Das Kunstmuseum Wolfsburg trauert um seinen Direktor Markus Brüderlin
Unfassbar: Markus Brüderlin, seit 2006 Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, ist am 16. März in seinem Wohnort Frankfurt a.M. im Alter von 55 Jahren verstorben. Es war der Eröffnungstag der Ausstellung „Spuren der Moderne“, an der er so großen Anteil hat. Den Tag zuvor waren wir noch zur Pressekonferenz in Wolfsburg gewesen; Markus Brüderlin war zwar nicht anwesend, aber wer konnte da schon etwas von seinem so unerwarteten Tod ahnen. Mit der groß angelegten Kokoschka-Ausstellung im 20. Jubiläumsjahr, die am 26. April eröffnet wird, werden nun die Museumsmitarbeiter allein zurechtkommen müssen.
Der erfahrene Ausstellungsmacher, Kunsthistoriker und Publizist Markus Brüderlin, 1958 in Basel geboren, war 1994 bis 1996 Kunstkurator des österreichischen Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst und Gründer des Kunstraums Wien und der Zeitschrift Springer gewesen. Von 1996 bis 2005 hatte er die künstlerische Leitung der Fondation Beyeler in Riehen/Basel inne. In Wolfsburg hat er sich mit ganzer Kraft dem Projekt „Die Suche nach der Moderne des 21. Jahrhunderts“ gewidmet, die bedeutende Sammlung internationaler zeitgenössischer Kunst seines Vorgängers Gijs van Tuyl ausgebaut, Künstler in die Wolfsburger Projekte mit eingebunden und mit zäsursetzenden Ausstellungen wie „Ornament und Abstraktion“ (2001), „ArchiSkulptur“ (2004/06), „Japan und der Westen. Die erfüllte Leere“ (2007), „James Turrell. The Wolfsburg Project“ (2009), „Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart“ (2010), „Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes“ (2010), „Die Kunst der Entschleunigung“ (2011) und „Kunst & Textil“ ( 2013/14) dem Wolfsburger Kunstmuseum zu internationalem Renommee verholfen. 2008 ist er zudem zum Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig berufen worden.
Die Museumslandschaft und die Kunstgeschichtsforschung haben eine hoch geschätzte, markante, innovatorische Persönlichkeit verloren.
Klaus Hammer
Gewehr für den Frieden
In Rom herrscht Aufregung. Der US-Waffenhersteller ArmaLite wirbt für sein Scharfschützengewehr AR-50A1 mit einem Plakat, auf dem er Michelangelos weltberühmte David-Skulptur mit einem solchen Gewehr im Arm präsentiert. Der italienische Kulturminister findet das geschmacklos, und er rügt, was viel bedenklicher ist, dass die Amerikaner nicht die für die kommerzielle Vermarktung der Statue fällige Lizenzgebühr entrichten. In anderer Hinsicht ist die Sache noch weit bedauerlicher. Mit diesem David komme nicht in wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck, dass die Amerikaner ihre Waffen nur zu sittlich erhabenen Zwecken benutzen, beispielsweise der Verteidigung von Menschenrechten oder der Einführung der Demokratie. Gut, David hat schon seine Verdienste, aber er war doch alles in allem recht kriegerisch gesinnt. Nach der „Brockhaus Enzyklopädie“ war er, bevor er König wurde, sogar eine Zeit lang „Söldnerführer“. Da bieten sich wahrhaftig andere Persönlichkeiten an, um den humanitären Charakter von Schießgewehren darzutun. Friedensnobelpreisträger wie Kissinger oder Obama könnten als Reklamefiguren durchgehen. Besonders geeignet wäre natürlich Mutter Teresa.
Günter Krone
Aprilscherz
In Anbetracht dessen, dass die Löhne und Gehälter in den ostdeutschen Ländern niedriger liegen als in den westdeutschen, haben die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten beschlossen, aus Solidarität mit den von ihnen vertretenen Bürgern ab 1.April ihre Diäten künftig um dreißig Prozent abzusenken. April, April.
