26. Jahrgang | Nummer 7 | 27. März 2023

Bemerkungen

Kleine Lage mit IM

Unserer Redaktion wurde dieser Tage ein Dokument zugänglich gemacht, das unser Leser Jürgen Scherer im Darknet auf www.leaks.info ausfindig machen konnte. Wir machen es hiermit der Öffentlichkeit zugänglich:

 

Vertrauliches Protokoll „Kleine Lage im Ministerium des Innern und für Heimat im Februar 23“

Anwesende:     Nancy Faeser, Ministerin für Inneres und Heimat

Olaf Scholz, Bundeskanzler

Boris Pistorius, Minister für Verteidigung der BRD

Annalena Baerbock, Ministerin für Auswärtiges

Robert Habeck, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz

Christian Lindner, Minister für Finanzen

Thema: Monatl. Bericht der Ministerin über die Stimmungslage in der Bevölkerung

 

Liebe Kollegin, liebe Kollegen!

Die Lage in unserem Land ist trotz der Quertreiberinnen Wagenknecht und Schwarzer stabiler als vielleicht zu erwarten wäre.

Woran liegt das?

Nun, wir haben das Zutrauen in unsere Regierung momentan maßgeblich zwei Faktoren zu verdanken: Einmal der Tatsache, dass die verkündete Zeitenwende sofort klug und umsichtig durch finanzielle Erleichterungen für unsere Bevölkerung begleitet wurde und zum Zweiten der gerade hinter uns liegenden Faschingskampagne in unserem Land.

Wie das?

Nun, das wissen wir ja noch aus der Geschichte: Wenn Brot und Spiele geschickt miteinander kombiniert werden, kommt der alte Spruch zum Tragen „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing“. Ich selbst konnte mich vor wenigen Tagen von der Wirkmächtigkeit dieses Mottos überzeugen, war ich doch Ehrengästin auf der traditionellen Fassenachtssitzung der Narren in Mainz. Die Sitzung war letztlich für Millionen Menschen vor den Bildschirmen Ausdruck und Verstärkung für folgende Gefühlslage: Krisen hin, Krisen her. Uns geht’s gut, wir halten zusammen, wir haben Spaß und es lohnt, diese Freiheit zu verteidigen. Es war einfach fantastisch zu erleben, wie die „Vortragsnarren“ unsere gerechte Politik im Hinblick auf die Ukraine ihrem „närrischen Publikum“ in geradezu homöopathischen Dosen vermittelten; für die Homöopathiezweifler…innen unter uns könnte ich auch sagen, subkutan verabreichten. Also da können wir Politiker…innen wirklich noch dazu lernen. Wenn ich nun noch die gerade hinter uns liegenden Rosenmontagsumzüge mit ihren durchweg ukraineaffirmativen und zugleich antiputinschen Motivwägen erwähnen darf, denke ich, dass Optimismus angebracht ist. Wie man/frau mit einem Scherz auf den Lippen die Kanonen knallen lassen kann, da können die deutschen Narren uns allen ein Vorbild sein.

Fazit:

Unsere Sicht auf die Ukraineproblematik wurde in der diesjährigen Karnevalskampagne noch einmal emotional gehypt, sodass sich folgern lässt: Unser Regierungshandeln in Bezug auf die Ukraine schwimmt, entgegen aller Quertreiberbestrebungen der Wagenknechts und Schwarzers, auf einer Welle allgemeinen Zutrauens. Wir brauchen also in unserem Bestreben, den Menschen in unserem Lande weiterhin ein X für ein U vorzumachen, nicht nachzulassen, denn: Wir haben die Narren und Närrinnen mehrheitlich auf unser Seite.

Ich beende hiermit die Kleine Lage für diesen Monat und wünsche uns allen weiterhin gutes Gelingen.

(Anmerkung des Protokollanten: Die Anwesenden klatschten, was wirklich selten vorkommt, der IM Beifall und verließen sichtlich gut gelaunt die Kleine Lage, um sich in der „Ständigen Vertretung“ noch eine „Kleine Lage“ „hinter die Binde“ zu gießen.)

