19. Jahrgang | Nummer 26 | 19. Dezember 2016

Bemerkungen

Der unbequeme Fragesteller

Der Journalist und Publizist Eckart Spoo ist am Donnerstag, dem 15. Dezember, in Berlin gestorben, vier Tage vor seinem 80. Geburtstag. Als Kind erlebte er Krieg und Faschismus in seiner Geburtsstadt Mönchengladbach und im Fluchtort im Harz; dies hat sein ganzes Leben geprägt. Mehr als drei Jahrzehnte schrieb er als Korrespondent der Frankfurter Rundschau Zeitungsgeschichte. Er galt als unbequemer Fragesteller in Pressekonferenzen und deckte manchen Skandal auf. Von 1970 bis 1986 war er Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union.
Pressefreiheit, auch die »innere Pressefreiheit« in den Redaktionen und die damit erforderliche Abschaffung des Tendenzparagraphen waren Forderungen, die den Journalisten Spoo bis zu seinem Tode umtrieben. Die voranschreitende Monopolisierung der Zeitungsverlage und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Verflachung der Zeitungslandschaft prangerte er an.
Spoo sah die Pressefreiheit vom Grundrecht für alle zum Privileg einiger weniger Pressekonzerne verkommen, deren Eigentümer ihre Aufgaben darin sehen, den Kapitalismus und die von ihm geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu rühmen und vor Kritik zu schützen – auch durch Verschweigen von Tatsachen, Verleugnen von Wahrheiten – und aus diesem Missbrauch der Pressefreiheit möglichst viel Profit zu ziehen. Spoo hielt publizistische Monopole für verfassungswidrig.
In der Konsequenz gründete er 1997 zusammen mit weiteren Publizisten eine eigene Zeitschrift: Ossietzky. Die Zweiwochenschrift für Politik, Kultur und Wirtschaft steht in der antimilitaristischen und antifaschistischen Tradition der Weltbühne. Spoos Anspruch als langjähriger Ossietzky-Chefredakteur: jedes Heft voller Widerspruch gegen angstmachende und verdummende Propaganda, gegen Sprachregelungen, gegen das Plattmachen der öffentlichen Meinung durch die Medienkonzerne, gegen das vermeintliche Recht des Stärkeren und gegen die Gewöhnung an den Krieg. Zu diesen Themen veröffentlichte er auch eine Vielzahl aufklärerischer Bücher. Verlag und Redaktion Ossietzky werden Spoos Vermächtnis fortführen.

Redaktion Ossietzky

Die Redaktion des Blättchens schließt sich dem Respekt vor der politischen Lebensleistung Eckart Spoos und der Trauer um den langjährigen Chefredakteur von Ossietzky an.