Günter Krone
Katja Riemann mit Wischmopp
Bei der Pressevorführung klopften sie sich gegenseitig für ihren Mut so heftig auf die Schultern, dass sie beinah in die Knie gegangen wären: die Fernsehfilm-Manager vom Ersten und den Landesstationen WDR und NDR. Vier Jahre hätten sie an diesem „Wirtschaftskrimi […] aus der Perspektive der Steuerfahndung“ gearbeitet. Vielleicht waren es genau drei Jahre zu viel. Ich vermute, die meiste Zeit wird nämlich draufgegangen sein, um alle Ecken und Kanten zu entfernen, an denen sich möglicherweise irgendeine hoch bezahlte Anwaltskanzlei hätte stoßen können. Herausgekommen ist ein weichgespültes Filmchen, das an Schärfe die Heide-Heimat-Filme der 1950er-Jahre mitnichten toppt. Die Story ist rasch erzählt: Einer brutalst-möglichen Chef-Steueraufklärerin wird eine – von wem eigentlich? – angekaufte Steuer-Sünder-CD übergeben. Da der Recherche-Aufwand für über 800 Fälle zu heftig ist, greift sie sich den dicksten Fisch heraus: einen „um das Land verdienten“ Unternehmer mit ganz, ganz vielen guten Verbindungen bis nach ganz, ganz oben. Logisch, dass die Ermittlungen sabotiert werden. Das Team erleidet allerlei persönliche Unbill – setzt sich aber am Ende siegreich durch, um vor Gericht doch nur einen Sieg dritter Klasse zugebilligt zu bekommen. Moral: Anständige Menschen hinterziehen keine Steuern, auch Rentner nicht!
Der Film wimmelt vor Klischees: der schwule Steuerfahnder, der Schiss hat geoutet zu werden; die alleinerziehende Fahnderin mit pubertierender, ergo kaum beherrschbarer Tochter; der nach unten tretende und nach oben buckelnde Behördenleiter; der taffe Jung-Staatsanwalt, der – anders als sein Chef – sich nicht die Karriereleiter heraufvögeln will, sondern sein Amt doch tatsächlich ernst nimmt… Das haben wir alles schon einmal gesehen, und wir haben es schon besser gesehen. Was da an filmischem Kapital verzockt wurde, blitzt gelegentlich in kurzen Sequenzen auf: So die Empörung der Züricher Bankangestellten (die die Steuerdaten klaut) über die Anmachversuche des schmierigen Winkeladvokaten von Henze – Sekunden nur, aber die lassen den Atem stocken. Die arme Katja Riemann (sie darf die Steuerfahnderin Karola Kahane spielen, die „kompromisslose“ Frau Kahane – wie anspielungsreich!) hingegen muss sich eine Art Wischmopp auf dem Kopf gefallen lassen, dazu einen billigen Grabschtisch-Pullover mit großem Karomuster. Das solle „den inneren Zustand“ der Fahnderin transportieren, wird Riemann im Begleitheft der Produktion zitiert. Regisseur Züli Aladag hätte sich besser auf die „äußeren Umstände“ konzentrieren sollen. Dann wäre vielleicht ein ganz netter Thriller herausgekommen. So passte das Filmchen hervorragend in das Mittwoch-Abend-Einschlafprogramm der ARD.
Und wehgetan hat er unter Garantie auch keinem: Die Gretchenfrage, wer nämlich die Steuergesetze wie strickt, damit die Großen nichts und die Kleinen immer mehr berappen müssen, wird gar nicht erst gestellt. Kann auch nicht: Frau Kahane scheitert nämlich am Versuch, die Autotür der Ministerin – ja, welcher eigentlich? – aufzureißen, um ihr doofe Fragen zu stellen. „Die Fahnderin“ ist eigentlich nur ärgerlich. Ein Film der verspielten Gelegenheiten.
W. Brauer
Die Fahnderin, Regie: Züli Aladag, Produktion UFA FICTION GmbH 2014; in der ARD-Mediathek.