 

FdR: JS; Protokollant der IM anno 2023

Jürgen Scherer

„Du und du und immer nur du!“

Musical? Abgenudelt, die immerselben Story-Schemata, die immerselben testosterontriefenden, bedeutungsschwer dahergeröhrten Schnulzen von Liebe, Verzicht, Verrat und schlussendlichem Finden. Liebe ist eben alles …

Ich garantiere, solch Kunsthonig wird derzeit im Berliner Theater im Palais nicht serviert. Stattdessen gibt es ein subtiles Kammermusical Jason Robert Browns: „Die letzten fünf Jahre“. Broadway vom Feinsten im einstigen Preußischen Finanzministerium! Nadine Aßmann inszenierte das Stück mit leichter Hand – 2019 hatte sie das bereits für das Theater Plauen-Zwickau getan. Damals wie heute gibt Ira Theofanidis die Cathy Hiatt. Andreas Bongard brilliert als Jamie Wellersteen.

Die Geschichte selbst „ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu“, würde Heine sagen. Ein junger Schriftsteller trifft auf eine ebenso junge aufstrebende Actrice – entlarvend die Casting-Szene! –, natürlich verfallen sie einander hoffnungslos, und die Geschichte nimmt ihren üblichen Gang. Nimmt sie nicht, das Musical beginnt mit dem herzzerreißenden „Still Hurting“ Cathys („Jamie ist fort …“), gefolgt von Jamies Song über das Finden seiner großen Liebe. Dazwischen liegen fünf Jahre, auf der Bühne nur knapp zwei Sekunden. Brown lässt die Erzählstränge gegeneinander laufen, sie berühren sich in der Mitte des Stücks, bei der Hochzeit des Paares.

Zuvor erfolgen permanent Liebesschwüre des jungen Erfolgsschriftstellers Jamie Wellersteen. Immerhin glaubt er, was er singt. Brown lässt seinen Helden am Weihnachtsabend für Cathy die Geschichte vom Schneider Schmuel aus Klimowitsch erzählen, der widerwillig seiner Wanduhr gehorcht und für die schönste Frau von allen das schönste Kleid der Welt schneidert. Das ist eine furios vorgetrage Liebeserklärung an Cathy. Einige Zeit später meint Jamie jedoch, selbst davon überrascht zu sein, dass er gerade mit seiner Lektorin geschlafen hat. Illustriert wird seine Umprogrammierung durch die steile Karrierekurve mittels hübscher kleiner pantomimischer Szenen, in denen Andreas Bongard die Eitelkeiten seiner Figur zur Schau stellt. Die Zeitlupen-Einlagen der beiden Darsteller sind ein Erlebnis!

Der Jamieschen Selbstverliebtheit entgegen steht das verzweifelte Bemühen Cathys um Selbstverwirklichung. Mehr als die sommerliche Tingeltour durch Ohio scheint für die junge Frau aber nicht drin zu sein. Als Ausweg will sie wenigstens „ein Teil von ihm“ sein: „Das kann ich tun“. Die kitschige Hochzeitsszene ist ein Akt der Unterwerfung. Nadine Aßmann inszeniert sie leider zu zögerlich. Das Premierenpublikum regierte auf die rosaroten Phrasen mit Gelächter. Es hätte heulen müssen, wenn es sich intensiver auf die Brownsche Musik eingelassen hätte. Dieser Komponist arbeitet souverän auch mit den leisesten Zwischentönen und setzt Kontrapunkte vom Feinsten. Großen Respekt für Damian Omansen am Piano!

Cathy jedenfalls bekommt bald Zweifel, ob einTeil von jemandem sein wirklich bedeutet, „Ich“ zu sein: „Er erschafft die Welt, die uns umgibt, und ich bin ein Teil davon – oder auch nicht“. Das kulminiert schließlich im Vorwurf:„Du und du und immer nur du!“ Recht hat sie. Und er wird die Trennung überwinden. Er wird Literatur draus machen. Cathy wird wohl daran zugrunde gehen … „Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei“, endet Heine sein Gedicht.

Ich habe lange keine Inszenierung mehr gesehen, die so fesselnd erzählt, weshalb eine große Liebe vor die Hunde gehen kann.

Wolfgang Brauer

Wieder am 2., 7. und 14. April sowie am 12. und 26. Mai.

