Auf der Weiterfahrt von Burgos nach Calahorra in der Region La Rioja plötzlich ein Hinweisschild an der Autobahn: „Museo Würth 5 km“. Der Schrauben-Milliardär, einer der größten Kunstsammler weltweit, war uns im vergangenen Jahr bereits im Schweizerischen Rorschach am Bodensee begegnet (Blättchen 21/2022). Wie dort unterhält der Mann auch hier ein außen- wie innenarchitektonisch ansprechendes Museum für moderne Kunst; Eintritt frei, wie in der Schweiz. Der zugehörige Ort heißt Agoncillo und liegt nicht nur selbst am Ende der Welt, sondern sinnigerweise befindet sich das Museum auch noch in einem industriellen Gewerbegebiet. Gezeigt wird bis Februar 2024 die Ausstellung „Tiernatur. Tierdarstellungen in der Sammlung Würth“ mit etwa 150 Arbeiten aus der Zeit von 1875 bis 2020. Unter den vertretenen Künstlern auch Pablo Picasso, Andy Warhol, Joan Miró, Henry Moore, Georg Baselitz, Günter Grass …
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La Rioja als geschützte regionale Herkunftsbezeichnung für Wein aus Spaniens seit langem unter Kennern geschätztesten Trauben ist zwar die national älteste, existiert gleichwohl aber erst seit 1926. Die Region an sich ist allerdings schon etwas älter: Ursprünglich zu Navarra gehörig, war sie bereits ab 1076 Teil Kastiliens. Nach dem Ende der Diktatur Francos, dessen Putsch gegen die Spanische Republik 1936 sich der Landstrich sofort angeschlossen hatte, sollte La Rioja entweder erneut Kastilien oder dem Baskenland zugeschlagen werden. Da war jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Aufgrund von Protesten der Bevölkerung erlangte auch La Rioja im Zuge der Regionalisierung Spaniens, die zwischen 1976 bis 1983 stattfand, den Status einer comunidad autónoma und ist mit nur etwas über 5000 Quadratkilometern, lediglich gut 300.000 Einwohnern und ohne eine einzige Siedlung, die den Namen Großstadt verdiente, seither die kleinste Autonome Gemeinschaft des Landes, doch als Weinanbaugebiet gleichwohl die Krone in Spanien und weltberühmt.
Calahorra – Kleinstadt am Ebro, zwar mit nur 18.000 Seelen, aber doch Hauptort der Rioja Baja, des südöstlichsten Teils der Rioja-Region – grüßt neben den Einheimischen auch seine Besucher mit zerfallender Bausubstanz am Rande des Zentrums. Dazu gesellt hat sich das Betonskelett einer mehrgeschossigen Bauruine, die, aus den Maßen der auf ihr befindlichen und von den Bewohnern Jahr um Jahr erhöhten Storchennestern geschlossen, bereits etliche Jahre bloß noch herumsteht. Das vielleicht bemerkenswerteste Ereignis der Stadtgeschichte wiederum datiert fast 1000 Jahre zurück: Um das Jahr 1080 besiegte der spanische Nationalheros El Cid im Duell den Schwertträger des Königs von Aragon und gewann Calahorra damit für Kastilien. Noch 115 Millionen Jahre früher, in der Kreidezeit, herrschten ganz andere Siedlungsverhältnisse vor. Südwestlich der Stadt stapften durch eine seinerzeit schlammige Seeuferzone zahlreiche Saurierarten, deren mittlerweile versteinerte, bis zu 30 Zentimeter lange Fußspuren an circa 40 Stellen um Calahorra besichtigt werden können, zum Beispiel in Peñaportillo am Cicados-Fluss.
Unsere Übernachtungsstätte, der Parador von Calahorra – benannt nach dem in Spanien im ersten Jahrhundert nach Christus geborenen und lange dort wirkenden römischen Rhetoriklehrer Marcus Fabius Quintilianus – ist ein viergeschossiger eleganter Backsteinbau mit dem dafür typischen roten Farbton, der mit dem intensiven Grün der Vegetation des ihn umgebenden Palmengartens harmonisch kontrastiert.
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Nächstes Ziel auf unserer Reiseroute – die Kleinstadt Alcañiz. Doch der Weg dorthin führt vorbei an Zaragoza, der fünftgrößten Metropole des Landes. Die Hauptstadt der Autonomen Gemeinschaft Aragonien ist allemal einen Abstecher wert. Seinen Namen verdankt Zaragoza der Römersiedlung Caesaraugusta, die Kaiser Augustus zwischen 24 und 12 vor Christus als Ruhesitz für Veteranen seiner Legionen gegründet hatte.
