24. Jahrgang | Nummer 17 | 16. August 2021

Bemerkungen

Wider die Zensur

Seit 1993 erscheint im quartus-Verlag Bucha bei Jena ein literarisches Journal, das den schönen Namen Palmbaum trägt. Gegründet im 375. Jubiläumsjahr der „Fruchtbringenden Gesellschaft“, hat es seinen Namen von deren Wappenschild entliehen. Das ziert die allseits Nutzen bringende Kokospalme. Derzeit bilden Jens-Fietje Dwars und Blättchen-Autor Ulrich Kaufmann die Redaktion der vom Thüringer Literaturrat und dem Palmbaum e.V. herausgegebenen Halbjahresschrift. Wer jemals einen Band in der Hand gehalten hat, weiß, dass der Palmbaum eine spannende Publikation ist, die in der Medienlandschaft ihresgleichen sucht …
Heft 1/2021 widmet sich dem Thema „Zensur – einst und heute“. Zensur? Aha, SED-Zensurbehörden, HV Verlage. Kennen wir doch.
Eben nicht … Natürlich kommt auch Lutz Rathenow zu Wort. Aber es ist unfassbar zu lesen, was ein durchgeknallter Abteilungsleiter Inneres des Rates des Bezirkes Erfurt 1971 dem Dichter Wulf Kirsten mitteilte: „Aus diesem Grunde ist es Privatpersonen nicht gestattet, eigenmächtig Gedichte zu verfassen und zu popularisieren.“
Und der Bogen wird weiter geschlagen. Von Goethe – wir sind in Thüringen, und der Meister war zugleich Zensor und Zensuropfer – bis zum kürzlich verstorbenen Mathias Biskupek, der einen seiner wohl letzten Texte mit „Brüder in eins nun die Hände. Wie wir politisch korrigieren und gendern“ überschrieb.
Gendern? „Was das mit Zensur zu tun hat? Immer, zu allen Zeiten, geben sich Gesellschaften Regeln des Sprechens über ihr Mit- und Gegeneinander. In Zeiten der Not, wenn die Güter knapp und die Futterraufen umkämpft sind, ist auch die Sprache härteren Zwängen unterworfen, zentrale Instanzen sorgen für Moral und Sitte, sprich: sie teilen in Gut und Böse, um die geringen Mittel gewinnbringend einzusetzen und ihre eigene Macht zu sichern.“ So Jens-Fietje Dwars in seinem Beitrag zum Thema „Das sagt man nicht. Von der plumpen zur sublimen Zensur“.
Mir scheint, er hat recht. Auch in der aktuellen „Sprachdebatte“ geht es zuvörderst um Macht und um den Zugang zu den Fleischtöpfen. Das erklärt die Heftigkeit, mit der sie geführt wird. Alles andere ist Beifang, wie die Fischer es nennen.
Den Palmbaum-Machern gelang ein bemerkenswertes Heft.

W. Brauer

Wahnsinn mit Methode

So charakterisiert Autor Tomasz Konicz das globale Agrarsystem. „Der Spätkapitalismus bringt eine regelrecht inzestuöse, in höchstem Maße labile und krisenanfällige Agrarindustrie hervor, die den kommenden klimabedingten Erschütterungen der Nahrungsmittelversorgung der Menschheit nicht gewachsen ist – und diese eher noch verstärken wird“, heißt es in dem Auftaktartikel der Sommerausgabe der Wiener Streifzüge, die sich des Themas Landwirtschaft annimmt. Der Beitrag von Tomasz Konicz ist dessen Buch „Klimakiller Kapital“ entnommen.

Die Beiträge führen aus, was derzeit „dramatisch schief“ läuft, was sich grundlegend ändern muss und was man ganz nah ins Auge fassen kann. Die Artikel beschäftigen sich so mit Monokultur, der Zukunft auf dem Lande, Landraub, „Freihandelsterror“, weisen aber auch auf aktuelle Bemühungen hin – wie auf SoLaKo, eine solidarische LandwirtschaftsKooperative und genereller auf „solidarische Landwirtschaft“.

mvh

Die Streifzüge, Wien, Nr. 82, Sommer 2021, 8,00 Euro. Ausführlichere Informationen und Artikel im Internet.

Musikalischer Seelenbalsam

Im Herbst 1998 erschien „White Ladder“, das vierte Studioalbum des britischen Liedermachers David Gray. Die Erstveröffentlichung auf dem eigenen Label floppte, die Wiederveröffentlichung zwei Jahre später beim Label ATO Records wurde zu einem großen kommerziellen Erfolg, tatsächlich sogar zu seinem größten Erfolg bis dato. Weltweit wurden sieben Millionen Alben verkauft, fünf Singles wurden veröffentlicht; am bekanntesten sicherlich das Lied „Babylon“. Grays Musikstil wird als Folktronica bezeichnet… also eine Genre-Mix aus Folk- und Electronica-Musik.