 

Ein wiederentdeckter Berlin-Roman

Der Quintus Verlag widmet sich in letzter Zeit historischen Berlin-Romanen aus den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Erinnert sei nur an die beiden ersten Bände („Der Snob“ und „Berlin W“) der Edmund-Edel-Werkausgabe und den Roman „Berlin Schlesischer Bahnhof“ des deutsch-britischen Schriftstellers Julius Berstl, die alle im Vorjahr erschienen.

Nun folgt mit dem sozialkritischen Roman „Dritter Hof links“ das Romandebüt des heute vergessenen Schriftstellers Günther Birkenfeld, der 1901 in Cottbus geboren wurde, aber in Berlin aufwuchs. Über seine Kindheit und Jugend, ja über seine Familie ist kaum etwas bekannt. Nach dem Studium war Birkenfeld in den späten 1920er Jahren zunächst als Lektor im Paul Neff Verlag tätig, der vor allem kunsthistorische Titel verlegte. Von 1927 bis 1930 war er dann Generalsekretär des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS). Neben verstreuten Gedichten war die Novelle „Andreas“ (1927) sein Erstlingswerk. Mit dem Roman „Dritter Hof links“, der 1929 im Verlag von Bruno Cassirer erschien, gelang Birkenfeld dann der literarische Durchbruch. Eine englische Übersetzung unter dem Titel „A Room in Berlin“ folgte bereits ein Jahr später.

Der Roman erzählt die Geschichte der Witwe Schwarzer, die mit ihren drei halb erwachsenen Kindern in einer Moabiter Mietskaserne im dritten Hinterhof wohnt. Eine enge und dunkle Behausung, aber jedes Kind hat wenigstens ein eigenes Bett mit Matratze und Decken. Die Mutter schläft auf einer Matratze auf dem Fußboden. Sonst noch vier Stühle, ein Tisch und ein Schrank für die wenigen Sachen. Alles andere musste nach dem Tod des Vaters nach und nach zur Auktion oder zum Leihamt gebracht werden. Als Reinigungskraft hält sie die Familie über Wasser. Die zwanzigjährige Erna verdient zwar schon eigenes Geld, was sie jedoch nur für sich verbraucht. Der siebzehnjährige, arbeitslose Paul findet nur noch Gelegenheitsjobs und das fünfzehnjährige Lenchen hat noch Teenagerträume. Die Kinder entgleiten immer mehr der Mutter und so dreht sie schließlich in ihrer Verzweiflung den Gashahn auf.

In seinem Nachwort beleuchtet der Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker Erhard Schütz die Biografie und das literarische Werk von Günther Birkenfeld, der auch mit dem nachfolgenden Roman „Liebesferne“ (1930) sehr erfolgreich war. Beide Romane wurden jedoch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die „Schwarze Liste“ der unerwünschten und auszusondernden Bücher gesetzt. Birkenfeld blieb in Deutschland und konnte auch weiter schreiben, indem er auf das Feld des historischen Romans auswich; er schrieb über Kaiser Augustus und Gutenberg. Nach dem Krieg war Birkenfeld bis 1948 Herausgeber und Chefredakteur der Halbmonatszeitschrift Horizont. Zeitschrift der jungen Generation. Mit seinem Roman „Wolke, Orkan und Staub“ (1955), der ein differenziertes Bild der deutschen Gesellschaft zur NS-Zeit zwischen Widerstand und Anpassung zeichnete, gelang Birkenfeld ein Epochenpanorama, das allerdings schnell in Vergessenheit geriet und erst vor fünf Jahren wiederentdeckt wurde. Birkenfeld, der u.a. zu den Mitgründern des P.E.N.-Zentrums gehörte, versuchte in den 1950er Jahren als Kulturfunktionär vergeblich das Auseinanderdriften von ost- und westdeutscher Literatur zu verhindern. Seine letzten Lebensjahre arbeitete er als Kommentator beim RIAS und als Lektor beim Suhrkamp Verlag. Er starb am 22. August 1966 in West-Berlin.

Mit der Neuausgabe von „Dritter Hof links“ liegt nun ein weiteres authentisches literarisches Zeugnis der Metropole Berlin in der Weimarer Republik vor.