Finnischer Tango
Aki Kaurismäki, Finnlands berühmter Filmemacher, streitet mit der Welt und behauptet, dass der Tango gar nicht aus Argentinien stamme, sondern aus Finnland. Viviane Blumenschein, Dokumentarfilmerin, hört davon und macht sich auf den Weg nach Argentinien und Finnland, um die Tango-Frage zu klären. Herausgekommen ist ein wunderbar humorvoller Dokumentarfilm, eine Liebeserklärung an die Tangomusik und ihre Interpreten – und an Finnland.
Die Deutsche Blumenschein provoziert mit Kaurismäkis Behauptung die Tango-Musiker Chino Laborde, Diego Kvitko und Pablo Greco, zu Hause im – wie sie selbst sagen – „dreckigen“ überfüllten Buenos Aires, das aber dennoch Heimat für Musik sei. Nachdem sie Kaurismäki mit „Die Sauna stammt aus Argentinien“ gekontert haben, beschließen sie nach Finnland zu reisen und der Sache auf den Grund zu gehen.
Sie finden sich in weiter Landschaft wieder, Wälder, Seen, Ruhe (wunderschöne Bilder). Finden Licht in den Nächten. Alles sehr gewöhnungsbedürftig für die Latinos. Sie besuchen Tangoveranstaltungen in kleinen Orten, sehen die verschiedenen Generationen gemeinsam tanzen – hm, die Eleganz der argentinischen Tangotänzer ist dabei nicht zu finden, aber Freude, viel Freude und Gemeinsinn. Es gibt reichlich Tango in diesen Wäldern, wie die Argentinier auch beim Besuch bekannter finnischer Tangomusiker feststellen. Die zeichnen sich neben ihrer Musikalität durch herrlichen Humor, Selbstironie und kreativen Umgang mit ihrem Tango aus. Es macht Spaß zuzusehen, wie sich so unterschiedliche Mentalitäten (die kühlen, ruhigen Nordländer vs. laute, eilige Südländer) aufeinander einstellen und sich eins sind in der Liebe zum Tango.
Unbedingt ansehen. Der Film „Mittsommernachtstango“ ist gerade ins Kino gekommen.
Margit van Ham
Vor fünfzig Jahren
Am 14. März 1964, Karl Marx’ 81. Todestag, wurde in Hötensleben (damals Bezirk Magdeburg), circa 3.800 Einwohner, im Sperr-Streifen zur Bundesrepublik gelegen, nahe Offleben/Schöningen, eine Ausstellung für Helena Scigala eröffnet. Der Musiklehrer Jörg-Heiko Bruns (Jahrgang1940), 1961/62 ein Schüler Lothar Langs in Berlin, war der Initiator. Am 26. Mai 1962 hatte Lang in seinem Kunstkabinett im Institut für Lehrerweiterbildung in Berlin-Weißensee (ab September 1965 in Pankow) mit einer Ausstellung für Horst Zickelbein begonnen. Im „Almanach 1“ des Kunstkabinetts am Institut für Lehrerweiterbildung Berlin-Pankow (1967) heißt es in der „Zeittafel“: „(59) 14. März: Jorg-Heiko Bruns gründet im Dorfclub Hötensleben das 2. Kunstkabinett nach unserem Modell.“ Sowohl Berliner Künstler der älteren Generation wie Herbert Sandberg, Herbert Tucholski, René Graetz, Fritz Cremer und Charlotte E. Pauly, als auch von Lang ins Gespräch gebrachte junge Künstler wie Helmut Diehl, Ronald Paris, Wilfried Fitzenreiter, Doris Kahane, Wolfgang Leber, Werner Stötzer, Dieter Goltzsche und Harald Metzkes stellten in Hötensleben aus. Magdeburger Künstler bereicherten das Programm: Bruno Beye und Wilhelm Höpfner, Jochen Aue. Aus Dresden waren Werke von Walter Arnold, Verbandspräsident von 1959 bis 1964, und von Lea Grundig, Präsidentin von 1964 bis 1970, zu sehen. 1964 war das Jahr der II. Bitterfelder Konferenz. Die 11. Tagung des ZK der SED zu ideologischen Fragen der Kulturpolitik vom 15. bis 18. Dezember 1965 zeigte unmittelbare Folgen in Hötensleben. Wolf Biermann durfte dort Mitte Januar 1966 nicht auftreten. Bruns wurde mit einem Partei-und Disziplinarverfahren belegt. Eckard Schwandt hat in einer Aquatinta 1986 die frühen Gründungen von Kunstkabinetten dokumentiert, die einen Ausgangspunkt für die nahezu 400 kleinen Galerien des Kulturbundes bildeten. Hötensleben gehört zu diesen Anfängen.