Zwei Jahrzehnte später ist nun das zwölfte Album des Folkbarden erschienen: „Skellig“. Es hat eindeutig weniger Hitqualitäten, ist aber trotzdem sehr hörenswert. Der Titelsong bezieht sich auf die beiden Felseninseln an der westlichen irischen Küste. Vor 1500 Jahren war dieser unwirtliche Ort eine Wallfahrtsstätte für eine Gruppe von Mönchen, die auf diesem kargen Eiland näher bei Gott sein wollten. Aber es ist weniger ein religiöser Impetus, dem David Gray folgt. Vielmehr zeigt er sich von der Willenskraft der Mönche überzeugt: „Das Leben muss unglaublich hart für sie gewesen sein, und der Versuch, die tiefe spirituelle Überzeugung zu ergründen, die sie dazu veranlasste, der mittelalterlichen Welt zu entkommen, führte mich dazu, meine eigenen tiefsten Sehnsüchte zu erkennen, frei zu sein von all dem endlosen menschlichen Lärm, den wir heute so bereitwillig als einen so unausweichlichen Teil unseres Lebens akzeptieren.“

Das Album insgesamt ist keltisch angehaucht, das musikalische Gerüst fokussiert sich in allen dreizehn Liedern auf Piano, Akustikgitarre und mehrstimmigen Gesang. Auch wenn dieses Album bereits vor der Pandemie entstanden ist: Der melancholische Wohlklang der atmosphärisch dichten Songs erscheint passend für die Corona-Zeit, musikalischer Balsam für die virengeplagte Seele.

Thomas Rüger

David Gray: Skellig. CD, Label: Laugh a Minute Records/AWAL Recordings, circa 14,90 Euro.

Die Müll-Ecke

Die Hälfte aller neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrer in Berlin hat keine Fachausbildung. Im Gesamtbestand des pädagogischen Personals gilt ein Drittel als nicht für diesen Beruf qualifiziert. Die Ergebnisse sind entsprechend.
Inzwischen schlägt dies in den Medien durch. In Berlin war schon immer der Genitiv dem Dativ sein Feind, vom Akkusativ ganz zu schweigen. Singular („Einzahl“) und Plural („Mehrzahl“) wurden hingegen noch weitgehend beachtet. Die Zeiten sind vorbei. „Berlin und Brandenburg hat längere Herbstferien“, meldete ein regionaler Rundfunksender zum Ende der Sommerferien. Die Anstalt wollte mit Sicherheit nicht die Länderfusion vorwegnehmen. Tags drauf stammelte die Nachrichtensprecherin voller Erregung das Neueste über Griechenland: „Die Waldbrände stehen in Flammen.“
Und vor uns steht ein physikalisches Rätsel.

G.H.

Aus anderen Quellen

Joe Bidens „China-Politik unterscheidet sich […] so gut wie gar nicht von der Trumps“, konstatiert Theo Sommer und fährt fort: „Ein Unterschied fällt allerdings ins Auge: Die China-Politik der USA wird nicht mehr mit dem irrlichternden Bombast Trumps verfochten, sie hat sich zur stringenten Doktrin verdichtet – einer Doktrin, nach der laut The Economist die Systemrivalität der alten und der aufsteigenden Supermacht nur einen Gewinner haben kann: die USA.“

Theo Sommer: Der Westen muss eine Haltung zu China finden, zeit.de, 03.08.2021. Zum Volltext hier klicken.

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Die „Zahl 13 gilt als Unglückszahl“, so Heribert Prantl. „Hans-Georg Maaßen kann nichts dafür, dass er einst, es war im Jahr 2012, ausgerechnet der 13. Präsident des Bundesverfassungsschutzes geworden ist. Er kann aber sehr wohl etwas dafür, dass er heute wie einer von denen redet, die der Verfassungsschutz eigentlich beobachten soll.“

Heribert Prantl: Prantls Blick – die politische Wochenvorschau, sueddeutsche.de, 11.07.2021. Zum Volltext hier klicken.

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„Wie der Militärtheoretiker und Friedensforscher Wolf Graf von Baudissin herausstellte“, schreibt Jürgen Rose, „markiert die Erfindung und Verbreitung der Massenvernichtungswaffen und hier wiederum die der Nuklearwaffen den entscheidenden Punkt, die Gretchenfrage schlechthin für den Soldaten sowie die Legitimation seiner Existenz und seines Handelns nach dem 16. Juli 1945 dar. Am Morgen jenes Tages fand kurz vor Sonnenaufgang in der Wüste von New Mexico unter der Bezeichnung „Trinity” (Dreifaltigkeit) die erste Detonation eines nuklearen Sprengsatzes statt.

Jürgen Rose: Soldatische Ethik und Atomwaffen: Was niemals legitim sein kann, heise.de, 14.07.2021. Zum Volltext hier klicken.

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„Kaum ist man vollständig geimpft, schon steigt die Sorge vor einer erneuten Infektion mit der dominierenden Delta-Variante“, beginnt Miray Caliskan. „Zunehmend sind unter den Corona-positiv getesteten Menschen auch vollständig Geimpfte. Das RKI registriert aktuell 6125 solcher Fälle. […] Wenn Impfstoffe keinen vollständigen Schutz gegen den jeweiligen Erreger bieten, sprechen Fachleute von Durchbruchsinfektionen oder Impfdurchbrüchen. Die Gründe sind vielseitig.

Miray Caliskan: Corona trotz Schutz: Darum können sich auch Geimpfte anstecken, berliner-zeitung.de, 29.07.2021. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldung

Zur bevorstehenden Bundestagswahl hat Die Linke im Brandenburgischen Wahlkreis 58 (Oberhavel – Havelland II) eine ostdeutsche Parteilose als ihre Kandidatin aufgestellt. Die Kandidaten von SPD, CDU, FPD und AfD haben allesamt zwar Parteibuch, kommen jedoch entweder aus Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen.
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