Manfred Orlick

Günther Birkenfeld: Dritter Hof links, Quintus Verlag, Berlin 2023, 240 Seiten, 22,00 Euro.

 

Kleine Kaffeekantate

Wäre es nicht doppelt anregend, wenn sich beim Lesen eines Textes ein Klanggebilde aus den Zeilen löste und Wort und Ton in sinnvolle, thematische Verbindung brächte? Sollte es technisch noch nicht möglich sein, so versuche man es vorläufig mit der eigenen Fantasie. Ist zum Exempel vom Kaffeetrank die Rede, so ertönt sogleich nach dem Lesebeginn Johann Sebastian Bachs Kaffeekantate („Schweigt stille, plaudert nicht“): „[…] Ei! wie schmeckt der Coffee süße, / Lieblicher als tausend Küsse, / Milder als Muskaten Wein. / Coffee, Coffee muß ich haben, / Und wenn jemand mich will laben, / Ach, so schenkt mir Coffee ein! […]“

Die Anregung ist gelungen, die Ermunterung ebenso. Unternehmungsgeist und der Drang nach geselligem Austausch folgen. Die Gedanken sprudeln. Genuss? Sucht? Philosophie? – Von Honoré de Balzac erzählt man, er habe, da er vorwiegend nachts große Literatur schrieb, tassenweise Kaffee getrunken, um wach zu bleiben. Er äußerte sich zum genannten Vorgang: „Kommt der Kaffee erst in unserem Kreislauf an, bewegen sich die Ideen im Eilmarsch wie die Bataillone einer großen Armee.“

Äthiopien gilt als Urheimat des Kaffeebaums, der sich von dort aus die Welt eroberte. Wahrscheinlich entstammt er dem Hochland von Kaffa, wo er wildwachsend anzutreffen ist. Es handelt sich um einen immergrünen Strauch oder Baum, der eine Höhe von bis zu 10 Metern erreichen kann. Der persische Philosoph, Dichter und Heilkundler Avicenna soll die erregende Wirkung der Früchte im 11. Jahrhundert erstmals schriftlich erwähnt haben. Und Linné nahm die Pflanze 1753 als Coffea arabica in sein botanisches System auf. Marco Polo wird zugeschrieben, dass er nach seiner großen Weltreise den Kaffee nach Venedig brachte.

Die Liste passionierter Kaffeetrinker enthält bekannte Namen. Unter ihnen findet man auch Voltaire. Trotz Ermahnungen seines Arztes trank er täglich 40 bis 50 Tassen starken Kaffees, den er mit Schokolade verfeinerte (ein schmackhaftes Gebräu!). – Van Beethoven bemaß eine Tasse Kaffee mit exakt 60 (in Worten sechzig) abgezählten gemahlenen Bohnen, die er mit heißem Wasser übergoss und „ziehen ließ“. – Kierkegaard, der dänische Philosoph, wählte eine besondere Art der Zubereitung. Er soll die Tasse  zuerst bis zum Rand mit Zucker gefüllt, den heißen Kaffee darüber gegossen, und ihn dann, nach völliger Auflösung der süßen Grundlage, getrunken haben. – Kafka urteilt über das koffeinhaltige Getränk: „Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub.“

Ohne Kaffee kein Kaffeehaus, ohne Kaffeehaus keine Kaffeehausliteratur und keine Kaffeehausliteraten. Von den Geschichten, Gedichten und grundgescheiten Gedanken Erich Kästners entstanden so manche im Café. Und Jean Paul Sartre verlegte seine kreativen Stunden oftmals ins Pariser „La Coupole“.

In Venedig soll im Jahr 1647 ein Kaffeehaus am Markusplatz eröffnet worden sein. 1720 folgte das „Caffé Florian“, in dem man auch Frauen den Zutritt gewährte; beste Kaffeesorten und edle Weine waren im Angebot. – Bis in die Gegenwart erhält man im „Florian“ den traditionellen „Caffé Corretto“ (Espresso mit einem Schuss Grappa oder Brandy). In dem berühmten Café hielten, neben anderen Goethe, Casanova, Lord Byron, Cocteau und Thomas Mann Einkehr.