Leo Piotracha
Schwarz und stark wie ein doppelter Espresso
Bluessänger deutscher Provenienz sind eine Rarität, und bringt man noch Begriffe wie Urgestein oder gar Ikone ins Spiel, fällt mir überhaupt nur einer ein: Richard Bargel. Der ist seit 1970 so virtuos als Gitarrist wie unverwechselbar als Sänger unterwegs. Uwe Golz attestierte ihm auf Deutschlandradio Kultur: „Es gibt viele Vorurteile beim Blues. Eines davon ist: Weiße können den Blues nicht singen. Mit diesem Vorurteil räumt […] Richard Bargel – hoffentlich – endgültig auf […] eine Stimme, schwarz und stark, wie ein doppelter Espresso, eine Gitarre und Songs, die unter die Haut gehen […] Blues, das ist sein musikalisches Leben, den Blues, so scheint es, atmet er nicht nur, er fühlt ihn bis in die letzten Nerven-Enden […].“
Seit kurzen ist die neue CD des Künstlers, „It’s crap!“ auf dem Markt, und er ist mit seiner Band Dead Slow Stampede auf gleichnamiger Tour, um die Scheibe zu promoten. Mein Favorit unter den zwölf Titeln der CD ist „Will Your House Be Blessed“, ein Song, den Bargel zum Gedenken an den Songpoeten John B. Spencer (1944-2002) und auf einen Text desselben einspielte. Spencer war in den 70er Jahren ein musikalischer Weggefährte Bargels. Unter die Haut ging mir insbesondere die letzte Strophe:
Pull the nails from the cross / Pull the cross from the hill / Lay the body and soul to rest / May the blood that’s been spilt / Drown your guilt / Only then will your house be blessed.
Arthur G. Pym
Richard Bargel & Dead Slow Stampede: „It’s crap“, Special Guests: Charlie Musselwhite, Freddy Koella, Meyer Records 2014, 15,00 Euro (CD), 25,00 Euro (LP). Zu bestellen per E-Mail über: www.richard.bargel@web.de. Tourdaten im Internet.
Die Müll-Ecke
Die Sprache der Politik ist voller Geheimnisse und zutiefst kreativ. Das Berliner Abgeordnetenhaus arbeitet wacker daran, dass der von ihm verordnete rabiate Personalabbau im öffentlichen Dienst sich für Menschen, die irgendetwas von der Verwaltung möchten, nicht ganz so katastrophal auswirkt. Das Zauberformel heißt „Online-Angebote ausbauen“. Das Ganze sollte zunächst nur medienbruchfrei erfolgen. Nun rätsele ich, was denn ein Medienbruch sein könnte. Ein Rohrbruch kommt nicht in Frage, ein Leistenbruch auch nicht. Die tolle Idee kommt aus dem Ausschuss für Digitale Verwaltung. Eine Umschreibung der Lieblingstätigkeit der schweren Jungs – einen Bruch wagen… – kann es auch nicht sein. Noch dunkler wird das sprachliche Mysterium nach einem Änderungsbeschluss des Parlamentes, die Online-Angebote nicht nur medienbruchfrei, sondern „barriere- und medienbruchfrei“ zu gestalten. Was zum Teufel ist ein Barrierebruch?