In Sachen Populismus-Keule

Es ist längst allgemein geübte Praxis in Politik und Medien, die Benennung kritikwürdiger politischer und gesellschaftlicher Erscheinungen, Ereignisse und Entwicklungen reflexartig als Populismus zu etikettieren und damit einen doppelten Wirkungstreffer zu landen – nämlich einerseits die Kritik zu bagatellisieren, besser noch wegzueskamotieren, und andererseits den Kritiker zu denunzieren, ja möglichst mundtot zu machen.
Wie gesagt, das Verfahren hat sich eingebürgert. Es hat aber noch eine kollaterale dritte Wirkung, und das ist die fatalste, weil nachhaltigste: Es wirkt auf die jeweils in Rede stehenden politischen und gesellschaftlichen Erscheinungen, Ereignisse und Entwicklungen wie ein Stimulans, ein Jungbrunnen, ein belebender Katalysator, was deren weitere Zunahme, Verbreitung und Verstärkung anbetrifft. Die emporschießenden Wählerzahlen mögen hoffentlich kein bleibendes Beispiel dafür sein, ein besonders eindrückliches sind sie derzeit aber allemal. Damit outet sich der Populismus-Vorwurf nicht nur als Placebo, sondern geradezu als Symptom von Krankheiten, zu deren Therapie er nicht taugt.
Vor diesem Hintergrund äußerte Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart jüngst die Vermutung, dass „die sogenannten Populisten in mancherlei Hinsicht [vielleicht] die größeren Realisten“ sind, und erläuterte: „Die Schere zwischen Arm und Reich weitet sich. Das festzustellen ist nicht populistisch, sondern wahrhaftig. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt bringt keinen Frieden, sondern erzeugt neuen Krieg, neue Flüchtlinge, neue Terroristen. Das zu erkennen ist nicht populistisch, sondern klug. Eine unbegrenzte Zuwanderung überfordert jede Gesellschaft. Das den Flüchtlingen und den hier Ansässigen zu sagen ist ebenfalls nicht populistisch, sondern verantwortungsbewusst. Die Stabilität des Euros wird durch eine nie da gewesene Geldflutung sichergestellt – mit der Nebenwirkung, dass die Schuldner belohnt und die Sparer teilenteignet werden. Das zu adressieren ist nicht populistisch, sondern überfällig. Schon Ralf Dahrendorf mahnte in seinem Essay ‚Acht Anmerkungen zum Populismus‘ davor, die Bezichtigung für den Beweis zu halten: ‚Der Populismus-Vorwurf kann selbst populistisch sein‘ […].“
Leider ist nicht zu erwarten, dass Erkenntnisse sich epidemisch verbreiten. Aber vielleicht folgt der ein oder andere einheimische Mandatsträger zumindest dem Beispiel des derzeitigen österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern: „Ich war früher der Meinung, Populismus ist das, was die anderen sagen – bis ich in der Zeitung las, ich sei selbst ein Populist. Seitdem habe ich wegen der Sinnlosigkeit der Debatte aufgehört, darüber nachzudenken.“

Alfons Markuske

Wiederentdeckung eines Kontinents

Seine Bücher liest man nicht so nebenher. Schnell kann man die Übersicht verlieren. Nicht selten wird man durch die Konstruktion komplizierter Plots an der Nase herumgeführt. Doch dahinter steckt Methode.
Die Rede ist von Heimito von Doderer, „dem Repräsentanten der österreichischen Nachkriegsliteratur“. Aus Anlass von dessen 50. Todestag hat der Journalist Klaus Nüchtern, getrieben von der eigenen Neugier, den „Kontinent Doderer“ durchquert. Herausgekommen ist ein kluges Buch, das dem Einsteiger ein hilfreicher, wenn auch anspruchsvoller Lektürebegleiter sein kann und dem kundigen „Heimitisten“ vielleicht zu manch neuer Erkenntnis verhilft.
„Verpasst man etwas, wenn man Doderer auslässt?“ Für Nüchtern gibt es darauf nur eine Antwort: „Na, keine Frage!“ Der 1896 geborene Doderer, 1957 vom österreichischen P.E.N.-Club sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen, ist für ihn einer „der größten Großstadtromanciers des 20. Jahrhunderts (mindestens)“. Mit dem Roman „Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“ gelang Doderer 1951 der literarische Durchbruch. Als er im Sommer jenes Jahres in Wien nach rund zwei Jahrzehnten zum ersten Mal wieder vor sein Publikum trat, war er „im Munde aller Literatur-Interessierten“. Wesentlichen Anteil an diesem Erfolg hatte die kurz nach der Auslieferung des Romans in der Zeitschrift Der Monat veröffentlichte Besprechung von Hilde Spiel. Das Buch berühre sie, schrieb sie an anderer Stelle, „einfach weil es auf das Diffizilste wachruft, was mir das Wichtigste im Leben ist: Erbgut und Kindheit in Wien“.
Mit der „Strudlhofstiege“ hat Doderer, so beurteilt es Nüchtern, „nicht bloß ,sein‘ Wien erschaffen, so wie Döblin sein Berlin, Joyce sein Dublin oder Svevo sein Triest, er hat ein Bauwerk auf die Landkarte gesetzt, das bis dahin kaum jemand zur Kenntnis genommen hatte“. Doderer, der nach seinen eigenen Worten Wien „als ein Lebewesen höherer Ordnung“ begriff, sei sozusagen zum „Entdecker“ der Strudlhofstiege geworden – selbst wenn es im ganzen Roman keine zusammenhängende Beschreibung dieser Treppenanlage gibt.
Fünf Jahre nach der „Strudlhofstiege“ legte Doderer mit mehr als 1300 Seiten sein umfangreichstes Werk vor, den Roman „Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff“. Auch in diesem Buch, an dem er seit 1929 gearbeitet hatte, öffneten sich „Erinnerungsräume“, wurden die österreichische Geschichte und die Kindheit des Autors gegenwärtig. Worum geht es? Ein Buch, konstatierte Doderer in seinem letzten Lebensjahr, wird erst dann zu einem wahren „Werk der Erzählungskunst […], je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vorstellung geben kann“.
Am Ende seiner Durchquerung stellt Klaus Nüchtern fest: „Der Kontinent Doderer ist nicht nur ein weites Land, er ist auch dicht besiedelt. Wer ihn kennenlernen will, muss nicht nur ganz Sibirien durchqueren, sondern auch viele Treppen steigen; und zwar nicht nur über die noble Strudlhofstiege, sondern auch in schlecht ausgeleuchteten Stiegenhäusern und Hausfluren, in denen es nicht immer sehr gut riecht.“ – Machen wir uns also auf: Lesen wir Heimito von Doderer!