Es müssen wohl die Kaffeehäuser gewesen sein, die mit ihrer stimulierenden Wirkung aus Koffein und kaffeeduftgeschwängerter Luft (zu Zeiten ergänzt durch Tabakarom) Einfluss auf die Entstehung bedeutender Literatur nahmen und nehmen.

Man kennt das „Romanische Café“ in Berlin oder das Wiener Intellektuellen-Café „Hawelka“ oder das „Central“, in dem sich die Literaturwelt traf und wo Robert Musil, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler, Franz Werfel und andere Geistesgrößen sich die Klinke in die Hand gaben. In Leipzig verhalf J. S. Bach dem „Zimmermannischen Caffe-Hauß“ zu musikalischem Ruf. Von 1729 an führte er bei Gottfried Zimmermann mit dem „Collegium Musicum“ Instrumental-Kompositionen und weltliche Kantaten auf. Darunter auch die „Kaffeekantate“.

Ginge es mit rechten Dingen zu, so müssten im Impressum großer Werke aufgeführt sein: Angeregt; erdacht; 3. Kapitel entstanden; den entscheidenden Einfall gehabt; komponiert für; vollendet im Café … (entsprechende Namensgebung).

Hoch lebe der Kaffee!

Renate Hoffmann

Film ab

Gekeimt hatte der Samen um 1810. Entsprossen war daraus eine Stieleiche im Wald von Sologne in Zentralfrankreich, beheimatet überdies direkt am Wasser. Die bildet heute ein so vielfältiges und spannendes Habitat, dass man über diesen Baum einen abendfüllenden Dokumentarfilm ohne ein einziges gesprochenes Wort machen konnte und auch mit nur sehr wenig unterlegter Musik. Die allerdings fällt ausnehmend witzig aus, etwa zur Untermalung der Kopulation von zwei Eichelbohrern aus der Familie der Rüsselkäfer, die in natura zwar nur maximal 7,5 Millimeter messen, aber auf großer Kinoleinwand natürlich viel ausgewachsener rüberkommen.

Unter, an und auf dieser Eiche leben Eichhörnchen, Eichelhäher, Waldmaus und der erwähnte Eichelbohrer. In der Umgebung kommen hinzu – zu Lande: Wildschwein, Reh, Hirsch, Fuchs, Fasan, Dachs und Äskulapnatter; in der Luft: Buntspecht, Meise, Kleiber, Schleiereule, Habicht, Rotkehlchen und Eisvogel sowie auf und im Wasser Nutria, Haubentaucher, Ente, Wasserfrosch und Schwan.

Den Filmemachern sind eins ums andere Mal faszinierende Aufnahmen gelungen. Von denen der Betrachter nebenbei auch gern wüsste, wie sie’s gemacht haben. Dass man zum Beispiel der ausgewachsenen Larve eines Eichelbohrers von hinten quasi über die Schulter blicken kann, während sie durch ein Loch in der Schale ihren Wirt, die Eichel, verlässt. Oder die atemberaubende Flugjagd eines Habichts auf einen Eichelhäher quer durch den Wald, mit Volten und Kapriolen, dabei die Kamera immer parallel auf Höhe des Gejagten oder auch des Jägers. Diese Sequenz dauert im Film bloß eine Minute und 20 Sekunden, bevor der Häher doch noch einen Unterschlupf findet, in den ihm der größere Greif nicht folgen kann. 15 Drehtage soll diese Episode in Anspruch genommen haben – aber sicher kaum, weil die Protagonisten ihren Text nicht draufhatten oder zu oft nachgeschminkt werden mussten … Die Dreharbeiten insgesamt dauerten anderthalb Jahre.

Clemens Fischer

„Die Eiche – Mein Zuhause“, Drehbuch (Mit-Autoren) und Regie: Laurent Charbonnier und Michel Seydoux; derzeit in den Kinos.

 

Soundtracks fürs kreative Kopfkino

Vor über einem Vierteljahrhundert veröffentlichte der Ostberliner Gitarrist Ralf Kothe auf dem Label Amiga sein erstes Instrumentalalbum „Regendurst“. Und kurz bevor der Staat DDR abgewickelt wurde, folgte ein zweites Album mit dem Titel „Die andere Seite“.