Günter Hayn
Aus anderen Quellen
Zur Krise um die Ukraine schreibt Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart: „Der Westen betreibt das, was die Amerikaner in lichteren Momenten ‚Pitbull-Politics‘ getauft haben […] per Definition eine Politik mit gefletschten Zähnen, aber ohne Hirn.“ Als Fazit seiner Betrachtungen fasst er zusammen: „Jeder Realpolitiker weiß, dass Putin die Krim nicht aus seiner Einflusssphäre entlassen kann. Wenn er es zuließe, wäre er ein Präsident auf Abruf. Und nach Putin käme nicht die lupenreine Demokratie, sondern Anarchie im Ausgehrock der Militärs. Amerika, Europa, Deutschland, Angela Merkel – wir alle wären gut beraten, nicht zuerst ihm, sondern uns selbst Einhalt zu gebieten.“
Gabor Steingart: Entpört Euch!, Handelsblatt, 14.03.2014. Zum Volltext hier klicken.
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Warum und wie der damalige sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow, zuvor Spitzenfunktionär in der Ukraine, dieser die Krim schenkte und dass der Akt als solcher willkürliche Züge trug, beleuchtet Ulli Kulke unter Bezug auf eine 2007 veröffentlichte Untersuchung der britischen Historikerin und Ukraine-Expertin Gwendolyn Sasse. „Als einer der schärfsten Kritiker der Aktion bildete sich nach der Veröffentlichung der Akten 1992 Jewgeni Ambartsumow heraus, in der Ära Gorbatschows stellvertretender Sprecher des Obersten Sowjets. Das Übergehen der zuständigen Gremien und das Gemauschel Chruschtschows […] veranlassten Ambartsumow in einem Interview zu einem gewagten Vergleich: Das Ganze sei vergleichbar gewesen mit dem geheimen Hitler-Stalin-Pakt aus dem Jahr 1939.“
Ulli Kulke: Und plötzlich gehörte die Krim zur Ukraine, Die Welt, 10.03.2014. Zum Volltext hier klicken.
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„Gespräche der SPD mit der Linken sind überfällig. Diese Gespräche werden schwierig und langwierig sein. Es steht heute nicht fest, ob sie zu einem rot-rot-grünen Projekt oder zur Einsicht in die Unüberbrückbarkeit der Gegensätze führen“, schreibt Karsten Voigt, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen, und richtet sein Augenmerk speziell auf die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik: „Ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Koalitionen mit der Linken, auch nicht auf Bundesebene. Aber eine solche Koalition muss dazu beitragen, dass deutsche Politik zur Lösung internationaler Probleme beiträgt und nicht dazu, dass Deutschland wieder zu einem Problem für Europa wird. Deshalb müssen diejenigen Sozialdemokraten, die den Weg für künftige Koalitionen mit der Linken öffnen wollen, besonders hartnäckig auf die Veränderung der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik dieser Partei drängen.“
Karsten D. Voigt: Eine rot-rote Annäherung?, Internationale Politik Online, 14.03.2014. Zum Volltext hier klicken.
Medien-Mosaik
Zu den britischen Journalisten, die ihren Wohnsitz in der DDR nahmen, weil sie für ihre Heimat zu links waren, gehörte Alan Winnington (1910-1983), der auch gelegentlich für die Weltbühne schrieb. Sein Spezialgebiet waren die Kriege in Südostasien, und er geißelte die imperialistischen Bestrebungen der NATO und speziell der USA. Zum Ausgleich schrieb Winnington Kriminalromane, wobei er natürlich nicht vergaß, die sogenannte „bessere Gesellschaft“ in ihrer Verlogenheit zu zeigen. Der Deutsche Fernsehfunk verfilmte 1971 einen seiner Krimis unter dem Titel „Tod in der Kurve“. Regisseur Gerhard Respondek, der 1975 unter ungeklärten Umständen seine Entlassung vom DDR-Fernsehen bekam, schrieb das Drehbuch selbst und übernahm die Einteilung der Handlung in Kapitel, die die Hauptakteure charakterisierten. Ein britischer Unternehmer erleidet einen tödlichen Autounfall, und natürlich war es Mord. Inspektor Gullett, gespielt von Horst Hiemer, wird auf den Fall angesetzt. Respondek gelang es, eine britische Atmosphäre zu schaffen, was durch die Schwarzweißkameraarbeit von Siegfried Hönicke, aber auch eine Reihe erstklassiger Schauspieler unterstützt wurde, darunter Renate Reinecke, Alfred Müller, Jürgen Hentsch und die schöne Niederländerin Cox Habbema. Da fällt auch nicht ins Gewicht, dass die angeblich britischen Wagen das Lenkrad auf der linken Seite haben.
