26. Jahrgang | Nummer 12 | 5. Juni 2023

Durch Spaniens Norden

von Alfons Markuske, zz. Seu d’Urgell, Katalonien

Unser Parador im galicischen Cambados – nur durch eine breite Uferpromenade von den Gestaden des Atlantiks getrennt – befindet sich im Pazo de Bazán, einem ehemaligen Herrschaftshaus, dessen Ursprünge im 17. Jahrhundert liegen; die Zimmer sind komfortabel, aber eher im schwächeren Spektrum dessen, womit die Hotelkette üblicherweise aufwartet.

Auf der Homepage von Paradores wird Cambados als „schöne[s] Fischerdorf“ gepriesen, und das ist nun wirklich die Übertreibung der Saison: Der Ort hat historisch und touristisch praktisch Nullkommanichts zu bieten, und wer im Hochsommer womöglich ein Bad im Meer nehmen will, der sucht einen geeigneten Strand in Cambados vergeblich.

Wir unternehmen daher einen Tagesausflug ins nur knapp 20 Kilometer entfernte Pontevedra, der Legende nach gegründet vom griechischen Helden Teukros, dem Meriten als bester Bogenschütze im Krieg um Troja nachgesagt werden. Der Ort erlebte seine Blütezeit als Hafenstadt der aufsteigenden Weltmacht Spanien zwar bereits im 15. und 16. Jahrhundert, hat davon jedoch zahlreiche architektonische Zeugnisse in unsere Tage hinübergerettet. Ihren Platz in der Weltgeschichte verdankt die Stadt dem Sachverhalt, dass auf einer örtlichen Werft die nur knapp 18 Meter lange „Santa Maria“ gebaut wurde, gleichwohl das größte und daher das Flaggschiff jener kleinen Flottille, mit der der Genueser Cristoforo Colombo im Auftrag der Katholischen Könige Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon 1492 die Karibik erreichte.

Wenn man Pontevedra heute mit dem Auto besucht, ist man gut beraten, vor der Einfahrt in die Innenstadt im Navi die Suchfunktion nach einer Parkmöglichkeit zu aktivieren, denn oberirdisch droht anderenfalls ein Frustmarathon. Wir landen ziemlich entspannt in einem unterirdischen Parkhaus, von dem aus es nur weniger Fußminuten bedarf, um ins historische Zentrum zu gelangen. Zu unserer großen Überraschung ist im Tourismusbüro an der Plaza de España ein Plan des historischen Stadtkerns außer im heimischen Idiom nicht nur in Englisch, sondern auch in Deutsch vorrätig. Unmittelbar neben dem Büro erhebt sich das Monumento Heroes de Ponte Sampaio, das an eine siegreiche Schlacht spanischer Truppen gegen die napoleonischen Invasoren im Jahre 1809 erinnert.

Der Karte folgend mäandern wir durch die stimmungsvollen, teil pittoresken Straßen und Gässchen. Mittags um 12:00 Uhr intoniert ein Glockenspiel von einem der Kirchtürme im Zentrum ein Ave Maria. Und wie uns bereits in verschiedenen Städten in anderen Landesteilen aufgefallen war, finden sich auch in Pontevedra im Stadtbild immer wieder Bronzefiguren in Lebensgröße und vor allem zu ebener Erde (Sockel bleiben natürlich Königen, Granden und anderen Obrigkeiten vorbehalten): Da sitzen dann Dichter mit Buch in der Hand auf Parkbänken, stehen verdiente Lokalpolitiker mit oder ohne Hut auf dem Trottoire und sind nicht zuletzt Gestalten aus dem Alltagsleben „verewigt“ – so füttert vor der Markthalle in Pontevedra eine Bäuerin ihre Hühner. Apropos Markthalle: Fangfrischer Fisch und Meeresfrüchte, insbesondere die üppige Fülle an Krustentieren, lassen das Herz des Gourmets höher schlagen. Gott sei Dank sind es von der Markthalle bis zum sehr einfachen Restaurant Taberna de Felix in der Rúa Figueroa nur wenige Fußminuten. Dort gibt es zu sehr zivilen Preisen köstliches Landestypisches – tapas ebenso wie die (Salat ist im Spanischen weiblich) sehr sättigende ensaladilla rusa. Nur den legendären pulpo al la gallega (Oktopus auf galicische Art) finden wir auf Felix‘ Speisekarte nicht.

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Auf dem Weg zu unserem nächsten Domizil, dem Parador de Santo Esteveo in Nogueira de Ramuín nahe Luintra, wollen wir nach dem asturischen (siehe Blättchen 11/2023) nun den galicischen Escorial besuchen – die 35 Kilometer von Ourense in einem abgelegen Landesteil erbaute und bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreichende ehemalige Zisterzienser-Abtei in Oseira (Monasterio de Santa María a Real de Oseira). Eine Anlage, die ob ihrer quadratischen Grundrisse, ihrer schieren Größe und Wuchtigkeit den Vergleich mit dem eigentlichen Escorial, dem burgähnlichen Schloss, das sich Philipp II. unweit von Madrid errichten ließ, um sich darin lebendig zu begraben, nicht scheuen muss. Leider ist der Komplex, wie wir vor Ort feststellen, nur im Rahmen von Führungen zu besichtigen, und wer – wie wir – mittags kurz nach 12:00 Uhr dort eintrifft, der hat Pech. Siesta. Bis 15:30 Uhr. Da können wir uns nur mit einer digitalen Besichtigung behelfen, die allerdings auch nicht unbeeindruckend ausfällt.

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Der Parador de Santo Esteveo ist ein weiterer ehemals katholischer Klosterkoloss in der abgelegenen Bergwelt Galiciens, eröffnet 2004 als insgesamt dreizehnter in dieser nordwestlichsten spanischen Provinz.

Wer bei der Anfahrt in seinem Navi als bevorzugte Streckenführung „schnellste“ (für den Algorithmus offenbar vor allem an das Kriterium kürzestmögliche gebunden) nicht deaktiviert hat, wird unweigerlich auf eine endlos erscheinende Serpentinenstrecke über immer schmalere Pisten geschickt, bei denen dem Fahrer die Vorstellung, dass ihm ein Bus oder ein vergleichbar voluminöses Nutzfahrzeug begegnen könnte, kalten Schweiß auf die Stirn treibt. An der Rezeption des Paradors hatte man in unserem Fall dafür ein mitfühlendes Lächeln und eine regionale Karte, auf der etliche weniger herausfordernde An- und Abfahrten verzeichnet sind …

Lagen Ausstattung, Größe und Komfort der von uns in den Paradores gebuchten Standard-Doppelzimmer schon üblicherweise oft deutlich über dem Niveau von herkömmlichen 4-Sterne-Hotels, so beamt uns das vom Haus veranlasste Update in diesem Parador endgültig über die Schwelle zum Luxuriösen, was die unaufdringliche Gediegenheit des Mobiliars und das elegante Interieur des Badezimmers in grauem Marmor anbetrifft, aber auch die Abmessungen des Bettes. Sinnigerweise sind die Zimmer dieser Kategorie hier allesamt nach Bischöfen benannt; wir nächtigen in der „Klause“ von Bispo Alfonso.

Wer einen halbstündigen, teils heftig bergan führenden Aufstieg in die Umgebung dieses selbst bereits hoch gelegenen Paradors nicht scheut, kann von einem mirador (Aussichtspunkt) aus einen hervorragendem Blick hinunter auf die Klosteranlage und die Landschaft werfen.

Wird fortgesetzt.