische Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung beendet wurde und dass seinerzeit die Brandt/Bahrsche neue Ostpolitik der ausgestreckten Hand am Anfang des Weges dahin stand, so ziemlich das Dümmste, was einem einfallen kann.

Bleibt zu hoffen, dass Scholz, der längst auch aus den Reihen seiner eigenen Koalitionsfraktionen im Bundestag unter zunehmendem Druck steht, weitreichende Marschflugkörper vom Typ Taurus zur Bekämpfung strategischer Ziele auf russischem Territorium an Kiew zu liefern, zumindest in dieser Hinblick nicht auch noch einknickt. Denn wer den Krieg auf diese Weise nach Russland trüge – Moskau ist von der ukrainischen Grenze weniger als 500 Kilometer entfernt, läge also in Taurus-Reichweite –, da ist Sahra Wagenknecht schwerlich zu widersprechen, der holte ihn womöglich nach Deutschland.

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Im Übrigen ist die Münchner Sicherheitskonferenz 2024 quasi zu ihren Anfängen zurückgekehrt. Als sie 1963 als Wehrkundetagung aus der Taufe gehoben wurde, erfolgte dies unter dem Motto „Frieden durch Dialog“. Das war seinerzeit ein unverfrorener Etikettenschwindel, weil jener internationale Akteur, mit dem der Westen in Sachen Friedenssicherung zuvorderst hätte in Dialog treten müssen – zumal ein Jahr nach der hoch brisanten Kuba-Krise –, nämlich die Sowjetunion, gar nicht erst eingeladen war. Zur diesjährigen Tagung nun wurde auf der MSC-Website ausdrücklich daran erinnert, dass sich der „Kernauftrag […] nicht geändert“ habe, „Frieden durch Dialog zu schaffen“. Doch Russland und Iran, die Antipoden des Westens in den derzeit heißesten internationalen Konflikten – Ukraine und Naher Osten – blieben wieder vorsätzlich ausgesperrt. „Damit schließt sich ein Kreis, der von der Eiszeit des Kalten Kriegs in die Eiszeit der Gegenwart führt.“ (Thomas Fasbender, Berliner Zeitung)

 

PS: Zur diesjährigen MSC wurden 50 Staats- und Regierungschefs, rund 60 Außenminister sowie über 25 Verteidigungsminister erwartet. Der Sicherheitsaufwand in der Münchner Innenstadt war wieder gewaltig, zumal erneut Gegendemonstrationen stattfanden. Mehr als 5000 Polizeibeamte sollen im Einsatz gewesen sein. Dazu Hunderte von Bundeswehrangehörigen direkt im Konferenzbetrieb: Delegationsbetreuung und Sicherheit, Material- und Personentransport, Dolmetscherleistungen, Saaldienst und Protokoll sowie sanitätsdienstliche Unterstützung. Auch die Flug- und Drohnenabwehr rund um das MSC-Geschehen leistete die Bundeswehr, deren Einsatzkosten auf allein etwa eine Million Euro beziffert werden. Zu erbringen durch den Steuerzahler.

Und die sonstige Finanzierung? Größter Geldgeber des MSC-Stiftungskapitals von etwa zwei Millionen Euro ist der Bund, also wieder der Steuerzahler. Neben der Million aus dem Verteidigungsministerium flossen weitere Gelder aus dem Entwicklungshilfeministerium (zuletzt rund eine halbe Million), aus dem Auswärtigen Amt, vom Bundespresseamt (schon mal rund 350.000 Euro). Das Bundeskriminalamt stellte gepanzerte Fahrzeuge für die Konferenzteilnehmer. Alles vulgo nochmals der Steuerzahler.