Tod in der Kurve, Bonus: Telelotto-Kurzkrimi, DVD, Icestorm, 7,99 Euro.
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Wenn Walter Jurmann in den Nachkriegsjahrzehnten Europa besuchte (und auf einer solchen Reise ist er 1971 auch in Budapest gestorben) ärgerte er sich nicht, wenn sein Name nicht bekannt war, sondern freute sich, dass seine Melodien immer wieder gesungen wurden – im deutschsprachigen Raum „Veronika, der Lenz ist da“, in Frankreich „Ninon“ und überall in der Welt „San Francisco“. Der Wiener vom Jahrgang 1903 machte in der Weimarer Republik eine steile Karriere als Schlagerkomponist, vor allem nach Texten von Fritz Rotter. Von den Nazis vertrieben floh er über Paris nach Hollywood, wo ihm die MGM einen Siebenjahresvertrag bot. Hier schrieb Jurmann die Musik zu Welterfolgen, unter anderem mit Jeanette MacDonald, Deanna Durbin, Judy Garland, Marta Eggerth und den Marx Brothers. Jurmann wurde amerikanischer Staatsbürger, diente in der Army und war nach dem Krieg in der Lage, machen zu können, was er wollte. Ihn beunruhigte die Situation im Kalten Krieg, und sein letztes Lied, das er als musikalisches Testament ansah, hieß „A Better World to Live in“. Max Raabe, der schon lange von Jurmanns Werken fasziniert war, hat es aufgenommen, und die CD liegt dem neuen Walter-Jurmann-Buch bei, das Eberhard Görner unter Mithilfe der Witwe Yvonne Jurmann geschrieben hat. Er beschränkt sich nicht auf die Lebensstationen des Komponisten, sondern schildert auch immer das künstlerische und politische Umfeld, in dem Jurmann wirkte. Ganz sattelfest ist er dabei nicht immer, wenn der Autor sich fragt, was Curt Bois (neben anderen Kollegen) gedacht haben mag, als er 1936 in einem deutschen Kino „San Francisco“ sah und Jurmanns Name im Abspann fehlte. Dabei war Bois selbst ein Vertriebener und sah den Film vermutlich am Broadway, wo er damals auftrat. Nichtsdestotrotz ist das Buch auch dank des umfangreichen Anhangs eine Fundgrube für alle, die sich für die Geschichte des Unterhaltungsgeschäfts interessieren.
Eberhard Görner: Walter Jurmann – sein Leben, seine Musik, Henschel, Berlin 2014, 280 Seiten, 24,95 Euro.
bebe
Die Maschine leiert immer weiter
Jawoll, der alte Mann der ostzonalen Beatmusik lebt noch so vor sich hin, schlägt ab und zu die Laute, feierte in den vergangenen Tagen „zwei Jahre Rente erhalten“ und will uns bestimmt mal den Heesters machen. Viel hat er erlebt, als er noch jung und nur unten rum runzlig war. Mit rocklastigen Liedern verklebte er mit weiteren alten Männern seit 1965 immer wieder die Gehörgänge nicht schnell genug vom Hof eilender Patienten. So sang der Dieter besonders gerne das Marschlied der Staatssicherheit: „Doch die Gitter schweigen“, den Partysong aller Urologen: „Geh zu ihr (und lass deinen Drachen steigen)“ und das Durchhaltegetöns der Bestatter, das Dieterle jetzt besonders gerne wieder durch die raue Kehle presst: „Wenn ein Mensch lebt“. Daneben tritt er auch mit seinen Kampfgenossen in allen nur möglichen Städten am Arsch der Welt, wie Schwedt, Kleinmachnow, Eberswalde und Hoyerswerda, auf. Die Rolling Stones, mit denen Birr gerne gemeinsam gekrächzt hätte, wissen bis heute nicht, dass es deutsche Rentner gibt, die die Beatmusik schlecht kopieren, weil sie nie über die Sektorengrenzen hinaus bekannt geworden sind.