Wenngleich Ralf Kothe als Komponist, Musikproduzent, Gitarrist, Studiomusiker und Musikpädagoge bis heute aktiv ist, ist ihm der große Durchbruch leider verwehrt geblieben. Dabei hat er es wirklich verdient, in einer Reihe mit den „West-Gitarristen“ Werner Lämmerhirt, Michael Rother oder dem Duo Kolbe & Illenberger genannt zu werden.

Erfreulicherweise haben die musikalischen Schnüffelnasen des MIG-Labels den historischen Schatz aus DDR-Zeiten entdeckt und haben ihn unter dem Titel „Guitar Ballads I & II“ wiederveröffentlicht.

Auch wenn man etwas despektierlich die Nase über die englische Betitelung der Doppel-CD rümpfen mag, so wird dies durch die klugen Anmerkungen und Informationen des Musikjournalisten Christian Hentschel mehr als kompensiert.

Voller Empathie schreibt er unter anderem: „Gitarristen, die Geschichten erzählen, die laut und leise spielen, die aufbrausend sind, um sich im nächsten Moment nuanciert zurückzunehmen. Gitarristen, die magische Perlen schaffen, die Soundtracks fürs Kopfkino liefern. Einer dieser seltenen Spezies ist der Berliner Ralf Kothe.“

Ralf Kothe bietet die Gelegenheit, gerade wenn man sich seinem Gitarrenspiel konzentriert widmet, im heimischen Wohnzimmer ein eigenes Kopfkino starten zu können. Denn seine Musik ist alles andere als eine billige Geräuschkulisse für häusliche Arbeiten.

Wer sich auf Phantasiereisen begeben mag, wird kreative Bilder voller Sehnsucht aufrufen können. Den Soundtrack hierzu liefert Ralf Kothe.

Seine eigene Intention hat der Musiker auf seinem Debut-Album folgendermaßen skizziert: „Balladen mit der Gitarre erzählen für Leute, die Freude an der Phantasie haben und Lust daran, sich von Saitenklängen in verschiedene Stimmungen treiben zu lassen.“

Thomas Rüger

Ralf Kothe: „Guitar Ballads I & II“, DoppelCD, MIG, 2022, 20,00 Euro.

 

Aus anderen Quellen

Der „Arbeitskreis Gemeinsames Haus Europa“, dem unter anderem Horst Teltschik, ehemals außenpolitischer Chefberater von Bundeskanzler Helmut Kohl, und Harald Kujat, früherer Generalinspekteur der Bundewehr, angehören, warnt: „Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es ein ausgeprägtes Bewusstsein der permanenten Gefahr eines nuklear geführten Krieges. Heute scheint dieses Bewusstsein weitgehend verblasst, überlagert und überformt von globalen Spannungs- und Krisenfeldern wie der Energie- und Welternährungskrise, dem demographischen Wandel und der Übernutzung natürlicher Ressourcen, des Klimawandels, des Terrorismus, der Migration. Doch ist die Gefahr eines nuklear geführten Krieges deswegen nicht geringer geworden. Im Gegenteil […].“

Arbeitskreis Gemeinsames Haus Europa: Zur Einhegung und Überwindung des Krieges in der Ukraine und um die Ukraine, zeitgeschehen-im-fokus.ch, 12.02.2023. Zum Volltext hier klicken (Sucheingabe: Arbeitskreis).

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Der US-Sicherheitsexperte John Mearsheimer hat Einwände gegen die liberale Theorie des demokratischen Friedens, die besage, dass Demokratien nicht gegen andere Demokratien kämpfen und dass eine Welt, die nur von Demokratien bevölkert wäre, eine friedliche Welt sein würde: „Nehmen wir die USA. Sie sind eine Demokratie und haben trotzdem immer wieder demokratisch gewählte Regierungen gestürzt: 1953 im Iran, 1954 in Guatemala, 1973 in Chile – ich könnte die Aufzählung fortführen. Gleichzeitig pflegten die USA immer gute Beziehungen zu Saudi-Arabien, das keine Demokratie ist. Großmächte tun alles, um ihren Platz zu behaupten, egal, ob sie demokratisch sind oder nicht.“

Roger Köppel: „Der Westen hat den Krieg provoziert“ (Interview mit John J. Mearsheimer), weltwoche.de, 22.02.2023. Zum Volltext hier klicken.