Beeindruckend beherrscht wird die Silhouette der Stadt durch die gleichermaßen wuchtige wie elegante Catedral-basílica de Nuestra Señora del Pilar (Kathedrale und Basilika Unserer Lieben Frau auf der Säule), der größten Barock-Kirche Spaniens und direkt am Ufer des Ebros gelegen.
Die Legende besagt, dass bereits im Jahre 40 nach Christus, also noch zu Lebzeiten der Gottesmutter Maria, die erste ihr geweihte Kirche überhaupt genau an diesem Ort errichtet worden sei. Christianisierend soll der Apostel Jacobus der Ältere die Gegend durchstreift und niedergedrückt von den Lasten seiner Mission – „mutlos und verzweifelt“, wie die Website katholisch.de zu vermelden weiß – Rast am Ebro eingelegt haben. Da sei ihm, auf einer Säule (pilar) sowie umgeben von Engeln, die Gottesmutter erschienen. Das Ereignis gilt kirchengeschichtlich als die früheste aller Marienerscheinungen – und habe Jacobus, wie man heute sagen würde, einen Motivationsschub verpasst. Nicht ohne ihn zugleich dazu aufzufordern, am Ort eine entsprechende Weihestätte zu schaffen. Als Maria wieder entschwand, habe sie die Authentizität verbürgende Säule zurückgelassen. In der heutigen Basilika auf einer solchen steht ihre in Zaragoza und weit darüber hinaus hoch verehrte, nur knapp 50 Zentimeter große Skulptur. Lange bevor die Basilika errichtet werden konnte, eroberten allerdings erst einmal die Mauren die Stadt, nämlich im achten Jahrhundert, und hielten sie bis 1118.
Quasi als größten Sohn Zaragozas betrachtet man am Ort gern Francisco José de Goya y Lucientes, der zwar weder in den Mauern der Stadt geboren, noch während der Hochphasen seines künstlerischen Schaffens dort gelebt oder wenigstens in der Stadt verstorben wäre. Doch zumindest hat Goya, beginnend 1760, da zählte er 14 Lenze, seine handwerkliche und künstlerische Ausbildung in Zaragoza erhalten, bei dem Barock-Maler José Luzán y Martínez. Die Stadt manifestiert ihren Anspruch auf den Künstler heute nicht nur durch ein lebensgroßes Bronzedenkmal auf der repräsentativen Plaza del Pilar, dem großen Platz vor der Basilika, sondern sie hat ihm auch ein eigenes Museum gewidmet, Museo Goya – untergebracht im Palacio de los Pardo, einem schönen Renaissance-Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. Glanzlichter der Sammlung sind die Stichserien Goyas, zuvorderst die berühmten „Capricos“, die düster-horriblen „Desastres de la Guerra“, seine Stierkampfillustrationen („Tauromaquia“) sowie die geheimnisvoll-abseitigen „Disparates“.
Weiter ging es von Zaragoza in Richtung Fuendetodos, dem knapp 60 Kilometer südlich gelegenen Geburtsort Goyas. Die Straße führt durch eine äußerst karge Berglandschaft, deren Vegetation, wenn überhaupt, nur aus vereinzeltem niedrigem Buschwerk besteht. Dafür wird die Gegend bis zum Horizont beherrscht durch hunderte von Windrädern, von denen während unserer Passage und trotz heftiger Briese die meisten seltsamerweise nicht rotierten.
Am Ortsrand von Fuendetodos erwartete uns auf einer begrasten Brache ein Hirte samt seiner recht gemischten Herde: eine Kuh, Ziegen, ein Maultier. Dazu ein Hütehund mit sehr zielführendem Gebiss. Als wir uns näherten, hing ein unverkennbarer Hautgout von frischem Dung in der Luft. Und dies war mirakulös. Denn die menschliche wie die tierischen Gestalten bestehen durchweg aus arrangiertem – Schrott. Der Künstler ist offenbar im Ort zu Hause, denn wenig später entdeckten wir ein solches, dessen Fassade von keramischem Getier bevölkert wird und in dessen kleinem Hof genügend Schrott versammelt war, um die Herde am Ortsrand zu erweitern.
Ob das schlichte Steinhaus, das in Fuendetodos als jenes der Familie Goya präsentiert wird, dieses tatsächlich gewesen ist, dafür fehlen belastbare Belege. Ein Blick ins Innere blieb uns verwehrt, weil wir wieder einmal nicht in Rechnung gestellt hatten, dass wir in Spanien waren – Siesta von 14.00 bis 16.00 Uhr.
Also weiter nach Alcañiz.
Wird fortgesetzt.
Die bereits erschienenen Teile dieser Reisenotizen sind in folgenden Ausgaben: 10/2023, 11/2023, 12/2023 und 13/2023.