Klaus Nüchtern: Kontinent Doderer. Eine Durchquerung. Verlag C. H. Beck, München 2016, 352 Seiten, 28,00 Euro.

Mathias Iven

Klavierspiel mit Tiefgang

Kurz vor dem Weihnachtsfeste würde es sich anbieten, den dauerbeschallten Einkaufstempeln und Fußgängerzonen etwas Kontemplatives entgegenzusetzen. Vor dem nahenden Jahresende mag so mancher kommunikationsfreudige Zeitgenosse auch denken, dass der Worte nun genug in diesem Kalenderjahr gewechselt seien. Der Musikfreund kann sich dann dem instrumentalen Liedgut hingeben – und statt den sattsam bekannten Melodien zur Abwechslung mal unbekannten Künstlern eine Chance geben.
Sevi Salam ist eine aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku stammende Musikerin und Künstlerin. Sie wohnt seit gut zwölf Jahren in Nürnberg. Solo präsentiert sie sich auf der CD-Veröffentlichung “One Day”. Ihr Klavierspiel perlt flüssig dahin – und beim genaueren Zuhören offenbaren sich Nuancen, die den Stücken eher eine verträumte, eine melancholische oder eine beunruhigte, seelisch aufgewühlte Prägung geben. Die einzelnen Titel widerspiegeln diese musikalischen Offenbarungen gleichfalls, ob „Loneliness“, „The One Day of a Butterfly“ oder „Fukushima“.
Sevi Salam präsentiert ein musikalisches Geflecht mit Tiefgang. Sie lädt dazu ein, sie zu begleiten – ob beim Dialog mit den Wellen (2Speaking with the Sea2) oder den gefühlvollen Erinnerungen an ihre Heimat („My home Baku“).

Sevi Salam: One Day, Label11, circa 15 Euro.

Thomas Rüger

WeltTrends aktuell

Seit einem Jahr hat Polen eine neue Regierung – Anlass im Themenschwerpunkt einen Blick auf verschiedene Dimensionen polnischer Außenpolitik zu werfen. Dass China nicht nur mit Deutschland enge Beziehungen pflegt, sondern auch mit Polen eine „strategische Partnerschaft“ unterhält, ist bemerkenswert. Zur Realisierung eigener Interessen in einer multipolaren Welt gehören auch Polens Aktivitäten im Ostseeraum und das Streben nach einem Platz im UN-Sicherheitsrat.
„Trump Präsident – und was nun?“ fragt Klaus Larres, Professor an der University of North Carolina, in der Rubrik WeltBlicke. Andere Beiträge beschäftigen sich mit dem Krieg in Jemen, Brasilien nach Dilma Rousseff und dem bevorstehenden Aus der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-hye.
Anton Friesen antwortet auf die Diskussion im September-Heft und setzt sich mit den Beziehungen zwischen der EU und Russland auseinander.
In der Analyse geht es um die Energiesicherheit Chinas, während im Kommentar Ute Finckh-Krämer (MdB SPD) auf schwerwiegende Probleme des Handelsabkommens CETA verweist.