Neben hunderten veröffentlichter Schallplatten, mit denen Unmengen von Erdöl vergeudet wurden, muss nun auch noch ein Stück Schwedischer Wald daran glauben, denn Dieter Birr hat eine Autobiographie schreiben lassen. Hier steht nicht drin, bei welchen richtigen Rockbands man im Lauf des Lebens Melodien klaute, was man am Ende mit dem Nationalpreis II. Klasse für Kunst und Literatur machte und wieso man eigentlich „Puhdystische Kindereime“ mit Literatur in Verbindung bringt. Aber endlich will Maschine, so wird Birr seit frühester Jugend wegen seiner steifen Bewegungen und seiner metalisch klingenden Rülpser (von Fans Gesang genannt) von Feind und seinem Fan gerufen, allen Uninteressierten mitteilen, was er so erlebt hätte, wenn ihn Staat und Stasi hätten machen lassen. Sogar ein Auftrittsverbot von mehreren Minuten soll es gegeben haben.
Greifen wir also zu unseren Luftgitarren oder wahlweise zu den Krücken, später zu den Brechbeuteln, und singen mit ganzer Kraft die schönsten Lieder, die die Puhdys geschaffen haben: „Lebt denn der alte Holzmichl noch“, „Jugendliebe“ und „Am Fenster“. Nun noch schnell zum Buch „Maschine“, aus dem Hause „Neues Leben“: es hat einen grausamen Einband, insgesamt 256 Seiten und allerlei Anekdötchen zu bieten. Dass die Puhdys wohl nie mit den Rolling Stones spielen werden, macht den Birr ganz schön zu schaffen. Denn als er über die Staatsnähe der Band schreibt, vergleicht er das allgemeine Wirken mit Jagger & Co und deren fantastischen Song „Street Fighting Man“. Natürlich sind die RS keine politische Band, warum auch, sie mussten sich nie mit dem Staat arrangieren und vereinten im angemahnten Lied Widerstand und Scheitern zu einem großen Ganzen. Mal sehen, wann all die anderen Puhdys ihre Sicht auf die Dinge veröffentlichen und schnell noch eigene Songs hinterher schieben. Die Puhdys lösen sich zwar auf, werden aber noch wie Kletten weiter an uns kleben.
Thomas Behlert
Dieter Birr / Wolfgang Martin: Maschine, Verlag Neues Leben, Berlin 2014, 256 Seiten, 19,99 Euro.
Wirsing
Schön, wenn bei der Tageszeitung neues deutschland junge, aufgeschlossene Volontäre ganz frei sind, so dass ihnen kein Redakteur die Laune mit rechthaberischen Hinweisen verdirbt. So ein junger Mensch schrieb kürzlich eine ausführliche Empfehlung für die Trickserie South Park, deren 17. Staffel beim Sender Zentralkomödie für Quoten sorgen soll. Der Autor lobte: „Keine andere Serie würde sich trauen, dem menschlichen Weihnachtsmann einen aus der Kanalisation entsprungenen Pedanten in Gestalt eines Kothaufens gegenüberzustellen.“ Wenn nun ein pedantischer Kot-Weihnachtsmann zu dieser Jahreszeit in einem anarchistischen Honig-Hasen sein Pendant findet? Ich glaube, ich muss mir die Serie unbedingt ansehen!
Fabian Ärmel
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