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Nach einem Bericht des US-Investigativjournalisten Seymour Hersh geht die Sprengung der Nord Stream-Pipelines auf das Konto Washingtons, wobei der Hauptakteur auf örtliche Unterstützung aus Norwegen zurückgreifen konnte. Eine derartige geheimdienstliche Kooperation zwischen beiden Staaten, so Hersh an anderer Stelle, hätte eine lange Tradition, die bis in die Zeit des Vietnam-Krieges zurückreiche: „Die erste Gruppe norwegischer Patrouillenboote, die für den unerklärten Krieg der CIA gegen die Nordvietnamesen bestimmt waren, bestand aus sechs Booten. Sie landeten Anfang 1964 auf einem vietnamesischen Marinestützpunkt in Danang, fünfundachtzig Meilen südlich der Grenze zwischen Nord- und Südvietnam. Die Schiffe hatten norwegische Besatzungen und norwegische Marineoffiziere als Kapitäne. Der erklärte Auftrag bestand darin, amerikanische und vietnamesische Seeleute in der Bedienung der Schiffe zu unterrichten. Die Schiffe standen unter der Kontrolle einer seit Langem laufenden, von der CIA gesteuerten Angriffsserie gegen Küstenziele in Nordvietnam.“

Fabian Scheidler: Seymour Hersh im Interview – Joe Biden sprengte Nord Stream, weil er Deutschland nicht traute, berliner-zeitung.de, 14.02.2023. Zum Volltext hier klicken.

Seymour Hersh: From the Gulf of Tonkin to the Baltic Sea, globalresearch.ca, 22.02.2023. Zum Volltext hier klicken. Zur deutschen Übersetzung hier.

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Hin und wieder gibt Bundeskanzler Olaf Scholz ausführliche Interviews, um sich und die Welt dem Volk zu erklären, von dem Schaden abzuwenden ihn sein Amtseid verpflichtet. Leider stellen die Interviewer, so jüngst zum Beispiel CNN oder Maybrit Illner, entscheidende Fragen – nicht. Petra Erler hat solche aufgelistet, darunter diese: „Ein Blick in die Vergangenheit: Die Minsker-Abkommen sollten das Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen in der Ukraine bringen. Sie [der Bundeskanzler – WS] haben in Moskau am 15. Februar 22 versichert, die Ukraine würde jetzt liefern. Sie wussten also, dass die Ukraine ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Später erklärte Ihre Vorgängerin, Frau Merkel, Minsk wäre eine Zeitkauf-Politik gewesen. Haben Sie das gewusst? Wie ehrlich waren Ihre Zusicherungen gegenüber Russland?“

Petra Erler: Deutsche Außenpolitik: Ungestellte Fragen an den Bundeskanzler, petraerler.substack.com, 10.03.2023. Zum Volltext hier klicken.

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.

Letzte Meldung

More bucks for the bang* – diesem intellektuell eher schlichten Motto werden die USA auch künftig treu bleiben. Gerade hat Washington seine Budgetplanung fürs Pentagon (Department of Defense, DoD) für das kommende Jahr öffentlich gemacht. Lloyd J. Austin III, ein erkennbar übergewichtiger Vertreter der People of Color und seines Zeichens zuständiger US-Ressortminister, erklärte: „Der Plan für das Haushaltsjahr 2024 ist der am stärksten strategisch ausgerichtete Antrag, den wir je vom Verteidigungsministerium vorgelegt haben.“

Konkret hat die Biden-Harris-Regierung dem Kongress am 9. März 2023 einen DoD-Budgetentwurf in Höhe von 842 Milliarden Dollar für 2024 unterbreitet, was einer Erhöhung um 26 Milliarden Dollar gegenüber dem Haushaltsjahr 2023 entspricht und 100 Milliarden Dollar mehr sind als im Haushaltsjahr 2022. Für die Beschaffung von Großwaffensystemen und anderen unmittelbaren Rüstungsgütern für Luftwaffe, Marine, Heer, Marineinfanterie und Weltraumkommando sind allein 170 Milliarden Dollar veranschlagt.

am

* – Heißt in etwa: Mehr Zaster für den großen Knall.