am

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 122 (Dezember) 2016 (Schwerpunktthema: „Polen international“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

„Am 31. Oktober 2016 unterzeichnete Wladimir Putin ein Gesetz, mit dem Russland die Geltung des Abkommens mit den USA über die Nutzung von waffenfähigem Plutonium außer Kraft setzte“, schreibt Andrey Baklitskiy und fährt fort: „Zwei Tage später wurde das bilaterale Abkommen über wissenschaftliche Atomforschung beendet und das Abkommen über Zusammenarbeit bei der Forschung über die Konversion russischer Versuchsreaktoren für niedrigangereichertes Uran aufgehoben.“ Laut Baklitskiy ist das ein Paradigmenwechsel: „Früher ist Moskau von Verträgen zurückgetreten, die als nicht gleichberechtigt und nicht dem Status einer Großmacht entsprechend aufgefasst wurden […]. Doch jetzt ist Russland bereit, von Verträgen zurückzutreten, die auf paritätischer Grundlage geschlossen wurden.“ Wie die USA dies ihrerseits, so wäre zu ergänzen, mit der Kündigung des ABM-Vertrages zur Begrenzung der Raketenabwehrsysteme bereits im Jahre 2002 getan haben.
Andrey Baklitskiy: Atomgekündigt, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 3.12.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Dürfen Frauen Messerattentate begehen? Die Frage wurde von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) in der Septemberausgabe ihres Onlinemagazins Inspire Guide verneint. Die entgegengesetzte Auffassung vertritt die Terrororganisation Islamischer Staat“, so Owen Bennett-Jones. „In dieser Kontroverse treten zwei sehr unterschiedliche Einstellungen zutage. Osama bin Laden hatte seine Anhänger – mit nachlassendem Erfolg – vor allem auf den ‚fernen Feind‘, also die USA eingeschworen, wogegen der Islamische Staat von Anfang an eher den ‚nahen Feind‘ im Visier hatte – sprich: die autokratischen Regime des Nahen Ostens.“
Owen Bennett-Jones: Verfeindete Dschihadisten. Die ideologischen Unterschiede zwischen Islamischem Staat und al-Qaida, Le Monde diplomatique, 8.12.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Das Minengelände von Bakouma (Zentralafrikanische Republik – die Red.) sieht aus wie das no-man’s land in Tarkowskis ‚Stalker‘: ein verfluchter Ort, wo Vegetation, Ruinen und Rost ineinander übergehen. In diesem radioaktiven Kessel sind 40 Jahre französisch-afrikanischer Beziehungen konzentriert, Jahre voller gescheiterter Großprojekte“, vermerkt Juan Branco – und das, obwohl die geplante Uran-Förderung dort niemals aufgenommen wurde. „Tatsache ist, dass die Abwicklung der Mine in Bakouma schon vor dem AKW-Unfall von Fukushima (März 2011) begonnen hatte – und kurz nachdem Areva in andere Vorkommen investierte, vor allem in der Mongolei und in Kanada, wo der Konzern eine Beteiligung an der riesigen Uranmine von Cigar Lake erwarb.“
Juan Branco: Das große Uran-Komplott. Der französische Konzern Areva und seine dunklen Geschäfte in Afrika, Le Monde diplomatique, 10.11.2016. Zum Volltext hier klicken.

Verse zum Advent

von Theodor Fontane

Noch ist Herbst nicht ganz entflohn,
Aber als Knecht Ruprecht schon
Kommt der Winter hergeschritten,
Und alsbald aus Schnees Mitten
Klingt des Schlittenglöckleins Ton.

Und was jüngst noch, fern und nah,
Bunt auf uns herniedersah,
Weiß sind Türme, Dächer, Zweige,
Und das Jahr geht auf die Neige,
Und das schönste Fest ist da.